Frauen in den Gewerkschaften, 1860-1875

Die industrielle Entwicklung der Nordstaaten, die bereits während des Bürgerkrieges eingesetzt hatte, wurde durch den vierjährigen Konflikt enorm beschleunigt. Die Ausrüstung und Unterhaltung großer Armeen und außerdem die ständig fortschreitende Expansion nach Westen brachten ein Kapitalwachstum auf breiter Ebene mit sich, das durch den Ausgang des Krieges - den Sieg der freien Lohnarbeit über die Sklavenarbeit - noch weiter angeheizt wurde. Der Handels- und Industriegigant Amerika war in das Stadium der Reife getreten.
Die kämpfende junge Arbeiterbewegung, die keineswegs mit der Rezession und Panik des Jahres 1857 zusammengebrochen war, erhob sich zu neuem Leben; ihre Wiedergeburt wurde ausgelöst durch die hohen Kriegspreise, die harten Lohnkämpfe und die Einführung arbeitskräftesparender Maschinerie. In einem Industriezweig nach dem anderen bildeten sich zum ersten Mal nationale Gewerkschaften; 1870 waren es zweiunddreißig: Eisengießer, Eisenbahner, Bergleute, Maschinisten, Schiffskalfaterer, Bauarbeiter aller Art, Zigarrenarbeiter, Drucker etc.
Die Zahl der Fabrikarbeiterinnen nahm ständig zu. Aus den im Census von 1850 aufgeführten 225 922 Arbeiterinnen waren 1860 270 987 und 1870 323 370 geworden.[1] Tausende von Frauen wurden dadurch auf den Arbeitsmarkt gezwungen, daß ihre Männer in die Bundesarmeen eintraten, als Krüppel zurückkehrten oder im Feld starben. Die meisten von ihnen hatten keine Ausbildung, auf die sie sich hätten stützen können, und strömten in die Nähereiberufe, wo ihre Situation verzweifelt war. Bereits 1865 schickte eine Gruppe Näherinnen aus Cincinnati an Präsident Lincoln eine Petition mit der Forderung, das System der Unterverträge für Armeeuniformen abzuschaffen, denn es reduzierte ihren Verdienst so, daß er unter dem Existenzminimum lag. Sie erklärten ihren Patriotismus und ihre Bereitschaft, diese von der Armee benötigte Arbeit zu tun, führten aber aus:
»Wir sind nicht imstande, mit den von den Vertragspartnern gebotenen Preisen unser Leben zu bestreiten; sie werden fett durch ihre Verträge, mit denen sie einen immensen Profit aus der Arbeit derer schinden, die sie ausführen. Zum Beispiel bekommen diese Kontraktmacher für das Dutzend grauer Wollhemden 1,75 Dollar, verlangen aber von uns, daß wir sie für einen Dollar das Dutzend machen ... In der Hosen-, Blusen-, Mäntel-, Unterhosen-, Zelt- und Persenningherstellung zeigen sich dieselben Unregelmäßigkeiten und Ungerechtigkeiten für die Arbeiter«.[2]
Daß die Frauen sich in dieser schrecklichen Zwangslage befanden, war für die nach billiger Arbeitskraft suchenden Unternehmer nur von Vorteil und bedrohte in jedem Gewerbe, in das Frauen eintraten, die Versuche der Männer, ihre Bedingungen durch Organisation zu verbessern. Die ersten
beiden nationalen Gewerkschaften, die Frauen zuließen, weil so viele von ihnen in dem Gewerbe arbeiteten, waren 1867 die Zigarrenarbeiter und 1869 die Drucker. Ähnlich stand die Zunahme von Arbeiterinnen in den verschiedenen Branchen auch hinter dem Interesse, das die Nationale Arbeiter-Union an den Frauen bewies, eine kurzlebige, locker verbundene Föderation von nationalen Einzelgewerkschaften, die von William Sylvis geleitet wurde. Sylvis war Präsident der Eisengießer-Gewerkschaft, ein Mann mit radikalen Neigungen, der die Frauenrechtsbewegung unterstützte und begriff, daß letztlich die Interessen von Arbeitern und Arbeiterinnen unteilbar waren. Bei ihrem ersten Kongreß 1866 verabschiedete die Nationale Arbeiter-Union folgende Resolution:
»Wir geloben unsere individuelle und ungeteilte Unterstützung für die Näherinnen und Töchter der Schwerarbeit in diesem Land und möchten beschleunigen, daß sie von ganzem Herzen mit uns kooperieren, weil sie wie wir wissen, daß keine Klasse der Industrie so dringend der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen bedarf wie die Fabrikarbeiterinnen, Näherinnen usw. dieses Landes.«[3]
Die Organisierung von Arbeiterinnen nahm zu dieser Zeit verschiedene Formen an. Eine war die der Gewerkschaft, entweder als unabhängige Gruppe, die sich auf die Frauen einer bestimmten Industrie beschränkte, oder als Teil einer schon bestehenden Gewerkschaft, in der Frauen zugelassen wurden. Eine andere Form war der Arbeiterinnenverein, der alle Frauen aufnahm, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten mußten. Eine dritte war der Schutzverein, der ebenfalls Frauen jeglichen Gewerbes oder Berufs aufnahm, sich aber beschränkte auf Wohlfahrtsprobleme wie Rechtshilfe und Vermittlung anständiger Arbeitsplätze.
