Carla, Rosetta und Matilde

CARLA - 26 Jahre alt - lebt in Rom

MATILDE:
Carla, du hast für uns gearbeitet und die Interviews abgetippt. Was haben dir all diese Geschichten von den Frauen gebracht? Was für Gefühle haben sie bei dir ausgelöst? Wie haben sie auf dich gewirkt? Haben sie dir geholfen, Sachen scharf zu sehen, die dir vorher noch nicht klar waren? Haben sie dir etwas gegeben, was du für dein jetziges Leben oder für die Zukunft nutzen kannst?
CARLA:
Ich werde versuchen, alle diese Fragen zu beantworten... Du weißt, daß ich große finanzielle Schwierigkeiten hatte, als ich hierher nach Rom kam. Euer Vorschlag war daher ein Geschenk des Himmels. Zuerst habe ich aus reiner Arbeitshaltung heraus mit dem Tippen angefangen. Ich habe erwartet, daß sie mich nerven wird, denn Tipparbeiten sind oft langweilig. Als ich jedoch allmählich mit der Arbeit weiterkam und diese Geschichten der Frauen las, wurde mir klar, daß es keine Lohnarbeit mehr im üblichen Sinne war, also monotone Arbeit, die wir Frauen oft gezwungenermaßen machen müssen, um zu überleben. Die Arbeit hat mir bald Spaß gemacht, denn dadurch habe ich etwas vom Leben anderer Frauen erfahren. Einige von ihnen habe ich dann auch persönlich kennengelernt, denn ich wurde neugierig. Ich fragte mich, wie sieht X aus, wie Y, denn ihre Gesichter konnte ich mir als einziges nicht vorstellen. Dann habe ich diese Frauen getroffen, ich habe mit ihnen geredet, denn beim Lesen habe ich mich mit ihren Antworten auseinandergesetzt. Ich fragte mich, was ich an ihrer Stelle geantwortet hätte. Es war ein ständiges Auseinandersetzen. Von daher habe ich das Tippen nicht mehr als Arbeit betrachtet. Ich habe Frauen kennengelernt. Das war auch einer der Gründe, vielleicht der entscheidende, warum ich nach Rom gekommen bin. Ich wollte Frauen kennenlernen und mich mit ihnen auseinandersetzen. Es ist klar, daß ich anhand ihrer Geschichten mehr Möglichkeiten hatte, einige meiner eigenen Sachen zu klären, nämlich meine Probleme mit meiner Familie, mit dem Alltag, mit den Frauen... Vorher waren mir diese Sachen noch nicht so klar gewesen. Besonders die eine Frage, die ihr immer gestellt habt... heute könnte ich darauf ganz sicher antworten. Vorher war das nicht der Fall. Als ich sie zum ersten Mal las, fragte ich mich, >Oh Gott, was würde ich sagen?< Die Frage lautet: Bezeichnest du dich als lesbisch? Heute weiß ich sicher, daß ich >ja< sagen würde. Ich bin lesbisch. Das hat für mich eine ganz genaue Bedeutung, nämlich, daß ich eine Frau bin, die Frauen liebt und mein Leben mit ihnen teilen will. Ich möchte mich mit anderen Frauen auseinandersetzen, weil mich ihre Stärke, ihre Ängste und ihre Schwächen etwas angehen. ich habe nämlich die gleiche Stärke, das sind auch meine Ängste und meine Schwächen. Zusammen mit anderen Frauen möchte ich weiterkommen, mich entwickeln. Daher war die Tipparbeit keine Arbeit mehr für mich. Sie hat mir viel gebracht, sie bringt mir noch weiterhin viel, weil ich hiermit ja nicht aufhöre... Übrigens möchte ich dazu noch etwas sagen: Jedes Mal, wenn ich ein Interview fertig getippt hatte, fühlte ich mich komisch. Es war eine Mischung aus Erleichterung, weil ein Teil erledigt war, und Bedauern. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll... so ähnlich, als wenn du dich von einer Freundin, die du spontan getroffen hast, wieder trennen mußt, weil beide nach Hause und zu ihrem Kram gehen müssen. Ich sagte mir dann, >Na gut, das Gespräch ist halt zu Ende<, was aber nicht ganz stimmte, denn es wurde danach mit einer anderen Frau doch wieder weitergeführt.
ROSETTA:
Hat dir das Tippen geholfen, die jeweils besondere Art, wie die Frauen ihr Lesbischsein leben, zu verstehen, zu begreifen?
CARLA:
Bestimmt hat es mir geholfen. Vor allem wurden mir auch die Unterschiede klar zwischen den anderen Frauen und mir. Sehr wichtig war es auch zu erfahren, daß es bei jeder Frau immer anders lief - vor allem, weil jede aus einer anderen Ausgangssituation kam und andere Erfahrungen hinter sich hatte. Obwohl ich selbst in der Öffentlichkeit immer mit meinen Freundinnen zärtlich war, hätte ich noch vor einem Jahr auf die Frage nach dem Lesbischsein negativ geantwortet. Damals glaubte ich nämlich noch an die Bisexualität... weil ich damals, wenn auch nur ab und zu, noch Beziehungen zu Männern hatte. Mit diesen Männern, so ein Zufall, war ich schon früher zusammen gewesen, ich hatte sie sehr geliebt, sie gehörten zu meiner frühesten Jugend, also zu meiner Vergangenheit. Ich will damit sagen, ich suchte schon seit langem keine neue Männerbekanntschaften mehr. Ab einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben hatte ich nämlich keine Lust mehr dazu.
ROSETTA:
Sag mal, du hast deinen Umzug von Sizilien nach Rom erwähnt. Warum hast du eigentlich deine Heimatstadt verlassen?
CARLA:
Als erstes wegen der Arbeit. Ich konnte dort keine Arbeit finden, obwohl ich schon während des Studiums gearbeitet habe. Das waren aber immer nur Gelegenheitsjobs, die ich annahm, um selbständig und ökonomisch unabhängig von meiner Familie zu sein. Das war nämlich immer mein Problem. Nach meinem Abschluß habe ich einen Weiterbildungskurs gemacht, aber ohne Ergebnis. Inzwischen hatte ich einige Frauen kennengelernt und ging in eine Frauengruppe, in der wir alles mögliche zusammen machten.
ROSETTA:
Also eine Annäherung an die Frauenbewegung
CARLA:
Ja, damals habe ich schon Frauen geliebt... in eine Frau war ich sehr verliebt. Da waren in mir bestimmte Bedürfnisse entstanden. So ging’s mir... Ich hatte keine Möglichkeit, mich mit anderen Frauen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation waren. Ich meine damit nicht nur das eine, das Lesbischsein. Ich meine damit, daß ich in meiner Heimatstadt keine Möglichkeit hatte, mich mit anderen Frauen, die nicht zu meinem alten Freundinnenkreis gehörten, auseinanderzusetzen. Die Frauen in der Frauengruppe entzogen sich bestimmten Problemen, wollten sie gar nicht sehen, verdrängten sie lieber. Na ja, sie hatten andere Dinge im Kopf. So eine Frage anzugehen, wie die der sexuellen Identität, macht auch sehr viel Angst. Wenn du alles ein bißchen ankratzen und hinterfragen willst, bringen sie dich um. So war<s... Da habe ich mir überlegt, daß ich für ein Weilchen weggehe. Ich habe mich für Rom entschieden, weil ich hier einige Freundinnen habe und auch andere tolle Frauen kenne. In Rom, so dachte ich, bin ich nicht ganz so fremd. Und so war es dann auch. Also, der wirkliche Grund war, daß ich andere Frauen kennenlernen wollte, meine Erfahrungen mit ihnen austauschen, mich mit ihnen weiterentwickeln und mit ihnen leben wollte. Auch wenn es einem dabei tödlich schlecht gehen kann, und zwar aus Gründen, die wir ja alle kennen, will ich trotzdem mit Frauen leben. Ich liebe sie, wenn sie lachen, weinen, kämpfen, wenn es ihnen schlecht geht, wenn sie sauer werden... denn ich bin mir sicher, daß das Zusammensein die einzige Möglichkeit für uns Frauen ist, uns zu schützen.
