Stahl und Eisen bricht, aber unsere Psyche nicht

Der Eintritt der Frauen in die Öffentlichkeit ist jungen Datums. In den davorliegenden Jahren und Jahrzehnten agierten sie im Hintergrund; der Ruhm, die Macht und der Lohn  des Ganzen wurde von Männern einkassiert. Daß die Frauen während dieser Zeit nicht untätig waren, wissen wir. Sie haben die gesamte Basis- und Hintergrundarbeit geleistet, ohne die das männliche Auftreten undenkbar und unmöglich gewesen wäre, das ist bekannt. Aber es ist noch weit mehr passiert während dieser Jahre. Frauen haben Kinder und Männer gehütet und Häuser geputzt, aber nicht nur das.
Sie haben sich auch Eigenschaften angeeignet. Eigenschaften die, wie die Ironie es will, gar nicht die Tugenden der Untergeordneten sind, sondern für Führungsrollen qualifizieren. Und damit meinen wir gar nicht, wie mitunter als These vorgetragen wird, die lieben weiblichen Eigenarten wie Empathie, Einfühlungsvermögen, Sensibilität, Intuition usw. obwohl auch die ihre Nützlichkeit haben.
Wir meinen aber noch etwas anderes. Die britische Elite schmachtete traditionellerweise ihre schönen Jugendjahre hindurch an strengen Internaten, wo sie sich Führungs- und Erfolgseigenschaften aneignen sollte. Auch wir sind, als Frauen durch eine harte Schule gegangen. Und haben dabei Wissensgüter und Tugenden erworben, die sich auf dem weiteren kollektiven Lebensweg als nützlich erweisen:

Selbstbeherrschung

Sexuell waren Frauen jahrzehntelang in der Defensive. Eine gute Frau ließ nicht erkennen, daß sie so etwas wie Begierden kennt und Bedürfnisse hat. Nur unter ganz bestimmten Umständen sagte sie ja; die restliche Zeit sagte sie, so entschlossen sie nur konnte und auch, wenn es ihren eigentlichen Wünschen gar nicht entsprach, dezidiert nein. Das war frustrierend. Aber man kann es auch so sehen, daß Selbstkasteiung zum Charaktertraining  gehört. Nicht umsonst müssen Zen Meister ihre körperlichen Gelüste reglementieren lernen. Und darin, weiß Gott, sind wir Meisterinnen. Wir kommen ohne gutes Essen, ohne Kalorien, ohne Sex aus, wenn es sein muß und sogar, wenn es nicht sein muß. Abertausende von Frauen haben infolge einer sexistischen Umwelt ein aberwitziges Leben geführt, und nun erhalten wir dafür ganz überraschend den Lohn: Der Wunschtraum aller Mönche und Philosophen, bei uns ist er Wirklichkeit geworden, und das »wie« ist dabei so paradox, daß wir verstehen können, warum Buddha und Zen-Meister gerne lachen. Ironisch, daß aus schmerzhaften Miedern, Krinolinen, viktorianischer Sexualfeindlichkeit und Kartoffeldiät ein Endresultat hervorkommt, das andere vergeblich mit hoch geistigen Ideen, Askese und Weltferne zu erreichen versuchen: Unser Körper ist uns untertan. Er kann, einzig infolge unserer Willenskraft jahrelang unter seinem Normalgewicht dahin leben, ohne Schmerzmittel Kinder hervorbringen, alle möglichen Kasteiungen und Belastungen ertragen. Männer dagegen - von einigen wenigen Kirchendienern abgesehen - und selbst über deren vermeintliches Keuschheitsgelübde erfährt man so manch absonderliches Detail - haben nie gelernt, nein zu sagen. Manchen fiel es schon schwer genug, das »nein« eines/einer anderen zu akzeptieren, wie Frauen aus leidvoller Erfahrung wissen. Im Evolutionsprozeß sind sie damit in der Phase des Jägers und Sammlers stehen geblieben. Ihre Devise lautet: so viel wie möglich anhäufen und verschlingen. Es ist kein Zufall, daß so viele mächtige Männer ein vollkommen degeneriertes Sexualleben führen und daß nicht wenige unter ihnen letztlich an Sexskandalen scheitern: Sie haben nie die historische Gelegenheit gehabt, Selbstbeherrschung zu lernen. Der Mangel an Selbstkontrolle den sie häufig vorweisen, ist erschreckend, denn schließlich muß angenommen werden, daß sie - wenn sie nicht einmal ihre eigenen Triebe beherrschen - bei anderen Bereichen des Lebens auch nicht kontrollierter entscheiden können. Es genügen einige wenige Beispiele. Der amerikanische Präsidentschaftsanwärter Gary Hart hatte 1988 die besten Aussichten, das höchste Amt der Vereinigten Staaten zu erhalten. Es gab nur ein kleines Problem: Er hatte den Ruf, ein Frauenheld zu sein. Darauf angesprochen, forderte er die Journalisten auf, ihn doch zu prüfen: Sie sollten ihn ruhig verfolgen , ihm nachstellen, ihn beschatten, denn er habe nichts zu verbergen. Jeder halbwegs intelligente Mensch mußte damit rechnen, daß die stets meldungshungrige amerikanische Presse einer solchen Aufforderung nachkommen würde. Jeder halbwegs selbst beherrschte Mensch mußte wissen, daß er sich nun, zumindest vorübergehend, zurückhalten, vorsichtig und diskret sein mußte. Gary Hart tat nichts desgleichen, und es kam, wie es kommen mußte. Er flog mitsamt seinen Gespielinnen auf, und aus war es mit seiner Kandidatur. Die Beispiele lassen sich beliebig Aneinanderreihen, und es gibt keine kulturellen