Frauen tun sich zusammen, Männer fühlen sich bedroht
Zum Ende der 60er und im Verlauf der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts blockiert die in den ersten Gewerkschaften und sozialdemokratischen Vereinen vorherrschende Haltung des »proletarischen Antifeminismus« Mitwirkungsmöglichkeiten von Frauen. Ihnen wird von Seiten der Männer, die die Anfänge der Arbeiterbewegung tragen, sowohl das Recht auf Erwerbstätigkeit und gewerkschaftliche wie politische Aktivität abgesprochen als auch energisch die Rolle zugewiesen, die proletarische Reproduktion in einer geordneten Privatsphäre zu gewährleisten. Selbst die deutsche Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), die als revolutionärer Flügel im Gründungsprozeß der sozialdemokratischen Partei agiert, vertritt in einer 1866 verfaßten Denkschrift die Auffassung:
- »Die Frau und Mutter soll neben der ernsten öffentlichen und Familienpflicht des Mannes und Vaters die Gemüthlichkeit und Poesie des häuslichen Lebens vertreten, Anmuth und Schönheit in die gesellschaftlichen Umgangsformen bringen und den Lebensgenuß der Menschheit veredelnd erhöhen.« (Thönnessen 1976, 19)
Mit dieser Position fallen die Mitglieder der IAA noch hinter den damaligen Diskussionsstand der in ihren Augen als rückschrittlich geltenden Lassalleaner zurück, die wenigstens meinen:
- »Wir müssen aber vorher die vollständige Emanzipation der Arbeiter haben, ehe wir die Frauen emanzipieren können.« (ebd., 18)
Vielmehr teilt die IAA traditionelle Argumentationsstrukturen, denen zufolge es ausreicht, wenn der Mann arbeitet. Für Frauen sei allein die Heirat und »häusliches Walten« adäquat. Im Originalton IAA, den Marx und Engels gekannt, mitverfaßt und unwidersprochen haben stehenlassen, klingt das so:
»Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen kann und es wird keines jener armseligen Geschöpfe mehr vorhanden sein, das in der Vereinzelung der Verzweiflung Beute wird, sich an sich selbst und an der Natur versündigt, durch Prostitution und Handeln mit lebendigem Menschenfleisch die «Zivilisation» brandmarkt. (...) Den Frauen und Müttern gehören die Haus- und Familienarbeiten, die Pflege, Überwachung und erste Erziehung der Kinder, wozu allerdings eine angemessene Erziehung der Frauen und Mütter vorausgesetzt werden muß.« (ebd., 19)
Clara Zetkin befaßt sich in ihrer Schrift »Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands« auch mit diesem Abschnitt der Geschichte der Arbeiterbewegung, deutet aber Marxens und Engels Haltung bei der Abfassung der Inauguraladresse folgendermaßen: Das »Schweigen« über wesentliche kommunistische Grundsätze — in diesem Fall das Auslassen einer positiven Bewertung und Bejahung außerhäuslicher Erwerbstätigkeit als der wesentlichen Voraussetzung für die Emanzipation der Frau — bedeute keine Verleugnung von Prinzipien. Vielmehr hätten Marx und Engels bewußt auf die Formulierung dieser Position verzichtet, weil diese innerhalb der damaligen Sektionen der internationalen Arbeiterbewegung auf Widerstand gestoßen sei. Die Arbeiterbewegung sollte deshalb nicht durch die Formulierung der von ihr nicht geteilten und verstandenen Prinzipien, »... sondern durch ihre Aktion selbst zum Bewußtsein ihrer Aufgabe reifen ...« (Zetkin 19792, 75). Das Hintanstellen wichtiger Forderungen — soweit es sich um die Frauen und deren Emanzipation handelt — wird von Zetkin mit Nachsicht behandelt. Aus taktischen Erwägungen heraus legitimiert sie es sogar ausdrücklich. Diese Nachsicht mit den männlichen Genossen und deren »Kurzsicht« findet sich bei Zetkin aber nicht nur in diesen Passagen über das Verhalten von Marx und Engels in der IAA, sondern auch in Passagen, in denen sie sich mit den Wahlrechtsforderungen Lassalles und dessen ADAV auseinandersetzt. So sei es eine kluge Taktik gewesen, »...daß Lassalle und seine Partei das allgemeine Wahlrecht lediglich für die Männer gefordert haben.« (ebd., 55) Die Beschränkung habe, so Zetkin zustimmend, die Absicht verfolgt, »... die ganze Kraft in einer Faust für einen Schlag zusammenzuballen, eine Schwächung des Schlages durch Zersplitterung zu vermeiden.« (ebd.) Bemerkenswert ist, in welchem Kontext Zetkin jeweils die Haltungen der Genossen zur Erwerbstätigkeit der Frau und zum allgemeinen Wahlrecht als taktische Erwägungen zu legitimieren sucht. Dies geschieht immer in Auseinandersetzung mit und negativer Abgrenzung zu der bürgerlichen »Frauenrechtlerei«. Sie kritisiert, »...daß die bürgerlichen Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts sich zu jener Zeit auf die wirtschaftliche Emanzipation beschränkten und damals wie auch später noch um die Forderung des Frauenwahlrechts herumgegangen sind wie das Kätzchen um den heißen Brei.« (ebd.) Mit diesem Hinweis will sie der »frauenrechtlerischen Führerin«, Louise Otto-Peters, das Recht bestreiten, Kritik an der Lassalleanischen Sozialdemokratie zu üben. Für Zetkin ist es ein »heftiger Ausfall«, wenn es in der Broschüre von 1866, »Das Recht der Frauen auf Erwerb«, heißt:
