Der Erklärungsansatz, der entwickelt werden soll, bewegt sich auf einer rekonstruktiven Ebene der materialistischen Erkenntnistradition. Erkenntnisleitend ist die Annahme, daß deren analytische Möglichkeiten für das Anliegen der Frauenforschung noch nicht voll ausgeschöpft sind. Dieser Zugang setzt voraus, die marxistischen Begrenzungen und Selbstbeschränkungen im Auge zu behalten. Sicherlich läßt sich der Unterstellung einer Selbstbeschränkung der Theorie ihr universalistischer Erklärungsanspruch entgegenhalten. Er kann sich jedoch heimlich auch selbst das Wasser abgraben: etwa dann, wenn der Erklärungsanspruch zu weit gefaßt ist, historische Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung kapitalistischer Vergesellschaftung damit tendenziell einebnet, oder auch dann, wenn er zu eng konzipiert ist, indem die Dynamik von Vergesellschaftungsprozessen ausschließlich oder 'in letzter Instanz' auf ökonomische Prozesse zurückgeführt wird. Die Vermutung eines Spannungsverhältnisses zwischen Erklärungsanspruch und Ausführung der Theorie drückt sich in der Aussage aus, die Ökonomie einer kapitalistischen Gesellschaft sei nicht identisch mit ihrer 'materiellen Basis', wie die originäre Theorie in ihrer elaborierten Fassung annimmt, so daß aus dieser spezifischen 'Basis', relativ autonom oder ganz unmittelbar, andere Vergesellschaftungsformen resultierten. [1] Eine politisch-ökonomische Theorie des Geschlechterverhältnisses relativiert den Begriff von Ökonomie als einer ausschließlich waren - und lohnarbeitsbezogenen allein durch den Einbezug unentgeltlicher Produktionen außerhalb des Marktes. Diese Feststellung gilt in noch stärkerem Maße, zieht man die Möglichkeit in Betracht, auch die Mitglieder eines Sozialgebildes stellten dessen 'materielle Basis' oder Grundlage dar.
Die marxistische Theorie kann gewiß in dem Sinne Plausibilität beanspruchen, als sie das innere ökonomische Band ausweist, das über kapitalistische Vergesellschaftung gestiftet wird. Eine feministische Theorie, die diese Begrenzungen durchbricht, würde jedoch nicht mehr von einem nur ökonomischen, sondern von einem materialen Band sprechen müssen. Diese Unterscheidung ist letztlich in der Differenz zwischen ökonomischer und Gesellschaftstheorie angelegt 'Ökonomie' bildet nur einen Ausschnitt von 'Gesellschaft'. In der tendenziellen Gleichsetzung beider scwüge sich eine Verengung des Blickwinkels nieder. Sie ist gemeint, wenn in der Frauenforschung von einem ökonomischen und zugleich methodologischem Reduktionismus der Marxschen Theorie die Rede ist; beide stehen ja in einem engen Zusammenhang untereinander. Der Nachweis solcher Reduktionismen wirft die Frage auf, ob auf reformulierter Grundlage der universalistische Erklärungsanspruch beibehalten werden soll. Zwei Gründe sprechen gegen eine Festlegung der möglichen Reichweite des angestrebten Theorieentwurfs: zum einen die gegenwärtige Ausdifferenziermg wissenschaftlichen Wissens von und über Gesellschaft, selbst Ausdruck des Komplexitätsgrades von Gesellschaft, zum anderen das hohe Aggregationsniveau der Bezugstheorie, deren Universalismus es erst ermöglicht hat, das Geschlechter - im Klassenverhälniis zu verstecken. Sehr allgemeine Aussagen bergen eben auch die Gefahr, erklären zu wollen, was ganz andere Gründe und Ursachen besitzen kann.
2.1 Feministische Wissenschaftskritik am Marxismus
Die Wissenschaftskritik der bundesdeutschen und internationalen Frauenforschung weist eine Vielzahl von Gegenstandsbezügen und Themen auf. Für die vorliegende Untersuchung sind jedoch nicht einmal all jene Beiträge von Belang, die sich auf die eine oder andere Weise mit Marxismus oder Dialektik befassen. Im folgenden ein knapper Abriß dieser Diskussion mit dem Ziel, diejenigen Elemente herauszustellen, die mittelbar oder unmittelbar einen Bezugspunkt zur strukturtheoretischen Problematik der Untersuchung aufweisen. Diese Vorgehensweise soll verdeutlichen und begründen, an welche wissenschaftlichen Fragestellungen sie anknüpft und welche sie vernachlässigt.
Zum Ende der 70er Jahre galt die Marx-Rezeption in der Frauenforschung als weitgehend abgeschlossen. Die 'Hausarbeitsdebatte', die in deren Zentrum stand, war versandet, die Beschäftigung mit ihr schien keine neuen Resultate zu versprechen.
Ein erneutes Interesse, die Fäden dieser Diskussion wieder aufzugreifen, artikulierte sich erst im Zusammenhang der Erörterung des Verhältnisses von Frauen, ihres Lebenszusammenhangs und sozialstaatlicher Politiken (vgl. Kontos 1984 für die bundesdeutsche, Dale/Foster 1986 für die englische Diskussion). Die Marx-Rezeption der Frauenforschung stand seinerzeit nicht im Kontext einer methodologischen bzw. wissenschaftstheoretischen Reflexion auf die Begrifflichkeiten, die zur Begründung der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Hausarbeit herangezogen wurden. Eher parallel zu diesem Diskurs entwickelte sich in der Frauenforschung eine Wissenschaftsdiskussion hinsichtlich ihrer Methodologie. Aber auch sie hatte gegen Ende der 70er Jahre international ihren Höhepunkt überschritten; einen wichtigen Erkenntnisschub löste allerdings die etwa um diese Zeit in den USA einsetzende 'epistemology-debate' aus, die sich zunehmend mit Problemen einer feministisch-materialistischen Erkenntniskonzeption befaßte [2]. Die Bundesrepublik Deutschland erreichte dieser Diskurs wiederum mit einigen Jahren Verspätung, er beginnt erst jetzt, auf breiter Basis wahrgenommen zu werden.
Wissenschaftspolitisch und besonders im Verhältnis zur Neuen Linken artikulierte sich in beiden Phasen jeweils anderes. Drehte sich in der "Hausarbeitsdebatte" sehr viel an Diskussionen um die potentiellen Vereinnahmungsversuche der Frauenforschung durch die Neue Linke in Theoriebildung und Begriffsinterpretation, so gerieten im wissenschafts- und erkenntniskritischen Diskurs der Frauenbewegung und -forschung nunmehr die diesen Begriffsbildungen zugundeliegenden Denkformen ins Visier der Kritik, ohne daß diese Auseinandersetzung Verbindungslinien zur Marxismus-Kritik Neuen Linken aufwiese. Zumindest in den USA scheint diese Diskussion auf einer Ebene geführt zu werden, deren Ziel in der Formulierung einer spezifisch feministischen Erkenntnistheorie besteht. Auf die politisch-ökonomische Marx-Rezeption wirkt sie dort auch heute noch in keiner Weise zurück. Das gilt ebenfalls für England (vgl. jedoch Rose 1983, 1986). Die für die marxistische Forschung typische Verzahnung von Erkenntnisinhalt und -methode scheint als Problem feministischer Forschung überhaupt nicht wahrgenommen zu werden, daß dies in der bundesdeutschen Debatte geschieht, stellt eine Besonderheit ihrer stark an der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule orientierten Theoriebildung dar. Die der Erkenntnisdiskussion zeitlich vorangehende 'methodology debate' stellte den ersten Versuch zur Formulierung eines genuin feministischen Wissenschaftsverständnisses dar, gelegentlich auch verhandelt [3] unter dem Anspruch der Konzeption einer 'alternativen Wissenschaft' . In der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Diskussion ausgelöst durch eine Veröffentlichung von Maria Mies (1978), die auch die Frauenforschung in anderen europäischen Ländern stark beeinflußte.
Deren " methodische Postulate" waren wiederum an dem Konzept eines feministischen Aktionsforschungsprogramms orientiert; nur vereinzelt wurde auf die Gefahr einer systematischen Verengung des mit ihm verbundenen [4] Erkenntnisanspruchs hingewiesen (vgl. Müller 1984b) . Sie lag u.a. in der mangelnden Differenzierung zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen begründet. Die letztlich politisch legitimierte Einebnung beider Wissensformen im feministischen Aktionsforschungskonzept war wiederum wissenschaftstheoretisch folgenreich: Die Differenz zwischen objektiven Strukturzusammenhängen und subjektiven Verhaltensweisen konnte auf diese Weise nicht mehr in den Blick geraten, existierte gar nicht erst als ein zu lösendes Problem feministischer Forschung. Eine Gegenposition wurde erst Anfang der 80er Jahre von Regina Becker Schmidt formuliert: die Frauenforschung habe zwei Realitätsebenen Rechnung zu tragen, die miteinander zu vermitteln seien; die objektive "als eine, die innerhalb gesellschaftlicher Strukturzusammenhänge, sozialer Abhängigkeitsverhältnisse und historischer Bedingungen entstanden ist und fortbesteht. Und sie ist als subjektive zu begreifen, als eine, die von Individuen und von Gruppen gemacht, erlitten, wahrgenommen, verzerrt gesehen, ignoriert, akzeptiert, abgelehnt, interpretiert und segmentiert, d.h. auf ganz unterschiedliche Weise verarbeitet wird" (Becker-Schmidt 1984, S. 225, meine Hervorh.). Die Formulierung dieser beiden Positionen warf erstmals unter dem Titel 'Verhältnis von Objektivität und Subjektivität' eine Anzahl von analytischen Problemen auf, die allesamt in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen, als voneinander zu unterscheidende damals jedoch noch nicht gesehen werden konnten. Das Problem der Vermittlung von Struktur- und Subjekttheorie, wie von Becker-Schmidt angesprochen, fächert sich in mehrere Dimensionen auf:
- enthalten selbst ausschließlich strukturtheoretische Aussagen 'objektivistischen' Charakters die Frage nach der Vermittlung von Subjektivität und Objektivität auf der Ebene des Verhältnisses von Erkenntnissubjekt und Gegenstand. Das gilt etwa für Analysen des Verhältnisses von Gesellschaft und Geschichte. Wie schlägt sich die 'Subjektivität' eines Erkenntnissubjekts in dem nieder, was es erkennt? Wie erkennt es seine Gegenstand?
- Diese metatheoretische Ebene wird noch einmal gebrochen über einen zweiten Bezugspunkt: Den Anspruch eines Erkenntnissubjekts, nicht lediglich objektiv strukturelle soziale Sachverhalte zu erkennen, sondern in ihrer Vermittlung zu und mit gesellschaftlichen Subjekten auf der Ebene der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft. Das Subjektive figuriert in dieser Konstellation in einer Doppelung: Subjektivität als die des Erkenntnissubjekts und als die des zu erkennenden Subjekts als Objekt von Erkenntnis. Lassen sich diese beiden Dimensionen überhaupt strikt voneinander trennen? Ist nicht auch das erkennende Subjekt Element dessen, was erkannt werden soll - die soziale Vermittlung von Subjektivem und Objektivem?
- Wird diese erkenntnistheoretische Problematik noch einmal gebrochen durch die Frage der empirischen Überprüfbarkeit der auf diese Weise zustandekommenden Theorie. Diese Brechung artikuliert sich oder differenziert sich aus in der Frage nach dem Praxis- oder Handlungsbezug von Theorie und in der nach der empirischen Überprüfbarkeit von Aussagen; beide Dimensionen sind nicht miteinander identisch - es sei denn, man begnügte sich mit einem Wahrheitsanspruch von Theoriebildung nach dem Kriterium "erfolgreiches Klassenhandeln".
Eine streng sozialwissenschaftliche Auffassung müßte davon ausgehen, daß Theoriebildung der historisch empirischen Überprüfbarkeit ihrer Aussagen bedarf, um politische Handlungsrelevanz beanspruchen zu können. Mit diesem Handlungs- bzw. Praxisbezug von Theorie ist wiederum das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität angesprochen: Das politisch handelnde Subjekt - als Kollektiv- oder Individualsubjekt wirkt mit seinem Tun auf Gesellschaft und deren 'Strukturen' ein und verändert bzw. gestaltet sie. Wie das geschieht, welche Folgen dieses Handeln zeitigt, ist jedoch selbst schon wieder Gegenstand von Erkenntnis bzw. wissenschaftlicher Reflexion. Damit schließt sich der Kreis zu dem erstgenannten Punkt: dem Verhältnis von Erkenntnissubjekt und -objekt. Diese Problemskizze enthält allerdings eine Vereinfachung. Sie berücksichtigt nicht, daß sich ganz unterschiedliche Dimensionen einer solchen Vermittlung von Subjektivität und Objektivität in einer Person, deren Handeln und Denken, artikulieren und überlappen können. Wenn ich wissenschaftlich 'handle', schließt diese Tätigkeit keineswegs aus, daß ich als gesellschaftliches Subjekt auch im Privatbereich, als Frau oder Mann, oder in politischen Feldern, als Gewerkschaftsmitglied oder Mitglied einer sozialen Bewegung 'handle': Diese multidimensionalen Handlungsbezüge bilden den gesellschaftlichen 'Normalfall'. Unterschiedliche Dimensionen des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität voneinander isoliert zu betrachten, stellt insofern eine analytische Trennung dar; in den Personen selber, in ihrer Subjektivität, fließen diese Dimensionen wiederum zusammen. Die noch nicht ausdifferenzierte Benennung des analytischen Problems von Subjektivität und Objektivität in der feministischen Forschung kennzeichnet das vorläufige Ende der Methodologie-Debatte. Ihr internationales Pendant stellte eine Kontroverse zwischen Michéle Barrett/Mary McIntosh (1979) und Christine Delphy (1980) dar.