Unterschiede. Erst kürzlich hatte Japan einen Sex-Skandal, weil die Herren Politiker ohne Geishas nicht auskamen. Bezeichnenderweise führte dieser Skandal zu einer politischen Aufwertung japanischer Frauen, in deren gemäßigteren Händen man die diffizilen Staatsgeschäfte verantwortungsvoller aufgehoben weiß. Dabei geht es nicht so sehr um die Moral, sondern um die Intelligenz. Ein intelligenter Mensch muß wissen, welches Risiko ein Sex-Skandal in sich birgt. Wenn er dann noch immer nicht in der Lage ist, sich zu beherrschen, dann ist das - denn der Macht- und Selbsterhaltungstrieb und die Geltungssucht sind bei Menschen des öffentlichen Lebens notgedrungen ausgeprägt - ein alarmierendes Zeichen dafür, daß sie sich beim besten Willen einfach nicht beherrschen können. Und dann sind sie nicht die Personen, denen man gerne die eigene Sicherheit und das Wohlergehen des Landes anvertraut. Ein ausführlicheres Beispiel ist an dieser Stelle vielleicht ganz aufschlußreich. Wir finden es bei den legendären Kennedys. John F. Kennedy, der an der Seite seiner reizenden Familie viele publikumswirksame Auftritte lieferte, erwies sich in den posthumen Recherchen als völlig haltloser Sklave seiner Triebe. Philippe de Bausset, Washington-Korrespondent der französischen Zeitung Paris Match, ist der Meinung, daß nur Kennedys abruptes Ableben ihn vor einem immensen Sex Skandal bewahrte. Seine unzähligen Affären, häufig mit politisch dubiosen Personen, waren so risikoreich und zeitintensiv, daß er »einfach nicht mehr in der Lage war, die politischen Tagesgeschäfte zu erledigen«. Schon vor seiner Amtszeit hatte er ein ausschweifendes Sexualleben geführt, aber auch als Präsident war er nicht imstande, eine minimale Selbstbeherrschung aufzubringen. Bereits als ambitionierter Senator lebte Kennedy gefährlich. Sein Verhältnis mit seiner Sekretärin, Pamela Turnure, verstieß gegen das Sittengefühl ihrer Vermieter. Das streng katholische Ehepaar fotografierte Kennedy beim frühmorgendlichen Verlassen der Wohnung und machte sogar Tonbandaufnahmen der Rendezvous. Diese Aufzeichnungen übermittelten sie mehreren Zeitungen, die aber gemäß dem damaligen Medienkodex noch keine Verwendung davon machten. Die Unterlagen fanden jedoch Eingang in Kennedys FBI-Dossier. Um seine Geliebte in bequemerer Nähe zu haben, ließ Kennedy sie zur Pressesekretärin seiner Frau erwählen, eine Geschmacklosigkeit, die nur deswegen gemildert wurde, weil Kennedy sich bald darauf von ihr abwandte und neue Gefährtinnen suchte. »Ich glaube, wenn ich die Wahl gewinne, muß ich mein Lotterleben aufgeben«, notierte Kennedy während der Kampagne; er äußerte auch Befürchtungen, seine Gegner könnten seine Eskapaden öffentlich machen, um ihn auszuschalten. Diese realistischen Befürchtungen genügten nicht, um ihn zu größerer Vorsicht zu bewegen. Er hatte während dieser sehr kritischen Zeit, als die Augen der Öffentlichkeit und der Presse - und seiner Feinde - so permanent auf ihm ruhten, ein Verhältnis mit einem Call-Callgirl, das außerdem die Geliebte verschiedener Mafia-Bosse war, eine Liebschaft mit Marilyn Monroe und unzählige flüchtige Kontakte mit Prostituierten, Polit-Groupies und anderen Partnerinnen. Kurz vor seiner ersten wichtigen TV-Wahlkampfdebatte entspannte sich Kennedy mit einer Stripperin. Seine Gefolgschaft hatte häufig Anweisung, ihm ein Mädchen zu besorgen, sie zu bezahlen und dann im Korridor vor seinem Hotelzimmer Wache zu stehen. Seinem guten Vorsatz, nach der Wahl zurückhaltender zu agieren, konnte Kennedy offenbar nicht nachkommen. Sein Chauffeur wurde einmal fast von Sicherheitsbeamten erschossen, als er auf Befehl seines Chefs versuchte, den Präsidenten - eingewickelt in eine Decke auf den Rücksitz des Autos - zu einem Stelldichein zu schmuggeln. Mitunter waren die Sicherheitsorgane außerstande, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen; hätte es in diesen Stunden eine Krise gegeben, wäre das Staatsoberhaupt als Entscheidungsträger ausgefallen. Prostituierte, politische Groupies - in seiner Partnerwahl war Kennedy nicht anspruchsvoll. Es wird vermutet, daß diverse Geheimdienste Dossiers über ihn besaßen; zu deren Verwendung in erpresserischer oder diffamierender Absicht kam es nicht, weil seine Amtszeit jäh beendet wurde. Vielleicht wäre es auch sonst nicht dazu gekommen, aber sein Verhalten war weder staatsmännisch noch intelligent. Und er ist bei weitem nicht das einzige Idol, das hinter einem charismatischen Auftreten ein diesbezüglich problembehaftetes Privatleben verbarg. Auch Martin Luther Kings Sexualleben füllte die Dossiers seiner Gegner. Wir müssen gar nicht in irgendeinem moralischen Kontext darüber nachdenken, ob ihr Verhalten zu billigen ist. Es ist einfach für Männer in ihrer Position und mit ihren Zielen unintelligent und zeugt von einer fatalen Willensschwäche.

