Frauengewerkschaften

Während der Jahre zwischen 1903 und dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 erstarkten die ersten Gewerkschaften, die hauptsächlich aus Frauen bestanden. Diese Gewerkschaften sind heute ein fester Bestandteil der amerikanischen Arbeiterbewegung.
Solche Gewerkschaften entstanden naturgemäß in der Textilindustrie mit ihrem großen Anteil an weiblichen Arbeitskräften, deren Arbeitsbedingungen einen starken Anreiz schafften, sich zu organisieren. Trotz einiger Fortschritte, wie Fabrikinspektionen, Gesetzgebung und beginnender Resonanz in der Öffentlichkeit, herrschten in den Betrieben der Zentren der Bekleidungsindustrie in New York, Philadelphia und Chicago nahezu alle Mißstände, die die moderne Produktionsweise in ihren schlimmsten Auswirkungen kennzeichnen.[1]
Die Werkstätten waren meist klein und befanden sich in schmutzigen alten Gebäuden, die nie gereinigt wurden und deren sanitäre Einrichtungen und deren Feuerschutz unglaublich schlecht waren. Die Fenster waren mit Nägeln verschlossen, und durch die verrußten Scheiben drang nur wenig Licht. Das Zischen der Antriebsriemen und das Stampfen der Maschinen waren ohrenbetäubend. Die Arbeiterinnen waren zum größten Teil erst vor kurzem eingewandert. Ihre mangelnden Englischkenntnisse, ihre Jugend, Unerfah-renheit und die Tatsache, daß sie verzweifelt auf Arbeit angewiesen waren, lieferten sie der Willkür von Boss und Vorarbeiter aus. Es gab unentwegt Geldstrafen: für Reden, Lachen oder Singen, für Maschinenölflecke auf der Ware, für zu große oder zu krumme Stiche, die wiederaufgetrennt werden mußten, wobei das Material reißen konnte, was weitere Geldstrafen bedeutete. Der Arbeitstag dauerte nicht selten bis zehn Uhr abends, Überstunden wurden nicht bezahlt, und zum Abendessen gab es nur ein Butterbrot. Die Löhne (für hochqualifizierte Arbeit) betrugen nur sechs Dollar die Woche und wurden außerdem oft nicht ausbezahlt, und die armen Immigranten hatten keine Mittel und Wege, an das ihnen zustehende Geld zu kommen.[2] Die frühesten Ortsgruppen der heutigen Internationalen Textilarbeiterinnengewerkschaft (International(* Bezieht sich auf Kanada. (A. d. Ü.) Ladies Garment Workers Union) gehen auf das Jahr 1900 zurück. Damals kam es in New York zu erbittert geführten Streiks: 1907 bei den Matrosenjackennäherinnen und im darauffolgenden Jahr bei den Hosennäherinnen. Aber der erste bedeutende Streik, nicht nur in der Geschichte dieser Gewerkschaft, sondern der Organisation von Arbeiterinnen überhaupt, fand 1909/1910 in New York und Philadelphia bei den Hemdblusennäherinnen statt. Die Organisation dieser Arbeiterinnen machte nur sehr langsame Fortschritte, als sich in zwei der größeren Betriebe Protest gegen die unerträglichen Bedingungen erhob: und zwar bei Leiserson & Co. und bei der Triangle Waist Company, die zwei Jahre später eine noch grausigere Berühmtheit erlangen sollte. Beide Betriebe traten im September 1909 in den Ausstand und der Streik schleppte sich hin, bis am 22. November in der Cooper Union*(* Gewerkschaftlicher Versammlungsort (A.d.Ü.)) eine Massenversammlung der Hemdblusennäherinnen einberufen wurde, auf der weitere Aktionen beschlossen werden sollten.