Gemeinsames Merkmal beider Kontroversen war die augenscheinliche Unversöhnlichkeit der sich in ihnen artikulierenden wissenschaftlichen Positionen. Sie wurden niemals aufzulösen versucht, sondern schlicht von der historischen Entwicklung überholt: Mit dem Einsetzen der Erkenntnisdebatte der Frauenforschung geriet der Wissenschaftsdiskurs zunehmend in tiefere Fahrwasser. Mit ihr wurde aber auch deutlicher, daß Frauenforscherinnen - als Wissenschaftlerinnen - auf zwei voneinander zu unterscheidenden Ebenen von 'Subjektivität' agieren: als Erkenntnissubjekt, das über ein spezifisches wissenschaftliches Instrumentarium verfügt, objektive und subjektbezogene Sachverhalte zu erkennen, und als politisches Subjekt, das durchaus gemeinsam mit anderen Subjekten bestimmte Zielsetzungen verfolgen kann, ohne daß wissenschaftliches Wissen eine 'Barriere' zwischen beiden setzt. Die tendenzielle Leugnung dieses wissenschaftlichen Wissens, wie von der erstgenannten Position vertreten, ließ sich im Erkenntnisdiskurs nicht länger durchhalten; eine erkenntnistheoretische Auseinandersetzung zwischen den beiden genannten Positionen findet in der Bundesrepublik Deutschland allerdings noch nicht statt. In der "Methodologie-Debatte" artikulierten sich jedoch nicht lediglich Differenzen unter Frauenforscherinnen. Ihre Bedeutung erhielt sie vor allem dadurch, daß mit ihr allgemeine Prinzipien einer feministischen Methodologie der Forschung formuliert wurden. Sie besaßen bindenden Charakter. Es handelte sich erstens um das Postulat der "grundlegende(n) und bewußte(n) Parteilichkeit der Forschung für die Sache der Frauen", zweitens um die ideologiekritische Zurückweisung der von der traditionellen Wissenschaft vertretenen Postulate von Interessenneutralität und Wertfreiheit, letzteres gleichgesetzt mit 'Objektivität'. Sie, so die Vermutung, dienten nichts anderem als der Verdeckung des sexistischen Charakters der traditionellen Methodologie (vgl. Müller 1984b, S. 37).
Die Richtung der Methodologie-Kritik an den Sozialwissenschaften war damit eindeutig spezifiziert. Sie richtete sich primär gegen den Kritischen Rationalismus Popperscher Prägung. Und doch erweckten diese Prinzipien den Anschein einer Gemeinsamkeit in der Wissenschaftskritik der Frauenforschung, die so nicht bestand. Die in der Ideologiekritik vorgenommene Gleichsetzung von Wertfreiheit mit Objektivität setzte die Frauenforschung darüber hinaus schnell dem Verdacht aus, eine wie immer geartete Objektivität im Forschen und Erkennen sei ihre Sache nicht, werde von ihr sogar dezidiert abgelehnt. Tatsächlich tauchte das Objektivitätsproblem in ihr nur vermittelt auf und wurde dann nicht einmal als solches erkannt. Von dem oben dargestellten Katalog offener Erkenntnisfragen wird im folgenden Kapitel zunächst das Objektivitätsproblem gesellschaftstheoretisch und analog der traditionellen historisch-materialistischen Auffassung von 'objektiver Erkenntnis' zu lokalisieren versucht. D.h.: das marxistische Theoriemodell interpretiert Gesellschaft als eine in sich widersprüchlich organisierte Struktur-, diese Auffassung findet ihren Niederschlag in einem Verständnis von Objektivität, das sich durch seinen Zugriff auf gesamtgesellschaftliche Totalität auszeichnet. Als 'objektiv' gilt eine Aussage dann, wenn sie in der Lage ist, Einzelphänomene in ihrer gesamtgesellschaftlichen Verflochtenheit auszuweisen, die wiederum als widersprüchliche vorgestellt ist.
Das marxistische Verständnis von gesellschaftlicher Totalität rekurriert in der Regel auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, genauer: auf die Werttheorie. Sie stellt den zentralen Bezugspunkt, die Kerngestalt (Ritsert), zur Verfügung, an dem bzw. an der sich der objektive Gehalt einer Aussage bemißt (vgl. Beer 1987b). Diese Verknüpfung von 'Objektivität' und 'Totalität' (Zusammenhang) wird mit der Absicht des Nachweises der sozialen Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses infragegestellt, ohne daß bereits erkennbar wäre, wie ein reformulierter Begriff von Totalität aussähe und was dessen Gegenstand ausmachte.
Dieser Sachverhalt ist gemeint, wenn oben die Rede von einer 'Lokalisierung' des Problems ist: Die feministische Forschung besitzt noch keine klare Vorstellung davon, in welcher sozialen Widerspruchskonstellation das Geschlechterverhältnis zu verorten ist. Mit der vorgeschlagenen Vorgehensweise müßte sich herausarbeiten lassen, welche der oben skizzierten Dimensionen des Verhältnisses von Objektivität und Subjektivität ein marxistischer Strukturbegriff anspricht. Er verspricht ja Auskunft darüber zu geben, ob sich das Geschlechterverhältnis in einer so grundlegenden Widerspruchskonstellation bewegt, daß mit Recht von einer 'Strukturkategorie' gesprochen werden kann. Es macht einen Unterschied, ob sich eine soziale Widerspruchskonstellation in der Wissensproduktion artikuliert, d.h. im Verhältnis von Erkenntnissubjekt zum Gegenstand, die sich darin ausdrücken kann, daß sie in der abendländischen Kulturtradition ausschließlich von einem - dem männlichen - Geschlecht dominiert und hervorgebracht wurde, oder ob das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität sich auf die Dimension politischen Handlungsfähigkeit bezieht. D.h., auf die Frage, welche strukturellen Voraussetzungen dafür verantwortlich gemacht werden können, daß politische Partizipation von Geschlechterdifferenzen und -ungleichheiten durchzogen ist. Es kann sich herausstellen, daß eine übergreifende strukturelle Dynamik auf je unterschiedliche Weise in diese Sachverhalte eingreift, sie auf ihre Art 'bestimmt', wichtig ist jedoch, sich der Argumentationsebene und des Bezugspunktes sicher zu sein, um diese unterschiedlichen Ebenen des Verhältnisses von Objektivität und Subjektivität in der marxistischen und in der feministischen Forschung nicht miteinander zu verwechseln.
2.2 Die kritische Wendung des Materialismus-Postulats
Das Materialismus-Postulat der Frauenforschung knüpft an den von Marx formulierten Anspruch an, wissenschaftliche Erkenntnis habe am materialen Lebensprozeß anzusetzen. [5] Dieser nannte seinerzeit drei Voraussetzungen, damit Menschen ihre "Geschichte machen" können: erstens die Erzeugung von Lebensmitteln zur Bedürfnisbefriedigung, zweitens die Erzeugung neuer Bedürfnisse, drittens die Erzeugung neuen menschlichen Lebens. Die inzwischen viel zitierte Passage, die den historisch-materialistischen Erkenntnisanspruch der Frauenforschung begründet, lautet: "Die Produktion des Lebens, sowohl des eignen in der Arbeit wie des fremden in der Zeugung, erscheint nun sogleich als ein doppeltes Verhältnis einerseits als natürliches, andrerseits als gesellschaftliches Verhältnis gesellschaftlich in dem Sinne, als hierunter das Zusammenwirken mehrerer Individuen, gleichviel unter welchen Bedingungen, auf welche Weise und zu welchem Zweck, verstanden wird. Hieraus geht hervor, daß eine bestimmte Produktionsweise oder industrielle Stufe stets mit einer bestimmten Weise des Zusammenwirkens oder gesellschaftlichen Stufe vereinigt ist, und diese Weise des Zusammenwirkens ist selbst eine 'Produktivkraft', daß die Menge der den Menschen zugänglichen Produktivkräfte den gesellschaftlichen Zustand bedingt und also die 'Geschichte der Menschheit' stets im Zusammenhänge mit der Geschichte der Industrie und des Austausches studiert und bearbeitet werden muß" (Marx/ Engels 1845/46, S. 29 f.). Dieses - als vollständig bezeichnete - Materialismus-Postulat wird als Grundlage einer theoretischen Konzeptualisierung verstanden, die die unentgeltliche Frauenarbeit im Haushalt, die außerhalb des Marktes geleistet wird, als Bestandteil der Produktion von Lebens - Mitteln und die Gebärtätigkeit von Frauen als Bestandteil der Produktion von Leben, auszuweisen vermag.
Der analytische Vorteil dieser spezifischen Auffassung von Gesellschaft als Produktions- und Reproduktionszusammenhang dürfte darin bestehen, daß sich mit ihr Menschen analytisch in ihrer Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit begreifen lassen - ein Mangel, der durchgängig gesellschaftstheoretische Entwürfe kennzeichnet.
Dieses Materialismus-Postulat, von Marx im Frühwerk formuliert und von Engels in dessen "Ursprung der Familie ..." übernommen, wurde von einer Reihe von Frauenforscherinnen in die Marxsche Kapitaltheorie zu integrieren versucht. Die analytischen Schwierigkeiten mit dieser Theorie fingen an dieser Stelle allerdings erst an: Wie sollte sie mit einer Theorie umgehen, die ihren Ausgang nicht von der Produktion des Lebens, sondern vom Begriff der Ware nimmt? Daß hier überhaupt ein Problem vorlag, wurde möglicherweise nicht gesehen. Entweder stoppte an dieser Stelle die Marx-Rezeption der Frauenforschung und begründete einen spezifisch feministischen Materialismus unter Rückgriff auf die Marxschen Frühschriften oder, das war und ist die andere Variante, der in der Kapitaltheorie ausgearbeiteten Arbeitswerttheorie wurde das hinzugefügt, was ihr augenscheinlich fehlte: Die Hausarbeit und die Gebärtätigkeit von Frauen, gelegentlich auch Sexualität als gesellschaftlicher Unterdrückungszusammenhang. Der Korpus der Kapitaltheorie blieb auf diese Weise, trotz oder wegen der feministischen Ergänzungen, in seiner begrifflichen Logik unangetastet erhalten. Unabsichtlich und entgegen dem ausdrücklich formulierten Anliegen, geschlechtliche Arbeitsteilung einschließlich der gesellschaftlichen und individuellen Bedeutung von Mutterschaft als gesellschaftstheoretisch fundierten Arbeits- bzw. Produktionsbereich auszuweisen, verblieb die politisch-ökonomische Frauenforschung auf diese Weise im Kielwasser des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital, löste analytisch nicht wirklich das von ihr reklamierte Materialismus-Postulat ein. Die Konsequenzen dieses Sachverhalts waren in der Folgezeit nicht mehr erkennbar. Auf der ursprünglichen Grundlage waren bereits eigenständige Theoriegebäude errichtet worden, die beständig ausgebaut und verfeinert wurden. Die "Hausarbeitsdebatte" subsumierte damit unfreiwillig die außerhalb der Marktökonomie geleisteten Produktionen der kapitalistischen Mehrwertproduktion. Kontroversen bestanden allenfalls hinsichtlich der begrifflichen Relationen oder Verhältnisbestimmungen zwischen Hausarbeit und Mehrwertproduktion.
Das Verkennen der systematisch-begrifflichen Relevanz von theoretischen Konzeptualisierungen, deren eine die 'Produktion von Leben', deren andere die 'Produktion von Waren' zu ihrem jeweiligen Ausgangspunkt nimmt, dürfte eine Erkenntnissperre in der Theorieentwicklung der Frauenforschung bewirkt haben. Bezieht sich der Produktionsbegriff einer Theorie ausschließlich auf die Produktion von Waren, können gesellschaftliche Produktionen außerhalb dieser Sphäre, jedoch im Sinne des Materialismus-Postulats, nur noch als theoretisches 'Außenverhältnis' gedacht werden. Was die politisch-ökonomische Frauenforschung nicht sah: daß es sich bei ihren spezifischen Gegenstandsbezügen um gesellschaftliche Produktionsbereiche handelt, die zwar in einer funktionalen Abhängigkeit zur marktvermittelten Produktion stehen dürften, die aber dennoch (und auch das vermutlich völlig funktional) einen eigenständigen Bereich des Systems gesellschaftlicher Produktionen darstellen, für den die Bezugstheorie keinen Begriff besitzt. Er 'existiert' für sie ganz einfach nicht.
Logische Konsequenz ist eine analytische Suggestion: Daß kapitalistische Reproduktion mit jener von Gesamtgesellschaft, ihre Mitglieder eingeschlossen, identisch ist oder, anders noch, daß sich die kapitalistische und im engeren Sinne marktvermittelte Ökonomie in einem geschlossenen Kreislauf reproduziert. Diese Schlußfolgerung bietet sich notwendig an, wenn die materiale Grundlage einer kapitalistischen Gesellschaft in ihrer marktökonomischen Produktion und Reproduktion gesehen wird.
Das feministische Materialismus-Postulat klagt die Transzendierung dieses begrifflichen Zirkels ein. Wie er sich artikuliert, läßt sich zunächst nur auf der Ebene der Referenzstruktur der Theorie klären. Doch selbst dann, wenn eine Theorie bestimmte gesellschaftliche Sachverhalte nicht zur Kenntnis nimmt, sie historisch überholt sein mag, weil sie von vornherein Gesellschaft nur begrenzt in den Blick bekommt, heißt dies natürlich nicht, es gäbe diese Sachverhalte realiter nicht. Wenn dann allerdings immer noch auf der Erklärungskraft dieses spezifischen Theorems im Hinblick auf jene Sachverhalte bestanden wird, wird der Verdacht einer spätidealistischen Argumentation nicht von der Hand zu weisen sein, die Realität an einem Begriff mißt, der diese Realität gar nicht anerkennt.
Kommen wir noch einmal auf den Sachverhalt zurück, daß in einer Gesellschaft Kinder geboren werden und daß Frauen bestimmte Arbeitsleistungen erbringen, die nicht marktvermittelt sind und die deshalb den Bedingungen der Mehrwertproduktion augenscheinlich entzogen sind. Für die Bezugstheorie handelt es sich um Sachverhalte, die sie als 'gegeben' (und infolgedessen als nicht erklärungsbedürftig) annimmt. Das feministische Materialismus-Postulat enthält implizit die Fragestellung, ob die Theorie kapitalistischer Produktion und Reproduktion in der Lage ist, das vom Erklärungsanspruch Ausgenommene dennoch zu erklären. Ist sie in der Lage, den inneren Zusammenhang zweier, vielleicht auch dreier gesellschaftlicher 'Produktions'-Bereiche auszuweisen, die allesamt den im Marxschen Frühwerk spezifizierten materialen gesellschaftlichen Produktionen zugerechnet werden können? Eine solche Formulierung der Fragestellung an diese Theorie dürfte mit der Marxschen analytischen Systematik kompatibel sein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit läßt sich mit ihr aber auch der analytische Zugang zu einer materialistischen Subjekt- bzw. Sozialisationstheorie erschließen, ohne der Bezugstheorie eine gattungsgeschichtliche Wendung geben zu müssen, die sie enthistorisiert und die das Verhältnis der Geschlechter von vornherein ausspart.
