»Habt ihr keine Angst, wenn ihr dieses Buch herausgebt?« wurden wir während der Zeit des Schreibens oft gefragt. Es scheint innerhalb der Kirchen offensichtlich ein Risiko zu sein, zur lesbischen Lebensform zu stehen, sie sichtbar zu machen und die damit verbundenen Fragen aufzuwerfen. »Natürlich habe ich Angst, weil die Verwandlung von Schweigen in Sprache und Aktion ein Akt der Selbst-Entdeckung ist, und dieser Akt scheint immer voll Gefahr«, sagt Audre Lorde, eine schwarze lesbische Dichterin [1]
Es ist Zeit, das Schweigen zu brechen.
Homosexualität ist in den letzten Jahren in den Kirchen zu einem heftig diskutierten und umstrittenen heißen Eisen geworden. Ausgelöst wurde die Diskussion vor allem durch die beabsichtigte und tatsächliche Entlassung eines Pfarrers der Hannoverschen Landeskirche, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Es gab zur Frage der Homosexualität Stellungnahmen von Theologen, Juristen, Sexualwissenschaftlern, Betroffenen, Befürwortern und Gegnern.
Die meisten dieser Männer reden und schreiben so, als ob ihre Abhandlungen über Homosexualität gleichermaßen Männer und Frauen beträfen, obwohl sie sich einseitig auf männliche Homosexualität beziehen. Einige Autoren[2] geben an, daß sie sich nur mit männlicher Homosexualität befassen. Und so beantwortet dann Helmut Kentler die Frage nach dieser Einengung: »Aufgebrochen ist die Problematik der Homosexualität von kirchlichen Mitarbeitern an der männlichen Liebe, während die lesbische Liebe bisher weder Anstoß erregt hat noch diskutiert wurde; ich wollte nicht etwas problematisieren, was noch gar kein Problem ist.«[3] Es mag noch kein Problem für die Kirchenleitungen sein, und das ist eher typisch dafür, daß Frauen in dieser Gesellschaft und damit auch in den Kirchen noch immer nicht ernst genommen werden, ihnen letztlich keine eigene Sexualität zugestanden wird und sie so der Nichtbeachtung anheimfallen. Für lesbische Frauen ist das aber ein Problem, denn sie leiden an ihrem Doppelleben, am Verschwiegenwerden und am eigenen Schweigen. Wenn die Diskussion um (männliche) Homosexualität in den Kirchen so geführt wird, daß in den Verlautbarungen einfach an alle männlichen Bezeichnungen ein »in« (Mitarbeiter/in, Pfarrer/in) angehängt wird, und man damit meint, auch die Frauen betreffenden Fragen im Griff zu haben, können wir das nicht kommentarlos hinnehmen. Damit wird wieder einmal in der Geschichte von Männern definiert, wie Frauen sind und was ihre Beziehungen bedeuten.
Wir Frauen werden das Schweigen brechen und unseren Standort selbst bestimmen.
Nächstenliebe
Ihr
meine Schwestern und Brüder
im Herrn
übt christliche Nächstenliebe:
singt
betet laut
mit fester Stimme
ich schweige
soll ich mich verstecken
verstellen!
Ihr wundert euch
wie schlecht mir's gelingt
Ich schreie vor ohnmächtiger Wut!
