Für »aufständische« Frauen ist die Bibel ein schwieriges Buch. Die Bücher der Heiligen Schrift tragen alle Spuren der patriarchalischen Kultur, in der sie entstanden sind. Die Bibel ist eben auch ein Niederschlag dieser Kultur - einer Kultur von Nomaden, eines unterdrückten Volkes, das sich befreit, sich kämpfend an einem andern Ort niederläßt und seine Befreiungsgeschichte dann als von Gott verursacht, verheißen und begleitet erfährt und als Heilsgeschichte erlebt. Aus der Religionsgeschichte wissen wir, daß gerade dann, wenn ein Volk nicht seßhaft ist, sondern herumzieht, vertrieben wird oder sich auf dem Auszug befindet, nicht nur die Männer und ihre »Werte« die Überhand haben, sondern auch ihr Gottesbild männlich gefärbt ist, d. h. daß die männlichen Götter dominieren. Wenn hingegen von einem gefestigten Dasein die Rede ist, wo es auf das Zusammenleben, das Wohnen, Bebauen und die Kultur ankommt, dann dominieren die sogenannt weiblichen Werte wie Erde, Haus und Herd; dann treten die weiblichen Göttinnen in den Vordergrund.[1]
Aber in der Heilsgeschichte von Israel spielt noch ein anderer äußerst wichtiger Faktor mit: hier geschieht die Offenbarung des einen Gottes, der durchbricht und sich immer wieder durchsetzen will, quer zu den Religionen der benachbarten Kulturen. Die Auflehnung gegen die Götter, die zu Abgöttern werden, vor allem der Kampf gegen die Große Mutter, die Große Göttin, der wir in allen alten Kulturen unter zahllosen Namen begegnen, die Abkehr von Fruchtbarkeitsriten - das alles ist zu einem Aufstand geworden, der zweierlei Folgen gehabt hat und meiner Ansicht nach noch immer hat.
Eine günstige Folge ist die, daß der Mensch aus dem Zyklus befreit wird, in dem er oder sie geborgen, aber auch gefangen ist, aus dem mythischen Erlebnis der göttlichen oder dämonischen Kräfte der Natur, der Jahreszeiten, der Fruchtbarkeit und der Sexualität.
Der Kreis der Gemeinschaft wird aufgebrochen, der Schoß der Geborgenheit aufgeschlossen; und dieser Durchbruch wird als ein Weg erlebt, als eine Geschichte, die der Mensch selbst bestimmt, auf dem Weg in eine Zukunft, die offen liegt. Aber schon hier muß festgestellt werden, daß dieser Aufbruch aus unserer Gebundenheit auf Kosten unserer Verbundenheit mit der Natur, mit dem Rhythmus von Tag und Nacht, mit den Jahreszeiten, mit Sonne und Mond und mit unserem eigenen Körper gegangen ist. Die Polarität zwischen Natur und Geschichte, zwischen «Schoß« und »Weg«, zwischen dem Zyklischen und dem Linearen, ist verschwunden und hat sich - auch aufgrund anderer Faktoren - zu einer Polarisierung, zu einem Dualismus von sich feindlich gegenüberstehenden Kräften entwickelt.