Systematisch-analytisch hat die Unterscheidung zwischen verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher Produktion gravierende Konsequenzen für das marxistische Verständnis von 'gesellschaftlicher Totalität' in der Bedeutung von 'Zusammenhang' [6]. So spezifiziert Marx in dem Werk "Grundrisse(n) der Kritik der politischen Ökonomie" (1857/58) einen Totalitätsbegriff, der sich auf die Einheit von Produktion, Distribution, Austausch und Konsum erstreckt, ausgedrückt in der Dialektik von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit; 'Allgemeinheit' verstanden als eine der Produktion (ebd., S. 10 ff.). Diese Produktion ist bereits die des Warenkreislaufs, selbst wenn der Text noch relativ ahistorisch gefaßt ist. Marx versucht, den Produktionskreislauf als einen für jede historische Epoche unterschiedlichen darzustellen, dessen Grundbestandteile bereits feststehen: Produktion von Lebensmitteln, Produktion von Bedürfnissen; beide für die kapitalistische Produktionsweise vermittelt über Markt und Tausch. Dieses Verständnis von gesellschaftlicher Totalität als Produktionskreislauf (von Waren) findet übrigens auch in neueren Interpretationen seinen Niederschlag, bildet zumindest deren Kern. Ein auf der Marxschen Version der "Grundrisse" basierendes Totalitätsverständnis schließt infolgedessen definitorisch und von vornherein all jene gesellschaftlichen Produktionen als Elemente des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs aus, die nicht im Warenkreislauf erfaßt sind: Produktionen außerhalb des Marktes in Form von Arbeit und in Gestalt der generativen Reproduktion. Das unvollständig eingelöste Materialismus-Postulat der Marxschen Theorie taucht in der Gleichsetzung von 'marktvermittelter Produktion' mit 'gesellschaftlicher Totalität' in der Bedeutung ihrer materiellen Produktionen wieder auf und erweist sich an dieser Stelle in der Tat als ideologieträchtig.
Damit entfällt eine zentrale Voraussetzung für die Tragfähigkeit der Marxschen Theorie. Objektiv sind Aussagen ihr zufolge dann, wenn sie gesellschaftliche Phänomene in ihrem Verweisungskontext auf 'Produktionen' im Lohnarbeitsverhältnis ausweisen kann. Unterliegt jedoch bereits der dieser Auffassung zugrundeliegende Produktionsbegriff einer massiven Verkürzung, dann offenbart auch eine scheinbar objektive Aussage ihren objektivistischen Charakter, reduziert gesellschaftliche Sachverhalte 'in letzter Instanz' auf deren marktökonomischen Verweisungskontext. Dann aber ist es nur folgerichtig, wenn die marxistische Forschung in der generativen Reproduktion nichts anderes zu sehen vermag als die "Reproduktion von Arbeitskraft" und wenn die feministische ihr sogar folgt. Eine andere als diese Sichtweise erlaubt die begrifflich-systematische Ausführung der Theorie nicht - es sei denn, es gelänge, diese Begrenzung zu transzendieren.
Totalität in der Bedeutung gesamtgesellschaftlichen Zusammenhanges läßt sich infolgedessen nicht länger als die eines ausschließlich markt- und kapitalvermittelten Produktions- und Reproduktionskreislaufes begreifen. Damit erhebt sich die Frage, welche Stellung (und Funktion) diesem Begriff innerhalb eines erweiterten und genuin gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionszusammenhangs zukommt: was wird aus der These einer letztinstanzlichen Dominanz der Ökonomie als Bestimmungsfaktor sozialen Wandels, was aus der an ein traditionelles Verständnis von 'Totalität' gebundenen Werttheorie?
Engels formulierte noch 1884, Jahre nach dem Erscheinen des Marxschen Hauptwerkes, im Vorwort zu "Ursprung der Familie..." eine Position, die eine letztinstanzliche Bestimmung keineswegs nur in der marktvermittelten Ökonomie verortete:
"Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen, andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie. ..."
(Engels 1884, S. 27f.). Engels (und mit ihm der Marx der Frühschriften) beim Wort genommen bedeutet diese Auffassung, das gesellschaftliche Dynamik sich aus mehreren Quellen speist. Mag er noch 'Arbeit' der 'Familie' gegenüberstellen, letztere mit dem Geschlechterverhältnis identifizieren und diese noch dazu als arbeitsfreien Bereich betrachten - die 'letzte Instanz', hochumstritten in der marxistischen Forschung der vergangenen Jahrzehnte, läßt sich offensichtlich auch anders denken. So ist Balibar, stets um eine sinngetreue Interpretation von Marx und Engels bemüht, diese Möglichkeit keineswegs entgangen. Mit sichtlicher Irritation bemerkte er über diese Passage:
"Ein merkwürdiger Text! Er jongliert nicht nur ohne jede Zurückhaltung mit dem Begriff der Produktion, sondern zwingt auch dazu, auf Verwandtschaftsformen, die als gesellschaftliche Beziehungen zum Zwecke der Fortpflanzung dargestellt werden, das technologische Modell von der Entwicklung der Produktivkräfte anzuwenden ..." (Althusser/Balibar 1972, S. 300). In der Tat und doch für einen Marxisten absolut undenkbar. Der Begriff der Produktivkraftentwicklung bezieht sich beim frühen Marx keineswegs nur auf ein technologisches Modell". Nach der Engelsschen Version läßt sich Reproduktion in der Bedeutung der generativ-familialen und häuslichen Reproduktion ohne weiteres als materialer Bestandteil dessen interpretieren, was die marxistische Theorie üblicherweise mit dem Terminus 'Basis' belegt. Sie ließe sich dann als Strukturelement begreifen, weiterhin unterläge sie analytisch eigenständigen Wandlungsprozessen, die nicht die einer kapitalistischen Marktökonomie sind, wohl aber in einem Zusammenhang mit ihr stehen. Ausweisen ließen sich auf diese Weise mögliche Interdependenzen zwischen dieser und Bevölkerungswachstum bis hin zu reproduktionstechnologischen Entwicklungen wie bei Mutterschaft und Gentechnologie. Solche Interdependenzen würden aber auch denkbar für den Bereich der nicht marktvermittelnden Ökonomie. Als Bestandteil von 'gesellschaftlicher Basis' begriffen böte sich die Annahme an, daß deren jeweiliger Umfang, auch das Ausmaß der in beiden 'Ökonomien' vergesellschafteten Individuen, einer historischen Dynamik unterliegt, die keineswegs ausschließlich die einer marktvermittelten Ökonomie sein muß. Möglicherweise laufen diese Überlegungen auf eine Sichtweise hinaus, die den Marxschen Grundgedanken einer 'Totalität' von Vergesellschaftungen erhält, obwohl seine Reichweite das Geschlechterverhältnis ausspart. Er würde dann einer inneren Ausdifferenzierung bedürfen: nämlich dann, wenn sich nachweisen läßt, daß auch der generative Bestandserhalt und nicht marktlich vermittelte Arbeitsformen in Abhängigkeit vom Lohnarbeitsverhältnis stehen. Das behaupten die Marxsche Theorie und die marxistische Forschung ohnehin. Die Differenz zu der hier in Betracht gezogenen Möglichkeit: daß sie eine solche - theorieimmanent sicherlich begründete - Behauptung aufstellt, ohne kategorial-begrifflich der Eigendynamik dieses Bedingungsgefüges nachzugehen. Wenn zuträfe, daß außermarktliche soziale Dynamik als beständiger 'Input' kapitalistische Produktion und Verwertung erst ermöglichen und gewährleisten, dann läßt sich auch die Geltung der These in Zweifel ziehen, daß hier ein Determinationsverhältnis vorliegt. Die marxistische Berufung auf die Letztinstanzlichkeit einer solchen Determinationsbeziehung stellte dann nichts anderes als ein theoretisches Schlupfloch dar für das Unbegriffene und zugleich ahnungsvoll Wahrgenommene.
Das feministische Materialismus-Postulat stellt die Geltung zweier konzeptioneller Grundaussagen der Marxschen Theorie infrage: die des Basis-Überbau-Theorems, indem es den Basisbegriff als unzulänglich deklariert, und die des Verhältnisses von Objektivität und Subjektivität, indem es die Geschlechtlichkeit und Leiblichkeit von Individuen akzentuiert. Diese Annahme gilt zumindest für die Vermutung der Existenz geschlechtsspezifischer Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen, die in ihrer Subjektivität wiederum soziale Wirklichkeit und damit auch 'Objektivität' erkennen, gestalten, transformieren. Der innere Zusammenhang beider Kritiken: Wenn die Frauenforschung die generative Reproduktion und die mit ihr verbundenen Arbeitsleistungen als Element der gesellschaftlichen 'Basis' reklamiert, begreift sie folgerichtig Individuen in ihrer Leiblich- und Geschlechtlichkeit als deren Bestandteil. Die implizite Kritik am marxistischen Verständnis von Objektivität und Subjektivität, das der Geschlechtsspezifik ja keinen eigenständigen Stellenwert einräumt, nimmt infolgedessen die Kritik am Basis-Überbau-Theorem und seiner theoretischen Reichweite auf, wendet sie aber noch einmal erkenntnistheoretisch innerhalb der Vermutung, daß die Geschlechtsspezifik von Erkenntnisprozessen für diese inhaltlich systematische Ausblendung verantwortlich ist.
Beide Kriterien stehen in innerem Zusammenhang mit dem marxistischen Verständnis von Totalität und können als implizite Kritik dieses Konzeptes gelesen werden. Ein Totalitätsbegriff, der die feministische Kritik aufzunehmen imstande wäre, müßte ausweisen können, ob außermarktliche Vergesellschaftungen dennoch den durch das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital gesetzten Bedingungen unterliegen bzw., ob und inwiefern hier Eigenlogiken zur Geltung kommen, die nicht die des Kapitalverhältnisses sind. Erst Klärungen dieser Art ermöglichen begründete Aussagen über die Reichweite genuin kapitalistischer Vergesellschaftungen. Klärungsbedürftig wäre dann vor allem, ob ein reformuliertes Verständnis von 'gesellschaftlicher Basis' die Tragfähigkeit des marxistischen Totalitätsbegriffs tangiert.
2.3 Gesellschaftliche Totalität als Widerspruchsstruktur
Der Mainstream der bundesdeutschen Frauenforschung reklamiert für sich den sozialphilosophisch fundierten Vernunftbegriff der älteren Kritischen Theorie von Adorno. Bisher fehlen Untersuchungen darüber, ob sich Adornos Verständnis von gesellschaftlicher Totalität überhaupt zur Präzisierung des feministischen Anliegens eignet; innerhalb der hier verfolgten Fragestellung, ob sich mit ihm das Materialismus-Postulat in eine begrifflich analytische Form bringen läßt und zur Verortung des Geschlechterverhältnisses in seiner objektiv-gesellschaftlichen Verankerung beiträgt [7]. Zwei Gründe sprechen gegen diese Möglichkeit, in einer früheren Veröffentlichung hatte ich sie selbst als tragfähig in Betracht gezogen (Beer 1987b). Adorno sieht das zusammenhangstiftende Prinzip kapitalistischer Vergesellschaftung nicht in materialen Produktionen, die über das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital gestiftet werden, sondern im Tausch, in der Sphäre der Zirkulation. Individuen stehen sich ihm zufolge vor allem als Tauschende gegenüber (vgl. Adorno 1973, S. 33 [8] ). Spezifische Entwicklungslogiken, die nicht die des Tauschs von Waren sind, lassen sich mit dieser Konzeption nicht in den Blick nehmen. Für die Frauenforschung besitzt diese Feststellung hohe Relevanz, da sozio-ökonomische Ungleichheit im Geschlechterverhältnis ja auf einem tendenziellen Ausschluß der Frauen vom Warentausch im Sinne der warenförmigen Verwertung ihrer Arbeitskraft beruht. Ebensowenig lassen sich (re-)generative Produktionen unter den Tauschbegriff subsumieren, das feministische Materialismus-Postulat betont demgegenüber den materialproduktiven Charakter der Gebärtätigkeit von Frauen. Ein zweiter Einwand: Adornos Marx-Rezeption, seine Auffassung von kapitalistischer Vergesellschaftung, sind von geschichtsphilosophischen und gattungsgeschichtlichen Implikaten durchzogen (vgl. hierzu Beier 1977, S. 79).
Den Bezugspunkt 'Marxsche Frühschriften' teilt die Frauenforschung zwar mit der Kritischen Theorie Adornos, aber eben mit dem Unterschied, daß aus ihm eine sozialwissenschaftliche Theorie geschlechtsspezifischer Vergesellschaftungen gewonnen werden soll, nach der hier vertretenen Auffassung zugleich einer historisch-empirischen Überprüfung zugänglich.
Mit Adornos Totalitätsverständnis können diese Vergesellschaftungen nicht in ihrer historischen Spezifik, in der an das Kapitalverhältnis gebundenen Dimension, gedacht werden. Seine Theorie sperrt sich aufgrund ihres gattungsgeschichtlichen Bezugspunkts nicht allein gegen eine solche historische Verortung, sondern zugleich auch gegen jegliche Operationalisierung. Die bekannteste Weiterentwicklung der Kritischen Theorie, die Habermassche Variante, wird in die vorliegende Untersuchung nicht aufgenommen. Folgende Gründe sprechen gegen ihre Tragfähigkeit: Habermas schottete seine Theorie bereits in den 60er Jahren systematisch gegen die Aufnahme der Geschlechterproblematik ab (vgl. Beer 1984a). Im Rückgriff auf Hegels Frühwerk verlor seine Marx-Interpretation jeglichen politisch - ökonomischen Akzent; die Gesellschaftstheorie der Frauenforschung hat denn auch nicht versucht, Habermas für sich nutzbar zu machen (vgl. Schmidt - Waldherr 1985, Kulke 1985, Hauser 1987). Die gattungsgeschichtliche Wendung seiner früheren und die kommunikationstheoretische Wendung seiner neueren Schriften läßt es, in Verbindung mit den oben genannten Einwänden, wenig aussichtsreich erscheinen, mit Hilfe seiner Theorie die Fragestellungen der vorliegenden Untersuchung beantworten zu können (vgl. Habermas 1969, 1976, 1981). Die Frankfurter Schule hat jedoch mehrere Versionen von Gesellschaft als Totalität hervorgebracht; neben der älteren von Adorno zwei jüngere von Ritsert und Brandt, bei letzterem in Anschluß an Arnason. Bei ihr handelt es sich um die zeitlich jüngste und nur in groben Zügen ausgearbeitete Version. Für die Ritsertsche Variante können ähnliche Vorbehalte wie gegenüber Adorno geltend gemacht werden, obwohl er, anders als jener, werttheoretisch, d.h. politisch-ökonomisch argumentiert.