Ich liebte
und werde lieben
das Meine
Gottes Liebe zu bezeugen
Gertrud Hanefeld
Die Nichtbeachtung ist einerseits - oberflächlich gesehen Schutz für lesbische Frauen, denn so kommen sie nicht in die Gefahr, ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Andererseits ist es aber auch eine Diskriminierung. Denn viele lesbische Frauen in den Kirchen erleben sich als gespalten, weil sie in ihren Institutionen und dem, was dort gelehrt wird, nicht vorkommen oder sich abgelehnt fühlen und deshalb ihre Empfindung, ihre Lebensform verstecken. In dem Brief einer Frau heißt es: »Meine Verbindung zur Kirche führt mich zu innerem Gespaltensein, Ich tauche nicht als ganze Person in dieser Kirche auf. Zwischendurch gibt es Phasen, wo ich mich frage, ob es überhaupt wahr ist oder eine Phantasie, ein Hirngespinst. Dann brauche ich Kontakt zu anderen Lesben, um zu sehen, ja, es ist doch wahr, uns gibt es, und es ist keine Einbildung; auch wenn Lesbischsein in meinem Alltag nicht vorkommt. Dieses >NichtVorkommen< schafft für mich Distanz zu Kollegen, Gemeindegliedern, zum Gottesdienst, zur Kirche überhaupt. Es ist eine Steigerung des Nicht-Vorkommens von Frauen in der Kirche.«
Ein gespaltenes und stummes Leben ist ungesund. Es führt dazu, daß wir den Ärger in uns hineinfressen, die Wut gegen uns selber kehren, bis womöglich eines Tages die Schutzdämme brechen und das Aufgestaute in Krankheit, Sucht oder Selbstmord sich Bahn bricht. Es ist demnach auch eine psychische Notwendigkeit, aus dem Schweigen herauszukommen. Bezeichnend war und ist, daß lesbische Frauen in den Kirchen selbst das Schweigen wahren und die Diskussionen, die Aktionen und die Öffentlichkeit den Schwestern in der autonomen Frauenbewegung überlassen. Im Bereich der Kirchen hüllen sich Frauen, die Frauen lieben und so nicht in die Norm der Frau-Mann-Beziehung passen, in dichte Gewänder des Schweigens. Bei ganz seltenen Gelegenheiten werden solche Verhüllungen abgelegt. Da zeigen sich einige bei einer feministischen Theologie-Werkstatt, als ein Film Frauenbeziehungen thematisiert und zu Gesprächen herausfordert. Oder am Ende einer anderen Tagung weint eine Frau bitterlich, weil sie mit ihrer Lebenssituation als lesbische Frau nicht vorkam. Einzelne Frauen erspüren, daß auch andere in Frauenbeziehungen leben, wagen aber kaum, einander darauf anzusprechen. Und doch sind sich die meisten sicher, daß es viele lesbische, Frauen in der Kirche gibt, denn jede kennt noch eine oder vermutet bei anderen... Wo sind die Frauen? Wo leben sie? Was sind ihre Themen, ihre Fragen? Wie verstehen sie sich selbst? Was sind die Gründe für die Verschleierung, für das Schweigen?
Ein Aufruf an Frauen und Frauenorganisationen in den Kirchen mit der Frage: »Gibt es denn überhaupt lesbische Frauen in der Kirche - wenn ja, so meldet euch doch!«[4] brachte erste Kontakte. Im Jahr 1984 versuchten wir dann im Schneeballsystem, lesbische Frauen im Umfeld Kirche zu erreichen. Wir wollten nicht offen über Zeitschriften, Akademieprogramme und ähnliches zu Treffen einladen. Wir nahmen an, daß bei einer solchen Öffentlichkeit viele Frauen nicht zu kommen wagen. Ein Brief, mit dem das Interesse für Treffen erkundet werden sollte, ging an uns bekannte Frauen mit der Bitte um Weitergabe. Zwei Tagungen mit rund hundert Frauen aus der ganzen Bundesrepublik kamen ein Jahr später zustande. Aufatmen, daß da Schwestern sind, die so etwas organisieren; teils Ärger über die Heimlichkeit, aber auch große Ängste vor dem Sich-Bekennen und Entdeckt-Werden wurden wach. Sich selbst als lesbisch oder als Lesbe zu bezeichnen fiel und fällt vielen schwer.