ROSETTA:
Ja, Zusammensein, aber nicht so, wie, was weiß ich, in den Dörfern im Süden, also unter allgemeiner Mißbilligung und ganz isoliert.
CARLA:
Ja, so nicht. Ich will kein Leben im Ghetto. Wenn du so willst, habe ich in meiner Heimatstadt in einer Art Ghetto gelebt. Ich konnte mich im Grunde nur mit drei oder vier Leuten wohlfühlen, um die sich zwar andere scharten, es war aber wie ein geschlossener Kreis. Andererseits war es objektiv schwierig... Auf jeden Fall will ich nicht in einem Ghetto leben. Mit anderen Frauen zusammenzuleben, bedeutet für mich, mich zu kennen und zu wissen, wer ich bin und was ich will. Und um mich kennenzulernen, muß ich erst andere Frauen erfahren und entdecken. Mir ist auch klar, daß ich zusammen mit den anderen eine uns übergestülpte männliche Kultur umstoßen und aus den Angeln heben muß. Erst dann können wir losziehen und uns eine neue entwerfen. Mit >Entwerfen< meine ich, daß wir unsere eigene Kultur wiederfinden. Mit Frauen zu leben, heißt für mich nicht nur, zusammen zu wohnen, sich zu amüsieren, zusammen zu arbeiten. Wesentlich für mich ist dabei, daß wir uns gemeinsam entwickeln und etwas aufbauen. An meinem Heimatort hatten wir früher einiges in Bewegung gesetzt, aber in den letzten Monaten schien alles plötzlich einzuschlafen. Tja, wir haben viel geredet, aber es nicht mehr geschafft, konkret etwas auf die Beine zu stellen.
ROSETTA:
Sag mal, vorhin hast du von dieser für dich sehr wichtigen Geschichte mit einer anderen Frau erzählt, die einige Jahre gedauert hat. Fielen bei deiner Entscheidung wegzugehen das Ende und die Art, wie ihr diese Beziehung beendet habt, ins Gewicht?
CARLA:
Ja und nein. Nein, weil ich schon seit längerem die Absicht hatte, in eine andere Stadt zu ziehen. Das erste Mal wurde es mir bewußt, als ich um die 14 war. Ich hatte das immer vor, auch als die Beziehung mit dieser Freundin gut lief. Ich wußte, daß es früher oder später passieren würde. Wenn du so willst, war es positiv für mich, daß ich mich trotz meiner Liebe für sie völlig frei in meinen Entscheidungen gefühlt habe, natürlich nur, soweit es machbar war. Die absolute Freiheit zu fordern, ist idiotisch, meine ich. Ich habe zu ihr gesagt, daß ich sie liebe, daß ich gern mit ihr zusammen bin und mich mit ihr verwirkliche, aber daß ich gehe, wenn meine Interessen und Wünsche mich woanders hinziehen. Denn, das habe ich ihr gesagt, ich kann sie nicht lieben und schätzen, wenn ich mich selbst nicht liebe und schätze. Unsere Trennung und vor allem, wie es geschah, haben meinen Entschluß, nach Rom zu gehen, beschleunigt. Danach habe ich ein ziemlich schlimmes Jahr verbracht, es ging mir sehr schlecht. Vielleicht habe ich Frauenbeziehungen zu viel Bedeutung beigemessen. Naiv wie ich war, glaubte ich, daß alles besser laufen müsse, weil es um Menschen ging, die gleiche Voraussetzungen und Erfahrungen mitbrachten. Keine Wiederholung der gewohnten Verhaltensmuster, keine Gefahr von Rollenverhalten usw. Ich habe damals die vorhandenen Widersprüche und Probleme wohl ziemlich unterschätzt. Gerade Frauen sind im Grunde genommen besonders von der Gesellschaft verstümmelte Menschen... Unterdrückt zu sein, beinhaltet nicht unbedingt, daß du andere Unterdrückte besonders menschlich behandelst.
ROSETTA: Im Gegenteil...
CARLA: Ja... Daher hat das Ende der Beziehung meine Entscheidung beschleunigt, auch weil die räumliche Trennung es mir mehr erlaubte, das zu verarbeiten, was passiert war. Das hätte ich nicht schaffen können, wenn ich dort geblieben wäre. In solch einer Stadt, wo fast jeder jeden kennt, wo du dauernd die gleichen triffst, besonders, wenn du dich in einer bestimmten Szene bewegst, mußt du immer mit Widersprüchen leben. Einerseits, das sah ich rational ein, hatte es keinen Sinn mehr, die Beziehung weiterzuführen. Andererseits war ich von ihr abhängig. Warum? Es ist schwierig zu erklären, wir haben dort häufig darüber gewitzelt, daß du es dir wirklich hunderttausendmal überlegst, ehe du eine Beziehung abbrichst. Denn was machst du dann? Du hast deine Freundschaftsbeziehungen, in denen du eine ganze Menge verdrängen mußt... Oder es passiert gar nichts. Du kapselst dich dann in einer ach so schönen Einsamkeit ab. Das wäre schon was für mich! Alleinsein hat mich nie geängstigt, ich habe sogar mehr Zeit allein verbracht als zusammen mit anderen.
ROSETTA:
Wie alt bist du eigentlich, Carla?
CARLA:
Sechsundzwanzig.
ROSETTA:
Sag mal, allein schon die Tatsache, in Dörfern im Süden als Frau aufzuwachsen, heißt, mit sehr schlimmen Sachen fertigwerden zu müssen. Als dir klar wurde, daß du lesbisch bist, auch wenn du damals das Wort noch nicht benutzt hast, was für Probleme hattest du damit, besonders in deiner näheren Umgebung?
CARLA:
Nun ja, die Probleme waren da, solange ich denken kann. Z.B. erinnere ich mich an Geschichten aus meiner Kindergartenzeit. Ich glaube, ich war in meine Tischnachbarin verliebt. Wenn ich an die Zeit von damals denke, kann ich mich an kein anderes Mädchen außer ihr erinnern, geschweige denn an einen Jungen. Als ihr Vater in eine andere Stadt versetzt wurde, und ich sie deswegen nicht mehr sehen konnte, ging es mir sehr schlecht. Einen Monat lang wollte ich nichts mehr essen. Auch danach war ich immer sehr eng mit meinen Freundinnen zusammen. Heute weiß ich, daß das Liebe war... total verdrängt natürlich. Als ich ungefähr 14 bis 15 Jahre alt war, merkte ich, daß ich ein Mädchen wirklich gern hatte. Ich hatte sie in den Ferien kennengelernt. Ich hätte sie gerne angefaßt, was weiß ich, ich wollte mit ihr Händchen halten, sie streicheln, sie umarmen... Wenn wir es machten, spürte ich immer so merkwürdige Spannungen. Da entstand der erste Verdacht... ich hatte Angst. Gleichzeitig mußte ich aber auch mit einer Anziehung, die Jungens auf mich ausübten, klarkommen. Damals war ich nämlich auch in einen Jungen verliebt. Weißt du, solche Liebschaften von Vierzehnjährigen von früher... total unglücklich, fürchterlich. Jedenfalls, ich mochte auch Männer. Diese Schizophrenie verwirrte mich. >Wer bin ich, wo bin ich, wo gehöre ich hin?<, fragte ich mich verzweifelt. Damit habe ich mich die folgenden zehn Jahre rumgeplagt. Am Ende war ich von meiner Bisexualität überzeugt. Mit vierzehn war ich schon so offen und flexibel, daß ich Homosexualität als Teil der normalen Sexualität sah. Ich lebte sie aus, und schon damals weigerte ich mich, mich als anomal zu betrachten oder so eingeschätzt zu werden. Mein Problem aber war, daß ich mit niemandem darüber sprechen konnte, abgesehen von einem sehr engen Freund, der die gleichen Probleme hatte. Heute sagen wir uns, >Was für ein Glück, daß wir uns damals genau im richtigen Moment begegnet sind.< Ist doch klar, in so einer Stadt, auch wenn du Glück hast, intelligente Leute zu finden, und wir hatten es, aber... Heute hat sich das schon ein bißchen verändert. Aber vor zehn Jahren sah das noch anders aus... Manche Leute dort laufen noch heute Gefahr... tja, du kannst sogar in der Psychiatrie landen. Vor zwei Jahren habe ich dann mein Lesbischsein ganz und gar akzeptiert, und zwar nach einer Zeit... Ich muß gestehen, meine erste Beziehung hatte ich mit einem Mann, als ich 22 Jahre alt war. Der Grund ist schnell gesagt. Irgendwie hatte ich davor Angst, auch wenn mich das ganze eigentlich nicht sehr interessierte. Ohgottohgott, alles, was zum Vorspiel gehörte, hat mich sehr erregt, aber die Penetration nicht. Sie hat mich immer gleichgültig gelassen, obwohl mein Körper da nicht zumachte. Vielleicht wollte ich sie vom Kopf her, und weil es mir nicht gelang, verurteilte ich mich. Später habe ich dann eingesehen, daß ich sie im Grunde nicht wollte, eigentlich immer schon. Mein Körper hatte sich ja auch dementsprechend verhalten. Jedenfalls habe ich die verschiedensten Erfahrungen mit unterschiedlichen Männern gemacht, als mir das alles noch nicht so bewußt war. Alles ging gut, bis sie mit der Penetration anfingen. Dann wurde ich wieder Herrin meiner selbst, sah auf einmal ganz klar, war total distanziert. Das Schlimme dabei war, daß mir nicht bewußt war, was für eine Gewalt ich mir selbst antat.
