Passionsgeschichte von Frauen

Verurteilung von Frauenbeziehungen

durch Kirchenmänner im Mittelalter


Ist das Bild von mittelalterlichen Frauen an Höfen, in Klöstern und in Beginenhöfen, die einander liebevoll zugetan sein konnten und ihre Freundschaften mit Frauen in Liebesgedichten feierten, nicht viel zu einseitig und rosig gezeichnet? Die Geschichte erspart es uns leider nicht, uns auch mit der Leidensgeschichte von Frauen, mit Verurteilung und Verfolgung auseinanderzusetzen und die idyllischen Inseln frauenidentifizierten Lebens mit der von Männern beherrschten und tief frauenfeindlichen kirchlichen und gesellschaftlichen Realität zu konfrontieren.
Mittelalterlichen Frauen, die nach eigenem Bekunden ihre Beziehungen untereinander ganzheitlich mit geistigen, emotionalen, erotischen und sinnlichen Komponenten erfuhren, eingebettet in ein Netz von Frauenbeziehungen, wäre es wohl kaum in den Sinn gekommen, ihre Freundschaften ausgerechnet über genitale Kontakte zu definieren. Gerade das tun Kirchenmänner im Mittelalter, im übrigen eher eine Periode des Schweigens über Frauenbeziehungen. Die wenigen Zeugnisse aus der Feder von Männern reduzieren Frauenfreundschaften auf genital-sexuelle Beziehungen und sind abwertend, im Gegensatz zu der gleichzeitigen Verherrlichung homosexueller Beziehungen unter Klerikern. Als Quellen sind uns bekannt: Erwähnungen sexueller Beziehungen unter Frauen in Bußbüchern aus dem 6. bis 12. Jahrhundert und zwei Bemerkungen mittelalterlicher Theologen zu Frauenbeziehungen (9. und 12. Jh.). Die theologische Abwertung von Frauenliebe als »Sünde« gegen die »Keuschheit« soll hier noch betrachtet werden, bevor wir uns mit einem der dunkelsten Kapitel aus der Kirchengeschichte befassen, dem Holocaust an Frauen und seinen Anfängen im 13. Jahrhundert, einem meist verschwiegenen Kapitel (un)christlicher Geschichte.


Mittelalterliche Bußbücher und sexuelle Beziehungen unter Frauen
Die irisch-angelsächsischen Bußbücher[71] beweisen für die Zeiten des Schweigens über Frauenbeziehungen die Existenz von Liebe und Sexualität zwischen Frauen. Schon im frühen Mittelalter hat es unter »weltlichen« Frauen und unter Nonnen Frauen gegeben, die andere Frauen liebten.

Missionierende irische Mönche haben mit diesen Handbüchern für Beichtväter, in denen Sünden nach Art und Schwere katalogisiert und mit einer Kirchenstrafe versehen sind, vom 6. Jahrhundert an ihre Bußpraxis überall in Europa verbreitet. Die Buße bestand im angelsächsischen Bußtarifsystem in einer bestimmten Zeit des mit Gebet verbundenen Fastens und war grundsätzlich privat und jederzeit wiederholbar. Es gab in diesen theologisch recht fragwürdigen, aber ungemein beliebten Hilfsmitteln für die praktische Seelsorge viele Regelungen, die zum Mißbrauch einladen mußten. Jede »Buße« konnte durch Frömmigkeitsübungen oder durch Zahlung von »Bußgeldern« ersetzt oder sogar stellvertretend für andere geleistet werden. Wenn eine Kirchenstrafe von »sieben Jahren Fasten bei Wasser und Brot« uns übermäßig hart erscheint, ist dabei zu bedenken, daß die Buße von »sieben Jahren« durch tägliches Beten von Psalmen auf ein einziges Jahr verkürzt werden konnte, ja sogar auf ein dreitägiges Fasten, wenn sich nur genügend andere fanden, die mitfasteten.

