Valeria, Giulia und Alice

VALERIA - 27 Jahre alt - aus Norditalien
GIULIA - 27 Jahre alt - aus Norditalien

ALICE: Wie bist du zum Lesbischsein gekommen?
VALERIA: Willst du mich verarschen? Ich versteh schon. Da kommt die olle Alte einfach so daher und fragt mich, wie ich lesbisch geworden bin! Meine Liebe ... Wenn ich es mir recht überlege, scheint es eine interessante Frage zu sein, sie muß sich ja nicht unbedingt auf den Übergang von der Heterosexualität zur Homosexualität beziehen. Ehrlich gesagt habe ich nie ganz verstanden, warum ich lesbisch bin. Natürlich ist mir schon einiges klar... Aber ich finde, diese Frage ist eigentlich nur logisch bei Frauen, die heterosexuelle Erfahrungen gemacht haben. Vielleicht ist sie auch sinnvoll, für eine Frau, die immer lesbisch war... Oh Gott, wo bin ich jetzt?
ALICE: Gerade noch hast:  du gesagt, >Ich weiß nicht, warum ich lesbisch bin<.
VALERIA: Ich weiß nicht, warum ich meine Sexualität mit allem, was dazugehört - und das heißt nicht nur reine Sexualität, nicht auf Männer ausgerichtet habe. Seit ich mich erinnern kann, spüre ich Frauen gegenüber Spannungen, nicht nur sexueller Art, sondern alle möglichen. Deswegen kann ich nicht sagen, was es ist. Wenn ich eine heterosexuelle Frau gewesen wäre, könnte ich die Übergangszeit, meinen Prozeß zum Lesbischwerden beschreiben.
ALICE: Das macht mich aber neugierig: Wie kann eine 3- oder 4-Jährige genau wissen, daß sie lesbisch ist? Übrigens, in welchem Alter ist es dir bewußt geworden?
VALERIA: Tja, jetzt spreche ich natürlich aus der Erinnerung und nicht über das, was damals wirklich war. Meine früheste Erinnerung reicht bis zu meinem ungefähr sechsten Lebensjahr zurück. Ein vier, fünf Jahre altes Mädchen gefiel mir. Es erregte mich, sie anzufassen. Ich wollte mit ihr allein sein, um sie nackt berühren zu können. Also ... das hat nichts mit Päderastie zu tun, sondern mit Spannungen... Vielleicht war ich auch pädophil, d.h. ich war, ich weiß noch, sie zog mich körperlich an. Ich hatte ziemlich merkwürdige und angenehme Empfindungen, die ich heute als Erregung benennen kann, aber die ich damals nicht definieren konnte. Ich machte alles, um mit ihr allein zu sein. Ja, ich erinnere mich, als ich bei meiner Oma war, machten wir ein Spiel, bei dem auch mein Bruder mitmachte: Sie und ich wollten heiraten, mein Bruder war der Pfarrer, der uns trauen sollte. Mit der Ausrede, daß er nur der Pfarrer war, schloß ich meinen Bruder immer aus. Dann verdrückte ich mich mit ihr, um Körperkontakt zu ihr zu bekommen. Ich habe immer noch ein leichtes Schuldgefühl deswegen. Die Schuld, ein Mädchen verführt zu haben. Ich war nicht erwachsen. Ich war kein 30-jähriges bzw. keine 30-jährige, die es mit einer 4-jährigen treibt. Obwohl der Altersunterschied zwischen uns nur zwei Jahre ausmachte, habe ich diese Geschichte so erfahren, als hätte ich als Erwachsene ein kleines Mädchen verführt.
ALICE: Vielleicht, weil es dir bewußt war. Obwohl es mit sechs Jahren auch ziemlich normal ist, nicht unbedingt sexuelle, aber erotische Spannungen und Beziehungen zu anderen Mädchen zu haben.
VALERIA: Für mich waren sie ganz normal. Ich kriegte das auch bei anderen Mädchen mit, aber da war alles nur ein Spiel. Es konnte natürlich genauso nur ein Vorwand sein, also ein Alibi, um bestimmte Sachen zu machen. Das galt auch für die anderen. Aber meine Spannungen waren mehr als ein Spiel. Schon damals habe ich mich gefragt, ob ich vielleicht ein Junge bin? Ich wußte nie genau, ob ich ein Junge oder ein Mädchen war. Ich merkte, daß ich bestimmte Dinge machte, die ich sonst nur bei Jungens sah. Diese bestimmten Dinge machte ich nicht nur beim Spielen, manchmal war kein Spiel zum Vorwand nötig. Im allgemeinen leben die Kinder ihre Sexualität durch irgendwelche Spiele aus, also durch das Doktorspiel oder so. Meine Spannungen und meine Gefühlsaufwallungen hatten nichts mehr mit einem Spiel zu tun. Das Spiel ermöglichte es mir, es legal vor allen zu machen. Aber meine Spannungen kamen auch in anderen, ernsteren Situationen raus, nicht nur im Spielen. Es kam schon vor, daß ich mit der Hand unter Röcke von Mädchen faßte. Es überkam mich, und ich machte dann alles, um dieser Versuchung, sie zu berühren, zu widerstehen. Es war kein Spiel mehr. Das brachte mich durcheinander und ließ mich schon denken, daß ich anders bin.
ALICE: Auch ich habe Erfahrungen mit anderen Mädchen gemacht, aber die Initiative ging nie nur von mir aus.
VALERIA: Ich glaube, meine Sexualität wurde bis zum Erwachsenwerden entscheidend durch eine Art Wiederholungszwang konditioniert. Damit meine ich, daß ich in jeder sexuellen Begegnung immer den aktiven Part übernommen habe. Ich habe immer angefangen, mich als erste darauf eingelassen und den ersten Schritt gemacht. Das hat mich in der Entwicklung meiner Sexualität beeinflußt, es ist kastrierend, immer als erste anfangen zu müssen, um eine sexuelle Beziehung haben zu können. Natürlich ist das jetzt sehr komprimiert ausgedrückt. Aber ich hatte lange Zeit ernste Zweifel und habe mich gefragt >Bin ich etwa ein Mann?, also jemand, der einem Mädchen auflauert, um sie zu bumsen. Es kann sein, daß ich inzwischen den Faden verloren habe, ich habe gerade von meinen sexuellen Erfahrungen mit anderen Mädchen geredet, die nicht nur beim Spielen abliefen, von daher geduldet gewesen wären, sondern die ich auch sonst machte, was mir als etwas Verbotenes vorkam. Ich machte es trotzdem und hatte nicht mehr dieses Alibi. Als ich in der Pubertät an diese lange verdrängten Erlebnisse dachte, kam ich mir wie ein Verführer von kleinen Mädchen vor ... Ich erinnere mich daran, wie ich als 14-jährige tatsächlich zum ersten Mal mit einem 10-jährigen Mädchen schlief. Ich wage nicht zu sagen, wie es für sie war, vielleicht einmalig, vielleicht auch nicht. Mir gefiel es sehr, endlich konnte ich meine Phantasien verwirklichen. Ich war gerne nicht verlegen und fühlte mich sehr gut. Ich verwirklichte nicht nur ein sexuelles Bedürfnis, das ich sie dahin unterdrückt hatte, sondern explodierte einfach vor Freude. aber was mich beunruhigte, ... ich glaube, daß ich noch bis vor kurzem Schuldgefühle hatte. Ich hatte auch de<jà vu-Erlebnisse von mir als Verführerin, die gegen etwas verstößt... Es gab weder Rechtfertigungen noch mildernde Umstände für mich.