Aber es gibt noch eine andere Konsequenz: Angst und Schauder vor der Großen Göttin, Widerwille, Widerstand und Kampf gegen die weibliche Gottheit haben einer Abwertung der Frauen und der Werte, die sie verkörperten, in die Hand gearbeitet. Das Weibliche galt nicht mehr als würdig, das Göttliche darzustellen, oder: das Göttliche konnte nur noch in männlichen Bildern erlebt werden. Und damit geriet auch die ganze Sorge und Verantwortlichkeit für alles, was die Kultur betrifft, ausschließlich in die Hände der Männer, des Stammes Levi; denn die Frau wurde nicht einmal mehr als würdig erachtet, zwischen Gott und Mensch auch nur zu vermitteln. Diese zwei Hauttendenzen: die patriarchalische Kultur und der Kampf für den Monotheismus machen aus der Bibel ein garstiges Buch für Frauen, die endlich zu verstehen anfangen, daß sie in Heilsgeschichte und Kirchengeschichte als Subjekte kaum zum Zug gekommen sind. Aber womit haben wir denn Mühe, wenn wir die Bibel lesen, und vor allem, wenn wir sie hören, wenn das Wort laut aufklingt? Zuerst will ich aus meiner eigenen und der Erfahrung anderer Frauen ein paar Beispiele erzählen: - Einmal mit dem Kampf, dem Krieg und dem Stolz, womit ein Volk, das sich im Aufbau befindet, andere Völker als » Feinde« niederschlägt und diesen Totschlag wie selbstverständlich von »seinem Gott« scheinbar legitimieren läßt. Ich denke hier etwa an das Buch Josua. Natürlich weiß ich, daß der Heilskern tiefer liegt, daß eine innere Kritik darin enthalten ist und daß eine tiefer schürfende Exegese wirklich reinigend wirkt. Aber dennoch ... diese Geschichten werden vorgelesen, und ich kenne einige junge Leute, die dabei abschalten, weil sie allergisch sind auf einen Gewalt legitimierenden Gott und eine Kriege legitimierende Kirche.
- Oder mit der Geschichte von den Sodomitern (Genesis 19,1-12), die Lot bedrängen, ihnen die Fremdlinge, die bei ihm Gastrecht genießen, auszuliefern, damit sie mit ihnen Geschlechtsverkehr haben können. Lot weigert sich mit der Begründung: »Ach, liebe Brüder, tut nicht so übel! Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne (sie!); die will ich herausgeben unter euch, und tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen Männern tut nichts, denn darum sind sie unter den Schatten meines Dachs gekommen.« Die Fußnote in der holländischen Willibrord-Übersetzung sagt dazu lakonisch: die Ehre einer - vor allem einer noch unverheirateten - Frau galt damals eben weniger als die heilige Pflicht der Gastfreundschaft.
Einmal abgesehen vom Text oder der Übersetzung - es klingt, als wenn es um die erste Paarung von Tieren ginge -, ist es heute einfach unmöglich, eine solche Geschichte, in der man lieber eine Tochter vergewaltigen läßt als Gastfreundschaft bricht, im Gottesdienst vorzulesen. Wir Frauen müssen in solchen Fällen aufstehen und hinausgehen, obwohl ich weiß, wie schwer selbst das ist. Als mich diese Lesung in der Studentengemeinde von Nimwegen »überfiel«, bin ich - feige - auch nicht aufgestanden ... aber »feiern« konnte ich nachher auch nicht mehr.
- Dann fehlen mir auch die Namen von Frauen, die neben denen der Männer laut gelesen werden: Sara, Rebekka und Rahel neben Abraham, Isaak und Jakob, Mirjam neben Mose, Priscilla und Phoebe mit Paulus. Im alten Kanon wurden wenigstens noch Gottes liebe Heilige genannt, Frauen und Männer. Heute kommt in der »gesäuberten« Liturgie vieler »moderner« Liturgieverfasser nicht einmal mehr Maria vor.