Frauen sind für die mönchischen Verfasser der Bußbücher meist nur als Objekt männlicher Sexualität erwähnenswert (War sie verheiratet? Eine Nonne? Noch Jungfrau?) oder als Opfer illegitimer sexueller Beziehungen. Die häufigsten Bußen für Frauen beziehen sich auf Abtreibung und Kindestötung.
Das pastorale Interesse für Details homosexueller Praxis unter Männern geht oft bis zum unfreiwillig Pornographischen, während Frauenbeziehungen nur von wenigen Bußbüchern kurz erwähnt werden.
Der älteste Beleg für sexuelle Frauenbeziehungen findet sich in einem Bußbuch, das dem Erzbischof Theodor von Canterbury zugeschrieben wird: Wenn eine Frau mit einer anderen Frau sexuell verkehre oder sich selbst befriedige, soll sie drei Jahre Buße tun. (Für Männer beträgt der Bußtarif zehn Jahre.) Das Poenitential des Heiligen Gregor III., Papst im 8. Jahrhundert, bestimmt: »Wenn eine Frau mit einer anderen Geschlechtsverkehr hat (einen Koitus macht), soll sie viermal vierzig Tage Buße tun. Schwule sollen ein Jahr büßen.[72]
Wie relativ milde gleichgeschlechtliche Beziehungen von den Autoren der Bußbücher bedacht werden, ist daran ersichtlich, daß das gleiche Bußbuch als Strafe für einen Priester, »der zur Jagd geht«, eine Buße von drei Jahren festlegt. Abweichungen von der als »normal« bezeichneten Position beim ehelichen Verkehr, bei der die Frau passiv unter liegen mußte, wurden ebenso als bußwürdig angesehen wie »widernatürliche« orale Kontakte und Masturbation. Das schlimmste sexuelle Fehlverhalten war nach der Einschätzung der Bußbücher Sexualverkehr zwischen einer Nonne und einem Priester, da in diesem Fall zwei Personen ihre Keuschheitsgelübde verletzten. Nonnen wurden strenger bestraft als »weltliche« Frauen, Männer härter als Frauen. Der Klerus erhielt je nach Rang längere Bußen, gemäß der mittelalterlichen hierarchischen Ordnung: Frau - Nonne - Mann Kleriker - Subdiakon - Diakon - Presbyter - Bischof. Drei Jahre Buße für lesbische sexuelle Beziehungen nennen auch das dem Beda zugesprochene Bußbuch und eine karolingische Zusammenstellung aus Beda und Egbert, die noch hinzufügt, Frauen, die bestimmte Hilfsmittel benutzen (per machina), sollten dafür sieben Jahre lang Buße tun.

Mittelalterliche Theologen und Frauenbeziehungen nach
Römer 1,26

Sexuelle Betätigung unter Frauen, die in irgendeiner Form eine Nachahmung männlicher Genitalien einschließt, wird entschieden strenger geahndet als einfache »Unkeuschheit« zwischen Frauen. Diese Ansicht vertritt auch Erzbischof Hinkmar von Reims, einer der einflußreichsten Theologen der karolingischen Zeit. In einer Abhandlung verteidigt er im Jahr 860 Lothar II., der sich »wegen Zauberei« von seiner Ehefrau Teutberga scheiden ließ und eine Geliebte heiratete. Hinkmars Argumentation setzt voraus, daß Frauendurch Zauberei mit Hilfe des Teufels Männer impotent machen und Haß oder Liebe zwischen Eheleuten bewirken könnten. Bei dieser Gelegenheit doziert Hinkmar ausführlich über alle Arten von Sexualität, die nicht der Fortpflanzung dienen und somit »wider die Natur« seien. Die Sexualität werde von einer teuflischen Macht beherrscht. In seinen Ausführungen zu Römer 1,26 meint er, Paulus lehne alle Formen illegitimer Sexualität ab. Dabei bewertet Hinkmar Homosexualität nicht anders als andere Arten von »Sodomie«. Denn der Apostel sage zu den Römern, alle begingen eine »Unreinheit«, die vom Reich Gottes trenne und in die Hölle bringe, gleichgültig, ob Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, Männer mit Frauen oder jede(r) mit sich selbst.[73]

Hinkmars Ansicht zeigt, daß die typische christliche Haltung vor dem 13. Jahrhundert eher mit genereller Sexualfeindschaft zu beschreiben ist als mit spezifischer Ablehnung von Homosexualität: Sogar Frauen hätten dieses »schmutzige Verlangen« (d. h. ein sexuelles Verlangen). »Sie fügen Fleisch an Fleisch, nicht aber das Geschlechtsglied des Körpers in den Körper der anderen, da dies die Natur verwehrt, sondern sie vertauschen den natürlichen Gebrauch dieses Körperteils mit einem Gebrauch, der gegen die Natur ist. Man sagt von ihnen, daß sie gewisse Instrumente für teuflische Manipulationen benutzen, die zur Befriedigung der Geschlechtslust dienen. Und so sündigen sie auch, indem sie Unzucht gegen ihren eigenen Körper begehen.«[74]
Es scheint, daß der Erzbischof zu der langen Reihe von Männern gehört, die angestrengt darüber nachgrübeln, wie Frauen es eigentlich bewerkstelligen, die »Sünde der Sodomie« zu begehen, da ihnen doch das Wichtigste zum »Unzuchttreiben« fehle. Er gibt eine der klassischen Antworten darauf, indem er (nach dem Hörensagen) annimmt, Frauen würden einen mechanischen Ersatz für den Penis benutzen. Somit gilt dies als sexueller Akt und als wirkliche Sünde, die zu Hinkmars Zeit noch leicht abzubüßen ist, während sie einige Jahrhunderte später als todeswürdiges Verbrechen staatlich verfolgt wird.

