Die materiellen Diskriminierungen, die Frauen erleben, sind bekannt. Gehälter, Chancen, Studien- und Arteitsplätze wurden ihnen vorenthalten. Positionen, Orte, Bewegungsmöglichkeiten wurden ihnen verwehrt. Aber es gab noch etwas, das den Frauen weggenommen wurde. Und es war noch wertvoller, noch unwiederbringlicher als der Rest: die Zeit. Was kann man einem Menschen Ärgeres antun, als ihm Zeit wegzunehmen, denn damit kürzt man das Leben. Am Gefängnis ist nicht nur der »Freiheitsentzug« allein die Strafe, sondern die Zeit, die man ohne diese Freiheit verbringt. So und so viele Jahre werden einem weggenommen, und man bekommt sie nie mehr wieder. Und genau das widerfährt den Frauen im Laufe ihrer Lebensgeschichte immer wieder. Der Raub an Lebenszeit, er ist eine der schlimmsten Ungerechtigkeiten einer frauenfeindlichen GeselIschaft, eines der effektvollsten Mittel zur Verhinderung ihrer Befreiung. Wie genau geschieht das? Zunächst einmal werden Frauen an den beiden Extrempolen ihrer Lebensbiographie beraubt. Indem man in ihrer Jugend ihre Entwicklung, hemmt und bremst, verzögert sich nicht nur ihr persönliches Wachstum - so das manche Entwicklungen bei ihnen später und verzögert stattfinden müssen - sondern es baut sich eine Menge Schutt auf, die noch zusätzlich wieder abgebaut werden muß. Unabhängigkeit, Zuversicht, Selbstsicherheit bei den meisten jungen Frauen sind sie verschüttet unter einem Berg an Unsicherheit, Zögern und Angst. Noch ärger ist es aber am anderen Ende. Das »AIter«, der Zeitpunkt, an dem alles faktisch zuende war und nichts mehr zu erwarten war, das wurde bei Frauen viel früher angesetzt als bei Männern. Dadurch reduzierte sich nicht nur die Anzahl an positiv nutzbaren Jahren, die man ihnen zugestand. Vor allem wurden sie unter starken Druck gesetzt. Wer weniger Zeit hat, kann auch weniger machen, muß schmerzliche Abstriche machen und schwere Entscheidungen treffen. Immer wurde dieser Mangel an weiblicher Zeit gegen die Frauen benutzt, um sie unsicher und ängstlich zu machen. Sie mußten sich Sorgen machen, ob sie auch rechtzeitig jemand würde heiraten wollen, denn eine »alte Jungfer« war man schon in einem Alter, in dem junge Männer erst ganz allmählich dran dachten, ihre Amusements und unverbindlichen Abenteuer aufzugeben und sich vielleicht zu binden. Sie mußten sich Sorgen machen, ob sie auch rechtzeitig ihre Kinder bekämen. Vor nicht sehr langer Zeit galt der dreißigste Geburtstag einer Frau als ein Zeitpunkt, an dem es schon höchst riskant und nicht mehr ganz normal war, eine Familie zu gründen. Heute haben Frauen sich eine Dekade dazugeholt, obwohl es damals als unverrückbare biologische Grenze präsentiert wurde. Und ab 40 mußte sich eine Frau überhaupt umfassend Sorgen machen. Ein Mann war jetzt in den besten Jahren und würde es noch weitere 20 Jahre bleiben. Sie aber konnte nur noch hoffen, den schlimmsten Verwüstungen der Zeit durch umfassende kosmetische Mühen entgegenzuarbeiten und durch diverse Anstrengungen ihren Mann irgendwie dazu zu bewegen, aus Loyalität und Pflichtgefühl bei ihr zu bleiben, statt sich eine jüngere zu suchen. Weniger Zeit, weniger Chancen. Die Frau wurde umzingelt von Botschaften und Wertungen, die ihre Unsicherheit vertieften, den Druck auf die vergrößerten. Ein Mann konnte, wenn er wollte, großzügig Herr seiner Zeit sein, konnte zwei, drei verschiedene Leben in seine Jahre hineinbringen. Selbst mit 55 oder 60 konnte er noch eine junge Partnerin finden und mit ihr ganz von vorn eine neue Familie gründen. Eine Frau hatte nur eine einzige Chance und konnte sich keine Fehler und keinen Luxus leisten. Noch in einer dritten Weise wird den Frauen Zeit genommen: im Alltag. Da ist nicht nur die Haus- und Familienarbeit, die