1. Bibel und Liturgie
Ich denke hier also vor allem an die Bibel, wie sie in der Liturgie zum Klingen und Hören gebracht wird. In einer Lehrveranstaltung kann ein Buch noch zu seinem »Recht« kommen, weil es gemeinsam und aufmerksam gelesen und interpretiert wird. Wer die Bibel zuhause liest oder sie in der Kirche hört, bleibt jedoch oft mit den Brocken des Textes sitzen; denn es ist einfach nicht wahr, daß jeder Prediger ein guter Exeget ist, und noch viel weniger ist es wahr daß er für die » Feinheiten«, um die es hier geht, ein Auge hätte. In der liturgischen Feier steht die Bibel in einem Zusammenhang der Kommunikation und des Ausdrucks durch Wort und Gebärde, durch Körperhaltung, Reden und Schweigen. Sie ist in ein gottesdienstliches Ganzes eingebettet. Deshalb muß von der Beziehung zwischen dem Sender einer Botschaft, ihrem Empfänger und der Botschaft selbst die Rede sein. Wie geht man eigentlich damit um, wenn diese Botschaft undeutlich, verwirrend und unbegreiflich ist und doch nicht näher erläutert wird? Wie sinnvoll ist eine Botschaft noch, wenn der Kommentar dazu lautet, daß ihre Verpackung und ihr Kontext kulturgebunden sind und heute nicht mehr taugen? Wie werden Frauen dazu aufgerufen, ihr Dasein in einem größeren Zusammenhang zu feiern, wenn sie nie das Gefühl haben, sich wiederzuerkennen, wenn sie die Namen ihrer Vormütter nie hören, wenn sie ohne Stimme und ohne Gesicht bleiben, ohne Spiegelbild?
2. Verschiedene Wege im Umgang mit der Bibel
Feministen (Frauen und Männer, die sich sowohl nach der Ganzwerdung ihrer selbst wie nach der Ganzwerdung Gottes und seiner Frohen Botschaft sehnen) können der Bibel gegenüber verschiedene Haltungen einnehmen; bei einer Anzahl Autoren sehen wir solche Haltungen auf unterschiedliche Weise verwirklicht.
- a) Wir können die Bibel mit neuen Augen und Ohren lesen und hören. Dann fällt manchmal plötzlich - aufgrund unseres gewachsenen Bewußtseins als Frauen - ein überraschend neues Licht darauf. Ein Beispiel: Marias Lobgesang in Lukas 1, ihr Magnificat, hat für alle Unterdrückten einen neuen Klang bekommen. Gutierrez nennt es in seiner Befreiungstheologie einen wahren Freiheitsgesang. Aber dann geht er an etwas Wesentlichem vorbei, weil er übersieht, daß nun gerade zweimal Frauen (zuerst Hanna, die Mutter Samuels, und später Maria) diese Worte ausgesprochen haben, um die Potenz des Mannes zu relativieren. Als Geschlecht gehören Frauen ja selber zu den Unansehnlichen und Eingeschränkten. Darum hat das Magnificat für sie eine ganz besondere Dimension. Es ist übrigens auch nicht gerade geistreich, sondern zeugt eher von Sexismus, wenn jemand meint: »D'accord (sie!), ihr dürft das Magnificat haben, denn letztlich preist ihr damit ja doch wieder den Herrn!«
- b) Heute gehen Frauen selber an eine Neuinterpretation der Bibel heran. Sie können aufgrund ihrer eigenen Erfahrung und ihrer wissenschaftlichen Kompetenz die Dinge, die jahrhundertelang nur über den Kopf betrachtet worden sind, nun einmal sorgfältig und auf neue Weise anschauen. Nehmen wir zum Beispiel den Gottesnamen: obwohl die erste Gottesoffenbarung - JHWH, ich bin, der ich bin - zunächst nichts einseitig Männliches einschließt, sondern im Gegenteil das Geschlechtliche als der »Seiende« übersteigt, ist das Gottesbild dennoch überwiegend männlich geworden - wahrscheinlich auch, weil es in die Einzahl gesetzt worden ist. Wenn wir in der priesterlichen Redaktion der Schöpfungsgeschichte (Genesis 1,27) lesen »Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bildes Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib«! so ist darin die Rede von den Elohim, einer Pluralform für Gott, die alle männlichen und weiblichen Eigenschaften umfaßt, die vor Israel den einzelnen männlichen und weiblichen