ALICE: Siehst du das Lesbischsein als Übertretung an?
VALERIA: Nein, wart mal, das ist ein bißchen was anderes, ich bin nicht mehr 15, es hat sich einiges geändert. Nach dieser einschneidenden Erfahrung kam sie sehr oft zu mir, wir waren oft zusammen. Aber was die Sexualität angeht, war sie ziemlich zu ... als ich jedoch erfuhr, daß sie heterosexuell geworden war, fühlte ich mich von einem Schuldgefühl befreit. >Zum Glück hab ich sie nicht so weit verdorben<. Ich fühlte mich für ihre Sexualität verantwortlich.
ALICE: Ja, ich erinnere mich daran, daß du mir einmal von dieser Sache mit der Krankheit erzählt hast.
VALERIA: Was ich dir erzählt habe, war das: Ich leide an einer Blockierung des Solar Plexus, was unwahrscheinliche Schmerzen verursacht, einmal war ich drei Stunden lang wie gelähmt und hatte Schmerzen zum Umfallen, als ob mir jemand meinen Brustkorb zusammenschnüren würde. Meine Mutter war zu Haus, sie fragte, >Was hast du?<. Ich konnte da nur sagen, >Es ist alles meine Schuld<. Ich erwähnte auch den Namen von einer Frau, die mir gefiel. Da war ich allerdings schon erwachsen, ich war 19. Mir gefiel eine Frau aus der Frauengruppe, die wußte, daß mich Frauen anzogen. Sie provozierte mich. Für sie war ich bürgerlich, sie war ein Arbeiterkind. Als sie mir von ihrem Leben ohne Geld erzählte, unterbrach ich sie mit >Ich kann nichts dafür.< Es ist sehr seltsam, ehrlich gesagt, hatte ich nie Schuldgefühle, weil ich aus einer bürgerlichen Familie komme. Es war für mich immer etwas Selbstverständliches, so wie jemand sagt, daß er in Palermo geboren ist, während der andere aus Rom stammt. Als ich in den gemischten Gruppen arbeitete, hatte ich keine Schuldgefühle wegen meiner Klassenzugehörigkeit... Ich meine die politischen Gruppen. In denen wäre es eigentlich ein Einfaches gewesen, mir Schuldgefühle einzujagen. Statt dessen tauchten sie erst in der Frauenbewegung auf. Äußerst merkwürdig. Ich möchte jetzt keinen Monolog über die Klassentrennung halten, sondern die Klassenfrage in sexueller Hinsicht beleuchten. Daß ich aus der Mittelschicht stamme, gab mir einen sexuellen Touch. Weißt du, wenn du die klassische Frage danach stellst, warum du der anderen gefällst, und sie dann antwortet, >Du gefällst mir, weil ich weiß nicht -weil du solche Augen hast<, sie irgendwann sagt, >Du gefällst mir, weil du aus der Mittelschicht kommst<. Von so etwas wird mir übel. Ich meinte dann, >Könntest du mir das besser erklären<. Oh, ich kann verstehen, wenn eine sagt, >Ich fühl mich als Proletarier, weil ich gezwungen bin, mit dem Geld auszukommen, während ich sehe, daß du viel mehr Geld hast.< Aber die soziale Herkunft hat immer auch etwas mit Erotik zu tun. In solchen Fällen fragte ich, >Warum erregt es dich, wenn jemand aus dem Bürgertum kommt? >Weil die Leute aus dem Mittelstand sich alles erlauben können, eben auch, pervers zu sein<.
ALICE: Erinnerst du dich an den Artikel von Goffredo Parise im Corriere della Sera? Diesen fürchterlichen Artikel über Homosexualität?
VALERIA: Ja, klar. Wieder auf meine soziale Herkunft zurückgestoßen zu werden, ist mir nicht mal in einer gemischten Gruppe passiert. Was mich sehr verwundert, ist, daß ich allgemein oft von Frauen und besonders von den Frauen, die sexuelle Beziehungen mit mir hatten, als, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll ... Inkarnation der Perversion angesehen werden. Ich frage sie dann, >Warum bin ich denn pervers?< Die Antwort lautete immer, >Weil du der Mittelschicht angehörst, die bürgerlichen Frauen nehmen sich einfach alles heraus, sie haben so viel Geld, daß sie, mit wem sie wollen, auch Frauen, vögeln können. Du bist pervers, weil du mager bist und einen bestimmten Körperbau hast, du bist pervers, weil dein Gehirn so und so funktioniert. Mich hat immer aus der Fassung gebracht, wenn mir meine Art, Dinge anzugehen, abgesprochen wurde. Eine normalere Antwort wäre gewesen, >Ich mag dich, weil du intelligent bist< ... oder >Weil du dünn bist<, und ich so wie du sein möchte. Aber alles, was ich tat, wurde mit meiner Besonderheit in Verbindung gebracht. Jetzt weiß ich nicht, ob ich das richtige Eigenschaftswort benutzt habe, aber ich habe mich bei allem, was ich tat, wie abgestempelt gefühlt. In meiner gemischten Klasse auf dem Gymnasium, die zwar voller Faschisten war ... wurde ich respektiert, weil ich sehr intelligent war, keine faulen Kompromisse einging, autonom und emanzipiert war. Weißt du eine, von den Leuten, die als stark gelten und die sogar von Faschisten respektiert werden, weil die anderen eben Waschlappen sind, verstehst du? ... Aber eigentlich wollte ich dir erzählen ...
ALICE: Das heißt, du warst von den anderen Frauen abgespalten.
VALERIA: Ja, ich war immer von den anderen Frauen abgespalten. Das alles hat mich den anderen Frauen nicht gerade nähergebracht, sondern mich sogar von ihnen entfernt. Es ist ohnehin wahr, daß die Liebes-, und sexuellen Beziehungen, die ich auf dem Gymnasium hatte ... jetzt macht es mich traurig, davon zu sprechen, aber es ist halt so gewesen... Ich war die schlimmste Chaotin der Klasse, ich habe die Politik gemacht, weißt du, die Sachen, die 68 liefen: Demonstrationen, Schülermitbestimmung, kurz gesagt, ich war die Superfrau oder wurde wenigstens als die gesehen. Die Frauen, die mit mir zu tun hatten, besaßen das gleiche Ansehen wie die Freundinnen der Obergenossen, obwohl das nicht den gleichen Gebrauchswert für sie hatte. Mich umgab so eine ambivalente Aura, d.h. keiner blickte bei mir durch. Ich trat hervor, ich wurde zu einem Angelpunkt, auf den sich alle möglichen Leute bezogen. In Zweierbeziehungen war ich die Starke; d.h. ich konnte nicht sagen >Ich bin müde, ich kann nicht mehr, ich bin durcheinander<. Nein, das war mir nicht erlaubt. Ich konnte auch nie weinen, teilweise wegen meiner strengen Erziehung, teilweise weil mein Image ruiniert gewesen wäre, wenn ich mir gestattet hätte, natürlich zu sein. Und das wollte ich nicht. Abgesehen davon, daß dich eine solche Rolle bestätigt, wollte ich es auch nicht, weil ich eigentlich nicht ich selbst war.
ALICE: Hast du dich da so gefühlt, als ob du nicht du selbst wärst?