Der Saal war brechend voll, und Tausende, die keinen Einlaß mehr bekommen konnten, drängten sich in den überfüllten Vorräumen. Es gab zahllose Reden prominenter Arbeiterführer: darunter Samuel Gompers höchstpersönlich neben führenden Mitgliedern der Sozialistischen Partei (der viele Arbeiterinnen aus der Bekleidungsindustrie angehörten), Mary Dreier von der New Yorker Frauengewerkschaftsliga (New York Women's Trade Union League) und verschiedene Führerinnen dieser Gewerkschaft. Die Versammlung drohte vor lauter Ansprachen zu versanden, als ein kaum zwanzigjähriges Mädchen aus dem Leiserson-Betrieb, Clara Lemlich, aufstand und um das Wort bat. Trotz ihrer Jugend war sie bereits als alte Kämpferin in früheren Streiks bekannt, der die Polizei bei einem Angriff auf einen Streikposten mehrere Rippen gebrochen hatte. Sie bahnte sich den Weg zur Tribüne und forderte die Versammelten mit zündenden Worten auf, mit dem Gerede Schluß zu machen und endlich zu handeln: »Ich bin Arbeiterin, und ich gehöre zu denen, die gegen die unerträglichen Bedingungen streiken. Ich habe es satt, Rednern zuzuhören, die nur in allgemeinen Begriffen reden. Wir sind hier, um zu beschließen, ob wir weiterstreiken sollen oder nicht. Ich schlage eine Resolution vor, daß der Generalstreik erklärt wird - sofort!«[3]
In einer Welle der Begeisterung, von der selbst der Vorsitzende ergriffen wurde, riß sie die Menge mit. Er rief laut die Frage aus, ob sie den alten jüdischen Schwur ablegen wollten: »So ich den Eid, den ich jetzt schwöre, verrate, möge mir die Hand, die ich jetzt erhebe, an meinem Arm verdorren!« und der gesamte Saal erhob sich und leistete den Schwur. Der darauffolgende Streik wird unterschiedlich als die »Revolte« oder »der Aufstand der Zehn-, Zwanzig- oder Dreißigtausend« beschrieben.[4] Wie viele es auch immer gewesen sein mögen, über die Bedeutung des Streiks bestehen keine Meinungsverschiedenheiten: Er war nicht nur der erste »Generalstreik« seiner Art, sondern auch der erste große von Arbeiterinnen geführte Streik überhaupt und eine überzeugende Antwort auf die fadenscheinigen Argumente, daß Frauen nicht fähig seien, sich zu organisieren, und man nicht auf sie zählen könne, wenn es darum geht, einen langen und harten Kampf durchzustehen.
Dieser Streik der Hemdblusennäherinnen ließ auch zum erstenmal etwas entstehen, das der vielschichtigen Struktur eines Streiks von heute nahekommt. Diese wurde in täglicher mühevoller Arbeit von einer kleinen und schwachen Gewerkschaft und ihren noch unerfahrenen Helfern aufgebaut (die New Yorker Frauengewerkschaftsliga trat nahezu unvorbereitet und unerfahren in den Kampf und ging als ausgereifte Organisation daraus hervor). Man hatte geschätzt, daß um die 3000 Arbeiter in den Streik treten würden; stattdessen waren es viele Tausende, verschiedener Nationalität, von denen 75% Frauen waren. Wenn Tag für Tag 1000 bis 1500 neue Mitglieder einer Organisation beitreten, gerät schon allein die Schreibarbeit zum Problem, ganz abgesehen von Aufgaben wie der Organisierung solcher Menschenmassen zu Streikposten und der Schaffung einer verantwortungsbewußten Streikführung, die der Konfrontation mit der Polizeigewalt gewachsen war und Kautionszahlungen, Streikhilfe und Wohlfahrtsunterstützung bereitstellen konnte. In New York brauchte man 24 Säle allein für die Streikversammlungen und bei jeder von ihnen Redner in Jiddisch, Italienisch und Englisch.