Gottheiten zugeschrieben worden sind. Anhand der beiden Schöpfungsberichte - die priesterliche Fassung ist die jüngere - sehen wir, wie Gottesbild und Menschenbild androzentrischer (rnann-bezogener) werden. Obwohl Israel Gott vorwiegend mit »männlichen« Zügen ausgestattet hat, entdecken wir aufs neue »weibliche« Bilder, die ebenfalls vorhanden sind. Ich weise hier auf das Bild des Muttervogels hin: Gott als Henne, die ihre Flügel schützend über ihre Küken breitet, oder als Adler, die ihre Jungen beschirmt (Psalm 17,8; 36,7; 63,8; 5. Mose 32,1 ;-12; Matthäus 23,37). Die Assoziation'mit den Flügeln der Cherubim über der Bundeslade, die die Gegenwart Gottes verkörpern, liegt auf der Hand. Ein zweites Beispiel ist der Begriff der Barmherzigkeit, die Gott besonders häufig zugeschrieben wird. Die Übersetzung »misericordia« geht nicht weit genug und wird den tiefsten Bedeutungen des zugrundeliegenden Wortes »rakhmana«, »rahamin«, das auf »rekhem« (Gebärmutter, uterus-) zurückgeht, nicht gerecht. Wenn wir sagen, daß Gott barmherzig ist, drücken wir Gottes Mutterschaft aus (vgl. den Anfang von Psalm 51 oder den Lobgesang von Zacharias, Lukas 1,78). Bis heute ist die Übersetzung solcher Stellen zu sehr an der Oberfläche geblieben.
- c) Frauen können die Bibel auch »neu schreiben«. Das klingt beinahe blasphemisch, aber ich möchte diese Möglichkeit doch offenhalten. Denn wenn Frauen je zu sich selber kommen und Zukunft sehen und selber entwerfen wollen, dann müssen sie auch ein Verhältnis zu ihrer Vergangenheit bekommen und sich davon betroffen fühlen. Vergangenheit ist nicht dasselbe wie Geschichte; Vergangenheit ist eine konstruierte Ideologie, die aus einer Auswahl aus der Geschichte zusammengestellt wird. Wir wissen heute, daß vieles aus dem früheren Geschehen nicht wahrgenommen oder bewußt weggelassen worden ist oder nicht als wichtig genug gegolten hat, um aufgezeichnet zu werden. Erst wenn mit anderen Augen Geschichte geschrieben wird, kommen auch wir zu einer Vergangenheit.
So könnte es auch mit der Bibel gehen. Das Erstaunliche ist, daß bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts Elizabeth Cady Stanton und ihre weiblichen Kolleginnen eine Reihe von Kommentaren - »a Woman's Bible« (»eine Frauenbibel«) - zu bestimmten Bibelstellen, die sich auf die Stellung der Frau beziehen, geschrieben haben. Dieses Buch ist unter dem Titel »The Original Feminist Attack on the Bible« (»Der erste feministische Angriff auf die Bibel«) neu herausgegeben worden.[2] Heute, wo es so viele Theologinnen gibt und die Zahl der Feministinnen unter ihnen jedes Jahr zunimmt, kann ich mir - beinahe hundert Jahre später -eine neue »lectio continua«, einen neuen durchgängigen Kommentar zu der uns überlieferten Bibel aus unserer Sicht, sehr wohl vorstellen. Die Exegeten unter uns können dabei von den inzwischen erworbenen exegetischen Kenntnissen Gebrauch machen; sie sollten sie allerdings mit Vorsicht und einer gewissen Skepsis anwenden — wohl darauf bedacht, daß nun Frauen ihre eigene Lebens- und Glaubenserfahrung mitsprechen lassen und selbst die Subjekte dieses kritischen Kommentars sind. Als Zwischenphase zwischen einer männlichen Bibel und einem ganzgewordenen Wort Gottes könnte ein solcher Kommentar schon manches erhellen.
- d) Frauen können die Bibel auch bleiben lassen, was sie ist: ein patriarchalisches Buch, in dem sich Frauen, die es heute lesen, wie in einem fremden Land fühlen. Sie wollen heraus, brechen zu einem Exodus auf und ziehen weg aus dem Land der Väter, weil sie in sich selbst und ineinander eine Verheißung erkennen und hören: auf die Suche zu gehen nach dem unerfüllten Potential unserer Vormütter, deren nicht verwirklichte Geschichte wir jetzt in unser Heute und in unsere Zukunft bringen müssen.
