Geschlecht und Struktur

3.1 Zum Begriff der Struktur

Das Unsichtbare im Sichtbaren der Marxschen Theorie müßte in einer Formbestimmung Gestalt annehmen. Eine solche Formbestimmung kann sich nicht auf die generativreproduktive Dimension im Geschlechterverhältnis beschränken. Von einer solchen 'Form' kann nicht die Rede sein, wenn sie nicht zugleich das "produktive" [1]Element einschlösse und damit ins Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital hineinreichte.
Würde eine Trennung vorgenommen, wäre das Resultat ein dualistisches Strukturkonzept, das die Geschlechter der 'Bevölkerungsweise', die Klassen der 'Wirtschaftsweise' zuordnete. Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses betont die systematische Seite der Analyse. Die Schwierigkeit einer historischmaterialistischen Begründung sozialer Sachverhalte besteht im komplexen Ineinander von Inhalt und Methode, daß die materiale Analyse die methodische Suche nach dem angemessenen wissenschaftlichen Instrumentarium einer solchen Untersuchung einschließt, wenn der Untersuchungsgegenstand nur annäherungsweise verortbar ist. Die bisher angestellten Überlegungen können aus dieser Sicht gewiß als unzulänglich bezeichnet werden: Der Aufbau der Theorie wurde vorrangig auf ihre inhaltlichen Ausblendungen hin untersucht. Vermutlich gilt für eine Reformulierung der Theorie dasselbe, was die wissenschaftstheoretische Reflexion auf die Marxsche Vorgehensweise schon immer herausgestellt hat: daß sich das methodische Instrumentarium erst im Forschungsprozeß selber herauszubilden beginnt, daß ein beständiges Wechselverhältnis zwischen inhaltlich materialer und logisch-systematischer Vorgehensweise gefordert ist. Die Argumentation in diesem Abschnitt der Untersuchung unterscheidet sich von der bisherigen Vorgehensweise darin, daß sie vorrangig der Faden der methodisch systematischen Reflexion marxistischer Grundbegrifflichkeiten und Annahmen aufnimmt.
Bisher wurde die Tragfähigkeit der Marxschen Erkenntnismethode nicht infragegestellt, die Analyse von der Überlegung angeleitet, daß sie in der originären Theorie, aber auch in ihren Weiterentwicklungen, vermutlich nicht konsequent genug zur Anwendung kam. Dieses potentielle Defizit stellte eine von 'außen' an die Theorie herangetragene Kritik dar - in der Bedeutung einer immanenten Ideologiekritik: das der Theorie Äußerliche ist zugleich ihr unbewußter Gehalt.
Läßt sich die Vermutung einer wie auch immer defizitären Methodik der Theorie erhärten, bestünde die analytische Konsequenz in der Möglichkeit, daß 'Korrekturen' der Methodik auch den systematischen Aufbau der Gesamttheorie verändern. Nur innerhalb dieser Annahme gibt es Sinn, von einer unabdingbaren Verflechtung von Inhalt und Methode im historischmaterialistischen Denktypus zu sprechen.
Der Verdacht, die Methodologie der Theorie in ihrer vorliegenden Gestalt enthalte Fallstricke, die ihr transzendentales Moment abblocken, wäre dann nicht ihr 'Fehler', sondern dieser Verzahnung von Inhalt und Methode selber geschuldet. Ließe sich ein solcher Verdacht in einen Nachweis umsetzen, wäre er wiederum Ausgangspunkt der Möglichkeit von Erkenntnis. Nicht allein die Inhalte der Theorie würden in diesem Fall ein historisch-besonderes Element enthalten, sondern eben auch die Methode des Erkenntnisgewinns. Beide wären dann dem Erkenntnisstand und den normativen Vorstellungen einer vergangenen Epoche geschuldet - und enthielten, genuin dialektisch, bereits ein über sich selbst hinausweisendes Moment. Die Analyse setzt an einer Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses an, die im Spannungsfeld zwischen Marxismus und Feminismus eine vermittelnde Position beansprucht. Diese Formbestimmung beruft sich auf die traditionell-marxistische Totalitätskonzeption, weitgehend auch auf das herkömmliche Verständnis von Basis und Überbau, und nimmt zugleich die Fragestellung der feministischen Forschung nach einer historisch-materialistischen 'Ortsbestimmung' des Geschlechterverhältnisses auf. Sie stammt von Hildegard Heise (1986, 1989 [2]) . Auf der Grundlage der Untersuchung verschiedener Interpretationen von gesellschaftlicher Totalität sind bereits eine Reihe von Kriterien gewonnen, anhand deren die Tragfähigkeit von Heises Formbestimmung überprüft werden kann. Die Untersuchung gilt jedoch nicht dem gesamten Theorieentwurf Heises. Dessen Fokus gilt dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, während sich die vorliegende Untersuchung vorrangig mit dem Verhältnis von Gesellschaft und Geschichte befaßt. Die gemeinsame Problemstellung erstreckt sich auf die Frage nach der Geschlechterspezifik kapitalistischer Vergesellschaftung. Die von Heise vorgeschlagene Interpretation läuft auf die Feststellung hinaus, der Kapitalismus vergesellschafte Individuen geschlechtsneutral. Aus diesem Grund ist insbesondere ihre genetisch systematische Begründung von hohem Interesse. In ihrer Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses verwendet Heise einen Strukturbegriff, der sich auf das "kapitalistische System" bezieht. Nach Heise besteht die Besonderheit der kapitalistischen Epoche gegenüber dem feudalen Zeitalter in ihrer eigenartigen Strukturiertheit von Gesellschaftlichkeit und, korrespondierend, in der besonderen Art und Weise, wie Individuen der Gesellschaft gegenüberstehen und wiederum auch in sie eingebunden sind.
Als entscheidendes Merkmal dieser Gegenüberstellung/Eingebundenheit von Menschen bezeichnet sie die "Loslösung des Menschen von seinen Produktionsbedingungen", d.h. den Zwang zur Vermarktung von Arbeitskraft zur Existenzsicherung im Kapitalverhältnis. 'Versachlichung' meint in diesem Zusammenhang, daß die Sachen- und Warenwelt zwischen die Bezugnahme von Personen aufeinander trete. Für die gesellschaftlich Arbeitenden verlaufe eine solche Bezugnahme nicht über sie als Personen wie etwa im vorkapitalistischen Produktenaustausch oder über die Zwänge eines direkt personellen Herrschaftsverhältnisses. Vielmehr trete an deren Stelle der Waren - und Kapitalkreislauf mit dem allgemeinen Medium 'Geld' als Vermittler gesellschaftlicher Arbeit. Erst. diese Versachlichung in der Bezugnahme gestalte Arbeit zur "wirklich gesellschaftlichen" Arbeit. In gewisser Weise sei sie anonym, marktbezogen und indirekt. Die Loslösung der Menschen von ihren Produktionsbedingungen bedeute gleichzeitig deren Loslösung voneinander und gehe ihrer Eingliederung in soziale Zusammenhänge voraus. Aus diesen Überlegungen zieht Heise den Schluß, daß die Ungleichheit von Frauen und Männern unter kapitalistischen Bedingungen auf einer je unterschiedlichen Eingliederung in die kapitalistische Warenproduktion beruht: Wenn die Menschen im Kapitalismus gesellschaftliche Subjekte nur in ihrer Vereinzelung sind, d.h. als besitzlose, von ihren Produktionsbedingungen getrennte, dann folgt daraus notwendig, daß sich die Ungleichheit im Geschlechterverhältnis aus einem je besonderen Zugang zu existenzsichernden Ressourcen ergibt. Da das kapitalistische System jedoch nicht allein ein "Ort der Existenzsicherung" sei, sondern gleichermaßen Sphäre einer bestimmten "Form sozialer Beziehungen", interessiere letztere als "Form der Existenzsicherung von Personen". Anders ausgedrückt: Es handelt sich um ein "versachlichtes und folglich verselbständigtes Bezugsnetz der Personen", vermittelt über 'Geld'. Heise schlüsselt diese Begriffsbestimmung nach zwei Seiten hin auf.
Als Vereinzelte seien Individuen Produzenten der gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen sie leben. Auf der anderen Seite brächten sie, als Gesellschaftswesen, die Strukturen selbst hervor, die ihnen als versachlichte vorausgesetzt sind und die ihnen gegenübertreten. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem subjektiven Involviertsein in den objektiven Kapitalzusammenhang, das sich in seinen inhaltlichen Ausprägungen allein über die Dimensionen von Kapitalverhältnis und Warenwelt erschlösse. Diese widersprüchliche Eingebundenheit von Individuen in objektiv widersprüchliche Verhältnisse verwandle sich in äußere Gegensätze und beträfe aus diesem Grund auch interpersonelle Beziehungen und Verhältnisse, die in der Versachlichung von Gesellschaftlichkeit angesiedelt seien: Klassenwiderspruch und Geschlechtergegensatz. Im Vergleich mit Männern seien Frauen sehr viel stärker in eine solche widersprüchliche Existenzsicherung eingebunden. Sie hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß auch familiale Beziehungsformen nicht als beliebig gestaltbar angesehen werden können, selbst sie unterlägen einer materiellen Formbestimmtheit. Sie umschlössen erstens Teile der materiellen Lebensversorgung und sie nähmen zweitens - als Formen - ihren Ausgang vom
kapitalistischen System der gesellschaftlichen Arbeit. Für das Geschlechterverhältnis bedeute dies, daß es zwei wesentliche und differierende Formen besäße: die versachlichte Form der kapitalistischen Produktionsweise und die direkt personelle der Familie. Wenn letztere - hier gegen die Frauenforschung gewandt - als primär für die Ausprägung des Geschlechterverhältnisses und einer geschlechtlichen Arbeitsteilung angesehen werde, handle es sich um eine Verkehrung des strukturell Gegebenen. Strukturiert würden Familie und Geschlechterverhältnis in ihren Versachlichungen durch das kapitalistische System der gesellschaftlichen Arbeit und dieses sei wiederum geschlechtsneutral (vgl. Heise 1989).
Für die Theoriebildung der Frauenforschung stellt Heises Entwurf einer Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses eine Herausforderung dar. Sie besteht darauf, sozioökonomische Ungleichheit der Geschlechter aus dem Wirkungsmechanismus kapitalistischer Vergesellschaftung zu erklären; sie habe ihren Ausgangspunkt vom Begriff der Ware zu nehmen, von der Warenförmigkeit von Arbeitskraft. Diese Eindeutigkeit kennzeichnet keinen der vorliegenden Entwürfe geschlechtlicher Arbeitsteilung oder der Wertbestimmung von Hausarbeit(skraft). Sie bietet jedoch keine Erklärung dafür an, worin die Besonderheit des je unterschiedlichen Zugangs von Frauen und Männern zu existenzsichernden Ressourcen besteht: Das zu Erklärende bleibt unerklärt. Entweder vergesellschaftet die kapitalistische Produktionsweise Individuen tatsächlich geschlechtsneutral, dann kann es keinen geschlechtsspezifisch 'besonderen' Zugang zu existenzsichernden Ressourcen geben, oder sie vergesellschaftet sie geschlechtsspezifisch, eben 'unterschiedlich'; eines schließt das andere aus. Eine dritte Möglichkeit bestünde darin, daß diese Vergesellschaftung eine Widersprüchlichkeit in sich birgt, die Gleichheit und Ungleichheit miteinander verknüpft. Sie müßte sich aus der geschlechtsspezifischen Vergesellschaftung von Arbeit und Generativität erklären lassen können, wenn es sich um ein Strukturprinzip warenproduzierender Gesellschaften handelt und wenn beide Vergesellschaftungsmodi in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen.
Zusammenfassend: Heises These der Geschlechtsneutralität des kapitalistischen Systems stützt sich auf die Annahme der Gleichheit beider Geschlechter in ihrer Abhängigkeit vorn Markt bzw. von der Vermarktung ihrer Arbeitskraft zur Existenzsicherung. Eine solche Abhängigkeit habe unter vorindustriellen Bedingungen nicht bestanden: Heise verknüpft ihre Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses mit einer genetischen Begründung, die sich auf die These der Trennung der Produzenten von ihren Produktionsbedingungen beruft. Sie wird im folgenden auf ihre Aussagefähigkeit hin überprüft.