- »... Von den Lassalleanern (ist) der Grundsatz aufgestellt worden: «Die Lage der Frau kann nur verbessert werden durch die Lage des Mannes». Dies ist der aller Gesittung und Humanität hohnsprechende Grundsatz, den unsere ganze Anschauung und diese Schrift bekämpft. Gerade die Partei, die von «Staatshilfe» sich so viel verspricht, die das allgemeine Stimmrecht fordert, schließt von allen ihren Bestrebungen die Frauen aus — dadurch beweist sie, daß sie ihr Recht der Freiheit, d.h. «die Herrschaft des 4. Standes» gründen will auf die Sklaverei der Frauen —, denn wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave.« (Otto-Peters 1866, 103)
Louise Otto-Peters leitet aus dem proletarischen Antifeminismus die Notwendigkeit von autonomen Organisationen von Frauen zur Durchsetzung ihrer Forderungen ab. Zetkin zieht andere Schlüsse. Ihre Nachsicht mit den männlichen Genossen resultiert offensichtlich aus der Absicht, den Autonomieanspruch der bürgerlichen Frauenbewegung zurückzuweisen. Sie will die »reinliche Scheidung« von der bürgerlichen Frauenbewegung. Daß es sich aber nicht um eine »kluge Taktik« handelt, sondern um eine systematische Ablehnung der Gleichwertigkeit der Frau, erweist sich bald. 1869 wird in Eisenach auf dem Gründungskongreß der SD AP, zu dem sich Lassalleaner und Mitglieder der IAA zusammengefunden haben, nur für Männer das Wahlrecht gefordert. Frauenarbeit soll eingeschränkt, immerhin aber nicht mehr verboten werden, was eine frühe Forderung war (vgl. Fricke 1976, 16). Einzelgewerkschaftliche Vereinigungen »für Arbeiter beiderlei Geschlechts« werden im Gefolge dieses Zusammengehens der beiden Flügel erstmals angeboten (vgl. ebd., 628). Tatsächlich entstehen aber nur dort Organisationen von Männern und Frauen, wo Frauen örtlich die Mehrheit der Lohnabhängigen stellen. Überwiegend bilden sich separate bzw. autonome Frauenvereinigungen mit politischem Anspruch oder aber reine Frauengewerkschaften (vgl. Thönnessen 1976, 28).
Allen Organisationsformen ist gemeinsam, daß es sich um kurzzeitige Versuche handelt, die über eine mehr oder weniger erfolgreiche Startphase nicht hinauskamen. Erst das Vereinsgesetz von 1908 bringt für Frauen die Koalitionsfreiheit. Bis dahin muß das Verbot des politischen Zusammenschlusses für Frauen als Begründung dafür herhalten, daß ihre parteipolitische Mitwirkung in der frühen Sozialdemokratie faktisch ausgeschlossen bleibt. Neben diesem Argument der politischen Bedrohung und Verfolgung, das zur Legitimation des Ausschlusses von Frauen angeführt wird, taucht aber flankierend in den Diskussionsverläufen immer wieder der Hinweis auf die Rückständigkeit und fehlende Bildung von Frauen auf, die sie für die »eigentliche« Aufgabe als Hausfrau und Mutter prädestinierten.[4]
Weil die sozialdemokratischen Organisationen es nicht fertigbringen, zum Teil ablehnen, zum Teil versäumen, Frauen ein politisches und gewerkschaftliches Forum anzubieten, müssen diese sich in der damaligen Zeit eigene Vereinigungen schaffen, um mit gesellschaftspolitischer Reichweite ihre Interessen vertreten zu können.[5]
Insbesondere die auf Dauer angelegten Organisationen von Frauen werden von Gewerkschaften und Parteiorganisationen kritisch beäugt. Mit den ad-hoc-Zusammenschlüssen bestehen keine großen Probleme, ihre Trägerinnen lassen sich mangels Alternative leichter in die Männergewerkschaften integrieren oder werden politisch untätig, resignieren, wenn der mächtige Partner interveniert.
Vielen Männern sind die Zusammenschlüsse, aber auch die organisierten Treffen von Frauen suspekt. Ihre Ängste sind konkret und praktisch: Die tägliche Versorgung steht auf dem Spiel, Frauen erledigen die Hausarbeit nicht mehr so gut, nicht mehr so selbstverständlich und bereitwillig ... (vgl. ebd., 65).
Vorrangig in Sachsen, so z.B. in Crimmitschau/Niedererzgebirge, streiken Textilarbeiterinnen zum Ende der 1860er Jahre häufiger und zusammen mit Männern, die regional in der Minderheit sind, für eine Verbesserung ihrer Entlohnung und ihrer Arbeitsbedingungen. Aber auch aus diesen ad-hoc-Ansätzen hat sich keine dauerhafte Organisierung von Frauen in den Gewerkschaften dieser Region ergeben (vgl. Evans 1979, 53). Die Aktivitäten der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen werden von Zetkin als Beginn der proletarischen Frauenbewegung gewertet, weil hier ein frühes Zusammengehen von Männern und Frauen praktiziert worden sei und sich diese Bewegung ausdrücklich auf die IAA bezogen habe (vgl. Zetkin 19792, 88). Alle vorangehenden Zusammenschlüsse von Frauen werden von Zetkin als bürgerlich identifiziert, wobei diese Zuschreibung nicht so sehr die Klassenlage der Trägerinnen dieser Bewegung meint.[6] Vielmehr seien diese von der »Frauenfrage zur sozialen Frage« gekommen und nicht umgekehrt und sie hätten nicht verstanden, daß es für die Arbeiterinnen nur eine einzige wirksame politische Praxis geben könne, nämlich: »ihre Organisierung gemeinsam mit den Klassengenossen« (ebd., 42). Wir meinen, daß Zetkin mit diesen Formulierungen den Kern der Auseinandersetzung zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung trifft. Sie grenzt sich gegen den Allgemeinheitsanspruch der bürgerlichen Frauenbewegung ab, in dem die Vorstellung von der Unterdrückung aller Frauen unabhängig von ihrer Klassenlage enthalten ist. Der so abgeleitete Autonomieanspruch und die Forderung, daß alle Frauen sich zu einigen hätten, konkurrieren mit den Politikvorstellungen der proletarischen Frauenbewegung.
