Phantasiedorf, den 21. März 2025
Liebe Herta, liebe Monika, liebe Ute!
Heute kommen wir mit einem Anliegen zu Euch. Wir sind zwei historisch interessierte Frauen und schreiben an einer Forschungsarbeit mit dem Titel: »Der Beitrag lesbischer Frauen zur Neugestaltung christlicher Gemeinschaften«. In der Flut der Literatur zu lesbischen Frauen in den Kirchen sind wir auf Euer Buch aus dem Jahr 1987 gestoßen. Diese Arbeit gehört wohl mit zu den Anfängen des sichtbaren Aktivwerdens von lesbischen Frauen in den Kirchen.
Die Situation der Kirchen hat sich in unserem Land in den letzten 45 Jahren grundlegend geändert - weg von der Volkskirche, hin zu kleinen Gemeinschaften, die von engagierten Frauen und Männern getragen werden. Wir gehören zu einer Hauskirche von Frauen und sind von daher besonders daran interessiert zu erfahren, welche Rolle lesbische Frauen in diesem Veränderungsprozeß gespielt haben.
Wir möchten Euch bitten, uns zu schreiben, wie es Euch damals erging, welche Ansätze Ihr gesehen habt, welche Hoffnungen und Ängste Euch bewegten, wie Ihr heute die Veränderung einschätzt. Denn uns ist es wichtig, nicht nur mit Büchern zu arbeiten, sondern von den Erfahrungen der Frauen zu hören, die vor uns aktiv waren.
Auf Eure Antwort sind wir sehr gespannt und grüßen Euch herzlich
Natascha und Adele
Traumstadt, den 30. April 2025
Liebe Natascha, liebe Adele,
habt Dank für Euren Brief. Eure Arbeit ist spannend und nachdenkenswert, und wir wollen Euch gerne Eure Fragen beantworten. Dazu haben wir uns im hohen Alter noch einmal zusammengesetzt und ein wenig Bilanz gezogen.
Auch wir fanden es damals wichtig, uns an die Frauengeschichte anzuschließen. So haben wir Marga Bührig und Else Kähler um ein Vorwort für unser Buch gebeten, weil sie zu den Frauen gehören, die schon vor uns wichtige Schritte gegangen sind. Und was wir faszinierend finden, ist, daß Frauen in den Kirchen in der ganzen Geschichte immer wieder Ansätze zur Veränderung machten.
Das Leben in Frauenbeziehungen war in der Zeit, als wir unser Buch schrieben, für viele schon selbstverständlich, nur das Sichtbarwerden noch nicht. Aber es war ein großer Fortschritt gegenüber der Zeit vor der Frauenbewegung der siebziger Jahre. Trotzdem waren es Jahrzehnte des Verschweigens. Das hatte seine Gründe in unserer patriarchalen Gesellschaft, die noch nicht den Übergang in das integrale Zeitalter gefunden hatte und in der Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft galten - obwohl bereits jede dritte Ehe geschieden und viele Partnerschaften ohne Trauschein gelebt wurden. Es war die Zeit, in der sich Frauen immer noch in bezug auf Männer zu definieren hatten und Männer Frauen die volle Gleichwertigkeit und Mitbeteiligung verweigerten. Es ging nicht nur um Sexismus, wir nannten es sogar Heterosexismus, denn heterosexuelle Erfahrung samt ihrer hierarchischen Struktur war die Norm.
Auch in den Kirchen sah es damals nicht anders aus - eher schlimmer. Ehe galt als die von Gott gewollte einzige Form des Zusammenlebens von Frau und Mann, in der Sexualität sein durfte. Alle, die in anderen Lebensformen Sexualität lebten, mußten sehen, wie sie in das kirchliche Modell von menschlicher Gemeinschaft paßten, und mußten für sich klären, inwieweit sie nach außen etwas vorgeben wollten, was sie so nicht lebten.
Es war in den Kirchen eine Zeit der doppelten Moral!
Wir wollten da nicht mehr mitmachen, sondern selbstbewußt unsere Lebensform leben und darstellen.
Sicher ist Euch aus der Geschichte bekannt, welche Auswirkungen die Frauenbewegung der siebziger Jahre auf das gesamte gesellschaftliche Leben hatte. Für uns Lesben war sie von besonderer Bedeutung. Durch sie wurde Frauenliebe aus der Ecke abnormen, krankhaften Verhalten[1] herausgeholt und in einem neuen Licht gesehen.
Damals waren die heute für uns selbstverständlich gewordenen Theorien über lesbische Existenz noch meistens unbekannt. Die Gesellschaft sträubte sich vehement dagegen, Heterosexualität in Frage stellen zu lassen. Erst nachdem Jahre später erkannt wurde, daß der Kern dieser Kritik gerade den heterosexuellen Partnerschaften zugute käme, ließ die ängstliche Abwehr nach. Nach und nach erkannten auch jene Kreise, die dem Feminismus kritisch gegenüberstanden, daß gerade im Sinne eines menschlicheren Umgangs zwischen den Geschlechtern ein Zwang zur Heterosexualität weder Männern noch Frauen dienlich sei.
Damals forderten wir eine Wahlfreiheit zwischen der Liebe zu einer Frau oder einem Mann. Wir versprachen uns unter anderem davon, daß Männer, die in Konkurrenz zu Frauen ihre Liebesfähigkeit unter Beweis stellen müßten, auch zu mehr partnerschaftlichem Handeln bereit wären.