Was Marx unter der 'Loslösung des Menschen von seinen Produktionsbedingungen' verstand, hat er am wohl eindringlichsten in den "Grundrissen" (1857/58) dargestellt. In dem Kapitel "Epochen ökonomischer Gesellschaftsformation" (ebd., S. 375 ff.) erläutert er, daß und wie in vorkapitalistischen Sozialgebilden auf der Grundlage gemeinschaftlichen Eigentums eine Einheit von Mensch und Natur bestanden habe. Zwischen die Menschen und ihre Existenzsicherung trat noch keine Eigentumsform wie im Feudalismus oder Kapitalismus beobachtbar- daß die Arbeit den einen, der Ertrag aus dieser Arbeit den anderen zufiel, wodurch erst die Trennung (oder Loslösung) des Menschen von seinen Produktionsbedingungen besiegelt wurde. Alle partizipierten als (Mit-)Eigentümer am gemeinschaftlichen Eigentum und waren vermittels ihrer Arbeit mit ihm verbunden. [3]
Zusammenhangstiftendes Prinzip war jedoch nicht allein dieses gemeinschaftliche Eigentum. Hinzukommt ein zweites Prinzip: Diese Eigentümer beziehen sich als Familienväter aufeinander, sind auch in dieser Eigenschaft gesellschaftlich miteinander verbunden und aufeinander bezogen. [4] Bei genauer Betrachtung dieser Überlegung zeigt sich, daß der Mensch, der Marx zufolge mit der Heraufkunft des Kapitalismus von seinen Produktionsbedingungen losgelöst wurde, ein ganz bestimmter Mensch ist, der sich in einem spezifischen sozialen Verhältnis zu seinen Mitmenschen und zu deren Existenzgrundlage befindet. Was diejenigen eint, deren soziale Stellung analog der seinigen definiert ist, ist ihre Gleichheit untereinander als Familienhäupter und Eigentümer. Unschwer ist zu erkennen, daß Marx ausschließlich von Männern spricht, allerdings nur von 'Häuptern' einer Familie, Offen bleibt, ob Marx dieses Familienhaupt ausschließlich in einer sozio-ökonomischen oder zugleich auch in einer generativen Relation zu Familie und Gesellschaft sieht.
Heise universalisiert und anthropologisiert die Marxsche Verhältnisbestimmung, indem sie sie als allgemeingültige Aussage über das- Verhältnis von Menschen zu ihren Existenzbedingungen interpretiert. Marx hat sie mit einiger Sicherheit als eine solche allgemeine Aussage betrachtet, d.h. dachte 'Gesellschaft' als ein Beziehungsgefüge von Familienpatriarchen. Diese Auffassung muß nicht falsch sein, in jedem Fall ist sie unzulänglich, wenn von Individuen schlechthin die Rede ist und sein soll. Heises genetisches Argument im Anschluß an Marx enthält deshalb keine Geschlechtsspezifik, weil die Geschlechtszugehörigkeit dieser Familienhäupter und Eigentümer 'gleich' ist; sie sind allesamt Männer.
Diese Kritik an Heises Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses läßt noch immer die Frage offen, ob deren materialer Gehalt sich auf sozio-ökonomische und auf generative Sachverhalte bezieht. Nach seiner inneren Logik kann sich das Marxsche Argument nicht auf Generativität im Geschlechterverhältnis beziehen. Wenn die Träger des gesellschaftlichen Verhältnisses ausschließlich Männer sind, die als Eigentümer und Familienhäupter untereinander agieren, ist bereits vorausgesetzt, daß sie dies als männlich-menschliche Individuen tun. Wie sie zu Individuen einer bestimmten Geschlechtszugehörigkeit werden, spielt dann keine Rolle. Für diese Annahme spricht ein weiteres systematisches Argument: Marx bestimmt ein soziales Verhältnis. Jedem historisch-besonderem sozialen Beziehungsgefüge sind jedoch von vornherein zwei Sachverhalte vorausgesetzt - daß Menschen existieren, die diese Verhältnisse tragen ('verkörpern') und daß Sachen vorhanden sind, die sich in einer sozialen Verhältnisbestimmung 'versachlichen'. Beider Vorhandensein stellt gewissermaßen die 'natürliche' Grundlage für jedwede Form von sozialen Verhältnissen und Beziehungen dar. [5] Erst die Tätigkeiten von Menschen, handle es sich um Arbeitsleistungen zu deren Existenzsicherung oder um sexuelle Betätigung zur Fortpflanzung, bringt Bewegung in diese Grundlage, in dieses Substrat von Gesellschaft; sie gestalten es auf diese Weise. Der Rekurs auf Arbeitsteilung, handle es sich um die gegenständliche oder um die generative [6], ergibt nur dann einen nachvollziehbaren analytischen Sinn, wenn er als Ausdruck einer sozialen Kooperationsform (Produktionsweise) zum gesellschaftlichen Bestandserhalt interpretiert wird. Nach marxistischer Auffassung würden historisch-besondere Eigentumsformen vorgeben, ob sich Individuen unter Gleichheits- oder Ungleichheitsbedingungen reproduzieren - und das heißt auch, fortpflanzen. Die materiale Basis des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozesses sind jedoch nicht die Verhältnisse selbst, sondern die Bevölkerung eines solchen Sozialbildes und die Beschaffenheit von Grund und Boden, eingeschlossen seine geographischen, klimatischen und hydrographischen Voraussetzungen, ebenso Artefakte auf einem bestimmten Entwicklungsstand der Technik in ihrer Vermittlung mit diesen Verhältnissen und als deren Ausfluß. 'Produktionsweise' kann dann nur heißen, daß eine solche Bevölkerung, bestehend aus Frauen, Männern und Kindern, sich in einem Sozialgefüge selbst reproduziert und im Rahmen ihrer Tätigkeiten Technologien entwickelt, diese material-natürliche Grundlage gestaltend zu verändern, von Marx im Begriff 'Produktivkraftentwicklung' gefaßt, und daß dies innerhalb bestimmter Organisationsformen (Produktionsverhältnisse) geschieht. Heises genetisches Argument enthält einerseits einen geschichtsphilosophischen Bezugspunkt, der menschliche Vergesellschaftung in eine gattungsgeschichtliche Perspektive stellt. Andererseits erhellt ihr Argument ein Charakteristikum des Marxschen Verhältnisbegriffs, das erst jetzt seine volle Bedeutung zu offenbaren beginnt: Der Begriff der 'Struktur' eines sozialen Verhältnisses kann nicht das in sich aufnehmen, was vermittels dieser Verhältnisse erst hervorgebracht wird, durch sie seine 'Form' erhält, ihnen zugleich aber immer schon vorausgesetzt ist: Menschen und Dinge.
Logisch stimmig können sie in einem solchen Begriff nur als Verkörperungen und Versachlichungen des Verhältnisses figurieren. Diese Argumentationsstrategie verfolgt Marx in der elaborierten Theorie ja auch mit hoher Konsequenz, in den 'Vorarbeiten' zur Kapitaltheorie - Deutsche Ideologie, Grundrisse - befindet sich diese Methodik noch in der Entwicklung. Diesen Vorarbeiten entnimmt Heise ihr genetisches Argument und reichert es mit Zusatzannahmen an: Sie reflektiert nicht, daß die 'losgelösten Menschen' Verhältnisse als deren Träger nur 'verkörpern', daß sie damit noch lange nicht als menschliche Realsubjekte in der Theorie figurieren.
Diese Überlegungen werfen die Frage auf, wie Marx diese Differenzbestimmung dort handhabt, wo er einen Zusammenhang herstellt zwischen Arbeitsteilung, Familie und Privateigentum, in "Die Deutsche Ideologie". Inhaltlich-systematisch geht er dort über die Verhaltensbestimmung hinaus, auf die sich Heise bezieht. "Mit der Teilung der Arbeit, ... welche ihrerseits wieder auf der naturwüchsigen Teilung der Arbeit in der Familie und der Trennung der Gesellschaft in einzelne, einander entgegengesetzte Familien beruht, ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, das in der Familie, wo die Frau und die Kinder die Sklaven des Mannes sind, schon seinen Keim, seine erste Form hat. Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das hier übrigens schon vollkommen der Definition der modernen Ökonomen entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeitskraft ist. Übrigens sind Teilung der Arbeit und Privateigentum identische Ausdrücke - in dem Einen wird in Beziehung auf die Tätigkeit dasselbe ausgesagt, wie in dem Andern in bezug auf das Produkt der Tätigkeit ausgesagt wird" (Marx/Engels 1845/46, S. 32). Wir sehen: die Existenz der Menschen, in Gestalt der Familie, ist vorausgesetzt, ihre generative Reproduktion wird nicht angesprochen. Der Begriff des Privateigentums wird wiederum identisch gesetzt mit 'Produktion' (Beziehung auf die Tätigkeit) und 'Produkt' (der Tätigkeit), ohne daß diese 'Produktion' die generative Reproduktion einbezöge. D.h.: im Begriffspaar Arbeitsteilung/Privateigentum verschmelzen 'Sache' und 'soziales Verhältnis'. Auch hier fehlt eine Begriffsbestimmung der generativen Reproduktion, obwohl die familienwirtschaftliche und geschlechtsspezifische 'Produktion' angesprochen ist.
Ebensowenig sind die Realsubjekte erwähnt, die diese Produktionen und Reproduktionen erst hervorbringen. Unter methodischen Gesichtspunkten zeigt sich, daß 'Privateigentum' für sich genommen nicht nur ein soziales Verhältnis, sondern zugleich eine Sache - als soziales Verhältnis figuriert und mit der Sache offenbar verschmilzt. Der logische Aufbau dieser Argumentation weist eine strukturelle Analogie zu Heises genetischem Argument auf. Augenscheinlich ist die Rede von Menschen, Dingen und sozialen Verhältnissen; letztere beziehen sich ganz material auf erstere. Systematisch sind jedoch nur die 'Verhältnisse' angesprochen. Ein Produkt ist ein Ding, das unter bestimmten sozio-ökonomischen Verhältnissen hervorgebracht wird, aber mit ihnen nicht identisch sein kann. Ebensowenig enthält ein soziales Verhältnis menschliche Potenzen, Menschen existieren in ihm und außer ihm. Wird dieser Unterscheidung nicht sorgfältig Rechnung getragen, kann aus dieser Unterlassung eine Sichtweise resultieren, die besagt, gesellschaftliche Verhältnisse brächten ihre eigene Veränderung hervor, schafften sich selber ab oder stellten sich auf Dauer - ohne das Zutun lebendiger Individuen und ohne Folgen für die organische und unorganische Umwelt, für das ökologische Gesamtsystem. Gesellschaftstheorie, die lediglich in diesen Kategorien dächte, unterläge einer idealistischen Vorgehensweise. In einer Theorie sozialer Verhältnisse bezeichnete 'Privateigentum' eine historisch besondere Art und Weise der Verfügungsgewalt über menschliche Potenzen bzw. soziale Artefakte; bei Marx verengt sich der Rekurs auf 'menschliche Potenzen' kategorial auf die Fähigkeit zu arbeiten; er hat diesen Grundgedanken an anderer Stelle näher erläutert: "Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhältnissen wird er erst zum Sklaven" oder, anders formuliert: der Neger, als menschliches (und im übrigen geschlechtliches) Individuum stellt das Substrat dar, aus dem unter bestimmten Verhältnissen ein Sklave wird. Als Sklave verkörpert er dieses Verhältnis, ist jedoch, in seiner Eigenschaft als Individuum einer bestimmten ethnischen Herkunft, nicht mit ihm in seiner sozialen Bestimmtheit identisch. Marx dehnt diese Überlegung auch auf ein Ding aus: "Eine Baumwollspinnmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in bestimmten Verhältnissen wird sie zu Kapital. Aus diesen Verhältnissen herausgerissen, ist sie so wenig Kapital, wie Gold an und für sich Geld oder der Zucker der Zuckerpreis ist ... Das Kapital ist ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis. Es ist ein historisches Produktionsverhältnis" (Marx 1867, S. 793f., Fußnote 256). Eine Gemeinsamkeit zwischen dem Neger und der Maschine kann jedoch sofort festgehalten werden: Beide erhalten ihre soziale Verortung als 'Sklave' oder 'Kapital' durch die Bestimmung des Verhältnisses, das sich an ihnen verkörpert oder versachlicht. Beide sind damit nicht mehr 'Substrat', weil sie nicht losgelöst von einer historisch-spezifischen Gesellschaft existieren. Eine Differenz zwischen beiden ist gleichwohl darin zu sehen, daß die Maschine zum Baumwollspinnen in dieser Bestimmtheit aufgeht, obwohl sie als Maschine ihre empirische Existenz besitzt. Nicht demgegenüber der Sklave: außer 'Sklave' ist er Neger und Mann, dem in dieser Eigenschaft und unter bestimmten Herrschaftsverhältnissen 'Reproduktion' im Sinne von 'Fortpflanzung', aber auch sexuelle Betätigung entweder ganz versagt oder nur in bestimmten Formen gestattet sind. Was ist mit diesen Überlegungen für die Untersuchung von Struktur und Genese des Geschlechterverhältnisses gewonnen? Eine Theorie sozialer Verhältnisse muß und kann davon ausgehen, daß es eine materiale, natürlich-gesellschaftliche Grundlage in Gestalt von Menschen und Dingen gibt, auf die sich die Verhältnisse beziehen, die sie zu ihrem Gegenstand macht; sie kann deren Existenz voraussetzen, wie Marx dies in der Kapitaltheorie annimmt. Sie muß jedoch dem Sachverhalt Rechnung tragen können, daß dieses Vorausgesetzte gleichzeitig Untersuchungsgegenstand ist und zwar nicht lediglich als Element von sozialen Verhältnisbestimmungen, sondern in seiner jeweiligen Eigenständigkeit, die durch diese Verhältnisse ihre soziale Bestimmtheit erhalten und sie ihrerseits 'bestimmen'. Heises Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses samt ihren Vorannahmen macht deutlich, daß die historisch-materialistische Theorie in ihrer originären Gestalt hier nicht konsequent verfährt, indem sie dieser Differenz, die in ihrer Programmatik angelegt ist, nicht ausreichend Rechnung trägt. In ihrer ökonomistischen Verengung auf Produktionen im Kapitalverhältnis kommt die Unklarheit zum Vorschein: 'Sachen' und 'Versachlichungen' im sozialen Verhältnis stehen in einem Zusammenhang, führen beide eine theoretische 'Existenz'. Davon unterscheidet sich wiederum der Zusammenhang zwischen 'Individuen' und ihren 'Verkörperungen' im Lohnarbeitsverhältnis. Nur die 'Verkörperung' 'existiert' begrifflich-kategorial in Gestalt des Lohnarbeiters, nicht dagegen das Individuum in seiner Eigenschaft als Geschlechtswesen. Als Frau oder Mann besitzt dieses Geschlechtswesen nicht allein eine empirische Existenz, sondern, und darauf richtet sich die Kritik, es bleibt auch ohne theoretische Evidenz als Realsubjekt. In Heises Begriffsbestimmung, so meine Vermutung, artikuliert sich diese systematische Unklarheit: die im Klassenverhältnis geschlechtsneutral vorgestellte Lohnarbeitskraft als dessen 'Verkörperung' wird zum theoretisch nicht näher ausgewiesenen 'Individuum' mit Geschlechtlichkeit und Leiblichkeit deklariert und kann damit logisch stimmig ihre Argumentation hinsichtlich der Geschlechtsneutralität des kapitalistischen Systems abstützen, ermöglicht durch das von ihr nicht wahrgenommene Fehlen theoretischer Verbindungsglieder. Das zieht Konsequenzen für die Analyse der Genese sozialer - genauer noch: ökonomischer - Verhältnisse nach sich- Das normative Modell eines männlichen Individuums in seiner Bindung an 'Eigentum' und die hierüber gestiftete Vergesellschaftung von Arbeit kann nur noch in Gestalt seiner Metamorphosen über verschiedene Produktionsweisen hinweg vorgestellt werden. Sie reichen vom eigentumslosen Sklaven einer antiken bis hin zum ebenso eigentumslosen Lohnarbeiter einer industrialisierten Gesellschaft. Die Bezugstheorie, aber auch Heises genetische Begründung, sehen nicht, daß ihre Vorannahmen darauf hinauslaufen, eine über die Verfügung an Eigentum gekoppelte Produktion und Reproduktion unter Ungleichheitsbedingungen daraufhin zu überprüfen, in welchem Maße diese Ungleichheit auch für die generative Reproduktion gilt. Die Marxsche Identitätslogik setzt 'Produktion' in der Bedeutung von Arbeit mit 'Reproduktion' im Sinne von Fortpflanzung gleich.
