Organisation des Alltags Organisation der Beziehung

Mit der Belastungssituation gehen Frauen verschieden um, wobei sich einige besondere Zugangsweisen herauskristallisieren:

1. Reduktion

Fast jede Frau sieht sich bemüßigt, den bisher als normal geltenden Ablauf des Alltags in Frage zu stellen. Routinen, die in ihrem Elternhaus vielleicht noch als selbstverständlich galten, erscheinen bei kritischer Betrachtung oft nicht mehr sinnvoll. Muß die Familie abends eine warme Mahlzeit serviert bekommen? Muß jeden Tag eingekauft werden? Was banal klingt, verrät in Wahrheit viel über die Werte der Beteiligten. Von welchen Alltagshandlungen trennt man sich am leichtesten? Schließlich sind vor allem die weiblichen Versorgungstätigkeiten ideologisch und emotional beladen worden. Der nüchterne Blick auf ihre tatsächliche Zweckmäßigkeit fällt Frauen leichter, die in ihrem Berufsalltag eine neue Sichtweise von Arbeit gewinnen. Im Beruf ist Arbeit viel weniger sentimental besetzt; dort sind die Mitarbeiter nicht gekränkt und werten es nicht als Liebesentzug, wenn eine rationellere und schnellere Form der Erledigung gefunden wird. Warum also soll die Familie das tun? Wenn der Umstieg auf EDV nicht bedeutet, daß man nun nicht mehr geliebt wird, warum soll dann der Einzug einer Mikrowelle diese Bedeutung haben? Der rationelle, reduzierende Zugang zu Haushalt und Alltag hat einen interessanten Nebeneffekt: Er gibt dem Alltag eine neue Färbung. Wo er unter anderen Umständen noch »Trott« war, bekommt er hier mitunter die Tönung von »Luxus«. Eine mehrgängige, ausführlich gekochte Mahlzeit kann dann, statt abendlicher Pflichtkür, zum geselligen Ereignis mit Freunden werden. Ein Abend vor dem Fernseher oder mit Buch ist nicht eintönig, sondern eine sehnsüchtig erwartete Ruhepause.

2. Organisation

Oft wird in der Karriereliteratur erwähnt, daß Frauen ihre weiblichen - mütterlichen, hausfraulichen zwischenmenschlichen - Eigenschaften im Beruf einbringen, und damit den Managementstil und. die Personalführung positiv beeinflussen. Uns fiel fast noch stärker eine umgekehrte Beeinflussung auf: Frauen tragen Denkstrukturen und Organisationsprinzipien des Berufs in ihre Familien und Privatsituationen zurück. Im Büro wird die Arbeit möglichst rationell geplant und erledigt, da Iiegt der Gedanke nahe, dieselben Prinzipien auch auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Manche Frauen wählen dezidiert den Weg, des Delegierens. Sie reduzieren zwar auch, in erster Linie aber suchen sie andere Personen, die ihre familiären Aufgaben für sie übernehmen. In der Familie spielen sie dann partiell die Rolle der Arbeitgeberin gegenüber einer Haushälterin, einem Aupair-Mädchen, einer Putzfrau usw. In manchen Fällen nimmt die Familie die Gestalt eines Miniunternehmens an, an den zahlreiche Dienstleistungsbetriebe angeschlossen sind: Der Lebensmittelladen liefert Großsendungen, eine Studentin betreut die Hausaufgaben, eine andere bringt die Kinder in die Klavierstunde, und die Mutter begrenzt ihre Tätigkeiten auf Dinge, die sie emotional und erzieherisch wichtig findet unter Abgabe aller anderen Leistungen an Dritte. Die Mutter ist in dieser Situation auch Managerin der Familie. Dabei werden Aufgaben meist sehr sorgfältig sortiert nach ihrer tieferen Relevanz. Die »reinen« Dienstleistungen, zum Beispiel Hausarbeit, werden am leichtesten abgegeben. Alles, was die Kinder betrifft, wird sorgfältiger abgewogen. Ein Beispiel aus der Praxis entnehmen wir dem Bericht der Bielefelder Richterin Marion K.: »Ich habe einen ganz durchgeplanten Alltag, ich arbeite von acht bis vier, steh um sieben auf, da kommt die Kinderfrau und bringt ein warmes Frühstück mit. Ich richte am Abend alles her, ich bin ein Abendmensch. Auch Gespräche über wichtige Dinge führe ich mit den Kindern vorzugsweise am Abend, in der Früh bin ich nicht sehr ansprechbar. Um sieben frühstücken wir, und um halb acht verlassen mein Mann, die drei. großen Kinder und ich die Wohnung. Die Kinderfrau bleibt jeden Tag bis vier. Seit das erste Kind in die Schule geht, habe ich immer auch Au-pair-Mädchen, die bei uns wohnen und hauptsächlich für den Transport zuständig sind. D.h. sie bringen die Kinder zu ihren verschiedenen Zielen, zu Freunden, zum Gesangsunterricht usw. jetzt habe ich eine Engländerin, die mit den Kindern auch lernt, Englisch und Französisch. Sie ist auch da, wenn ich am Abend weggehe, wobei sich das Ausgehen in Grenzen hält und ich erst weggehe, wenn die Kinder im Bett sind. Außerdem habe ich noch eine Hilfe für die gröbere Hausarbeit. Ich bin mit dem Haushalt nicht konfrontiert, denn das schaffe ich einfach nicht. Von den drei Dingen Familie, Beruf und Haushalt habe ich eindeutig den Haushalt gestrichen. Ich habe das komplett delegiert, ich kaufe nicht einmal selbst ein. Die Kinderfrau bringt die kleineren Dinge mit, und zweimal im Monat macht mein Mann einen Großeinkauf. Flaschen werden geliefert.« Diesen Zugang erleben die Frauen selbst als etwas Neues. Denn die Hausarbeit und Familienfunktion der Frauen war traditionell etwas, was kontrarationell organisiert war. Unqualifizierte Arbeitsleistungen wie Putzen, Einkaufen und dergleichen wurden mit einer sentimentalen Bedeutung übergossen, um sie den Frauen erträglicher zu machen. Diese Arbeiten werden jetzt entemotionalisiert, damit sie an Fremde übertragen werden können. Auch sonst war der Privathaushalt ineffizient, fast antieffizient organisiert. je ineffizienter eine Arbeit, desto höher war ihre emotional Aussage: der handgestrickte Pullover wertvoller als der gekaufte, das in vielen Arbeitsgängen gekochte Menü »liebevoller« als das einfache usw. Heute läuft der umgekehrte Prozeß an. Das »einfache« Essen ist dann liebevoller als das komplizierte, weil es mehr Zeit spart für das Zusammensein mit dem Partner und den Kindern. Muß die Hausfrau eine Kinderkleidung selbst stricken oder nähen, um durch den zusätzlichen Zeit- und Kreativitätsaufwand ihre Liebe auszudrücken, so ist bei der berufstätigen Frau schon dieselbe Aussage gegeben, wenn sie sich einen Nachmittag freinimmt, um mit den Kindern Faschingskostüme auszusuchen. Die Zeit der Frau hat, auch in den Augen der Familie, einen anderen und größeren Wert. Der Grad der Organisiertheit ist von Frau zu Frau verschieden. Er hängt ab von den finanziellen Mitteln und von den persönlichen Neigungen. Was objektiv und subjektiv delegierbar ist, entscheidet jede Frau individuell.