ROSETTA:
Du hast dich deswegen sehr mies gefühlt. Hast du aus diesem Grund irgendwie versucht, normal zu werden?
CARLA:
Normal, wie?
ROSETTA:
Heterosexuelle Beziehungen als unvermeidliche Erfahrungen zu akzeptieren.
CARLA:
Aber ich wollte die doch machen, verstehst du? Ich meine, es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten würde, daß mir die Erfahrung mit einem Mann wurscht war. Ja, noch etwas. Es war wichtig für mich, diese Erfahrungen zu machen. Da ich heute Frauenbeziehungen habe, wird mir der enorme Unterschied zwischen den beiden Sachen bewußt. Ich habe mich wirklich freiwillig und bewußt für Frauenbeziehungen entschieden. Durch meine Erfahrungen mit Männern ist mir die Problematik wesentlich klarer geworden. Wenn ich beispielsweise sage, daß Männer brutal sind, sage ich das aus eigener Erfahrung, weil ich eben diese Gewalt erfahren habe, obwohl ich niemals direkte Gewalt in Männerbeziehungen erlebt habe. Aber Gewalt ist immer dabei, auch mit Ohrring und mit Softies oder Hausmännern und auch, wenn er dir scheinbar die Führung überläßt...
ROSETTA:
Ja, aber... Was ich gefragt habe, war, ob du die Bestätigung über die Heterosexualität wirklich gewollt hast? Ich frage dich, aber genauso mich, d.h. ich meine, ich habe mich das auch schon gefragt. Inwieweit kannst du sagen, daß du dich bewußt für heterosexuelle Beziehungen entschieden hast, oder war es damals überhaupt keine Frage für dich, daß du dich als Frau mit Männern, mit der Heterosexualität auseinandersetzen mußtest?
CARLA:
Ich bin davon überzeugt, die Mann-Frau-Konditionierung war der Grund dafür. Noch etwas, als 20-21jährige habe ich mitgekriegt, daß meine Freundinnen schon lange richtige Beziehungen zu Männern hatten und ich nicht... Das hat mich bestätigt, daß das wohl nicht meine Sache war. Mir ging<s nicht schlecht, aber trotzdem wollte ich auch diese Erfahrung machen. Nur, wenn ich an jenes erste Mal denke... Es war, ich weiß nicht, als ob ich zum Stempeln gehen würde. Echt belastend, dazu stinklangweilig... Irgendwie mußte ich das aber hinkriegen, dieses Problem aus dem Weg schaffen, diese Erfahrung machen... Ich habe sie gemacht, und zwar ganz klar berechnend.
MATILDE:
Ja, aufgrund deiner Sozialisation...
CARLA:
Genau... trotzdem habe ich einen Mann einmal sehr geliebt, also, ganz schön...
ROSETTA:
Hast du je darüber nachgedacht, was diese Männer, in die du dich verliebt hast, für dich bedeuteten? In was hast du dich da verliebt?
MATILDE:
Waren das Projektionen?
CARLA:
Es ist sehr schwierig, das zu erklären. Damals dachte ich ungefähr so: >Ich möchte eine gleichberechtigte Beziehung zu einem Mann. Ich kann es nicht ertragen, wenn er mich als kleines. Mädchen betrachtet, das er beschützen kann. Ich bin eine Frau und verlange, als eine solche behandelt zu werden. Ich will, daß er in mir eine Partnerin sieht, eine Frau, die ihm ebenbürtig ist, nicht ein Mädchen zum Hätscheln.< Ich habe mich tierisch aufgeregt, wenn mich einer von ihnen >Kleine< nannte. Noch etwas... Guck mal, in den Zeiten, in denen ich in einen Mann verliebt war, hatte ich auch immer eine sehr enge Beziehung zu einer Freundin... Ich war in sie verliebt, heute weiß ich es. Wenn es darum ging, mich zu entscheiden, ob ich mit dem Mann oder mit meiner Freundin ausgehe, habe ich nie Probleme gehabt. Ich habe mich immer für meine Freundin entschieden, ohne länger nachzudenken. Zurück zu deiner Frage: was bedeuteten mir die Männer? Wenn ich an die Männer denke, mit denen ich zusammen war... läßt sich alles über sie sagen, außer daß es feminine Typen waren. Das war erst später... als ich mein Lesbischsein akzeptiert und gelebt habe. Vorher nicht, im Gegenteil, da mochte ich eher hagere dunkle Typen, aber keine Brutalotypen. Wenn ich auch nur die kleinste Spur Brutalität an ihnen wahrnahm, tja, dann war es aus. Meine Freunde haben sich mir gegenüber immer mehr als anständig verhalten. Sie waren sehr zärtlich, ohne dabei gekünstelt zu sein. Wie soll ich das beschreiben... Der eine Mann z.B., den ich sehr geliebt habe, der war zärtlich, liebevoll und fürsorglich zu mir, absolut rücksichtsvoll. Komisch an ihm war allerdings, daß er eigentlich sehr verschlossen und introvertiert war, ja, manchmal war er total störrisch.
ROSETTA:
Einer von der intellektuellen Sorte?
CARLA:
Ja... die von der schwierigen Sorte. Diese Charaktere haben mich immer angezogen. Mit mir wurde er aber zärtlich, wurde sozusagen er selbst. Er ließ alle seine Schutzmechanismen einfach fallen. So war das... er konnte das, weil ich ihm gegenüber nicht meine Macht ausspielte.
MATILDE:
War er älter als du?
CARLA:
Ja, vier Jahre. Aber keiner der Typen ähnelte meinem Vater.
MATILDE:
Aha, deine Familie... Wie ist sie zusammengesetzt? Hast du Brüder, Schwestern? Was für Beziehungen hast du zu deiner Familie gehabt bzw. hast du noch?
CARLA:
Ich bin die älteste von drei Töchtern. Mein Vater, ich glaube, ich habe ihn nie richtig wahrgenommen. Das einzige, was mich mit ihm verbindet, ist die Liebe zur Fotografie, zum Film, zu Schiffen, zum Meer... Das ist die einzige Ebene, auf der wir uns begegnen können. Alles andere... Sendepause... Vielleicht aufgrund unserer ähnlichen Charaktere... Es könnte auch sein, daß mein Vater in mir auf eine sehr widersprüchliche Art und Weise einen Sohn gesehen hat, den er wollte, aber nicht hatte. Er war einerseits sehr von dieser Tochter fasziniert, die er als intelligent wahrnahm, die in der Schule sehr gut war, die Sachen machte, die andere Frauen nicht machten, also, wenig weiblich war im herkömmlichen Sinne des Wortes. Andererseits lehnte er diese Tochter ab. Er legte mir mein Wenig-Frausein zur Last, er drängte mir ein Frauenbild auf, das ich ablehnte und überhaupt nicht annehmen wollte, weil das Frausein für mich etwas ganz anderes ausmachte. Trotzdem existierte eine Form von Solidarität zwischen uns. Er hat mich immer geschätzt und geachtet, trotz meiner Entscheidungen, die er natürlich nicht gutheißt, auch nicht die letzte Entscheidung, nach Rom zu ziehen. Alles in allem weiß ich, daß er mir vertraut.