VALERIA: Ja, genauso. In der gemischten Gruppe war ich nie der >Engel an der Abzugsmaschine<, meine Rolle war immer die der Intellektuellen. D.h. die Frauen, die sich von den Männern bumsen ließen, machten die Vervielfältigungen. Ich hab nie etwas vervielfältigt, im Höchstfall gab ich Geld dazu bzw. ich ging zu den Versammlungen, auf denen über den Text der Flugblätter entschieden wurde, aber das Flugblatt selbst wurde von jemand anders gedruckt. Für mich hatte das eine bestätigende Funktion, nicht nur, weil ich eine bestimmte Rolle hatte, sondern weil ich mich anders, auf angenehme Weise anders als die anderen Frauen fühlte. Im Grunde fand ich die anderen Frauen ziemlich dumm und blöd, ihnen konnte nämlich ein Typ sagen, daß sie ein Flugblatt ableiern sollten. Ich wußte mir Respekt zu verschaffen, die anderen Frauen nicht. Ich wußte nicht, woran das lag, ich führte das auf mein Lesbischsein zurück, d.h. ich identifizierte das Lesbischsein irgendwie mit Autonomie und Selbstachtung.
ALICE: Meiner Meinung nach bezahlst du aber dafür. Mir scheint auch, daß du ein etwas stereotypes Bild von der Heterosexualität hast. Z.B. hatte ich damals Beziehungen zu Männern, aber ich habe nie Flugblätter vervielfältigt. Ich meine damit, durch dein Abgrenzen bezahlst du einen hohen Preis: die Isolation von den anderen Frauen.
VALERIA: Ja, der Preis ist die Trennung von den anderen Frauen und die Vereinnahmung durch die Männer, du gehörst zu den Männern: Sie verzeihen dir, daß du eine Frau bist, du wirfst das Geld auf den Tisch, produzierst glänzende Einfälle usw. Es ist eine Art sich freizukaufen. Ich hatte das Bedürfnis, mich irgendwie freizukaufen, trotz der Bestätigungen der Frauen, die hinter mir her waren. Wenn sich jemand einen Spruch über mein Lesbischsein erlaubte, hatte er bloß still zu sein. Geistig war ich ihm so überlegen, daß sich dadurch das mit meinem Lesbischsein praktisch ausglich. Verstehst du, was ich damit ausdrücken will? Ich glaube, das war mein Motto in jenen Zeiten ...
ALICE: Ich glaube, viele lesbische Frauen können sich in deiner Geschichte wiederfinden. Ich möchte jedoch verstehen, wie du dafür bezahlt hast, d.h. wie du dafür in deiner Beziehung zur anderen bezahlst.... wer diese andere ist.
VALERIA: Tja, meine Beziehungen waren total schizophren. Ich konnte nicht verstehen, wer ich war. D.h. ich wollte wissen, ob ich lesbisch, kommunistisch, ich weiß nicht was, war, wer ich also wirklich war, jedoch wurde mir allmählich bewußt, daß du dich nie in den anderen Frauen wiederfinden kannst, wenn die andere Frau ein falsches Bild von dir hat, dich eben als die Superlesbe sieht.
ALICE: Und du ein falsches Bild von ihr hast.
VALERIA: Es kommt noch viel dicker. Es stimmt, daß sich mein Verhältnis zu Frauen darauf beschränkt hat, sie zu bumsen. Ich meine wirklich bumsen, ich betone dabei absichtlich meine psychologische Einstellung. Es ging mir nicht darum, mit ihnen zu bumsen, sondern daß ich sie bumste. Ich weiß nicht, ob der Unterschied da klar rauskommt. Ich konnte sagen, was ich wollte, sie himmelten mich an. Die Beziehungen waren total schizophren, ich glaube, ich verachtete die Frauen auch ziemlich.
ALICE: Also, auch eine Verachtung dir selbst gegenüber als Frau.
VALERIA: Ich würde das nicht als Verachtung gegenüber mir selbst bezeichnen, ich würde es ...
ALICE: Auch ich lerne oft Heterofrauen kennen, die mich wirklich langweilen, die mich vor allem wütend machen, die mir auch leid tun. Wenn ich an Frauen denke, wie sie sich von Männern unterdrücken lassen, habe ich drei verschiedene Reaktionen: Wut, Mitleid und Langeweile.
VALERIA: Tatsache ist, daß ich oft einen Mangel an Würde bei diesen Frauen wahrnahm. Zusammengefaßt ist das das Problem: ich beanspruche nicht, die Stellvertreterin Gottes zu sein, also, daß ich die Weisheit, ich weiß nicht, gepachtet habe, daß ich immer den richtigen Durchblick habe. Obwohl ich isoliert war, gelang es mir aber, bei dem, was ich machte, meine Würde zu bewahren. Sicherlich bezahlte ich dafür, aber sie bezahlten einen höheren Preis, weil es ihnen an Würde fehlte. Wenn jemand keine Würde hat, kann ich fünf Minuten nachsichtig sein, dann aber verachte ich sie. Daher läßt es sich nicht vermeiden, daß so ein Teufelskreis mit den Frauen entsteht.
ALICE: Aber du hast einen Frauenkörper.
VALERIA: Mein Körper existierte nicht für mich. Meine Probleme mit meinem Körper hatte ich völlig verdrängt, denn als ich sexuelle Beziehungen mit den Frauen hatte, konnte sich mein Körper nicht entfalten: Orgasmus, aus und Schluß ... Mir war das Elend dieser Situation bewußt, aber ich sagte mir >Was soll's, das läuft halt so, nimm's wie es ist<. Klar, verachte ich mich selbst, wenn ich eine andere Frau verachte... Was sollte ich machen? Es war vielleicht das einzige, was ich in einer solchen Lage tun konnte.
ALICE: Das sollte kein Urteil sein, ich wollte nicht sagen >Das hast du schlecht gemacht, das war gut ...<
VALERIA: Ich habe dich schon richtig verstanden. Ich wollte davon sprechen, wie ich als isolierte lesbische Frau in solchen Situationen klarkam. Natürlich habe ich dabei viel von mir verdrängt. Das ist der Punkt, der zentrale Punkt, auf den es ankommt, verstehst du?
ALICE: Ja, auch wenn ich mich nicht mit deiner Geschichte identifizieren kann. Gefühlsmäßig könnte ich nie so eine Beziehung eingehen, wie du sie gerade beschrieben hast. Eine Beziehung, in der ich so massiv meinen Körper und meine Bedürfnisse negieren müßte ... in der ich nicht meine Schwächen zeigen und mich nicht fallen lassen könnte. Ich möchte mich nicht anders als die anderen Frauen fühlen, nur weil ich lesbisch bin. Das hieße, das Lesbischsein als Abgrenzung, als Spaltung zu benutzen. Was hat dir eigentlich die Frauenbewegung gebracht?
VALERIA: Also, mit 18 Jahren bin ich in eine Frauengruppe gegangen.
ALICE: Was hat das für dich bedeutet?