3. Schwerpunktsetzung

Andere Frauen lösen das Problem, indem sie ihr Leben nach Schwerpunkten gliedern und in unterschiedlichen Phasen den einen oder anderen Bereich in den Vordergrund stellen. Sie teilen es sich so ein, daß sie vor Gründung einer Familie diejenigen beruflichen Dinge tun, die viel Zeit und Flexibilität erfordern, um sich dann eine seßhaftere, regelmäßigere Phase auszubedingen, in der sie sich mehr auf Familie und Kinder konzentrieren. Bei den älteren Frauen ergab sich eine solche Aufteilung eher zufällig; sie bekamen ihre Kinder relativ jung und wandten sich dann, nachdem diese selbständiger geworden waren, ihrer Berufstätigkeit zu. Bei jüngeren Frauen fand diese Planung häufig schon sehr gezielt statt. Auch hier war wieder ein Nebeneffekt in der Familie zu bemerken. Es gab oft interne Abmachungen zwischen den Eltern, diese Phasen versetzt zu planen. Das Vokabular, mit dem Frauen uns diese Vereinbarungen beschrieben, war dabei häufig dem Berufsleben entlehnt. So erzählte eine Ärztin, sie habe an eine Weiterbildung gedacht, und ihr Mann habe sie freigestellt, »er war bereit, die Kindersachen für diese Zeit zu übernehmen«. Die Formulierung klingt ungewohnt, aber der kollegiale, aus der Arbeitswelt übernommene Umgangston ist bestimmt nicht schlecht.

Organisation der Beziehung

  • Das Zusammenleben mit dem Partner erlebt eine vergleichbare Neugestaltung.
    Auch hier gibt es verschiedene Ansätze.

1. Das Zusammenleben wird egalitärer.

Vor allem bei Paaren, die sich in einer berufsbezogenen Situation kennenlernten - während des Studiums, oder als beide schon eine qualifizierte Tätigkeit ausübten - steht die Beziehung oft schon viel selbstverständlicher unter den Auspizien der Gleichrangigkeit. Es ist von Anfang an klar, daß die Frau in ihrer Arbeit eine Priorität sieht. Das heißt nicht, daß in diesen Beziehungen alles wunderbar gleichberechtigt abläuft und die Männer ihren gerechten Anteil gerne erbringen. Aber zumindest die subtile moralische Unterwanderung der Frau fällt hier oft weg. Demgegenüber gab es auch Frauen, die zum Beispiel lügen mußten, wenn sie Überstunden machten; sie erzählten ihrem Mann dann, daß sie sich mit einer Freundin trafen, weil es ihm nichts ausmachte, sich seine Frau im Kino oder Kaffeehaus vorzustellen, er aber Probleme damit hatte, sie um halb neun am Abend noch bei einer Vorstandssitzung zu wissen. Solche Probleme zumindest hatten die anderen Frauen nicht. Ihr Beruf, seine Leistungen und Strapazen, wurden kollegial anerkannt. Meist wurde die Frage der häuslichen Arbeitsteilung in diesen Beziehungen finanziell gelöst; der Streit, wer wofür verantwortlich war, wurde umgangen, indem eine dritte Person dafür engagiert wurde, die Hausarbeit zu übernehmen. Viele Frauen erkannten diese Lösung als eine Flucht vor dem wirklichen Problem, nahmen das aber in Kauf. In anderen Fällen ließ sich die Kollegialität auch auf den Haushalt übertragen. Es mag traurig sein, daß eine Frau erst Devisenhändlerin oder Atomphysikerin werden muß, ehe ihr Partner anerkennt, daß sie nicht ganz selbstverständlich auch seine persönliche Putzfrau zu sein hat, aber immerhin dämmert es zumindest in solchen Fällen langsam den Männern. Größer als die Veränderung bei den Männern ist die Veränderung bei den Frauen. Mit zunehmender beruflicher Qualifikation wächst ihr Unmut über männliche Faulheit und Arroganz deutlich.

2. Der Mann wird als Partner nicht mehr ernst genommen.

Für manche Männer mag das zunächst als große Erleichterung erscheinen. Die Frau hat beschlossen, daß er unbelehrbar ist, und »belästigt« ihn nicht mehr oder zumindest viel weniger mit der Forderung nach Mitarbeit. Langfristig ist es für ihn eigentlich nicht gut, daß sie zu diesem Urteil gelangt ist, denn für sie war seine Haltung sehr wichtig, und indem sie in diesem Punkt resigniert und ihn aufgegeben hat, nimmt sie ihn auch weniger ernst. Sie stuft ihn nun innerlich ein als einen Menschen, der einfach auf einer gewissen Ebene nicht fair und nicht lernfähig ist; für die Qualität der Beziehung ist das nicht sehr gut, aber er erlebt es meist als wohltuende Entlastung.