MATILDE:
Können wir sagen, daß du das Lieblings...
CARLA:
Ja, das bin ich bei allen in meiner Familie, bei Mutter, Vater, meinen Großmüttern und Tanten. Für meine Mutter bin ich die Tochter zum Bewundern... und zum Hassen; denn wegen mir leidet sie immer am meisten. Ich war immer distanziert, das Betätscheln, diese übertriebene Gefühlsduselei konnte ich nicht ertragen. Ich glaube, in den ganzen sechsundzwanzig Jahren habe ich meine Mutter vielleicht zehn Mal umarmt... Es ist sicherlich nicht zufällig, daß meine letzten Umarmungen die spontansten waren... nachdem ich Beziehungen zu Frauen hatte...
ROSETTA:
Und warum konntest du dich früher deiner Mutter nicht nähern?
CARLA:
Ich konnte ihr Verhalten nicht ertragen, vor allem ihre wahnsinnige Verfügbarkeit für die Familie... oder noch schlimmer, ihre Passivität. Noch heute denke ich, daß mein ganzes Leben ein Kampf ist, nicht so zu werden wie sie. Aber manchmal leide ich genau so wie sie. Was soll<s. Also, ihre Passivität hat mich immer aufgeregt, darüber ärgere ich mich heute noch, also ihr ständiges, >Warum ackerst du nur soviel? Je weniger du weißt, desto besser ist es, desto besser kannst du leben... Eine Frau hat doch ihre Bestimmung im Leben...< Je mehr sie so zu mir redete, desto mehr verachtete ich sie. Und dann die Beziehung mit meinem Vater, er ist bestimmt nicht brutal zu ihr, ja, irgendwie hat er sie immer respektiert, trotzdem hat er üble Touren drauf. Was weiß ich. Er hat uns, seine Ehefrau und Töchter, >meine kleinen Fresserchen< genannt. Ich habe ihn deswegen gehaßt. Genauso unverschämt fand ich sein Verhalten in dem einzigen dollen Krach zwischen meinen Eltern, den ich vor ein paar Jahren mitgekriegt habe. Ich habe meine Mutter damals verteidigt und mich gleichzeitig furchtbar über sie geärgert, weil mich ihre Passivität und Unterwürfigkeit nervten. Mich hat das fertiggemacht, und auch da schon habe ich mir geschworen, daß ich mich lieber umbringen würde, als mich solchen Bedingungen anzupassen. Jedenfalls, meine Mutter bewundert mich... mein Distanziertsein, daß ich schon immer davon geredet habe, nie zu heiraten und nie Kinder zu wollen. Ich würde nie meine Freiheit, meine Autonomie aufgeben, also meinen Wunsch nach Selbstverwirklichung, also all das, was man mir verboten hat. Durch all das wirke ich auf sie seltsam, anders... und alles in allem faszinierend. Außerdem war ich die erste Tochter, die erste Enkelin. Ich glaube, ich hatte Probleme aufgrund dieser ganzen übertriebenen Zuneigung.
ROSETTA:
Da läuft doch etwas Bestimmtes ab, wenn die Mutter einerseits versucht, die Tochter so zu erziehen, daß diese ihr eigenes Leben wiederholt... und darin auch noch so hartnäckig ist, daß sie dafür gehaßt wird... andererseits aber die Tochter bewundert...
MATILDE:
... die allerdings nicht mitspielt...
CARLA:
Genau! Das ist die widersprüchliche Botschaft, die eine Mutter ihrer Tochter zukommen läßt, wenn sie ihr sagt, >Such dir einen Mann, du mußt heiraten.< und gleichzeitig durch ihr Verhalten signalisiert, verlaß mich nicht, betrüg mich nicht. Das ist mir bei meiner Mutter klar geworden, als ich erkannte, daß sie immer irgendwie meine Beziehungen zu Männern verhinderte, indem sie jeden madig machte: >Der ist nicht auf deinem Niveau, der hat keinen Abschluß... Bist du von Sinnen, daß du dich mit so einem abgibst?... Auf der Ebene lief das ab. Trotzdem hat sie mich bis vor kurzem noch gefragt, wann es mir endlich ernstlich in den Kopf käme, mich ordentlich einzurichten.
ROSETTA:
Einerseits bereitet die Mutter das Gefängnis für ihre Tochter vor, reproduziert quasi ihr eigenes Gefängnis. Andererseits sehnt sie sich danach, daß ihre Tochter aus diesem Gefängnis fliehen kann und ein ganz anderes Leben führt. Natürlich kann die Mutter auf die Frau, die den Kreislauf aufbricht, nicht besonders stolz sein, weil sie der lebende Beweis dafür ist, daß es doch möglich ist, ganz anders zu leben
CARLA:
Das stimmt. Die aus der Rolle fallende Tochter ist der Spiegel, der das Scheitern der Mutter wiedergibt. Im Grunde ist sie ein nichterwachsenes Kind, ohne Entscheidungsbefugnis über sich selbst. Sie zieht dieses ganze Rollenspiel durch, was sie vor jeder Bewußtwerdung ihrer eigenen Lage bewahrt und schützt. Daher dieses widersprüchliche Verhalten. Ich habe das begriffen, als meine Mutter mal sagte: >Ja, wenn ich noch mal leben würde, würde ich vieles nicht mehr machen, statt dessen etwas ganz anderes...<
MATILDE:
Ich auch...
ROSETTA:
Hast du jemals mit deiner Mutter über deine Erfahrungen mit Sexualität, Zärtlichkeit usw. gesprochen?
CARLA:
Nein... oder doch, ein einziges Mal. Ich habe mir meine Mutter immer als asexuelle Frau vorgestellt. Ich bin davon überzeugt, daß sie nur wenige Male mit meinem Vater ins Bett gegangen ist. Ich erinnere mich genau, meine Mutter schlief immer vor dem Fernseher ein, sie schlief dann bis Programmschluß und oft noch länger. Sie versuchte wohl, den Moment hinauszuschieben, den sie sicherlich nicht gerade liebte. Mein Vater war mittlerweile auch schon eingeschlafen. Um sie zu provozieren, habe ich einmal zu ihr gesagt: >Stell’ dir das mal vor, ich müßte mein Bett mit einem Mann teilen!< Sie hat darauf geantwortet, daß ich keine Angst zu haben brauchte, denn sie dachte, daß ich Angst vor der Sexualität hätte. Dann sagte sie: >Denk mal an die Befriedigung, Kinder zu haben!< Verstehst du? Für sie ist und war Sexualität Mittel zur Reproduktion, der sexuelle Akt das Opfer, das gebracht werden muß. Ich habe ihr dann erwidert, daß ich keine Lust hätte, Kinder zu machen. Da sah sie mich äußerst seltsam an. In diesem Zusammenhang fällt mir eine andere Geschichte ein, die auch mit meinem Verhältnis zu meiner Mutter zu tun hat, weswegen es mir vor zwei Jahren sehr schlecht ging. Als meine Schwester ihr Kind bekam, waren wir im Krankenhaus, meine Mutter, ich und die Schwägerin meiner Schwester. Als ich das Mädchen sah, war ich sehr aufgewühlt. Ihr müßt wissen, ich habe eine sehr gute Beziehung zu meiner Schwester. Ohne daß es mir bewußt war, habe ich geweint. Ich wollte meine Gefühle mit meiner Mutter teilen, wollte sie umarmen, vereint mir ihr heulen. Gerade als ich mich ihr zuwandte, drehte sie sich zu der Schwägerin meiner Schwester um, umarmte diese und sagte zu ihr: >Carla, du kannst mich verstehen. Du bist ja auch Mutter.< Also, sie hat mich abgelehnt, in der Situation hat sie mich wirklich abgelehnt. Nur weil ich keine Mutter war, sollte ich sie nicht verstehen können! Da habe ich mich auf dem Absatz umgedreht und bin weggegangen. Danach ging es mir saudreckig. Auch jetzt noch, wenn ich daran denke, ist mir unbehaglich zumute.
ROSETTA:
Das war also eine Situation, wo dir die Solidarität der Mütter vorgeführt wurde...