Verständnis und Konsequenzen

Eine stete Ungerechtigkeit im Leben von Frauen war es, daß sie - weit mehr als die Männer - an den Konsequenzen ihres Handelns litten. Ein Mann konnte eine vorübergehende Verirrung bei der Partnerwahl schnell wieder vergessen; Frauen aber riskierten - und erst seit relativ kurzer Zeit gibt es zumindest die Möglichkeit des Selbstschutzes durch Empfängnisverhütung - Folgen, die den Rest ihres Lebens beeinträchtigen konnten. Handeln, Fehlermachen, hat Konsequenzen; oft viel größere Konsequenzen, als die »Tat« rechtfertigen würde, das lernten Frauen, und es prägte sich ihnen ein. Die Möglichkeit einer ungewollten Schwangerschaft war nur eine der drohenden Folgen eines Irrtums. Viel schneller als ein Mann verlor eine Frau ihren guten Ruf; viel schneller galt sie als verkommen, verbraucht und alt; sie hatte weniger Chancen und mußte diese Chancen daher sorgfältig nutzen. Das war ziemlich hart, aber auch hier ist ein Training für den Ernstfall gegeben. Wen möchte man lieber am Drücker sitzen haben: jemanden, der glaubt, es werde schon alles irgendwie gut ausgehen, oder jemanden, der weiß, daß manche Entscheidungen nicht mehr rückgängig zu machen sind? Als wir vor einigen Jahren in Japan waren, erzählte uns eine japanische Professorin, es sei ihr während einer Studie über die Sozialisation im Kindergarten einiges schlagartig klar geworden. Sie hatte dagesessen und zugesehen, wie die Kinder spielten. Dann hatte die Pausenglocke geläutet, und die kleinen Buben waren auf den Spielplatz hinaus gestürmt. Die kleinen Mädchen mußten aber, so wollte es die frühkindliche Erziehung schon, noch im Zimmer bleiben und hinter sich und den Buben aufräumen. Sie mußten die Papierschnitzel einsammeln, die Spielsachen aufräumen, die weggeworfenen Farbtuben in den Papierkorb schmeißen und dann aufkehren, dann erst durften auch sie auf den Spielplatz hinaus. Nicht nur die altertümliche Prägung zum geteilten Rollenbild fiel der Professorin dabei auf, sondern es war ihr, wie sie glaubt, noch eine andere erhellende Schlußfolgerung gegönnt. Männer kümmern sich so wenig um die Folgen ihres Tuns, weil die Frauen immer ihren Mist wegräumen. Vom Haushalt bis zum Atommüll, Männer können einfach nicht aufräumen, weil sie es nie gelernt haben. Wie durch ein Wunder verschwindet, sang- und klanglos, die Spur des männlichen Wirkens durch diensteifrige Frauenhand. Der Mann läßt als Kind seine Papierschnitzel fallen, als Ehemann seine schmutzigen Socken und als Industrieller seine chemischen Abwässer. Die Schlußfolgerung der Professorin mag gewagt sein, aber sie entbehrt nicht einer gewissen Plausibilität.

Belastbarkeit

Eine amerikanische Kolumnistin beschrieb den Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Denken einmal, nur halb scherzhaft, mittels der Analogie zu einem Computer. Männer, argumentierte sie, speichern alles auf Disketten. Bei Frauen ist alles im Hauptprogramm. Daher wirken Männer immer so unbelastet; wenn sie im Büro sind, ruht die kleine weiche Diskette mit den »Kindern« (Schulprobleme, Zahnarzttermin, bevorstehender Geburtstag, angedrohte Kündigung des Au-pair-Mädchens) friedlich in ihrem Umschlag. Bei den Frauen hingegen ist alles immer gleichzeitig im Speicher. Für die Konzentration und das seelische Streßniveau ist, vermutlich, die erste Variante besser. Andererseits verrät die zweite eine wesentlich größere Kapazität. Ich erinnere mich an ein Geschichtsbuch aus meiner Jugend, demzufolge Cäsar ein Genie war, weil er drei verschiedene Dinge auf einmal tun konnte. Wenn dieses Kriterium zutrifft, dann sprengen hunderttausende Frauen täglich den Rahmen des Genialen. Nur drei Dinge? Wie erholsam! Im Lauf der letzten Jahre wurden, wie in einem ganz allmählichen geologischen Umschichtungsprozeß, mehr und mehr Lagen von Arbeiten und Funktionen auf die Frauen abgeladen. Das ist strapaziös, ja. Aber schließlich wächst man mit den Aufgaben, und demzufolge haben Frauen in den letzten Jahren einen immensen Wachstumsschub erlebt.
Vor 20 Jahren veröffentlichte die Amerikanerin Betty Friedan ein Buch, das in vieler Hinsicht als Startschuß zur neuen Frauenbewegung zu sehen ist. Es befaßt sich mit einer Wahrnehmung, die Friedan aus eigenem Empfinden und aus der Beobachtung anderer Frauen kannte: mit der diffusen Unzufriedenheit der Frauen. Diese Frauen hatten nicht eigentlich ein »Problem«. Ihre finanzielle Existenz war gesichert, sie hatten Familien, es ging ihnen nicht  wirklich schlecht und doch waren sie unglücklich. »Das Problem, das keinen Namen hat«, nannte Friedan ihre Entdeckung, und hunderttausende Frauen fühlten sich davon angesprochen und identifizierten sich damit. Nachdem Friedan sich die Sache genauer angesehen hatte, stellte sie Vermutungen darüber an. Was diesen Frauen fehlte, glaubte sie, war ein Gefühl für sich selbst. Viele von ihnen hatten zu Beginn ihrer Ehe gearbeitet, um dem Herrn Gemahl das Studium zu finanzieren. Dann hatte er einen qualifizierten Beruf, als Arzt oder Anwalt, begann seinen gesellschaftlichen Aufstieg, deponierte die nunmehr zur Hausfrau gewordene Gattin in einem Eigenheim in der Vorstadt, und hatte ihr bald nichts mehr zu sagen. Und sie, sie hatte sich zunächst seiner Karriere gewidmet, dann widmete sie sich den Kindern, den Haustieren und dem Heim, und irgendwann bemerkte sie, daß sie selbst dabei gar nicht vorkam. Wir hatten bei diesem Buch das genau umgekehrte Erlebnis. Wir trafen Frauen in sehr anspruchsvollen Berufen, Frauen, die sich auf ganz neues Terrain vorgewagt hatten und dort sehr hart um ihre Position ringen mußten. Frauen, die neben einem schwierigen Beruf noch