Wir denken aber, daß es problematisch ist, diese Differenzierungen auf die frühen Organisationsversuche von Frauen anzuwenden, um diese zu klassifizieren. Die eigenständigen Politikformen von Frauen sind eher in der Auseinandersetzung mit dem proletarischen Antifeminismus entstanden. Sie wenden sich gegen die Haltung der männerzentrierten Organisationen und problematisieren sie aktiv handelnd. Die »reinliche« Trennung, d.h. die Konstituierung beider Bewegungen, geschieht erst sehr viel später. Die Aktionen der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen als den Anfang der proletarischen Frauenbewegung anzusehen, laßt dann auch nur eine bestimmte Rekonstruktion von Geschichte zu. Es ist eine Rekonstruktion, die um jeden Preis den Eindruck erwecken will, daß sich die proletarische Frauenbewegung eben doch im Schöße der Arbeiterbewegung entwickelt habe, und zwar nicht in kritischer Auseinandersetzung mit ihr, sondern als ein »Ableger«, als ein »Kind« derselben. So siedelt Zetkin den Beginn der Arbeiterbewegung 1848 an, läßt die Arbeiterverbrüderung von Stephan Born und anderen als deren Anfang stehen, weil — so Zetkins Argumentation — jedenfalls in einer kleinen Elite vertiefte sozialistische Erkenntnisse Platz gegriffen hätten. Die proletarische Frauenbewegung fängt aber bei ihr nicht mit der Arbeiterverbrüderung an, sondern mit der Gründung der Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-Fabrikarbeiter, also 20 Jahre später. »In ihr vollzog sich der erste größere organisierte Aufmarsch proletarischer Frauen als gleichberechtigter Mitkämpferinnen der Männer zum Ringen mit dem Kapital, zum Ringen für ihre volle Emanzipation.« (ebd., 65) Die Arbeiterbewegung fängt demnach an mit einer kleinen Elite, mit Genossen, die u.a. eine sozialistische Theorie der Frauenbewegung formulieren. Sie reift, indem sich diese Erkenntnisse allmählich und gegen den Widerstand anderer Genossen durchsetzen. Demgegenüber fängt die proletarische Frauenbewegung dort an, wo es Genossen offensichtlich zum ersten Mal gelingt,
- »den Klasseninstinkt der Proletarierinnen zum klaren Klassenbewußtsein zu läutern und sie als gleichverpflichtete und gleichberechtigte Mitstreiterinnen dem allgemeinen proletarischen Emanzipationskampf zuzuführen.« (ebd., 87)
Warum wird dann aber überhaupt von einer proletarischen Frauenbewegung gesprochen, warum nicht nur von einer Klassenbewegung, in der sich die Frauen — u.U. verspätet — einreihen, in der Männer und Frauen gleichermaßen um ihre Befreiung kämpfen? Die frühe proletarische Frauenbewegung stellt diese Frage nicht. In ihren Reihen hat sich ein Bild, eine Vorstellung von Frauen etabliert, das diese als passive und gefühlsgeladene Wesen einstuft. Sie müssen durch Aufklärung, Schulung und geschickte Organisation auf den richtigen Weg gebracht werden. Sie sind ein Teil der Arbeiterbewegung, der nichts bewegt, sondern bewegt werden muß.
Behindernde Interventionen der Arbeiterbewegung
Schon sehr früh haben bürgerliche Frauen begonnen, ihre eigenen Organisationserfahrungen zu nutzen, um mit Arbeiterinnen Interessengemeinschaften zu bilden bzw. für diese Hilfs- und Schutzeinrichtungen zu gründen. Die ersten auf Dauer angelegten Organisationen weiblicher Lohnabhängiger, die auch tatsächlich über längere Zeit existierten, »waren entweder direkt oder indirekt von Frauen aus dem liberalen Bürgertum inspiriert... Bürgerliche Frauen verfügten zu dieser Zeit bereits über ein beträchtliches Maß an Erfahrung in der Organisation und Verwaltung verschiedener freiwilliger Assoziationen, während die Frauen der Arbeiterklasse im allgemeinen auf Erfahrungen dieser Art nicht zurückgreifen konnten.« (ebd., 54) In einem langsamen und mühseligen Lernprozeß beginnen proletarische Frauen, diese Kenntnisse zu übernehmen und zu erweitern. Nun relativieren sich die Vorbehalte, der proletarische Antifeminismus nimmt neue Formen an. Hatte die männliche Mitgliedschaft früher mehrheitlich unter Berufung auf ihre Interessen und das Gesetz grundsätzlich gegen eine inte-grative oder eigenständige Organisierung von Frauen votiert, so verlangt sie angesichts des praktizierten Zusammengehens Mitspracherechte. Sie fordert, die politische Einheit des Proletariats zu wahren. Die Frauen hätten zu beweisen, daß ihre Zusammenschlüsse nicht in Zersplitterung mündeten (vgl. Evans, 52). Sie fühlen sich legitimiert, in die Interna von Frauenaktivitäten einzugreifen, Kontrolle