Über den weiblichen Körperbau in Zusammenhang mit Römer 1,26 denkt auch Peter Abaelard (1079-1142) nach, ein Pariser Theologe, der wegen seines bewegten Lebens und der Romanze mit Heloise bekannt ist. Abaelard meint, die weiblichen Geschlechtsorgane seien ihrem Bau nach von Natur aus für den Gebrauch durch den Mann bestimmt und nicht dafür, daß Frauen mit Frauen schliefen.[75] Abschließend ist zur Ablehnung lesbischer Beziehungen durch mittelalterliche Theologen zu bemerken: Die stark abwertende Haltung von Mönchen und Theologen zu Beziehungen unter Frauen, die dem Befund Boswells über die positive Bewertung und Akzeptanz homosexueller Beziehungen unter dem Klerus entgegensteht, kann nicht anders als durch die generelle Frauenfeindlichkeit dieser Kirchenmänner erklärt werden, die weder in Frauen als dem »Einfallstor des Teufels« (Tertullian) noch in ihren Beziehungen irgend etwas Gutes finden konnten. Um diese Behauptung zu belegen, kann die Leserin unschwer in beliebigen Predigten, Schriften und Diskussionen von Theologen und ihren Zeitgenossen,[76] angefangen von den Kirchenvätern und frühchristlichen Asketen bis zu den mittelalterlichen Scholastikern, den Reformatoren und den antifeministischen Diskutanten in der »Querelle des Femmes«[77] dem jahrhundertelangen Streit um die intellektuelle und ethische Gleichrangigkeit der Geschlechter, eine erdrückende Masse frauenhassender, verächtlicher Äußerungen finden, die die allgemein verbreitete »Psychopathologie der Frauenfeindlichkeit«[78] in und außerhalb der Kirche aufweisen und den Nährboden für die systematische Verfolgung und Vernichtung von Frauen bilden.

Verfolgung lesbischer Liebe im Zusammenhang
mit der Verfolgung von Ketzern und Hexen

Wir können die Geschichte lesbischer Frauen insgesamt als eine Geschichte zwischen Verschweigen und Ablehnung ansehen. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts bemerken wir einen abrupten Wechsel von der »Totschweige-Strategie« zu einer aggressiven »Angriffsstrategie«[79]
Im 12. Jahrhundert wurden Frauenbeziehungen deutlich sichtbar und ebenso wie die religiöse Frauenbewegung des 13. Jahrhunderts schließlich als bedrohlich und häretisch empfunden, so daß allerlei Versuche zu ihrer Eindämmung unternommen wurden. Am Ende des 13. Jahrhunderts fanden im Rahmen der Ketzerverfolgung durch die Inquisition in Südfrankreich die ersten Hexenprozesse statt, und zum ersten Mal drohte ein weltliches Gesetz für sexuelle Beziehungen unter Frauen die Todesstrafe durch Verbrennen an. In denkbar scharfem Kontrast zum Verschweigen und zu gelegentlicher Mißbilligung von Frauenbeziehungen im frühen und hohen Mittelalter ist gegen Ende des Mittelalters und im Zeitalter der Renaissance, der »Wiedergeburt«, für Frauen, die Frauen lieben, eine gewalttätige Verfolgungssituation entstanden, die sich im 16. und 17. Jahrhundert auf eine Massenvernichtung von Frauen als »Hexen« zuspitzt.

Wie konnte es dazu kommen? Bei dem Versuch, Ursachen zu finden und zu benennen, stoßen wir auf drei Erklärungsversuche:

  1. Homosexuelle Frauen und Männer wurden mit dem Tod bestraft, weil die Kirche ihr Treiben als sündhaft ansah (Kokula).
  2. Radikaler gesellschaftlicher Wandel führte im 13. Jahrhundert zu einer Einstellungsänderung gegenüber der bislang tolerierten Homosexualität; die Kirche übernahm diese feindliche Haltung (Boswell).
  3. Das Verbrennen von Homosexuellen ist ein Rückgriff auf die vorchristliche germanische Strafe für Schadenszauberei und geht auf uralte soziale, nicht kirchlich bedingte Vorurteile zurück (Bleibtreu-Ehrenberg).

Die Bestrafung lesbischer Liebe als Kapitalverbrechen
In ihrem Beitrag zur Erforschung der Geschichte lesbischer Frauen versucht Ilse Kokula zu erklären, wie es zur Verfolgung homosexueller Handlungen als Kapitalverbrechen kommen konnte, indem sie die durch staatliche Rechtsprechung verhängte Todesstrafe auf die kirchliche Einschätzung gleichgeschlechtlicher Handlungen als sündhaft zurückführt:
»Im Mittelalter wurde Homosexualität innerhalb der offiziellen Kirchenmoral als Sünde angesehen. Das sündhafte Treiben homosexueller Frauen und Männer soll sogar Pestepidemien und Rattenplagen verursacht haben. So konnte auch in der Folgezeit im ersten deutschen Gesetzbuch >Constilutio Criminalis Carolina< von 1532 ein Artikel 116 die Todesstrafe für weibliche und männliche Homosexuelle fordern: >So Mann mit Mann, Weib mit Weib Unkeuschheit treiben, die haben das Leben verwürckt, und man soll sie, der gemeinen Gewohnheit nach, mit Feuer vom Leben zum Tod richten.[80]
Kokula weist nach, daß lesbische Frauen entgegen der verbreiteten Annahme vom »Mythos lesbischer Straffreiheit«[81] in Mitteleuropa eine Geschichte blutiger Verfolgung von etwa 250 Jahren erleiden mußten. Genital-sexuelle Beziehungen unter Frauen wurden vereinzelt schon im späten 13. Jahrhundert mit Todesstrafe geahndet. Systematisch und staatlich wurden lesbische Frauen vom frühen 16. Jahrhundert bis ins aufgeklärte 18. Jahrhundert hinein mit der Todesstrafe verfolgt. So wurde in Preußen für »Tribadie« bis 1747 die Todesstrafe verhängt, noch bis 1794 eine Freiheitsstrafe.