den Anspruch auf eine Beziehung und eine Familie stellten und die dazu noch, wie ein Mafia Don, ein ganzes Dorf voller Abhängiger aus ihren verschiedenen Lebensproblemen befreien sollten - deren Tag mit der Versorgung eines kleinen Kindes begann und erst wieder endete, nachdem der Großmutter eine Brille besorgt worden, das Au-pair Mädchen in einem Sprachkurs untergebracht, die Vorstandssitzung abgehalten, die Reparatur eines Wasserrohrbruchs im Keller in Auftrag gegeben, ein Projektentwurf geschrieben, ein Manuskript fertiggestellt, ein Impftermin für die Tochter vereinbart, die Bestellung im Supermarkt aufgegeben, eine Freundin getröstet, die neue Sekretärin eingearbeitet, die Hundemarke für den Dackel bestellt, ein Budget revidiert... Sie verstehen schon. Das waren Frauen, die atemberaubende Tagesabläufe hatten. Sie hätten eigentlich erschöpft und entmutigt sein müssen. Ersteres traf des öfteren zu, aber letzteres eigentlich gar nicht. Sondern sie waren, so im Schnitt, eigentlich glücklich. »Die Zufriedenheit, die keinen Namen hat«, könnten wir es spielerisch nennen. Ein Element dieser Zufriedenheit war sicherlich das Gefühl, ganz neue Leistungsniveaus zu erbringen, über sich selber hinausgewachsen zu sein. Wir trafen Frauen, deren Jungmädchenwunsch es gewesen war, zu reisen und mit Leuten zu arbeiten und die »weite Welt« zu berühren. Als Mädchen dachten sie deshalb daran, vielleicht Stewardeß zu werden. Statt dessen wollte es ihr Können und der Zufall so, daß sie 25 Jahre später  mit 33 immer noch als  junge Frauen, für die größte Bank ihres Landes als Devisenhändlerin das Staatsvermögen mitverwalteten. Reisen? Ja, zu den großen Börsen der Welt. Kontakt mit Menschen? Ja, mit den Ministern der Großmächte. In einer Welt, in der Mädchenzeitschriften immer noch unter »Traumberuf« die Friseurin verstehen, ist es für eine Frau ein berauschendes Gefühl, in den hohen Sphären männlicher Machtdomänen anerkannt zu sein. Dasselbe trifft auch auf andere Bereiche zu. Es ist noch nicht gar so lange her, daß Frauen im Mann das Familienoberhaupt sahen und sich ein Überleben ohne ihn gar nicht vorstellen konnten. Wenn es ein Problem gab, mußte er eine Lösung finden. Heute sind Frauen, auch wenn sie in intakten Partnerschaften leben, de facto häufig das »Familienoberhaupt«; die Schaltstelle für das Management von allem, von der gelegentlich babysittenden Tante Ida bis zum Wellensittich.
Das ist erschöpfend. ja. Das ist unfair. Sicher. Das kann so nicht weitergehen. Klar. Aber es ist auch ein winziges bißchen aufbauend, in dieser Weise als Kleinpotentatin eines höchstpersönlichen Miniimperiums zu fungieren. Die Bankerin Marita Kraemer führt ein anstrengendes Leben. Ihr Partner hält sich auf einem anderen Kontinent auf. In ihrem Sonderprogramm muß sie sich bewahren, um danach eine chancenreiche Platzierung zu bekommen. Ihr Job bringt eine sehr hohe Verantwortung mit sich, sie muß Entscheidungen treffen, die folgenschwer sein können, und ein gravierender Fehler ist nie auszuschließen. Im Gespräch führt sie dann auch an, daß es ein Job ist, bei dem man nicht so leicht abschalten kann. Die Verantwortung ist mitunter belastend. Der Dienstschluß ist kein sauberer Schlußstrich, auf den dann ein entspanntes Privatleben folgt. Das alles gesagt, wie sehen ihre Hoffnungen für die Zukunft aus? Vielleicht ein bißchen weniger Streß, ein geregelteres Leben? »Ich möchte gern in der nächsten Zeit eine Führungsaufgabe haben«, wünscht sich Marita ganz im Gegenteil. Super wäre es auch, »etwas ganz Neues hier aufzubauen, mit einem Team, der Pioniergedanke würde mich reizen.« Und die Arbeit insgesamt, eine Last und Bürde? Finanzierungsentscheidungen in einer Bank, ein trockenes Geschäft? »Ich gehe sehr nach dem Lustprinzip vor«, sagt Marita. »Die Arbeit muß mir einfach Spaß machen, und hier ist es so.« »Das haben die Frauen eindeutig den jungen männlichen Kollegen voraus«, konstatiert auch das Vorstandsmitglied einer großen Exportfirma. »Für die Frauen ist das alles neu und aufregend. Was unsereins als den alten Trott erlebt, die kommen da mit einem völlig frischen Elan herein. Wie ein begabtes Kind, dem man ein kompliziertes neues Spiel geschenkt hat.« Bei allem Streß kommt in vielen Gesprächen auch eine unüberhörbare Euphorie durch; das Adrenalin beflügelt, und es macht Spaß, in für Frauen ungewohnten Höhen auf voller Leistungstour zu laufen. Die Bühnenbildnerin Xenia Hausner, nach ihrem Wohnstil befragt, beansprucht für sich gleich drei »Wohnungen«: ihre eigene, tatsächliche, in der ihr teure Gegenstände» in rechten oder anderen Winkeln« stehen, von einer Haushälterin gepflegt werden und »die Fiktion von einem Zuhause« vorgaukeln. Dann die zahlreichen Hotels , in denen sie tatsächlich lebt und an die sie daher einen hohen Qualitätsanspruch stellt - und den Anspruch auf Kabelfernsehen zwecks Überwindung spätabendlicher Tiefs. Und dann noch »meine Hightech-Wohnung«, die Flughäfen, die sie nicht nur gut kennt, sondern auf denen sie mittlerweile auch echte Freunde hat, hinter den Schaltern und Computern der Fluglinien. Stressig? ja. »Eigentlich lebe ich Gewehr bei Fuß, mit einer Tasche«, sagt sie, und klingt darüber gar nicht traurig. Vor gar nicht allzu langer Zeit galt es als medizinisch gesicherte Erkenntnis, daß Frauen von ihrer Veranlagung her sehr labil, fast chronisch kränklich seien. Von schwacher Konstitution, dazu noch gerüttelt von ständigen, undurchschaubaren hormonellen Schwankungen, war ihnen (uns) nur wenig zuzumuten, bedurften sie (wir) der Führung und Fürsorge des robusteren und stabileren Geschlechts, um in der harten Welt zu überleben.