Heises Formbestimmung des Geschlechterverhältnisses legt die systematische Differenz zwischen einem marxistischen geschichtsphilosophischen Argument und dem Versuch seiner Transformation in die präzise Gestalt einer Formbestimmung offen. Sichtbar werden auf diese Weise logische Unstimmigkeiten und Unvereinbarkeiten; bleiben sie unbeachtet, ist nicht mehr erkennbar, ob eine Formbestimmung des Spätwerks im Vergleich mit Argumentationen des Frühwerks einen Erkenntnisgewinn beinhaltet oder ob sie alten Wein in neue Schläuche umfüllt. Die Analyse von Heises Begründung der Geschlechtsneutralität der kapitalistischen Produktionsweise stellt Anhaltspunkte zur Verfügung, in welche Richtung weiterzufragen ist: nach der analytischen Differenz zwischen dem Typus einer sozialen Verhältnisbestimmung und dem Typus ihres 'Substrats'. Ins Blickfeld rückt auf diese Weise die grundbegriffliche Trias von Produktionsweise, Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Liegen strukturtheoretische Untersuchungen vor, die sich mit diesem Gegenstandsbereich befassen; was können sie über das Geschlechterverhältnis aussagen?

3.2 Struktur und Widerspruch

Von Maurice Godelier stammt eine schon etwas ältere Untersuchung, die sich als struktur- und metatheoretische Analyse des begrifflichen Status von 'Produktivkräften' und 'Produktionsverhältnissen' versteht (Godelier
1973a, b). Sie setzt an der Marxschen Widerspruchskonzeption an und sucht, ähnlich dem Althusserschen Anliegen, erkenntnistheoretische Differenzen zwischen Marx und Hegel herauszuarbeiten. [7] Auch dieser Autor strebt eine Transformation des Marxschen Wesens in einen Strukturbegriff an. Seine Annahme lautet, daß die Marxsche Verwendung des Hegelschen Wesensbegriffs die entscheidenden Unterschiede zwischen der Theoriekonzeption beider Autoren verberge. Diese Untersuchung verspricht näheren Aufschluß zu geben über die begriffliche Fassung dessen, was im vorangehenden Abschnitt als 'Substrat' sozialer Verhältnisse herausgearbeitet wurde. Hegel, so Godelier, fasse seinen Widerspruchsbegriff dergestalt, daß ihm die Auffassung einer Identität von Gegensätzen zugrundeliege, während Marx Widersprüche in ihrer Einheit analysiere. Bei Hegel sei jeder Gegensatz mit dem anderen identisch und ihm zugleich entgegengesetzt. Jeder Gegensatz widerspricht sich selbst in sich selbst, weil er mit dem anderen identisch ist. Dieses Prinzip der Identität der Gegensätze bezeichnet Godelier als den "theoretischen Operator" der Hegelschen Philosophie, mit dessen Hilfe der Nachweis möglich ist, die Bewegung des Denkens sei mit sich selbst in allen ihren widersprüchlichen Formen identisch. Systematisch folgt aus dieser Annahme, daß es "eine innere Lösung eines inneren Widerspruchs einer Struktur" gäbe (Godelier 1973a, S. 173; meine Hervorh.). Godelier versucht nachzuweisen, daß das Marx Engelssche Werk diesen Typus von Widerspruch nicht kennt. Er macht sein Argument an folgendem Beispiel deutlich: "Für Hegel ist der Herr Herr und zugleich sein Gegenteil, Knecht. Für Marx kann der Kapitalist nicht ohne den Arbeiter existieren, ist aber selbst kein Arbeiter. Das Prinzip der Einheit der Gegensätze setzt voraus, daß diese Gegensätze sich zugleich einschließen und ausschließen, d.h., daß keiner die Stelle des anderen einnehmen kann, ohne sich selbst als solchen zu zerstören; dabei ist er jedoch nicht identisch mit dem anderen" (Godelier 1973b, S. 190). Zum Beleg seiner These bezieht er sich auf Marx' "Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie" wie folgt:

  • "Hiernach für einen Hegelianer nichts einfacher, als Produktion und Konsumtion identisch zu setzen. (...) Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, daß Produktion, Distribution, Austausch, Konsumtion identisch sind, sondern daß sie alle Glieder einer Totalität bilden, Unterschiede innerhalb einer Einheit" (ebd., S. 191).

Was Marx herausarbeite, seien die Funktionen eines Elements innerhalb einer Struktur oder einer Strukturierung in einem System; er stelle die Ordnung dieser Funktionen dar (ebd., S. 150). Der Gegenstand der ökonomischen Theorie bestehe in dem Aufweis der Funktionen und in ihrer Ordnung in dieser oder jener Struktur und in der daraus folgenden Bestimmung der Kategorien der politischen Ökonomie und ihrer Verbindung untereinander in einer Art logischer, idealer Genese, die nicht die einer geschichtlichen Entwicklung ist. Das Kapital sei die beherrschende ökonomische Macht der bürgerlichen Gesellschaft, die Mehrwertproduktion insofern die Invariante der Struktur in all ihrer Prozessualität. Die kapitalistische Produktionsweise stehe und falle mit der Existenz des Privateigentums an Produktionsmitteln und der durch sie hergestellten Vergesellschaftung von Arbeit und Individuen. Unter dieser Voraussetzung müsse das Funktionieren einer Struktur mit dem anderer Strukturen vereinbar sein oder werden, gehören sie einunddemselben System an. Mit dem Entstehen neuer Strukturen würden die Existenzbedingungen und die Rolle älterer Strukturen modifiziert und gezwungen, sich zu verändern. Damit sei zugleich die Grenze der funktionalen Vereinbarkeit von verschiedenen Strukturen bezeichnet. Wesentlich für die Bestimmung dieser Grenze sei der Begriff des Widerspruchs (ebd., S. 151). Ob die Gesamtstruktur zu ihrer Transformation tendiert oder nicht, hängt ab vom Wirkungsgrad zweier Strukturen, die in die Gesamtstruktur eingelassen sind. Sie sind wiederum nicht aufeinander reduzierbar, in ihnen artikuliert sich eine jeweils unterschiedliche Ebene der gesellschaftlichen (und der unmittelbaren Wahrnehmung entzogenen) Realität. Es handelt sich um die 'Struktur' der Produktivkräfte und um die der Produktionsverhältnisse. Godelier kommt es auf den systematischen Nachweis an, daß dieses Begriffspaar ein für weiterführende Forschungen taugliches methodisches Instrument darstellt. Sein vorrangiges Interesse gilt der Erforschung sogenannter primitiver Gesellschaften, die wiederum keine Klassengesellschaften sind. [8] Er verallgemeinert infolgedessen die kategorialen Bestimmungen der Marxschen Kapitaltheorie auf doppelte Weise: er sucht deren metatheoretische Fundierung herauszuarbeiten und sie zugleich von einer allzu engen Bindung an das Lohnarbeitsverhältnis zu befreien, obwohl er sich strikt in dessen Gegenstandsbezug bewegt. Diese zweifache Absicht motiviert ganz offensichtlich seine Überlegungen: Die Produktivkräfte einer gegebenen Gesellschaft stellen Godelier zufolge einen strukturierten Komplex von Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft und der Natur dar, wobei diese Produktivkräfte sich von den Produktionsverhältnissen dadurch unterscheiden, daß letztere die Gesamtheit der Bedingungen und Formen der Aneignung und der Kontrolle der Produktivkräfte und des Sozialprodukts reflektieren und darstellen. Mit dieser Unterscheidung begründet er die These, es handle sich um Strukturen, die nicht aufeinander reduzierbar seien. Erst in ihrer Kombination führten sie zur Bildung einer Produktionsweise (Godelier 1973b, S. 179). Der Verhältnisstruktur attestiert er die Existenz eines strukturinternen Widerspruchs; es handelt sich um den 'Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital'. Hierbei handle es sich jedoch nicht um einen Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise. Dieser bestehe wiederum zwischen beiden Strukturen in ihrer jeweiligen Entwicklung und Vergesellschaftung. So gäbe es zwischen den Besitzern von Produktionsmitteln und der Entwicklung der Produktivkräfte keinen Widerspruch, sondern eine funktionale Korrespondenz und Vereinbarkeit; hierbei handle es sich um die "Grundlage der Dynamik des technischen Fortschritts und der Kapitalistenklasse" (ebd., S. 154). Godeliers Schlußfolgerung: "Der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise ist... aus der Entwicklung dieser Produktionsweise entstanden, aber er ist nicht die Entwicklung eines Widerspruchs, der seit Anbeginn des Systems vorhanden ist. Er erscheint, ohne daß jemand ihn hat zur Erscheinung bringen wollen. Er ist also nicht intentionaler Natur. Er ist das Resultat der Aktionen all derer, die im System agieren, und der Entwicklung des Systems selbst, aber er ist nie der Entwurf irgendeines Bewußtseins oder ein von irgend jemandem verfolgtes Ziel gewesen" (ebd., S. 154). Dieser Widerspruch bezeichne die Grenzen der Möglichkeit der auf Privateigentum beruhenden Produktionsweise, sie sind ihr immanent. Diese Schranken kennzeichnen allein die objektiven Eigenschaften dieser Produktionsweise, sie resultieren aus der Invarianz der Produktionsverhältnisse, der die jeweiligen Veränderungen der Produktivkräfte gegenüberstehen (ebd., s. 155).

  • Der erste Widerspruch (innerhalb der Struktur der Produktionsverhältnisse) enthalte in sich nicht alle Bedingungen seiner Lösung. Sie könnten nur außerhalb der Struktur liegen, da die Produktivkräfte eine von den Produktionsverhältnissen vollkommen verschiedene Realität darstellten, nicht auf jene reduzierbar seien. Sie besäßen eigene Entwicklungsbedingungen und eine eigene Zeitlichkeit (ebd., S. 157).

Er unterscheidet in diesem Zusammenhang diachronische von synchronischen Untersuchungen, "d.h. Analysen der verschiedenen Zustände einer Struktur, die verschiedenen Momenten ihrer Entwicklung entsprechen" (ebd., S. 148);
eine Position, die dem Geschichtsverständnis Althussers ähnelt. Die Lösung des zweiten Widerspruchs bestehe in

  • der Veränderung der Struktur der Produktionsverhältnisse zum Zweck ihrer Korrespondenz (ebd., S. 158).