auszuüben. Das tun sie in der Form von diskriminierenden Zuschreibungen und spaltenden Interventionen (vgl. Losseff-Tülmanns 1982, 27). Insbesondere die Nähe bzw. Zusammenarbeit mit bürgerlichen Frauen ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie fordern von »ihren« Frauen, den jungen Arbeiterinnen und eigenen Ehefrauen, klare Abgrenzungen von allen bürgerlich-liberalen Einflußnahmen. Das tun sie auf dem Hintergrund eigener Erfahrungen, die sie umstandslos übertragen wissen wollen (vgl. Tönnessen 1976, 28). Im Zuge der 60er und 70er Jahre werden die sozialistischen Arbeiterorganisationen selbständiger und schütteln die Betreuung wie Einflußnahme bürgerlich-liberaler Kräfte ab. Diese begreifen die frühindustrielle Verelendung der lohnarbeitenden Männer wie Frauen als »soziale Frage«, gegen die sie individuelle Bildung und Besserstellung sowie punktuelle Reformen einsetzen wollen. Während Männer aber bereits in den Arbeiter-Bildungs-Vereinen der 50er Jahre Erfahrungen mit den Möglichkeiten und Grenzen dieses auf Erziehung und Bildung des Individuums ausgerichteten Konzepts gemacht haben — ohne diese je an Frauen weiterzugeben — beginnen Frauen jetzt in großer Zahl damit, die Frauenfrage als »soziale Frage« aufzufassen und individuelle Bildungs- wie Hilfsaktivitäten in Anspruch zu nehmen und zu entfalten. Diese Versuche gelangen über verschiedene und wiederholte Anfänge nicht hinaus. Das ist z.T. darauf zurückzuführen, daß Männer ihren Frauen weder auf der privaten Ebene die Zeit noch auf der gewerkschaftlichen und politischen Ebene den Raum überlassen, derartige Prozesse und Lernerfahrungen zu durchlaufen. Die gewerkschaftliche und politische Identität von Männern in der Sozialdemokratie gerät ins Wanken, wenn sich ihre Frauen und Töchter in der Nähe der bürgerlichen Frauenbewegung betätigen. Und als Männer werden sie in Frage gestellt, wenn die Ehefrau ihr häusliches Engagement reduziert, »aber die Abhängigkeit der Frau vom Manne begreift er manchmal nicht, weil sein eigenes liebes Ich ein wenig dabei in Frage kommt«, — sagt Bebel bedauernd 1883 (zit. n. Losseff-Tillmanns 1982, 107).
Die Mißbilligung, die den Aktivitäten von Frauen aus dem Bürgertum entgegengebracht wird, ist umso unverständlicher, als doch die frühe Arbeiterbewegung sich über die Arbeiterbildungsvereine rekrutiert hat. Ähnlich verhält es sich mit Haltungen, die sozialdemokratisch und gewerkschaftlich organisierte Männer zu den öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten unter Frauen einnehmen. Das Auf und Ab der damaligen Anstrengungen zur Organisierung von Frauen ist von Streitigkeiten, unproduktiven Zwistigkeiten, persönlichen Rivalitäten und heftigen Fehden begleitet. Während Bebel um 1885 wohlwollend, aber wenig konstruktiv zu intervenieren versucht, um »ein gewisses Maß an Ordnung und Uniformität zu übertragen« (Evans 1979, 59ff.), legen andere Finger in die Wunde. Frauen werden in aller Öffentlichkeit beschuldigt, ihre Unfähigkeit durch das zeit- und kraftraubende Austragen von Differenzen zu beweisen. Die Häufigkeit und Intensität von Auseinandersetzungen unter Frauen wird als Anlaß zu deren grundsätzlicher Diskriminierung genommen. Die politischen wie gewerkschaftlichen Vorstellungen und Forderungen der frühen Frauenorganisationen bleiben überwiegend wirkungslos (vgl. ebd., 65).
Die Mehrheit der aktiven Frauen in Hamburg besteht durchgehend aus Vollhausfrauen, deren Männer nahezu ausnahmslos als »eifrige Sozialdemokraten« bekannt sind (vgl. ebd., 66). Sie sind nach den Materialstudien von Evans die aktiven Trägerinnen der frühen Frauenorganisationen. Ihr Motiv, sich zusammenzuschließen, ist, sich über Haus- und Erziehungsfragen zu unterhalten, gemeinsam zum Häkeln, zum Stricken etc. zusammenzukommen (vgl. Huck u.a. 1980, 19ff.). Ihr Konzept für die jungen Mädchen und Arbeiterinnen unterscheidet sich gar nicht wesentlich von dem, das bürgerliche Frauen schon in den 50er Jahren entworfen haben. Sie wollen helfen, Not lindern und belehren, was der rechte Weg und Tugendpfad für die junge Arbeiterin sei. Sie schicken bzw. verweisen die Mädchen auf die Gewerkschaften als einzig zuständige Organisationen der Interessenvertretung am Arbeitsplatz und im Betrieb. »So war die Assoziation de facto ein Erziehungsverein, mittels dessen die Frauen der sozialdemokratischen Aktivisten etwas von der Ideologie ihrer Männer lernen konnten« (Evans 1979, 66).