Frauen lieben Frauen, beziehen sich auf Frauen, auf sich selbst - das geht alles viel besser. Werden dafür aber die Worte »lesbisch« und »Lesbe« benutzt, wächst die Distanzierung, denn da schwingt die politische Bedeutung, das klare Dazustehen bedrohlich ins Privatleben hinein. Susanne v. Paczensky behauptet in ihrer Untersuchung zur Situation lesbischer Frauen in der Gesellschaft: »Die befürchteten Folgen - Rausschmiß, Existenzverlust, Ächtung und ähnliche katastrophale Einbrüche in das bisherige Leben, deren Risiko als wesentlicher Teil der Diskriminierung gilt - treten nur äußerst selten ein und sind noch seltener von Dauer.«[5]Nur: Frauen in den Kirchen haben vor Augen, was zum Beispiel in ihren Dienstverträgen steht: »Eine fristlose Entlassung ist außerdem zulässig wegen Austritts aus der evangelischen Kirche oder wegen groben Verstoßes gegen die besonderen Pflichten und die Lebensführung eines kirchlichen Mitarbeiters.«[6] Und sie hörten, was ihre Kirchenleitungen schon mit Blick auf männliche Homosexuelle entschieden haben.[7]
Die Devise heißt: Du darfst homosexuell sein, aber das nicht leben; wenn du nicht freiwillig zölibatär lebst, hast du im Kirchendienst nichts zu suchen. So formuliert ein Ausschuß in seinem Bericht für eine Landessynode: »Ein homosexueller Mitarbeiter, der nicht bereit ist, die homosexuelle Praxis aufzugeben, bzw. in einer Partnerbeziehung lebt, ist mit Rücksicht auf das biblische Gesamtzeugnis und die verkündigende Wirkung durch das Beispiel von seinem kirchlichen Auftrag zu entbinden, wenn nicht eine eindeutige Erklärung des Verzichtes auf homosexuelle Betätigung erfolgt. Wer diesen Verzicht nicht meint auf sich nehmen zu können, dem ist eine Tätigkeit im kirchlichen Dienst in der Regel zu versagen.«[8] Das bringt nur wenige dazu zu sagen: »Jetzt erst recht müssen wir sichtbar werden«, und treibt weiterhin in Doppelleben, in Schweigen - es gab ja schon immer Frauen, die mit Frauen zusammenlebten, und niemand hat darüber geredet! Wenn die Situation in den Kirchen so ist, was hält lesbische Frauen dann noch in der Kirche? Wie sind sie mit ihr verbunden? Und wie erleben sie ihr Verhältnis zur Kirche? Das haben wir unter anderem in einer Fragebogen-Aktion für dieses Buch erkundet[9] und bekamen folgende Antworten:
- »Ich bin beruflich mit der Kirche verbunden, und der christliche Glaube ist mir von Kindheit an eingepflanzt und mir als Lebenssinn und Orientierung wichtig. In meinem Glauben gibt es kein Problem mit meinem Lesbischsein, auch wenn es in der Kirche >Sünde< ist. Ich halte mich an Jesus, der den Umgang mit Außenseitern/innen dem mit frommen Moralisten vorzog und dem die Liebe das wichtigste Kriterium war. In der Kirche wurde mir nie offen etwas über gleichgeschlechtliche Liebe vermittelt. Über Sexualität wurde kaum geredet, es war dazu nur zwischen den Zeilen etwas zu hören, gerade weil nur die Liebe von Mann und Frau thematisiert wurde. Getuschelt haben wir, wenn wir im Religions- und Konfirmandenunterricht in der Bibel Stellen über Sexualität aufstöberten, die dann aber immer von Männern handelten. Und es war uns deutlich, daß das Sünde war (z. B. Sodom und Gomorrha). >Lesbisch< war ein unbekanntes Wort. Da aber immer das Bild von der Ergänzung von Mann und Frau herausgestellt wurde, war schon die alleinlebende Frau nichts Vollständiges und verdächtig. Also erlebe ich mich in jeder Hinsicht nicht dem traditionellen kirchlichen Menschenbild entsprechend.«
- »Ich wuchs in einem von christlichem Gedankengut geprägten Elternhaus auf, in dem diesbezüglich relative Offenheit herrschte. Als Mädchen konnte ich mich im Gottesdienst nirgends finden. Heute arbeite ich in einer diakonischen Einrichtung. Frauen opfern sich auf - Männer treffen Entscheidungen. Ich gehe täglich mit Menschen um, denen das Recht auf Sexualität abgesprochen wird, geschweige denn Annäherungen, Zärtlichkeiten auf gleichgeschlechtlicher Ebene. Der Bereich der Sexualität ist tabu. Meine Gefühle kann ich nicht offen zeigen, sondern ich lebe nach innen, in Träumen, und hoffentlich irgendwann einmal wirklich. Sätze, die mir von engagierten Christen gesagt wurden, wie: >Als homosexueller Mensch kannst du nicht Christ sein<, verunsicherten mich und rissen mir den Boden unter den Füßen weg; zumal dies noch Menschen sagten, die ich mochte und die mir wichtig waren. Ich soll mich entscheiden, wurde mir immer wieder gesagt, zwischen Jesus und meinem Lesbischsein. Und für mich war immer die Frage: Wie denn?, denn mein Lesbischsein habe ich nie als Wahl empfunden, als freie Entscheidung, sondern so war ich, von Kind an. Kirche ist für mich keine Lobby. Vorbilder fand ich darin keine. Auf welche lesbische Frau, die akzeptiert ist, sollte ich mich beziehen können? Eher auf den Teufel, der in mir steckt, wie mir gesagt wurde.«