Und für die Frauen

Auf Männer einfach nicht zu zählen, ist eine persönlich oft ärgerliche, in der Summe aber wachstumsfördernde Entscheidung. Ärgerlich ist es im Privatbereich, weil es so ungerecht ist. O'Shea erzählt von einer Freundin, die mit einem Ingenieur verheiratet ist: »So ein technisch begabter Mensch, es gibt kein Problem, das ihn nicht faszinieren würde, nichts, wofür er nicht eine Lösung fände. Neulich rief sie mich an und sagte, sie hätten einen Rohrbruch gehabt, und nun sei sie daheim geblieben, um ihn reparieren zu lassen. Und ihr Mann ist seelenruhig ins Büro gegangen, obwohl er Bauingenieur ist! Und sie, die Psychologin, muß die Bauaufsicht über die Reparaturen übernehmen! Die Männer ändern sich, ja, aber in welchem Tempo. Darauf kann keine von uns warten.« Eine Frau, die gemeinsam mit ihrem Mann eine Firma gegründet hat und sie heute mit ihm leitet, hat die Erfahrung gemacht, daß die Familie weitgehend an »der Frau hängenbleibt. Mein Mann ist ein guter Vater, der sich um die Kinder kümmert, aber nie um irgendwelche Details. Er bringt ihnen aus dem Ausland was mit, spielt Eishockey mit seinem Sohn, aber daß sie abends allein sind, wenn das nicht organisiert wird, kümmert ihn überhaupt nicht. Er wird auch sehr ungeduldig, wenn ich mich von den Kindern vom Arbeiten abhalten lasse, wenn ich zum Beispiel mit den Kindern Aufgaben mache, findet er das unnötig und ärgerlich.« »Details« sind jedoch das Essentielle; sie machen, in der Familie und in der Firma, Erfolg oder Mißerfolg aus. In gewisser Hinsicht kehren sich hier die Verhältnisse zwischen den Partnern um. Der traditionelle Ehemann liebte seine Frau vielleicht, sah sie aber insgeheim als beschränkten Menschen, als Person, die in mancher Hinsicht trivial, verstandesmäßig begrenzt und nicht belastbar war. Entweder sie war Hausfrau und bot ihm häusliche Bequemlichkeit, oder sie war Teil seines Prestiges, attraktive Begleitperson und Aushängeschild seines Wohlstandes. Aber sie war keine vollwertige Partnerin, mit der man alles besprechen konnte. Andeutungsweise ziehen manche Frauen heute eine ähnliche Schlußfolgerung. Der Mann mag sich den Pflichten in Haushalt und Kinderversorgung entziehen, weil er sich für diese Arbeiten insgeheim zu gut und zu wichtig vorkommt, aber die Frau sieht das anders. Sie erlebt ihn als Person, die eine innere Begrenzung hat, die einfach nicht in der Lage ist, fair und gleichgewichtig und eigeninitiativ ihren Beitrag zu leisten. Eine Unternehmerin beschreibt ihren Mann als »seelisch überfordert« durch den Anspruch, mit dem gemeinsamen Kind genug Zeit zu verbringen und in der Familie anteilig seine Pflicht zu tun. »Ich kenne inzwischen seine Grenzen, der kann's einfach nicht. Ich kann auch nicht von einem Esel verlangen, daß er tanzt, oder von einer Kuh, daß sie singt, das geht eben nicht, und ich muß es akzeptieren.« »Oft probiert und immer wieder gesehen«, kann ich dazu nur sagen. Ein Mann ist ein Luxus, das muß man akzeptieren. Ich leiste mir halt diesen Luxus.«