Einwände ihr gegenüber stützen sich in einer Reihe von Punkten ebenfalls auf die Studie von Beier (1977). Im Hinblick auf das feministische Anliegen sprechen mindestens zwei Gründe gegen die Aufnahme von Ritserts Totalitätsbegriff. Sein Ansatz erlaubt ein gewisses Variationsspektrum der Theorie für Erweiterungen und Veränderungen. Er hält an der Geltung der Werttheorie fest, weil industrialisierte Gegenwartsgesellschaften nach wie vor als Klassengesellschaften begriffen werden können (Ritsert 1973, ebenso 1987). Diese 'Kernstruktur' wird bei ihm aber immer nur über die Kernstruktur als solche identifiziert, sie gibt den Zugang zur gesellschaftlichen Wirklichkeit vor (Beier 1977, S. 117). Die werttheoretische Begründung seines Totalitätsverständnisses sperrt sich damit aber auch gegen die Aufnahme des feministischen Materialismus-Postulats.
Dieser erste Einwand wird durch einen zweiten ergänzt, mit dem er das Verhältnis von Struktur und Handlung anspricht. Ritsert nimmt an, das Alltagsverständnis gesellschaftlich handelnder Subjekte sei schon immer durch zumindest rudimentäre Elemente oder Vorgriffe auf diese Kernvorstellung geprägt. Damit läßt sich diese spezifische Dimension des Verhältnisses von Subjektivität und Objektivität, vom Autor zugleich in die Vermittlungsproblematik von Theorie und Empirie eingebettet, nur als klassenspezifische, als mehr oder minder ausgeprägtes 'Klassenbewußtsein' interpretieren. Ein Alltagsbewußtsein, das sich auf geschlechtsspezifische Unterdrückungserfahrungen gründet, kann in dieser Theorie logisch-systematisch nur noch unter 'notwendig falschem' Bewußtsein figurieren. Auch dieser spezifische analytische Zirkel ist nicht transzendierbar, wenn und weil die Kernstruktur nur über sich selbst identifiziert wird.
Demgegenüber soll hier die dritte Frankfurter Version von Totalität, wie sie in der industriesoziologischen, subsumtionstheoretischen Lesart der Marxschen Theorie enthalten ist, näher untersucht werden. In der von Brandt vertretenen Version grenzt sie sich dezidiert von geschichtsphilosophischen und gattungsgeschichtlichen Interpretationsmustern ab und verfolgt eine sozialwissenschaftliche Perspektive in historisch-empirischer Absicht (vgl. Brandt 1984, Schumm 1989). Diese Ablehnung der Geschichtsphilosophie wird von Arnason, dem Autor der subsumtionstheoretischen Lesart Marx', nicht geteilt (vgl. Arnason 1976, 1988). Die Brandtsche Position birgt Risiken: Wie Ritsert sucht Brandt das Verhältnis von Theoriebildung und empirischer Überprüfbarkeit zu klären, strebt eine Operationalisierung der Theorie jedoch unter Aufgabe geschichtsphilosophischer Implikate an, d.h. von bewußtseinsphilosophischen Argumentationsmustern, die eine sozialwissenschaftliche Sicht auf kapitalistische Vergesellschaftung blockieren mögen. Der Erfolg dieser Strategie hängt davon ab, solche Gehalte selbst in begrifflich-kategorial stringenten politisch-ökonomischen Aussagen auffinden und sozialwissenschaftlich reformulieren zu können. Bleiben sie unerkannt, werden sie unabsichtlich mitgeschleppt und können Reformulierungsversuche der Theorie immanent unterlaufen. Die Distanz gegenüber geschichtsphilosophischen Gehalten der Marxschen Theorie gilt auch für eine weitere Lesart von gesellschaftlicher Totalität, wie von Althusser im Begriff der 'komplexen Struktur' entwickelt. Sie liegt der Marx-Interpretation der internationalen, insbesondere der englischen Frauenforschung zugrunde, in der Bundesrepublik wird sie von der Argument-Frauenforschungsgruppe aufgenommen. Auch sie wird im folgenden auf die Brauchbarkeit ihrer Strukturkonzeption überprüft.
Vom industriesoziologischen Subsumtionstheorem und der mit ihm verfolgten Absicht unterscheidet sich diese Totalitätskonzeption dadurch, daß sie sich gegenüber der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Operationalisierung der Theorie für historisch-empirische Forschung indifferent verhält. Sie betont demgegenüber das Praxis-Postulat in der Bedeutung politischer Handlungsrelevanz. Diese Dimension besitzt wiederum in der Frankfurter Variante des Subsumtionstheorems eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung. Vom wissenschaftlichen Anliegen her betrachtet, entfernt sie sich am weitesten von der originären Marxschen Theorie; sie löst mit der Aufgabe des Praxispostulats als Wahrheitskriterium der Theorie diese zugleich von ihrem innertheoretischen Fundament ab. Diese Hinweise deuten bereits die Richtung der Analyse der beiden letztgenannten Totalitätskonzeptionen an. Sie soll Anhaltspunkte für einen Theorieentwurf zur Verfügung stellen, der die Fallstricke einer geschichtsphilosophischen Enthistorisierung und voreiligen Universalisierung des Geschlechterverhältnisses vermeidet und sich demgegenüber auf dem sozialwissenschaftlich sicheren Boden einer historisch-empirischen Überprüfbarkeit von Aussagen bewegt. Das Praxis-Postulat soll jedoch nicht aufgegeben, sondern von seinen geschichtsphilosophisch-revolutionstheoretischen Bezügen befreit werden.
2.3.1 Konkrete Totalität im Subsumtionsmodell
Das von der Brandtschen Version der Kritischen Theorie in Anspruch genommene "Subsumtionsmodell" bezeichnet eine spezifische Lesart der Marxschen Theorie; von Arnason, der diesen Begriff geprägt hat, unterschieden vom "Produktionsmodell". Beiden Lesarten, so der Autor, "liegt ein bestimmtes Verständnis vom Doppelcharakter der Arbeit, bzw. des Begriffs der abstrakten Arbeit, zugrunde" (Arnason 1976, S. 200). Das Produktionsmodell rekurriert auf eine Interpretation von Arbeit als entfremdeter im Anschluß an die Marxschen Frühschriften, verstanden als universales Gattungsmerkmal, als Ausdruck des Stoffwechsels des Menschen mit der Natur; in dieser spezifischen Argumentationsfigur ist es rückgebunden an die Marxsche Revolutionstheorie. Aus industriesoziologischer Perspektive sind in diesem Modell drei zentrale Vorentscheidung für die Richtung, die Forschung einzunehmen habe, angelegt: Erstens die Bevorzugung der Analyse der industriellen Produktion mit der Industriearbeiterschaft als Verkörperung des 'industriellen Gesamtarbeiters', zweitens die Thematisierung des Arbeiterbewußtseins besonders im Kontext der unmittelbaren Arbeitserfahrung, drittens die Auffassung, daß der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital besonders in seinen organisierten Formen zum vorrangigen Forschungsthema erhoben wird (Brandt 1984, S. 206).
Der Vorzug des Subsumtionsmodells bestehe demgegenüber darin, daß die abstrakte Arbeit in ihm als historische (und nicht als gattungsgeschichtliche) Kategorie gesehen wird. "Bedeutsam ist diese historische Präzisierung für das Problem kapitalistischer Vergesellschaftung insofern, als die abstrakte Arbeit damit nicht mehr als Ursache oder gar als - wenn auch unbewußtes - Subjekt, sondern allenfalls als Moment von Vergesellschaftungsprozessen begriffen werden kann, die die menschliche Arbeit einschließen, zugleich aber auch übersteigen und überformen" (ebd., S. 208). Verwiesen sei in dieser Lesart auf die Realabstraktion des Tausches als einer historischen Form der Vergesellschaftung bzw. der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit. Arnason hat jüngst, unter Hinweis auf Brandts Verwendung des Subsumtionsmodells, noch einmal präzisiert, worin er selbst die besondere Leistungsfähigkeit dieser Lesart Marx' sieht: "Das Produktionsmodell ist eine abgeleitete und restriktiv angelegte Form des (Marxschen, UB) Produktionsparadigmas, während das Subsumtionsmodell zunächst im Rahmen des Produktionsparadigmas formuliert werden kann, aber letzten Endes auf eine Revision des letzteren und auf eine Aufwertung politischer und kultureller Determinanten hinauslaufen würde" (Arnason 1988, S. 313, meine Hervorh.). Diesem Autor geht es, wie er an anderer Stelle hervorhebt (ebd., S. 13 ff.), um eine Transformation des marxistischen Basis-Überbau-Schemas, d.h. unter anderem um ein elaborierteres Verständnis des Verhältnisses von "Arbeit" und "Politik", wie etwa auch von Naschold (1985), obwohl unter anderen theoretischen Vorzeichen, reklamiert [9]. Mit der Kritik am traditionellen Basis-Überbau-Schema ließe sich von einer Übereinstimmung zwischen dem von Arnason, im Anschluß an ihn von Brandt und dem hier verfolgten Anliegen sprechen.
Eine spezifische Zäsur läßt sich jedoch bereits an dieser Stelle festhalten. Die mit dem Subsumtionsmodell angestrebte Transformation des Basis-Überbau-Schemas wird hier noch einmal angehalten bzw. in eine andere Richtung gelenkt, indem zunächst das auch diesem Modell innewohnende Verständnis von "Basis" auf seine Implikationen hin untersucht wird. Brandts Interesse gilt vorrangig der Auflösung tradierter industriesoziologischer Festlegungen, wenn er im Anschluß an Arnason argumentiert: "Kapitalistische Vergesellschaftung stellt sich damit (mit dem Subsumtionsmodell, UB), anders als im Produktionsparadigma vorausgesetzt, nicht als Erzeugung gesellschaftlicher Wirklichkeit durch Arbeit oder als Vergesellschaftung durch Arbeit dar, sondern als Subsumtion aller Lebensbedingungen (darunter auch die gesellschaftliche Arbeit) unter die im Wertverhältnis zusammengezogenen Erfordernisse kapitalistischer Gesellschaftsorganisation, als Vergesellschaftung durch Abstraktion" (Brandt 1984, S. 209, meine Hervorh.). Die subsumtionstheoretische Lesart Marx' trifft mit dieser Auffassung eine Vorentscheidung, die sich als zutreffend herausstellen kann, jedoch nicht notwendig muß: Die 'Lebensbedingungen', die in dieser Theorie angesprochen sind, schlössen zweifellos den nichtmarktlich vermittelten Lebensbereich von Frauen und Männern und die im weitesten Sinne generative Bestandssicherung ein.
Das Wertverhältnis, legt es sich tatsächlich gleichsam netzartig über alles Soziale, würde dann auch diesen spezifischen 'Lebensbedingungen' seinen Stempel aufdrücken. Neuendorff (1989) hat kürzlich noch einmal bezweifelt, daß das Subsumtionstheorem diesen Nachweis zu erbringen vermag. Es sei kaum geeignet, die "soziokulturellen Milieus der jeweiligen Lebenszusammenhänge" aufzunehmen (ebd., S. 61). Dieser Kritik ist in dem Sinne zuzustimmen, als sie sich auf die traditionelle Fassung des Basis-Überbau-Theorems beruft. Auch dieses Modell basiert auf einem ökonomistischen Verständnis von 'gesellschaftlicher Basis', mit dem das Geschlechterverhältnis, verdünnt zu Geschlechterbeziehungen, in Gestalt der Familie und von 'Milieus' im gesellschaftlichen 'Überbau' verortet wird. Nach subsumtionstheoretischer Logik müßten die vom Markt ausgenommenen und ausgeschlossenen 'Produktionen' der Geschlechter - unentgeltliche Arbeit und generative Leistungen - jedoch selbst dann kapitalistischer Verwertungslogik unterworfen sein oder zu einer solchen 'Subsumtion' tendieren, würden sie als Element der materialen, sozialen Basis gesehen - eine Möglichkeit, die die traditionelle Interpretation des Theorems nicht in Betracht zieht. D.h., eine andere als die geläufige Anordnung im Begriffsgefüge der Bezugstheorie relativiert nicht die zentrale Aussage des Subsumtionstheorems; läßt allerdings noch keine Schlußfolgerungen zu hinsichtlich der kulturellen Überformung dieser 'Lebensbedingungen'. Spezifisch kapitalistische Vergesellschaftungsformen sind nicht unbedingt identisch mit kulturellen Mustern, hierin ist Neuendorff zuzustimmen, stehen aber gleichwohl in Zusammenhang mit ihnen. Das eigentliche Problem des Subsumtionstheorems liegt in der Annahme, daß das Wertverhältnis mit den 'Basisverhältnissen' nach dessen Lesart identisch ist, 'Kultur' damit logisch stimmig nur als Ausfluß der Existenz einer Marktökonomie verstanden werden kann. Reproduktive und generative außermarktliche - Produktionen entziehen sich dieser Gleichsetzung und Ableitungslogik; das feministische Rearrangement von Basis und Überbau unterläuft vollständig das marxistische Verständnis von der Existenz einer (markt)ökonomischen Basis und eines kulturellen Überbaus.
Deutet das Subsumtionstheorem die Möglichkeit einer Öffnung tradierter marxistischer Festlegungen an, wäre dennoch zu überprüfen, inwieweit nicht andere Schlußfolgerungen Arnasons, nach der hier vertretenen Auffassung 'ökonomistisch' inspiriert, zur Interpretation eines erweiterten Verständnisses von gesellschaftlicher Basis herangezogen werden können. Zwei seiner Überlegungen scheinen hier bedeutsam. Zum einen betont er den reziproken Charakter von Vergesellschaftungen: "Die gegen das Produktionsmodell gerichtete Betonung des gesellschaftlichen Kontextes muß nicht ... dazu führen", so Arnason, "daß der Primat der Arbeit einfach durch denjenigen des Tauschs ersetzt und der Begriff der abstrakten Arbeit als unnütze metaphysische Zutat eliminiert wird; es handelt sich u.E. nicht um einen absoluten Primat von Arbeit oder Gesellschaft, sondern um eine Wechselbeziehung, die beiden Bereichen spezifische strukturelle und prozessuale Bestimmungen aufprägt und mit einem abwechselnden relativen Vorrang vereinbar ist (Arnason 1976, S. 205f.). Zum anderen akzentuiert er innerhalb seines Verständnisses von gesellschaftlicher Totalität den Aspekt einer strukturellen Trennung 'eigentlich' zusammengehöriger sozialer Sachverhalte: Arnasons Verständnis von gesellschaftlicher Totalität bezieht sich, hier analog Ritsert, auf das Kapitalverhältnis, allerdings im Unterschied zu diesem als einer "im Wertverhältnis angelegte(n) reelle(n) Logik der Abstraktion, die im Kapitalverhältnis zu einer weltgeschichtlichen Dynamik wird" (Arnason 1976, S. 216). "Konkrete Totalität", in der Terminologie Amasons, bezeichnet eine gegensätzliche Synthese von Arbeit und Gesellschaft, "die den Funktionszusammenhang durch strukturelle Trennung vermittelt und die unmittelbare Determinierung des Produktionsprozesses auf ein System von Abstraktionen verlagert, zu dem die abstrakte Arbeit als konstitutives Moment gehört, nicht aber als genetisches Prius des Ganzen (ebd., S. 217). Voraussetzung für diese Betrachtungsweise ist die strukturelle Verbindung von drei Prozessen; sie zusammengenommen bilden den Kern des Kapitalverhältnisses: Arnason differenziert zwischen dem Austausch zwischen Kapital und Arbeit. Gemeint ist die in der Zirkulationssphäre hergestellte formelle Verbindung von objektiven und subjektiven Produktionsbedingungen. Hiervon unterscheidet er die reelle Aneignung der Arbeit durch das Kapital im Produktionsverhältnis. Im Anschluß an Marx handelt es sich um quantitativ verschiedene und selbst entgegengesetzte Prozesse" (Marx 1857/58, S. 185). Hinzukommt die Verweilung durch die Rückkehr in die Zirkulationssphäre, auch hier im Anschluß an Marx: "Das Kapital als auf der Lohnarbeit beruhende Produktion setzt die Zirkulation als notwendige Bedingung und Moment der ganzen Bewegung voraus" (ebd., S. 309).