Diese Erkenntnisse bezogen sich natürlich in der Praxis nur auf Frauen der gehobeneren sozialen Klassen. Den anderen wurde jede nur erdenkliche Härte gelassen aufgebürdet, und vom Kult der fragilen Weiblichkeit profitierten sie nur wenig. Aber die Frauen der besseren Klassen galten als sensibel, als wenig strapazierfähig. Weder Aufregungen noch körperliche Anstrengungen waren ihnen zuzumuten, und sie verkörperten, blaß und grazil, rollentreu ihr Wesen als »schwächeres« Geschlecht. Die heutige Frau, die in Jogginganzug und Adidasschuhen ihren Tag beginnt, belastbar bis zum Geht-nicht-mehr und in fast allen Berufen vertreten, scheint nur mehr eine geringe anatomische Verwandtschaft zu haben mit ihrer Urahnin, die, mit Riechsalz ausgestattet und in ein Korsett geschnürt, damenhaft dahin trippelte. Es gibt aber immer noch einen ganz wichtigen Bereich, in dem die Ertüchtigung der Frauen noch nicht stattgefunden hat. Der Bereich, den wir meinen, ist jener der Emotionen. Wenn auch dieser Bereich sich zeitgeschichtlich angepaßt hat, werden die immer noch aktuellen Manifestierungen weiblicher Zerbrechlichkeit in Dingen des Gefühls genauso anachronistisch wirken wie heute die Erinnerung an die überempfindsame Viktorianerin.
Der Gedanke daran, gefühlsmäßig robuster zu werden, behagt vielen Frauen so ganz und gar nicht. Sie klammern sich an ihr geliebtes Seelenleben, wollen ihre Entscheidungen »aus dem Bauch heraus« treffen, »bekennen« sich zu ihrer »Innerlichkelt« und möchten sich ihre »Verletzbarkeit bewahren«, um nur einige der gängigen Kampfrufe dieser Denk- (wohl besser: Gefühlsrichtung anzuführen. Nehmen wir uns diese Bedenken statt dessen ganz sachlich vor und überprüfen wir, ob sie einen wichtigen Aussagewert beinhalten. Zunächst einmal müssen wir uns daran erinnern, daß die veränderte Einstellung zum weiblichen Körper seinerzeit ebenfalls erbittert bekämpft wurde, und zwar auch von den Frauen selbst. Die von einigen avantgardistischen Frauen vorgeschlagenen Veränderungen der einengenden, bewegungsfeindlichen Mode fanden sie unfeminin. Frauen, die sich praktischer kleiden, freier bewegen und körperlich mehr betätigen wollten, erlebten sie als vermännlicht, als burschikos, sogar als widernatürlich. Sport war für Frauen undenkbar. Der Widerstand, der dabei von Frauen kam, wurde von einer Angst beflügelt: der Angst, Eigenschaften zu verlieren, die als essentiell für Weiblichkeit und weibliches Auftreten galten, und damit das eigene Wesen, die Attraktivität für die Männer und deren Schutz zu verlieren. Heute sind diese Befürchtungen irrelevant geworden. Im Gegenteil, ein Fitneßdenken hat gerade den sportlichen, trainierten Frauenkörper zum ästhetischen Vorbild ernannt. Ernährung, Bewegung und Sport gelten geradezu als Garanten für weibliche Attraktivität (wobei auch hier durch Übertreibung wieder eine neue Belästigung für die Normalfrau entstehen kann). Mit den Emotionen verhält es sich ebenso. Viele Frauen haben Angst davor, die existierende emotionelle Zusammensetzung ihres Innenlebens anzutasten aus Furcht, dann verhärtet und vermännlicht zu sein, ihr Wesen zu verlieren und nicht mehr liebenswert zu sein. Genauso wenig aber, wie eine intelligente Reformierung der weiblichen Mode oder eine gesündere Einstellung zum eigenen Körper den plötzlichen Verlust der weiblichen Attribute zur Folge hatte, genausowenig wird eine ausgeglichenere und gesündere Seele dazu führen, daß wir uns alle ganz abrupt in Männer verwandeln. Wir versprechen es. Unsere rasend schöne weibliche Seele wird ganz im Gegenteil durch dieses Training nur noch schöner werden. Statt blaß und schwabbelig, hier mit einem Mieder und Korsett künstlich eingequetscht, dort ebenso künstlich dahinsinkend, in einer Treibhausatmosphäre vor sich hin zu brüten, wird sie durch viel frische Luft, Selbstdisziplin und Training zu einem geschmeidigen, straffen Ausdruck unserer Personen werden. Die Reformerinnen vergangener Jahrzehnte wollten nicht die »Weiblichkeit« des Frauenkörpers kaputtmachen, obwohl es ihnen unterstellt wurde. Sie wollten nur, daß dieser Frauenkörper mehr frische Luft bekäme, in ein weniger einengendes Gewand gesteckt würde, eine natürlichere Einstellung zur eigenen Sexualität erhielte und insgesamt freier und gesünder leben könnte. Und wir wollen nicht, aber ganz und gar nicht, die weibliche Gefühlswelt abholzen und in eine rauhe Wüste umwandeln. Wir wollen nur, daß all diese Gefühle gesünder erlebt werden und daß die Frauen selber einen Überblick darüber bekommen. Nun, und auf einige davon können wir vielleicht sogar gut verzichten. Schließlich ist »Gefühl« noch kein Güteprädikat. Es gibt Gefühle, die man lieber empfindet als andere. Es gibt Gefühle, die in einer bestimmten Situation angebracht sind und solche, die eigentlich woanders besser hinpassen würden. Wir glauben jedenfalls, daß Gefühle wie Muskeln kompakt und in Form sein können, aber auch verwachsen und schlaff. Es ist auch möglich, zuviel des Guten zu tun. Wer allzu exzessiv die Gefühlswelt trainiert, wird seelisch verknotet und unförmig und unästhetisch wie ein Bodybuilder, der seinen Muskelkult übertreibt und als eingeöltes Muskelpaket endet.