Das entsprach aber nicht dem selbst erhobenen Anspruch. Die zentralen Ziele des »Vereins zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs« waren z.B., neben der geistigen Bildung auch die »Hebung der ... materiellen Interessen der Mitglieder, insbesondere die Regelung der Lohnverhältnisse, die gegenseitige Unterstützung bei Lohnstreitigkeiten« anzustreben (ebd., 64). In dieser Hinsicht erreicht auch der spätere Zentralverein, der wiederum aus den vorgenannten Verbänden entsteht, nichts, will und/oder kann sich auch gegen den geschlossenen Widerstand der Gewerkschaften und sozialdemokratischen Partei kaum durchsetzen. Von hier wird nämlich die Anerkennung der ausschließlichen Kompetenz und Zuständigkeit der Gewerkschaften für Lohnfragen verlangt. Dem wird von der Mehrheit der Frauen, den Vollhausfrauen(l), entsprochen. Sie hören sich zudem Reden von Männern widerspruchslos an, in denen diese z.B. behaupten,
- »daß die Beschäftigung der Frauen die Löhne der Männer drücke und sie arbeitslos mache und daß, was noch schlimmer sei, der Mann (...) abends, wenn er von langer Tagesarbeit heimkehrt, kein ordentliches Heim hat und in vielen Fällen auch nichts Ordentliches zu essen (bekomme), wenn die Frau in der Fabrik arbeite.« (ebd., 66)
Die Idealisierung der kleinbürgerlichen Familie als Vorbild für proletarische Lebensverhältnisse sowie eine Übernahme der damit traditionell verbundenen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ist kennzeichnend für die Auffasssung der aktiven und führenden Frauen in dieser Zeit. Männer fürchten die Konkurrenz von Frauenorganisationen vor allem, wenn diese zur Gründung eigenständiger und längerfristig orientierter Verbindungen schreiten, die gewerkschaftlichen Charakter haben. Die Einmischung von außen durch Männer bewirkt, daß existierende Dissonanzen und Differenzen zu Spaltungen vertieft werden. Ihre Einwirkungsmöglichkeiten liegen auf sehr verschiedenen und vielfältigen Ebenen, greifen verstärkend ineinander. Von welcher Qualität und von welchem Gewicht die gewerkschafts- und parteioffiziellen Interventionen und Kritiken einerseits sowie die Restriktionen auf privater Eheebene andererseits tatsächlich waren, welchen Anteil diese Frontstellung an den wiederholten Auflösungen von Frauenorganisationen faktisch hatte, müßte genauer an historischen Quellen untersucht werden.
Die Trennung von der bürgerlichen Frauenbewegung
als Preis für den Eintritt in die proletarischen Organisationen
Mit alledem hat Clara Zetkin lange nichts zu tun. Sie lebt und arbeitet bis 1889 in Paris und verfaßt in den 80er Jahren Artikel zur Frauenfrage, die dem bürgerlich-liberalen Gedankengut sehr nahestehen (vgl. Evans 1979, 98). 1889 hilft Zetkin, den Kongreß der II. Sozialistischen Internationalen in Paris vorzubereiten, erstmals liest sie dazu Engels »Ursprung ...« (erschienen 1884). Darauf hält sie ihre erste große Rede zur Frauenemanzipation, die in dem selben Jahr — mit ausführlicheren Einschüben — unter dem Titel »Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart« veröffentlicht wird. In der Rede wie in der Schrift hält sie die außerordentliche Bedeutung der Erwerbstätigkeit für die Emanzipation der Frau fest. Die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten bzw. das Interesse der Kapitalisten an der billigen Frauenarbeit machten die Frauen zu Konkurrentinnen des männlichen Arbeiters. Der Kapitalismus hebe die sozialen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf und befreie die Frau aus der ökonomischen Abhängigkeit vom Mann. Ihre zwangsweise Einbeziehung in den Bereich der gesellschaftlichen Produktion stelle somit die wesentliche Voraussetzung für ihre Befreiung dar. Damit existiere aber eine Interessenidentität zwischen den arbeitenden Frauen und den männlichen Lohnarbeitern. Beide fänden sich ökonomisch in derselben Lage, teilten jetzt das Klassenschicksal und damit auch die gleichen Forderungen. Eine alleinige Befreiung der Frauen sei somit undenkbar, erst mit der Aufhebung der Klassengesellschaft würden Männer und Frauen gleichermaßen emanzipiert.
Laut Zetkin entsteht die Frauenfrage mit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise, weil die mit ihr einsetzende zwangsweise zunehmende außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Frauen auf Widerstand bei den Betroffenen stoße und sich mit herkömmlichen und überholten Einstellungen reibe. Sie werde aber gleichzeitig durch den Kapitalismus »gelöst«, weil die Unterschiede des Geschlechts für die Arbeiterklasse in ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln keine Bedeutung mehr hätten. Damit entspricht Zetkin der fundamentalen Überzeugung der damaligen Arbeiterbewegung, daß sich die Frauenbewegung als Teil der Arbeiterbewegung zu verstehen habe und sich so organisieren müsse, daß der Kampf der proletarischen Frau identisch sei mit dem des proletarischen Mannes (vgl. Evans 1979, 84). Separate Organisationsformen des weiblichen Proletariats haben in diesem Zusammenhang nur dann Sinn, wenn hierin »die Industriearbeiterin organisiert, ökonomisch und politisch aufgeklärt wird, damit sie sich in klarer Erkenntnis der Verhältnisse an das aufstrebende und ringende sozialistische Proletariat anschließt.« (Zetkin 1979, 144). Denn die Frauen — so Zetkin — seien schwach und rückständig, würden danach trachten, sich hinter dem häuslichen Herd zu verkriechen, hätten einen Mangel an dem allgemeinen Solidaritätsgefühl, kurz, sie müßten sich dem gesellschaftlich-produktiven Manne erst als ebenbürtig erweisen (ebd., 143ff.). Die Partei als Vollstreckerin der sozialistischen Revolution müsse aber diese Frauen als potentielle revolutionäre Masse erfassen. Zetkin beschwört den Wirkungsmechanismus der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten aber nicht nur im Zusammenhang mit der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit, sondern auch im Hinblick auf die Auflösung der angeblich klassischen Aufgaben der Frauen als Hausarbeiterinnen. Der Kapitalismus, so argumentiert sie, vernichte das Betätigungsfeld der Frau in der Familie, denn
- »als sich die moderne Industrie entwickelte, als sie durch Dampf und Mechanik die Produktion leichter, schneller, ausgiebiger und die Produkte billiger machte, mußte der Frau ein Zweig ihrer alten produktiven Tätigkeit im Hause nach dem anderen entzogen werden.« (ebd., 138).