Schutzvereine für Arbeiterinnen entstanden in vielen Städten, so z. B. Chicago, St. Louis, Indianapolis, Boston, Philadelphia und New York, aus den Nöten der unterbezahlten Frauen während des Krieges, von denen viele am Rande des Verhungerns lebten. Im Winter 1863/64 unterbreitete eine namenlose Maschinistin dem Herausgeber der New York Sun, Moses S. Beach, die Idee, einen Saal zu mieten und in seiner Zeitung für eine Frauenversammlung zu werben. Die Frauen kamen zu Hunderten, wußten aber nicht recht, wie sie vorgehen sollten:
»Die Halle war gefüllt - voll-mit erregten, zitternden Frauen, aber sie wußten nicht, was sie tun oder wie sie sich verhalten sollten, und bald war die Szene in höchstem Maße verwirrt. An diesem kritischen Punkt ging eine mütterliche Frau auf die Herren zu und bat sie, einzugreifen. Auf ihre ernsthafte Bitte hin willigte schließlich ein Kurzwarenhändler - später wurde er Kongreßabgeordneter - ein, den Vorsitz zu übernehmen, und unter seiner Leitung wurden die Angelegenheiten dieses Abends diskutiert. Dann wurde ein Ausschuß zusammengestellt, der sich mit einem Unterausschuß von Herren beraten und geeignete Verbesserungsvorschläge entwerfen sollte, die dann der nächsten Versammlung vorgelegt werden sollten. Dieser gemeinsame Ausschuß beriet viele Stunden lang in einem Hotel in der Bowery die Angelegenheit, prüfte viele zu diesem Zweck erschienene Arbeiterinnen und nahm sie ins Kreuzverhör. Aber es schien keine abschließende Entscheidung möglich, bis einer der Anwesenden feststellte, daß es nur eine Möglichkeit gebe, die Schwierigkeiten abzustellen, daß man nämlich die Bezahlung für vollendete Arbeit sichere. An dieser Stelle riefen alle Frauen wie aus einem Mund: >Oh, wenn wir immer für unsere Arbeit bezahlt werden könnten, würden wir über die Runden kommen.<«[4]
Wir können nur vermuten, ob etwa die bei dieser Versammlung anwesenden »Herren« das Ziel verfolgten, dafür zu sorgen, daß die Frauen nicht über die Zügel schössen und sich auf »behebbare Schwierigkeiten« beschränkten, also auf Beschwerden, die ein Unternehmer für legitim hielt. Jedenfalls kam am Ende eine Art Rechtshilfegesellschaft heraus, die in den fast fünfzig Jahren ihres Bestehens, unterstützt durch einige führende Köpfe der New Yorker Anwaltskammer, dabei half, daß die Frauen einen Teil der ihnen zustehenden mageren Summen zusammenbekamen. Es ist auch durchaus möglich, daß die Frauen ohne das Eingreifen von Kaufleuten und Geschäftsleuten, denen es darum ging, die Organisation der bedürftigen Frauen in nicht-militante Kanäle abzuleiten, gar keine bleibenden Ergebnisse zustandegebracht hätten. Unter der Führung von Susan B. Anthony waren sie nicht erfolgreicher (mit einer Ausnahme); sie verwendete während der zwei Jahre, in denen sie ihre eigene Zeitung The Revolution herausgab, beträchtliche Zeit und Mühe darauf, solche Organisierung von Frauen zu unterstützen, vor allem gegen Ende des Jahres 1868. Ein typischer Artikel, wie ihn ihre Zeitung häufig brachte, ist der folgende:
»Eine Versammlung von Damen wurde am Nachmittag des 17. September in den Büroräumen der Revolution in der Park Row 37 abgehalten, mit dem Zweck, einen Arbeiterinnen-Verein zu organisieren, der für die Interessen seiner Mitglieder auf dieselbe Weise eintreten kann, wie die Vereine der Arbeiter inzwischen die Löhne usw. derjenigen regeln, die ihnen angehören.«[5]