Es gibt durchaus Frauen, die nur als Gefühlspaket zu bezeichnen sind, und dafür gibt es nicht einmal einen fünfminütigen Bühnenauftritt in Eurosport. »Gefühle« wurden von den Frauen, die wir für dieses Buch trafen, keineswegs geringgeachtet. Das galt nicht nur für den Privatbereich. Viele Frauen nannten ihre gefühlsbezogenen Eigenschaften als wichtige Ressource auch in ihrer Arbeit. Ihr »Gefühl« für eine Situation, meinten sie, half ihnen dabei, die richtige Reaktion zu finden und zwischen einem Ausweichen, einer Konfrontation oder einer taktvollen Beeinflussung zu wählen. Ein gefühlsmäßiger Einklang bestimmte, ob eine neue Arbeitsbeziehung einfach oder kompliziert verlaufen würde: »Wenn man das Gefühl hat, einander als Person zu akzeptieren, dann ist der Weg weitgehend schon geebnet.« »Für den täglichen Umgang mit Leuten«, meint die deutsche Bankerin Marita Kraemer, »brauche ich meine Intuition. Wenn ich z.B. etwas nicht gut finde, soll ich das dann ganz direkt sagen, in einem Gespräch? Oder muß es eine harte Diskussion sein? Soll ich es vielleicht mehr so infiltrierend einbringen, mit Suggestion? Oder erkenne ich überhaupt, daß ich nichts ändern kann, und versuche, die Sache distanziert zu sehen und hinter mich zu bringen? Das sind Entscheidungen, die am besten aus der Intuition heraus getroffen werden. Es gibt viele Anleitungen zum Karrieremachen, aber ich will mir keinen Anzug anziehen. Ich verlasse mich lieber auf mein Gefühl.« Es war deutlich, daß Frauen mit solchen Begriffen keine Schwierigkeiten hatten; das war ein Terrain, auf dem sie sich wohl fühlten und problemlos bewegten. Allerdings mit einem Vorbehalt: Ihre Gefühle waren ein Instrument, das sie bewußt benutzten und einsetzten. Es war nicht eine unkontrollierbare Stimmung oder Lawine, die über sie hinwegrollte, sie hinwegfegte, sondern es war ein Signal, eine Mitteilung, eine Information, die als sehr wertvoll geschätzt und verwendet wurde. Nicht das Gefühl war der Chef, sondern die Frau. »Ich habe das Gefühl...,« so lautet schließlich der Satz richtig. Bei manchen Frauen müßte es eher heißen: »Das Gefühl hat mich.« Auch im mitmenschlichen Umgang fanden Frauen ihre uralten Fähigkeiten nach wie vor bewährt. Eine Managerin, die als Kind »Reiseleiterin werden und mit Menschen und anderen Kulturen Kontakt haben« wollte, kann diesen sehr weiblichen Wunsch auch in ihrem neuen Umfeld praktizieren: »Es kam zwar ganz anders, aber im entfernteren Sinne bin ich wohl doch bei meinem Gebiet geblieben. Auch hier muß ich auf die Leute eingehen, und wenn ich zum Beispiel ein Geschäft mit einer japanischen Firma vorbereite, dann muß ich mich darauf einstellen, daß dieser japanische Geschäftspartner anders ist und sich anders verhält.« Ingrid Kolb, die sich seit Jahren auf dem ziemlich schroffen Terrain der deutschen Medienszene bewegt, konstatiert bei sich im Umgang mit Mitarbeitern eine Art »mütterliche Gluckenhaftigkeit«. Das sind alles Beispiele dafür, wie Frauen ihre Gefühle nützen, um einen eigenen Weg und einen eigenen Stil im öffentlichen Leben zu finden. Es gibt aber auch andere Gefühle, die einer sorgfältigeren Kontrolle bedürfen. Gefühle der Selbstkritik und des Selbstzweifels zum Beispiel sind etwas, was bei Frauen oft viel zu ausgeprägt ist.
Oder die Tendenz, alles sehr persönlich zu nehmen; das ist eine Neigung, die von unfreundlich gesinnten Männern oft als wirkungsvolle Waffe gegen die Frau eingesetzt wird. Manche Rückschläge erwachsen aus der Natur der Sache und sind nicht persönlich gemeint. Sie entstammen entweder der generellen Situation in ihrem Bereich oder einem generalisierten Konkurrenzverhalten oder sind zufällige Ausdrücke der Laune irgendeines leider vorgesetzten Menschen. Weil Frauen spezialisiert sind auf den Privatbereich und seine Logik - die aber anders ist - und auch, weil dieses Terrain für sie neu ist und sie sich dort noch nicht zu Hause und sicher fühlen, neigen sie oft dazu, Kritik überzubewerten. »Hier bin ich, aber eigentlich gehöre ich gar nicht hierher, und gleich sieht mich jemand und schmeißt mich wieder raus«, so ungefähr ließe sich die tiefinnerste Haltung so mancher Frau formulieren, der man das von außen vielleicht gar nicht ansieht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das legt. Wenn Frauen länger in diesen Bereichen vorhanden sind und wenn mehr von ihnen vorhanden sind, wird sich das ändern. Bis dahin sollten Frauen sich bemühen, diese Gefühle der Unsicherheit rationell zu bewältigen, um sich nicht selbst das Leben schwer zu machen.

Sind sie glücklich ?