Im preußischen Strafgesetz von 1851 und im Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches von 1871 wurden dagegen nur noch homosexuelle Akte von Männern mit Strafen bedroht. Es scheint, daß nach 250 Jahren gnadenloser Verfolgung von »Hexen« und weiblicher Sexualität die Stärke und Sexualität von Frauen soweit gezähmt und unterdrückt worden war, daß sich vorerst eine weitere Verfolgung erübrigte. Eine neue Verfolgungswelle setzte erst wieder im nationalsozialistischen Unrechtsstaat ein als Gegenschlag auf das Erstarken von Frauen durch die erste Frauenbewegung und durch wachsende Möglichkeiten weiblicher Autonomie, die in der Emanzipationszeit der Weimarer Republik zu einer kurzen Blüte lesbischer Subkultur geführt hatten.[82]

Wir sehen, daß die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Gesetzgebung, die Homosexualität als Kapitalverbrechen behandelt, Auswirkungen bis in das 19. und 20. Jahrhundert hinein gehabt hat. Es scheint jedoch kurzschlüssig und undifferenziert, allein aus der Tatsache, daß im Mittelalter homosexuelle Handlungen als sündhaft beurteilt wurden, abzuleiten, daß es die kirchliche Beurteilung gleichgeschlechtlicher Sexualität ist, die zu der blutigen Verfolgung homosexueller Menschen geführt habe. Die Mehrzahl sexueller Verhaltensweisen wurde von der christlichen leibfeindlichen Tradition als »sündhaft« abgelehnt, sofern sie nicht innerhalb der rechtsmäßigen Ehe zur Zeugung führen, also zum Beispiel außereheliche heterosexuelle Beziehungen ebenso wie Selbstbefriedigung. Trotzdem wurde niemand wegen Ehebruchs oder Selbstbefriedigung hingerichtet.

Das Christentum reflektiert eine gesellschaftliche
Einstellungsänderung -
 verursacht sie jedoch nicht

Sozialwissenschaftliche Forschung, die den Ursprüngen des Vorurteils gegen Homosexualität nachgeht, kommt zu dem Ergebnis, so Boswell und ähnlich auch Bleibtreu-Ehrenberg, die feindselige Ablehnung und Verfolgung homosexueller Beziehungen habe primär soziale Ursachen und gehe nicht auf kirchliche Gründe zurück.

Unser Interesse bei der Klärung dieser vielleicht nebensächlich erscheinenden Frage nach den Ursachen kann es nicht sein, die im Namen Jesu und im Namen einer Religion der Nächstenliebe von der Kirche und von Christen begangenen Verbrechen zu entschuldigen und zu beschönigen: die blutige Verfolgung von Minderheiten, Juden, Moslems und »Ketzern«, das Unrecht, das durch Religionskriege, Kreuzzüge, Zwangsmissionierung und Unterdrückung vor allem nicht-europäischen Völkern zugefügt wurde, der Holocaust an Frauen, die als Hexen ermordet wurden. Unsere Überlegung ist vielmehr: Da heute noch Kirchen als Bollwerk konservativer Kräfte in unserer Gesellschaft gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnen mit Berufung auf die »christliche Tradition«, hätte es Konsequenzen für unsere heutige Situation und für die Beurteilung homosexueller Beziehungen durch die Kirchen, wenn Boswells These zutrifft, daß Theologie und Kirche (auch damals konservativ) den radikalen Wandel von Akzeptanz zu Verfolgung von Homosexualität im 13. Jahrhundert viel eher widerspiegeln, als daß sie ihn verursacht hätten. Wenn gleichgeschlechtliche Liebe und christlicher Glaube im ersten christlichen Jahrtausend eine friedliche Koexistenz miteinander führten und erst gesellschaftlich bedingte Änderungen die schroffe kirchliche Ablehnung bewirkten, so könnte ein erneuter gesellschaftlicher Wandel heute in Richtung auf Akzeptanz anderer Lebensformen und eine positive Sicht menschlicher Sexualität zu kirchlicher Anerkennung von lesbischen und schwulen Liebesbeziehungen führen. John Boswells Analyse des historischen Quellenmaterials zur Sozialgeschichte der Homosexualität im christlichen Abendland über einen Zeitraum von rund 1500 Jahren erhärtet seine These, daß die im ersten Jahrtausend eher tolerante Haltung der Kirche zur Homosexualität in Anpassung an eine intolerant gewordene gesellschaftliche Haltung vom 13. Jahrhundert an ebenfalls feindselig und aggressiv wurde.[83] Die Kirche hinke der gesellschaftlichen Einstellung und der staatlichen Gesetzgebung eher hinterher, vermutlich, weil es eine so lange Tradition homoerotischer Freundschaften unter ihrem Klerus und in den Klöstern gab. Während im 12. Jahrhundert angesehene Persönlichkeiten, Bischöfe, Heilige, Mönche und Nonnen ihre Liebe zu Angehörigen des eigenen Geschlechts noch offen in ihren Werken darstellen konnten, galt zweihundert Jahre später das gleiche Verhalten als gefährliche, antisoziale Verirrung, die bekämpft werden mußte.