Nach Arnason bilden diese drei Prozesse zusammengenommen eine Totalität, "die besonderen Erscheinungsformen des Kapitals übergeordnet ist und seine historische Rolle in positiver und negativer Hinsicht bestimmt" (Arnason 1976, S. 216). Arnason zielt mit dieser Argumentationsfigur explizit auf die dem Kapitalverhältnis innewohnende Tendenz zur Herstellung eines Weltmarktes und auf die Notwendigkeit der Kapitalverwertung, die Zirkulationssphäre (als Endstadium der Verwertung) beständig auszudehnen, zu erweitern - eine Dimension, die das Totalitätsverständnis von Adorno und Ritsert nicht enthält. Zu klären bliebe, welche Auswirkungen die beiden obigen Annahmen und Aussagen auf ein reformuliertes Verständnis von 'Basis' hätten: Welchem Wechselverhältnis unterlägen (außermarktliche) Arbeit und Fortpflanzung im Zusammenhang eines Systems (gesellschaftlicher) Abstraktionen; wäre im Falle des Nachweises eines solchen Zusammenhangs 'Totalität' als zusammenhangstiftendes Prinzip noch immer die einer kapitalistischen Verwertungslogik? Müßte nicht vielleicht unterschieden werden zwischen dem inneren Zusammenhang von Gesamtgesellschaft, dem einer kapitalistischen Vergesellschaftung und der Vermittlung beider?
Zu klären bliebe weiterhin, ob die beabsichtigte Reformulierung des Basisbegriffs nicht gleichzeitig ein zentrales Problem des Subsumtionstheorems einer Lösung zugänglich macht, das bisher noch gar nicht angesprochen wurde: das der Operationalisierung der Theorie für historischempirische Forschungen. Denn die 'Lebensbedingungen', die zur Diskussion stehen, mögen zwar einer abstrakt-gesellschaftlichen Vermittlung unterliegen, sind ihrerseits jedoch alles andere als 'abstrakt': Sie betreffen konkrete Individuen, Frauen und Männer als Realsubjekte [10] und nicht lediglich abstrakte Arbeitskraft als Akkumulations- und Verwertungsbedingung von Kapital. Hier könnte sich im übrigen eine erste Öffnung zur Analyse des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft andeuten, deren Voraussetzung eben darin bestünde, diese Individuen oder Realsubjekte aus Überbauhöhen in die bodenständigeren Bereiche der materialen Basis zu holen.
2.3.2 Strukturale Komplexität
Althusser entwickelt sein Verständnis von Totalität in strikter Ablehnung geschichtsphilosophischer Implikate; von ihm stammt letztlich der analytische Korpus der gegen die Kritische Theorie vorgebrachten Einwände. Sie verdanken sich seiner langjährigen methodologischen Auseinandersetzung mit den theoretischen Korrespondenzen und Nicht-Korrespondenzen zwischen Marx und Hegel. Althusser bezieht sein Verständnis von Totalität, dezidiert in seinen frühen Veröffentlichungen, auf 'Gesamtgesellschaft', die er nicht gleichsetzt mit der 'komplexen Totalität' im Produktionsprozeß von Waren (Althusser/Balibar 1972, S. 287 [11]). Obwohl sich die internationale politisch-ökonomische Theoriebildung der Frauenforschung von Anfang an stark an der Marx-Interpretation der Althusser-Schule orientierte, befaßte sie sich nicht mit deren metatheoretischen Voraussetzungen [12].
Die Bedeutung, die Althussers Marx-Rezeption und -Interpretation innerhalb eines Rekurses auf dessen metatheoretische Überlegungen für die Frauenforschung zukommen könnte, gründet zunächst auf Überlegungen zu dem von ihm entwickelten Konzept einer "symptomatischen Lektüre" der Marxschen und Engelsschen Texte. Er systematisiert mit diesem Konzept die These eines wissenschaftstheoretischen Bruchs ("Terrainwechsel") im Marxschen und Engelsschen Werk, mit dem vor allem ersterer den von Hegel vorgezeichneten Erkenntnispfad verläßt und eine "neue Wissenschaft" begründet, Althusser bezeichnet sie als "Wissenschaft von der Geschichte". Die eigene Aufgabe sieht er darin, die impliziten Voraussetzungen sichtbar zu machen, die über das von Marx explizierte Selbstverständnis hinausweisen: Dieser, so die These, habe völlig neuartige Probleme gedacht, für deren Präzisierung ihm allerdings noch die Begriffe fehlten, um dieses Neue und von der idealistischen Philosophie Unterschiedene ausdrücken zu können: "Die Wissenschaft kann jedes Problem nur auf dem Terrain und vor dem Horizont einer bestimmten theoretischen Struktur - ihrer sogenannten Problematik - stellen; diese bildet die absolute Bedingung einer bestimmten Möglichkeit und folglich die absolute Bestimmung der Formen, unter denen ein Problem in einem bestimmten Stadium der Wissenschaft gestellt wird. ... Sichtbar ist jedes Objekt oder Problem, das auf dem Terrain oder im Horizont, d.h. auf dem - von der theoretischen Problematik einer gegebenen theoretischen Disziplin bestimmten - strukturierten Feld situiert ist. ... Das Sehen eines Objektes ist dann nicht mehr die Leistung eines individuellen Subjektes, das mit der Fähigkeit des 'Sehens' ausgestattet wäre und von dieser Fähigkeit in Augenblicken der Aufmerksamkeit wie in solchen der Zerstreutheit Gebrauch macht; das Sehen ist der Ausdruck seiner strukturalen Bedingungen, die auf dem Feld einer Problematik immanente Reflexion seiner Objekte und Probleme" (ebd., S. 28.)
Mit dieser Auffassung macht Althusser nicht das Individuum Marx für das Fehlen einer angemessenen Begrifflichkeit des Neuen, das er dachte, verantwortlich, wie es in dessen Frühwerk zu beobachten ist: "Genaugenommen sieht nicht mehr das Auge ... eines Subjektes das, was auf dem vor einer theoretischen Problematik bestimmten Feld erscheint: in den Objekten oder Problemen, die es bestimmt, sieht vielmehr dieses Feld sich selbst: Sehen ist also nichts anderes als die notwendige Reflexion der Objekte durch ihr Feld" (ebd., S. 28). Unter methodologischen Gesichtspunkten handelt es sich bei diesem Argument um die strukturtheoretische 'Übersetzung' einer der Hegelschen Logik stark verpflichteten Formbestimmung Marx', von letzterem im Begriffspaar Wesen/Erscheinung konzipiert: "Und es sind diese fertigen Verhältnisse und Formen, die in der wirklichen Produktion als Voraussetzungen erscheinen, weil die kapitalistische Produktionsweise sich in den von ihr selbst geschaffnen Gestalten bewegt und diese, ihr Resultat, im Prozeß der Reproduktion, ihr ebensosehr als fertige Voraussetzungen gegenübertreten. Als solche bestimmen sie praktisch das Tun und Treiben der einzelnen Kapitalisten etc., geben die Motive her, wie sie als solche sich in ihrem Bewußtsein widerspiegeln" (Marx 1892/63, S. 476). "Sehen" steht bei Althusser für "Tun und Treiben", "Motive" und "Bewußtsein" im Marx-Zitat - aber es "sieht" nicht ein Subjekt, sondern "die Sache" (Adorno) als "Feld" (Althusser) sieht sich selbst. [13] Althusser entwickelt letztlich zwei voneinander zu unterscheidende Strukturbegriffe: erstens einen Begriff der theoretischen Struktur, mit dem sich erst eine Gesellschaftsstruktur angemessen denken läßt. Dieser erste Strukturbegriff wirft neues Licht auf ein erkenntnistheoretisches Problem der Frauenforschung.
Reformuliert man Althussers Position um und argumentiert, daß es immer Individuen sind, die etwas 'sehen', läßt sich analog folgender Gedankengang entwickeln: Für das, was die Frauenforschung, ihre Vertreterinnen an Neuem und Unbegriffenem denken wollten, fehlten ihnen, wie dem jungen Marx, ganz einfach die angemessenen Begriffe. Sie wurden wie dieser immer wieder aufs Neue auf die vorhandene Begrifflichkeit zurückgestoßen, deren Geltung zugleich von der orthodox-marxistischen Linken mit Vehemenz verteidigt wurde. Wenn es ihnen darum ging, das Unsichtbare eines sichtbaren (theoretischen) Feldes aus seinem Schattendasein herauszuholen - in besonderem Maße gilt das für die Hausarbeitsdebatte - dann ist, Althusser zufolge, dieses Unsichtbare schon immer vorgeprägt durch das Sichtbare: "Es erstreckt sich auf eine notwendige, aber unsichtbare Relation zwischen dem Feld des Sichtbaren und dem Feld des Unsichtbaren, eine Relation, welche die Notwendigkeit des dem Unsichtbaren eigenen dunklen Feldes als einen notwendigen Effekt der Struktur des sichtbaren Feldes bestimmt" (ebd., S. 28). Der latente Ökonomismus der Frauenforschung könnte infolgedessen auch auf die Vorgaben des theoretischen Feldes, auf dem sie sich bewegte, zurückzuführen sein. Umgekehrt müßte dasselbe theoretische Feld - vorausgesetzt, seine Ökonomismen und Reduktionismen lassen sich auflösen - das Unsichtbare im Sichtbaren erkennbar werden lassen. D.h., der Gedanke einer symptomatischen Lektüre suggeriert, die von der Frauenforschung reklamierten und wiederum aus dem Marxschen Frühwerk gewonnen 'materialen gesellschaftlichen Produktionen' würden selbst dann in der systematischen Anlage der elaborierten Kapitaltheorie als Unsichtbares im Sichtbaren mitgeschleppt wenn sie dort gar keinen eigenständigen Stellenwert besitzen. Was von Althusser mit der Bezeichnung 'theoretisches Feld' belegt wird, besäße in diesem Fall ein über sich selbst und über den Althusserschen Gedanken hinausreichendes Moment.
In Abgrenzung zur idealistischen Philosophie und zur klassischen politischen Ökonomie habe Marx, so Althusser, ein zentraler Begriff gefehlt, der ihn erst in die Lage versetzt hätte, das angemessen denken zu können, was er bereits hervorgebracht hatte: der Begriff der Einwirkung einer Struktur auf ihre Elemente. Gegen Hegel (und letztlich gegen die geschichtsphilosophische Ausrichtung der älteren Frankfurter Schule) gewandt, verortet Althusser bei diesem zwar auch "eine Kategorie für die Wirkung des Ganzen auf seine Elemente oder Teile, aber eben nur unter der absoluten Bedingung, daß das Ganze nicht als Struktur gedacht werde" (ebd., S. 252, meine Hervorh.). Diese Kategorie ist die Hegelsche Wesensbestimmung. Althusser sucht den Nachweis zu führen, daß sie in struktureller Analogie bei Marx nicht auffindbar ist. [14] Zu Althussers Versuch, die strukturierte Natur des Gesellschaftsganzen zu bestimmen: Es ist, seiner Auffassung zufolge, gegliedert wie die Struktur eines organischen, hierarchischen Ganzen. Die Koexistenz der Teile und Beziehungen in einem solchen Ganzen unterliegt der Ordnung einer dominierenden Struktur, die die Gliederung der einzelnen Teile und Beziehungen auf spezifische Weise regelt. Zur Untermauerung seiner Beweisführung zitiert Althusser Marx: "In allen Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen, und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen, Rang und Einfluß anweist" (ebd., S. 129, Zitat aus Marx 1857/58, S. 28). Dieser Produktionsbegriff, das sieht Althusser nicht, ist bereits der ökonomisch verkürzte, wenn er schlußfolgert: "Die hierarchische Über- und Unterordnung ist nur eine Hierarchie der Effizienz, die zwischen den verschiedenen 'Ebenen' oder Instanzen des gesellschaftlichen Ganzen besteht. Wie jede dieser Ebenen selbst wieder in sich strukturiert ist, so ist diese Hierarchie nur die Hierarchie oder der Grad und Index der Wirksamkeit zwischen den verschiedenen strukturierten Ebenen, die im Ganzen einander gegenüberstehen: es ist die Hierarchie der Wirkung einer dominierenden Struktur auf untergeordnete Strukturen und Elemente" (ebd., S. 129).
Die hier interessierende Frage lautet, ob dieser Begriff einer dominierenden Struktur so aufgefächert werden kann, daß er andere materiale gesellschaftliche Produktionen aufzunehmen vermag. Althussers Vorstellung von der 'Ordnung einer dominierenden Struktur' meint die 'Ordnung' kapitalistischer, marktökonomischer Vergesellschaftung. Das soziale Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital bringt eine nur dieser Vergesellschaftsform eigentümliche 'Ordnung' des Sozialen hervor.