Noch anders formuliert: Das Verhältnis zwischen zwei Strukturen, die demselben System angehören, ist kein externes Verhältnis. Die interne Einheit zweier Strukturen eines Systems impliziert nicht notwendig ihre innere Korrespondenz (Godelier 1973b, S. 180). Die Entwicklung der Produktionsweise einer Klassengesellschaft vollziehe sich im Zusammenspiel der beiden antagonistischen Widersprüche. Der eine Widerspruch liegt innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und besteht als solcher von Anfang an. Der andere besteht zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen und besitzt seine Basis im ersten Widerspruch, wird zu einem solchen aber erst auf einer gewissen Entwicklungsstufe des Systems. Der erste ist die Einheit zweier antagonistischer Größen (der beiden Klassen); der zweite ist die Einheit zweier Strukturen, die sich nicht mehr 'entsprechen' und antagonistisch werden. Der Unterschied der Marxschen gegenüber der Hegelschen Dialektik: Ersterer habe Widersprüche nicht in ihrer Identität, sondern in ihrer Einheit gedacht, dies in seinem Werk jedoch nicht systematisch herausgearbeitet. Deshalb würden in der Marxschen Theorie die beiden obigen Typen eines Widerspruchs zusammenfallen (ebd., S. 159). Die potentielle Leistungsfähigkeit seiner Theorie des Widerspruchs sieht der Autor selbst darin, daß der Begriff des Widerspruchs zwischen Strukturen die Erklärung bestimmter objektiver Struktureigenschaften erlauben müßte, "nämlich die objektiven Grenzen ihrer Möglichkeit, sich zu reproduzieren, unter Berücksichtigung ihrer inneren und äußeren Funktionsbedingungen im wesentlichen invariant zu bleiben, und, grundsätzlicher noch, ihr Verhältnis zu und ihren Zusammenhang mit anderen Strukturen zu reproduzieren.
Das Auftreten eines Widerspruchs wäre tatsächlich die Grenze, eine Schwelle für die Bedingungen der Invarianz der Struktur. Jenseits dieser Grenze würde sich ein Strukturwandel vollziehen" (Godelier 1973a, S. 160). Seine vielleicht gravierendste Schlußfolgerung: "Wenn die im Funktionszusammenhang einer Struktur entstehenden Widersprüche deren 'Grenzen' ausdrücken und die Bedingungen ihres Auftretens und ihrer Lösung zum Teil außerhalb dieser Struktur haben, wenn keine Struktur auf eine andere zurückführbar ist, dann gibt es keine innere Finalität, durch die die Entwicklung der Natur und der Geschichte geregelt würde" (ebd., S. 161). Eine weitere Schlußfolgerung Godeliers bezieht sich auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft: Ein Ereignis wirke immer auf die gesamte Struktur. Wenn Menschen - hier eine deutliche Abgrenzung gegenüber Althusser - durch ihre Tätigkeit die Bedingungen für das Auftreten neuer Strukturen schaffen, so würden sich ihnen Bereiche von objektiven Möglichkeiten eröffnen, die ihnen weitgehend unbekannt sind, die sie auf dem Weg über bestimmte Ereignisse entdeckten, deren Grenzen sie sich allerdings zu unterwerfen hätten, wenn die Funktionsbedingungen der Struktur sich änderten, nicht mehr die bisherige Rolle spielten. Sie unterlägen einem Wandel. Damit wäre "die intentionale Rationalität des Verhaltens der Mitglieder einer Gesellschaft ... untrennbar mit der grundlegenden, nichtintentionalen Rationalität der hierarchisch aufgebauten Struktur von gesellschaftlichen Verhältnissen, durch die diese Gesellschaft gekennzeichnet ist, verbunden. Anstatt von Individuen und der Hierarchie ihrer Präferenzen und Intentionen auszugehen, um die Rolle und das Verhältnis der Strukturen der Gesellschaft zu erklären, käme es vielmehr darauf an, diese Rolle und dieses Verhältnis in allen ihren Aspekten, seien sie dieser Gesellschaft bekannt oder nicht, zu erklären und in der Hierarchie der Strukturen die Hierarchie der 'Werte', d.h. der gesellschaftlichen Normen des vorgeschriebenen Verhaltens zu suchen. Auf dem Hintergrund dieser Hierarchie der 'Werte' ließe sich die Hierarchie der Bedürfnisse der Individuen erklären, die diese oder jene Rolle in der Gesellschaft spielen oder diesen bestimmten Status in ihr einnehmen" (ebd., S. 164). Voraussetzung einer solchen Analyse wäre wiederum die Verallgemeinerung der Methode der strukturalen Analyse, "die imstande wäre, die Veränderungs- und Entwicklungsbedingungen von Strukturen und ihren Funktionen aufzuzeigen" (ebd., S. 165).
Übertragen auf die Frage nach Gründen für die Verschmelzung zweier Begriffstypen Verhältnis- und Substrat-Bestimmung - in der Marxschen Theorie gibt Godelier eine vermittelte Antwort. Innerhalb seiner Suche nach Differenzen zwischen Marxschem und Hegelschem Widerspruchsbegriff spricht er nicht von zwei unterschiedlichen Begriffstypen, sondern zunächst nur vom systematischen Gehalts des Begriffs des Widerspruchs, der bei Marx in die Konzeption zweier Strukturtypen einmünden müßte, hätte dieser seine Überlegungen methodisch ausgebaut. Diese beiden Strukturtypen decken sich mit dem, was hier gesucht wird: Die Differenz zwischen Verhältnis- und Substratbegriff. Letzterer ist identisch mit dem Begriff der Struktur der Produktivkräfte. Sie sind den Produktionsverhältnissen nicht immanent, lassen sich nicht auf jene reduzieren. Diese Position vertritt implizit Althusser. Godelier interpretiert die Produktivkraft-Struktur als "strukturierten Komplex von Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft und der Natur" (Godelier 1973b, S. 179). Mit dieser Auffassung läßt er eine ökonomistische Ausdeutung von Produktivkräften hinter sich. Diese Leistung ist jedoch nicht lediglich einer Umbenennung von "Arbeitskraft" in "Gesellschaftsmitglieder" geschuldet, sondern der Reformalierung des Begriffs 'Produktivkräfte' in einen Strukturbegriff, der diese 'Mitglieder' als Element dieser Struktur begreift. Nach der hier vorgeschlagenen Terminologie würde es sich nicht um eine Beziehung zwischen 'Menschen' und 'Natur' handeln, sondern um 'vergesellschaftete Natur in Gestalt von Dingen und Menschen' - der Rekurs auf 'Natur' erhält auf diese Weise den Status eines Oberbegriffs oder einer begrifflichen Klammer, tritt an die Stelle des Verweises auf ein gesellschaftliches Substrat, das nunmehr als vergesellschaftete Natur figuriert. Damit wird die analytische Verortung der Menschen als Geschlechtsindividuen möglich: Sie sind Bestandteil der Struktur der Produktivkräfte einer Gesellschaft(sformation). Dieser analytische Gewinn beinhaltet eine vorläufige Vereinfachung, die nicht unterschlagen werden soll. Wenn Godelier von einem Wechselverhältnis zwischen 'Menschen' und der 'Natur' spricht, meint er vermutlich mehr als das reziprok-gesellschaftliche Gefüge der Interaktion zwischen Menschen und Dingen. Hinzukämen ja auch Elemente von 'Natur', die keinen dinghaften Charakter besitzen, selbst wenn soziale Konventionen sie mit diesem Etikett belegen: Pflanzen und Tiere, d.h. andere als menschliche Gattungen; unbelebte und belebte Natur.
Dem Problem, inwieweit auch sie als gesellschaftliche Produktivkraft betrachtet werden können, soll hier nicht näher nachgegangen werden. Im Begriff ist dieser Gedanke zweifellos enthalten, gerade deshalb besteht jedoch die Möglichkeit einer instrumentellen Verkürzung, die andere als menschliche Gattungen zum Zweck und Mittel menschlicher Vergesellschaftungen begreift. Das ist zwar realiter der Fall - und bedürfte deshalb der genauen Analyse, die tief in Probleme von Ethik und Ökologie hineinreicht. 'Vergesellschaftete Natur' sind die ins Tierheim abgeschobenen Hunde und Katzen, die genmanipulierten Tomaten oder Weizensorten, ebenso aber auch die verseuchten Wälder oder Seen, die bestimmten Gattungen keine Lebensgrundlage mehr bieten. Die Erörterung dieses Aspektes des Mensch-Natur-Verhältnisses wird hier vernachlässigt, ohne ihm die Bedeutung bestreiten zu wollen; festhalten läßt sich, daß Godeliers Struktur- und Widerspruchstheorie auch hier eine analytische Öffnung zur Verfügung stellt, die noch auszubauen wäre. Godeliers Analyse erschöpft sich nicht in der Ausdifferenzierung dieser beiden Strukturtypen. Sie ist ihm nur möglich aufgrund der Analyse bestimmter Widerspruchskonstellationen, die innerhalb und zwischen diesen Strukturen wirksam werden. Trifft die feministische Annahme zu, daß das Geschlechterverhältnis in seiner sozialen Verfaßtheit als Analogon zum und zugleich Anderes des Klassenverhältnis(ses) zu verstehen sei, läßt sich mit Godeliers Widerspruchsanalyse hypothetisch folgender Gedankengang formulieren: Godelier nimmt an, der 'Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital', also ein sozial widersprüchliches Verhältnis, artikuliere sich in der Struktur der Produktionsverhältnisse. So müßte sich der Gedanke überprüfen lassen, ob diese Annahme nicht auch für die Geschlechter in ihrer Zweigeschlechtlichkeit als Frauen und Männer Geltung beanspruchen kann: Das soziale Verhältnis (der Geschlechter) könnte auf analoge Weise in einer Widerspruchskonstellation Bestandteil der Struktur der Produktionsverhältnisse sein; es würde sich eben nur nicht um einen Klassen - , sondern um einen Geschlechterwiderspruch handeln, der auf noch auszuweisende Art und Weise in seiner Eigenständigkeit mit ersterem in einer Beziehung stünde. Dieser Gedanke speist sich aus Godeliers Argument der Existenz eines strukturinternen Widerspruchs im Gegensatz zu einem strukturexternen Widerspruch zwischen den beiden diagnostizierten Strukturen; letzterer als 'Grundwiderspruch' (der kapitalistischen Produktionsweise) bezeichnet.
Auch für die Geschlechter und deren Verhältnis(se) müßte gelten, daß sich eine grundlegende soziale Unvereinbarkeit in ihrer Verortung als Element der Produktivkräfte einer Gesellschaft (Geschlechterindividuen) und den Formen der Aneignung und Kontrolle dessen, was sie hervorbringen, entwickelt. Welche Gestalt dieser Sachverhalt auch immer annehmen mag, er wäre als klassenspezifischer herauszuarbeiten, d.h. gebunden an die kapitalistische Produktionsweise. Gelingt eine solche Verknüpfung, müßte sie Aufschluß geben können über die "objektiven Grenzen", wie Godelier sie nennt, privatkapitalistischer und industriegesellschaftlicher Vergesellschaftungsmuster. Gefragt wäre auf diese Weise eine völlig neuartige 'Formbestimmung' des Geschlechterverhältnisses, die von vornherein die Zweigeschlechtlichkeit als biologische und in ihren sozialen Ausprägungen und Überformungen betont; eine Formbestimmung, die Frauen und Männer auf diese Weise als 'vergesellschaftete Natur' in den Blick nimmt. Sie würde damit bereits beim vorliegenden Stand der Argumentation über Heises Formbestimmung hinausgehen. In Godeliers Widerspruchs- und Strukturtheorie sind jedoch Probleme versteckt, die zunächst der Untersuchung bedürfen. Was oben als , vergesellschaftete Natur' in Gestalt von Menschen und Dingen bezeichnet wurde, d.h. das 'Substrat' von sozialen Verhältnissen, figuriert in diesen 'Verhältnissen' als Produktivkraft in ihrer Verkörperung oder Versachlichung. Die Existenz, die dingliche oder menschliche Produktivkraft in den 'Verhältnissen' führt, ist auf mehrfache Weise begrifflich-kategorialer Art: der Begriff des Hundes bellt nicht. Die Menschen und Dinge führen auch in einer Strukturkategorie eine von den sie überformenden und sie hervorbringenden 'Verhältnissen' eigenständige Existenz. Diese systematische Klärung leistet Godeliers Widerspruchs- und Strukturtheorie. Sein Gedanke läßt sich noch ein Stückweit ausbauen: Menschen und Dinge als Produktivkraft sind Strukturelement - und als solches vorgestellt in ihrer objektiven Eingebundenheit in den verborgenen Gesamtzusammenhang von Gesellschaft. Sie figurieren als menschliche oder dingliche Produktivkraft im Plural und nicht im Singular; letzteres bezogen auf Menschen in ihrer unverwechselbaren, individuellen Existenz. An diesem Punkt der Argumentation stoßen wir an die Grenzen der Godelierschen Theorie. Der Autor sieht nicht, daß menschliche (und auch dingliche) Produktivkraft in ihrer Objektivität, in ihrer objektiven Existenz, nur dann vorhanden sein kann, wenn sie zugleich als subjektiv -individuelle präsent ist. Sie konstituiert sich in ihrer Gesellschaftlichkeit nur über ein Wechselverhältnis, in der Reziprozität von Objektiv-Gesellschaftlichem und Subjektiv-Vergesellschaftetem.