Zetkin nennt in diesem Zusammenhang weitere weibliche Betätigungsfelder und Hausarbeiten: Das Waschen, das Kochen, das Nähen usw. seien Tätigkeiten, die durch die Entwicklung der Produktivkräfte zunehmend vergesellschaftet würden. Wir finden aber keine Hinweise, daß sie sich mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie überhaupt auseinandersetzt. Es scheint für sie kein Problem zu sein, daß die Frauen und nicht die Männer für die Übernahme der verbleibenden Hausarbeit verantwortlich gemacht werden. Die Entlastung der Frau in diesem Bereich wird allein technischen und gesellschaftlichen Automatismen, der Entwicklung der Produktivkräfte, überantwortet. Ebensowenig finden wir in diesem Text eine Auseinandersetzung mit und eine Analyse über die Erziehungsarbeit, die Frauen zu leisten haben.[7] Im Laufe ihrer Tätigkeiten in der proletarischen Frauenbewegung und vor allem während ihrer Zeit als Chefredakteurin und Herausgeberin der Gleichheit fängt Zetkin einige Jahre nach der Abfassung dieser frühen Frauenemanzipationsschriften an, die bedeutsame Rolle der Frau im Haus als Mutter und Gattin zu betonen. Mit ihrem Tun leiste sie einen wichtigen Beitrag zur Kampffähigkeit des Proletariers und des Proletariats (vgl. hierzu z.B. Freier 1982). Wir meinen, daß dieser späte Rückgriff auf die Reproduktionsarbeit von Frauen als deren Beitrag zum Klassenkampf systematisch zusammenhängt mit der fehlenden Analyse der Unterdrückung in Ehe und Familie und der sozialen Bedingtheit des »Geschlechtscharakters« der Frau. Bleiben diese Bereiche unanalysiert, dann schleichen sich hinterrücks konservative, der herrschenden Familienideologie entsprechende Vorstellungen von der wesensmäßigen Bestimmung der Frau und ihrer Aufgabe ein. Die Entwicklung von Alternativen zum bürgerlichen Ehe- und Familienverhältnis ist aufgrund der unterbliebenen Analyse unmöglich, das macht deren ungebrochene Akzeptanz aus.
Wir haben oben gezeigt, daß Zetkin Frauen — übrigens unabhängig von ihrer Klassenlage — als instinktgeleitete, zurückgebliebene, defizitäre Wesen begreift. Gelten verbleibende Hausarbeit und die Kindererziehung als natürliche Aufgaben, als Konsequenz ihrer Biologie (»ihrer Natur«), dann erscheint die männliche Tätigkeit demgegenüber logischerweise als die bewußtere, rationalere, geplante und durchkalkulierte, wirklich menschliche Aktivität. Wenn Frauen sich emanzipieren und soziale Wesen werden wollen, müssen sie zusätzlich zu den durch ihre Natur vorgegebenen, nicht teilbaren Aufgaben in die Bereiche der eigentlich gesellschaftlichen Produktion eindringen. Mit anderen Worten: Sie müssen die Doppelbelastung akzeptieren. Die Tradierung der bürgerlichen Familienideologie und das damit verknüpfte Frauenbild nennen wir den inneren Konservativismus der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie und -Strategie.
Zetkin arbeitet sich zu Beginn der 90er Jahre rasch in der Bewegung hoch und nimmt im Zuge des Zerfalls des Zentralvereins 18% eine führende Rolle in der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Frauenarbeit ein.
Daß sie diese Position erlangt, hat wesentlich mit ihrer Aktivität in der Infrastruktur des »Internationalen Sozialismus« zu tun. Schweiz-, Moskau- und Paris-Aufenthalte vermitteln ihr reichhaltige Erfahrungen und Einblicke in die Arbeiter- und Frauenbewegung Europas. Viele andere Frauen sind ebenfalls am Aufbau und an der Unterstützung politischer und gewerkschaftlicher Organisationen beteiligt. Sie haben z.T. erheblich mehr praktische Frauenarbeit in den 80er Jahren geleistet als Zetkin. Im Unterschied zu ihnen ist aber Zetkin über ihre Arbeit für die illegale sozialdemokratische Presse politisch in Kontakt mit Engels und Bebel gekommen. Das macht ihre starke Stellung innerhalb der Sozialdemokratie aus. Sie gilt als »verläßliche Frauensperson«. In Konfliktfällen holt sie häufig über briefliche Korrespondenzen den Zuspruch und die Meinung von Engels ein. Sie hat deshalb häufiger Kritiken von Lily Braun einzustecken (vgl. Evans 1979, 107f.).
Zetkin stellt 1889 nach dem Besuch des Kongresses der II. Internationale die Berliner Agitationskommission zusammen, leitet dieses Team von Frauen, das sich als paralleles Organisationsgremium der SPD versteht und »in erster Linie auf die Werbung weiblicher Mitglieder für die Gewerkschaften« in Informations- und Propagandatouren ausgerichtet ist (vgl. Evans 1979, 85f.). Die Politik dieses kleinen Frauenteams (ca. 10 Frauen) besteht bis 1896 wesentlich darin, sozialdemokratisches Gedankengut in bereits bestehende politische und gewerkschaftliche Fraueninitiativen der Provinz zu tragen. Die Frauen reisen von Berlin aus durchs Land, halten Reden, formulieren Aufrufe, initiieren Versammlungen und Neugründungen und tragen ihre Erfahrungen in der »Gleichheit« unter Zetkins Leitung zusammen.