VALERIA: Tja, mir fällt gerade ein Zeitungsartikel über Lesben ein, die in die Frauenbewegung reingehen, da sie ein >optimales Jagdgebiet< sei. Ich las den Artikel und fühlte mich schuldig. Als ich das erste Mal in die Frauengruppe ging, schämte ich mich für mein Lesbischsein, aber nicht nur, weil sie mich ausschlossen, wenn sie von Männern, Kindern und Abtreibung redeten ... Irgendwann erschöpfte sich mein Interesse an der Frauenbewegung, weil das spezifisch Lesbische immer verdrängt wurde. Ich erinnere mich aber noch daran, daß ich nach zwei Jahren mit der festen Absicht, mir eine Frau zu suchen und wegen nichts anderem zu einem Frauentreffen ging: Nicht etwa, daß mich das Thema dort nicht interessiert hätte, ich wollte auf jeden Fall Frauen finden, die ansprechbar sein könnten. Als ich in die Frauenbewegung kam, wurde mir bewußt, daß ich einem großen Mißverständnis aufgesessen hatte. Als ich hörte, daß Frauen anfingen, sich zu treffen, dachte ich nämlich, der Feminismus wäre gleichbedeutend mit Lesbianismus. Aus diesem Grund stürzte ich mich mit Leib und Seele rein, aus Naivität und Hoffnung. Als ich mich am Anfang mit diesen Frauen traf, wir waren vier oder fünf, also das Übliche zu den Anfangszeiten ... war ich fast verlegen, ich schämte mich, eine Lesbe zu sein. Aber weißt du, daß ich das erste Mal in einer Frauengruppe von heterosexuellen Erfahrungen erzählte, die ich nie gemacht hatte? Während ich in den gemischten Gruppen als emanzipierte Frau galt, die sich bestimmte Dinge erlauben konnte, gerade weil ich emanzipiert war - und dabei aber mein Lesbischsein nicht offen rauskommen durfte, fiel mir in der Frauengruppe, zumindest am Anfang, eine andere Rolle zu, nämlich die der Bisexuellen: Die anderen Frauen kamen mir wie Richterinnen vor, die verzweifelt versuchten, aus mir wenigstens ein Körnchen an Heterosexualität herauszupressen. Ich erfand Geschichten von nie gewesenen Beziehungen mit Männern, bis mich eine Frau eines Tages fragte, was ich für ein Verhütungsmittel benutze. Ich kenn mich in dieser Materie überhaupt nicht aus, aber ich antwortete ihr, daß ich die Pille nehme. Noch sadistischer bohrte sie nach, >Welche?<. Ich war entdeckt: Mein Rumstammeln bewies ihr, daß ich gelogen hatte, mir selbst zeigte es, daß ich unheilbar lesbisch bin. Zwischen den Heterofrauen gab es eine merkwürdige Komplizenschaft, die auf ihrer Angst vor meinem Anderssein beruhte. Auf der nächsten Versammlung fragte mich doch eine Frau, ob ich diese Sexualinformationszeitschrift VENUS kenne. Es gäbe da drin einen Artikel über Frauenliebe, den sollte ich mal lesen. Sie gab mir die Zeitschrift. Obwohl ich es mir sehnlichst wünschte, hatte ich nicht den Mut, sie gleich aufzuschlagen. Sie anzuschauen, hätte bedeutet, mein Lesbischsein zuzugeben.
ALICE: Als du hierher kamst, wußten alle, daß du lesbisch bist.
VALERIA: Das war noch nicht so, als ich hierherkam, sondern erst als ich in die Frauenbewegung ging. Dort denunzieren einen die Heterofrauen nämlich. Hier hatte ich auf einen Schlag mehr Freiheit. Endlich konnte ich mir meine Zeit einteilen, bestimmen, mit wem ich schlafe, ob ich nach Hause gehe oder ausgehe usw... Nach Jahren des Schweigens schien es mir nicht wahr, konnte ich es kaum fassen, daß ich endlich allen sagen konnte, daß ich lesbisch bin. Ich fühlte mich richtig befreit. Es ist bezeichnend, daß mich meine lesbischen Freundinnen fragten, >Wie kommt's, daß du dich mit den Feministinnen abgibst, die haben doch keine Ahnung von uns?< Was mich in der Frauenbewegung gehemmt hat, war, daß die Heterofrauen, wenn sie einmal von meinem Lesbischsein erfahren hatten, verzweifelt versuchten, meine sämtlichen körperlichen, psychischen und geistigen Eigenheiten auf mein Lesbischsein zurückzuführen: Hatte ich kurze Haare? Dann muß ich ja lesbisch sein. Jede Lesbe hat kurze Haare, so in dem Stil. Sie versuchten, mir das von der Heterosexualität geprägte Lesbenstereotyp aufzudrängen. Es wurde sogar noch schlimmer, eine Frau hielt mir nämlich ein Vortrag über das sich bedingende Verhältnis von Homosexualität und Nationalsozialismus. In ihren Anspielungen vergaß sie, daß im Nationalsozialismus die Homosexuellen in die KZ's abtransportiert wurden, auch bin ich nicht homosexuell, sondern lesbisch. Das Gespenst vom Lesbischsein fing an, herumzugehen. Die Heterosexuellen wollten nichts anderes, als es loswerden und es verdrängen. Das Gespenst vom Lesbischsein wird umgebracht, angenommen, das wäre möglich, indem ihm eine Rolle verpaßt wird und alle Gefühle abgetötet werden, die jede Frau, auch wenn sie ein heterosexuelles Leben führt, sei's auch nur einmal, irgendwann gegenüber einer anderen Frau hatte. Die Verdrängungsleistung einer jeden Frau geht dann so weit, daß sie selbst Worte benutzt, die ihre Realität nicht einmal annähernd beschreiben. Sie zeigen statt dessen, wie die Frau ihre eigenen Ängste verbal umschreibt. Ich will das erklären: Zum Begriff der Heterosexualität: Wenn wir der etymologischen Bedeutung dieses Wortes nachgehen, sehen wir, daß es auf ein Zusammentreffen zweier verschiedener Sexualitäten hinweist. Nur, wo gibts das? Ganz bestimmt nicht in der sexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau, in der allein die Phallus Sexualität herrscht und die Frau wie als Spiegel benutzt wird, um den Mann in seiner Macht zu bestätigen, und um ihm seine Angst vor der eigenen Homosexualität zu nehmen. Der Mann ist Narziß, die Frau wird auf das Echo reduziert, das ist das Wesen der Heterosexualität. Es ist typisch, daß ich in meiner Frauengruppe als Homosexuelle bezeichnet wurde. Das Wort lesbisch wurde nie ausgesprochen, es machte zuviel Angst, es erinnert daran, daß ich als Frau andere Frauen begehre. Der Begriff homosexuell hat eine sozusagen neutrale Färbung, da er sich auf den Mann bezieht. Wie kam es nun dazu, daß ich mich in meiner Frauengruppe offiziell zu meinem Lesbischsein bekannte? Auf einem Treffen, als eine heterosexuelle Frau eine andere heterosexuelle Frau mit >Halt die Schnauze, du Lesbe!< beleidigte, bin ich aufgestanden und habe gesagt >Schluß damit! Wage es bloß nicht, Homosexualität als Beleidigung zu benutzen. Ich bin nämlich homosexuell.< Die zwei Frauen waren fassungslos, sie fanden keine Worte, dann stotterten sie sich rechtfertigend ein paar Entschuldigungen zusammen. Ja, das war der erste Schritt. Ich erinnere mich, daß ich als nächstes in unserem Zentrum anfing, zu schreiben. Ich sprach nicht, ich schrieb. Ich beschrieb Wände, Tische und unser Briefpapier, ... weil mir nie das Wort erteilt wurde. Wenn ich nämlich von mir sprach, herrschte eisiges Schweigen. Dann wurde gesagt, >Ach, laßt uns weiter diskutieren<, so als ob ich nur ein Pausenfüller wäre. >Gehen wir zum Tagesordnungspunkt über, das Problem liegt ganz woanders, wie ihr, liebe Frauen, ja wißt!<. Es ging um Lohn für Hausarbeit, die Abtreibung und Verhütungsmittel. Ab und zu diente ich der allgemeinen Belustigung, was aber dann doch nicht so angenehm war, denn ich löste Gespenstisches aus. Ich war die Hexe. In der Frauengruppe hat man mir übel mitgespielt, daß ich für sie ein Wesen von einem anderen Stern verkörperte. Alles, was ich tat, galt als Handlung einer Lesbe, die bumsen wollte ... Offen gesagt, dachte ich bei vielen nicht im Traum daran, mit ihnen zu schlafen. Einmal wollte ich von einer Frau eine Information über etwas haben, was ich nicht mitgekriegt hatte, sie machte da im wahrsten Sinne des Wortes einen Satz nach hinten. Ich sagte zu ihr, >Meine Liebe, beruhige dich, ich überfall dich schon nicht.< Sie brummelte dann etwas von Entschuldigung.