3. Frauen und Kinder - die neue Familie?

Diese Entwicklung - die Reduzierung der Erwartungen, die an den Mann gestellt werden, und die resignierte Akzeptierung der Tatsache, daß man in der Familie und vor allem gegenüber den Kindern und dem Alltagsmanagement die Hauptverantwortung trägt - ist in moderatem Ausmaß bei sehr vielen berufstätigen Frauen zu sehen. Die Belastung, die sie selber nicht mehr tragen können, geben sie an eine andere Frau oder einen Dienstleistungsbetrieb weiter; der Mann übernimmt einige Tätigkeiten, die aber nicht »tragender« Natur sind. Die Frau organisiert, koordiniert, regelt die Pannen und trägt die Verantwortung. In manchen Fällen tritt hier jedoch eine Steigerung ein, die in Zukunft noch bedeutender werden könnte. In diesen Fällen wird aus der Mitarbeitsverweigerung, des Mannes eine zunehmende Marginalisierung seiner Rolle in der Familie. Diese Entwicklung wird durch andere zeitgenössische Entwicklungen noch verstärkt. Erstens sind die Familien dieser Frauen meist sehr egalitär organisiert, was die Kinder betrifft. Sie sind selbständiger und nehmen an Entscheidungen und am Familienalltag als Mitglieder teil. Um so mehr fällt es dann auf, wenn der Vater in der Familie eine freiwillige Randposition einnimmt, während die Mutter trotz ihrer berufsbedingten Abwesenheit eindeutig die zentrale Figur ist. Und zweitens werden die Frauen durch die steigenden Scheidungsraten de facto immer öfter zum Fixpunkt der Familie. Oftmals wurde von seiten der Experten in vergangenen Jahren die Angst geäußert, daß weibliche Berufstätigkeit den Kindern schaden könnte. Es scheint sich jedoch eine etwas andere Entwicklung anzubahnen, nämlich eine Konkretisierung und Priorisierung der Beziehung zwischen diesen Frauen und ihren Kindern. Das ist nicht immer so; es gibt auch Frauen, die ihre Beziehung zum Kind »rationalisieren« und ihren emotionalen Anteil bewußt gering halten, um sich in ihrem hart erkämpften beruflichen Werdegang nicht aufhalten zu lassen. Aber diese Frauen sind eine sehr kleine Minderheit. Häufiger ist eine andere Entwicklung, nämlich eine Konzentration der Prioritäten auf zwei Dinge, den Beruf und das Kind. »Wegrationalisiert« werden dafür Dinge, die als nicht so notwendig, nicht so erfreulich oder nicht machbar erlebt werden; sie werden vernachlässigt oder treten etwas in den Hintergrund. Die Beziehung zum Partner kann, wenn die Frau sie als zu frustrierend oder ungenügend steuerbar erlebt hat, dazu gehören. Es gibt viele Gründe, warum der Privatbereich sich bei vielen Frauen weg von der Zweierbeziehung und hin zum Kind verlagert. Einige davon sind objektiv: Das Kind braucht die Zuwendung in einer anderen Weise als der Partner, bzw. der Partner sträubt sich sogar gegen diese Zuwendung, während das Kind sie begeistert aufnimmt und zurückgibt. In der Beziehung zum Kind erlebt die Frau möglicherweise auch die geeignetere Ergänzung zu ihrem Berufsleben, weil sie dort all die Eigenschaften in sich entdecken und ausleben kann, die im Beruf eher unterdrückt werden. Als Empfänger von Gefühl eignet sich das Kind in der Erfahrung vieler Frauen besser als der Partner. Paradox, aber bezeichnend für die von den Frauen als unbefriedigend erlebte männliche Reaktion auf emanzipatorische Werte ist es, daß viele Frauen die Beziehung zu ihren Kindern partnerschaftlicher finden als die zum sogenannten »Partner«. Die spanische Fernsehredakteurin, die so harmonisch mit ihrem Sohn lebt, ist ein typisches Beispiel, aber nicht immer handelt es sich um Frauen, die geschieden sind vom Vater ihrer Kinder. Die populäre spanische Fernsehjournalistin Rosa Maria Mateo sieht sich diesbezüglich als Angehörige einer Übergangsgeneration. »Wir müssen eine neue Form der Lebensgestaltung finden«, sagt sie. Ihre Ehe wurde schon nach wenigen Jahren unhaltbar. Infolge der damaligen Gesetzgebung dauerte es noch sehr lange, bis eine Scheidung rechtskräftig wurde. Heute lebt sie mit ihrem inzwischen fast erwachsenen Sohn in einer attraktiven Innenstadtwohnung in Madrid, eine Situation, die sie sehr angenehm findet. »Es ist sehr harmonisch. Wir vertragen uns gut, wir mögen dieselbe Musik, es gibt kaum Konflikte. Oft sagt mein Sohn, komm Mama, heute koche ich. Um die Qualität unseres Zusammenlebens zu charakterisieren, sage ich immer, daß wir zusammenleben wie zwei Männer. Ich meine damit eine entspannte, sehr egalitäre Kollegialität. Zum Beispiel hatte er gestern eine Prüfung an der Uni, danach hat er angerufen, aber ich war nicht da. Auf dem Telefonbeantworter fand ich dann seine Botschaft: »Ich hab die Prüfung bestanden, ciao!« Es ist sehr kumpelhaft.« Mit spanischen Männern ihrer Generation hingegen, meint sie, ist es schwieriger. Ihre Generation wurde noch sehr traditionell erzogen; die Frauen lösen sich daraus, aber die Männer haben sich noch nicht entsprechend umgestellt. In einem Umfeld, in dem Frauen in der Öffentlichkeit noch fast nirgends auftraten - sie war die allererste Frau, die in Spanien im Fernsehen Nachrichten lesen durfte - erlebte sie sich als Ausnahmeerscheinung, ihr Leben als Einzelschicksal. Erst viel später, bei einem Besuch in New York, sah sie sich als Teil einer soziologischen Trendbewegung. »Das war erhellend für mich, denn plötzlich traf ich dort auf viele Frauen, die so waren wie ich: beruflich erfolgreich, in meinem Alter, und ohne eine traditionelle Ehe. Vorher war mir nicht so sehr bewußt, daß ich ja zu einer ganzen zeitgeschichtlichen Gruppe gehöre.« Marlies Konstantin lebt mit ihrer Tochter, die sie als »Anker« in  ihrem Leben beschreibt, in Pakistan. Ihr Mann ist in Europa geblieben und kommt zu ausgedehnten Besuchen. Die junge Geschäftsfrau Helen J. hat sich dazu entschieden, mit dem Vater ihres einjährigen Sohnes nicht zusammenzuziehen. Sie verspricht sich davon keine Erleichterung, sondern eine Erschwernis ihrer Situation. Ihr Mann lebt weiterhin in seiner Wohnung, seine Mutter und eine Putzhilfe erledigen seinen Haushalt, seine Ernährung und seine Garderobe, und Helen sieht keine Veranlassung, einen derart unselbständigen Menschen in ihre Betreuung zu übernehmen. Ihre Alltagsorganisation funktioniert gut, und sie will sie nicht gefährden. Bei manchen Frauen ist es nicht der Punkt der Arbeitsteilung, sondern der der Autorität, der sie vom Primat der Mutter-Kind-Familie überzeugt. Sie erleben den Mann als autoritäre Figur, die zwar bei Arbeitsanfall abwesend ist, dafür aber nach wie vor einen Dominanzanspruch stellt. Diese Kombination aus geringerer Leistung und erhöhtem Führungsanspruch finden sie unerträglich. In ihrer Arbeit werden sie respektiert, und das Kind erlebt sie als kompetent; zu Mitarbeitern haben sie eine kollegiale Beziehung, und dem Kind gegenüber bevorzugen sie eine egalitäre Interaktion. Demgegenüber erleben sie den Mann als Verkörperung eines altmodischen Führungsstils, der ärgert und stört. Den jeweils dazugehörigen Männern scheint dieser Tausch ebenfalls recht zu sein: Sie verzichten auf ihre befehlshabende Rolle und werden dafür von Verantwortung freigestellt. Sie sind dafür nett und freundlich als Väter. Und die Frau ist, de facto und mit ausgeprägt demokratischem Führungsstill das neue Oberhaupt der Familie.