sie unverändert fast alleine verrichten oder zumindest organisieren, gleichgültig, wie anspruchsvoll und schwierig ihre sonstige Berufstätigkeit noch sein mag. Da sind die millionenfachen, trivialen Details, ohne die ein Alltag nicht läuft und die ganz alleine in den Köpfen der Frauen untergebracht sind. Muße oder Konzentration, solche Worte sind für die meisten Frauen eine Fremdsprache. Der typische Frauenkopf ist wie ein Computer, in dem fünf Programme gleichzeitig ablaufen. Die Zahnspange der Tochter, das Preisangebot des Klempners, die gekränkte Schwiegermutter, die Buchung des nächsten Urlaubs, die Klavierstunde des Sohnes, das alles muß parallel laufen mit den Gedanken, die das Studium, der Beruf, die Geschäftsverhandlungen verursachen. Das muß es, weil das alles sonst nicht erledigt wird. Selbst eine an den Mann oder eine Angestellte delegierte Aufgabe des Privat- und Familienbereichs kann nicht - wie eine vergleichbare delegierte Aufgabe im Wirtschaftsleben - vorübergehend vergessen werden in der Zuversicht, daß ein kompetenter Mensch sie nunmehr übernommen hat. Denn die Erfahrung zeigt den meisten Frauen, daß es ohne ständige »Qualitätskontrolle« ihrerseits eben nicht oder nicht zufriedenstellend gemacht wird. Wobei es nachdenklich stimmt, daß die meisten Frauen ihre häuslichen Angestellten als kompetenter und verläßlicher einstufen als den Ehemann.
»Das ist eine ganz einfache, physikalische Frage. Es gibt eben nur eine begrenzte Menge an Intelligenz und Schönheit auf der Welt. In der ersten Lebenshälfte ist das so verteilt, daß die Männer das Hirn haben und die Frauen schön sind. Dann kommt die große Wende. Die Männer werden ab diesem Punkt immer schöner, aber immer dümmer, während die Frauen immer gescheiter, aber zugleich immer häßlicher werden.«
Stephen Greenleaf
Im typischen Frauenleben gibt es viele Sorgen und viele Ungerechtigkeiten, aber zu den nachhaltigsten geheimen Alptraumvisionen gehört diese: Du bemühst dich um den Aufbau einer guten Ehe und eines schönen gemeinsamen Leben, arbeitest an dir selbst und an deiner Beziehung damit alles spannend und lebendig, bleibt, und dann beißt ihn plötzlich der Midlife-Virus, und er haut ab mit einer 18jährigen. Und dann sitzt du da mit deiner gepflegten Konversation und deiner charmanten Persönlichkeit und deinen drei erwachsenen Kindern und vielleicht auch noch mit deiner kleinen Firma oder deinem anspruchsvollen Job, und keiner will dich mehr, während er mit 50 oder 55 mit seiner Teeny-Braut eine neue Familie gründet und eine zweite Chance auf ein völlig neues Leben hat. Diese tiefe Ungerechtigkeit machte die Frauen fertig und es schien dagegen keine Rückendeckung zu geben. Denn ein Teil davon war sozial begründet lag in der unterschiedlichen Wertung, die Falten und graue Schläfen beim Mann charaktervoll und elegant fanden, bei der Frau aber großmütterlich; die den Bierbauch beim Mann liebenswert und bei der Frau jedes überflüssige Dekagramm bemängelte. Das konnte man ja vielleicht, irgendwann einmal ändern. Aber ein Teil davon schien einfach in der Natur der Dinge zu liegen. Ein Mann konnte seinen Weg gehen, selbstgefällig und entspannt in der Zuversicht, auch noch mit 70 seine Nachkommenschaft zeugen zu können, und mit einer jungen Freundin nicht als senil belächelt sondern als toll bewundert zu werden. Doch Schwestern, faßt Hoffnung. Das Wunder der Evolution hat uns nicht vergessen. Die ersten Vorbotinnen der neuen Frau mit verlängerter Haltbarkeit weilen schon in unserer Mitte. Nicht die New-Age-, sondern die No-Age-Frau ist das wirklich revolutionäre Produkt kultureller Umschichtungen, gerade so, als ob Frauenbewegung und Zeitgeist gemeinsam als hybriden Mischling diese neue Herbstzeitlose der Weiblichkeit hervorgebracht hätten.