3. Dringliche Fragen
Die Fragen, die diesen vier Möglichkeiten zugrundeliegen, sind: wie gehen wir kreativ (das heißt: indem wir uns vom Geist neu erschaffen lassen) mit Bibel und Tradition sowie ihrer Sprache und ihren Bildern um? Eine erneuerte Exegese allein genügt nicht; es geht auch um die Frage, wie wir die Bibel eigentlich verstehen. Wie haben männliche Autoren ihre Geschichte als Nomadenstämme und als Volk erfahren, daraus Gottes Heilshandeln herausgelesen und es in Worte und Bilder gefaßt? Wie haben sie wahrgenommen und wen haben sie vor sich gesehen? Welche Werte, Normen, Ideale und Ängste kannten sie und ihre Kultur? Wie verhält sich das alles zu unserer Kultur und zur Befreiung von Menschen, die aufgrund von Rasse, Stand oder Geschlecht unterdrückt werden? Die schwarze Theologie hört die Schrift mit ihrem neu erwachten schwarzen Bewußtsein und sucht einen schwarzen, nahen, Beziehungen stiftenden Gott, der den Platz des weißen, westlichen, fernen und unumschränkt herrschenden Gottes einnimmt; die materialistische Exegese will die Heilsgeschichte der Armen aus der Bibel herausschälen und legt allen Nachdruck auf die ökonomischen Faktoren. Ich hoffe dringend, daß diese beiden Ansätze einen Blick für den weiblichen Menschen bekommen, der in der Bibel verborgen ist, und daß männliche schwarze und materialistische Exegeten nicht vergessen, daß ihre Erfahrungen und ihre Sicht unzureichend und halb sind, und daß sie ihre Arbeit deshalb von allem Anfang an mit Frauen zusammen verrichten sollten.
Es ist inzwischen sicher klargeworden, daß ich nicht an eine ein für allemal abgeschlossene Offenbarung glauben kann, die ihr Werk mit den letzten Sätzen der Apokalypse beendigt hat. Gerade weil wir Menschen in unserem Verstehen der Bibel unzureichend und begrenzt sind, lebe ich in der Erfahrung einer weitergehenden Entfaltung der Offenbarung, die das Zusammenspiel von Gott und Mensch nötig hat, wenn sie wirklich öffnend sein will. Darum ist es nicht nur nötig, daß eine neue Exegese betrieben wird, sondern noch mehr, daß neue Gruppen und Klassen von Menschen ihre Erfahrungen einbringen. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß solche Fragen tiefe Gefühle anrühren: wer auf die Bibel als das letzte und endgültige Wort schwört, schließt sich ab und hat kein Auge mehr für verheißungsvolle Knospen der Offenbarung, die erst noch zum Blühen und zum Fruchttragen kommen müssen. Wenn Frauen jetzt schon überrascht sind von Einsichten, Tiefen und Visionen der Offenbarung und Entfaltung in diesem männlichen Buch, dann glaube ich, daß es sich lohnt, in Glauben und Liebe weiterzusuchen nach dem Wort, das immer wieder Fleisch wird. Ich bin mir bewußt, daß wir vor allem im Hinblick auf Gott, die Gottesnamen und -bilder äußerst behutsam sein müssen, wenn wir von männlich und weiblich oder von mütterlichen und väterlichen Zügen sprechen. Gott übersteigt das alles; Gott ist Geist. Wir dürfen uns von Gott keine Bilder machen. Aber inzwischen ist dies eben geschehen, und uns stellt sich heute die Frage, wie wir damit umgehen. Verzichten wir auf alle Bilder, die auf das Männliche hinweisen? Aber wie stellen wir uns das in der Heiligen Schrift, wie sie nun einmal ist, konkret vor? Oder versuchen wir, die Bilder und die Bildsprache zu erweitern und zu vertiefen, so daß sie auf den ganzen Menschen, der männlich und weiblich ist, verweisen? Ich habe weniger Mühe mit einer gewissen Relativierung der Bibel - wenn sie verantwortlich geschieht-als mit ihrer undifferenzierten Verabsolutierung und Vergöttlichung. Ich glaube, daß die wirklich offenbarenden Heilsworte Perlen sind, die ganz vorsichtig aus den Muscheln der herrschenden Kultur gelöst werden müssen und erst dadurch zu bleibendem Glanz und Wert kommen.