Den Geschlechtern kommt zweifellos der analytische Status einer gesellschaftlichen Produktivkraft im Plural zu, aber diese Gesamt-Produktivkraft birgt in sich noch einmal die Gegensätzlichkeiten zwischen Frauen und Männern als soziale Gruppen und sie wird gebildet durch die Vielzahl und Unterschiedlichkeit individuellsubjektiver 'Produktivkräfte' - wie sie vernutzt werden, was an ihnen brachliegt, was sich als 'überschüssiges Moment' Ausdruck verschafft. Inwieweit diese Überlegung auch für 'Dinge' gilt, muß vorläufig dahingestellt bleiben. In jedem Fall bleibt festzuhalten, daß Godeliers Theorie auf der Ebene der Strukturkonzeption das subjektive Element fehlt. Indem es hier benannt wird, kann es zugleich in die Strukturkonzeption integriert werden. Aber auch mit dieser Vorgehensweise sind die Probleme der Theorie keineswegs gelöst-. Wenn Individuen als gesellschaftliche Produktivkraft zum objektiven Strukturelement deklariert und wenn sie darüber hinausgehend in einem Wechselverhältnis als subjektiv-individuelle Produktivkraft mit diesem objektiven Moment vorstellbar werden, bewegen wir uns noch immer auf der Ebene einer begrifflich kategorialen Präsenz. Gelingt der theoretische Nachweis, handelt es sich allenfalls um 'Menschen' in ihrer begrifflich-verborgenen, nicht aber ihrer begrifflich empirischen Konkretion. Wie stellt sich die Theorie die Metamorphose dieses begrifflich Konkreten zu einem sinnlich Wahrnehmbaren vor? Wie wird die Produktivkraft 'individueller Kanalarbeiter', zugleich Element der gesellschaftlichen Gesamtarbeiterschaft als 'Produktivkraft', zu dem der wissenschaftlichen Beobachtung zugänglichen Individuum männlichen Geschlechts, das in der Kneipe gegenüber sein Bier trinkt? Diese Fragestellung läßt sich noch allgemeiner als die nach dem Verhältnis von Theorie und Empirie formulieren. Die verborgenen gesellschaftlichen Strukturen, über die sozialer Zusammenhang gestiftet wird, müssen ganz empirisch in einer real existierenden Gesellschaft ihren Ausdruck finden. Gesellschaftveränderndes Handeln ist Individuen, die lediglich eine begriffliche Existenz führen, nicht möglich: sie benötigen zu diesem Zweck einen Leib, ihren Kopf und ihre Hände. Um deren aktiven Ausdruck der Analyse zugänglich zu machen, bedürfen sie der begrifflichen Konzeption. Dieses Beispiel ist nur der augenfälligste Ausdruck des analytischen Problems des Wirklichkeitsbezugs und -gehalts der Theorie, die der 'Wirklichkeit des Begriffs' einen hohen Stellenwert einräumt, als materialistische jedoch nicht umhinkommt, sich zur Umsetzung dieser begrifflich-kategorialen 'Wirklichkeit' im gesellschaftsverändernde Praxis dezidiert äußern zu müssen. Godelier stellt zu diesem Sachverhalt eine Vielzahl von Überlegungen an.
Prüft man sie auf ihre logische Konsistenz, zeigt sich, daß die Vermittlung von Strukturtheorie zu empirischer Evidenz Probleme enthalten muß, die diesem Autor gar nicht in den Blick kommen - sonst könnte er nicht so unbefangen über die intentionale Verhaltensrationalität von Individuen in ihrer Reziprozität mit der nichtintentionalen Strukturrationalität sprechen. Die beiden von ihm angesprochenen 'Rationalitäten' sind auf ganz unterschiedlichen analytischen Ebenen angesiedelt. Das rational handelnde Individuum muß ein empirisches Individuum sein, das der Theorie als Realsubjekt in den Blick kommt, während die nicht intentionale Strukturrationalität noch immer die eines verborgenen Zusammenhangs von Gesellschaft darstellt.
Der annäherungsweisen Klärung dieser Problemstellung gilt der nächste Abschnitt der Untersuchung. Für die analytische Aufbereitung des Geschlechterverhältnisses ist sie deshalb wichtig, weil hier in den Blick gerät, daß das Materialismus-Postulat der Frauenforschung noch eine Dimension enthält, die bisher kaum erörtert wurde. Die Frage nach der Vermittlung von Objektivem und Subjektivem (Becker-Schmidt) stellt mit Nachdruck das Problem des Verhältnisses von Theorie und Empirie in der marxistischen Forschung zur Disposition.

3.3 Wirklichkeit und Struktur

Das Verhältnis von Theorie und Empirie wird in Godeliers Widerspruchs- und Strukturtheorie auf doppelte Weise angesprochen: zum einen in erkenntnistheoretischen Reflexionen auf den Zusammenhang zwischen verborgenen (sozialen) Strukturen und ihrem sichtbaren Funktionszusammenhang, zum anderen in Überlegungen zur praktischen Handlungsrelevanz der Theorie, um diese Strukturen und damit das Sozialgefüge selbst zu verändern. Beide Dimensionen seines Theorie-Praxis-Verständnisses werden im folgenden aufgegriffen und mit Ausführungen der originären Theorie zum Gegenstand konfrontiert. "Für Marx", so Godelier, "entspricht einer bestimmten Struktur des Wirklichen eine bestimmte Erscheinungsweise dieser Struktur, und diese Erscheinungsweise ist der Ausgangspunkt eines Typs ursprünglichen Selbstbewußtseins der Struktur, für das weder das Bewußtsein noch das Individuum verantwortlich ist. Daher beseitigt die wissenschaftliche Erkenntnis einer Struktur das Selbstbewußtsein dieser Struktur nicht. Sie verändert seine Rolle und seine Auswirkungen auf das Verhalten der Individuen, aber sie unterdrückt es nicht" (Godelier 1973a, S. 141). Strukturen, so lassen sich seine Überlegungen interpretieren, konstituieren sich weder über willentliches Handeln noch Denken von Individuen; ihre Entstehung unterliegt einer Eigendynamik, von Godelier mit dem Terminus 'Selbstbewußtsein der Struktur' belegt. Auch die wissenschaftliche Erkenntnis von Strukturen tangiert diese nicht in ihrer Existenz; sie sind Individuen 'objektiv' vorgegeben, durch das Handeln von Individuen allerdings veränderbar. Unklar bleibt, inwiefern eine 'Erscheinungsweise' von Strukturen deren 'Selbstbewußtsein' beeinflußt. Deutlicher werden Godeliers Gedanken bei der Entfaltung seiner eigenen Erkennungsposition. Er grenzt sich mit ihr von konkurrierenden Theorieangeboten - etwa eines Lévi-Strauss (1967) oder Radcliffe-Brown (1952) - ab, denen er einen letztlich undifferenzierten Strukturbegriff unterstellt.
Bei diesen Autoren, so Godelier, fallen Strukturen mit sichtbaren gesellschaftlichen Beziehungen zusammen. Seine marxistisch begründete Gegenposition- Es gäbe eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die unter ihren sichtbaren Manifestationen eine verhüllte Existenz führe. Deshalb sei sie nicht sinnlich wahrnehmbar. Das Verhüllte dieser Struktur sei wiederum der Struktur selber zuzuschreiben und nicht etwa dem Unvermögen individueller Subjekte, sie 'wahrzunehmen'. Gesellschaftliche Verhältnisse stellten nun einmal keine sinnlich wahrnehmbare Realität dar, sie verschwänden hinter ihren sichtbaren Formen, wie etwa Rohstoffen, Werkzeugen oder Geld (Godelier 1973a, S. 139; 1973b, S. 144, 195). Wissenschaftliche Erkenntnis bestehe darin, über einen sichtbaren Funktionszusammenhang hinausgehend zu diesen inneren, verborgenen Strukturen vorzudringen. Interessanterweise bedient sich Godelier einer 'als-ob'-Argumentation: unter kapitalistischen Bedingungen geschähe alles so, als ob mit dem Lohn des Arbeiters die Arbeit bezahlt würde, als ob Kapital von sich aus die Eigenschaft besäße, anzuwachsen, Profit zu erwirtschaften. In der empirischen Wirklichkeit gäbe es keinen direkten Beweis für die Herkunft des Profits aus unbezahlter Arbeit, ebensowenig gäbe es eine sichtbare Ausbeutung der einen Klasse durch die andere (Godelier 1973a, S. 140). Nicht das Subjekt täuscht sich, es wird vielmehr von der Wirklichkeit getäuscht. Allein die wissenschaftliche Erkenntnis vermag es, das Verkennen der gesellschaftlichen Wirklichkeit aufzulösen, das durch die Struktur selber hervorgebracht wird.
Unter der Voraussetzung, daß eine Struktur nicht mit ihren sichtbaren Beziehungen zusammenfällt, sondern deren verborgene Logik erklärt, müsse der Untersuchung der Struktur der Vorrang gegenüber der Erforschung ihrer Entstehung und Entwicklung eingeräumt werden. Erst die Analyse der Logik der Struktur erlaube es, deren Entwicklungsmöglichkeiten und -fähigkeiten sichtbar zu machen (Godelier 1973a, S. 144). Wenn wir uns mit dem Ursprung und der Entstehung einer solchen Struktur befassen, besitzen wir immer schon eine bestimmte Kenntnis der Struktur. Aus dieser Auffassung resultiert eine Erkenntnisposition, die besagt, daß die "historisch-genetische Analyse einer Struktur ... mit der Analyse der Bedingungen (zusammenfällt) ..., die zur Erscheinung ihrer inneren Elemente geführt haben und sie in Beziehung zueinander haben treten lassen" (ebd., S. 147). Marx beschreibe die Entstehung eines Systems zugleich mit dessen Auflösung. Beide dieser 'Wirkungen' hängen von demselben Prozeß ab, nämlich dem einer Entwicklung von Widersprüchen im Innern des 'alten' Systems. Hierbei tritt ein Problem auf: "Denn wie ist die Hypothese des Auftretens von Widersprüchen im Innern eines Systems mit der These, daß der Funktionszusammenhang dieses Systems die Bedingungen seines Funktionierens notwendig reproduziert, zu vereinbaren?" (ebd.). Der 'Funktionsmechanismus' des kapitalistischen Systems reproduziert unablässig das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, in Godeliers Theorie des Widerspruchs als Invariante bezeichnet. "Diese Invariante (hier bezogen auf die kapitalistische Gesellschaft, UB) aufzudecken und zu beschreiben bildet also den notwendigen Ausgangspunkt für die Untersuchung des Systems, seiner Entstehung und seiner Entwicklung. Es ist die Untersuchung jener Veränderungen, die sich mit der Reproduktion des unveränderlichen Elements der Systemstruktur vereinbaren lassen" (ebd., S. 148). Godelier unterscheidet analytisch zwischen 'verborgenen Strukturen' und 'sichtbaren Funktionszusammenhängen'. Dieses Begriffspaar ersetzt das Marxsche von Wesen und Erscheinung: Was Gesellschaft zusammenhält, ist nicht aus der Beobachtung deduzierbar, artikuliert sich allerdings konkret-gesellschaftlich in 'Funktionszusammenhängen'. Godelier spricht mit diesen Überlegungen zum einen das Verhältnis von 'Struktur' und 'Funktionszusammenhang' im Hinblick auf das dingliche Substrat der Verhältnisse, auf die dinghafte Gestalt der Produktivstruktur, an. Er äußert sich allerdings auch zur empirisch-theoretischen Manifestation der menschlichen Produktivkraft: Er stellt Überlegungen zu deren Wahrnehmungs- und Bewußtseinsformen an, ohne daß deutlich wird, ob er sich auf kollektive oder individuelle Bewußtseins- und Wahrnehmungsweisen bezieht. Wenn sich 'Strukturen' in einem 'sichtbaren Funktionszusammenhang' niederschlagen, dann muß diese menschliche Produktivkraft, selbst in ihrer objektiven Gestalt, als ein solcher sichtbarer Funktionszusammenhang identifizierbar werden. Diese Überlegung allein macht jedoch nicht die ganze Brisanz des Verhältnisses von Theorie und Empirie aus. Godelier muß sich, auch in einer strukturanthropologischen Reformulierungsabsicht der Marxschen Theorie, der Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt seiner Strukturen stellen: Begriffe er 'Strukturen' als etwas Sicht- und Beobachtbares, wie wir etwa umgangssprachlich von einer 'Familienstruktur' oder 'Beschäftigungsstruktur' sprechen, stellte sich ihm dieses Problem nicht. Es tauchte auch nicht im Zusammenhang 'der Menschen' auf; sie wären von vornherein als Realsubjekte klassifiziert. Genau hier liegt jedoch das Erkenntnisproblem des historisch-materialistischen Theorietypus; gefaßt im Zusammenhang und in der Unterscheidung zwischen Wesen und Erscheinung. Menschen oder Individuen (nach der hier vorgeschlagenen Lesart: Geschlechter) figurieren in der Strukturtheorie als Element der Produktivkraftstruktur. Das gilt sowohl für 'den Lohnarbeiter', als auch für 'den Kapitalisten' der originären Theorie, und analoges gilt für Godeliers 'Menschen'. Logisch-systematisch führen sie damit eine Existenz, die sich der unmittelbaren Wahrnehmung entzieht; begriffe man sie lediglich als 'Wesen' oder 'Struktur'. Die klärungsbedürftige Frage lautet, ob und wie sich diese 'Menschen' im Begriff der 'Erscheinung' als Pendant zum Wesensbegriff oder in einer strukturalistischen Übersetzung dieses Begriffs verorten lassen. Auch mit dieser Fragestellung ist der Wirklichkeitsgrad der Theorie angesprochen. Dem Alltagsverstand sind Einsichten in dieses Gefüge von Struktur und Funktionszusammenhang versperrt, nicht demgegenüber dem Wissenschaftler. Mit dieser Überlegung wird eine zweite Dimension des Verhältnisses von Theorie und Empirie angesprochen: Godelier hebt auf die Differenz zwischen Erkenntnis- und 'Alltags'-Subjekt ab, die ja in der Tat über den Erwerb bestimmter Kompetenzen und sozialer Verortungen existiert. Er äußert sich jedoch nicht zu einem weitaus wichtigeren Sachverhalt: Beide, Erkenntnis- und Alltagssubjekt, sind sich als gesellschaftliche Realsubjekte gleich. Das eine arbeitet wissenschaftlich, das andere am Fließband, im Büro oder im Haushalt; arbeitet vielleicht auch abwechselnd in mehreren Bereichen. Als lebendige Individuen besitzen sie alle dieselbe konkrete Wirklichkeit und Existenz, konstituieren mit ihrem Handeln und Denken soziale Wirklichkeit. Handelt es sich bei ihnen in einer begrifflichen Fassung nun um "Struktur" (Produktivkraft), "sichtbaren Funktionszusammenhang" (der Struktur) oder beides? Falls letzteres, wie vermittelt sich der Zusammenhang? Hier bleibt Godelier die Antwort schuldig, kann sich letztlich nur auf die wissenschaftlichen Kompetenzen des Erkenntnissubjekts und die politischen Fähigkeiten des 'Klassensubjekts' berufen - eine dritte Dimension des Theorie-Empirie-Verhältnisses - um den Wahrheits- oder Wirklichkeitsgehalt der Marxschen Theorie zu begründen.