Die Versammlung, aus der sich ein Arbeiterinnen-Verein bildete, stellte einen Querschnitt durch die Denkströmungen dar, die damals unter Frauen entstanden. Da war Mrs. Stanton mit ihrer Überzeugung, Frauen könnten sich niemals wirklich für selbstgewählte Ziele einsetzen, solange sie kein allgemeines Stimmrecht hatten; sie drängte die junge Organisation, eine Stellungnahme zur Unterstützung des Frauenwahlrechts abzugeben. Ebenfalls anwesend waren ein paar im neuen Schriftsetzergewerbe beschäftigte Frauen, unter ihnen Augusta Lewis (»eine brünette Dame mit anziehenden dunklen Augen«), die ihre männlichen Kollegen gut genug kannte, um zu erklären, daß die Organisation, wenn sie sich mit dem Frauenwahlrecht identifizierte, von jenen sofort mit dem Etikett »kurze Haare, Bloomer-Kleidung und anderer Firlefanz« versehen würde; es sei besser, die Schriftsetzerinnen zuerst wegen »geschäftlicher Angelegenheiten« zusammenzurufen und ihnen erst später etwas zur Frauenwahlrechtsfrage beizubringen. Miss Lewis kam mit diesem Punkt durch. Aber auch sie hatte Illusionen, die sie im Laufe der nächsten zwei Jahre erst verlernen mußte. Eine Illusion war ihr Glaube, das Haupthindernis für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen bei gleicher Menge Arbeit liege darin, daß die Frauen ihr Handwerk oder ihr Gewerbe nicht so gründlich wie die Männer lernen konnten, weil sie immer erwarteten zu heiraten. Miss Lewis war zu Anfang auch sicher, daß die Männer so offen wären, sich in der Frage der gleichen Bezahlung überzeugen zu lassen, »wenn wir es ihnen richtig beibringen«.[6] Sie mußte sich eines anderen belehren lassen.
Miss Lewis war eine gebildete Frau, die Zeitungsartikel schrieb und ihren eigenen Leistungsstandards entsprach; sie beherrschte die Kunst des Schriftsetzens so vollendet, daß sie berühmt wurde für ihre Fähigkeit, den gesamten Text von Rip Van Winkle (24 993 Anschläge in kompressem Pariser Schriftsatz) in sechseinhalb Stunden zu setzen.[7] Als aus dem Arbeiterinnenverein der Schriftsetzerinnenverein Nr.1 hervorging, wurde Miss Lewis seine Präsidentin. Die neue Gewerkschaft erhielt ermutigende Unterstützung von der etablierten Druckergewerkschaft der Männer in New York, Sektion Nr.6. Bei ihrem allerersten Treffen verlas der Schriftführer der Sektion Nr.6 einen Brief, in dem diese Gewerkschaft gelobte, »eurer Bewegung mit allem, was uns möglich ist, zu helfen, denn wir wissen, daß eure Interessen mit unseren eigenen identisch sind. Wir sind übereingekommen, für eure Versammlung einen Saal zu mieten, euch mit Büchern, Schreibsachen usw. zu versorgen und alle anderen Ausgaben, die ihr euch notwendigerweise aufladen müßt, um euren Verein in Gang zu bringen, zu übernehmen, und zwar so lange, bis eure Gewerkschaft imstande ist, sich selbst zu tragen«.[8]
Nie zuvor hatten Arbeiterinnen derartige Zusicherungen und solche Ermutigung erhalten. Kein Wunder, daß Miss Anthony, die anwesend war und sah, wie ihre flügge gewordenen Kinder sich in Bewegung setzten, Feuer fing und zu größeren Taten drängte:
»Mädchen, ihr müßt euch diese Angelegenheit jetzt zu Herzen nehmen, denn ihr habt eine Gewerkschaft aufgebaut und steht zum ersten Mal in der Geschichte der Frauen in den Vereinigten Staaten durch eure eigene Kraft auf derselben Stufe wie Männer, soweit dies möglich ist, um den Lohn für eure Arbeit durchzusetzen. Ich brauche euch nicht zu sagen, daß ihr auf dem Weg zum Erfolg einen großen, einen riesigen Schritt vorwärts geschafft habt. Bleibt dabei, Mädchen, und ihr werdet vollen und reichlichen Erfolg ernten.«[9]