Eine weitere wichtige Frage richtet sich an die Sprachwissenschaftler: Wie steht es um das Verhältnis zwischen dem grammatikalischen Geschlecht von Worten und ihrem Hinweis auf ein im wörtlichen oder übertragenen Sinn gemeintes biologisches, physisches Geschlecht? Was bedeutet es, daß »mach« (Geist) im Hebräischen weiblich ist, und daraus im Lateinischen »spiritus« (männlich) und im Griechischen »pneuma« (sächlich) geworden ist? »Ruach« ist auch der brütende Vogel, der in der Schöpfungsgeschichte das Chaos zum Kosmos ausbrütet. Was bedeutet es, daß Begriffe wie »Shekinah«, die Anwesenheit Gottes über der Bundeslade, »Torah«, das Gesetz, die »Weisung« Gottes, und »Chokmah«, die Weisheit Gottes, weiblich sind? Was sagt es aus, daß »Sophia«, die Weisheit, weiblich ist in ihrem Geschlecht und als Bild? »Sophia«, die manchmal Jahwes Gemahlin ist oder auch mit Christus gleichgesetzt wird, wenn ihn Paulus die Weisheit Gottes nennt.
Auch die Früchte des göttlichen Geistes werden oft als »typisch weiblich« (das heißt: den Frauen durch Sozialisierung zugeschrieben) dargestellt. Das »Veni, sancte spiritus« (»Komm, heiliger Geist«) der Pfingstliturgie ist voll davon: Zärtlichkeit, das Fürsorgliche, das Relationale, das Nahe, das Pflegen. Aber wer bringt das je so eng und appellierend mit einer »weiblichen« Heilswirkung in Verbindung, und zwar für Männer wie für Frauen!
4. Vier Schichten von Fragen
Unsere erste Aufgabe aus der Sicht der feministischen Theologie ist bescheiden, aber wesentlich: die Sicht frei bekommen für eine Anzahl Fragen, die auf Erhellung drängen. Es geht mir dabei um vier Schichten von Fragen, die mit vier historischen Prozessen in der Entwicklung der Heiligen Schrift zusammenhängen:
- Zuerst geht es um den schriftlichen Niederschlag der uns überlieferten Geschichten, Lebenserfahrungen und des gemeinsamen Glaubens. Höchstwahrscheinlich ist dieser Niederschlag ausschließlich oder hauptsächlich von Männern formuliert und von ihren Erfahrungen gefärbt worden. Dasselbe ist wohl auch passiert, als die Bücher, die zum Kanon der Schrift gehören sollten, ausgewählt wurden. Das bedeutet: sowohl für die Texte wie für die Auswahl sind (oder scheinen) einseitig Männer verantwortlich (zu sein). Wieweit sind neue Untersuchungen in dieser Richtung überhaupt noch sinnvoll?
- Durch alle Jahrhunderte hindurch sind die biblischen Worte kommentiert und ist Exegese betrieben worden. Wir können mit Sicherheit annehmen, daß auch daran nicht sehr viele Frauen teilgenommen haben. Es sind vor allem Kirchenväter und Theologen gewesen, die diese Arbeit verrichtet haben. Auch die Mystiker will ich hier erwähnen; dann bekommen wenigstens die Mystikerinnen eine Chance auf einen eigenen Beitrag.