4. Männer denken um

Gerade im Zusammenleben zeigen sich die ersten Anzeichen einer elementaren Umorganisation. Noch sind sie exzentrisch, individualistisch, Produkte des Erfindungsreichtums innovativer einzelner und nicht Ausdruck einer neuen Ordnung. Aber genauso sieht es immer aus, wenn eine neue Ordnung sich konstituiert. Symptomatisch für die Veränderung ist die Lockerung der gewohnten Ordnungsstrukturen. Das betrifft Zeit, Raum und das jeweils dazugehörige Denken. Früher war die Sache klar. Ein Arbeitsplatz, das war der Ort, an dem man zu einer bestimmten Stunde erschien und den man acht oder neun Stunden später wieder verließ. Ein Heim, das war der Ort, an dem die Frau saß und darauf wartete, daß der Mann vom Büro und die Kinder von der Schule heimkehrten. Schon heute ist erkennbar, daß Arbeit, Ehe und Familie sich geographisch, zeitlich und gefühlsmäßig verändern. Einige unserer Frauen führten Ehen, die noch vor einigen Jahren unvorstellbar, bzw. sogar gesetzeswidrig gewesen wären. Der »gemeinsame Haushalt« gehörte untrennbar zur Definition einer Ehe, und wer ihn verließ, lieferte einen Scheidungsgrund und machte sich schuldig. Was in der Gesetzessprache ungewöhnlich gefühlvoll als »böswilliges Verlassen« bezeichnet wurde, kann heute so aussehen, daß ein Ehepartner sich bedauernd, aber mit dem einsichtigen Einverständnis des anderen auf einen anderen Kontinent begibt, um dort ein verführerisches Jobangebot anzunehmen. Martine Griffon-Fouco leitet ein Kraftwerk außerhalb von Bordeaux; ihr Mann arbeitet in Paris und reist jeden Donnerstagabend an, um in einem idyllischen Bauernhaus mit ihr und den beiden kleinen Söhnen ein verlängertes Wochenende lang zusammen zu sein. Wäre eine traditionellere Frau für einen Geschäftsmann wie ihn, der selbst viel reisen und im Ausland unterwegs sein muß, nicht bequemer? Ober die Frage zeigt sich ihr Mann, Manager bei Siemens-Frankreich, erstaunt. Sie wird ihm, erzählt er, sogar sehr oft gestellt, und er kann die dahinterliegenden Gedankengänge nicht ganz nachvollziehen. Denn ehrlich gesagt stellt er sich das sehr belastend vor, eine klassische Ehefrau, die daheim sitzt und darauf wartet, daß er Sinn und Freude in ihr Leben bringt. »Eine solche Frau verlangt Dinge, die du ihr gar nicht geben kannst oder geben willst«, glaubt er. »Außerdem ist die Verständigung schwierig, weil sie sich in dein Leben und deine Probleme gar nicht hineindenken kann. Gebildete Leute sind besser in der Lage, mit Konflikten umzugehen und eine Beziehung zu führen. Vor allem meine Frau, die hat ja sogar eine Fachausbildung im Umgang mit Konflikten. Was soll so schön sein an einer Hausfrau? Du kommst heim, alle warten schon auf dich, du bist der König ... na und? Ich denke, daß meine Mutter mich schon diesbezüglich beeinflußt hat. Sie war auch berufstätig, und schon als Kind bemerkte ich, daß sie offener und zugänglicher war als die Mütter meiner Freunde, die zu Hause waren.« Die Familie, in der Mutter und Vater jeden Abend mit den Kindern daheim sind«, hält sowieso nur für eine Episode in der Geschichte des Zusammenlebens. Wer weiß, welche Formen die Zukunft bringen wird? Antonella Mae-Folter macht es umgekehrt. Der Haushalt in Wien verbleibt während der Woche in den Händen ihrer Mutter. Auch der Ehemann ist überwiegend anwesend. Antonella ist nur am Wochenende zu Hause; in der Woche ist München ihr Hauptquartier, von dem aus sie ihre Projekte in aller Welt betreut. Ihr Alltag klingt, wenn sie ihn beschreibt, zunächst ziemlich irreal: »Mein Hauptbüro ist in München. Meine Kunden sind in Hannover, Luzern und Wien. Meine Projekte sind im Pazifikbereich, von Japan bis China, dort muß ich auch hin, ein anderes ist in Frankreich und eins in Italien. Für einen anderen Kunden habe ich in den USA zu tun. Ich bin meistens dort, wo die Projekte sind, im Pazifik, in den USA oder im mediterranen Raum. Ich habe in München nur einen Bürotag, meist ist es der Montag, aber es kommt auch vor, daß ich zwei Wochen lang unterwegs bin. Montags sind also die administrativen Sachen, alles andere mache ich dann telefonisch oder per Fax mit meiner Sekretärin, dann bin ich unterwegs. Es wäre nicht so ein Unterschied, wenn ich in Wien leben würde. Ich bin sowieso von sieben Uhr früh bis spät abends unterwegs, weil ich oft auch Geschäftsessen habe. In der Woche arbeite ich meist bis Mitternacht, um Zeit zu gewinnen für das Wochenende. Meine Regelung ist sowieso sehr unüblich, eigentlich wird hier auch Samstag und Sonntag gearbeitet. Mir ist die räumliche Trennung von Arbeit und Familie ganz sympathisch. So muß ich immer ganz abschalten. Ich habe diesen Flug am Freitagabend von irgendwo nach Wien zurück, da schalte ich schon ab. Montag früh flieg ich nach München, da kann ich mich schon wieder auf die Arbeit einstellen. Antonella erkennt, daß diese Situation - so belastend sie auch ist - nicht ganz zufällig zustande gekommen ist, sondern ihrem Wesen entspricht. Auch vor der Ehe und Familiengründung hatte sie keinen Hang zur verbindlichen räumlichen Nähe mit ihren Partnern: »Es war früher nie anders. Als ich in Rom in der Schule war, lebte mein Freund in Mailand. Wir haben uns auch immer nur am Wochenende gesehen. Als ich in Fontainebleau war genauso; da war mein Freund in München. Ich glaube, bei einer allzu großen Häuslichkeit würde ich nur nervös werden.