- »Ich bin hauptberuflich in der Gemeinde und in kirchlichen Gruppen tätig. Ich muß mich verstecken, weil ich sonst meine Anstellung gefährde.«
- »Durch religiöse Sozialisation und verwandtschaftliche Beziehungen zu kirchlichen Mitarbeitern (Mitglieder der Bekennenden Kirche im Dritten Reich), später durch jahrelange ehrenamtliche Tätigkeit als Kirchenvorsteherin und als Mitarbeiterin in der Altenarbeit bis heute bin ich der Kirche immer verbunden gewesen. Dazu kommt, daß ich zusammen mit meiner Partnerin an Selbsterfahrungsgruppen, die in der Gemeinde angeboten und vom Gemeindepfarrer durchgeführt wurden, teilgenommen habe. Persönlich habe ich also Kirche und Gemeinde als Ort kennengelernt, wo ich als Mensch in meiner Lebensform toleriert werde.«
- »Ich bin zur Zeit mit der Kirche nicht mehr in Verbindung, habe auch schon mit dem Gedanken gespielt, aus der Kirche auszutreten. Diesen Schritt habe ich aber noch nicht getan, teilweise aus Angst vor beruflichen Nachteilen, teilweise wohl auch aus Bequemlichkeit. Mein Interesse an Kirche war schon einmal ganz geschwunden, ist aber durch bestimmte Strömungen wie >Frau und Kirche<, >Feminismus und Theologie< wieder wach geworden. Für mich ist die Kirche immer noch eine Kirche der Männer, und ich finde mich als lesbische Frau in ihr ziemlich fehl am Platze.«
- »Ich bin evangelisch, sehr fromm, sehr kirchlich und mit viel Begeisterung aufgewachsen. Glaubensmäßig hat sich sehr viel verändert seit meiner Entdeckung des Lesbischseins. Wenn, dann würde ich mich noch am ehesten matriarchal gläubig bezeichnen, kann in diese Definition auch die intensiven, teils aus der charismatischen Bewegung stammenden Glaubenserfahrungen und persönlichen tiefgreifenden Veränderungen integrieren, umfassender deuten und weiterentwickeln. Zu regulären Gottesdiensten gehe ich nicht mehr - aus Überzeugung. In Verbindung stehe ich mit evangelischer und katholischer Kirche zum einen aus Berufsgründen, als Referentin usw.; zum anderen dort, wo es um feministisch-theologische Auf- und Umbrüche geht. In spezieller Verbindung zur evangelischen Kirche stehe ich auch durch die Teilnahme an lesbisch-feministisch-theologischen Tagungen und durch die Kirchentage, wo in meinen Augen ganz wichtige politische Arbeit geleistet wird. Wenn überhaupt, dann fühle ich mich durch diese Kirchentage ganz bewußt der evangelischen Kirche zugehörig und bin auch stolz darauf.«
Aufgrund der Aussagen der Frauen, unserer Erfahrungen von Seminaren, Gesprächen und Diskussionen lassen sich einige Schwerpunkte zusammenfassen, die hier im Buch angesprochen werden sollen, sicher aber noch weiterer Bearbeitung bedürfen:
- Lesbische Frauen in den Kirchen sind nahezu unsichtbar, deshalb kämpft jede ihre Identitätsfrage als einzelne durch. Es gibt dort keine Modelle, nicht einmal literarische; denn über Frauengeschichte(n) wird kaum berichtet, geschweige denn über Frauenliebe. So finden Frauen nicht in der Kirche, sondern eher in feministischen Bewegungen Möglichkeiten, sich mit ihrer Lebensform auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, die verschwiegene Geschichte aufzudecken, in die Vergangenheit zu gehen, zu zeigen, daß Lesbischsein Frauengeschichte ist; aber ebenso wichtig, sich heute als lesbische Frauen zu treffen und sichtbar zu werden.
- Lesbische Frauen werden oft als »abweichend«, »neurotisch«, »fehlentwickelt« hingestellt, und es wird ihnen Therapie empfohlen, damit sie sich »normalisieren«! Egal aus welchen Problemstellungen heraus lesbische Frauen Therapie suchen, sie sehen sich dort oft mit offener und versteckter Diskriminierung konfrontiert. Es ist dringend nötig, daß lesbische Frauen ihre Erfahrungen reflektieren und ihre Forderungen nach »stärkender« Therapie einbringen und daß sich vor allem auch kirchliche Beratungsarbeit dazu eine neue Konzeption und Schulung der Therapeutinnen und Therapeuten überlegt, die darauf basiert, Lesbischsein als eine lebenswerte Existenz und Lebensform anzuerkennen.