Zwischen 1250 und 1300 nahmen fast alle europäischen Staaten die Todesstrafe für Homosexualität von Männern (später auch von Frauen) in ihre Gesetzgebung auf, für ein Verhalten, das bis dahin legal und weithin üblich war.[84] Für die Zeit zwischen 1150 und 1350 konstatiert Boswell einen radikalen Umschwung von Offenheit und Toleranz hin zu fanatischer Unterdrückung von anders denkenden und anders lebenden Menschen, ohne daß die Ursachen dieser einschneidenden Veränderungen bis ins letzte durchschaubar wären. Der Druck zur Konformität sei durch das Erstarken staatlicher und kirchlicher Macht und durch Zentralisierungsbestrebungen ungeheuer gewachsen. Staat und Kirche übten mit ihren Einrichtungen wachsende Intoleranz gegen Minderheiten aus und verfügten nun auch über die Machtmittel, Disziplinierung gewaltsam durchzusetzen.

Große soziale Umbrüche und Unruhen im 13. Jahrhundert und danach begünstigten die Suche nach Sündenböcken für Armut und gesellschaftliche Mißstände, Hungersnöte, Seuchen und Naturkatastrophen. Kreuzzüge gegen Nicht-Christen und Häretiker, die Vertreibung der Juden aus vielen Ländern Europas, die Gründung der päpstlichen Inquisitionsgerichte zur Ausrottung der »Ketzerei« und schließlich zum Wüten gegen »Zauberei« und »Satanskult« sind entsetzliche Zeugen eines fanatischen Hasses gegen Menschen, die in irgendeiner Weise von den Normen der Mehrheit abwichen. In den Zusammenhang der Verfolgung von Juden, Ketzern und Hexen gehört auch die Kriminalisierung von Frauen und Männern, die der »Sodomie« verdächtigt werden.

Die feindselige Haltung gegenüber schwulen und lesbischen Verhaltensweisen findet Eingang in die Gesetzessammlung des späten Mittelalters und in die Schriften der scholastischen Theologen, die beide eine schlimme »Tradition« begründen, die bis in unsere Zeit reicht.

Boswells Darstellung ist in einigen Punkten für uns unzureichend. So weist er zwar den Zusammenhang zwischen der Verfolgung von Ketzern, Templern und Minderheiten und dem Sodomievorwurf nach, aber er untersucht nicht den Zusammenhang der Verfolgung von Ketzern und Hexen und lesbischen Frauen. Boswell nimmt an, daß seine Forschungsergebnisse zur Homosexualität auch für lesbische Frauen analog gelten, und befaßt sich nicht mit der Situation von Frauen. Er berücksichtigt auch nicht die Auswirkungen einer allgemeinen Frauenfeindlichkeit in der damaligen Kirche und Gesellschaft und die zunehmende Entmachtung und Unterdrückung von Frauen seit dem 12. und 13. Jahrhundert.

»... und man soll sie, der gemeinen Gewohnheit nach,
mit Feuer vom Leben zum Tode richten«

Wer von uns hat bei diesen Worten nicht Bilder von Frauen vor Augen, die als Hexen gefoltert und verbrannt wurden? Und doch richtet sich der Wortlaut dieses Gesetzes aus dem frühen 16. Jahrhundert gegen homosexuelle Handlungen unter Frauen und unter Männern.

Die Forschungen Gisela Bleibtreu-Ehrenbergs führen weiter in diese Richtung: Die Todesstrafe des Verbrennens für Homosexualität war die vorchristliche germanische Strafe für Schadenszauberei, die weder in den jüdischen noch in den römisch-hellenistischen Ursprüngen des Christentums eine Entsprechung hat, geschweige denn in der kirchlichen Bußpraxis, die grundsätzlich keine Leibesstrafen kennt[85]. Die Sozialwissenschaftlerin leitet das »Tabu Homosexualität« und das ursprünglich nicht religiös, sondern sozial bedingte Vorurteil gegen »Homosexuelle«, die für Bleibtreu-Ehrenberg ausschließlich Männer sind, aus tiefsitzenden germanischen Wurzeln ab. (Ihr reichhaltiges Quellenmaterial ist für uns mit Einschränkungen von Nutzen, da sie auch, wo Quellen lesbische Frauen eigens erwähnen, selbst da, wo es um Sodomie und Hexenverfolgung geht. 
Offensichtlich ist bei ihr das Tabu Lesbische Liebe wirksam.)