ALICE: Ja, ja, das Gespenst der Homosexualität gab's immer schon.
VALERIA: Ich hab's mehr oder weniger geschafft, mich vor den ironischen Anspielungen, den Sprüchen, den indiskreten Fragen der Frauen zu verteidigen. Das Entscheidende daran ist, daß ich selbst nicht wußte, wer ich war, was bei mir ablief. Ich bumste wie eine Verrückte mit jeder Möse, die mir begegnete. Ich sage Möse, weil mich der Rest nicht interessierte. Warum wohl? Weil ich mich nur als Lesbe fühlen konnte, wenn ich mit einer Frau schlief, und zwar ging das mit jeder beliebigen Frau. Genauso ging es mir, wenn ich im F.U.O.R.I. war, obwohl dort nur Typen waren. Ich war wieder mal die einzige Lesbe, aber ich fühlte mich mehr zu den männlichen Schwulen zugehörig als zu den heterosexuellen Frauen. Das Problem meiner eigenen Identität wurde immer dringlicher für mich, denn sowohl der F.U.O.R.I., der von Anfang an von den Männern beherrscht wurde, als auch die rein heterosexuell orientierte Frauenbewegung brachten mir nichts. Ich selbst konnte mir nicht erklären, wer ich war. Also dachte ich mir, ein in einem weiblichen Körper gefangenes männliches Wesen zu sein, von daher nicht homosexuell, sondern heterosexuell, d.h. ein Mann, der mit den Frauen geht. Doch die Rechnung ging nicht auf. Ich betrachtete mich im Spiegel, und ich sah mich, alles in allem eine Frau. Es gelang mir damals nicht, mein Begehren, meine Gefühle zu Frauen mit meinem weiblichen Körper in Einklang zu bringen. Ich konnte diese beiden Seiten meines Wesens nicht vereinbaren, also meine Gefühle und das Äußere meines Körpers. Dieses große Fragezeichen hat die Frauenbewegung noch nicht gelöst. Ich war mehr in der Defensive, anstatt Stellung zu beziehen. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich war noch mitten in meiner Entwicklung und suchte noch mühsam nach meiner eigenen Identität. Ich fühlte mich schizophren: Ich versuchte, meine physische Ambiguität hervorzukehren, dann wieder tarnte ich mich, denn die anderen sollten nicht mitkriegen, daß ich eine Frau bin, die Frauen liebt. Ich mag kurze Haare und würde sie mir nie wachsen lassen. Früher wollte ich sie auch schon immer kurz haben. Ich versagte mir alles, was als weiblich galt. Weiblich zu sein, bedeutete für mich einerseits, mich etwas Unbekanntem auszuliefern, und andererseits bedeutete es, eine Welt zu repräsentieren, die mir Angst machte, da ich sie nie erfahren hatte: Das Weibliche in mir selbst. Um nicht auszurasten, war es für mich viel leichter, einfach zu sagen, daß ich ein Mann bin, der in einem Frauenkörper eingeschlossen ist, obwohl es schizophren ist. Ich schlief ausschließlich mit heterosexuellen Frauen. Diese Frauen haben sich selbst als >Weibchen< angeboten, wenn sie mit mir ins Bett gingen. Wenn du mit so einer Frau schläfst, die sich dir als Weibchen präsentiert, bietest du dich automatisch als Typ an, was bleibt dir sonst übrig?
ALICE: Das ist aber ein arges Handicap, eben das kleine ...
VALERIA: Genau, aber ich rede von der Logik einer Heterofrau, die mit einer lesbischen Frau zusammen ist: Ich behaupte nicht, daß -es zwischen zwei lesbischen Frauen solch ein Handicap gibt, im Gegenteil. Bei mir zeigte es sich aber, daß ich männliche Verhaltensweisen annahm, die, wie ich bereits sagte, damit anfingen, daß ich die sexuelle Initiative ergriff ... Also, die andere zeigt dir, daß sie bereit ist, indem sie um dich herumscharwenzelt, dann machst du den ersten gezielten Schritt, und es geht in den sexuellen Akt über. Manches machte nur ich und sie gar nichts, die, die leckte war ich, sie vergeudeten ihre Zeit nicht damit, sie legten sich hin und warteten auf das Wunder des Orgasmus, das ich in die Hand nehmen und ihnen beschaffen mußte: Ihr einen Orgasmus zu verschaffen, mir einen Orgasmus zu verschaffen, daß sie sich wohl fühlt, ich mich wohl fühle, daß du ja nicht auf die Idee kommst, daß ich ein Typ sein könnte. Tja, auch so was, deswegen konntest du z.B. nicht oben sein, denn wer oben liegt, ist der Mann, meinten die Frauen aus der Bewegung. Verrückt!
ALICE: Wahrscheinlich hast du dich selbst auch so wahrgenommen.
VALERIA: Natürlich habe ich mich selbst auch so wahrgenommen.
ALICE: Auch mir sind solche Geschichten passiert, nicht nur mit heterosexuellen Frauen ... Frauen, die darauf warteten, daß ich alles für sie in die Hand nahm, jedoch habe ich nie etwas in die Hand genommen.