Sie ist 40, 50 vielleicht mehr? Die Kleinen, die mit ihr ins Auto steigen, können ihre Enkelkinder sein... aber auch ihre Kinder. Der junge Mann daneben, ist er ihr Sekretär, ihr Assistent, ihr Sohn, ihr Ehemann, ihr Babysitter, ihr Liebhaber? Die Möglichkeiten sind, wenn schon nicht grenzenlos, dann zumindest viel, viel größer geworden als bisher. Bezeichnenderweise hat sogar die Biologie, die ja bekanntlich unser Schicksal ist, die Seiten gewechselt und ist mit fliegenden Fahnen zu uns übergelaufen. Denn wie war das noch vor kurzer Zeit? Da wurden aufstrebende junge Frauen, wie von einem permanenten Ohrensausen, von einem nervenden Geräusch verfolgt: vom aufdringlichen Ticken eines Gedankens, den die Amerikaner mit dem Begriff der »biologischen Uhr« versahen. Diese Uhr, Geißel aller aktiven Frauen, hatte nur eine einzige Zeitangabe: den 30. Geburtstag. Bis zu diesem nämlich sollte die Frau nicht nur ihr Vorankommen, sondern auch ihre Niederkunft geplant haben. Allerspätestens bis dahin mußte der geeignete Kindesvater gefunden und bindungsfähig gemacht worden sein. Sonst würden vielleicht mit jedem weiteren Jahr die Steuersätze und Aufstiegschancen steigen, ihre Aussichten auf ein abgerundetes Leben, auf Familie und Kinder und Weiblichkeit und Glück aber würden schwinden, bis sie schließlich so um die 35 gänzlich versiegten und der Frau nur noch das leere, frustrierte und inhaltslose Leben einer verbitterten Megäre bevorstand. Diese Schreckensvision verursachte unzählige Kurzschlußreaktionen bei den sonst so souveränen Mitgliedern der weiblichen Erfolgsgeneration. Daß die Praxis sich mit dem Ticken dieser Uhr nicht deckte, war wohl kein Zufall. In der Praxis schrillte der Wecker gerade zum falschen Augenblick, denn die beste Zeit, Karriere und Kinder zu verbinden, ist entweder wesentlich früher oder um einiges später - oder, wenn man es so möchte, gar nicht. Das geringste Kopfweh erleben jedenfalls noch Frauen, die ihre Kinder entweder schon relativ früh bekamen, um dann, so um die 35, wieder voll einsatzfähig und nach den gebremsten Jahren auch einsatzfreudig zu sein. Oder sie bekommen sie relativ spät, nachdem sie sich ihrem Studium und ihrem Beruf gewidmet haben, sich ins Ausland schicken und in andere Städte versetzen ließen und der Wanderlust und Arbeitsfreude hinreichend gefrönt haben, um die neue Herausforderung einer Familiengründung reizvoll zu finden. Die ominösen 30, nach denen wir uns alle orientieren sollten, lagen aber gerade dazwischen, gerade dort, wo sie dem Vorankommen der Frau das größte Hemmnis bedeuteten. Denn zu diesem Zeitpunkt war sie meist noch nicht etabliert genug, um sich Sonderwünsche und größere Flexibilität ausbedingen zu können, noch war sie noch Anfängerin genug, um ihre Arbeitspläne ruhigen Mutes für einige Zeit auf Eis zu legen. So manche Frau mochte das bemerken und bedauern, aber man schien daran nicht rütteln zu können, denn scheinbar handelte es sich ja hier um eine körperliche Grenze, die nur ganz zufällig wieder einmal den Wunsch des Schöpfers nach der Untertänigkeit des Weibes bekräftigte. Doch siehe da, die Grenze verschob sich ganz unmerklich und dennoch mit dramatischer Geschmeidigkeit, bis das Gebot der Mutterschaft-bis-spätestens-30 so uninteressant klang wie der WeItrekord im Stapellauf vom Jahre 1935. Jetzt hat sich die Schallgrenze um ganze zehn Jahre verrückt, und etliche Mutige haben sich schon ungestraft auch über diese Grenze hinwegbewegt. Die Medien, sensibel für Strömungen des Zeitgeistes, wenn auch nicht immer lobenswert im Umgang damit, haben die Tendenz bemerkt und reflektierten sie in ihrem Bild der Weiblichkeit. »Alexis« und »Krystle« z.B. sind mehr als