Das Problem, in das der Autor sich verstrickt, ist in der Marxschen Theorie selber angelegt, in ihrer sehr komplexen Verknüpfung unterschiedlicher Dimensionen des Theorie-Empiriebzw. Theorie-Praxis-Verhältnisses. Zum Beleg dieser Behauptung im folgenden eine methodische Reflexion auf eine Marxsche Formbestimmung der Kapitaltheorie; die Auswahl erfolgt nicht nach inhaltlichen, sondern nach systematischen Gesichtspunkten. An ihr läßt sich das analytische Problem veranschaulichen, dem sich Godelier (und die neuere marxistische Forschung) konfrontiert sieht. Profit, so Marx, sei eine "entfremdete" Gestalt des Kapitals; in ihm, dem Profit, erhalte das Kapitalverhältnis eine sachliche Gestalt. Aus einem Verhältnis werde immer mehr ein Ding, "das das gesellschaftliche Verhältnis im Leib hat". Das Ding 'Profit' werde dadurch mit fiktivem Leben erfüllt, das so 'fiktiv' wiederum nicht ist: Das gesellschaftliche Verhältnis erscheine in der Form von Kapital und Profit als "fertige Voraussetzung auf der Oberfläche" und ist damit "die Form seiner Wirklichkeit oder vielmehr seine wirkliche Existenzform"; d.h.: in dieser bestimmten Gestalt kommt ihm empirisch-gesellschaftliche Wirklichkeit zu. 'Profit' als Erscheinungsform des Kapitalverhältnisses meint nicht etwa, daß es sich um eine Sinnestäuschung handle, um eine schlichte Fiktion, sondern um eine notwendig verkehrte bzw. verfremdete Ausdrucksform der verborgenen Wirklichkeit eines sozialen Verhältnisses, des durch es gestifteten inneren Zusammenhangs. Als eine solche Erscheinungsform ist es nicht weniger wirklich oder existent als das ihm zugrundeliegende 'wesentliche' Verhältnis. 'Wesen' und 'Erscheinung' sind nach dieser Auffassung nichts anderes als unterschiedliche Ausdrucksformen einundderselben Qualität von 'Wirklichkeit', die sich jeweils anders manifestiert. Der 'sichtbare Funktionszusammenhang' artikuliert sich in 'Dingen' wie dem Profit und ist gleichwohl Ausdruck des (verborgenen) sozialen Verhältnisses, eben seine, wie Marx es nennt, "wirkliche Existenzform". 'Profit' hält das sozialer Verhältnis zusammen, stellt es auf Dauer, ist eine seiner Existenzbedingungen. Dieser Gedankengang kann als einleuchtende Erklärung einer bestimmten Dimension des Theorie-Empirie-_ Verhältnisses gelesen werden. Sie bewegt sich allerdings auf der objektiv-gesellschaftlichen Seite und könnte, bliebe man bei dieser Argumentationsfigur stehen, der Auffassung Vorschub leisten, sie sei nichts anderes als objektivistisch. Eine solche Absicht läßt sich dem Dialektiker Marx nicht unterstellen, er sucht durchaus eine weitere Vermittlungsleistung im Theorie-Empirie-Verhältnis. Er trägt diesem Sachverhalt in einem zweiten Argumentationsschritt Rechnung: "Und es ist die Form, worin es im Bewußtsein seiner Träger, der Kapitalisten, lebt, sich in ihren Vorstellungen abspiegelt" (Marx 1862/63, S. 474, meine Hervorh.). D.h., das soziale Verhältnis manifestiert sich zunächst an Dingen in einer Versachlichung der Sache und erst in dieser Verkehrung (als Versachlichung) schlägt sich dieses soziale Verhältnis im Bewußtsein eines Individuums hier des Kapitalisten - nieder. In dieser Gestalt handelt es sich keineswegs um eine Fiktion, um eine Phantasie dieses Individuums, sondern um eine notwendig 'verkehrte' Wahrnehmung gesellschaftlicher Wirklichkeit innerhalb des Vermittlungszusammenhangs von sozialem Verhältnis [9] (Wesen/Struktur) und seiner Versachlichung (Erscheinung/Wirkung) . Das Individuum 'Kapitalist' erfährt das soziale Verhältnis über seine Versachlichung in der 'Erscheinung' oder, bei Godelier, im 'sichtbaren Funktionszusammenhang'. Marx hatte in einem der Vorworte zur Kapitaltheorie jedoch selber darauf hingewiesen, daß 'der Kapitalist' für ihn nur als Träger eines ökonomischen Verhältnisses figuriert, nicht als Individuum, daß er ihn also nur als 'Verkörperung' des Verhältnisses in den Blick zu nehmen gedenkt. Hinsichtlich dieser Absichtserklärung bieten sich zwei Interpretationen seiner Ausführungen an: Entweder besitzt dieser Kapitalist stillschweigend die Gestalt eines Bewußtseinssubjekts, das keiner Körperlichkeit bedarf, um handeln und wahrnehmen zu können, oder Marx reichert seine Theorie mit Zusatzannahmen an, um ihre argumentative Schlüssigkeit zu erhöhen. Das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität schlüge sich in dieser Argumentationsfigur dergestalt nieder, daß 'Subjektivität' als die eines handelnden und wahrnehmenden Individuums objektivistisch in die Verhältnisrelation hineinverlagert wird. Damit würde die Analyse einer beliebigen Formbestimmung Marx' Godeliers Vermutung stützen, Marx selber vermische unterschiedliche Struktur- oder Widerspruchstypen, hier durch das weitergehende Argument abgestützt, daß diese Vermischung sich auch in einer Minderstellung der Produktivkraft- gegenüber der Verhältnisstruktur niederschlägt. Sie läßt die analytische Bedeutung des 'Kapitalisten' als Realsubjekt verkennen. Die unausweichliche Schlußfolgerung: die marxistische Theorie löst auf ihrem eigenen Feld nicht das Problem der Vermittlung von Subjektivität und Objektivität. Sie bietet keine Erklärung dafür an, wie 'Alltagssubjekte' in die Lage versetzt werden, ihre Lebens- und Existenzbedingungen zu verändern und zu gestatten, und ebensowenig dafür, was 'Erkenntnissubjekte' dazu befähigt, die verborgenen Mechanismen kapitalistischer Vergesellschaftung zu erkennen. Die Theorie ist nicht der Absicht nach, wohl aber in der Ausführung objektivistisch. Die Handlungsrelevanz des Wirklichen, nicht das Wirkliche als allumfassender Kosmos, erschließt sich immer nur über das Bewußtsein, über die Wahrnehmung konkret-gesellschaftlicher Subjekte. Dieser Gedanke ist 'marxistisch' - in der Theorie jedoch nicht systematisch ausgeführt. Das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität fungiert in der Marxschen Kapitaltheorie im Grunde genommen als Erkenntnisproblematik, d.h. eines erkennenden Subjekts zu seinem Gegenstand, und wird verlängert zu einem Wahrnehmungsproblem (nicht-wissenschaftlicher) Klassensubjekte, ohne daß diese Subjekte als Realsubjekte, ausgestattet mit Körperlichkeit, vorgestellt würden. Welche Relevanz besitzen diese Überlegungen und Unterscheidungen für die Konzeption einer Theorie geschlechtsspezifischer Vergesellschaftungen? Die zentrale 'Leerstelle' in der Marxschen Theorie, auch in ihren Weiterentwicklungen, läßt sich mit zunehmender Genauigkeit einkreisen. Der immanente Bruch der Theorie besteht in ihrem Verhältnis von Subjektivität und Objektivität und zwar auf mehreren Ebenen: auf der Ebene der Erkenntnis selber und auf der weiteren der Handlungs- und Wahrnehmungsfähigkeit von Individuen. Deshalb kann mit Grund vermutet werden, in diesen Bereichen der Subjekt-Objekt-Relation befänden sich die gravierendsten bewußtseinsphilosophischen Überreste gerade auch der elaborierten Kapitaltheorie. Die Analyse des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum - als Alltags- und als Erkenntnissubjekt - könnte unter diesen Umständen die wenigsten Anschlußstellen für eine Reformulierung der Theorie zur Verfügung stellen. Mit dieser Überlegung bleibt noch immer derjenige Bereich als potentiell anschlußfähig bestehen, der einen objektivistischen Überhang aufweist und zugleich das Theorie-Empirie-Verhältnis aus einer solchen Perspektive angeht. Althussers radikal objektivistische Reinterpretation des bewußtseinsphilosophischen Subjektsbegriffs in den einer ('objektiven') Stellen- und Funktionsbeschreibung erhält unter diesen Umständen eine neue analytische Bedeutung und mögliche Aussagekraft. Seine Reformulierung, hier zunächst nur als Vermutung geäußert, kann die gesuchte Anschlußstelle für die Vermittlung des Objektiven zum Subjektivem zur Verfügung stellen weil sie objektivistisch ist und keinen darüber hinausgehenden Anspruch erhebt.
Abweichend von Althusser und eher in Übereinstimmung mit den zumindest impliziten Absichten Godeliers werden Individuen - als Realsubjekte - im folgenden in eine Wechselbeziehung zu Stellen- und Funktionsbeschreibungen der Struktur der Produktivkräfte aufgenommen. Als 'objektiver' Bestandteil dieser Struktur sind sie letzteres - Produktivkraft -, in ihrer Gegenläufigkeit als 'Produktivkraft Subjektivität' fungieren sie als ersteres - Realsubjekte -. Diese Festlegung soll für 'Alltags' - und Erkenntnissubjekte gelten. Unter strukturtheoretischem Blickwinkel figuriert das Erkenntnissubjekt als 'Produktivkraft', ebenso in seiner Eigenschaft als Mann oder Frau, aber eben auch als Mann oder Frau ohne diese wissenschaftlichen, sondern mit anderen sozialen Kompetenzen ausgestattetes Individuum. Folgendes Problem des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität läßt sich dieser Vorgehensweise in einer ersten Annäherung lösen: Die 'Wirklichkeit' der verborgenen Struktur kann als eine nicht lediglich 'objektive', außerhalb des menschlichen Bewußtseins und Wahrnehmungsvermögens angesiedelte verstanden werden. Sie ist zugleich 'subjektive', d.h. wahrgenommene, ver- und bearbeitete 'Wirklichkeit' menschlicher Produktivität und vermittelt sich auf diese Weise zur strukturierten Objektivität sozialer Verhältnisse. Hierbei kann es sich immer nur um ein Wechselverhältnis handeln: soziale Verhältnisse geben ja zu einem erheblichen Teil vor, wo diese menschliche Produktivkraft gesellschaftlich plaziert wird und wie sie diese 'Funktionsbestimmung' (Althusser) wahrnimmt und ausfüllt.
Diese Dimension des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität ist jedoch noch immer eine der strukturtheoretischen Ebene. Nicht angesprochen ist mit dieser Überlegung die Frage der Vermittlung zur empirischen 'Wirklichkeit', zu dem, was Marx die 'wirkliche Existenzform' nennt. Wird die Produktivkraft 'Individuum' strukturtheoretisch nicht lediglich in ihrer objektiv - allgemeinen Form verortet, sondern zugleich in ihrer Existenz als individuelles Realsubjekt, besitzt dieses Realsubjekt eine ganz konkrete Existenz oder, um im Marxschen Bild zu bleiben, 'Erscheinungsform'. Die Produktivkraft 'Individuum' oder 'Subjektivität' tritt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit als Frau oder Mann in ganz unterschiedlichen Konstellationen in 'Erscheinung' - als Hausfrau, als Prostituierte, als Wissenschaftlerin, Bürokraft oder Bundeskanzlerin. In all diesen 'Erscheinungsformen' würde es sich bei diesen weiblichen und männlichen Individuen um (sichtbare) Artikulationen von 'Struktur' handeln, jedoch noch einmal ausdifferenziert nach den ebenso sichtbaren Funktionsbestimmungen der verborgenen Struktur und nach ihrem überschüssigem Moment; nach dem, was an Subjektivität brachliegt, nicht vernutzt wird, sich nicht vernutzen läßt. Erst die Vermittlung zwischen Vernutztem und Überschüssigem im jeweiligen Individuum oder Realsubjekt brächte das Veränderungspotential in den Blick, das in der Marxschen Theorie reduktionistisch unter 'Klassenhandeln' figuriert, und von Godelier als Verhaltensrationalität angesprochen wird.