Eine Zeitlang sahen die Dinge erfolgversprechend aus. Im Juni 1869 legte eine Delegation der Sektion Nr. 6 auf dem Nationalen Gewerkschaftskongreß in Albany eine Petition der Frauensektion Nr. 1 vor, die ihren Beitritt beantragte. Miss Lewis und die Schatzmeisterin der Ortsgruppe, Eva B. Howard, waren bei allen Sitzungen der Konferenz anwesend und arbeiteten schwer für die Anerkennung ihrer Organisation, und Miss Lewis hielt eine Rede vor der Versammlung. Der Beitritt wurde gewährt, nachdem der nationale Vorsitzende betont hatte, daß die Frauen ihn verdienten: »Obwohl Setzerinnen sehr großzügige Angebote gemacht wurden, damit sie an den Plätzen der streikenden Männer arbeiteten, ließ sich kein einziges Mitglied der Frauengewerkschaft dazu hinreißen. Der Vorsitzenden ihrer Organisation wurden Angebote gemacht, Setzerinnen in andere Städte zu schicken; das hatte zum Ziel, die Löhne der Männer zu kürzen, aber in jedem Fall wurden die Angebote ausgeschlagen.«[10]
                

Als Augusta Lewis beim Kongreß von 1870 als Delegierte der Frauensektion Nr. 1 auftrat, wurde ihr die Anerkennung zuteil, als Schriftführerin der nationalen Gewerkschaft für das nächste Jahr gewählt zu werden. Das war kein Ruheposten: bedeutender als die ihr zuteilgewordene Ehre war die Tatsache, daß sie ihn mit einzigartigem Geschick ausfüllte.[11] Ihr Bericht an die Gewerkschaftskonferenz von 1871, der ein umfassendes Bild der Druckindustrie einschließlich der Einstellungsbedingungen und der Lohntabellen aus einem Dutzend Städte gab, ist das erste derartige Dokument in der Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung, das von einer Frau stammt. Ihre Information wurde zusammengetragen durch Briefwechsel mit Männern, die damals noch nicht daran gewöhnt waren, sich mit einer Frau in einer solchen Funktion abzugeben; daß Miss Lewis es geschafft hat, sie zur Zusammenarbeit zu bewegen, ist bereits für sich selbst genommen ein Verdienst. Der Vorsitzende sagte in seinem jährlichen Bericht an den Kongreß:
»Der Argwohn gegenüber ihren Fähigkeiten, von dem Miss Lewis anläßlich ihrer Übernahme des Postens der Schriftführerin sprach, ist durch die Tatsachen nicht bestätigt worden. Sie hat auf ihrem Posten selten anzutreffenden Fleiß, Eifer und Intelligenz bewiesen . . . Die Einzelheiten über den Zustand des Gewerbes in den verschiedenen Orten in unserem Zuständigkeitsbereich wurden so vollständig und klar von ihr zusammengetragen, daß ich euch hinsichtlich diesbezüglicher Information nur auf ihren sehr umfassenden Bericht verweisen kann.«[12]
Die Schriftführerin verlor bei ihrer Arbeit auch nie den wesentlichen Grund aus den Augen, der sie dazu bewogen hatte, ihr Zögern zu überwinden und den Posten anzunehmen: »ein Glied in die Kette zu fügen, die sich über die Kluft der bis heute gespaltenen Interessen von männlichen und weiblichen Druckern spannen läßt«.[13] Mit persönlichen Interviews und durch Briefwechsel versuchte Miss Lewis die Möglichkeiten von bereits in der Gewerkschaft organisierten Druckerinnen zu erweitern und anderen bei der Organisierung zu helfen. Leider verwirklichten sich die Hoffnungen nicht, mit denen sie selbst in die Gewerkschaft eingetreten war, daß nämlich die Männer in der Branche einsähen, daß die Forderung der Frauen nach gleicher Bezahlung vernünftig war und daß sie ein gemeinsames Interesse an einem solchen Ziel hatten. Die Sachlichkeit ihres Berichts an den Kongreß von 1871 verhüllt nicht ihre Bitterkeit:
»Wir weigern uns, die Plätze der Männer einzunehmen, wenn sie im Streik stehen, und wenn nicht gestreikt wird und wir in den Gewerkschaftsbüros Arbeit suchen, wird uns von gewerkschaftlichen Obleuten erzählt, >da sind keine Möglichkeiten für uns vorgesehene In vielen Kontoren werden wir verfemt, weil wir Gewerkschaftsmitglieder sind, und obwohl unsere Grundsätze richtig sind, können wir doch bei so vielen Nachteilen nicht mehr sehr lange zusammenhalten... Unter den Setzerinnen herrscht die allgemeine Ansicht, daß sie gerechter behandelt werden von Leuten, die >streikbrechende< Vorarbeiter, Drucker und Unternehmer genannt werden, als von den Männern in der Gewerkschaft.«[14]