CARLA:
Ja... Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es eine spezielle Bindung gibt zwischen der Mutter und der Tochter, die ihrerseits auch Mutter ist. Das wurde mir ständig vor’s Gesicht geknallt während der ganzen Schwangerschaft meiner Schwester. Von diesem Verhältnis war ich ausgeschlossen, da ich keine Mutter war. Es war, als sei ich zurückgeblieben...
MATILDE:
In der einzigen Situation, in der du gegenüber deiner Mutter völlig gelöst warst und dich total gehenlassen konntest, wurdest du zurückgestoßen...
CARLA:
Ja, zurückgestoßen. Es ging mir deswegen sehr schlecht, obwohl es mir auch zeigte, daß ich meine Mutter liebte... Ich war ja felsenfest überzeugt davon gewesen, daß ich sie nicht liebte
ROSETTA:
Was hältst du eigentlich von der Mutterschaft? Ich meine ohne Ehe, ohne das Zusammenleben mit einem Mann, was hältst du von der Reproduktion?
CARLA:
Das interessiert mich nicht... ich wollte noch nie Kinder haben, ich verspüre da kein Bedürfnis. Als ich 17 war, hatte ich mal daran gedacht, ein Kind zu kriegen, eigentlich nur, weil mir Zuneigung und Zärtlichkeit fehlten. Damals fühlte ich mich sehr allein und unverstanden, obwohl ich Unmengen von Beziehungen hatte. Ich fühlte mich anders... Der Gedanke an eine Tochter, ich wollte unbedingt ein Mädchen, half mir, die Einsamkeit besser zu ertragen... Sie wäre ein Teil von mir gewesen, aber in einem anderen Körper. Später hatte ich solche Bedürfnisse nicht mehr.
MATILDE:
Ist das deine grundsätzliche Überzeugung, oder hat es mit deiner Situation als Lesbe zu tun, was meinst du?
CARLA:
Das ist unabhängig von meiner Situation als Lesbe.
MATILDE:
Vielleicht, weil du durch diese Arbeit hier gesehen hast, daß es viele Frauen gibt, die ein Kind haben wollen, obwohl sie ihr Lesbischsein leben?
CARLA:
Nein, bei mir ist das nicht so. Daß ich nicht Mutter werden will, hat nichts mit meinem Zusammenleben mit Frauen zu tun. Ich wollte es nie. Ich weiß nicht, wovon es abhängt, aber ich habe, glaube ich, keinen Hang zur Reproduktion.
ROSETTA:
Sag mal, bevor wir über deine Beziehungen zu Frauen sprechen, möchte ich noch einmal kurz auf die Frage von vorhin zurückkommen... In dem Augenblick, als du dein Bedürfnis nach Bestätigung auf allen Ebenen wahrgenommen hast, von Nähe bis hin zur Sexualität... Ja, obwohl dir bewußt war, daß es dir sexuell nichts brachte, beinhaltet doch die Tatsache, daß du immer wieder versucht hast, Sexualität mit Männern zu leben, daß sie irgendwie dein Bezugspunkt waren, auf irgendeiner Ebene, was weiß ich. Ich könnte dir erzählen, wie das bei mir war...
CARLA:
Ja, sicher... Ich möchte das genauer klären. Natürlich hatte ich Probleme, weil ich bei der Penetration gar nichts empfand. Ich war auch davon überzeugt, frigide zu sein, was mich natürlich nicht gerade begeisterte. Mir war noch nicht klar, daß die Frigidität ein Symptom für etwas Lebendiges war, was mein Körper ausdrücken wollte. Frigidität bedeutet ja einmal, daß du die weibliche Sexualität ablehnst, es kann aber ebenso Widerstand gegen die männliche Sexualität bedeuten, daß dein Körper sich nicht ganz durch die männliche Sexualität vereinnahmen lassen will. Ich bin aber dabei geblieben, ich sah meine Frigidität als anomal an. Außerdem war ich verwirrt, weil ich am Vorspiel großen Gefallen fand. Im Grunde wollte ich das alles überwinden... Bei all dem spielte die Unmöglichkeit, eine Beziehung zu einer Frau leben zu können, eine große Rolle. Als damals eine meiner Freundinnen, in die ich dazu noch verliebt war, erzählte, daß sie sich allein schon bei der Vorstellung, mit einer anderen Frau zu schlafen, übergeben müsse, wurde mir eiskalt zumute... Stellt euch das doch mal vor! Wie konnte ich da überhaupt nur an die Möglichkeit denken, solche Beziehungen zu leben! Damals habe ich mich mit einem Spruch aus der Affaire gezogen: >Aha, jetzt hast du mir den Beweis für dein verdrängtes Lesbischsein geliefert.< In der Tat... wir beide haben dann eine sexuelle Beziehung gehabt, die auch sehr schön und zärtlich war. Für sie war es das erste Mal, für mich nicht. Denn in der Zwischenzeit hatte ich eine Beziehung mit einer Freundin, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte, und von der ich wußte, daß sie lesbisch war. Ich war froh, sie wieder getroffen zu haben, auch weil ich endlich über das reden konnte, was für mich ein noch ungeklärtes und ungelöstes Problem darstellte. Durch sie lernte ich andere Lesben kennen, ich traf eine alte Schulfreundin wieder, die heute meine allerliebste Freundin ist. Denkt doch nur, wenn ich schon früher von der Existenz dieser Frauen in meiner Stadt gewußt hätte...
MATILDE:
Wenn es so gewesen wäre, hättest du vielleicht nie Erfahrungen mit...
CARLA:
Na, ich weiß nicht. Vielleicht hätte ich die gleichen gemacht. Ich kenne mich, und gerade weil ich dieses Problem hatte, weiß ich, daß ich nichts unterlassen hätte, es loszuwerden. Im Grunde bedeutete meine Rummachphase von einem Bett ins nächste nichts anderes, als verstehen zu wollen... Außerdem hatte ich ja keine schlimmen, gewalttätigen Erfahrungen gemacht, ich konnte mir immer Respekt verschaffen. Ich sage ausdrücklich nicht, daß sie mich respektiert haben, denn ich bin davon überzeugt, daß Männer dich nie einfach so respektieren, daß sie sich immer so verhalten
MATILDE:
Ja, das hängt ganz von dir ab
ROSETTA:
Abgesehen davon, hast du wahrscheinlich in deiner Art ziemlich kastrierend auf sie gewirkt. Vielleicht haben sie dich auch darum nicht respektiert und hatten fürchterliche Ängste. Sie spürten deine starken Aversionen...
CARLA:
Ja, das ist wahr, das haben sie immer zu mir gesagt...
ROSETTA:
Weißt du, noch frustrierender ist es für sie, wenn du ihnen die Penetration verweigerst!
CARLA:
Das stimmt. Ich weiß noch, wie sie ihre Bedürfnisse rechtfertigten, was bei mir Reaktionen wie, >Du willst wohl einen Witz machen!< hervorrief. Bestimmte Befriedigungen haben ich den Männern nie verschafft, lieber wäre ich gestorben, als sie zu befriedigen.
ROSETTA:
Ich kann mir vorstellen, daß du besonders begehrt wurdest.
CARLA:
Es gab auch Zeiten, in denen ich sehr durcheinander war. Leider stand ich oft im Mittelpunkt von Eifersüchten. Ich weiß nicht, es gab sehr schlimme Situationen, in der Art, daß sie mich gegen andere Frauen ausspielten. Dadurch ging es mir ziemlich schlecht. Diese Geschichten liefen immer auf Kosten einer anderen Frau, die mich als Konkurrentin erlebte. Ich habe sehr darunter gelitten und den Frauen dann gesagt, daß ich bereit sei, die Beziehung mit dem Mann abzubrechen, da ich ihre Freundschaft nicht verlieren wollte... Aber das war keine Heldentat, da mich die Männerbeziehungen sowieso nur bis zu einem gewissen Punkt interessierten.