VALERIA: Klar doch, ich habe es für sie in die Hand genommen, weil ich damals als Lesbe isoliert war, und in bestimmten Situationen bin ich lieber in schlechter Gesellschaft als alleine. Das wird aber zu einem grundlegenden Problem. In meiner Einsamkeit packte ich es nicht mehr, ich hätte mich umbringen können. Nach fünf Analyse-Jahren war ich soweit, ich hätte Wände einrennen können, nur damit mir ein Mann gefiel. Ja, ich habe alles versucht, damit mir ein Mann gefiel. Ich erinnere mich, kurz nachdem ich auf die Uni gekommen war, machte mir ein Kollege den Hof. Also packte ich die Gelegenheit beim Schwanze. Im Sinne, >Tja<, na gut, der Typ läuft mir nach, den schnapp ich mir<. Er lädt mich ein, bei ihm zu Haus zu arbeiten ... Du weißt, wie die Männer sind, sie sagen dir nie, daß sie mit dir bumsen wollen, sie drucksen da erst so rum! Es war mir klar, daß er mit mir bumsen wollte... Er bringt mich also zu sich nach Hause, tut, als ob er ein paar Bücher zusammensuchen würde, in der Zwischenzeit ziehe ich mich völlig nackt aus: >Mal sehen, was passiert, mal sehen, ob es das bringt.< Er dreht sich um und sieht mich nackt ... Es überkommt ihn. Gehen wir also mit diesem Typen ins Bett. Natürlich setzte ich mittlerweile mein autogenes Training in Gang: Ich tat so, als ob er eine Frau wäre, so schaffte ich es, mit ihm zu schlafen. Es gelang mir aber nicht, mich zu erregen ... Ich küßte ihn und spürte sein rasiertes Gesicht: Fürchterlich. Kein zartes Gesicht, das dir eben nicht wehtut. Ich habe eine sehr empfindliche Haut, ja, auch ein gut rasierter Mann kratzt mich, und ich will keine Schrammen haben. Inzwischen hatte ich mir erotische Phantasien von Frauen gemacht, doch es gelang mir nicht, mich sehr zu erregen. Dann berührte ich seine Brust, ab da hörte alles auf. Ich konnte es nicht, es haute mich um, daß er keinen Busen hatte. Ich fing an, mir zu überlegen: "Oh Gott, das ist ja eine kastrierte Frau, eine Frau, der sie die Brüste abgeschnitten haben, weil sie Krebs hat, sie ist praktisch tot.< Sein Schwanz hatte mich nicht sonderlich beeindruckt, dafür aber der nichtvorhandene Busen. Ich zwang mich dazu, etwas zu suchen, was einem Busen ähneln könnte, doch da war nichts. Ich weiß noch den Traum aus jener Nacht, den ich zu Hause hatte. Ich lag mit einer Frau in einem Bett, plötzlich entdeckte ich, daß sie ein Transvestit war mit einem Busen aus Silikon, unter dessen Schminke sich ein Bart verbarg. Ich war fertig, und zwar weniger wegen das besagten anatomischen Unterschieds, dem bekanntlichen kleinen Unterschied, das nahm ich überhaupt nicht wahr. Mein hetereosexuelles Experiment hörte wegen des fehlenden Busens auf. Schluß aus, ich hatte keinen Anlaß, weiterzumachen. Es war ein Experiment, vielleicht auch masochistisch, um am Ende sagen zu können, >Ich muß mich damit abfinden, ich bin wirklich lesbisch, vor der Gesellschaft kann ich ein ruhiges Gewissen haben. Ich habe alles versucht, ich habe eine Analyse gemacht, Psychopharmaka genommen und sogar versucht, mit einem Mann zu gehen.<
ALICE: Warum hast du eine Analyse gemacht?
VALERIA: Ich habe die Analyse gemacht, weil meine Mutter damals zu mir meinte: >Mit vierzehn wirst du bestimmt Probleme haben, der Analytiker ist bereits bezahlt, morgen ist die erste Sitzung.< Ich hatte riesige Lust, von mir zu reden. Wenn ich nicht zu dem Analytiker gehen konnte, ging es mir sehr schlecht. Dann wurde daraus eine Abhängigkeitsgeschichte, denn er war der einzige Mensch, mit dem ich reden konnte. Darüber hinaus, ich als Frau bezahlte einen Mann. Meine kleine erbärmliche Revanche war sein Schweigen, >Du hast still zu sein, ich kann dir alles erzählen, und du darfst das niemandem weitererzählen, du wirst nichts sagen können, wie eine Prostituierte, du Mann. Ich muß dich für diese Dienstleistung bezahlen, du aber darfst nichts sagen<.
ALICE: Aber, entschuldige mal, dein Bruder ... haben sie ihn auch zur Analyse geschickt?
VALERIA: Nein.
ALICE: Wie kommt's?
VALERIA: Ich weiß es nicht. Meine Mutter sagte mir, ich wäre sehr schweigsam gewesen. Ja, ich ging zur Schule, später zu den Vorlesungen an der Uni, ich studierte, ging zu den politischen Gruppen, danach kam ich nach Haus und las, ich schloß mich in mein Zimmer zum Lesen ein. Regelmäßig drückte ich mich vor den Seminarfeten, aber meine Mutter erfuhr davon und brachte mich mit ihrem Auto direkt zu dem Fest, sie ließ nicht locker, bis ... Also, ich mußte dort bleiben. Hast du eine Ahnung, wie so eine Heterofete abläuft? Einfach stinklangweilig. Vielleicht gefiel mir dort sogar eine Frau, aber ich konnte mich nicht vor dem ganzen Seminar entblössen und mit einer Frau abhauen. Meine Mutter schickte mich hin, weil sie sich für jede unangenehme Sache, die mir passierte, verantwortlich fühlte. Ich glaube, wenn ich meiner Mutter sagen würde oder sie erfahren würde, daß ich lesbisch bin, würde sie sich nicht so wie mein Vater verhalten. Mein Vater wäre fähig, mich umzubringen. Ich muß dazu sagen, mein Vater ist so einer, der beim Essen Schwulenwitze erzählt, weil er herauskriegen will, wie du darauf reagierst.
ALICE: Merkwürdig diese Tendenz, immer über Schwule zu reden.
VALERIA: Meine Mutter weckte mich einmal um zwei Uhr nachts, um mir zu sagen, daß mein Bruder schwul ist. >Oh Gott<, dachte ich, >auch mein Bruder schwul, warum muß denn mein Bruder auch schwul sein, reicht nicht einer in der Familie?< Die Einstellung meines Vaters dazu ist die eines harten, repressiven und unnachgiebigen Mannes, der dich nicht einmal anhört. Meine Mutter fühlt sich aber immer gleich schuldig und würde alle Schuld auf sich nehmen, weil ich lesbisch geworden bin. Ich weiß noch, wie mein Bruder einmal unfähig war, eine Matheaufgabe zu lösen. Ich freute mich darüber. Meine Mutter meinte zu mir, daß ich ihm helfen sollte. Sie bestand darauf, daß ich ihm half. Ich darauf zu meiner Mutter, >Kannst du es nicht mal endlich lassen? Ich soll ihm immer helfen, deinem Lieblingskind.< Ich überlasse es dir, dir vorzustellen, was passierte. Ich habe die ganze Nacht geweint, meine Mutter schlief nicht, wir standen morgens auf, trafen uns beim Frühstück, meine Mutter dann: >Gestern ist mir klar geworden, daß ich mich falsch verhalten habe<. Meine Mutter lädt immer alle Schuld auf sich. >Es ist alles meine Schuld, was dir passiert und dir passieren wird. Egal, was du machst.< Also natürlich auch die Homosexualität. Meine Mutter, >Ja, weil ich dich verlassen habe<. Ich erwiderte ihr, >Aber du hast mich nicht verlassen, du warst nur einfach im Krankenhaus<. Darauf ihre Antwort, >Es ist schon recht, vergiß nicht, ich werde dir Geld geben, ich werde es dir an nichts fehlen lassen, geh ruhig, wohin du willst, laß uns, geh von Zuhaus weg, ich geb dir Geld, damit es dir gut geht, alles, was du brauchst. Wenn du von Zuhause weggehen mußt, dann geh ruhig weg von mir, geh ruhig<. Du wirst verstehen, wie eine sich da fühlt. Dagegen habe ich die Figur meines Vaters sehr verdrängt. Zumindest haben mir an meinem Vater die Sachen gefallen, die er machte, er war in einer anderen Partei politisch aktiv. Es war immer etwas Politisches: Er ist viel gereist, ich erinnere mich an die wenige Male, als ... ich weiß nicht mehr, wie es war, als er jung war und dann älter wurde, das habe ich nicht mitgekriegt. Ich erinnere mich noch an seine Stimme am Telefon, ich weiß nicht, aus Amerika, London, ich erinnere mich an nichts anderes. Ich meine, ich hatte so eine, banal ausgedrückt, Haßliebe für meinen Vater. Was ich gut finde, ist, daß er mir so manches gab ... Durch ihn entdeckte ich eine Welt, die mich heute noch fasziniert, zumindest in beruflicher Hinsicht. Ansonsten habe ich ihn als etwas kleinkariert erlebt, er wollte mich immer unter seiner Fuchtel halten, als seinen verlängerten Arm. Meine Mutter war dagegen eine ambivalente Figur, ich hatte immer einen Groll auf sie. Ich merkte, daß sie meinen Bruder mehr liebte und bevorzugte. Mein Bruder bestand immer darauf, bei meiner Mutter, ich wollte eigentlich sagen, bei seiner Mutter, aber sie ist ja auch meine ... zu schlafen. Meine Mutter schickte mich zum Psychoanalytiker, weil ich immer schwieg war. Oh, ja, dieser Psychoanalytiker ... In den ersten Sitzungen schwieg ich aus Mißtrauen, auch hier spielte meine Beziehung zum Geld rein, >Ich will, daß du dir klar machst<, stellte ich mir vor, ihm zu sagen, >woran du bist, du armes Schwein. Ich bin jetzt hier, rede kein Wort, du vergeudest deine Zeit, ich bezahle dich, du kannst mir nicht sagen, >red' was du willst, nur sag irgendetwas, denn für mich ist es langweilig, eine Stunde die Decke anzustarren.< Ich forderte ihn zum Kampf heraus.