Augusta Lewis heiratete 1874 Alexander Troup, der Schatzmeister der Gewerkschaft gewesen war und den Druckerinnen sehr geholfen hatte. Das Ehepaar zog nach New Haven, wo Troup die Arbeiterzeitung New Haven Union herausgab. Augusta Lewis zog sich von der Gewerkschaft (aber nicht von der Reformarbeit) zurück.[15] Die winzige Frauensektion Nr.1, die auf ihrem Höhepunkt vierzig Mitglieder zählte, hatte aus den von Miss Lewis so triftig beschriebenen Gründen ohne sie einen schweren Stand. Bis 1874 war sie auf ungefähr achtundzwanzig verwegene Seelen geschrumpft und 1878 gab sie ihr Bestehen auf; die nationale Gewerkschaft ging danach zu der Politik über, künftig keine weiteren Frauensektionen mehr zuzulassen, sondern Frauen auf derselben Grundlage wie Männer als Mitglieder aufzunehmen; das entsprach der Praxis der Zigarrenarbeitergewerkschaft. Eine solche Politik hatte entschiedene Nachteile. Frauen blieben eine, noch dazu unwillkommene Minderheit in allen Gewerben und Organisationen, zu denen sie zugelassen wurden. Sie bekamen keine Gelegenheit, eigene Führerinnen aufzubauen oder die Aufmerksamkeit auf ihre besonderen Probleme zu lenken, wozu Miss Lewis kraft ihrer Position als Konferenzdelegierte und aufgrund ihres Gewerkschaftsamts noch in der Lage gewesen war. Noch war keine Lösung dieses Problems möglich. Versuche der Frauen, sich untereinander zu organisieren, scheiterten jedesmal, auch wenn sie zuweilen die sporadische Unterstützung von Männergewerkschaften bekamen. Die wiederholten Anstrengungen, die Hutmacherinnen, Kragennäherinnen, Wäschereiarbeiterinnen, Schneiderinnen, Textilarbeiterinnen, Schuhbinderinnen und Stickerinnen, Schirmnäherinnen und Verkäuferinnen während des Bürgerkriegs und bis 1873 unternahmen, um Gewerkschaften zu gründen, zeugen nicht so sehr von Optimismus als vielmehr von ihrer verzweifelten Lage.[16]
Die während ihrer kurzen Geschichte innerhalb der Arbeiterbewegung am bekanntesten gewordene Frauengewerkschaft war die der Kragenmacherinnen und Wäschereiarbeiterinnen von Troy (New York), auf der anderen Seite des Hudson, genau gegenüber von Albany, wo Emma Willards berühmtes Seminar zu Hause war. Es ist unwahrscheinlich, daß irgendeine der Kragenmacherinnen die Vorzüge dieser Institution genossen hat, obwohl die Herstellung der auswechselbaren Kragen für Männerhemden zuerst in den Häusern angesehener Damen ausgeführt wurde, die sich etwas Taschengeld verdienen wollten. Aber aus der Herstellung und Wäsche der Kragen entwickelte sich in Troy eine größere Industrie. Mrs. Hannah Lord Montagu war es müde geworden, jeden Tag ein Hemd ganz zu waschen und zu bügeln, nur weil die Halskrause schmutzig geworden war, und erfand den ersten abnehmbaren Kragen; ihr Ehemann Orlando, ein in den Ruhestand getretener Methodist, machte aus dieser Idee seiner Frau ein profitträchtiges Geschäft.[17] Über die Bedingungen, unter denen die Frauen in den Wäschereien arbeiteten, erfahren wir etwas aus einer Resolution, die von einer der frühen Gewerkschaften vorgeschlagen wurde: lange Stunden bei Temperaturen bis zu hundert Grad, »während die Gerätschaften, mit denen sie arbeiten, noch einmal genausoviel und ständig mehr Hitze abgeben«.[18] 1863 schlössen sie sich zusammen, begannen einen Streik und setzten höhere Löhne durch. Drei Jahre später war ihre Organisation gefestigt genug, um die phänomenale Summe von 1000 Dollar an die ausgesperrte, streikende Eisengießergewerkschaft zu senden; diese Geste wurde weder von der Gewerkschaft noch ihrem Führer William Sylvis jemals vergessen. 