« Frauen, die eine sehr ungewöhnliche Form des Privatlebens aufweisen, haben es jedoch selten so geplant. Meist entsteht es aus einer Kette von zufälligen Entwicklungen, aus der ungewöhnlichen Lebenssituation der Beteiligten heraus. Man lernt auf einer Tagung einen Kollegen kennen und verliebt sich. Er kommt aus einer ganz anderen Stadt und hat wie man selbst, schon eine etablierte berufliche Stellung. Beide finden am Gegenüber gerade auch das Engagement, das lebendige Interesse an der beruflichen Tätigkeit attraktiv. Dem Mann gefällt an der neuen Partnerin gerade auch ihre Vitalität, die Leidenschaftlichkeit, mit der sie ihre Ziele und Interessen verfolgt und sich für ihre Arbeit einsetzt. Daß sie das alles aufgeben und irgendwo anders von vorne anfangen soll, erwartet er gar nicht. Auch sie verlangt das nicht von ihm. Manchmal läßt sich durch geschicktes Manövrieren für sie oder für ihn ein Ortswechsel ohne Positionsverlust erreichen, aber nicht immer ist das möglich. Dann kann man sich entweder trennen, oder einer von beiden kann sich opfern. Trennen möchte man sich nicht, und ein einseitiges Opfer kommt eigentlich auch nicht in Frage, weil es ein Ungleichgewicht in die Beziehung bringen und damit ihre Qualität zerstören würde. Also gibt es keinen anderen Weg, als irgendwelche Arrangements zu treffen. Liebe macht erfinderisch, und in der Summe würden all die Manipulationen, die von solchen Paaren betrieben werden, die Welt des Unternehmertums sicherlich sehr verblüffen. Geschäfte, die nur deswegen angeleiert werden, damit man mehr Zeit in der Stadt der Partnerin verbringen kann; Beurlaubungen, die formell dem Verfassen eines wissenschaftlichen Buches, in Wirklichkeit aber der Zusammenführung einer Familie dienen, in der Summe haben diese neuen Liebschaften schon längst Einfluß auf Wirtschaftsgeschehnisse und Wissenschaft genommen, bringen diese neuen Ehen und Partnerschaften nicht nur Kinder hervor, sondern auch Verträge, Geschäftsabschlüsse, Buchpublikationen und Projekte ... ein Fusionieren, ein Jointventure auf allen Linien. So gelesen wirken die exotischen Alltagsarrangements solcher Paare anstrengend, mitunter auch sehr seltsam.. Beim Erzählen hielten auch manche der Frauen selbst inne, als ob sie erst dabei realisiert hätten, wie das für konventionellere Außenstehende klingen mochte. Für sie selbst, das war klar, schien es längst »normal«. »Es hat sich von selbst entwickelt und es funktioniert«, meint die Bankerin Marita Kraemer zu ihrer Beziehung mit einem amerikanischen Politologen. Räumliche Flexibilität ist eine Voraussetzung in vielen Berufen; im Lauf von Studium, Berufsausbildung und ersten Arbeitsjahren werden die darin Beschäftigten entsprechend »sozialisiert«. Meist handelt es sich bei ihnen sowieso schon um Personen, die einen internationalen Zugang haben und gerne reisen. Eine Situation, die für einen anderen unerträglich wäre, finden sie daher ganz normal: nicht zu wissen, wo sie in drei Monaten leben werden. »Sicherheitsliebende Leute in meinem Bekanntenkreis verstehen es nicht einmal, daß ich von Berlin nach Frankfurt gegangen bin. »Du läßt alles hinter dir, fängst noch mal ganz neu an, gehst in eine ungewisse Zukunft«, mit solchen Warnungen wollten sie mich umstimmen. Andere finden es toll, und ich wollte es ja so, auch mit dem ungewissen Ausgang, daß ich jetzt nicht weiß, ob ich ab Sommer in New York, in London, Madrid, Mailand, Berlin bin oder noch immer in Frankfurt.« Eine Frau, die so denkt, ist vom Wesen her dem Mann verwandter, der ein ähnliches Leben führt, als die traditionelle Ehefrau, die bis jetzt an seiner Seite war und vielleicht sehr unter dem ständigen Ortswechsel, der ständigen Entwurzelung ihrer Familie litt. Eine solche Frau und ein solcher Mann denken geographisch anders als seßhaftere Menschen. Deswegen ertragen sie auch eigenartige räumliche Privatbeziehungen. Marita meldete sich gerade für das Spezialprogramm in Frankfurt, als ihr Freund sich in New York um eine Professur bewarb. »Er hat die Stelle bekommen und ich auch. Dann haben wir lange diskutiert.« Die Ergebnisse der Diskussion standen eigentlich schon vorher fest: Beide nahmen ihre jeweiligen Angebote an. Schließlich hatten sie sich über ihre Arbeit kennengelernt, waren sie sich in ihren Einstellungen ähnlich. »Für uns beide ist der Beruf sehr wichtig. Auch in der Zeit, als wir zusammengelebt haben in Berlin, sind wir unsere eigenen Wege gegangen. Um zehn, elf Uhr nachts haben wir uns zu Hause getroffen und oft noch bis ein oder zwei Uhr diskutiert. Er hat keine traditionellen Vorstellungen von einer Partnerschaft, und außerdem ist es ihm wichtig, mich zufrieden zu sehen.« Die Trennungen, die Planung, die damit verbunden ist, doch noch zusammen sein zu können, das ist alles nicht angenehm. Aber die Alternativen erscheinen noch unerfreulicher, und mit der Zeit stellt sich eine Gewöhnung ein: »Die Trennungen waren mir am Anfang gar nicht recht, aber jetzt mit der Zeit hat sich da so eine Selbstverständlichkeit eingependelt.« Kinder sind natürlich eine zusätzliche Komplikation, aber auch. sie lassen sich, zahlreiche Beispiele belegen es, internationalisieren. Die zwei kleinen Söhne von Martine Griffon-Fouco werden tagsüber von einer Haushälterin betreut. Sie besuchen die Dorfschule und sind, nach einer kurzen Umstellungsphase, mit ihrem Leben auf dem Land jetzt restlos glücklich. Martine ruft tagsüber nicht gerne an, weil sie es ihrer Haushälterin gegenüber so praktizieren möchte wie bei ihren anderen Mitarbeitern: Sie möchte ihr die Verantwortung überlassen und ihr nicht das Gefühl vermitteln, daß sie kontrolliert oder beaufsichtigt wird. jetzt, nachdem alles glatt läuft und alle zufrieden sind, gelingt es Martine auch gut, tagsüber nur an ihre Arbeit zu denken; anfangs, als die Kinder sich noch nicht an die neue Umgebung gewöhnt hatten, sondern ihren Freunden in Paris nachtrauerten, mußte sie sich auch tagsüber oft an dieses Problem erinnern. Ihr Mann erlebt sein Pendlertum nicht als Schaden für die Vaterschaft; drei volle Tage mit der Familie, das ist seiner Ansicht nach mehr, als die meisten Väter aufbringen können. Marita Kraemer ist zuversichtlich, daß ein Kind sich in ihr Leben integrieren ließe. »Es muß ja nicht unbedingt ein EIternteil ständig mit den Kindern zusammen sein, das ist gar nicht so gut für die Entwicklung des Kindes« formuliert sie die neue pädagogische Linie. Ihr Lebensgefährte ist, als Sozialwissenschaftler, flexibel in seiner Arbeitseinteilung. Er hätte gerne ein Kind und hat schon seine Bereitschaft bekundet, sich an dessen Versorgung zu beteiligen. Mit gutem Willen auf beiden Seiten und mit einem Kindermädchen wird es sich schon organisieren lassen. Anfangs erlebten wir die unkonventionellen Lebensformen solcher Frauen noch als etwas Überraschendes. Aber die menschliche Normalität ist etwas sehr Dehnbares. Auch uns kam es mit der Zeit schon ganz normal vor, wenn eine Interviewpartnerin so ganz beiläufig erwähnte, sie lebe in Brüssel und ihr Mann in Rom, sie und die Kinder seien