ALICE: Was für ein Verhältnis hast du zum Geld?
VALERIA: Also, mein Verhältnis zum Geld, das ist noch am leichtesten auszumachen, also, das Verhältnis zwischen Geld und Macht. In meinen Phantasien, ich sage nicht, in meinen Analysen, ermöglicht das Geld mir, mich zu retten. Ich muß immer daran denken, falls sie morgen ein Gesetz gegen Homosexuelle machen, sie ins Gefängnis schicken, werde ich genügend Geld haben, um zu fliehen, wie manche Juden genug Geld hatten und nicht im KZ endeten. Deswegen ist Geld für mich nicht so sehr an den Besitz von irgendwelchen Gegenständen gebunden. Ich, der es nie an etwas fehlte, weiß nicht, was es bedeutet, ohne Geld zu leben. Wenn etwas Außergewöhnliches passiert, erlaubt dir das Geld, damit fertig zu werden.
ALICE: Also, eine Sicherheit.
VALERIA: Ja, es bietet eine extreme Sicherheit. Das Geld ermöglicht dir, dich zu retten, andere zu bestechen. Andererseits was hast du vorhin über die Beziehung zum Geld gesagt?
ALICE: Ich sagte, daß Geld dir anscheinend eine Sicherheit bietet, eine Macht, deine Macht, die andere lesbische Frauen nicht haben. Es ist interessant, festzuhalten, daß du einen solchen Gedanken wie, >Wenn die ein Gesetz gegen Homosexualität machen und alle ins Gefängnis stecken, kann ich mich retten<, nötig hast.
VALERIA: Das phantasiere ich doch nur ...
ALICE: Andere lesbische Frauen können zwar auch solche Phantasien haben, du kannst aber sagen, daß du dich mit deinem Geld retten kannst. Klar, wenn eine kein Geld hat, kann sie nicht auf diese Sicherheit bauen. Mir scheint, das sind wieder Sachen, die dich von den anderen Frauen trennen. Das, was du sagst, beinhaltet Isolierung. Du glaubst, du bist allein und mußt dich alleine retten, du glaubst nicht daran, daß du die Umstände zusammen mit anderen lesbischen Frauen verändern könntest.
VALERIA: Ich habe doch nicht meine Beziehung zum Geld generell analysiert, sondern von einer meiner Phantasien geredet. Das bedeutet nicht, daß meine Phantasien einer wirklichen Analyse entsprächen.
ALICE: Ja, sicherlich, aber wie sieht ganz konkret deine Beziehung zum Geld im Verhältnis zu anderen Frauen aus?
VALERIA: Ich weiß nicht, dies ist eine vielleicht zu allgemeine Frage, die ich offen gesagt nicht verstehe. Für mich ist das ziemlich unangenehm. Wenn du mich meinen Faden weiterspinnen läßt, gelingt es mir vielleicht, das zusammenzukriegen. Ich sprach vom Geld, der Macht, dem Beruf. Etwas, was ich in meinem Leben nie ertragen konnte, ist der Gedanke an einen beruflichen Mißerfolg. Ich arbeite wie eine Verrückte, ich interessiere mich für mein berufliches Umfeld, denn ich will ... Ich will verstehen, ich weiß nicht - ich will Erfolg haben. Das gibt mir ... neben meiner Rolle als lesbische Frau, eine andere Rolle, ob ich mir da was vormache oder nicht, ist unwichtig. Ich stelle mir immer vor, daß ich die Rolle eines tüchtigen berufstätigen Mannes ausführe und nicht die einer tüchtigen berufstätigen Frau. Um meine Homosexualität auszugleichen, ich bin zwar Lesbe -aber trotzdem tüchtig im Beruf. Durch die selbständige Tätigkeit kann ich viel Geld machen. Wenn einer als Lehrer arbeitet, macht er nur 350.000 Lire im Monat. Als Selbständige kann ich es mir großzügig erlauben, daß mir eine arme Genossin keine Lira zahlen muß, während ich mir von reicheren Kunden zehn Millionen Lire zahlen lasse. Geld zu verdienen heißt nicht nur, es für etwas Besonderes nutzen zu können, dieses Besondere kann auch das sein, wovon ich eben gesprochen habe, ein Gesetz gegen Homosexualität. Damit wäre Geld etwas, um mich vor einer Gefahr zu schützen. Ich möchte das Geld auch für mich benutzen, also nicht, daß mein Geld festsitzt, sondern es soll zirkulieren, aber ich will sein Zirkulieren in der Hand haben. Ich will kein Geld anhäufen, aber ich stelle mir vor, daß ich einen Schwulen-, einen Lesbenverlag, aufmachen könnte, wenn ich hundert Millionen hätte. Oder ich würde etwas anderes damit anfangen. Meine Beziehung zum Geld ist also nicht allein defensiv, sondern auch offensiv, d.h. ich sehe es immer untrennbar in Verbindung mit Starksein.
ALICE: Ich will deine Entscheidung nicht infragestellen, sie scheint mir auch sehr stimmig ... aber es ist natürlich viel schwieriger, lesbisch und arm zu sein.
VALERIA: Das stimmt. Anna Maria, die doppelt belastet ist, meinte zu mir, daß sie arbeiten will, daß sie sehr viel arbeiten will, um viel Geld zu haben.
ALICE: Und im Leben wirst du dann reingelegt ...
VALERIA: Natürlich legen sie einen rein.
ALICE: Übrigens, was deinen Beruf betrifft, du hast immer mit einer männlich geprägten Weit zu tun, du mußt dem Rhythmus der Männer folgen, nicht deinem eigenen und deinen Körper dazu zwingen. Die Männer können Wahnsinnsrhythmen aushalten, weil nichts an ihrem Körper sie mit dem Leben verbindet, außerdem halten sie sich schadlos an den Energien der Frauen.
VALERIA: Reden wir Klartext, du bist genauso in einer Männerweit, wenn du als Küchenmädchen oder Putzfrau arbeitest.
ALICE: Das ist klar, aber ich meinte was anderes. Sicher, eine befriedigende Arbeit zu haben, ist wichtig, sie kann eine der vielen Mittel sein, um sich selbst zu verwirklichen. Mir kommt's jedoch so vor, als ob in deiner Argumentation das Problem der fehlenden Identität lesbischer Frauen zutage kommt. Ich habe rein gar nichts für mein Lesbischsein wettzumachen und gar nichts zu büßen. Ich bin lesbisch und Schluß, ich will mein Leben genießen, wenigstens im Bereich meiner Möglichkeiten. Ich möchte meine Identität nicht von einer gesellschaftlichen Rolle abhängig machen, ich will nicht, daß sich mein Sein mit der Persona, um bei dem Jungschen Terminus zu bleiben, deckt.