nur peinliche amerikanische Geschenke an den versammelten TV-Globus; sie führen uns, das ist unbestreitbar, eine neue Definition von Weiblichkeit vor. Glamour, rassige Ausstrahlung, Leidenschaft, das bieten sie uns jenseits aller Altersgrenzen, die eine Frau früher schon längst zum postsexuellen Großmüttertum erklärt hätten. Wenigstens hat die Frau ihre »besten Jahre« damit nicht mehr schon hinter sich, bevor sie zählen gelernt hat. Die merkwürdigen Tücken des weiblichen Lebensrhythmus bergen auch noch einen weiteren Vorteil: Sie scheinen Frauen immun zu machen gegen den bei Männern grassierenden Midlife-Krisenanfall. Und zwar fast alle Frauen. Zu just dem Zeitpunkt, an dem der ununterbrochen und zieIstrebig aufwärtsstrebende Mann in seine berühmte Sinn- und Lebenskrise gerät und überlegt, ob er nicht lieber Schafzüchter in Irland werden soll,geht für viele Frauen die Sache erst richtig los. Das Geschäftsleben, ein rat race, ein Kampf, eine Messerstecherei? Nichts wie rein, nach all den Jahren des erzwungenen Am Rand Stehens! Oder: Der Mann klagt über die Eintönigkeit seines Lebens, in dem er nur zielsicher und konzentriert auf eine Sache, seinen Erfolg hingearbeitet hat. Das kann einer berufstätigen Frau niemals passieren, denn auf weniger als fünf Sachen auf einmal hat sie sich nie konzentrieren können, da kommt keine Eintönigkeit auf. Wir hätten viele unserer Gesprächspartnerinnen als »Illustration« heranziehen können. Wir wählten schließlich Joseanne Beayens, weil sie mit ganz besonderem Elan für Neuanfänge zu haben ist. Wir treffen sie in einem modischen Lokal in, der Brüsseler Innenstadt. Joseanne ist sehr attraktiv, sehr lebendig, etwas füllig und äußerst gepflegt. Auf den ersten Blick entspricht sie sehr dem Bild einer gehobenen Karrierefrau, bei der sogar noch die Accessoires bis hin zum Terminkalender und dem blitzblau gestreiften, emaillierten Kugelschreiber Sorgfalt und Kultur verraten. Aber auf den zweiten Blick sprengt Joseanne mit ihrer deutlich individualistischen Persönlichkeit jeden Gedanken an Kiischees. »Ich wuchs in einer Stadt in der Nähe von Brüssel auf. Meine Mutter kam aus einer Unternehmerfamilie, war aber nicht berufstätig. Ihr Vater hatte aber eine eigene Firma, Moulinex-Belgien. In diese Firma ist meine Mutter dann, spät und unvorhergesehen, eingestiegen - als ihr Vater starb, übernahm sie das Geschäft. Mein Vater war Architekt. Sehr prägend für mich war dann aber noch mein Großonkel. Er lebte mit uns im selben Haus, er war Politiker, und durch ihn nahmen wir am Leben der Stadt sehr unmittelbar teil. Ich wuchs in einer sehr politischen, sehr von Wirtschaftsideen geprägten Umgebung auf. In unserem Haus gingen Politiker ein und aus. Diese Weltoffenheit meiner Familie war für meine Entwicklung bestimmt sehr gut. Als ich z.B. 10 Jahre alt war kam Kaiser Hirohito zu uns zu Besuch, und er schenkte mir eine Puppe. Mein Großonkel hatte ihn bei seinem Besuch in unserer Stadt empfangen, und dieser Hausbesuch stand auf dem Programm. Dadurch war »Japan« für mich keine entsetzlich ferne, abstrakte Sache. Und als ich später die Möglichkeit hatte, in Japan Geschäfte zu eröffnen, schien mir das gar nicht so exotisch das war sicher eine Hemmschwelle weniger. Überhaupt ist Reisen das beste für mich. Ich bin kürzlich zum Nordpol gereist, nur zu meiner Unterhaltung. Mit einem Containerschiff habe ich den Atlantik überquert. Nach der Schule studierte ich Philosophie, dann Publizistik. Mein jüngerer Bruder ging in die Firma meiner Mutter, und auch heute noch verwaltet er sie gemeinsam mit ihr. Was den Erziehungsstil meiner Eltern anbelangt, so mischten sie sich nicht sehr ein. Zum Beispiel lernte ich einmal einen Mann kennen, mit dem sie gar nicht