1868 erreichten sie eine weitere Lohnerhöhung, und ihre Führerin Kate Mullaney wurde von Sylvis zum stellvertretenden Sekretär der Nationalen Arbeiter-Union gewählt. Außer dieser und der anderen Tatsache, daß sie mit Susan Anthony und anderen prominenten Frauen jener Tage bekannt war, wissen wir nichts über diese dynamische und unbezähmbare Frau, was über die bloßen Fakten des Aufstiegs der Wäschereiarbeiterinnengewerkschaft und ihres schließlichen Untergangs hinausginge. Im Frühjahr 1869 forderten die Kragenbüglerinnen Lohnerhöhungen von einem halben, einem, anderthalb und zwei Cents für das Dutzend, »je nach der Größe des Artikels«; als ihre Forderung abgelehnt wurde, streikten sie von neuem, und die Stärkerinnen, die selber keine Lohnerhöhungen forderten, streikten zusammen mit ihren Gewerkschaftsschwestern, so daß am Ende 430 Frauen im Ausstand waren. Der Troy Whig, eine im Ton und in ihrer Unterstützung der Gewerkschaften gewöhnlich liberale Zeitung, bezeichnete ihn als »unglücklichen und unzeitigen Streik«, aber es gab Unterstützung von vielen Gewerkschaften aus dem Drucker- und Baugewerbe, von den Eisenarbeitern, Schuhmachern usw.; die einzelnen Summen reichten von 25 bis 250 Dollar, und in einer Woche gingen allein 558 Dollar ein.[19]
Prominente Gewerkschaftsvertreter hielten Reden bei einer Massenkundgebung auf den Stufen des städtischen Gerichtsgebäudes; Pläne für eine Wäscherei-Kooperative wurden angekündigt, mit der man den etablierten Firmen die Verfügungsgewalt über die Arbeiter entziehen wollte. Am 19. Juli wurde ein höchst gelungenes Picknick veranstaltet - die konservative Troy Times bezeichnete es als »monströse Affäre«, und der Whig berichtete, daß die Straßen der umliegenden Dörfer entvölkert waren, weil jeder zum Picknick gegangen war;[20] es brachte den Streikenden einen Reingewinn von 1200 Dollar. Eine weitere große Versammlung am 23.Juli, bei der Richard Trevellick, ein nationaler Arbeiterführer, sprechen sollte, wurde jedoch ohne Erklärung abgesagt. Das Gewerkschaftstreffen eine Woche später sprach sich nicht nur für die Rückkehr der Arbeiterinnen zu ihrem Arbeitsplatz, sondern für die Auflösung der Gewerkschaft aus.
Die einleuchtendste Erklärung für dieses Debakel liegt im plötzlichen Tod von William Sylvis, der nach kurzer Krankheit starb, was die gesamte Arbeiterbewegung nahezu in Panik versetzte und den Kragenbüglerinnen jede weitere Hilfe entzog. Die Unternehmer waren schnell bei der Hand, diesen unerwarteten Vorteil zu nutzen. Am 30. Juli, einen Tag vor dem Gewerkschaftstreffen, brachte die Troy Times vier an auffälliger Stelle placierte Anzeigen für neue Papierkragen, »um die wachsende Nachfrage unserer Mitbürger nach diesen gepriesenen Gütern zu befriedigen«, und bedrohte damit die Arbeitsplätze der Wäschereiarbeiterinnen. Die Unternehmer trafen sich, um über ein gemeinsames Vorgehen bei der Wiedereinstellung der »alten Arbeitskräfte« zu beratschlagen; vielen von ihnen wurden Stellungen in einer neuen riesigen Fabrik angeboten.[21] Dieser Anschlag, gepaart mit der durch Sylvis' Tod erfolgten Demoralisierung, hatte den gewünschten Erfolg. Die Gewerkschaft verschwand über Nacht; die Wäscherei-Kooperative, die sie ins Leben gerufen hatte, hielt sich nur wenige Wochen länger. Ein anderes kurzes Kapitel in der Organisation von Arbeiterinnen wurde in Lynn (Massachusetts) geschrieben, das lange das Zentrum der Schuhindustrie gewesen war. Wie in Troy waren auch in Lynn die neuen Massen von Arbeitsimmigranten noch nicht eingetroffen; die Frauen, die früher in Heimarbeit und jetzt in der Fabrik das Oberleder lochten, waren hauptsächlich irisch-schottischer und englischer Abstammung, aber