Nicht lediglich menschliche Individuen, auch von ihnen hervorgebrachte Dinge besäßen diesen Status von Wirklichkeit, hier durchaus im Anschluß an Marx. Diese 'Dinge' bestehen nicht lediglich aus Fabriken oder Aktien, sondern auch aus Normen und Verhaltensregeln, hier in aller Vorsicht zunächst auf 'Sachverhältnisse' im Sinne Lindes (1972) bezogen, der diese Sachverhältnisse wiederum von sozialen Beziehungen unterscheidet. [10] Selbst hier kann nicht umstandslos davon ausgegangen werden, sie würden sich restlos bestimmten formationsspezifischen - kapitalistischen oder auch patriarchalen Vergesellschaftungsmodi subsumieren lassen. Auch gesetzlichen Normierungen wohnt ein überschüssiges Element inne, das immer schon über das hinausweist, was mit ihnen erreicht werden soll. 'Erscheinungsformen' wären nach dieser Auffassung nicht bloßer Ausdruck von sozialen Strukturierungsprinzipien, sondern immer zugleich auch Überschüssiges - so wie auch die verborgenen Strukturen ihre innere Widersprüchlichkeit erzeugen, diese Widersprüchlichkeiten vermutlich auch 'Ursache' der überschießenden Momente in der gesellschaftlichen Wirklichkeit sind. Diese Überlegungen nehmen das Theorie-Empirie-Problem des Marxismus auf einer Ebene auf, die systematisch zwischen 'Theoriebildung' und 'empirischer Überprüfbarkeit' unterscheidet. In einer Marxschen Formbestimmung tendieren beide Sachverhalte zu einer Verschmelzung: die empirische Überprüfbarkeit von Aussagen ist in den theoretischen Aussagen selbst schon enthalten. Die Theorie bedarf deshalb keiner gesonderten 'Überprüfung' - letztinstanzlich entscheidet ja erfolgreiches Klassenhandeln über den Wahrheitsgehalt der Theorie. Die intermediäre Instanz zwischen Theoriebildung und Klassenhandeln - empirische Überprüfbarkeit von Aussagen - wird in der vorliegenden Untersuchung zu einer eigenständigen Dimension ausgebaut, auf diesen Punkt liefen die vergleichsweise minutiösen Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Dimensionen des Theorie-Empirie-Verhältnisses hinaus. Die in die Marxsche Theorie eingebaute Erkenntnisproblematik, die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt der Theorie, wurde annäherungsweise dergestalt zu lösen gesucht, daß das Erkenntnissubjekt, das auf seine oder ihre Weise diese Wirklichkeit 'bestimmt', in einer Weiterentwicklung in die Godeliersche Strukturtheorie integriert wurde. Was sich bei Althusser als selbstreflexiver Wissenschaftsprozeß darstellt, figuriert hier als Element gesellschaftlicher Selbstreflexivität auf einer Mehrebenenanalyse, zu der eben auch die Individuen als Mitglieder eines Sozialgebildes gehören, gleichgültig, wo sie sozial plaziert sind. Das Erkenntnissubjekt ist eines dieser Individuen. Der systematisch-inhaltliche Aufbau einer solchen Mehrebenenanalyse, bezogen auf das Geschlechterverhältnis, wird im folgenden anhand der Fragestellung nach dem Verhältnis von Theorie und Geschichte skizziert.

3.4 Struktur und Geschichte

Gesellschaft in ihrer 'Erscheinungsform' oder 'wirklichen Existenzform' (Marx) wird von Godelier der Begrifflichkeit 'sichtbarer Funktionszusammenhang' (der Struktur) zugeordnet. Gehen wir davon aus, daß ein solcher sichtbarer Funktionszusammenhang von Gesellschaft sich zugleich im empirischen 'Funktionszusammenhang' gesellschaftlicher Institutionen und den mit ihr verknüpften Regeln und Normierungen artikuliert, liegt die Möglichkeit der Verwechslung beider auf der Hand. Godelier spricht eine vertikale, d.h. hierarchisierte 'Ordnung' an; das Beobachtbare ist Ausdruck des Verborgenen. Wir können annehmen, daß der beobachtbare Funktionszusammenhang von Gesellschaft - etwa zwischen der Familien- und der Beschäftigungsstruktur - in seiner Koppelung als Trennung ebenfalls Ausdruck der strukturierten, verborgenen 'Ordnung' ist, allerdings auf horizontaler Ebene. Die Wirklichkeit der Struktur (als begriffene oder theoretische 'Wirklichkeit') steht analytisch in einem hierarchischen Verhältnis zur Wirklichkeit der Erscheinungsformen von Gesellschaft und Gesellschaftlichkeit, d.h. zu ihrer Empirie, die ja in sich selber 'strukturiert' ist, jedoch der wissenschaftlichen 'Strukturierung' bedarf, um erkennbar zu werden. Das gälte für die 'Struktur' einer Familie ebenso wie für die 'Struktur' einer menschlichen Psyche. Ließe man es bei diesem Gedanken bewenden, resultierte aus ihm die Auffassung, das 'eigentlich Wirkliche' sei die Theorie, die gedankliche Fassung von Gesellschaft. Fügen wir die weitere Überlegung hinzu, daß politisches oder gesellschaftliches Handeln ganz konkreter und nicht lediglich gedanklich-vorgestellter Individuen die mit der Theorie erfaßte Wirklichkeit gestalten und verändern, stellt sich das 'Gleichgewicht' zwischen beiden Wirklichkeitsdimensionen wieder her, gerät auf diese Weise in ein Wechselverhältnis. Der Primat eines jeweiligen Wirklichkeitsbezugs stellt sich dann über den Ausgangspunkt her, d.h., ob ich als Wissenschaftlerin, als Mitglied einer politischen Partei oder sozialen Bewegung 'Gesellschaft' denkend-handelnd in den Blick nehme. Das marxistische Totalitätsverständnis nimmt an, alles Gesellschaftliche stünde in einem inneren Zusammenhang, befände sich in einer inneren Ordnung, beschränkt sich jedoch vorsichtshalber, möchte man hinzufügen - aufs Ökonomische als Strukturierungsprinzip und dessen Artikulationen im 'Überbau' - in welcher relativen Autonomie vom Ökonomischen auch immer.
Wird der Gedanke eines reformulierten Basis-Begriffs erneut aufgenommen, der die Wirtschafts- und Bevölkerungsweise als intern differenzierte und vermutlich hierarchisierte (verborgene) Einheit in ihrer (kapitalistischen) Trennung begreift, muß folgerichtig angenommen werden, daß über diese Einheit ein multidimensionaler gesellschaftlicher Zusammenhang gestiftet wird. Es wäre wenig sinnvoll, den Gedanken von 'Zusammenhang' nur deshalb aufzugeben, weil er sich als komplexer herausstellt, als die originäre Theorie annimmt. Die Annahme einer Multidimensionalität gesellschaftlichen Zusammenhangs kann jedoch als Warnung verstanden werden, sehr differente soziale Sachverhalte in einem ersten analytischen Zugriff miteinander verknüpfen zu wollen. Die Untersuchung des Zusammenhangs von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise bezieht sich deshalb im folgenden ausschließlich auf den objektiv-gesellschaftlichen Kontext der Vergesellschaftung von Individuen vermittelts 'Arbeit' und 'Fortpflanzung' zum Zweck ihrer Existenzsicherung. Der Rekurs auf die Einheit von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise meint den verborgenen Strukturzusammenhang einer, marxistisch gesprochen, Produktionsweise. Auch Godeliers Struktur- und Widerspruchstheorie bezieht sich auf diesen Oberbegriff. Der folgende Vorschlag, Godeliers gedoppelte Strukturen und ihnen innewohnende Widersprüchlichkeiten als Zusammenhang von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise und bezogen auf das Geschlechterverhältnis nutzbar zu machen, stellt eine Radikalisierung seines Entwurfs dar. Zum einen greift sie inhaltlich weiter aus als dieser Autor, zum anderen geht sie systematisch weniger weit als er: Die inhaltliche Reichweite der Analyse ist oben bereits bezeichnet, die systematische Beschränkung ergibt sich aus dem Anspruch einer Operationalisierung für empirisch historische Forschung. Er bewegt sich in einem 'objektivistischen' Rahmen und verzichtet weitgehend auf Aussagen zur Handlungs- und Bewußtseinsdimension von Individuen. Es bedürfte einer gesonderten Untersuchung, die in diesem dritten Abschnitt der Untersuchung skizzierte Problematik der Vermittlung von Objektivität und Subjektivität auf eine Art und Weise einzulösen, die den bewußtseinsphilosophischen Objektivismus der originären Theorie und ihrer Weiterentwicklungen mit Vorschlägen zu einer Neufassung durchbricht. Aus diesem Grund beschränkt sich die Analyse auf das Verhältnis von Struktur und Geschichte; ein Verhältnis, das sich legitimerweise in einem objektivistischen Rahmen bewegen kann. Die Begrifflichkeit 'Wirtschafts - und Bevölkerungsweise' mag zwar eine Ausdifferenzierung des Marxschen Begriffs der Produktionsweise darstellen, geht jedoch über dessen Bedeutung als einer ausschließlich auf Kapitalverwertung und -akkumulation bezogenen 'Weise' hinaus. Angesprochen ist mit dieser Begrifflichkeit, anders als bei Marx, die gesamtgesellschaftliche Produktion und Reproduktion, von der die kapitalistische nur den (markt-)ökonomischen Bestandteil darstellt. Als Arbeitsbegriff wird an den Bezeichnungen 'Produktivkraftstruktur' und 'Struktur der Produktionsverhältnisse' festgehalten, in ihrer Zusammenschau werden sie im Sinne des Althusserschen Begriffs einer 'dominanten Struktur' interpretiert. Diese Auffassung schließt eine strukturtheoretische Reformulierung des Basis - Überbau - Theorems ein: Der Begriff einer dominanten Struktur bezieht sich dergestalt auf das Verhältnis von Basis und Überbau, als das relationale Gefüge im Zusammenhang von Arbeitsteilung, Fortpflanzung und Eigentumsordnung in seiner Geschlechtsspezifik untersucht und in Strukturbegriffe transformiert wird.
Die Untersuchung einer Struktur und ihrer Geschichte wirft ein weiteres Operationalisierungsproblem auf. Sie ist in der marxistischen Unterscheidung zwischen 'Genese' und 'Geschichte' angelegt. Die Erforschung der Genese einer Struktur, so die marxistische Auffassung, setzt bereits theoretische Annahmen über die Struktur voraus, gleichzeitig sei 'Genese' nicht gleichzusetzen mit der 'realen geschichtlichen Entwicklung'. 'Genese' kann dann nur heißen: es handelt sich um eine theoretisch angeleitete Untersuchung historischen Wandels, der eine ganz bestimmte 'Strukturierung' von Gesellschaft hervorbrachte. Auf den ersten Blick scheint diese Auffassung plausibel. Aber auch die Historikerin, der Historiker würden für sich in Anspruch nehmen, eine historisch empirische Entwicklung nicht einfach aus der Geschichte 'ablesen' zu können, Geschichtsforschung ist immer auf die eine oder andere Weise bereits theoretisch angeleitet. Dennoch existiert zwischen der historisch-materialistischen und der Geschichtsforschung eine bereits länger andauernde Kontroverse, die offensichtlich etwas mit dem zu tun hat, was erstere unter der Erforschung der 'Genese einer Struktur' versteht. Godelier stellt fest, daß bei Marx der Entstehungsprozeß der kapitalistischen Produktionsweise "nur flüchtig skizziert (wird), indem er in einer kurzen Zusammenfassung einige Bedingungen, Formen und Phasen der Entstehung des Kapitalismus in Europa aufführt" (Godelier 1973a, S. 146)[11] Annahmen über die Genese der Struktur sind offenbar nicht als Ersatz für deren historische Erforschung vorgestellt; unklar bleibt, ob die marxistische Koppelung der Analyse von Struktur und Genese den Status von Geschichtswissenschaft beansprucht. Der Wissenschaftstypus wendet sich von vornherein gegen die isolierte einzelwissenschaftliche Betrachtungsweise, würde sich insofern gar nicht als Geschichtswissenschaft verstehen können. Dasselbe gälte für die Soziologie oder Ökonomie. Doch selbst der interdisziplinäre Anspruch löst nicht das oben angesprochene Problem. Die in diesem Zusammenhang gern zitierte Absicht, 'Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft' zu untersuchen, ist auf einem analytischen Abstraktionsniveau angesiedelt, das wenig Anhaltspunkte zur Verfügung stellt, wie mit seinem Instrumentarium räumlich und zeitlich differente Entwicklungen untersucht werden können. Selbst Godeliers Widerspruchstheorie nennt lediglich allgemeine Orientierungspunkte.