ROSETTA:
Ich habe zweimal auf die Frage nach deinen Männerbeziehungen bestanden und will auch sagen, warum. Meiner Meinung nach ist der Versuch von Frauen, sich an die Heterosexualität anzupassen, obwohl sie die Chance hätten, ihr Lesbischsein früh wahrzunehmen, abhängig von ihrer Beziehung zu anderen Frauen in ihrem Umkreis, also, um von anderen Frauen anerkannt zu werden. Es ist ein totaler Trugschluß zu sagen, daß die Männer den Frauen gefallen... Um von anderen Frauen akzeptiert zu werden, mußt du dich verhalten wie sie, mußt also heterosexuelle Beziehungen gutheißen, andernfalls riskierst du, diese Frauen zu verlieren.
CARLA:
Ja, kannst du dir vorstellen, was bei mir ablief, als meine Freundin mir sagte, daß es für sie nichts gibt, was ihr mehr Horror macht, als der Gedanke an eine Beziehung mit einer Frau? Wie sollte ich Schäfchen ihr da noch sagen können, daß ich in sie verliebt war?
MATILDE:
Wenigstens konntest du auf der Basis eurer heterosexuellen Erfahrungen eure Freundschaft weiterführen...
ROSETTA:
Ihr konntet etwas zusammen machen... Sie hat einen Freund, okay, dann mußt du dir auch einen anschaffen...
CARLA:
Ach nein, so lief es nicht ab. Wir sind nie mit den Typen, die wir hatten, weggegangen. Jede von uns hatte ihre Flirts, mit denen wir nicht fest befreundet waren. Darin waren wir uns einig, feste Beziehungen lehnten wir ab. Wir hatten Geschichten mit Männern, aber sie waren immer zweitrangig, was unser Verhältnis untereinander betraf.
MATILDE:
Ihr habt aber darüber geredet, nicht wahr?
CARLA:
Ja, natürlich...
ROSETTA:
Nicht nur das, auch die Tatsache, daß ihr Männerbeziehungen hattet, gab euch die Sicherheit, als zwei Freundinnen zusammen ausgehen zu können und nicht als zwei Lesben... Matilde nämlich, die es kategorisch ablehnte, etwas mit Männern zu tun zu haben, hatte es sehr schwer, mit Frauen zusammen zu sein. Sie hat dafür mit der totalen Isolation bezahlt, denn als Lesbe war sie ohne jeden Schutz.
MATILDE:
Da ich nie eine Freundschaft mit Gesprächen über Männer aufbauen konnte, ich wußte da nichts zu sagen, gar nichts. Daher die größte Einsamkeit...
CARLA:
Meine Beziehungen zu den Frauen sahen so aus, daß wir uns trafen, um uns intellektuell und emotional auszutauschen. Ober die Männer wurde nur nebenbei getratscht. Eigentlich haben wir nur über uns, unsere Interessen, unsere Wünsche und Bedürfnisse geredet. Heute ist mir klar, daß alle meine Freundinnen Lesben waren. Die Männer waren ganz klar eine Tarnung. Aber für einige Männer empfand ich auch eine sexuelle Anziehung, was noch bis in die Anfangszeit meiner gelebten Homosexualität hineinreichte. Ein Männerkörper machte mich mehr an als der einer Frau, doch die Frauen liebte ich.
ROSETTA:
Wohl auch, weil es schwieriger war, sich konkret auf eine körperliche Nähe zu anderen Frauen einzulassen...
CARLA:
Ja, natürlich. Jetzt ist das aber anders. Ich mag den weiblichen Körper, ich habe da keine Abwehr mehr.
ROSETTA:
Also, als du dich damals entschieden hast, daß Frauen dein emotionaler und intellektueller Anhaltspunkt sind, hast du damit auch entschieden, die Sexualität auszuklammern. Sexuell hast du dich nur auf den männlichen Körper bezogen.
CARLA:
Ja, das ist wahr.
ROSETTA:
Das sage ich alles aufgrund meiner Überlegungen zu meiner eigenen heterosexuellen Vergangenheit.
CARLA:
Aber ich bin davon überzeugt, und zwar wegen der Beziehung mit einer damaligen Freundin, ich bezeichne sie als die letzte, danach liefen meine Frauenbeziehungen anders... Mit ihr hat sich allerdings auch schon einiges geändert, wir haben nämlich unsere Körper wahrgenommen. Trotzdem gab es zwischen uns dieses Unausgesprochene...
MATILDE:
Wie ist das zwischen euch zustandegekommen?
CARLA:
Tja, V. und ich haben darüber geredet, ob wir in die Frauengruppe reingehen sollten oder nicht. Ich hatte da Probleme. Einige von den Frauen dort waren mir nicht gerade sympathisch, ich empfand sie als sehr dogmatisch. Aber ich spürte auch die Begrenztheit in dem ausschließlichen Zusammensein mit meinen Freundinnen. Ich sah ein, daß es wichtig war, sich mit mehr und anderen Frauen auseinanderzusetzen. V. hatte das gleiche Problem, und wir entschlossen uns, in die Gruppe reinzugehen. Wir lernten die unterschiedlichsten Frauen kennen, mit einigen von ihnen befreundeten wir uns sofort. Im übrigen habe ich da eine Freundin wiedergetroffen, die ich seit langem nicht gesehen hatte, eine Lesbe. Mit ihr fing ich an, über gerade diese Sache zu reden. Ich weiß noch, es war ganz, toll für mich. Zum ersten Mal konnte ich mit einer Frau über meine Spannungen zu anderen Frauen reden. Bis dahin hatte ich darüber nur offen mit dem einen engen Freund von mir reden können.
ROSETTA:
Es gab also eine Übergangsphase für dich... von der Solidarität bzw. Komplizenschaft mit dem männlichen Homosexuellen bis hin zur Bewußtwerdung deiner eigentlichen Problematik, der Sexualität mit Frauen?
CARLA:
Ja... Sexualität war immer sehr wichtig für mich, ich habe immer darunter gelitten, daß ich sie bei Frauen ausklammern mußte. Dann entwickelten sich Spannungen zwischen mir und dieser Freundin. Es war sehr schön, sehr zärtlich. Ich erinnere mich an einen Morgen, als ich an die frische Luft ging und alles mit anderen Augen sah. Ich war total glücklich und dachte, >Was für eine verrückte Sache, so lange Zeit wurde mir sowas Schönes vorenthalten! Ich könnte die umbringen... Die haben mir eingeredet, daß es etwas Schlechtes ist...< Eine richtige Entdeckung. Mittlerweile vertieften sich einige Beziehungen innerhalb der Frauengruppe... Wegen einer von uns organisierten Veranstaltung bin ich mal mit einer von den Frauen verreist. Tja, wir merkten bald, daß es zwischen uns auf beiden Seiten große Spannungen gab. Ehrlich gesagt, am Anfang hatte ich riesige Angst davor. Intuitiv spürte ich, daß sie viel Zuneigung brauchte, daß es mit ihr nicht nur eine einfache und kurze Geschichte werden würde... Mir war aber nicht danach, solche Erwartungen zu erfüllen. Und da ich nicht wollte, daß sie meinetwegen später leidet, versuchte ich, mich distanziert zu verhalten. Während unserer Zusammenarbeit für die Veranstaltung merkte ich, daß ich ihr emotional näher kam. Ich glaube, eine der ersten Sachen, die ich an ihr liebte, war ihre Unsicherheit. Ich erkannte in ihr meine eigenen Schwächen, mein eigenes Bedürfnis nach Zärtlichkeit. All das hatte ich hinter einer Härte, ja, manchmal auch hinter einem Aggressivsein versteckt. Tja, wir haben uns ineinander verliebt. Drei sagenhafte Monate haben wir miteinander verbracht. Es ging uns phantastisch. Dann kamen die Schwierigkeiten. Als ihr klar wurde, wie total sie sich auf mich eingelassen hatte, bekam sie Angst, von mir abhängig zu werden. Gefühle machten ihr panische Angst, weil sie schlimme Erfahrungen damit verband. Ich verstand sie, ich habe ihr Problem immer verstanden, denn ich kannte ja den Grund dafür. Was ich ihr aber vorwarf, war ihre Unklarheit, also, daß sie Sachen nie direkt anging. Ich mußte erahnen, was nun hinter einem Blick, einem Wort, einer Geste von ihr steckte. Mir ist das oft gelungen, aber manchmal eben nicht. In der letzten Zeit war ich es auch leid, das zu tun. Ich hatte kein Verständnis mehr dafür, auch weil es sehr viele unausgesprochene Sachen zwischen uns gab. Wir konnten uns kaum noch verständigen, kaum noch einander verstehen. Auch ich hatte meine Grenzen, meine Probleme, meine Schwierigkeiten; und ihre Zurückhaltung bewirkte, daß ich mich noch mehr zurückhielt. Tja, in dieser Beziehung habe ich nur 60 Prozent von mir gegeben. Irgendwann habe ich dann gesagt, daß ich nicht mehr kann... So eine Situation, in der es zwei Tage lang gut