Zetkins Aufstieg in der Sozialdemokratie und ihr Einstieg in die aktive Frauenpolitik erfolgt auf dem Hintergrund eines Problems, das die Gewerkschaften Anfang der 90er Jahre besonders betrifft: Um 1894 stellen sie fest, daß nur 1% weibliche, aber 9% männliche Arbeitende gewerkschaftlich organisiert sind, noch 1895 ist das Verhältnis ca. 13% zu 3% (vgl. ebd., 200). Die Gewerkschaften sorgen sich angesichts dieses extrem niedrigen Organisationsgrades von Frauen, weil er die Effektivität und Durchsetzungschancen in betrieblichen Auseinandersetzungen mindert. Der Mangel an Frauen ist auch in der innerorganisatorischen Arbeit der Gewerkschaften spürbar: Agitatorinnen und Rednerinnen fehlen, wenngleich es eine Menge Frauen gibt, die über langjährige Erfahrungen in der frühen Interessenvertretung von Frauen verfügen. Da bietet Zetkin die Berliner Agitationskommission an, um dem Mangel abzuhelfen und innerhalb wie außerhalb des mächtigen »Zentralvereins für die Mädchen und Frauen Deutschlands« für weiblichen Nachwuchs und Nachschub in den Gewerkschaften zu werben. Dieses Angebot wird angenommen. Der Rahmen für die Integration von Frauen steht bereit.
Die Befriedungsthese
Die Beschreibung der Anpassungs- und Durchsetzungsstrategien weiblicher Führungskräfte in der proletarischen Frauenbewegung und der Sozialdemokratie erklären aber nur, mit welchen Mitteln und warum sich ganz bestimmte Frauentypen an die Spitze der Bewegung setzen konnten; sie zeigt, mit welchen Qualifikationen Frauen ausgestattet sein mußten, um in den von Männern dominierten Organisationen Bedeutung zu erlangen. Dennoch bleibt folgendes erklärungsbedürftig:
Die proletarische Frauenbewegung erlebte ihren Aufschwung Anfang des Jahrhunderts (Evans 1979,202). Bis zu diesem Zeitpunkt hatten weder Bebels Argumentation für Gleichheit und Gleichberechtigung noch Zetkins Plädoyer für die Organisierung von Frauen den proletarischen Antifeminismus erschüttert. Erst zu diesem Zeitpunkt weicht der traditionelle Antifeminismus. Männer formulieren ein Interesse an der Integration von Frauen in die Partei und praktizieren dieses offensichtlich (ebd. 210). Was war der Motor, das Motiv für diesen Umorientierungsprozeß?
Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde das bürgerliche Kleinfamilienidyll nicht mehr nur in's Proletariat hineingetragen, sondern auch lebbar, weil materiell tragbar; zumindest für eine besser bezahlte Facharbeiterschaft, die auch wesentlich Träger der damaligen Sozialdemokratie war (vgl. hierzu Roth 1978, 25ff.).
Hand in Hand mit diesem Prozeß der »Domestizierung« von Frauen im proletarischen Milieu sehen wir Indizien für eine Widerständigkeit von Frauen. Sie probieren den Geschlechterkampf, verweigern sich der sexuellen Benutzung durch den Mann, um die Geburts- und Kinderaufzuchtsbelastung zu minimieren. Sie ziehen in die Kneipen, um Saufgelage zu beenden, die die Lohntüten existenzbedrohend leeren.
Prostitutions- und Alkoholkonsum in großem Ausmaß sind damals Massenerscheinungen der außerhäuslichen männlichen Lebenspraxis und wie seine Aktivitäten im Rahmen von Gewerkschaften und Partei für die an Wohnung und Kinder gebundene Frau bedrohlich und kostspielig (vgl. hierzu Soder 1980).
So lassen sich die Umorientierungen der Männer in der Partei, deren Versuche, die Frauen aktiv einzubeziehen, auch als Folge und Reaktion auf diese weibliche Widerständigkeit deuten. Sie, die Männer, schreiten zu Absicherungspraktiken für ihr außerhäusliches Engagement und Betätigungsfeld, wo sich lang- und kurzfristige Interessenvertretung wie unmittelbare männliche Bedürfnisbefriedigung bewerkstelligen lassen. Die Männer mußten ein Interesse daran haben, den privaten Geschlechterkampf zu entschärfen und einer Ausbreitung feministischen Gedankenguts im eigenen Haus entgegenzutreten. In der offiziellen sozialistischen Frauenemanzipationstheorie und in den politischen Praxen der proletarischen Frauenbewegung kam der Geschlechterkampf nicht vor, wurden die Beziehungen zwischen Frauen und Männern harmonisiert. Im Gegensatz dazu thematisierte die sogenannte bürgerliche Frauenbewegung zu diesem Zeitpunkt die Geschlechterproblematik und organisierte Kampagnen, die diese zum Gegenstand hatte (z.B. Lohn für Hausarbeit, Kampagne gegen den Paragraphen 218, Prostitution und Alkoholismus, vgl. hierzu unsere Ausführungen unter 3.). Unter anderem aus diesem Grund mußten die Männer der Partei- und Gewerkschaftsbewegung ein Interesse an der Einbeziehung ihrer Frauen in die eigenen Organisationsgliederungen haben.
Tatsächlich war die proletarische Frauenbewegung überwiegend eine Bewegung der Ehefrauen der in der Sozialdemokratie organisierten Männer (vgl. hierzu Evans 1979, 199). Warum aber ließen sich die Frauen einbinden; warum akzeptierten sie — offensichtlich — die »Emanzipation durch Lohnarbeit-Strategie«, obwohl ihre eigene Lebenslage im Gegensatz dazu stand? Wir meinen, daß eine mögliche Erklärung hierfür in dem inneren Konservativismus der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie zu suchen ist, mit dem eine Aufwertung und Festschreibung der Rolle der Frau als Mutter und Produzentin des revolutionären Nachwuchses verbunden ist. Komplementär zur realen Machtlosigkeit der Frauen in der Organisation entwickeln sich in der »Gleichheit«, dem theoretischen Organ dieser Bewegung, Bilder der großen Bedeutung der Frau in ihrer biologischen Funktion als Produzentin des proletarischen Nachwuchses (vgl. hierzu Freier 1981).