Ohne die Plausibilität dieser Aussage bestreiten zu wollen, läßt sich gleichwohl ein Einwand gegen sie geltend machen. Seine Annahme überzeugt nur unter der Voraussetzung einer expliziten oder auch nur impliziten Gleichsetzung von Gesellschaft auf der Basis einer markt-ökonomischen Vergesellschaftung. Soziale Systeme erhalten sich aber nicht nur vermittels ihrer Wirtschaftsweise. Die generative Bestandssicherung oder 'Bevölkerungsweise', um einen Begriff von Mackenroth (1953) aufzugreifen, trägt nicht weniger zu einem solchen Systemerhalt bei, ist sogar ganz materiale Voraussetzung der Funktionsfähigkeit einer Wirtschaftsweise. Was spricht dann gegen die Annahme, daß Sozialsysteme, unterliegen sie nun einer kapitalistischen oder anderen Vergesellschaftungsform, eine strukturierte 'Ordnung' hervorbringen und aufweisen, die Bestandserhalt durch Arbeit und Fortpflanzung in eine Ordnungsverhältnis zu bringen suchen? In diesem Fall bestünde die dominierende Struktur, von deren 'Ordnung' Althusser spricht, aus der Wirtschafts- und Bevölkerungsweise. Die 'Ordnung', "die die Gliederung der einzelnen Teile und Beziehungen (der Struktur, UB) auf spezifische Weise regelt", bezöge sich dann auf beide Formen gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion. Diese Auffassung schließt keineswegs aus, daß innerhalb einer solchen Strukturkonstellation dem Wertverhältnis eine besondere Bedeutung zukommt; etwa dergestalt, daß es bereits diejenigen basalen gesellschaftlichen 'Produktionen' reguliert, über die es erst zur Geltung kommen kann, daß aber auch umgekehrt außermarktliche soziale 'Produktionen' dem Wertverhältnis ihren Stempel aufdrücken. Eine solche Reziprozität käme in diesem Fall innerhalb der gesellschaftlichen 'Basis' zur Wirkung. Althussers apodiktische Festlegung, mit der er einem "willkürlichen Relativismus empirisch feststellbarer Veränderungen" vorbeugen will, enthielte im Rahmen dieser Möglichkeit eine Immunisierungstendenz: Denn ihm zufolge verweist "das Begreifen dieser Dominanz einer Struktur über andere Strukturen in der Einheit eines komplexen Zusammenhanges auf das Prinzip ..., wonach alle nichtökonomischen Strukturen in 'letzter Instanz' durch die ökonomische Struktur determiniert sind. ... Diese 'Determination in letzter Instanz (ist) die absolute Bedingung ... für die Notwendigkeit und das Verständnis der Veränderungen von Strukturen in der Hierarchie ihrer Wirksamkeit oder der Veränderung in der 'Dominanz' innerhalb der strukturierten Ebenen des Ganzen. ... Nur diese 'Determination in letzter Instanz' ... ermöglicht (es), dem willkürlichen Relativismus empirisch feststellbarer Veränderungen zu entgehen, indem sie diesen Veränderungen eine notwendige Funktion zuerkennt" (ebd., S. 130). Mit dieser Beweisführung schottet er, wenngleich auf andere Weise als Ritsert oder Arnason, den Basisbegriff gegenüber jeglicher Reformulierungsabsicht ab. Er kritisiert zwar den ökonomischen Determinismus mancher marxistischen Forschung, verteidigt aber gleichzeitig vehement die Basisannahmen der Theorie - und leistet damit einem ökonomischen Determinismus ganz anderer Art Vorschub. Mit der Auflösung der zumindest impliziten Gleichsetzung von gesellschaftlicher Basis und Ökonomie stellt seine Theorie dennoch Anhaltspunkte für eine Reformulierung des Basisbegriffs im Konzept einer dominanten Struktur zur Verfügung.
Eine 'symptomatische Lektüre' verdient weiterhin Althussers Subjektbegriff, er steht in einem engen Zusammenhang mit seiner Strukturkonzeption. Althussers Strukturbegriff, der sich übrigens stark auf die Ausdeutung des Marxschen Begriffs der Produktionsverhältnisse stützt und der den der Produktivkraftentwicklung merkwürdig unterbelichtet läßt (vgl. Beer 1984a), besagt, daß die Struktur der Produktionsverhältnisse die Stellen und Funktionen bestimmt, die die Produzenten dann besetzen und übernehmen. "Die wahren (einen Prozeß konstituierenden) 'Subjekte' sind ... weder die Stelleninhaber noch die Funktionäre, also ... eben nicht die 'konkreten Individuen' und die 'wirklichen Menschen': die wahren 'Subjekte' sind die Bestimmung und Verteilung dieser Stellen und Funktionen. Die bestimmenden und verteilenden Faktoren, kurz die Produktionsverhältnisse (und die politischen und ideologischen Verhältnisse einer Gesellschaft) sind die wahren 'Subjekte'. Aber da es sich hierbei um 'Verhältnisse' handelt, können sie in der Kategorie des Subjekts nicht gedacht werden ... die Produktionsverhältnisse ... (sind) nicht auf eine anthropologische Intersubjektivität reduzierbar ..., weil die Produktionsverhältnisse die Produzenten und Gegenstände nur im Rahmen einer spezifischen Struktur der Distribution von Beziehungen, Stellen und Funktionen miteinander verbinden, die von den Produktionsgegenständen und Produzenten ausgefüllt und 'getragen' werden" (ebd.; S. 242).
Menschliche Subjekte figurieren in dieser Interpretation allenfalls als 'Träger' oder 'Personifikationen' bestimmter gesellschaftlicher Funktionen, in ihrer Eigenschaft als die 'wahren Subjekte': das menschliche Subjekt wäre nach dieser Auffassung und in einer spezifischen Wendung Objekt des 'wahren' Subjekts "Funktionsbestimmung". Unter Verwendung des Oberbegriffs 'Produktionsverhältnisse' dehnt der, logisch stimmig, diesen Trägerbegriff auf die 'politischen' und 'ideologischen' Verhältnisse aus. Das kommt auch in später verfaßten Schriften zum Ausdruck (Althusser 1977a). Dieser doppelte Subjektbegriff setzte seinerzeit, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem strukturalen Marxismus, Althusser erheblicher Kritik aus. [15] Eine interaktions- oder sozialisationstheoretische Verortung von Individuen als 'Subjekte' lehnt er ab, auch hier eine deutliche Grenze seines Totalitätsverständnisses als Gesellschaftstheorie. Abgesehen von seinen ideologiekritischen Arbeiten geht er auf noch andere Weise über die Marxsche Theorie hinaus. Erstens zieht er in die beiläufige Marxsche Bemerkung von Individuen als Träger ökonomischer Verhältnisse eine neue analytische Ebene ein, indem er 'Subjekte' im Sinne einer Stellen- und Funktionsverteilung interpretiert. Er nimmt damit dem Subjektbegriff jede Assoziationsmöglichkeit mit Individuen. Zweitens spezifiziert er ansatzweise, wie menschliche Individuen dennoch auf eine mit der Marxschen Systematik kompatible Weise gedacht werden können: in ihrer strukturell-objektiven Eingebundenheit in Gesellschaft. "Daß ein Individuum immer-schon, selbst vor seiner Geburt, ein Subjekt ist, ist nichts weiter als die einfache, für jedermann überprüfbare Wirklichkeit und keineswegs paradox" gemeint ist: ein 'ideologisches Subjekt'.Daß Individuen immer 'abstrakt' sind in bezug auf die Subjekte, die sie immer-schon sind, ist von Freud gezeigt worden, indem er einfach bemerkte, mit welchem ideologischen Ritual die Erwartung einer 'Geburt', dieses 'freudigen Ereignisses' umgeben ist. ... Es steht von vorneherein fest, daß es den Namen seines Vaters tragen wird, also eine Identität haben und durch niemanden zu ersetzen sein wird. Noch bevor das Kind geboren ist, ist es immer-schon Subjekt, weil es in und durch die spezifische familiale ideologische Konfiguration, in der es nach der Zeugung 'erwartet' wird, zum Subjekt bestimmt ist... diese familiale ideologische Konfiguration (ist) bei aller Einmaligkeit fest durchstrukturiert ... dieser Zwang und diese ideologische Vorbestimmung sowie alle Rituale der Aufzucht und später der Erziehung im Rahmen der Familie (haben) etwas mit dem zu tun, was Freud in den Formen der prägenitalen und genitalen 'Phasen' der Sexualität untersucht hat, also dem 'Eingreifen' dessen, was Freud an seinen Wirkungen als das Unbewußte ausgemacht hat" (Althusser 1977b, S. 144)
Individuen sind objektiviertes 'Subjekt' in der Bedeutung überindividueller und damit kulturell vorgegebener Rituale; Subjekt auch in dem Sinne, daß sie bestimmten Filiationsregeln unterliegen, eine formationsspezifische Individuierung erfahren und Bewußtseins- und Wahrnehmungsweisen entwickeln, die ebenfalls kultur- und formationsspezifisch vorgegeben sein dürften. Althusser faßt alle diese Sachverhalte unter den Begriff von Ideologie, ein sicherlich grobes Raster für sehr differente Vergesellschaftungsmodi. Er sieht auch nicht, daß diese kulturellen Subjekte eben zugleich individuelle und noch dazu geschlechtliche Subjekte sind und sein werden; sie existieren ja nicht lediglich in einer objektiven Gestalt. Was dieser Ausdeutung fehlt, ist die gegenläufige Begriffsbestimmung und die Vermittlung. Werden Individuen (oder Realobjekte) als Objekte sozialer Funktionsbestimmungen begriffen, schließt diese Auffassung nicht aus, sie zugleich als Realsubjekt in die Theorie aufzunehmen. Eine solche Funktionsbestimmung bezeichnete dann objektiv-gesellschaftliche Grenzen der Realisierung der "Produktivkraft Subjektivität" (Knapp). Damit wäre aber noch immer die gedankliche und reale Möglichkeit gegeben, daß diese Realsubjekte nach Wegen suchten, sich solchen Funktionsbestimmungen nicht vollständig unterwerfen zu müssen, deren gesellschaftlich gesetzte Grenzen zu überschreiten - als Geschlechts-und als Klassensubjekte. Althusser gibt, um ihn selbst zu zitieren, Antworten auf Fragen, die er nicht gestellt hat. Seine Subjektkonzeption enthält aus diesem Grund eine Öffnung, die er selber gar nicht anstrebt: Sie deutet an, wie sich Individuen als Realsubjekte in ihrer strukturell-objektiven Eingebundenheit in gesellschaftliche Verhältnisse denken lassen, die nicht ausschließlich die des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital sind und sein können. Diese Feststellung gilt, obwohl er, wie andere Marxisten auch, das Verhältnis der Geschlechter mit seiner bürgerlichen Institutionalisierung innerhalb der Familie verwechselt, obwohl er die Familie den gesellschaftlichen 'Überbauten' zuordnet und sie damit nicht als gesellschaftlichen Arbeits - bzw. Reproduktionsbereich anerkennt. Es käme infolgedessen darauf an, ein anschlußfähiges Konzept zu entwickeln, das es gestattet, Individuen (als gesellschaftliche und vergesellschaftete Subjekte) in noch einer anderen Dimension zu denken, die Althusser eher ausspart: als menschliche und individuelle Produktivkraft. [16]
Die obigen Überlegungen zu Althussers Struktur- und Subjektbegriff lassen offen, ob Elemente dieser Konzeptualisierungen eine politischökonomische Theorie des Geschlechterverhältnisses abstützen können. Anders formuliert: Wie hält es dieser Autor mit der Marxschen Werttheorie? Der Begriff des Mehrwerts stellt für Althusser keine meßbare Größe dar, sondern den Begriff einer Beziehung, den Begriff einer Produktionsstruktur, die nur in ihren Wirkungen sichtbar und meßbar wird. Allerdings: "Daß er nur in seinen Auswirkungen existiert, bedeutet nicht, daß er in seiner Gesamtheit in dieser oder jener Wirkung erfaßt werden könnte, denn dann müßte er in jeder Wirkung total präsent sein. Als Struktur ist er aber in seinen Auswirkungen nur durch seine bestimmte Abwesenheit präsent. Er ist nur in der Totalität präsent, in der gesamten Bewegung seiner Auswirkungen, in dem, was Marx 'die entwickelte Totalität seiner Erscheinungsformen' nennt; ... er ist die Struktur selbst, die den Prozeß in der Totalität seiner Entwicklung und Erscheinungsform bestimmt" (Althusser/Balibar 1972, S. 243). Mit dieser Auffassung wird deutlich, worin eine wichtige Differenz zu einer Totalitätskonzeption zu sehen ist, die die Werttheorie als Kerngestalt in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellt: Althusser nimmt nicht an, alle gesellschaftlichen Phänomene ließen sich über diesen Verweisungskontext erschließen, müßten über eine solche 'Wesensbestimmung' erklärt werden. Diese spezifische Ausdeutung der Werttheorie stieß in der marxistischen Forschung auf erheblichen Widerstand (vgl. etwa Arnason 1976, S. 235 ff.). Innerhalb der hier erörterten Problemstellung erlaubt seine Beweisführung vermutlich den Blick von 'Außen' auf den Produktionsprozeß von Waren, auf den internen Reproduktionsprozeß des Kapitals: weil Althusser nicht strikt werttheoretisch argumentiert, gleichwohl aber das Wertverhältnis in seinen strukturellen Auswirkungen im Auge hat - und das gerade auch unter der Bedingung und Annahme, daß diese Wirkung in nichts anderem als der Abwesenheit einer solchen Wirkung bestehen kann.
Eine spezifische Verwendung seiner Argumentationsfigur bietet sich im Zusammenhang der subsumtionstheoretischen Marx -Interpretation an. Wenn Gesellschaftsstruktur ihren Wirkungen immanent ist, wenn deren ganze Existenz nur in ihren Wirkungen besteht, dann lohnt der Versuch, die im Begriff der strukturalen Kausalität gedachten Wirkungen dergestalt zu denken, daß sich in der Relation von Struktur und Wirkung ein gesellschaftliches Produktions-, Aneignungs- und Austauschverhältnis artikuliert, das sich als Bestandteil der allumfassenden Produktionsverhältnisse versteht, als solches begriffen werden kann. Mit der von Arnason vorgeschlagenen Argumentationsfigur verwiese sie auf ein mit der kapitalistischen Produktionsweise kompatibles 'Produktions'-Verhältnis, jedoch nicht im Sinne einer unmittelbaren reellen Aneignung der Arbeit durch das Kapital(verhältnis). Inwieweit demgegenüber von einer vermittelten Subsumtion der im Geschlechterverhältnis geleisteten Arbeiten bzw. Produktionen die Rede sein kann, müßte sich im Verlauf der Argumentation noch herausstellen - nämlich dann, wenn sich begründet darstellen läßt, daß die nicht unmittelbar dem Kapitalverhältnis unterworfenen gesellschaftlichen Produktionen diesem erst seine Funktionsfähigkeit sichern und garantieren.