Die interviewten Frauen mußten nicht lange nachdenken bei der Frage, was in ihrem Leben das besonders Belastende war. Das war ganz einfach: Es war einfach alles zuviel! Der Beruf war schon anstrengend genug; dann kam noch die Familie hinzu, und dazu noch das, was man sich an zusätzlichen Interessen und Lebensfreuden vorstellte. Und das alles paßte einfach nicht in einen Tag, in eine Woche, in ein Frauenleben hinein. Es kam schon vor, daß diese Frauen dann ihre Situation verfluchten. Aber eigentlich war es nicht ihre objektive Situation, die sie dann verteufelten, sondern die Tatsache, daß ihnen weit, weit mehr als ihr gerechter Anteil aufgebürdet war. Die Grundplanung fanden sie gut, für sich persönlich meist ideal, denn schließlich hatten sie es sich so zusammengestellt: Job und Partner, Beruf und Kinder. Nur die Durchführung war ein Problem, denn das war einfach kein Einfrauunterfangen. Aber die Hilfestellung war mager. Der »Partner«? Den hoffnungsvollen Ausdruck mußten viele in Anführungszeichen setzen, denn selten näherte sich sein Beitrag der 50-Prozentmarke. Gesellschaftliche Institutionen? Deren Angebot war meist lückenhaft und unbefriedigend und erforderte soviel Ergänzung und Improvisation, daß die Frau erneut beansprucht war. Wie also bewerteten Frauen insgesamt den Grad ihrer Zufriedenheit, und wie erlebten sie das Zusammenspiel der verschiedenen Lebensbereiche? In diesem Kapitel wollen wir zwei Aussagen dazu weitergeben. Die erste stammt von der französischen Journalistin Michelle Fitoussi, die sich ironisch-kritisch mit dem Phänomen der »Superfrau« - der müden, strapazierten Superfrau befaßt hat. Die zweite beruht auf einem Fragebogen, den wir auf Berufsseminaren ausfüllen ließen. Es gab zwei Frauen in diesem Buch, denen wir mit inneren Vorbehalten gegenübertraten. Die erste war, wie schon ausgeführt, Martine Griffon-Fouco. Mit ihr hatten wir einfach ideologische   Probleme,  weil wir überzeugte Gegnerinnen der Kernkraft sind. Die zweite war Michelle Fitoussi. Diese zweite tendenzielle Aversion war ziemlich ungerecht, denn sie entstammte nicht einmal einer Reaktion auf ihr Buch »Zum Teufel mit den Superfrauen« sondern wurde schon durch die Rezensionen ihres Buches hervorgerufen. »Eine Abrechnung mit der Karrierefrau« und ähnlich lauteten da die triumphierenden Schlagworte, und das Buch wurde dargestellt als Kritik einer Modejournalistin an qualifizierten Frauenberufen. In Wirklichkeit war der Sachverhalt ein ganz anderer, und auch Michelle Fitoussi war ganz anders, als diese Darstellung uns hatte vermuten lassen. Schlaksig, schmale Hose, übergroßer Pullover, schönes Gesicht mit leichtem nordafrikanisch-arabischem Einschlag, kommt sie uns vor dem Pariser Kaffeehaus entgegen. Als die Rive-gauche-Boheme-Studentin, die sie einmal war, kann man sie sich sehr gut vorstellen; sie wirkt noch immer so. Beim Sprechen gestikuliert sie so lebhaft, daß ständig der Kellner herbeieilt in der Annahme, sie hätte ihn herbeigewunken. »Meine Eltern sind geschieden. Deshalb hatte ich, obwohl ich immer eines Tages auch heiraten wollte, nicht die klassischen Mädchenträume vom Eheglück. Die Scheidung war für meine Mutter sehr schlimm. Sie bekam einen Nervenzusammenbruch, wurde oft krank. Sie kommt aus Tunesien, hatte nicht studiert und hatte keine berufliche Qualifikation, als mein Vater sie verließ. Er war Anwalt. Sie hat nach der Scheidung in Boutiquen als Verkäuferin gearbeitet. Meine Schwester und ich blieben bei ihr und haben schon früh ein Gefühl der Verantwortung entwickelt. Dann habe ich studiert, und danach habe ich viele Reisen gemacht. Ich fuhr nach Mexiko, Peru, in die USA. Unterwegs habe ich immer gerade genug gearbeitet, um mich durchzubringen. Dann kam ich zurück und habe immer noch diesen Rhythmus beibehalten. Es waren die 70er Jahre, und mit dem Arbeiten hatten wir es alle nicht sehr eilig. Heute ist das anders, die 20jährigen denken schon an ihre Jobs und Karrieren. Damals habe ich meinen Lebensunterhalt verdient, und keinen Groschen mehr. Und das Leben war nicht sehr teuer. Ich war damals nicht sehr ambitioniert. Mit 24, 25 habe ich meinen Mann kennengelernt, einen Journalisten. Wir lebten eine Weile zusammen, dann beschlossen wir, ein Kind zu bekommen. Inzwischen hatte ich begonnen, bei Elle zu arbeiten. Es hat sich eines nach dem anderen ergeben, man hat es gar nicht gemerkt, und plötzlich war man mitten drin in einem ganz anderen Leben. Als Studentin war ich Feministin. Heute ist der Feminismus anders geworden, er ist in der Luft, in der Atmosphäre, jede Frau ist davon geprägt, ob sie es weiß und will oder nicht. Rückblickend sehe ich, daß wir eigentlich gar nicht wußten, was wir taten und was auf unsere Wünsche und Forderungen folgen würde. Die Welt ist jetzt anders, und zurück können wir auch nicht mehr. Ich habe viele Freundinnen, denen es so geht wie mir. Plötzlich sind sie Ärztinnen, Anwältinnen, und es gibt kein Zurück  mehr. Es wird viel davon gesprochen, daß berufstätige Frauen nicht genug Zeit haben für ihre Kinder und sich schuldig fühlen. Das glaube ich nicht. Ich kenne mich selbst. Ich liebe meine Kinder, aber ich wäre nicht fähig, sie vollständig zu erziehen und mich ganz dieser Aufgabe zu widmen. Wenn es Schuldgefühle gibt, das jedenfalls glaube ich, dann kommen sie eher daher, daß man gar nicht zu Hause bleiben kann, weil es einem. psychologisch nicht möglich ist. Ich habe zwei Kinder, wie