einverstanden waren. Aber sie sagten nichts gegen ihn, sondern sie setzten mich in ein Flugzeug und schickten mich zu ihm. »Probier's aus, ob es dir wirklich gefällt, mit ihm zu leben«, sagten sie zu mir. Und wir haben uns dann tatsächlich nach einiger Zeit wieder getrennt, weil ich merkte, daß ich neben ihm nicht so werden konnte, wie ich sein wollte. Im Moment habe ich gerade eine sehr schwierige Situation hinter mir. Meine Firma ist in Konkurs gegangen. Und das war nicht eine Sache, die nur auf dem Papier stand, das war wirklich so. Ich lebte zwei Monate lang ohne Strom, weil ich die Rechnung nicht bezahlen konnte. Ich saß mit Kerzen in meiner Wohnung, zum Glück war es Sommer. Aber eigentlich hatte diese Erfahrung wenig Einfluß auf meinen Elan. Die Leute - die wenigen, die überhaupt davon erfuhren - waren erstaunt, daß ich eine solche Sache ertragen konnte, denn sie hielten mich für sehr verwöhnt. Aber der Konkurs war eine wichtige, auch eine interessante Erfahrung. Die Leute haben zum Teil unerwartet reagiert. Manche haben sich gefreut, das war eine ernüchternde Erfahrung. Meine Sekretärin z.B., die neun Jahre bei mir war, hat sich gefreut, als es mir schlecht ging. Das hat mir zu denken gegeben. Mein Konkurs war selbst verschuldet, keine Frage. Ich habe Fehler gemacht, und zwar gleich mehrere. Erstens habe ich mich auf ein Terrain vorgewagt, ohne es gründlich genug recherchiert zu haben, ohne die Marktlage gut eingeschätzt zu haben. Meine Firma erzeugte Luxusartikel, Golf-Accessoires. Ich hatte damit auch einen Probelauf in Japan gemacht, und es war toll gelaufen. Dann bot sich die Möglichkeit, es auch in Amerika zu versuchen, und ich dachte einfach, daß es genauso gut würde wie in Japan. Obwohl die Situation nicht dieselbe war, habe ich mich vorschnell vorgewagt. Und dann, als ich schon sehen mußte, daß es sehr schlecht lief, habe ich zu lange gewartet, bevor ich Konsequenzen zog. Ich sah den Punkt, an dem ich den Rückzug hätte antreten müssen, aber dann habe ich noch neun Monate abgewartet. Dabei wußte ich die ganze Zeit, daß es falsch ist, aber ich brachte es einfach nicht fertig, den Laden zu schließen. Ich folgte dem moralischen Druck, und das war unvernünftig, denn letztlich habe ich niemandem damit geholfen. Vielleicht einigen Mitarbeitern, die dadurch Zeit gewannen, sich um eine andere Arbeitsstelle umzusehen. Mein Anwalt hat mich ständig gewarnt, er hat zu mir gesagt, so und so ist die Lage, und morgen gehst du und löst das Geschäft auf. Du mußt es morgen tun! Aber ich habe es nicht getan. Ich hätte auch in die Firma meiner Familie einsteigen können. Und natürlich hätten sie mir vorübergehend finanziell geholfen. Aber ich wollte es alleine schaffen. In die Firma wollte ich auch nicht. Erstens müßte ich dort immer mit meiner Mutter und meinem Bruder verhandeln, das würde mir nicht liegen, ich bin zu sehr Einzelgängerin. Außerdem ist mein Bruder der Erbe, sie brauchen mich dort nicht. Ich beschloß, bei meinen eigenen Sachen zu bleiben, zuerst den Konkurs durchzuziehen und danach etwas Neues aufzubauen. Es folgte eine schwere Phase, in der ich voll damit beschäftigt war, meine Firma aufzulösen und alle finanziellen Probleme ehrenvoll zu einem Abschluß zu bringen. Ich habe all meine Schulden bezahlt. Aber es war eine belastende Arbeit; es ist viel anstrengender, etwas ordentlich abzubauen, als etwas Neues aufzubauen. Geholfen hat mir dabei sicher, daß ich einen sehr spielerischen Zugang habe zu den Dingen. Meiner Meinung nach besteht die Biographie, die Geschichte eines Lebens also, aus der Art, in der man mit Beziehungen und mit Macht umgeht. Ich hatte immer schon das Gefühl, daß das Leben ein Spiel ist. Vor allem liebe ich es, mit der Zukunft zu