in Paris mit der Schwiegermutter und der Mann in Frankfurt. Die Bankerin Matteo ist jeden Monat drei Wochen in Madrid, und dann eine Woche in Washington zu Besuch bei ihrem Mann, der dort bei der Weltbank gastiert. Warum nicht? Der Beruf und eine ähnliche Einstellung zur Leistung ist für solche Paare ein wichtiges verbindendes Moment in ihrem Zusammenleben. Auch die Organisation ihres Privatlebens ist sehr davon geprägt, wobei sie diese Prägung positiv erleben. Die Berliner Justizsenatorin Limbach ist mit einem Kollegen verheiratet, den sie schon während des Studiums kennenlernte. Die beiderseitige Einstellung zum Leben war von vornherein klar; ihr Mann beschreibt das so: »Meine Frau hat eines der besten Examen abgelegt. Zu heiraten und deshalb ihren Beruf zurückzustellen wäre daher sehr unvernünftig gewesen. Es stand zwischen uns auch nie zur Diskussion. Wir haben beide gearbeitet und anfangs, als die Kinder kamen, ein ganzes Gehalt in ein Kindermädchen investiert.« An eine traditionelle Rollenteilung wurde nicht nur nie gedacht, sie erschien beiden Partnern auch gar nicht erstrebenswert. »Krisenmomente, in denen ich ihre Karriere lästig fand und sie davon abbringen wollte, die gab es wirklich nie. Meine Frau ist so aktiv, sie war immer schon umtriebig und äußerst interessiert an geistigen Entwicklungen. Zu Hause zu bleiben und darauf zu warten, daß ich heimkam - todmüde von meinem Job und sicherlich kein sehr anregender Gesprächspartner mehr - das hätte ich mir bei ihr nie vorstellen können. Bestimmt wäre sie keine gute Hausfrau gewesen. Sie ist sehr zielstrebig, auch ehrgeizig. Ich bin ihr nicht unähnlich und verstehe sie daher in diesen Punkten sehr gut.« Eine solche Beziehung hat ihre Schwierigkeiten. In diesem Fall hieß es, daß die Familie zwei komplette Haushalte führte, in unterschiedlichen Großstädten; Frau Limbach beschreibt ihre Ehe deshalb ironisch als »ambulant«. Fast von Anfang an pendelten sie zwischen Berlin, wo Frau Limbach ihre Karriere machte, und Bonn, wo ihr Mann beruflich angesiedelt war. Die berufliche Nähe sieht Herr Limbach als Vorzug: »Ich bin ein großer Anhänger der Milieutheorie. Wenn man aus demselben Milieu kommt, ist Übereinstimmung viel leichter zu erzielen. Daß wir beide Juristen sind, ist für uns eine sehr glückliche Situation, es bedeutet einen hohen Grad an Übereinstimmung.« Viele geographisch getrennte Paare nannten als Vorzug ihrer Lebensweise, daß der Alltag einen neuen Wert gewinnt. Für die meisten Menschen ist Alltag gleichbedeutend mit Eintönigkeit, mit Trott; für diese Paare aber ist er Luxus. Ein ruhiger Abend zu Hause; zwei Monate Urlaub, in denen man sich ganz der Planung des Kinderzimmers und anderen häuslichen Dingen widmet; in der Hektik eines arbeitsbezogenen Lebens erscheinen solche Sachen wie Oasen der Normalität. Herr Limbach sieht darin auch einen Vorteil für die Beziehung: »Ich finde, daß eine Wochenendehe große Vorteile hat. Man nutzt sich nicht täglich ab, man hat nur zwei oder drei Tage zusammen und will sich nicht diese knappe Zeit noch gegenseitig mit Konflikten verderben.« Und wer es gewohnt ist, sachlich und organisatorisch zu denken - und, in der Partnerin eine Ebenbürtige, nicht eine Dienerin sieht - hat auch weniger Probleme mit einem sachlichen und organisatorischen Zugang zur Hausarbeit. »Ich packe sicher mehr an als andere Männer« überlegt Herr Limbach. »Das ergab sich rein automatisch so, da meine Frau während der Woche einfach nicht da war. Ich kam heim und löste erst mal das Kindermädchen ab und kochte dann für uns. Ich habe meiner Frau immer den Rücken freigehalten. Auch jetzt, als sie aufgefordert wurde, in die Politik zu gehen, habe ich es sofort gut gefunden. Andere träumen ein Leben lang davon! Das ist doch der Traum eines jeden Beamten, einmal Minister zu sein.« Für den traditionellen Mann ist eine Frau, vor allem seine Frau, ein ganz anderes Geschöpf als er selbst und deswegen. auch dazu auserkoren, andere Dinge zu tun und sich anders zu fühlen dabei. Er bügelt nicht gerne, aber da es ja ihre Aufgabe ist, hat sie sich auch, nicht darüber zu beschweren; und tut sie es doch, dann ist das Ausdruck des typisch weiblichen Jammerns und Nörgelns und bestätigt nur noch mehr, daß sie eben ganz anders ist als er.
Für den neuen Mann ist eine Frau eine Person, die ihm in vieler Hinsicht ähnlich ist. Diese Ähnlichkeit gefällt ihm, denn er kann sich mit ihr viel besser verständigen und fühlt sich ihr näher. Ihre Ambitionen kann er verstehen, weil sie seinen ähnlich sind. Frau Klement Devisenhändlerin, sieht in der Vergleichbarkeit des Arbeitsalltags eine Verbesserung des Zusammenlebens, weil man auch, die Stimmungen des Partners besser einschätzen kann. »Wenn ich den ganzen Tag zu Hause sitzen würde, würde ich glauben, daß der Mann mich am Abend unterhalten und verwöhnen soll. Und wenn er dann einen harten Tag gehabt hat und es nicht tut, dann wäre ich total deprimiert. So aber tut man sich in der Beziehung leichter, weil man solche Dinge viel besser versteht. Wenn er nach Hause kommt, und er ist grantig, dann ist es mir lieber, wenn er sagt, du, das war heute schrecklich, red' mich am liebsten gar nicht an, ich muß das erst noch verdauen. Er hat ja umgekehrt genauso Verständnis, wenn ich einmal in der Situation bin.