Nun kann dagegen eingewandt werden, die Frauen hätten auch auf die andere Seite der Frauenemanzipationstheorie setzen könne, auf die Lohnarbeit; sie hätten auf den Arbeitsmarkt dringen können, das Recht auf Arbeit für sich einklagend. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt den Frauen angebotenen Tätigkeitsfelder und angesichts der Erfahrungen, die proletarische Frauen vor ihrer Eheschließung mit der Arbeit in diesen Bereichen gemacht haben (vgl. hierzu Willms 1980, Richebächer 1982 — aber auch die autobiographischen Schilderungen von Arbeiterehefrauen), haben sich proletarische Frauen offensichtlich deshalb für die Familienarbeit entschieden, weil dies eine Entlastung für sie bedeutete. Die Niederlage der proletarischen Frauen bestand nicht darin, daß sie als Hausfrau tätig wurden und sich in diesem Bereich einrichteten. Ihre Niederlage bestand eher darin, daß sie sich in die Organisation einbinden und ihre Widerstandsformen durch Allmachtsphantasien befrieden ließen.
Die letzte große Debatte innerhalb der Sozialdemokratie vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die sogenannte Gebärstreikdebatte, läßt deutlich werden, wie die Parteiführung und die führenden Frauen in der Partei mit Versuchen umgegangen sind, in denen Frauen ihre vorhandenen Macht- und Einflußmöglichkeiten offensiv und politisch zu wenden versuchten. Im Gegensatz zur Massenstreikdebatte, die vor allen Dingen innerhalb der Parteiführung und den theoretischen Organen der Partei geführt wurde, entstand die Gebärstreikdebatte von »unten«, verbreitete sich rasch und stieß auf großes Interesse bei den Betroffenen (vgl. hierzu Evans 1979, Roth 1978, Bergmann 1983).
Zum Ausgangspunkt dieser Debatte: Mit der Herausbildung der »modernen Kleinfamilie« in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts innerhalb des Proletariats, oder besser, innerhalb der besser verdienenden Schichten des Proletariats (vgl. hierzu Rosenbaum 1982) ging die Zahl der Geburten auch in diesen Schichten zurück. Der Rückgang der Geburtenrate bei einer gleichbleibend hohen Säuglingssterblichkeit, die Abnahme der Zahl der Militärtauglichen, die Zunahme der Alkohol- und Geschlechtskranken: alle diese Erscheinungen zwangen den Staat zur Intervention, um den Nachwuchs an Arbeitskräften und Soldaten zu sichern. Dabei korrespondierte eine auf quantitative Effekte zielende, repressive Bevölkerungspolitik (Verschärfung des §218 und verstärkte Verfolgung der Homosexualität) mit einer auf die erbbiologische Qualität des Nachwuchses zielende Politik (Schwangerenvorsorge, Bekämpfung des Alkoholkonsums, verbesserter Mutterschutz). Verantwortlich für den Verfall der Sitten wurden u.a. die Sozialdemokratie und die Frauenbewegung gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten innerhalb der Sozialdemokratie Diskussionen über Sexualität und Empfängnisverhütung nur spärlich stattgefunden, galten sie doch als private, nicht politisierbare Bereiche der einzelnen Mitglieder. Jetzt wurde ihnen eine solche Diskussion von außen durch die Regierung und die bürgerliche Presse aufgezwungen. Die Führung der Sozialdemokratie reagierte auf die Anschuldigungen, in dem sie die reale Praxis der Geburtenkontrolle anprangerte als Folge der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus. Diese schrecklichen Verhältnisse — so die Argumentation — würden daran Schuld sein, wenn Arbeiterfrauen keine gesunden, lebensfähigen Kinder in die Welt setzen und aufziehen könnten und deshalb zur Geburtenkontrolle, u.a. durch das Mittel Abtreibung, getrieben wurden (Roth 1978, 45). Ansonsten lehnte die Führung der Sozialdemokratie jede Form der Geburtenbeschränkung als in den Reformismus führende Selbsthilfe ab (vgl. hierzu Jannssen-Jurreit 1979, 65ff.). Die betroffenen Frauen und die sie unterstützenden sozialdemokratischen Ärzte gingen ganz anders mit der politischen Offensive der Herrschenden um. In Massenveranstaltungen legten sie die reale Praxis der Geburtenbeschränkung offen und versuchten, diese durch die Aufklärung über empfängnisverhütende Mittel zu verbreitern. Gleichzeitig politisierten sie diese Praxis, indem sie sie als Widerstandsform von Frauen deuteten, die damit dem kapitalistischen Staat und seinem Militär die elementare Basis für kriegerische Auseinandersetzungen entzogen: den männlichen Nachwuchs, die potentiellen Soldaten. Auf einer der großen Veranstaltungen traten Rosa Luxemburg und Clara Zetkin im Auftrag des Parteivorstandes auf. Sie formulierten die Argumente der Parteiführung gegen den Gebärstreik. In dieser Rede sagte Clara Zetkin u.a., daß für die Partei die große Masse, d.h. die Quantität, deshalb von so großer Bedeutung sei, weil eben nur durch Masse die Befreiung der Arbeiterklasse erreicht werden könne; ein Blick in die Geschichte würde diese Tatsache belegen: der Kinderreichtum sei ein gesunder Reichtum gewesen, einzig er hätte zu Erfolgen und Siegen geführt (Roth 1978, 85). Sie rief den Veranstaltungsteilnehmern zu: »Und wenn sie aufhören, Soldaten zu zeugen, dann hören sie auf, Soldaten der Revolution zu zeugen.« (zit. nach Roth 1978, 90). Wir denken, daß an dieser Argumentation deutlich wird, in welchem Maße Fraueninteressen den Parteiinteressen untergeordnet und instrumentalisiert wurden. Hier offenbart sich deutlich der innere Konservativismus, der Frauen als Gebärmaschine, als Produzentin von Masse begreift.