- Weiter muß der Verstehenshorizont, die hermeneutische Frage also, zur Sprache kommen: wie verschieden verstehen wir Menschen, was gesagt, geschrieben und geoffenbart wird, und zwar abhängig von unserer eigenen Existenz, unserer gesellschaftlichen Klasse und dem kulturellen Klima, den geographischen Bedingungen, der persönlichen Lebensgeschichte und dem Entwicklungsniveau? In unserer Zeit umfaßt diese hermeneutische Frage noch mehr Elemente -jetzt, wo die Frauen, die Unterdrückten und die farbigen Völker mündig werden.
- Abgesehen von einer vielseitigeren Exegese und einer nuancierteren, reicheren Hermeneutik, die uns die Hoffnung geben, daß wir in der Bibel noch viele Überraschungen erleben werden, bleiben wir doch noch mit einem nicht zu unterschätzenden Problem, mit einer belastenden Erbschaft sitzen, mit der Wirkungsgeschichte nämlich: mit der praktischen Anwendung einer äußerst einseitig, maskulin und androzentrisch erlebten Bibel in den Kirchen, in der Seelsorge, in Liturgie, Predigt und Verkündigung, in der Verwaltung der Sakramente, die sich natürlich auch in der Sprache, den Bildern und der gängigen Kultur ausdrückt. Noch immer leben die Bilder der zur Sünde verleitenden Eva, der man nicht trauen kann, und der reinen, niedrigen Maria, der Frau, die schweigen und ihrem Mann Untertan sein muß ... Unter Berufung auf die Bibel ist viel Böses angerichtet worden, und dabei ist nicht von einer völlig vergangenen Zeit die Rede.
Mit diesen vier Fragen hängen mehr oder weniger eng vier Forschungsgebiete zusammen, in denen Frauen an die Arbeit gehen sollten, lieber heute als morgen.
- Frauen sollten die Frauenfiguren in der Bibel neu erfahren und studieren: wie sind sie aufgefaßt und wahrgenommen worden, durch wen und wozu? Sehen wir sie heute anders, bekommen sie mehr Farbe, mehr Konturen?
- Frauen sollten die biblische Sprache in all ihren Facetten, ihrer Struktur, ihrem grammatikalischen Geschlecht und ihrem Wort-und Bildgebrauch untersuchen. Wird es sich dann herausstellen, daß die Bibel weniger massiv-männlich ist, als es heute den Anschein macht?
- Frauen sollten der Frage nachgehen, wieweit die Kulturen und Religionen der Nachbarvölker ihre Spuren in den biblischen Schriften hinterlassen haben, obwohl Israel ein großer Protest dagegen war. Was haben Mutterreligionen an Elementen eingebracht, die endlich unbefangen auf ihren Wert hin betrachtet werden müßten?
- Inzwischen kommt in jeder Liturgie, Predigt oder Katechese das Wort zum Klingen, und das Übel des Verschweigens der Hälfte der Menschheit, des Vernachlässigens und des Mißverstehens kann weitergehen. Frauen können das immer wieder ganz konkret und genau signalisieren und registrieren und vor allem: selber auf positive Weise ein Angebot an ansprechenden alternativen Beispielen machen, in denen eine ganzheitlichere Schau des Menschen zum Ausdruck kommt. Feministische Theologie kann nicht nur einseitig aus Betrachtung und wissenschaftlicher Reflexion bestehen; sie muß zugleich in neuen liturgischen Texten, in Ansätzen zu einer neuen Wortverkündigung und in einer neuen Poesie voll überraschender Bilder zu einer erfahrbaren Wirklichkeit werden.