- Viele lesbische Frauen sind aktive haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen der Kirchen. Sie sind engagierte Frauen, die sich in ihrem Beruf einsetzen. Ihre Lebenserfahrung stellt eine Bereicherung dar, sie leben und erproben Liebe unter Gleichen, Beziehungen der Freundschaft und sind so gesehen auch Modelle, die der kirchlichen Diskussion Impulse geben können.
- Lesbische Frauen sehen sich mit einer Kirche konfrontiert, die in ihren Verlautbarungen einzig und allein die Mann-Frau-Beziehung auf die göttliche Schöpfungsordnung zurückführt: »In den Schöpfungsberichten werden Mann und Frau in ihrer gegenseitigen Angewiesenheit aufeinander als vom Willen des Schöpfers einander zugeordnete Menschen verstanden. Mann und Frau finden ihre Erfüllung erst im wechselseitigen Gegenüber. Diese Ergänzung von Mann und Frau zur Ganzheit eines Gegenübers wird als Ziel des göttlichen Schöpferwillens bezeugt.«[10] Und: »Jesu Verkündigung des göttlichen Heilswillens versteht das geschlechtliche Leben als allein in der Ehe erfüllt und diese als ausschließliche Einehe (Matth. 19, vgl. 1. Mose 2,23).«[11] Für viele stellt sich damit die Frage, ob sie nicht lieber aus einer Institution mit solchen Einstellungen ausscheiden sollten, oder ob sie viel Kraft investieren und ihren eigenen positiven Beitrag zum Thema »Menschliche Beziehungen« und »Gottesbeziehungen« einbringen wollen. Ohne Konflikte wird das letztere kaum möglich sein.
Lesbische Frauen haben sich mit einer theologischen Ethik auseinanderzusetzen, die ihnen falsche Alternativen aufzwingen will, wie sich in der Aufforderung frommer Christen zeigt, die verlangen, daß frau sich zwischen Jesus und dem Lesbischsein entscheiden soll. Die Aussagen zur Homosexualität, wie sie in kirchlichen Verlautbarungen - zum Beispiel in der »Denkschrift zu Fragen der Sexualethik« oder im »Evangelischen Erwachsenenkatechismus« - auftauchen, sind ambivalent. Man will einerseits tolerant sein und eine neue Einstellung zur Homosexualität finden - es darf »die weitverbreitete unreflektierte Verurteilung der Homosexualität als widernatürliches, schuldhaftes Verhalten nicht beibehalten werden« [12] und »es gehört zu unseren Aufgaben, auch den homosexuellen Nächsten voll anzunehmen und zu tolerieren«[13]. Andererseits meinen die Autoren doch sagen zu müssen: »Die evangelische Kirche versteht die Homosexualität als sexuelle Fehlform und lehnt ihre Idealisierung ab. Das ist aber eine andere Beurteilung als die frühere moralisch verurteilende, die die Bestrafung als einzige Reaktionsmöglichkeit kannte.«[14] Damit wird letztendlich deutlich, daß viele Homosexualität immer noch ähnlich wie Paulus sehen, der Frauen- und Männerliebe als widernatürliche Unzucht, als Sünde bezeichnete, die »die, welche solches verüben, des Todes würdig«[15] macht. Nur selten wagt eine Organisation der Kirche, eindeutig positiv Stellung zu beziehen und sich dafür schwere Kritik einzuhandeln, wie das durch eine Handreichung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen geschah: »Handeln von Christen hat seinen Ausgangspunkt in der Liebe Gottes zu allen Menschen, wie sie in Jesus Christus offenbar wird. Diese Liebe umgreift alle Schöpfung, obwohl diese gefallen, entfremdet und geschädigt ist. Sie gilt allen Menschen, ob sie hetereosexuell oder homosexuell sind ... Christen wirken um der Menschen willen daran mit, daß Ordnungen geschaffen und erhalten werden, die menschliches Leben und Zusammenleben fördern. Das gilt für Ehe und Familie ebenso wie für andere Formen menschlichen Zusammenlebens. Alle Verantwortlichen in Kirche und Diakonie sind aufgerufen dazu beizutragen, daß auch homosexuelle Menschen in Freiheit, ohne Versteckspiel und ohne von andern verurteilt zu werden, einander begegnen können. Heterosexuelle und Homosexuelle sollen miteinander bedenken können, was der Erbauung der Gemeinde und den Menschen dient. Nicht nur die Verwirklichung des eigenen Soseins oder die Durchsetzung eigener Wertvorstellungen können dabei Thema sein. Unter diesen Voraussetzungen können Homosexuelle grundsätzlich in allen Bereichen der Diakonie beschäftigt werden.«[16]
- Frauen finden kaum Identifikationsmöglichkeiten im christlichen Glauben, wie er in der von Männern dominierten Kirche gelehrt wird - lesbische Frauen nahezu gar keine. Wir wissen, daß die Bilder und Vorstellungen, die von Menschen für das Göttliche verwandt werden, aus deren sozialer und geschichtlicher Wirklichkeit stammen. So ist die Norm der höheren Wertschätzung des Mannes und der Mann-Frau-Beziehung auch in der Bibel zu finden, da sie Teil patriarchaler Kultur ist und diese auch heute noch durch die Auslegung stabilisieren hilft.