Der wichtigste Beitrag der Frauengewerkschaftsliga bestand darin, das Anliegen der Streikenden an die Öffentlichkeit zu bringen und die Hilfe von Frauen zu gewinnen, die für Hunderte verhafteter Streikposten Kautionen stellen konnten. Finanzielle Unterstützung leisteten unter anderem Mrs. Henry Morgenthau, Mrs. Oliver H. P. Belmont, Carola Woerishoffer und Mrs. Lawrence Lewis aus Philadelphia. Im New Yorker Colony Club beriefen Mrs. Belmont, Miss Anne Morgan und Mrs. J. Borden Harrimaneine Versammlung ein, auf der die Streikenden ihr Anliegen darstellten. Die hierbei gesammelten 1300 Dollar waren nur ein verschwindend kleiner Beitrag für die Gruppe der hier anwesenden reichen Elite, aber die Versammlung brachte den Streikenden unbezahlbare Publizität. Mrs. Belmont und Dr. Anna Shaw sprachen auf einer riesigen Kundgebung im New Yorker Hippodrom, das Mrs. Belmont gemietet hatte. Ende Dezember breitete sich der Streik nach Philadelphia aus, wo Margret Dreier Robbins, die nationale Präsidentin der Liga, die Unterstützung von einflußreichen Mitgliedern der Frauenclubs und Suffragetten gewann.
Aber die Hauptlast des Streiks, die Leiden und Opfer, lagen auf den Arbeiterinnen selbst. Mitten im tiefsten Winter hielten die Hemdblusennäherinnen, von denen viele zwischen 16 und 25 Jahren alt waren, 13 Wochen in bitterer Kälte und Hunger durch. Nicht einmal ihre neu gewonnenen Freunde oder die Arbeiter, die sie schließlich zur Unterstützung veranlassen konnten, waren imstande, die nötigen Beträge für Mieten, Lebensmittel, Krankenversorgung und andere lebensnotwendige Dinge aufzubringen; trotzdem schätzte man die für den Streik faktisch aufgewandten Gelder auf 60 000 Dollar, was für damalige Zeiten eine Riesensumme war. Trotz wiederholter Angriffe seitens der Polizei, die Dutzende unterschiedslos niederknüppelte und in die Grüne Minna (»Black Maria«) zerrte, standen die Frauen Tag für Tag Posten und trugen dabei Plakate mit Slogans wie »Wir streiken für menschenwürdige Behandlung« und »Wir streiken für Gerechtigkeit«.
Die Gerichte dachten anders und verhehlten nicht ihre Voreingenommenheit. Wie sie die Streikenden behandelten, war so offenkundig vorurteilsbeladen, daß Lillian Wald, Ida M. Tarbell, Mary Simkovitsch und andere Bürger einen offenen Protestbrief schrieben, der in der Presse veröffentlicht wurde. Ein Richter beschuldigte die Streikenden: »Ihr streikt gegen Gott und Natur, deren oberstes Gesetz es ist, daß der Mensch sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen soll. Ihr befindet Euch im Streik gegen Gott.« Diese Episode wurde eine weitere hervorragende Quelle von Publizität für den Streik in der Öffentlichkeit. Als George Bernard Shaw von dieser Anklage Kenntnis erhielt, telegraphierte er zurück: »Köstlich. Das mittelalterliche Amerika nach wie vor in intimer Vertrautheit mit dem Allmächtigen persönlich.«[5]