Besteht die Möglichkeit, die strukturalmarxistische und die subsumtionstheoretische Lesart der Werttheorie zum analytischen Nachweis der Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses heranzuziehen, bleibt noch immer offen, wie die Geschichtlichkeit dieses sozialen Verhältnisses in Verbindung mit dem der Klassen gedacht werden kann. Von Althusser selber stammt der Hinweis und Nachweis, daß eine bestimmte Vorstellung von gesellschaftlicher Totalität nicht ohne Folgen für das jeweilige Geschichtsverständnis bleibt. Das Konzept der strukturalen Komplexität versperrt die analytische Vermischung zweier inkompatibler Ebenen - die der Geschichte der theoretischen Begriffsentwicklung mit derjenigen der realen historischen Entwicklung - und erlaubt die Thematisierung unterschiedlicher Entwicklungslogiken in ihrem inneren Zusammenhang: "Gemeint ist hiermit ein Konzept differenzierter Zeitlichkeit oder Geschichte, dessen Konstruktionsgesichtspunkte sich aus den jeweilig unterschiedenen Gliederungsebenen und Abhängigkeitsbeziehungen in der Struktur der Totalität ergeben.
Das soll heißen, daß die Logik der Evolution für spezifische gesellschaftliche Strukturbereiche nicht auf eine einheitliche Ablaufvorstellung reduziert werden kann, vielmehr differenzierte Temporalstrukturen unterstellen muß" (Beier 1977, S. 84). Althusser lehnt die Vorstellung einer kontinuierlichen, homogenen, historischen Entwicklung ab, vertritt demgegenüber ein Konzept von den "besonderen Strukturen der Geschichtlichkeit, die in letzter Instanz auf den besonderen Strukturen der Produktionsweisen beruhen" (Althusser/ Balibar 1972, S. 143). Diese Geschichtsauffassung dürfte es gestatten, auch die Geschichte des Verhältnisses der Geschlechter als solche und in ihren historischen Überschneidungen und Differenzen zur Geschichte des Klassenverhältnisses zu denken und dennoch einen gemeinsamen historischen und gesellschaftlichen Bezugspunkt zu wahren.
2.4 Der Aufschein des Unsichtbaren im Sichtbaren
Zusammenfassend: Die feministische Forschung reklamiert mit ihrem gesellschaftstheoretischen Anliegen nichts anderes als die Einlösung der analytischen Differenz zwischen dem Marxschen Früh- und Spätwerk - und gleichzeitig mehr. Sie verbindet mit dem analytischen ein politisches Anliegen, das sich von dem der marxistischen Forschung erheblich unterscheidet. Das feministische Materialismus-Postulat und die hinter seiner Formulierung stehenden Intentionen würden mißverstanden, begriffe man sie lediglich als wissenschaftliches Anliegen, die Marxsche Theorie um eine weitere Variante zu ergänzen, um sie auf den Erkenntnisstand des 20. Jahrhunderts zu bringen.
Das gesellschaftspolitische Erkenntnisinteresse der Frauenforschung zielt ab auf den Nachweis der Eigenständigkeit, damit aber auch der Unterschiedenheit der Geschlechter- von Klassenungleichheit. Anders als Marxismus und Arbeiterbewegung postulieren sind politische Strategien gefragt, die sich ganz unmittelbar auf Beseitigung der Geschlechterherrschaft richten. Inwieweit Klassenungleichheit zum Thema dieser politischen Strategien gemacht werden müßte, ist gegenwärtig eine offene Frage. Erst diese Differenz zwischen feministischer und sozialistischer Bewegung, zwischen feministischer und marxistischer Forschung, generiert das Problem der Suche nach einer Totalitätskonzeption, die nicht ableitungslogisch verfährt und stattdessen der Kristallisation des Unsichtbaren im (theoretisch) Sichtbaren gilt. Die Suche nach dem Unsichtbaren muß wissen, was sie sichtbar machen will, worauf sich die 'Suchbewegungen' (Knapp) richten. Gefragt wird nach Hinweisen, die sich eignen, den Zusammenhang, die Totalität im Klassen- und Geschlechterverhältnis herauszuarbeiten.
Derartige Hinweise unterliegen bereits bestimmten Auswahlkriterien. Sie sollen frei sein von gattungsgeschichtlichen bzw. geschichtsphilosophischen Implikaten: Würden derartige Argumentationsmuster aufgegriffen, reproduzierten sich nur aufs Neue die analytischen Kurzschlüsse, die eingangs herausgearbeitet wurden. Politisch-ökonomische Aussagen zum Verhältnis von Basis und Überbau und zum Verhältnis von Objektivität und Subjektivität eignen sich noch am ehesten zur Suche nach einer angemessenen Totalitätskonzeption, weil sie den material-produktiven Charakter von Vergesellschaftungen betonen, weil sie aber auch auf eine bestimmte methodische Konzeption zurückgreifen, die kritisiert werden kann, erweist sie sich als kurzschlüssig, damit jedoch auch Anhaltspunkte zu deren Weiterentwicklung zur Verfügung stellt. Die Analyse unterschiedlicher Interpretationen von gesellschaftlicher Totalität erfolgte unter dem systematischen Gesichtspunkt einer strikten Unterscheidung zwischen ausgearbeiteten Begriffen und einer beschreibenden Vorgehensweise bei Marx selber und den auf dessen Theorie aufbauenden neueren Theorieentwicklungen. Diese Differenzierung scheint deshalb geboten, weil das Geschlechterverhältnis in diesem Theoriekorpus nicht direkt angesprochen wird und stattdessen unter Chiffren wie 'Familie', 'Hausarbeit', 'Männer, Frauen, Kinder' oder 'individuelle Reproduktion' auftaucht, d.h. nicht in einer der Analyse des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital vergleichbaren analytischen Präzisierung. Auf diese Weise lassen sich zwei Sichtweisen voneinander trennen: erstens der zumindest implizite Marxsche Rekurs auf das Geschlechterverhältnis aus der Sicht (und in den theoretischen Begriffen) des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital, zweitens die wie auch immer chiffrierte Bezugnahme auf das Geschlechterverhältnis ohne notwendige Anbindung an solche vorgängigen theoretischen Kategorien. Diese Vorgehensweise lag auch der Aufbereitung bestimmter Problemstellungen der marxistischen Forschung zugrunde; besonderes Augenmerk galt der Fragestellung, ob die marxistische Forschung hier Neuland betritt oder ob sie sich im Rahmen der von Marx vorgegebenen begrifflichen Schemata hält.
Das Ergebnis: alle untersuchten Texte halten sich, trotz gravierender Differenzen in ihren wissenschaftlichen und politischen Positionen, in dem von Marx vorgegebenen Rahmen der Kapitalanalyse; nicht einmal logische Inkonsistenzen werden gesehen, wie sie eigentlich bei Konzeptualisierungen der Konstitutionsproblematik ins Auge springen müßten.
Subjekte konstitutieren sich diesen Theoriemodellen zufolge als geschlechtslose Lohnarbeiter oder geschichtslose Gattungsexemplare bar aller Leiblichkeit. Diese begrifflich - analytische Selbstreferenz ist, wie die Untersuchung verschiedener Totalitätsbegriffe zeigt, offensichtlich nicht in dem Sinne transzendierbar, daß vorab eine Entscheidung über die Anschlußfähigkeit an die eine oder andere Lesart bzw. Interpretation der Marxschen Theorie gefällt werden könnte. Wenn dies schon nicht für die originäre Theorie gilt, dann noch weniger für deren spätere Ausdeutungen, sofern sie in deren begrifflich gesetztem Rahmen bleiben. Trotz dieser analytischen Selbstreferenz zeigen die 'symptomatische Lektüre' von Althussers strukturalem Marxismus und Arnasons Subsumtionstheorem eine Reihe von Möglichkeiten auf, die Elemente eines reformulierten Struktur- und Totalitätskonzepts sein können. Für die weitere Vorgehensweise hat diese Feststellung allerdings bereits jetzt schon Konsequenzen. Wenn der analytische Korpus der Theorie in seiner Selbstreferenz, d.h. in der ausschließlichen Fixierung auf die Klassenproblematik, nur partiell und dann in aller Vorsicht durchbrochen werden kann, können die aus ihr gewonnenen Begrifflichkeiten lediglich den Status von Arbeitsbegriffen besitzen; die Beurteilung von deren Tragfähigkeit hängt von einer Reihe von weitergehenden Untersuchungen ab. Diese Einschränkung gilt zunächst und vor allem für den in Anspruch genommenen Strukturbegriff. Er bezieht sich bei Althusser eindeutig auf das Klassenverhältnis und soll zugleich eine Revolutionstheorie abstützen, die nicht geschichtsphilosophisch begründet ist.
Die These einer komplexen Strukturiertheit der bürgerlichen Gesellschaft bezieht sich auf den Bereich Ökonomie-Politik-Wissenschaft-Ideologie, den er jeweils in einem historisch variablen Determinationsverhältnis zueinander und untereinander denkt, allerdings stets innerhalb der Annahme, 'letztinstanzlich' sei es die Ökonomie, die gesellschaftlichen Wandel induziert. Die Geschlechterproblematik spielt bei diesem Autor ebensowenig eine Rolle wie bei anderen marxistischen Theoretikern; er schlägt sie, zweifellos originell, den ideologischen Hervorbringungen der bürgerlichen Gesellschaft zu. Althussers Strukturbegriff, sein Verständnis von einer Struktur und deren Wirkungen, ersetzt das Begriffspaar Wesen und Erscheinung und öffnet zumindest implizit dessen Selbstreferenz. Für die Theoriebildung der Frauenforschung beinhaltet dieser Vorschlag die Möglichkeit der Abgrenzung gegenüber der Marxschen (und einer hegelianisierenden) Geschichtsphilosophie, allerdings noch aus anderen Gründen als von Althusser spezifiziert. Die Frauenforschung würde mit der Übernahme dieses Begriffspaars unversehens in die Fußstapfen einer geschichtsphilosophisch begründeten (oder auch nur inspirierten) Revolutionstheorie treten, deren 'revolutionäres Subjekt' allein die Arbeiterklasse stellt. Darüber hinaus bedeutet die Übernahme des Wesenbegriffs in der Fassung, die Adorno und Sohn-Rethel ihm geben [17], die analytische Fixierung an das Tauschverhältnis als zusammenhangstiftendem Organisationsprinzip von Gesellschaft; bei Ritsert die Anbindung der feministischen Forschung exklusiv an die Werttheorie. Weiterhin suggeriert die Verwendung dieses Begriffspaares die theoretische Brauchbarkeit gattungsgeschichtlicher Argumentationen, die ein historisches Verständnis der Geschlechterproblematik tendenziell unterlaufen. [18] Ein möglicher Vorzug des Begriffs der komplexen Strukturiertheit von Gesellschaft kann darin gesehen werden, daß er es erlauben müßte, gesellschaftliche Produktionen im Sinne zentraler und interdependenter Produktionsbeziehungen zu denken. Diese Vorstellung ist in Althussers Verständnis von strukturaler Komplexität nicht enthalten; gemeint ist hier die Ausdifferenzierung dessen, was bei ihm unter dem Begriff der ökonomischen Struktur figuriert. Wenn dem Begriff der kapitalistischen Produktionsweise bereits ein verengter Produktionsbegriff zugrundeliegt, der das, was Gesellschaft ihren Bestand erst sichert, von vornherein ausblendet bzw. als conditio sine qua non setzt, bleibt nur die Möglichkeit, diesen Reproduktionskreislauf dergestalt zu denken, daß er aus zwei voneinander unterschiedenen und gleichzeitig ineinandergreifenden Zyklen gebildet wird, die erst zusammengenommen den Kreislauf gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion bilden [19]. Einer dieser Zyklen stellte dann, aus traditionell-marxistischer Sicht, das 'Außenverhältnis' der kapitalistischen Warenproduktion dar, das die Marxsche Theorie kategorial (nicht: beschreibend) ausgrenzt. Unter Rückgriff auf das Althussersche Verständnis von strukturaler Komplexität würde dieses Verständnis in dem Sinne einer Transformation unterzogen, daß das 'Außenverhältnis' einen eigenständigen begrifflich - analytischen Status erhält, der dessen Charakter eines der Warenproduktion äußerlichen Verhältnisses zwar anerkennt, jedoch zum 'Innenverhältnis' der kapitalistischen Warenproduktion in Beziehung setzt. Dieses zweite Struktur- oder Basiselement bestünde aus dem, was die feministische Forschung mit 'weiblicher Gebärtätigkeit' und 'unentgeltlicher Familienarbeit' anspricht und in der vorliegenden Untersuchung als 'generative Bestandssicherung' oder, im Anschluß an Mackenroth, als 'Bevölkerungsweise' bezeichnet wird.
Das Subsumtionsmodell suggeriert, daß diese beiden sozialen Reproduktionskreisläufe in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, indem die Wirtschafts- der Bevölkerungsweise ihre Bedingungen auferlegt, sie ihren Rationalitätskriterien unterwirft oder 'subsumiert'. Offen bleibt vorläufig, ob und inwieweit hier von einer gegenläufigen Determinationsbeziehung gesprochen werden kann, indem auch die Bevölkerungs- auf die Wirtschaftsweise Einfluß nimmt, ihr gegenüber eine spezifische soziale Dynamik geltend macht. Althussers Begriff der 'strukturalen Kausalität', seine Annahme der Existenz eines organischen, hierarchischen Gesellschaftsganzen, legt wiederum eine Interpretation von 'Basis' nahe, die diese beiden Zyklen von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise im Begriff einer 'dominierenden Struktur' als Einheit zu denken erlaubt: Als Einheit, die in sich selbst noch einmal hierarchisch gegliedert sein dürfte, wenn sich im Fortgang der Untersuchung Belege für die Annahme finden lassen, das Kapitalverhältnis subsumiere - wenn schon nicht vollständig, so doch tendenziell - diese basalen 'Lebensbedingungen' seinen Bedürfnissen und Notwendigkeiten. Der objektivistische Bias von Subsumtionsmodell und 'strukturaler Kausalität' löst sich durch die vorgeschlagene Differenzierung zwischen Wirtschafts- und Bevölkerungsweise im Ordnungsgefüge einer dominanten Struktur nicht auf. Althussers Vorschlag, den bewußtseinsphilosophischen Subjektbegriff im Sinne einer Stellen- und Funktionsbeziehung kapitalistischer Vergesellschaftung zu interpretieren, läßt sich, mit Einschränkungen, aufgreifen: diese Begrifflichkeiten entsprechen dem, was Marx unter der 'Personifizierung einer ökonomischen Kategorie' versteht, Althusser löst diese Kategorie von ihrem ökonomistischen Bezugspunkt ab. Dennoch läßt sich mit dem von Althusser favorisierten Trägerbegriff keine empirisch gehaltvolle subjekt- oder handlungstheoretische Perspektive verbinden, es sei denn um den Preis einer geschichtsphilosophischen Verkürzung, die dieses Modell, gewissermaßen hinterrücks, an die marxistische Revolutionstheorie wieder anbindet. Althusser versteht sein Totalitätsmodell in genau diesem Sinne. Er distanziert sich zwar von der Geschichtsphilosophie hegelianischen Zuschnitts, nicht jedoch vom Revolutionstheorem. Er begründet es nur anders (vgl. die Beiträge in Althusser 1977a). Für die Frauenforschung stellt diese spezifische Aporie kein Problem dar. Der Trägerbegriff wird, wie später dargestellt, vollständig von seinen revolutionstheoretischen Implikaten abgelöst; Gründe für diese Vorgehensweise wurden bereits genannt: jegliche Anbindung an die marxistische Revolutionstheorie, sei sie nun strukturtheoretisch oder geschichtsphilosophisch begründet, deklariert die Frauenbewegung apriori zu einem Juniorpartner der Arbeiterklasse, das Geschlechterverhältnis zu einem 'Nebenwiderspruch' des Klassenverhältnisses und läßt von vornherein keine Möglichkeit erkennen, das Geschlechterverhältnis in seiner strukturellen Eigenständigkeit zu begreifen.