Die Sündhaftigkeit der Homosexualität sei zwar im Christentum nie angezweifelt worden, so Bleibtreu-Ehrenberg, ebensowenig wie die des Sexualverkehrs zwischen Mann und Frau, sofern sie nicht verheiratet waren, und anderer »Fleischesvergehen«, die unter dem Begriff »Sodomie« zusammengefaßt waren. Homosexuelle Praktiken seien als Sünden, nicht als Verbrechen angesehen worden: die christliche Kirche beschränkte sich auf reine Kirchenbußen. Wiederaufnahme reuiger Sünder in die Gemeinschaft, nicht deren Vernichtung war das Ziel. So habe die frühe christliche Mission segensreich abmildernd auf die oft sinnlos grausamen germanischen Strafen eingewirkt und beispielsweise statt der Todesstrafe Wergeldzahlungen eingeführt. Das Wiederaufleben der vorchristlichen Feuerstrafe für homosexuelle Aktivitäten und ihr Eindringen in die einflußreiche christliche Gesetzgebung der Franken sei einer raffinierten Fälschung im Dienst kirchlicher Vormachtsansprüche zu verdanken. Der Fälscher, ein gewisser Benediktus Levita aus dem 9. Jahrhundert, bediente sich genuin germanischer Ressentiments gegen Schadenszauberer beiderlei Geschlechts und gegen Menschen mit abweichendem Sexualverhalten, um sie als Sündenböcke für Seuchen, Kriege und Hungersnöte hinzustellen. Zur »christlichen Legitimation« berief er sich auf ein Edikt des oströmischen Kaisers Justinian aus dem 6. Jahrhundert, in dem dieser die in Genesis 19 erzählte Geschichte von der Zerstörung Sodoms, die von der Verletzung des Gastrechts handelt, auf die Bestrafung Homosexueller umdeutet. Justinians Erlasse waren Waffen gegen persönliche und politische Gegner. Die von ihm erfundene »Sodommythe« hatte den propagandistischen Zweck, dem Volk in den Homosexuellen Sündenböcke für Pest und Erdbeben zu liefern. Nachdem durch diese Fälschung die germanische Feuerstrafe in die christliche fränkische Gesetzgebung eingeschleust worden war, wandten sie weltliche Gerichte in den Fällen an, wo sie nach vorchristlich-germanischem Rechtsbrauch angebracht gewesen wäre: bei Schadenszauberei (Hexerei), bei Giftmord als einer Form von Zauberei und bei der nach germanischer Vorstellung mit beiden Untaten verbundenen Homosexualität und »Sodomie«.

Sodomie, alle sexuellen Ausschweifungen, dazu Kannibalismus und Teufelsanbetung wurden den Hexen ebenso unterstellt wie gewohnheitsmäßig sämtlichen Häretikern seit frühesten Zeiten. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sich bis zum Ende des Mittelalters Reste der alten Fruchtbarkeitsreligionen erhalten haben. Die Anklagen gegen Ketzerei enthalten schon ausdrücklich alle Anklagepunkte, die man den Hexen bezüglich der Sexualität machte: Promiskuität, Inzest und Homosexualität. Wie bei den Ketzerversammlungen fanden beim »Hexensabbat« angeblich Teufelsanbetung und wüste sexuelle Orgien statt, wo alles geboten und erlaubt war, was die Kirche sonst so streng verbot, »modo sodomitico«, auf unnatürliche Art. In den Hexenprozessen wurden die angeklagten Frauen unter Folter nach den sexuellen Praktiken des Teufels ausgefragt, da mit dem Teufelspakt prinzipiell außer Schadenszauberei stets »Sodomie« verbunden sein sollte. »Der Pakt mit dem Teufel befähigt die Frauen außerdem dazu, sich von den Männern völlig abzukehren; die Verweigerung der Frauen, die sich dann der Homosexualität und der Selbstbefriedigung zuwenden, scheint so gefährlich zu sein, daß nur ihre totale Vernichtung die Gefahr bannt.«[86]

Hier kann nicht näher auf das vielschichtige Problem Hexenwahn und Ermordung abweichender Frauen im »Zeitalter derWiedergeburt und des Humanismus« eingegangen werden[87] dazu sei auf die Literatur verwiesen. Der enge Zusammenhang zwischen Ketzerverfolgung einerseits, dem Vorwurf der Sodomie und des Teufelspaktes und der Hexenverfolgung andererseits zeigt sich besonders deutlich bei der Entstehung der Hexenjagden im 13. Jahrhundert. Der erste Hexenprozeß gegen eine ältere, angesehene Frau, Angela Barthe, fand 1275 in Toulouse im Rahmen eines Ketzerprozesses statt. Sie gestand unter der Folter, eine sexuelle Beziehung mit dem Teufel gehabt zu haben, und wurde deshalb zusammen mit anderen »Ketzern« verbrannt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die eigens zur Vernichtung der Ketzer um 1230 gegründete Inquisition mit ihren neuartigen Methoden der Prozeßführung, die auf Denunziation und der Verwendung von Folter beruhen, nach zwanzigjähriger blutiger Tätigkeit in Südfrankreich gerade die letzten Reste der Waldenser ausgerottet und wandte sich anschließend dem ebenso lukrativen Unternehmen zu, die neue ketzerische »Hexensekte« zu bekämpfen. Das erste staatliche Gesetz aus dem 13. Jahrhundert, das neben homosexuellen Männern eigens lesbische Frauen nennt, stammt aus derselben Zeit und Gegend, aus der Gesetzesschule von Orleans um 1260, und sieht als Bestrafung Verbrennung vor. Dieses strenge Gesetz gegen Homosexualität muß wohl im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Tätigkeit der Inquisitionsgerichte gegen die Sodomie von Ketzern und Hexen gesehen werden.