Trotz seiner heroischen Ausmaße blieb der Kampf doch in einer Hinsicht erfolglos. Die Betriebe trafen einer nach dem anderen einzelne Vereinbarungen, die in manchen Fällen nur wenige Vorteile brachten; am 15. Februar wurde der Streik abgebrochen. Aber seine Auswirkung auf die Arbeiterbewegung war unschätzbar. Von jetzt an sollte niemand mehr so leicht behaupten können, jeder Versuch, Frauen zu organisieren, sei sinnlos. Es gab noch ein grauenvolles Nachspiel zu dem Streik. In dem Hochhaus, dessen achtes, neuntes und zehntes Stockwerk von der Hemdblusenfabrik Triangle benutzt wurde, brach nicht ganz zwei Jahre später ein Feuer aus. (Heute steht ein Gebäude der New Yorker Universität an dieser Stelle der Straße, die vom Washington Square ins Zentrum von Manhattan führt.) Einhundertsechsundvierzig Arbeiter starben, darunter viele junge Frauen. Einige entsetzte Zuschauer wurden ihr Leben lang von dem Bild verfolgt, wie Menschen mit brennenden Kleidern aus den Fenstern sprangen, weil es keinen anderen Ausweg gab; andere kamen im Gedränge vor den versperrten Türen zum Treppenhaus um. Gegen die Triangle Company wurde Anklage erhoben, daß sie die Notausgänge versperrt hätte, um Gewerkschaftsfunktionäre am Eintreten und die Beschäftigten an spontanen Arbeitsniederlegungen und dem Verlassen der Fabrikhallen zu hindern. Die Unternehmer rechtfertigten sich damit, sie hätten die kleinen Diebstähle der Arbeiterinnen unterbinden wollen. Beide Firmeninhaber kamen vor Gericht - und wurden freigesprochen; später mußte der eine von ihnen eine Geldstrafe zahlen - in Höhe von 20 Dollar.[6]
Trotz des enttäuschenden Ausgangs zog der große Streik der New Yorker Hemdblusennäherinnen unmittelbar die nächsten Kämpfe in der Bekleidungsindustrie nach sich, die in der Herrenoberbekleidungsbranche in Chicago ausgetragen wurden. Der Verlauf war dort sehr ähnlich. Es begann mit der Arbeitsniederlegung einer kleinen Gruppe unorganisierter Arbeiter in einer Abteilung von Hart, Schaffner and Marx aus Protest gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen; der Streik griff auf die gesamte Branche über, bis schließlich 45 000 Männer und Frauen aus neun verschiedenen Ländern und allen Altersgruppen vierzehn Wochen lang im Ausstand waren. Auch diesmal blieb der Streik letzten Endes ergebnislos, ausgenommen im Betrieb von Hart, Schaffner and Marx, wo in einem zusammen mit den Vereinigten Arbeitern der Bekleidungsindustrie (United Garment Workers) unterzeichneten Abkommen von historischer Tragweite Schlichtungen, Tarifverhandlungen und ein Arbeiter-Beschwerdeausschuß anerkannt wurden. Wieder einmal leistete die Frauengewerkschaftsliga, deren Chicagoer Büro Mary McDowell vorstand, unersetzliche Hilfestellung, und Mrs. Robins war aktiv in der Streikleitung, die sich vergeblich bemühte, ein Übereinkommen für die gesamte Branche herbeizuführen. In den Ausschüssen der Liga setzten Frauen wie Ellen Gates Starr vom Hüll House, Katherine Coman, Professorin für Wirtschaftswissenschaften in Wellesley, und Sophonisba Breckenridge von der Chicagoer Universität ihren Einfluß zugunsten der Streikenden ein.
Wieder bewiesen die Frauen in den Betrieben ihr Durchhaltevermögen. Mrs. Robins wies darauf hin, daß unter ihnen nicht nur Tausende bereits Mütter waren, sondern daß in diesem harten Winter die streikenden Frauen und die Ehefrauen von streikenden Männern 1250 Kinder gebaren; sie berichtete von einer jungen Frau, die umgeben von drei kleinen Kindern in einem ungeheizten Zimmer neben ihrem Neugeborenen lag und der Besucherin der Liga erklärte: »Wir geben unseren Kindern nicht nur Brot... Wir leben von der Freiheit, und ich werde bis zu meinem Tod kämpfen, damit ich die meinen Kindern geben kann.«[7]