spielen. Ich probiere gern aus, ob es mir gelingt, Dinge geschehen zu lassen. Wenn ich einen Plan fasse, dann ist es für mich schon so, als ob er schon wirklich geworden wäre. Ich muß mich dann sehr diszipliniert daran erinnern, daß dem nicht so ist. Denn für mich mag die Sache schon gelaufen sein, aber für andere Leute ist es nicht so. Wenn ich zum Beispiel sage: »Ich hätte gern eine Boutique in Paris«, dann ist es für mich schon so, als ob diese Boutique bereits stehen würde. Jetzt werde ich heiraten, in einigen Wochen. Wer Sie in Wien meine Geschäftspartnerin sehen, sagen Sie ihr nichts davon! Ich will es ihr selber sagen. Ich heirate einen Anwalt, den sie mir geschickt hat; es ging um die Abwicklung eines neuen Geschäftsvorhabens meiner Kollegin. Später sagte er mir, daß er vom ersten Tag an in mich verliebt war, aber nichts sagen wollte, weil er unsere geschäftliche Zusammenarbeit damit nicht belasten wollte. Das wäre unprofessionell gewesen. Erst nach Abschluß hat er sich »erklärt«. Das ist meine erste Ehe! Warum ich jetzt, ausgerechnet jetzt, heirate? Also, zusammengelebt habe ich fast immer mit einem Partner, weil ich nicht gerne alleine lebe. Aber ich habe nie etwas wegen eines Mannes getan. Ich habe mein Leben nie auf einen Mann ausgerichtet. Dazu liebe ich das Geschäftsleben zu sehr. Wenn ich jetzt heirate, dann nicht, weil sich daran etwas geändert hätte, sondern wegen der Romantik. Ja, warum nicht! Und natürlich, weil ich glaube, daß er die richtige Person für mich ist. Er ist der erste Mann, der meine Ideen wirklich unterstützt. Er gibt mir feedback, ohne mich gleichzeitig von irgendwelchen Plänen abhalten zu wollen. Sonst weiß ich nicht, was sich durch die Ehe ändern wird. Ich werde seinen Namen nicht tragen, er wird mich nicht aushalten... vielleicht hätte er die Elektrizitätsrechnung gezahlt, als ich damals in Konkurs ging. Anderen erscheint es vielleicht ungewöhnlich, in meinem Alter zum ersten Mal zu heiraten. Aber mir erscheint es nicht so. Meine Großmutter zum Beispiel heiratete mit 30, das war für die damalige Zeit auch ungewöhnlich spät. Sie heiratete einen Mann, der 10 Jahre jünger war als sie; allerdings war er ein angesehener Maler, das machte die Sache ein bißchen weniger skandalös. Mit 40 bekam sie ihre Kinder. Ich hatte also dieses Bild, daß eine Frau durchaus mit 30, mit 40 eine Familie gründen kann, nachdem sie vorher andere Interessen verfolgt hat. Auch meine Mutter hat mit 55 wieder begonnen zu studieren, sie ging nach Harvard und holte sich die Qualifikation, um das Familienunternehmen zu leiten. Spät zu heiraten erscheint mir recht logisch. Ich kann jetzt für ein Kind Dinge aufgeben, ohne das Gefühl zu haben, etwas versäumt zu haben. Überhaupt bin ich zufrieden. Die Erfahrung des Konkurses hat mich vielleicht in einigen Punkten verändert - ich sehe die Menschen anders - bin mißtrauischer. Aber das macht mir nichts, ich mag das Gefühl, älter zu werden und mich selber und die anderen besser zu kennen. Insgesamt habe ich das Gefühl, das Leben zu haben, das ich immer haben wollte, daß ich die Frau bin, die ich werden wollte. Ich möchte bloß gern 80 werden, um zu sehen, was mir in den nächsten 40 Jahren noch alles passiert.« Das Fallen gesetzlicher Schranken war eine der aufregenden Erlebnisse und Errungenschaften der neuen Frauenbewegung. Frauen mußten ihrer Qualifikation gemäß entlohnt werden; durften nicht willkürlich entlassen werden aufgrund einer Laune der Chefetage; konnten alles studieren und fast jeden Beruf ausüben. Noch aufregender ist die Dehnung biologischer und geistiger Schranken, ein Prozeß, der immer noch in Gange ist. Diese Schranken schienen unbeweglich naturbestimmt; wenn sie verrückbar sind, ist fast alles möglich.