aussieht, am dritten Tag aber das Chaos ausbricht, hielt ich nicht länger aus. Ein Wahnsinn!! Eine absurde und sinnlose Energieverschwendung! Nicht von ungefähr träumte ich damals dauernd, daß ich ununterbrochen Blut verlor. So habe ich mich für die Trennung entschieden und auch dafür, nach Rom zu ziehen. Denn ich wollte nicht Gefahr laufen, daß ich diese Frau einmal hassen würde. Haß war keine Lösung für mich, der hätte mir bestimmt nicht geholfen, mich weiterzuentwickeln und den Gründen für mein Schlechtgehen auf die Spur zu kommen. Die ersten Zeiten in Rom waren hart... Ich fühlte mich einsam und distanziert, obwohl ich die besten Beziehungen hatte... zu meinen Freundinnen und anderen Frauen, die ich in der Zwischenzeit kennengelernt hatte. Aber ich empfand keine erotische Anziehung zu den Frauen. Durch meine Freundschaftsbeziehungen verdrängte ich meine Liebe zu ihnen. Alles in allem war das eine unangenehme Zeit. Ab dem Zeitpunkt, als mich Männer nicht mehr antörnten, habe ich überhaupt nicht mehr gewußt, von wem ich nun angetörnt werden sollte. Mein Sinn für Humor hat mir aber sehr geholfen, diese Phase, diese Identitätskrise einigermaßen zu überstehen. Ich erinnere mich noch an mein vieles Alleinsein in der Zeit. Das hat mir sehr geholfen, die ganze Situation zu überdenken und das, was mir bis dahin noch ziemlich unklar war, im nachhinein zu sehen. Meine eigenen Grenzen, z.B. wenn sie bestimmte Ängste hatte, bestimmte Abwehrmechanismen entwickelte, waren meine nicht geringer. Oder... meine Unfähigkeit, >Ich liebe dich< sagen zu können, die Freude, die ich durch eine Frau empfinden konnte, nicht eingestehen zu können. Dann habe ich mit anderen Frauen geredet. Wir haben uns von unseren Erfahrungen und Geschichten berichtet. Durch diesen Austausch wurden mir immer mehr Dinge klar, ich konnte mich immer mehr aus der Abhängigkeit von meiner eigenen Geschichte lösen. Auf einmal sah ich eine Offenheit in mir, die ich schon früh verloren geglaubt hatte. Wie froh war ich eines Morgens, als ich merkte, daß es in mir wegen einer Frau, die ich gerade kennengelernt hatte, knisterte. Es war unheimlich schön, es kam mir vor, als sei ich zum Leben zurückgekehrt.
MATILDE:
Und jetzt lebst du sehr intensiv, nicht wahr? Du lebst auch Geschichten, die sehr kompliziert sind, dir jedoch weiterhelfen, dich zu entwickeln?
CARLA:
Ja, genau, darauf wollte ich hinaus. Also, im November kam C. nach Rom. Sie ist die Frau, die im Frühjahr eine Beziehung mit V. hatte, was ich aber nicht direkt von ihr erfuhr und worüber niemals, auch nicht danach, zwischen uns geredet wurde. Ich habe das alles von einer Freundin erfahren... was soll<s, mit wenig Takt. Ihr könnt euch vorstellen, wie gern ich diese Frau sehen wollte? Nämlich überhaupt nicht. Eifersucht war etwas Neues für mich, ich hatte davor nie Probleme damit. Ich behaupte sogar, daß ich die Frauen, die ich geliebt habe, nie in ihren Bedürfnissen nach Freiheit und Selbständigkeit beschnitten habe. Dieses Mal aber war ich eifersüchtig, ich fühlte mich ausgeschlossen, denn V. hat nie mit mir über diese Episode gesprochen, obwohl sie wußte, daß ich davon wußte. So ein Verhalten konnte ich nicht anders als mackerhaft ansehen. Ich war sehr betroffen. All das verstärkte meine Eifersucht. Trotzdem versuchte ich, diese Grenze zu überwinden, denn ich sah ein, daß ich C. gegenüber ein ziemlich idiotisches Verhalten drauf hatte. Was hatte C. eigentlich damit zu tun? Obwohl sie von mir wußte und ich von ihr, hatten wir uns nur wenige Male, aber nie mehr als fünf Minuten gesehen. Ich ging daher mal mit zu einer Verabredung, die sie mit F. hatte. Nachdem die ersten peinlichen Momente überwunden waren, konnten wir uns gut und vergnügt miteinander unterhalten. Und in den nächsten drei Tagen ihres Aufenthalts in Rom haben wir uns dann noch ziemlich oft gesehen. Wir haben auch über das geredet, was vorgefallen war. Ich habe ihr erklärt, wie es für mich gewesen war... Wir haben ziemlich viel darüber geredet und waren einer Meinung. An Weihnachten sahen wir C. wieder. Wir verbrachten Weihnachten in F.’s Wohnung, V. war auch da. Wir dachten, es wäre die Gelegenheit, um endlich auch mit V. die ganze Angelegenheit zu besprechen. Wir hielten das für richtig. Es war aber nicht möglich, denn V. entzog sich auch diesmal der Auseinandersetzung und dem Sich-in-Frage-stellen. Uns dreien, also C., F. und mir, ging es sehr schlecht. Ich konnte meine Enttäuschung und meine Traurigkeit nicht unterdrücken... Ich denke aber, daß es auch V. schlecht ging, denn es war eine Solidarität zwischen C., F. und mir entstanden, die sie störte. Ich glaube auch, daß sie sehr darunter litt, als sie erfuhr, daß C. und F. in Rom eine Geschichte angefangen hatten. Ich bin fest davon überzeugt, daß ihre Sache mit C. nicht nur eine kleine Episode war, sondern daß sie in C. verliebt war und deshalb eifersüchtig war. Was soll<s. Am nächsten Tag trafen wir uns wieder, also F., C. und ich, und wir redeten weiter darüber. Dann... ich weiß nicht, wie das geschehen konnte, auch heute weiß ich nicht genau, wie das eigentlich ablaufen konnte, was für Voraussetzungen da waren... Irgendwann brachte ein Blick zwischen C. und mir die enorme Spannung, die zwischen uns im wahrsten Sinne des Wortes ausgebrochen war, klar ans Tageslicht. Riesige Probleme: Wie kriegen wir das mit F. klar, die sich berechtigterweise ausgeschlossen fühlen mußte? Darüber zu reden, das war der einzige Weg. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie die nächsten Wochen aussahen... Ein ständiges Auseinandersetzen über uns, die Situation, was wir lebten, über die Widersprüche, Grenzen und Wünschen... Wir verließen die Wohnung für, ich weiß nicht, wieviele Tage nicht mehr... Heute weiß ich, daß wir dabei auch riskierten, uns gegenseitig fertigzumachen... Es ist aber nicht passiert. Unsere gegenseitige Zuneigung, unser Wille, die Grenzen und Widersprüche zu überwinden, der Wunsch zu verstehen, weiterzugehen... all das hat dazu beigetragen, daß wir die Momente größter Anspannung, der Niedergeschlagenheit und des Mißtrauens überwunden haben. Noch etwas verkomplizierte alles, C. ist nämlich seit ein paar Jahren mit einer Freundin zusammen, sie haben eine sehr schöne, positive Beziehung. Aber wir beide, C. und ich, ließen uns immer mehr aufeinander ein. All das vereinfachte meine Schwierigkeiten nicht gerade! Wie konnte ich eine Beziehung zu einer Frau leben, bei der ich vielleicht zum ersten Mal ich selbst sein konnte, keine Abwehr brauchte, frei sagen konnte: >Ich liebe dich... Ich will mit dir zusammen sein, ich möchte mit dir schlafen.< Also eine Beziehung, die für mich keine Flucht vor der Realität war, sondern einfach zu mir gehörte, zu meinem Alltag. Wie konnte ich das leben, ohne einer anderen Frau damit weh zu tun? Wieder Chaos, wieder Energieverschwendung, wieder Niedergeschlagenheit, Mißtrauen... Aber auch das Wahrnehmen einer klugen und sensiblen Frau, der gegenseitige Wunsch, sich kennenzulernen, sich zu achten und zu lieben... trotz einer Fülle von Widersprüchen und Schwierigkeiten. Ich glaube, wir haben alle zusammen riesige Schritte nach vorne getan. Es ist zwar immer noch viel zu tun, aber ich bin zuversichtlich. Ich vertraue uns Frauen, wenn wir versuchen, Freundinnen zu werden und uns anstrengen, von typisch männlichen Strukturen loszukommen, und wenn wir versuchen, neue Lebensweisen auszuprobieren, bei denen es keine Verhaltensnormen geben soll, sondern frau muß allmählich, während sie weitermacht, neue Werte entwickeln. Ich weiß nicht, was dabei herauskommen wird. Ich weiß aber, daß ich in einer sehr wichtigen Phase meines Lebens bin.