seit Generationen Amerikanerinnen. Aus ihrer Unzufriedenheit über die niedrige Bezahlung und die lange Arbeitszeit entstand eine zwar kurzlebige, aber einzigartige Gewerkschaft, die sich auch auf andere wachsende Zentren der Schuhfabrikation ausdehnte und eine nationale Organisation wurde - die Daughters of St. Crispin, nach dem Vorbild der Knights of St. Crispin, der Gewerkschaft der männlichen Schuharbeiter, und von diesen gelegentlich unterstützt. Wie alle frühen Arbeiterinnenorganisationen (mit Ausnahme der Textilarbeiterinnen aus Lowell) haben die Daughters of St. Crispin keine Spuren hinterlassen, und alles, was heute über ihre Geschichte bekannt ist, findet sich verstreut über die Arbeiterpresse jener Epoche. Die Gründungsversammlung fand am 28. Juli 1869 statt (genau um die Zeit, als die Kragenwäscherinnen-Gewerkschaft von Troy zusammenbrach), und zwei Frauen aus Lynn - Miss Carrie Wilson und Miss Abbie Jacques - wurden zur Präsidentin bzw. Sekretärin gewählt. Innerhalb weniger Monate war die Organisation auf vierundzwanzig Logen angewachsen, vierzehn in Massachusetts, die anderen verteilt auf Maine, New York, New Hampshire, Pennsylvania, Ohio, Illinois, Wisconsin und Kalifornien.[22]
Bis 1872 wurden jährlich Versammlungen abgehalten, und zwei Funktionärinnen wurden als Delegierte zum Kongreß der Nationalen Arbeiter-Union von 1870 gesandt. Im selben Jahr verabschiedeten die Daughters of St.Crispin eine Resolution mit der Forderung nach »derselben Entlohnung für gleiche Qualifikation bzw. für dieselbe Arbeitszeit, wie sie anderen Arbeitern derselben Gewerbezweige gezahlt wird; und wir betrachten die Ablehnung dieses Rechts durch irgend jemanden als widerrechtlichen Übergriff und Betrug«. Sie fügten dann freilich, vielleicht weil sie das Gefühl hatten, solch harte Sprache könnte sie die Unterstützung durch Gegner gleicher Rechte für Frauen kosten, noch eine versöhnende Bemerkung hinzu: »Wir versichern unseren Mitbürgern, daß wir lediglich unsere Bedingungen zu heben und zu verbessern wünschen, um besser gerüstet zu sein für die Erfüllung der hohen sozialen und moralischen Pflichten, die jeder wahren Frau zufallen.«[23] 1872 versuchten die Schuhfabrikanten von Lynn, die Löhne zu kürzen und jede Arbeiterin zur Unterschrift unter einen Vertrag zu zwingen, wonach sie ihre Kündigung zwei Wochen vorher bekanntgeben oder andernfalls 5 Dollar ihres Lohns als Bußgeld zahlen müßte. Eine Versammlung von neunhundert Frauen stimmte einmütig dafür, sich einer solchen Forderung nicht zu fügen, und beschloß eine Reihe von Resolutionen, die verdienen, insgesamt zitiert zu werden:

  • »Wir, die hier versammelten Arbeiterinnen, nehmen die folgenden Resolutionen als ernsten Ausdruck unserer Empfindungen an: In Anbetracht dessen, daß wir seit langem deutlich die Notwendigkeit verspüren, unsere Rechte und Privilegien als frei geborene Frauen zu schützen, und entschlossen sind, sie und unsere Interessen als Arbeiterinnen mit all unseren Fähigkeiten zu verteidigen, sei erklärt, daß wir, die Arbeiterinnen von Lynn, bekannt als Oberlederfertigerinnen für Schuhe und Stiefel, unseren höchst feierlichen Protest gegen jede Kürzung der Löhne, unter welchem Vorwand auch immer sie geschieht, anmelden; und daß wir uns keiner Regelung unterwerfen werden, die nicht gleichermaßen unsere Unternehmer betrifft. Wir erklären, daß wir den Schuhmachern von Lynn für ihr Interesse und ihre Entschlossenheit, uns in der Zeit der Not beizustehen, danken.
  • Wir erklären, daß wir, die freien Frauen von Lynn, uns keiner Regelung oder Sammlung von Vorschriften unterwerfen werden, die unsere Degradierung oder Versklavung anstreben.