Hierbei handelt es sich um eine gesellschaftstheoretische und zugleich -politische Problematik. Selbst wenn die Verbindung der beiden hier in den Blick genommenen Theoreme es erlaubt, Individuen als Arbeitskraft in ihrer jeweiligen historischen Bestimmtheit zu denken, sind sie noch immer nur Lohnarbeitskraft. Die analytische Öffnung zu ihrer Existenz als Geschlechtsindividuen, als Realsubjekte mit Leiblichkeit, ist kategorial selbst dann noch nicht gegeben. Handeln kann keine Personifikation eines ökonomischen oder sozialen Verhältnisses; die theoretische Konzeptualisierung auch der Handlungspotentiale des Lohnarbeiters setzt voraus, daß dieser kategorial als menschliches und damit geschlechtliches Subjekt gedacht wird bzw. werden kann. [20] Zu überlegen wäre, ob nicht Althussers Gedanke von Stellen- und Funktionsbeziehungen auch im Zusammenhang der 'Bevölkerungsweise' und ihrer Interdependenz mit der 'Wirtschaftsweise' aufgegriffen werden kann. Individuen, theoretisch gefaßt im Begriff des Realsubjekts, könnten auf diese Weise in ihrer jeweiligen Verortung durch soziale (und nicht lediglich ökonomische) Verhältnisse identifizierbar werden. Diese Vorgehensweise löste noch nicht die Aufgabe der Formulierung einer Subjekttheorie, selbst sie bleibt im objektivistischen Bias gefangen. Eine weitere Anregung im Zusammenhang des Basis-Überbau-Verhältnisses: Die These einer letztinstanzlichen Determination durch die Ökonomie, die nach Althussers Lesart Marx' ja durchaus die Eigenständigkeit oder relative Autonomie von. sog. Überbauphänomenen im Auge hat, ließe sich vielleicht auf den reformulierten Basisbegriff übertragen: als vorläufige Überlegung im dem Sinne, daß die 'dominante Struktur' von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise in ihrer Einheit und Unterschiedenheit weitreichenden Einfluß auf das Ordnungsgefüge von Gesamtgesellschaft ausübt.
Nicht ableitbar aus diesen Überlegungen sind Anhaltspunkte hinsichtlich dessen, was die marxistische Theorie als 'Überbau' bezeichnet. Wenn 'Fortpflanzung', wenn der generative Bestandserhalt eines Sozialgebildes dem Begriff der gesellschaftlichen Basis zugerechnet wird, könnte ein darauf bezogenes 'Überbauphänomen' darin gesehen werden, daß bestimmte Sozialisations- oder Akkulturationsformen von Individuen etwas mit dem historisch besonderen Zusammenspiel von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise zu tun haben. Die Analyse wird dann jedoch hochkomplex: Wir müßten Aussagen darüber formulieren können, ob spezifische Formen der Existenzsicherung unter kapitalistischen (und im übrigen ja auch patriarchalen) Bedingungen in einem inneren Zusammenhang stehen mit etwa sexuellen Bedürfnissen, die noch einmal geschlechtsspezifisch zu unterscheiden wären - und zwar unter Verzicht auf die Annahme eines linearen Zusammenhangs in dem Sinne, daß 'der Kapitalismus' sexuellen Bedürfnissen durchgängig seine Warenförmigkeit überstülpe. Eine solche Annahme wäre in ihrer möglichen Geltung schon deshalb in Zweifel zu ziehen, weil von vornherein von einer Eigenständigkeit und damit aber auch relativen Unabhängigkeit von Kapitalverwertungsimperativen und 'Bevölkerungsweise' ausgegangen würde. Zugleich läßt sich nicht leugnen, daß bestimmte Formen der Sexualität von Frauen und Männern durchaus Warencharakter besitzen - Prostitution, sicherlich auch manche 'Versorgungsehen' - wie aber läßt sich dann auseinanderhalten, was kapitalistischer Vergesellschaftung geschuldet ist und was nicht? Prostitution bezeichnet ein Gewerbe, das älter ist als der Kapitalismus, 'Waren' wurden hier schon immer 'getauscht'. Was ist dann das spezifisch 'kapitalistische' der Prostitution? Mit diesem Beispiel soll lediglich verdeutlicht werden, wie kompliziert, vermutlich aber auch aussagekräftiger, eine Gesellschaftsanalyse wird, wenn sie monokausale Erklärungsmodelle aufgibt und sich der Differenziertheit sozialer Phänomene stellt, und mit welchen Erkenntnisproblemen ein Theoriemodell konfrontiert ist, das Gesellschaft in ihrem Zusammenhang zu analysieren sucht. Auch der Analyse verschiedener Konzeptionen von gesellschaftlicher Totalität lag die bereits im ersten Teil der Untersuchung entwickelte Annahme zugrunde, die Akzentuierung von Individuen als Träger sozialer Verhältnisse bilde eine anschlußfähige Begriffsbestimmung zur Verortung des Geschlechterverhältnisses. Diesem Träger-Begriff kommt in der Althusserschen Theorie eine Schlüsselstellung zu; die Vorstellungen, die dieser mit ihm verbindet, werden hier allerdings nicht übernommen. Die werttheoretische Problematik kann, aus der hier eingenommenen Perspektive, erst dann auf ihre Triftigkeit überprüft werden, wenn sie sich nachweislich mit dem Geschlechterverhältnis in Beziehung setzen läßt.
Eine zentrale These des Subsumtionsmodells kann aufgegriffen und mit den bisher entwickelten Überlegungen verknüpft werden. Sie betrifft dieser Lesart der Marxschen Kapitaltheorie zufolge einen Grundwiderspruch dieser Gesellschaftsformation auf der Ebene der allgemeinen Struktur der Klassengesellschaft. Reklamiert diese Interpretation der Marxschen Theorie den Allgemeinheitsgrad ihrer Thesen mit Recht, müßten sie auch für das Geschlechterverhältnis gelten können: Diese These besagt, daß die prinzipielle gesellschaftskonstitutive Bedeutung der Arbeit durch die strukturelle Trennung von Arbeit und Gesellschaft verdrängt wird. Die Vergesellschaftung von Arbeit im Arbeitsprozeß wird der Vergesellschaftung als Reproduktionsbedingung des Kapitals untergeordnet (Arnason 1976, S. 269). Ich dehne diese These aus auf generativ-reproduktive Leistungen, daß sie als gesellschaftliche 'privat' erbracht werden, dürfte ein besonderes Merkmal ihrer Vergesellschaftung darstellen. Meine Annahme lautet, daß die strukturelle Trennung von Arbeit und Gesellschaft auch für diesen Bereich gilt und daß die in ihm erbrachten Leistungen quantitativ und qualitativ mit den Reproduktionsbedingungen des Kapitals in einem noch auszuweisenden Zusammenhang stehen, letzteren zumindest tendenziell unterworfen sind. Von einer Subsumtion der in diesem Verhältnis geleisteten generativen Reproduktion unter das Kapitalverhältnis kann zumindest in der dem Marxismus durchaus geläufigen Interpretation die Rede sein, als die in diesem Verhältnis erbrachten Leistungen in substantieller Abhängigkeit vom Markt (in Gestalt des Tauschs von Lohnarbeit gegen geldwerte Subsistenzmittel zur individuellen und familialen Reproduktion) und für den Markt (in Form der täglichen und generativen Reproduktion von Arbeitskraft) erbracht werden.
Das Geschlechterverhältnis, auch als eheliches und familiales, geht in diesen Bestimmungen jedoch nicht auf. Welcher Stellenwert in diesem Zusammenhang der Realabstraktion des Tausches im Lohnarbeitsprozeß zukommt, auf die sich das Subsumtionstheorem ja ganz zentral bezieht, muß vorerst ungeklärt bleiben; die werttheoretische Problematik könnte sich durch die hier untersuchten Fragestellungen ganz erheblich verschieben oder verlagern. Eine solche Verlagerung von Problemstellungen läßt sich übrigens schon jetzt feststellen. Kam es Brandt, bei ihm bezogen auf die industriesoziologische Forschung, noch darauf an, mit diesem Theorem "einen hinreichend komplexen und differenzierten Begriff von Arbeit zu bewahren, der gleichwohl die Mißverständnisse einer Metaphysik der Arbeit vermeidet" (Brandt 1984, S. 209), wird diese Problematik in der hier verfolgten Perspektive gegenstandslos. Im Bestreben einer Reformulierung und Einlösung des Marxschen Materialismus-Postulats wird eine exklusive Sicht auf Arbeit, noch dazu in der Bedeutung von Lohnarbeit, von vornherein verstellt. Die bisherigen Überlegungen bezogen sich ausschließlich auf die Frage der Anschlußfähigkeit an eine bestimmte Konzeption von gesellschaftlicher Totalität, die eine Analyse der sozioökonomischen Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses ermöglicht.
Mit dem Vorschlag einer Reformulierung des marxistischen Basisbegriffs unter Rückgriff auf Elemente des Subsumtionstheorems und des strukturalen Marxismus nimmt deren 'Unsichtbares' bereits Gestalt an, zeichnet sich zumindest im Schattenriß ab; belege man ihn mit Termini wie 'generative Reproduktion' oder 'Bevölkerungsweise'. Das Geschlechterverhältnis, das mit generativer Reproduktion ohne jeden Zweifel 'etwas zu tun' hat, ist deshalb jedoch noch keineswegs wissenschaftlich erkennbar geworden. Als Zwischenergebnis der Argumentation wird deshalb noch einmal die Eingangsproblematik des Kapitels aufgenommen und reflektiert, zu welchen Aspekten des Verhältnisses von Objektivität und Subjektivität die Untersuchung verschiedener Totalitätskonzeptionen einen Beitrag leistet. Mit diesem 'Leitmotiv', auch in Gestalt eines Zwischenergebnisses, wird der Brückenschlag zu späteren Ergebnissen der Untersuchung angestrebt.
Althussers Konzept der 'symptomatischen Lektüre' erhellt die erkenntnistheorotische Dimension der Subjekt-Objekt-Relation. Abweichend von diesem Autor, der eher den Gedanken der Selbstreflexivität von Wissenschaft entwickelt, wird hier vielmehr eine Auflösung des selbstreflexiven Zirkels innerhalb der Annahme angestrebt, "Erkennen" bezeichne eine spezifische Interaktion zwischen einem erkennenden Subjekt und seinem Gegenstand. Anders als bei Althusser figuriert dieses erkennende nicht als philosophisches, sondern als Realsubjekt. Erkenntnis ist nur lebendigen Individuen, konkreten Frauen und Männern möglich, die sich ihren - wissenschaftlichen - Gegenstand aneignen. Unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen sie dazu in der Lage sind und was sie als gesellschaftliche Subjekte erst zu diesem Vorhaben befähigt, ist Gegenstand einer zweiten Dimension des Verhältnisses von Subjekt und Objekt. Hier ist die Ebene von Struktur- und Subjekttheorie angesprochen. Auch ein Erkenntnissubjekt ist gesellschaftliches und vergesellschaftetes Subjekt wie alle anderen menschlichen Subjekte auch. Welche Personen zu Erkenntnis befähigt sind und werden, hat etwas mit der sozialen Strukturierung von Gesellschaft zu tun; mit ihrer Geschichte, Einschluß- und Ausschlußkriterien, Monopolisierungstendenzen und Definitionsmacht. Ohne das Geschlechterverhältnis direkt oder indirekt anzusprechen, leisten die analysierten Konzeptionen vor allem zur Strukturseite dieser Dimension einen - möglichen - Beitrag; auf sie richtete sich die ursprüngliche Fragestellung.
Das gilt für die Annahme einer Subsumtion aller Lebensbedingungen unter das 'Wertgesetz' durch die strukturelle Trennung von Arbeit und Gesellschaft und für die These der Existenz einer dominanten Struktur und der Einwirkung dieser Struktur auf ihre Elemente, selbst wenn sie in der Abwesenheit einer solchen Wirkung besteht. Die Dimension des Theorie-Praxis-Verhältnisses in der Bedeutung der empirischen Überprüfbarkeit wurde im Rahmen der Vermutung angesprochen, die Reformulierung des Basisbegriffs, die Aufnahme von Realsubjekten in eine theoretische Konzeptualisierung, müßte es erlauben, von hochabstrakten theoretischen Aussagen in die bodenbeständigeren Bereiche ihrer historisch-empirischen Überprüfbarkeit zu gelangen. Noch steht nicht fest, welchen systematischen Platz das Theorie-Praxis-Verhältnis in der Methodologie der originären Theorie einnimmt. Es reicht nicht hin, allein aus inhaltlichen Reformulierungen auf die Möglichkeit einer systematischen Operationalisierung zu schließen. Diese Unklarheit erstreckt sich vor allem auf die beiden unterschiedlichen Ausprägungen von Theorie und Praxis: empirische Überprüfbarkeit und Handlungsanleitung.
Analoges gilt letztlich auch für das Verhältnis von Struktur und Geschichte; 'Geschichte' verstanden in der Bedeutung konkreter Ereignisse und nicht im Sinne von Begriffsgeschichte. Die Annahme der Existenz besonderer Temporalstrukturen, von historischen Ungleichzeitigkeiten, gibt wichtige Anhaltspunkte in die Hand, eine universalistische Geschichtsauffassung zu vermeiden, die regionalen und historischen Differenzen nicht Rechnung zu tragen imstande ist oder dies auch gar nicht beabsichtigt.
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