Wir glauben an einen Gott, der sich ausschließlich in männlichen Bildern entfaltet, der Vater, Sohn und Heiliger Geist ist. Das Weibliche wird »nur« als Mutter des Sohnes geachtet. Es ist notwendig, daß auch lesbische Frauen sich auf den Weg machen und sich selbst als Subjekte des Glaubens verstehen. Sie müssen ihre Erfahrungen einbringen, neue Bilder und Deutungen wagen und so Sinnzusammenhänge für sich schaffen, damit ihre Wertschätzung der Frau und ihre Beziehungen zu Frauen auch in ihrer Religion und ihrem Glauben vorkommen.
Viele lesbische Frauen haben sich auf den Weg der religiösen Identitätsfindung gemacht. Und viele von uns tun dies außerhalb der Kirche in neuen matriarchalen, spirituellen Gemeinschaften.[18] Viele wollen das immer noch innerhalb der Kirche oder zumindest innerhalb des christlichen Glaubens tun, wo sie ihre Wurzeln, ihre Schwestern und Brüder haben. Oft kostet es viel Kraft, den Satz »Wir sind Kirche« zu leben. So schreibt eine Frau: »>Wir sind Kirche<, sagt meine Freundin immer, und dann braucht uns auch nicht so sehr zu kümmern, was Kirchenleitungen sagen und tun - aber ich kann das immer nicht so ganz nachvollziehen.
Ich mache mir schon Gedanken, warum ich meine Kraft in eine Institution stecke, die mich gar nicht haben will. Eine Kirche, in der Frauen eh schon kaum vorkommen und Lesben gleich gar nicht - was will ich in der? Habe ich Ziele zur Veränderung? Woraufhin? Woher nehme ich die Kraft? Irgendwie fehlt mir meist das >Dennoch des Glaubens<, wie es oft so schön heißt.« Aber wenn wir Veränderungen erreichen wollen, dann nur, wenn wir nicht aus Angst schweigen, sondern uns einbringen. »Euer Schweigen wird euch auch nicht schützen«, sagt Audre Lorde, denn »natürlich habe ich Angst, weil die Verwandlung in Sprache und Aktion ein Akt der Selbst-Entdeckung ist, und dieser Akt scheint immer voll Gefahr... Wo es um die Verteidigung des Schweigens geht, zeichnen sich für jede von uns die Züge unserer Angst ab - Angst vor Verachtung und Zensur, vor irgendeinem Urteil oder davor, erkannt zu werden. Angst vor der Herausforderung oder der Vernichtung. Aber ich glaube, am meisten Angst macht uns unsere bloße Sichtbarkeit, ohne die wir andererseits gar nicht leben können ...
Diese Sichtbarkeit, die uns am verwundbarsten macht, ist aber gleichzeitig die Quelle unserer größten Kraft.«[19] Wir drei Autorinnen, zusammen mit anderen Frauen, wollen zum Prozeß des Sichtbarwerdens beitragen. Wir möchten anderen lesbischen Frauen Mut machen, die Herausforderung ihres sogenannten »Andersseins« anzunehmen, im Wissen darum, daß es Schwestern gibt, und wir wollen die sogenannten »normalen« Frauen und Männer in den Kirchen einladen, sich dem Thema des Buches zu stellen.