« Wenn die alten Vorurteile einmal abgeschüttelt sind, ist der Phantasie keine Grenze gesetzt. Die unüblicheren unter den Beziehungen waren, wie wir in den Gesprächen feststellten, sicher die vitalsten. Eine davon wollen wir noch vorstellen. Wenn aus geographischen Gründen ein Partner den Job aufgibt, dann ist es fast immer die Frau. Bei Ted und Angela Williams war es umgekehrt. Ted Williams hatte eine lange und abenteuerliche Laufbahn hinter sich, als er Angela kennenlernte. Sein Arbeitsleben hatte mit 15 begonnen, als er von zu Hause ausriß und, ganz wie im jugendlichen Abenteuerroman, auf einem Schiff anheuerte. Später machte er Karriere als Berufsoffizier bei der kanadischen Marine. Infolge seiner technischen Expertisen wurde er öfter an Entwicklungshilfeprojekte »ausgeliehen« und verbrachte Jahre seines Lebens in Afrika und Nahost. Diese Arbeit war es, die ihn mit Angela, der höchstrangigen Frau im palästinensischen UNO Hilfswerk UNRWA, zusammenführte. Rein optisch sieht man den beiden ihre unkonventionelle Ader nicht an. Ted wirkt, vom äußerlichen Anschein, wie das Urbild des Machotums: breite Schultern, tiefe Stimme, gut würde er in eine Marlboro-Reklame passen. Und Angela, mit ihrer britisch-zurückhaltenden, damenhaft eleganten Art, würde man nicht unbedingt nach Gaza schicken. Teds Sicht der Dinge ist interessant, weil er über Logik und Aufgeschlossenheit zu einer radikalen Umschichtung des üblichen Lebensmusters gelangte. »Wir lernten uns beruflich kennen. Ich kam nach Wien zu einer Tagung, wir trafen uns in den Besprechungen und beim gemeinsamen Konzertbesuch, und dann lud sie mich ein, mit ihr am Sonntag einen  Spaziergang im Wienerwald zu machen. Um zehn Uhr Vormittags gingen wir los, es war herrliches Wetter, und wir gingen weiter und immer weiter, bis wir uns total verliefen. Es wurde schon dunkel, und wir standen mitten im Wald und fanden keinen Weg heraus. Für mich war das ein neues Erlebnis. Erstens gefiel mir, wie Angela  mit dieser Situation umging. Sie war einfach die selbstbewußteste Frau, die mir jemals begegnet war, sogar die Aussicht, mit einem fast wildfremden Mann im Wald zu  übernachten, brachte sie nicht aus der Fassung. Und zweitens fand ich die Situation sehr komisch. Unter anderen Umständen wäre es mir furchtbar peinlich gewesen und ich wäre nervös gewesen und hätte mich verantwortlich gefühlt.  Aber hier war ich in einer  völlig fremden Stadt, sie hatte mich eingeladen und in die Irre geführt, also konnte ich mich vollkommen entspannen und das einfach nur lustig finden. Danach kreuzten sich unsere Wege öfter aus beruflichen Gründen, und allmählich entstand zwischen uns eine Beziehung. Als wir heirateten, arrangierten meine erwachsenen Kinder für uns die Hochzeit, und es wurde  ein sehr nettes und lustiges Fest Wir arbeiten auf verschiedenen Kontinenten, ich war in Kanada stationiert und sie in Wien und eine Weile flogen wir hin und her und arrangierten  mühsam Überkreuzungen. Es war aber sehr anstrengend. Und dann fand ich, daß ich nun ja immerhin schon 37 Jahre gearbeitet hatte, und daß ich mich eigentlich pensionieren lassen und nach Wien ziehen könnte. Ob mir dieser Entschluß schwergefallen ist? So kann man die Frage nicht stellen, glaube ich. Es war nicht einmal so, daß ich für ein bestimmtes Ziel bereit war, einen bestimmten Preis zu bezahlen; ich sehe es nicht als Preis. Das hat einen persönlichen Hintergrund. In meiner ersten Ehe hatten wir es so geplant, daß wir ganz intensiv das Berufsleben betreiben wollten, um dann später, nach dem Erwachsenwerden der Kinder, viel Zeit für Reisen und Hobbys und füreinander zu haben. Und dann starb meine Frau, und wir hatten nur für eine Zukunft gelebt, die es gar nicht geben sollte. Diesen Fehler will ich kein zweites Mal machen, das wichtigste im Leben sind die Menschen, die zu einem gehören. Jedenfalls war ich noch in Kanada und ordnete meine Geschäfte, als Angela anrief und sagte: »Du, ich habe eine Neuigkeit, sie wollen mich nach Gaza versetzen. Wie stehst du dazu?« Und ich sagte, es sei mir recht. Für Angela war das eine sehr komplizierte Situation. Die Intifada fing gerade erst an, und die politische Lage war sehr schwierig. Dazu kam noch ihre persönliche Situation. Nie zuvor hatte eine Frau diese Führungsrolle innegehabt, und man wußte nicht, wie die arabischen Männer auf sie reagieren würden. Aber das war dann überhaupt kein Problem. Sie ist in ihrer Arbeit einfach sehr, sehr gut, und das wurde dort absolut anerkannt. Ich muß sagen, daß sie mich dort sehr beeindruckt hat. Sie ist ein Mensch, der einfach keine Angst kennt. Ich war viele Jahre beim Militär, und ich sehe solche Krisensituationen noch durch die Augen eines Soldaten. Ich kann schnell beurteilen, ob eine Situation gefährlich ist oder nicht. Aber Angela denkt überhaupt nicht in solchen Kategorien. Sie macht etwas, weil sie es wichtig findet, und überdenkt das Risiko nicht. Auf der einen Seite fand ich sie verrückt, und auf der anderen Seite fand ich sie toll. Zum Beispiel kam es einmal zu einer Konfrontation zwischen den Israelis und 200 palästinensischen Jugendlichen. Und die Jugendlichen, das waren »Angelas« Jungens von ihrer Berufsschule. Die Burschen bewarfen die Soldaten mit Steinen, und die Soldaten waren drauf und dran, gegen sie vorzurücken. Und Angela stürzte sich einfach mitten hinein, zwischen die steinewerfenden Jugendlichen und die total genervten Soldaten, und handelte mit den israelischen Offizieren aus, daß sie ihr eine halbe Stunde gewähren sollten, in der sie versuchen wollte, die Lage in den Griff zu bekommen. Es war eine unbeschreiblich spannungsgeladene Situation. Ein Teil von mir hat sich gewünscht, daß sie solche Sachen nicht machen würde. Aber die andere Seite war beeindruckt, total beeindruckt von ihrem Mut.« Wie alle Männer, denen eine Umstellung ihres Denkens gelingt, ist Ted in der Lage, Angela als Person zu sehen und sich mit ihren Eigenschaften auseinanderzusetzen und zu identifizieren. In ihrem Aussehen und Verhalten ist sie sehr »weiblich«, um der allgemeinen Verständlichkeit halber diesen Begriff zu verwenden, aber daneben schätzt er an ihr dieselben Eigenschaften, die ihm auch bei einem Mann gefallen würden: ihre Zivilcourage, ihr Engagement, ihre Abenteuerfreude. Darin sind sie sich ähnlich. Für beide ist es die zweite Ehe. Ted hatte eine sehr gute Beziehung zu seiner ersten Frau, erlebte aber die Probleme und Ungerechtigkeiten einer Geschäftsmann-Hausfrau Verbindung... seine Frau wartete auf ihn, er war unterwegs, und schließlich blieb ihnen keine gemeinsame Zeit mehr. Angelas erster Mann war sehr traditionell in seinem Denken und nicht in der Lage, Situationen objektiv einzuschätzen; man lebte nicht mit ihm, sondern mit seinem ständig gekränkten männlichen Selbstgefühl zusammen. Die jetzige Beziehung ist harmonisch, weil die Intelligenz waltet. Es muß nichts bewiesen und kein Außenstehender in seinen Meinungen entkräftet werden, sondern zwei Personen planen ihr Zusammenleben. So leicht kann es gehen, und so unmöglich ist es trotzdem für die meisten.

Texttyp

Soziologische Studien