Die Frage, ob die Bibel ein patriarchalisches und androzentrisches Buch ist, will ich deshalb noch nicht beantworten, solange noch soviel aufs neue gelesen, untersucht und studiert werden muß; die Aussage jedoch, daß die Bibel zum Nachteil der Frauen, aber auch zum Schaden der Männer und auf Kosten der Vollständigkeit der Frohen Botschaft als patriarchalisches Buch verwendet worden ist, kann ich schon jetzt mit allem Nachdruck bestätigen. Dennoch gehöre ich nicht zu denen, die - unter anderem wegen »dieser unmöglichen Bibel« - aussteigen, und ich habe auch Verständnis für die Skepsis derer, die uns feministische Theologen - vor allem die Exegeten unter uns - vor der Gefahr des Hineininterpretierens und des Umbiegens in eine Richtung, die gar nicht vorhanden ist, warnen. Vielleicht müssen wir in 25 oder mehr Jahren doch bekennen, daß die Bibel ein androzentrisches Buch ist, daß Jesus von Nazareth zwar befreiend mit Frauen umgeht und uns seine Worte in einen neuen Raum versetzen, aber daß wir sonst wenig Grund zur Freude haben.
Zum Schluß: Gibt es heute schon eine Ausbildung, die zu einer ganzheitlicheren Lektüre der Bibel und einer entsprechenden Exegese führt? Nein. Sind die Exegeten schon wirklich neugierig und bestürzt über diesen Mangel? Kaum, fürchte ich. Werden weibliche Exegeten und Theologen allmählich von den verschiedenen Kirchen freigestellt, damit sie die Bibel in Teamarbeit neu lesen und diese Aufgabe systematisch anpacken können? Laden inzwischen männliche Gelehrte Frauen zu ihren Arbeiten über die Bibel ein, damit sie wenigstens mitmachen können? Sind die verschiedenen Bibelgenossenschaften und -Stiftungen sich unserer Fragen bewußt und bereit zum Mitdenken?
Wenn wir glauben dürfen, daß Gott Mensch geworden ist, um uns zu »Menschen Gottes« zu machen, dann sollten Kirche und Theologie - und an erster Stelle bewußtgewordene Frauen selbst -nach Bildern und Symbolen suchen, die die Ganzheit Gottes und die fundamentale Einheit der Menschen ebenso wie ihre faszinierenden Unterschiede als Frau und Mann, braun und schwarz, rot und weiß, zum Ausdruck bringen. »Women in a stränge land -search for a new image« heißt der Titel eines amerikanischen Büchleins. Genau in diesem Zustand befinden wir uns: Frauen in einem fremden Land, auf der Suche nach einem neuen Bild von uns selbst.
Veni, Sancte Spiritus, Et emitte coelitus Lucis tuae radium. Veni, Pater pauperum; Veni, Dator munerum; Veni, Lumen vordium. |
Komm, o Geist der Heiligkeit Aus des Himmels Herrlichkeit sende deines Lichtes Strahl! Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl. |
Consolator optime, Dulcis Hospes animae, Dulce refrigerium. In labore reguies, In aestu temperies, In fletu solatium. |
Tröster in Verlassenheit, Labsal voll der Lieblichkeit, komm, du süßer Seelenfreund! In Ermüdung schenke Ruh, in der Glut hauch Kühlung zu, tröste den, der trostlos weint! |
O Lux beatissima, Reple cordis intima Tuorum fidelium. Sine tuo numine, Nihil est in nomine, Nihil est innoxium. |
O du Licht der Seligkeit, mach dir unser Herz bereit, dring in unsre Seelen ein! Ohne dein lebendig Wehn nichts im Menschen kann bestehn, nicht ohn Fehl und Makel sein. |
Lava quod est sordidum, Riga quod est aridum, Sana quod est saucium. Flecte quod est rigidum, Fove quod est frigidum, Rege quod est devium. |
Wasche, was beflecket ist, heile, was verwundet ist, tränke, was da dürre steht. Beuge, was verhärtet ist, wärme, was erkaltet ist, lenke, was da irre geht |
Da tuis fidelibus, In te confidentibus, Sacrum septenarium. Da virtutis meritum, Da salutis exitum, Da perenne gaudium. |
Heil'ger Geist, wir bitten dich, gib uns allen gnädiglich deiner Gaben Siebenzahl! Spende uns der Tugend Lohn, laß uns stehn an deinem Thron, uns erfreun im Himmelssaal! |