Als die Frauengewerkschaftsliga 1903 mit dem erklärten Ziel gegründet wurde, Arbeiterinnen bei der gewerkschaftlichen Organisierung zu helfen, stand die Mitgliedschaft allen offen, »die sich bereit erklärten, die bereits bestehenden Gewerkschaften mit weiblichen Mitgliedern zu fördern und neue Gewerkschaften für Lohnempfängerinnen zu gründen.« Um dieses Ziel zu gewährleisten, sollte der Exekutivausschuß sich wie folgt zusammensetzen: »Die Mehrheit... soll aus Frauen bestehen, die angesehene Gewerkschaftlerinnen sind oder waren, und die Minderheit aus denen, die dafür bekannt sind, der Sache der Gewerkschaften ernsthafte Sympathie entgegenzubringen und für sie zu arbeiten.«[8]
Diese Zusammensetzung wurde tatsächlich erst nach 1907 erreicht, dem Jahr, als aus den Reihen der Industriearbeiterinnen immer mehr Frauen als Organisatorinnen unter den Arbeiterinnen verschiedener Berufszweige hervortraten: die Schuharbeiterinnen Mary Anderson und Emma Steghagen, die Mützennäherin Rose Schneiderman, die Handschuharbeiterinnen Agnes Nestor und Elisabeth Christman (beide gehörten zu den wenigen Frauen, die je in der nationalen Gewerkschaftsführung dieses Landes Posten innehatten), die Putzmacherin Melinda Scott, die Fahrkartenkontrolleurin Josephine Casey, die Warenhausverkäuferin Stella Franklin, die Kellnerin Elizabeth Maloney und die Druckerin Maud Swartz. Die Chance, sich durch Handeln und durch die Übernahme von Verantwortung zu entfalten, die die Liga den Frauen verschaffte und die ihnen innerhalb der AFL weitgehend verwehrt worden war, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vor Mrs. Swartz, die 1921 Präsidentin der Liga wurde, hatte keine andere Arbeiterin diesen Posten innegehabt. Bis dahin war er nacheinander mit drei finanziell unabhängigen Frauen besetzt gewesen, die alle fähig und ihrer Aufgabe voll ergeben waren: Mrs. Kehew, Mrs. Charles Henrotin (ehemals Präsidentin des Allgemeinen Verbands der Frauenclubs) und Margaret Dreier Robins, die von 1907 bis 1921 als Präsidentin amtierte. Daß die Geschichte der Liga untrennbar mit der Geschichte der Arbeiterinnen in den Vereinigten Staaten verbunden ist, ist ein Zeugnis für die Treue, mit der die Organisation unter der Führung dieser drei Frauen an den Zielen ihrer Gründerinnen festhielt.
Von 1905 an gab es kaum einen Streik von Arbeiterinnen, an dem die Frauengewerkschaftsliga nicht aktiv beteiligt war, um die Streikenden oder Streikposten zu organisieren, Streik- oder Kautionsgelder aufzubringen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren oder Freitischküchen und Wohlfahrtskomitees einzurichten. Aus den ursprünglich drei Ligen, Boston, New York und Chicago, waren bis 1911 elf geworden; die neuen Büros befanden sich in Springfield, Illinois, St. Louis (gegründet von der Kellnerin Hannah Hennessy, die 1910 an Tuberkulose starb), Cleveland, Kansas City, Baltimore und Denver. Über diese Gruppen oder Funktionärinnen bzw. Organisatorinnen auf nationaler Ebene war die Liga nicht nur in den großen Streiks in der Bekleidungsindustrie von 1910 und 1911 aktiv, sondern arbeitete auch zusammen mit den Kragenstärkerinnen in Troy (New York), den Textilarbeiterinnen in Lawrence und Fall River (Massachusetts), den Brauereiarbeiterinnen in Milwaukee, den Korsettnäherinnen in Bridgeport (Connecticut), den Telefonistinnen in Boston und den Wäschereiarbeiterinnen in New York.