Wir glauben heute, daß wir dieser Utopie ein Stück näher gekommen sind. Lesbische Partnerschaften werden von seiten des Staates mittlerweile den heterosexuellen Bindungen gleichgestellt. Überhaupt ist es schön, zu sehen, wie der Wert der Frau heute die Kultur durchdringt und mit prägt.
Wir sind stolz darauf, daß wir als lesbische Frauen in den Kirchen dazu beitragen konnten.
Damals war es bestärkend, daß wir Frauen insgesamt in den Kirchen in Bewegung gekommen waren. Eine zentrale Rolle spielte dabei die feministische Theologie, die unser Fragen, Suchen, Forschen, unsere Entdeckungen widerspiegelte. Die Vorstellungen, die Bilder von Gott, die ganze Kirchensprache waren noch hierarchisch und sexistisch - oft schon ein »Götzendienst des Männlichen«. Wir wollten die schöpfende, lebensspendende Kraft weiblich denken oder von Gott in Kategorien der »Freundschaft«[2]reden, wollten das lineare Denken und seine Formen wieder mit unserem alten Wissen von Zyklen verbinden.
In dieser Suche zeigte sich, welch schöpferische Kraft wir in Gesellschaft und Kirche haben, wenn wir unsere Freundschaft zu Frauen ernst nehmen, so ernst, wie wir lange genug den Wert »Beziehung zum Mann« als einzigen genommen hatten.
Wir gingen Wege, wo wir Frauen uns zusammenschlossen und unter uns blieben, weil wir nur so inhaltlich weiterkamen und weil das nach außen Wirkung zeigte.
Wir sind froh, daß Ihr und wir da heute weiter sind.
In der damaligen »Volkskirche« war der Versuch, alle zusammenzuhalten - von fundamentalistisch, konservativ bis befreiungstheologisch - sehr mühsam. Manchmal hatten wir das Gefühl, die einen terrorisierten die anderen, weil sie sich für die Rechtgläubigen hielten.
Heute, nachdem Du frei entscheiden kannst, ob Du zu einer Religionsgemeinschaft gehören willst, welcher kleineren Gemeinschaft, Frauen-Hauskirche, Basisgemeinde Du Dich anschließt, was Du dafür finanziell aufbringst, heute, nachdem sich die Gruppen in ihrer Unterschiedlichkeit nicht gegenseitig den Glauben absprechen, macht es wieder Freude dazuzugehören. Die Gruppen sind lebendig, die Aufgaben der einzelnen wechseln, und Rituale werden neu geformt und gelebt. Damals hatten wir nur die Hoffnung, jetzt ist es selbstverständlich, daß auch Lebensgemeinschaften von zwei oder mehreren Frauen (oder Männern) gefeiert und gesegnet werden.
In jener Zeit hatten wir die Sorge, daß wir die Kirche konsequenterweise ganz verlassen müßten oder eine Art Außenseiterinnenkirche würden, wenn sich nichts ändert. Aber die Veränderung betraf ja nicht nur Kirche - es drängte angesichts der drohenden Selbstvernichtung unserer Erde auf allen Ebenen nach Wandel. Wir mußten wegkommen von dem im Patriarchat so betonten »macht euch die Erde untertan«, hin zum Bewahren der Schöpfung. Das bedeutete anders leben - in doppelter Hinsicht: in den zwischenmenschlichen Beziehungen und im Verhältnis zur Natur. Zwischenmenschlich mußten Herrschaftsverhältnisse zwischen Männern und Frauen, zwischen Klassen, Rassen und Völkern aufgehoben werden. Gerechtigkeit statt Ausbeutung war das Ziel. Und wir waren der Meinung, daß lesbische Freundschaften im kleinen ein Modell für Beziehungen sind, in denen Menschen sich nicht besitzen, sondern sich teilen, gegenseitig unterstützen, respektieren, füreinander Sorge tragen und in Gemeinschaft mit anderen eingebunden sind. Auch wir hatten mit unserem patriarchalen Denken und den Verhaltensweisen oft zu kämpfen, die wir durch unsere Erziehung gelernt hatten. Wichtig war und ist uns, daß das Kriterium für Beziehungen zwischen Menschen die Liebe ist.
Einige Gesellschaftsphilosophen und -philosophinnen, die diese Zeit als »Wendezeit«[3] bezeichneten, kamen zu der Erkenntnis, daß der Feminismus und die Wiedereinbeziehung des Weiblichen eine wesentliche Rolle in diesem Wandel spielen. Es war gut, daß viele andere in jener Zeit von den verschiedensten Ansätzen her wie Friedens-, Ökologie-, Befreiungs- und Neue Spiritualitätsbewegung mit zu dem neuen Bewußtsein und zu neuen Lebensweisen beitrugen. Die Kirche mußte da einfach mitgehen, mußte auch neue Formen finden, weil die Verkündigung des Reiches Gottes die Verwirklichung von Gerechtigkeit und Frieden auf Erden verlangt. Damals war das noch schwierig, zum Teil gab es gute Ansätze in Gruppen, aber die Institutionen selbst waren eher restaurativ. Unser Buch kam in eine Zeit, in der eher wieder aus- und abgegrenzt wurde. Wir meldeten uns damals zu Wort, weil wir die Kraft unserer Beziehungen nicht länger verschweigen wollten.
So viel für heute. Es tat uns gut, über all das noch einmal zu reden und zu sehen, daß sich doch viel verändert hat. Wir freuen uns, daß Ihr mutig, radikal und selbstkritisch die Geschichte lesbischer Frauen sichtbar macht.
Es grüßen Euch schwesterlich Eure
Herta, Monika und Ute