  • Wir erklären, daß wir keine Bedingung annehmen werden, weder die Kürzung der Zahlung, noch die Vorankündigung der Kündigung, noch ein vom Lohn abgezogenes Bußgeld betreffend. Daß wir den Geist des Eigennutzes und der Engherzigkeit verwerfen, der die letzte Aktion unserer Möchtegern-Unterdrücker ausgebrütet hat, und nicht zögern werden, den ungerechten Übergriffen auf unsere Rechte auf angemessene Weise Widerstand entgegenzusetzen.
  • Wir erklären, daß eine Abschrift dieser Resolutionen jedem Mitglied des Komitees gegeben wird, damit sie jeder Arbeiterin in jeder Werkstatt gezeigt werden und deren Unterschrift erhalten können; und sollte irgendeine Angestellte der Werkstatt eine Lohnkürzung oder schlechte Behandlung erfahren, werden wir so lange die Arbeit niederlegen, bis sie ihre Rechte erhalten hat.
  • Wir erklären, daß eine Abschrift des Obigen in den Lynner Zeitungen abgedruckt und eine Menge weiterer Kopien hergestellt wird, die unter den Arbeiterinnen verteilt werden können.«[24]

Diese Frauen wußten ganz offensichtlich, wie sie sich zu verhalten hatten, was für Repressalien zu erwarten waren, wie sie sich durch gemeinsame Aktion dagegen zu schützen hatten, wie man die Presse benutzt und daß man die Resolutionen verbreiten muß, um Unterstützung in der Nachbarschaft zu bekommen. Sie waren ebenso entschlossen wie erfahren, und das Ergebnis war, daß die Unternehmer zurückstecken mußten - weder die Lohnkürzungen noch die Kündigungsanzeige kamen damals durch. Wenn auch die Daughters of St. Crispin nie als die Organisation erwähnt werden, deren sich die Frauen bei dieser Gelegenheit bedienen konnten, so müssen doch wenigstens einige von ihnen Mitglied gewesen sein, denn obwohl der Orden nach diesem kurzen Höhepunkt einen raschen Niedergang erlebte, hinterließ er in Lynn am längsten, bis 1876, seine Spuren. Aber wie viele andere Gewerkschaften konnte auch sie der anhaltenden Panik und Depression nicht standhalten, die im September 1873 durch den Bankrott des Bankhauses Jay Cooke & Company ausgelöst wurde und bis 1878 dauerte.
Die nächste Welle von Organisationsbemühungen unter den Arbeiterinnen erfolgte erst mit dem Aufschwung der Knights of Labor in den 1880er Jahren. Viele der Frauen, die ihnen beitraten, waren bei den kurzlebigen Organisationen der sechziger und siebziger Jahre dabeigewesen, aber den Arbeiterinnen hatte bisher bei ihrer Organisierung immer die Kontinuität gefehlt, die bei den Männern zu finden war. Einzelne Frauen treten kurz auf und verschwinden wieder; ein vielversprechender Ansatz bricht in einer Industrie oder einer Stadt für kurze Zeit hervor. Ungelernt und dürftig bezahlt, wie sie sind, verlassen die Frauen ein Gewerbe zugunsten des nächsten, mehr versprechenden - oder geben den Arbeitsplatz auf, um zu heiraten und Kinder zu gebären. Es gibt nicht einmal Geld für Beiträge, ganz abgesehen von Streikkassen, oder ein Gerüst zur Aufrechterhaltung der Organisation (wie es die Sektion Nr. 6 der jungen Ortsgruppe der Schriftsetzerinnen geboten hatte). Bemittelte Frauen mit Beziehungen und Einfluß, wie jene, die die entstehende Frauenrechtsbewegung jahrzehntelang am Leben erhalten hatten, hatten sich noch nicht für die Interessen von Arbeiterinnen zu interessieren begonnen oder die Beziehung zwischen ihren eigenen und deren Zielen erkannt; in merklichem Umfang geschah das erst um die Jahrhundertwende.
Aber die Mißstände blieben - niedrige, ungleiche Löhne, lange Arbeitszeiten, unwürdige Behandlung durch Vorarbeiter und Bosse -, und ebenso hielten sich die unermüdlichen, sporadischen, erfolglosen Versuche, sich dagegen zu organisieren. So kurzlebig sie auch scheinen mögen, sie wiesen doch jenen den Weg, die nach ihnen kamen und denen der Aufbau dauerhafterer Organisationen gelang.