Sie lassen keine Aussagen erkennen über die in der Geschichte 'sichtbaren Funktionszusammenhänge'. Bei der Untersuchung der Genese einer Struktur stellt sich infolgedessen dasselbe Problem wie bei der Untersuchung der Struktur selbst: Wie läßt sich, die Vermittlung beider begreifen, immer vorausgesetzt, daß rege historische und gegenwärtige Gesellschaften auf irgendeine Weise sichtbar 'strukturiert' sind? Ein erster Vorschlag zur Lösung dieser Vermittlungsproblematik wird darin gesehen, daß sich die Analyse der spezifisch kapitalistischen Konstitution des Geschlechterverhältnisses vom universalistischen Erklärungsanspruch der originären Theorie löst, d.h., daß nicht versucht wird, diese Konstitution in ihrer Allgemeinheit erklären zu wollen. Mit dieser Vorgehensweise beschränkt sich 'die Analyse auf eine historisch empirische Theorie mittlerer Reichweite. Sie bezieht sich auf den deutschen Herrschaftsbereich des 19. Jahrhunderts. In der Begrifflichkeit Godeliers würde es sich in dieser raum-zeitlichen Begrenzung uni eine diachronische und zugleich synchronische Untersuchung handeln, d.h. um eine Analyse "der verschiedenen Zustände einer Struktur, die verschiedenen Momenten ihrer Entwicklung entsprechen" (Godelier 1973b, S. 148). Diese Festlegung enthält eine Ambivalenz: die Struktur selber kann allenfalls in den hochabstrakten Grundbegrifflichkeiten als 'bekannt' vorausgesetzt werden, nicht jedoch in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung. Die Beschränkung auf Aussagen mittlerer Reichweite würde mit dieser Vorgehensweise von der Annahme angeleitet, daß eine diachronisch/synchronische Analyse Rückschlüsse auf die Existenz universalistischer Konstitutionsprinzipien zur Verfügung stellen kann, jedoch nicht notwendig muß. In diesem Zusammenhang erhält das Verhältnis von Theorie und Empirie in der Bedeutung einer historischen Überprüfung von Aussagen ein besonderes Gewicht. Die Geltung der These einer gedoppelten Widersprüchlichkeit von Strukturen läßt sich anhand historischen Materials für i ein abgrenzbares Gebiet und einen ebensolchen abgrenzbaren Zeitraum überprüfen. Trägt die von Godelier aufgenommene und erweiterte These einer Transformation der Gesamtstruktur durch eine letztendliche Unvereinbarkeit zwischen der 'alten' Struktur der Produktionsverhältnisse und der in Bewegung geratenen Struktur der 'neuen' Produktivkräfte, müßte sie erstens auch für das Geschlechterverhältnis, zweitens für die Transformation einer agrarisch-handwerklichen zu einer industriell-kapitalistischen Produktionsweise - als Wirtschafts- und Bevölkerungsweise - gelten. Godelier legt sich lediglich dahingehend fest, daß es sich bei der Invariante der Struktur der Produktionsverhältnisse, von ihm abzüglich des Geschlechterverhältnisses vorgestellt, um die einer bestimmten - der kapitalistischen - Produktionsweise handelt. Er betont deren invarianten Charakter nach Etablierung dieser Produktionsweise. Bei ihm bleibt offen, inwieweit tradierte Ungleichheiten sich im Übergang von der einen zur anderen Produktionsweise erhalten haben. Andere Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von der Existenz eines 'objektiven Zirkels': Er liege darin begründet, daß "die einmal etablierten, aus der Klassengeschichte hervorgegangenen sozial ungleichen Lebens- und Lernbedingungen zugleich die Voraussetzung dafür schaffen, daß auch unter Lohnarbeitsbedingungen diese Ungleichheiten der Lebenslage aufrechterhalten bleiben" (Beck/Brater/Daheim 1980, S. 57). Bezieht sich diese Aussage lediglich auf Klassenungleichheiten, ist mit ihr weiterhin gemeint, daß sie über ein zentrales Vergesellschaftungsprinzip gestiftet wird, das im Übergang von der einen zur anderen Produktionsweise seine Gestalt ändert, müßte sie mit dieser Einschränkung ebenfalls für die Analyse von Geschlechterungleichheiten gelten.
Zu überprüfen wäre deshalb am historisch-empirischen Material, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen von einer 'Invarianz' (Godelier) bzw. einem Erhalt der 'alten Ungleichheiten' (Beck/Brater/Daheim) innerhalb der strukturierten Ordnung gesprochen werden kann. Sozio-ökonomische Ungleichheit würde in der 'alten' Produktionsweise über den Zugang zur Ressource 'Grund und Boden' gestiftet, in der 'neuen' demgegenüber über den Zugang zu 'Kapital'. Dieses Argument wäre auf beiden Argumentationsebenen zu überprüfen, d.h. in ihrer historisch-empirischen Ausprägung und in ihrer Rückkoppelung an Godeliers Widerspruchstheorie. Die Beziehung zwischen strukturtheoretischen Aussagen und ihrer historischen Überprüfung wird wie folgt operationalisiert: Die strukturelle Invarianz, die der Verhältnisstruktur zu eigen sein soll, muß einen empirischen Ausdruck, eine 'wirkliche Existenzform' besitzen. Godelier zufolge bezieht sich diese Strukturdimension auf die "Gesamtheit der Bedingungen und Formen der Aneignung und Kontrolle der Produktivkräfte und des Sozialprodukts" (Godelier 1973b, S. 179), d.h. auf das Eigentumsgefüge und die damit verknüpfte sozio-ökonomische bzw. staatlich-politische Kontrolle von Menschen und der Aneignung ihrer Erzeugnisse. Ganz empirisch leisten dies etwa die Rechtsverhältnisse unseres Kulturkreises. Trägt diese These, muß sie auch für das Geschlechterverhältnis und dessen 'Produktionen' Arbeit und Fortpflanzung - gelten (vgl. auch Weber 1907). Es käme infolgedessen darauf an, die sichtbaren Manifestationen dieser Strukturdimension herauszuarbeiten und festzustellen, inwieweit sie als invariant bezeichnet werden können, bzw., im Transformationsprozeß einer Produktionsweise eine neue Gestalt annahmen. Staatlich-politische Normierungen fungierten nach dieser Interpretation als 'Artikulationen' der Struktur, besäßen ihren sichtbar-funktionalen Ausdruck in der Existenz bestimmter Rechtsverhältnisse. Einen sichtbaren oder empirischen Ausdruck muß weiterhin die Struktur der Produktivkräfte besitzen. Der geläufige Hinweis auf technologische Entwicklungsschübe greift zu kurz, in ihm drückt sich die ökonomistische Verengung der Bezugstheorie aus. An anderer Stelle wurde bereits erörtert, daß diese Strukturdimension das 'Substrat' von Gesellschaft in sich aufnimmt; von Godelier mit 'Natur' und 'Menschen' bezeichnet, hier in stärkerer Präzisierung mit dem Terminus 'vergesellschaftete Natur' in der Gestalt von Dingen und Menschen belegt. Diese Wortwahl schließt den Stand der technologischen Entwicklung eines Sozialgebildes ein.
Auch die Produktivkraftstruktur wird im folgenden unter dem Aspekt eines Zusammenhangs von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise untersucht; am historischen Material wird zugleich die These des Subsumtionstheorems überprüft, die sich herausbildende 'neue' kapitalistische Vergesellschaftung subsumiere diejenigen Lebensbedingungen ihren Imperativen, die nicht unmittelbar in ihren Geltungsbereich fallen. Diese These soll anhand der Entwicklung der 'Bevölkerungsweise' einer historischen Überprüfung unterzogen werden. Die hier vorgeschlagene Ausdifferenzierung der marxistischen Grundbegrifflichkeiten von Produktionsweise, Produktivkräften und Produktionsverhältnissen enthält, außer dem Rekurs auf die 'Bevölkerungsweise', eine inhaltlich-systematische Weiterentwicklung, die Godelier anstrebt, jedoch nicht konsequent fortentwickelt. Sie wird noch einmal zusammenfassend erläutert; sie betrifft den analytischen Status von 'Menschen'. Die Vermittlung von Subjektivität und Objektivität weist in der gesamten marxistischen Forschung - in der Regel unerkannt - einen bewußtseinsphilosophischen Bezugspunkt auf; das Subjekt ist Bewußtseins- oder philosophisches Subjekt. Das läßt sich ungeachtet der Anerkenntnis festhalten, daß Marx Individuen durchaus als 'Produktivkraft' im Auge hat. Individuen als Produktivkraft sind in seine Theorie nicht systematisch aufgenommen, wohl aber als. ökonomische Produktivkraft in Gestalt der Lohnarbeitskraft. Wie von Godelier überzeugend nachgewiesen, macht sich in diesem Zusammenhang eine Vermischung zweier Strukturtypen geltend, die eher nahelegen, diese Theorie ausschließlich als Theorie sozialer oder, enger gefaßt, ökonomischer Verhältnisse zu lesen, der Arbeitskraft damit nur noch den analytischen Status des Trägers eines solchen Verhältnisses zuzugestehen. Diese Sicht enthält eine doppelte Reduktion: Die Arbeitskraft selbst als ein solcher 'Träger' ist eindimensional konzeptualisiert, erfaßt lediglich ihrer objektive Vergesellschaftung. Ihr fehlt die Seite des Subjektiven. Sie läßt sich nicht in ihrer Reziprozität von Objektivem und Subjektivem begreifen. Der Grund für diese Verkürzung ist eine zweite Reduktion: 'Arbeitskraft' ist mehr als nur das, sie ist 'Individuum'. Dieses Individuum existiert in der Theorie weder in seiner objektiven, noch in seiner subjektiven Gestalt oder 'Form'. Wenn im Anschluß an Godelier die Vorstellung von einer Struktur der Produktivkräfte aufgenommen wird, dann werden Individuen als Element einer solchen Struktur, als menschliche Produktivkraft in die Theorie integriert.
Diese Produktivkraft kann sich ökonomisch, aber auch generativ artikulieren. In der ökonomischen Dimension kann es sich bei einer solchen weiblichen oder männlichen 'Produktivkraft' um Lohn - oder um Familienarbeitskraft handeln, wenn letztere im strikten Sinn 'ökonomisch, d.h. marktwirtschaftlich genutzt wird. Diese Aussage bezöge sich auf familiale Erwerbsarbeitskraft. In der generativen Dimension meint der Hinweis auf die Existenz menschlicher Produktivkraft vor allem und in erster Linie, daß Menschen (als Realsubjekte) elementarer Bestandteil von Gesellschaft sind. Sie reproduzieren 'Gesellschaft' biologisch-gesellschaftlich. Der generativen Dimension lassen sich weiterhin alle gesellschaftlichen Tätigkeiten zuordnen, die als nichtmarktliche gesellschaftlichen - und damit auch generativen - Bestandserhalt sichern, wie z.B. die Hausfrau. Im Unterschied zur traditionellen marxistischen Theorie, die menschliche Produktivkraft nur in ihrer marktökonomischen Vergesellschaftung zum Gegenstand hat, stellt jene in dem hier vorgeschlagenen Modell nur eine von mehreren und voneinander zu unterscheidenden Vergesellschaftungsformen von Menschen dar: Menschliche Subjekte erfahren eine (geschlechtsspezifische) Vergesellschaftung ihres Arbeits- und ihres generativen Vermögens; sie figurieren als Lohn- oder Familienarbeitskraft, auf historisch-besondere Art und Weise als Mütter oder Väter, sind menschliche Produktivkraft aber auch als 'Kapitalist' oder patriarchaler Nutznießer von Familienarbeitskraft. Ob sich diese Produktivkraft 'produktiv' oder 'destruktiv' artikuliert, ist mit dieser Begriffswahl keineswegs vorentschieden.
Weiterhin wäre für die Überprüfung der These einer Konstanz im Wandel sozialer Ungleichheiten, die diejenige der Geschlechter einbezieht, ein begriffliches Raster zu entwickeln. Es wird im folgenden am Beispiel der historischen Wirtschafts- und Familieneinheit konzipiert, die sich im Laufe der Industrialisierung in verschiedene gesellschaftliche Institutionen ausdifferenziert: das kapitalistische Wirtschaftsunternehmen, die Kleinfamilie bürgerlicher und proletarischer Prägung und in die Systeme der sozialen Sicherung. Diese drei Institutionen übernehmen die Aufgaben, die einstmals den agrarisch-handwerklichen Wirtschafts- und Familienverbänden zufielen: die gesellschaftliche Organisation von Arbeit, die Erwirtschaftung eines Mehrprodukts, die generative Reproduktion und subsidiäre Existenzsicherung vermittels staatlicher Transfers. Der Akzent der Darstellung liegt auf den beiden erstgenannten Dimensionen. Aussagen über die generative Reproduktion oder, in anderer Terminologie, über demographischen Wandel beziehen sich auf damit verbundene Arbeitsteilungen und suchen einen Bezug herzustellen zu bestimmten Eigentums- und Besitzformen. Analoges gilt für die Dimension 'soziale Sicherungssysteme'. Sie werden in dem Maße in die Betrachtung einbezogen, wie sich in ihnen der Wandel von einer Natural- zu einer Geld- und Warenwirtschaft artikuliert. [12]