Ein Hauptziel der aggressiven Hexenverfolgung bildeten die »alleinstehenden« Frauen, die nicht durch ihre Assimilation in die patriarchale Familie zu definieren waren. »Der Hexenwahn richtete sich ... in erster Linie gegen Frauen, die die Ehe abgelehnt hatten (Spinsters), und Frauen, die sie überlebt hatten (Witwen).«[88] Unabhängige Frauen, die ohne Familien und außerhalb patriarchaler Kontrolle lebten, wurden häufig Opfer der »Reinigung« der Gesellschaft von »exzentrischen« und die »Ordnung sprengenden Kräften« weiblicher Stärke. Aus der Rolle fallende Frauen, die schon durch ihr äußeres Auftreten Protest gegen die dem weiblichen Geschlecht auferlegten Beschränkungen deutlich machten, indem sie Männerkleidung trugen, sich wie Männer verhielten und andere Frauen liebten, mußten diese »Anmaßung« fast immer mit dem Tod bezahlen.[89] Das streng verpönte Tragen männlicher Tracht und ihr kurz geschnittenes Haar trugen mit dazu bei, Jeanne d'Arc, die den französischen Soldaten vorauszog und sie zum Sieg führte, 1431 wegen Ketzerei und Hexerei auf den Scheiterhaufen zu bringen, ohne daß der später heilig gesprochenen Jungfrau von Orleans »Sodomie« vorgeworfen worden wäre.[90]

Es finden sich nur wenige Hinweise zum Schicksal lesbischer Frauen im Zeitalter der Hexenverfolgung: So im Buch zu dem Kunstwerk »Die Dinnerparty« der amerikanischen jüdischen Künstlerin Judy Chicago, die, stellvertretend für viele, neununddreißig von der Geschichte vergessene Frauengestalten symbolisch zum »Abendmahl« einlädt und die Lebensbeschreibungen von über tausend bedeutenden Frauen hinzufügt. Unter dem Namen der »Petronilla de Meath«, die 1324 als Hexe hingerichtet wurde, werden als mögliche Anklagepunkte der Hexenjäger genannt: »Wenn eine Frau eine lesbische Beziehung hatte, wenn sie eine Beziehung außerhalb der Ehe hatte, wenn sie ein uneheliches Kind gebar, wenn sie Empfängnisverhütung anwandte oder bei einer Abtreibung half, wurde sie der Hexerei angeklagt und - mit oder ohne Beweise - gewöhnlich umgebracht.«[91]
Ein weiterer Fingerzeig findet sich im bereits zitierten Buch von Ilse Kokula: »Lesbische Frauen wurden die Opfer bevölkerungspolitischer Maßnahmen und die Opfer der Etablierung der >Weiblichkeit< ... die Bekämpfung aller Formen außerehelicher, nicht der Fortpflanzung dienender Sexualität tangierte auch lesbische Frauen. Auch Frauen, die sich >Männlichkeit< anmaßten, wurden Opfer herrschender Zustände. Historisch belegt sind zwei Urteile gegen Frauen, die hingerichtet wurden, weil sie andere Frauen liebten und Männerkleidung trugen... Im >Achtbuch< der Stadt Speyer wurde beschrieben, daß dort 1477 eine >Dirne aus Nürnberg< wegen mehrfach verübter widernatürlicher Unzucht im Rhein ertränkt worden sei. Zwei mitangeklagte Frauen, von denen die eine angab, >daz sie nit gewust anders, dann daß sie für ayn man erkennt hab<, mußten bei der Hinrichtung der Verurteilten schwören, niemals wieder die Stadt Speyer zu betreten.«[92]

Wenn eine Frau sich gegenüber einer anderen Frau so verhält, wie es »die Natur« nur für Männer vorgesehen hat, und sie damit gewisse männliche Vorrechte beansprucht, hat sie nach allgemeiner Einschätzung im 16. Jahrhundert die für »Sodomie« vorgesehene Todesstrafe verdient.[93] Dies wurde zwei italienischen Nonnen der Renaissancezeit zum Verhängnis, Benedetta Carlini, Äbtissin des Klosters der Muttergottes in Pescia, und ihrer Geliebten, einer Nonne namens Bartolomea Crivelli. Über den Prozeß gegen die beiden Ordensfrauen und ihre sexuellen Beziehungen zueinander existieren detaillierte kirchliche Aufzeichnungen aus den Jahren 1619 bis 1623 und neuerdings eine Studie dazu von Judith C. Brown.[94] Benedetta Carlini verteidigte sich für ihr Tun, indem sie behauptete, von einem Engel besessen gewesen zu sein. Sie sei wie in Trance gewesen, wenn ihr Engel »Splendidiello« als ein Junge von acht oder neun Jahren erschienen sei. Beide Nonnen wurden hingerichtet.