Dies alles wurde trotz äußerst knapper finanzieller Mittel getan. Jahrelang war so wenig Geld in der Kasse, daß keine Tagung oder Jahreskonferenz abgehalten werden konnte; die Versammlung in Norfolk (Virginia) im Jahre 1907, die Verfassung und Programm der Liga überarbeitete und Mrs. Robins in das höchste Amt einsetzte, bestand aus sieben Frauen. Das nationale Büro bestand jahrelang aus einem Schreibtisch in der Redaktion einer Chicagoer Arbeiterzeitung namens Union Labor Advocate, die der Organisation in ihrer Zeitung auch Platz für eine Frauenspalte einräumte. Die Liga erlangte allmählich größere Stabilität und erweiterte ihr Programm. Der Kongreß von 1909 stellte Richtlinien für die Gesetzgebung auf (zur Anleitung der Ortsligen bei ihrer Arbeit für den 8-Stunden-Tag, einen Mindestlohn in den »Schwitzbuden« und die Abschaffung der Nachtarbeit) und gab ein Handbuch über die Verhältnisse in den in der Liga vertretenen Gewerbezweigen heraus. Der Kongreß von 1910 arbeitete ein Programm für die Streikaktivität der Ortsligen aus, in dem sich die Lehren aus den aufreibenden Kämpfen des vergangenen Jahres in New York und Philadelphia niederschlugen. 1911 brachte die Liga ihre eigene Monatsschrift heraus, Life and Labor, deren lebendige Seiten jahrelang von der in Australien geborenen Alice Henry betreut wurden und die die Fortschritte der Arbeiterinnen dokumentierte.
Oberflächlich betrachtet waren die Beziehungen zwischen der Liga und der AFL herzlich und kooperativ. So oft wie möglich wurden die Versammlungen der Liga zur selben Zeit und am selben Ort wie die der AFL abgehalten. Aber das Verhältnis war zwangsläufig schwierig. Die AFL war froh über die neuen Mitglieder, die ihr die Arbeit der Liga zuführte; aber als das daraufhinauslief, daß die Liga nur noch als Anreiz für weitere Organisierung der Frauen durch AFL-Gewerkschaften auftrat, wurde die Zusammenarbeit zu einem Ärgernis. Die AFL-Führer mochten die Verdienste der Liga, besonders in so schweren Kämpfen wie den Streiks in der Bekleidungsindustrie, zwar würdigen, nahmen aber entschieden Abstand von solchen Aktionen zugunsten von Arbeiterinnen, die ein Fortbestehen der Liga erübrigt hätten.[9]
Schätzungen darüber, wie viele Frauen im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts den Gewerkschaften beitraten, weisen notgedrungen große Fehlerquellen auf. (Viele Gewerkschaften führten keine nach Geschlechtern getrennte Mitgliederkartei.) Professor Wolman nimmt für das Jahr 1910 eine Gesamtzahl von 76 748 Frauen an, wobei die meisten den Gewerkschaften der Bekleidungs-, Textil- und Tuchindustrie, des Buchbindereigewerbes, der Schuh- und der Tabakindustrie, des Einzelhandels und der Gewerkschaft für Musik und Theater angehörten.[10] Daß diese Zahl lediglich 1,5% aller Lohnempfängerinnen dieser Zeit und nur 5,2% aller Frauen in Industriebetrieben umfaßt, unterstreicht das Ausmaß der Aufgabe, die noch zu bewältigen war, wenn Arbeiterinnen die Verkürzung der Arbeitszeit, höhere Löhne, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze durchsetzen wollten. Nur solche Erfolge konnten ihnen ein gewisses Maß an Gleichheit in einem Land gewährleisten, in dem der Lebensstandard anstieg und die Demokratie zunahm. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß für Frauen, die einen 10- bis 12-stündigen Arbeitstag hatten, die nur halb soviel verdienten wie die Männer, deren Leben oft voll und ganz von der »Schwitzbude« beschlagnahmt war und die ihrem Vorgesetzten gegenüber keinerlei Schutz genossen, was ihre persönliche Würde und die Sicherung des Arbeitsplatzes anging, »gleiche Rechte« mehr bedeuteten als nur die Frage besserer Ausbildung und des
Wahlrechts.[11] Für sie hieß Gleichberechtigung auch bessere Bezahlung ihrer Arbeit, Feuer- und Unfallschutz, Schutz vor den Zudringlichkeiten der Vorarbeiter und die Möglichkeit, zu ihren häuslichen Aufgaben heimzukehren, bevor sie vollständig erschöpft waren. Solange nicht mehr Arbeiterinnen im Rahmen der Gewerkschaften für diese Ziele arbeiten konnten, waren andere Themen abwegig und unrealistisch, was zum Teil von der relativ geringen Teilnahme dieser Frauen an der Wahlrechtsbewegung bestätigt wurde.