gesagt, eine sechsjährige Tochter und einen vierjährigen Sohn. Meine Situation ist sehr privilegiert, denn ich kann sehr viel zu Hause sein, und ich kann mir eine Kinderfrau leisten. Meine Kinder sind zufrieden, sie sehen mich, sie wissen daß ich zu Hause bin und ein Buch schreibe, aber ich kann ungestört arbeiten und bin nicht nervös. Ohne Flexibilität ist es sehr viel schwieriger. Mein Mann war anfangs sehr involviert in die Kinderbetreuung. Er war das, was wir in Frankreich den »neuen Vater« nennen. Aber ziemlich bald bemerkte ich, daß plötzlich wieder ich es war, die alle Verantwortung hatte. Er hatte einen neuen Job, auf den er sich konzentrierte, ich bekam das zweite Kind, ich übernahm mehr und mehr, er machte weniger und weniger. Das war mir ganz und gar nicht recht. Letztes Jahr hatte ich so genug davon, daß ich mich scheiden lassen wollte. Ich habe dann beschlossen, noch ein wenig abzuwarten, und in dieser Phase bin ich jetzt. Ich kann nicht absehen, wie es sich entwickeln wird. Mein Beruf war für meinen Mann kein Problem, gar nicht. Er war immer sehr stolz darauf, vielleicht zu stolz, denn er hat mich immer ermutigt, mehr und noch mehr zu machen. Sicher bin ich durch ihn aggressiver geworden. Ich glaube nun daran, daß Männer und Frauen Kindern gegenüber grundlegend anders eingestellt sind. Meine Freundinnen und ich, wir sind bestimmt sehr involviert in unsere Karrieren, aber auf unserer privaten Liste stehen die Kinder oben. Wenn mich jemand zwingen würde, mich zwischen den Kindern und der Arbeit zu entscheiden, ich müßte gar nicht überlegen, denn meine Kinder, das bin ich. Die Männer sind einfach viel egoistischer. Alle meine Freundinnen haben dieselbe Erfahrung gemacht. Die Männer haben ihnen anfangs geholfen, und dann hat sich die Situation geändert, und nun haben sie ihre ganzen Prinzipien vergessen und sind genauso, wie Männer immer schon waren. Sie wollen ihre Karriere und vergessen dafür alles andere. Die Frauen wollen ihre Karriere auch, aber zusätzlich sind sie noch die Organisatorinnen des Familienlebens. Sie managen die Haushaltsmaschinen und, wenn sie Glück haben, das Personal. Sie werden sich bestimmt ändern, die Männer, aber sehr langsam. Eine Freundin von mir sagt immer: »Was willst du, die Frauen sind futuristisch, die Männer sind prähistorisch. Ich hätte mir nicht gedacht, daß mein Buch ein solcher Erfolg wird. Die Idee entstand, als in Frankreich eine neue Zeitschrift auf dem Markt erschien. Das Titelblatt zeigte eine Frau mit acht Händen, wie diese indische Göttin, und jede Hand tat etwas anderes. Eine malte das Kinderzimmer aus, die andere tippte auf der Schreibmaschine, die andere, was weiß ich, massierte dem Mann den Rücken usw., und das war nicht humorvoll gemeint sondern ernst. Wir hatten eine Redaktionssitzung und ich reichte das Bild herum und sagte: »Das geht zu weit.« Meine Chefin sagte: »ja gut, dann schreib was drüber.« So entstand die Idee für »Zum Teufel mit den Superfrauen.«  Ich weiß noch, ich schrieb den ersten Artikel darüber an einem Samstag, mein Sohn wollte nicht, daß ich schreibe, und ich mußte ihn auf den Schoß nehmen und in dieser Position tippen. Ich bekam unwahrscheinlich viel Post, nachdem der Artikel erschienen war. »Kannst du dich an mich erinnern, wir waren gemeinsam auf dem Lycée und jetzt lebe ich genauso, wie du es beschreibst. Ich bin Anwältin, habe zwei Kinder und mein Leben ist irre.« Der Artikel erregte so viel Aufmerksamkeit, daß ich beschloß, ein Buch darüber zu schreiben. Ich schrieb es in vier Monaten, abends und nachts, nachdem die Kinder im Bett waren und mein Mann vor dem Fernseher saß und wie immer eine politische Sendung sah. Meine Lektorin war daheim, im Bett, sie war mitten in einer schwierigen dritten Schwangerschaft und mußte liegen. Dort haben wir gearbeitet, und die Kinder sind herumgesprungen. Allzu abschreckend kann mein Beispiel aber nicht sein, denn meine Tochter hat schon sehr ausgeprägte Berufswünsche. Sie hat sich vier Berufe ausgesucht, und sie meint, die will sie ausüben. Alle vier. Und vier Kinder will sie haben. Die Belastungssituation ist, wie ich es in meinem Buch ironisch vermitteln wollte, wirklich schon absurd. Und man muß darüber lachen, denn ändern kann man es nicht. Noch absurder wäre es, in die Situation von vorher zurückzuwollen; das ginge ja auch nicht, denn gewisse Veränderungen lassen sich. nicht mehr rückgängig machen. Heute gibt es zwei Kategorien bei den jungen Frauen. Die einen sind traditionell eingestellt, sie wollen heiraten und ein nicht allzu strapaziöses Leben haben. Die anderen wollen alles haben: Sie sind noch weit ambitionierter, perfektionistischer, anspruchsvoller als wir. Ob Frauen mit Macht anders umgehen? Das läßt sich noch nicht sagen.  Ich denke, daß die meisten zumindest anders sein wollen. Ob sie nicht auch mehr Finesse, mehr Sensibilität haben ... Zum Beispiel in meiner Zeitschrift, da sind wir in der Redaktion nur Frauen. Wenn da eine Frau mit ihren Kindern ein Problem hat, ist das gar keine Schwierigkeit. Wir verstehen es, sie tut, was sie tun muß, und ihre Arbeit teilt sie sich anders ein. Eine geruhsame Phase werde ich wahrscheinlich nie haben. Ich habe meine Tochter gefragt, wie sie sich das denn vorstellt mit ihren vier Berufen: wer dann auf ihre vier Kinder aufpaßt. Und sie hat mich ganz erstaunt angeschaut und hat gesagt, »Na, Mama, das machst doch dann du«.

Texttyp

Kulturpolitische Studien