Unter dem Eindruck der Hexenjagd des 16. Jahrhunderts und der erbarmungslosen Bestrafung von gleichgeschlechtlicher Sexualität als Verbrechen verstärkte sich die negative Wertung von Homosexualität durch Theologen. Im Katechismus des Petrus Canisius, des ersten deutschen Jesuiten und heilig gesprochenen »Kirchenlehrers« (1555 erschienen, bis ins 19. Jahrhundert in mehr als vierhundert Auflagen weltweit verbreitet), wird Homosexualität unter die vier »himmelschreienden Sünden« eingereiht. Sozial besonders schädliches Verhalten wie Mord, Betrug, Unterdrückung der Armen sowie Liebe zum gleichgeschlechtlichen Mitmenschen rufe angeblich die Rache Gottes über die Menschen herab. Damit wird zum ersten Mal in der christlichen Geschichte Homosexualität gegenüber anderen sexuellen Vergehen herausgehoben und zugleich durch die Nebeneinanderstellung mit Mord in ungeheuerlicher Weise kriminalisiert.[95]
Der lutherische Kirchen- und Strafrechtslehrer Benedikt Carpzow, durchaus kongenial der Erfindung himmelschreiender Sünde, stellt im 17. Jahrhundert folgende Übel als Folgen der Homosexualität fest: »Erdbeben, Hungersnot, Pest, Sarazenen, Überschwemmungen und sehr dicke gefräßige Wühlmäuse.«[96]

In der Nachfolge der mittelalterlichen Bußbücher macht sich offenbar der Franziskaner Lodovico Maria Sinstrari um 1700 in seinem Buch »Peccatum Mutum (Verschwiegene Sünde)« Gedanken über die sexuellen Praktiken zwischen Frauen. Da zu dieser Zeit die Hexenverfolgung am heftigsten tobt, hat der Beichtvater darüber zu befinden, ob es sich um eine einfache »Unkeuschheit« oder um das »Verbrechen der Sodomie« handelt, das mit dem Tod bestraft wird. Er kommt zu der abenteuerlichen Behauptung, das strafwürdige Vergehen bestehe darin, daß eine Frau eine andere mit ihrer Klitoris penetriert, ohne Penetration aber geschehe keine schwere Sünde, nur eine »Unreinheit«. Dieses phallokratische Vorurteil könnte mancher Frau das Leben gerettet haben.[97] 


Die Zeiten waren zu Beginn unserer »aufgeklärten« Neuzeit schwieriger geworden für unabhängige Frauen und für Frauen, die Frauen liebten, als im »dunklen« Mittelalter. Absurderweise haben gerade akademisch gebildete Männer im Zeitalter der neuen humanistischen Philosophie, der Wissenschaft und Künste, Entdeckungen und der Technik - die Erfindung des Buchdrucks trug zur schnellen Verbreitung des Hexenwahns wesentlich bei - die Hexenverfolgung erheblich vorangetrieben. »Er (der Hexenwahn) wurde gefördert durch die kultivierten Päpste der Renaissance, durch die großen protestantischen Reformatoren, durch die Heiligen der Gegenreformation und durch Gelehrte, Juristen und Kirchenmänner im Zeitalter von Scaliger und Lipsius, Bacon und Grotius, Berulle und Pascal.«[98]
Es ist höchste Zeit für uns Frauen, die männlich geprägte Sicht der Welt und der Geschichte umzulernen, die uns in der Schule, in der Kirche, in unserer Kultur, durch die »objektive Wissenschaft« vermittelt wird, und die Kapitel unserer Frauengeschichte neu zu studieren, die in der von Männern geschriebenen Geschichte und Kirchengeschichte unterschlagen werden, auch wenn sie so schmerzlich sind wie dieses:

»Wiederhole die Silben

bevor die Lektion durchs Gehirn blutet:

Margaret Barclay, zu Tode gesteinigt, 1618

Mary Midgely, zu Tode geknüppelt, 1646

Peronette, in der Folter auf glühende Eisen gesetzt

und dann lebendig verbrannt, 1462

Schwester Maria Sanger, Sub-Priorin

des Prämonstratenser-Klosters in Unter-Zell,

angeklagt eine Lesbe zu sein;

Das Dokument, das ihre Folter bescheinigt,

ist versehen mit dem Siegel der Jesuiten,

und den Worten AD MAJOREM DEI GLORIAM -

Zum größeren Ruhm Gottes.


Was haben sie uns angetan?«[99]