ROSETTA:
Aus all dem, was du gesagt hast, glaube ich zu verstehen, daß du dich immer nur innerhalb einer Gruppe auf eine Beziehung einläßt und nicht innerhalb einer Zweierbeziehung.
CARLA:
Das,stimmt bis zu einem gewissen Grad. Bis vor einigen Wochen packte C. und mich allein bei dem Gedanken, uns zu zweit auseinanderzusetzen, schon die Panik... Nach und nach wurden wir uns aber unserer Verliebtheit bewußt. Wir merkten, daß wir Zeit nur für uns allein wollten. Auch dieses Problem sind wir angegangen. Wir verlagerten unsere Beziehung aus dem kollektiven Rahmen in eine Situation, die wirklich nur uns beide anging... ohne jedoch die Auseinandersetzung mit den anderen Frauen, vor allem mit S., auszuklammern.
MATILDE:
Das bedeutet also, daß ihr das Bedürfnis verspürt, eine Zweierbeziehung zu leben... und daß ihr dann aber offen und für eine Auseinandersetzung ansprechbar seid, wenn ihr eure Zeit füreinander gehabt habt... ein mehr als logisches Bedürfnis. Jedoch steht fest, ihr braucht das Zusammensein zu zweit.
CARLA:
Ja, das ist wichtig, wir brauchen die Zeit, um uns zu zweit aufeinander einlassen zu können. Auch weil... denkt nur, wie unsere Beziehung begann. Von einer... sozusagen erotischen Phase kamen wir über Zeiten voller Ausflüchte, Anmaßung und Versuchen, die Sache zu leugnen, endlich dahin, uns einzugestehen, daß wir ineinander verliebt sind. Hinzu kommt, daß unsere Temperamente sehr ähnlich sind, also ziemlich oft Kämpfe auslösen. Also, eine Masse von Problemen, mit denen wir nur alleine fertigwerden können. Die Auseinandersetzung mit F. und S. läuft auf anderen Ebenen.
ROSETTA:
Jetzt mal abgesehen vom Thema Liebesbeziehungen nun, wo du weißt, daß du lesbisch bist, wo du dir darüber klar bist, daß du deine Energien nicht auf Männer verschwenden willst, verhilft dir das dazu, ein selbständiges Leben zu führen? Und dein Leben, was willst du damit anfangen? Was für Träume hast du?
CARLA:
Nun, ich möchte nur mit Frauen etwas machen. Aber da ist das Problem mit dem Arbeiten. Mich zieht es z. B. zur Fotografie und zum Film. Mein Traum ist es, einen Film mit anderen Frauen zu machen. Ich habe noch keine genaue Vorstellung davon. Ich meine, es ist nicht notwendig, sich eine Geschichte auszudenken, denn es gibt genügend gelebte Geschichten. Das würde ich gerne machen. Aber es gibt praktische Zwänge, zum Überleben brauchst du Geld. Deshalb kann es vorkommen, daß ich vieles machen muß, was im Widerspruch zu meinen Bedürfnissen, Sehnsüchten und Träumen steht. Und dann habe ich Wut... Ich will kein schizophrenes Leben führen. Einerseits mein Bild in der Öffentlichkeit: Ich bin eine Frau, die arbeitet und die gezwungen ist, neunzig Prozent von sich zu verstecken... Andererseits dann das Privatleben, das ich mir so, wie ich will, gestalte, soweit mir das nach acht Stunden Arbeit, in denen ich meine Energien für Sachen, die mich einen Dreck interessieren, vergeudet habe, überhaupt noch möglich ist. Ich will mich aber total und vollständig selbst verwirklichen. Das Problem habe ich noch nicht bewältigt. Ich weiß, ich will kein Leben nach Kästchen und abgekapselten Räumen. Sowas will ich nicht. Solange ich Kraft dazu habe, werde ich für eine andere Art zu leben kämpfen. Auf der anderen Seite gibt es die materiellen Probleme... ja, auch mein Verwirrtsein. Aber trotzdem lehne ich ein schizophrenes Leben ab. Ich glaube, ich werde damit schon genug konfrontiert. Wenn ich gefragt werde, ob ich verlobt oder verheiratet bin, antworte ich mit >nein<, Schluß, aus... Dieses Nein erklärt natürlich nichts, aber... was versteckt sich nicht alles dahinter? Ich fühle mich unterdrückt, vergewaltigt, beleidigt bei solch einer Frage. Ich glaube, einen Film mit anderen Frauen zu machen, wäre eine interessante Selbsterfahrung. Zusammen zu arbeiten ist wichtig.
MATILDE:
Ja, sicherlich, trotz tausend Schwierigkeiten. Sag mal, wie willst du dich politisch gesehen nach außen verhalten, also in bezug auf die Bewegungen und Kämpfe, die jetzt laufen oder laufen werden?
CARLA: Vor allem glaube ich, daß es wichtig ist, sich nicht zu verstecken, sondern aus dem Versteck rauszukommen und sich dabei der Risiken bewußt zu sein. Ich denke, die sind in jedem Fall weniger gefährlich für dich, als wenn du dich versteckst und somit verleugnest...
ROSETTA:
Du meinst das Doppelleben...
CARLA:
Ja, genau. Das ist nichts für mich... Wichtig ist aber, aus dem Versteck rauszukommen, und je mehr wir sind, um so stärker sind wir. Aber wir müssen dabei auf dem Boden der Realität bleiben, alberne Märtyrerinnen helfen uns nichts.
MATILDE:
Ja, ich habe dich in der letzten Zeit bei vielen Ereignissen gesehen, du warst aktiv dabei. Ich glaube, du bist auch bereit, in Zukunft so weiterzumachen.
CARLA:
Ja, sicher, eher mehr... Ich möchte dazu noch sagen, daß mein Interesse und Engagement gewachsen sind, je mehr ich mir bewußt wurde, wie notwendig es ist, die mühsam erkämpften Freiräume zu verteidigen... und zwar unabhängig von der manchmal berechtigten Kritik an der Art, wie mit diesen Freiräumen umgegangen wird. Zuallererst ist es wichtig, sie zu verteidigen, denn ohne Widerstand können die uns alles andere auch noch nehmen.
ROSETTA:
Sag mal, einer der Vorurteile gegenüber Frauenprojekten und der Frauenszene ist, daß es ein Ghetto sei. Wie siehst du das?
CARLA:
Mit dieser Einschätzung bin ich nicht einverstanden. Paradoxerweise kann für mich ein Ort, wo auch Männer sind, ein Ghetto sein. Überall dort, wo ich nicht freiwillig und aus Interesse hingehe, ist für mich ein Ghetto. Denn dort muß ich Leute ertragen, die mir gleichgültig sind, und die mir oft auf die Nerven gehen. Ich habe keine Lust, auf die ganz bestimmte Art angesehen zu werden. Ja, sicher, nicht alle Frauensachen entsprechen unseren wirklichen Bedürfnissen, zumindest nicht meinen, aber es ist wichtig, daß es sie gibt, und daß alles Mögliche getan wird, damit sie besser laufen... Aber das hängt von uns selbst ab.