VALERIA: Ja, aber worauf läuft das hinaus?
ALICE: Eine Schlußfolgerung wäre, daß es mir sehr gefährlich scheint, sich von einem Super-Produktivitätszwang einholen zu lassen, nicht nur weil du damit einem männlichen Muster folgst, sondern weil du dabei riskierst, nur Energien in ein männliches System zu stecken, ohne dabei etwas für dich und die anderen Frauen rauszuschinden, solange du nicht weißt, wo dein Platz ist als lesbische Frau, z.B. in der Wissenschaft. Also, im Grunde ist es das gleiche wie beim Abwasch, du mußt immer den gleichen Mist wiederholen.
VALERIA: Mir ist diese große Gefahr bewußt. Im Moment bestehe ich aber noch auf dem, was ich sage und mache. Die Bestätigung in der Arbeitswelt ist für mich nicht nur ein Weg, Geld zu beschaffen, mit all dem, was wir vorhin angesprochen haben, sondern es bestätigt mich auch persönlich. Hier kommt das Verhältnis zur Macht mit ins Spiel, das eines der größten Probleme ist, die eine Lesbe haben kann. Ich bin viel zu stolz, um zuzulassen, daß ich meine Macht der Tatsache verdanke, daß ich die Tochter des Soundso oder die Ehefrau des Soundso bin, ich würde mich wie ein kleines Gänschen, als eine gescheiterte Frau fühlen.
ALICE: Moment mal, was heißt Frau für dich?
VALERIA: Was Frau heißt?
ALICE: Ich will dir erklären, warum ich dir diese Frage stelle: Wenn ich an mein Berufsleben denke, könnte ich mich, orientierte ich mich an deinen Beschreibungen, wirklich als gescheiterte Frau fühlen.
VALERIA: Ich kann nicht sagen, was eine Frau ausmacht, aber ich kann sagen, was eine gescheiterte Frau ausmacht, nämlich eine Frau, die sich nicht selbst versorgen kann.
ALICE: Eine Frau kann sich selbst versorgen, auch wenn sie als Sekretärin arbeitet.
VALERIA: Nein, wenn ich als Sekretärin arbeite, kann ich mich nicht selbst versorgen, ich muß immer einem Direktor Rede und Antwort stehen.
ALICE: Was meinst du also mit Sichselbstversorgen?
VALERIA: Damit meine ich einen freien Beruf, der dir Vorteile verschafft, die du in einer untergeordneten Arbeit nicht hast. Wenn ich um zehn ins Büro komme, geht mir keiner an die Eier, weil ich erst um zehn gekommen bin. Ich komme nicht um 8 Uhr, um mich von irgendeinem Arschloch von Mann herumkommandieren zu lassen. Ich kann mir meine Arbeit dann so einteilen, wie ich will, kein hohes Tier bestimmt darüber, kein Mensch kann mich dazu bringen, etwas zu sagen, was ich nicht will. Ich kann auch schon mal die Vermittlerin machen, weil ich es muß, jedoch nur aus taktischen Gründen. Es kann sein, daß das zu optimistisch gedacht ist, aber Sekretärin zu spielen, bringt mir nichts.
ALICE: Klar, ich glaube, das bringt keiner Frau was. Ich glaube, keine Frau ist damit zufrieden, die Sekretärin zu spielen.
VALERIA: Ja, was soll's, Sekretärinnen gehen mich nichts an, ich bin keine und denke auch nicht daran.
ALICE: Ich finde aber, das kann in deine Beziehung zu Giulia reinspielen...
VALERIA: Was willst du damit sagen?
ALICE: Ich meine, weil sie nicht selbständig ist, sondern als Abhängige arbeitet. Das kann in jede Beziehung zu einer Frau, die nicht so wie du ist, reinspielen. Fest steht, Frauen leben im allgemeinen in ökonomischer Abhängigkeit. Du triffst sehr viel eher auf eine Frau, die nicht als Selbständige arbeitet, als auf eine Selbständige.
VALERIA: Das weiß ich auch. Aber ich habe jetzt subjektiv von mir gesprochen. Anders ist es, wenn du in einer Beziehung zu einer Frau stehst, die nicht unter solchen Bedingungen lebt. Für mich gesprochen kann ich aber sagen, daß ich wie alle, die es sich leisten können, nicht im Stande bin, mich unterzuordnen.
ALICE: Okay, solange es keine Alternativen gibt.
VALERIA: Du redest doch selbst so, du bist doch selbst selbständig.
ALICE: Ich identifiziere mich nicht gerade doll mit meinem freien Beruf. Außerdem habe ich mich gezwungenermaßen dazu entschieden. Auslöser war die Angst, da auf meinem damaligen Arbeitsplatz zwei Lesben ohne Begründung entlassen worden waren. Von daher war meine sogenannte freie Entscheidung erzwungen. Oft wirst du gegangen, oder sie schieben dich einfach auf's Abstellgleis.
VALERIA: Ja, Arbeit hat nie etwas Befreiendes an sich. Tja, jetzt könnten wir Theorien über Arbeit und Gesellschaft hervorkramen, aber das sind alte Klamotten. So wie Arbeit organisiert ist, und solange deine Existenz davon abhängt, ist sie Entfremdung. Es gibt unwahrscheinlich entfremdete und weniger entfremdete Arbeiten, aber die Entfremdung bleibt. Ich sage nicht, daß selbständige Arbeit das einzig Wahre und der Sekretärinnenjob nur Scheiße ist. Beides ist beschissen, da man immer arbeiten muß, weil es so sein muß, ich meine ... als Frau kann ich nur so überleben.
ALICE: Zur Zeit arbeitest du nicht selbständig. Als Studentin hast du einen anderen Sozialstatus. Ich glaube aber, daß in deine Beziehung zu Giulia hineinspielt, wie du dein Berufsleben in Angriff nimmst, auch dein Verhältnis zum Geld.
VALERIA: Ich gehe von mir aus, ich meine, im Leben gibt's nicht nur Bumsen, ja, ich kann von mir behaupten, mich langweilt Sex.
ALICE: Es geht nicht nur um Sex!
VALERIA: Auf meine großen Entscheidungen im Leben könnten wir jetzt die ... Freudsche Analyse ... von Homosexualität, Paranoia und Gesetz anwenden.
ALICE: Sieh mal, obwohl du mehr über dich in Erfahrung bringen willst, beziehst du dich jetzt auf männliche Denkmuster, die gegen dich sind, dich unterdrücken ... wie das Freudsche Modell z.B...
VALERIA: Ich habe nicht behauptet, daß das stimmt, ich habe nur gesagt, daß so ein Piefke von Analytiker das so darstellen würde, ich stell das doch nicht so dar. Ich meine, ich will auch gut leben, ich bin gerne mit anderen Frauen zusammen, mache gerne etwas mit ihnen, aber mich stört, wenn ich nicht die Mittel dazu habe. Für diese Arbeit habe ich mich aus psychologischen Gründen entschieden, ich bleibe jetzt mal bei dieser banalen Freudschen Erklärung. Vielleicht hat das auch klassenbedingte Gründe, außerdem habe ich auch persönliche Gründe.
ALICE: Ich mache dir deine Entscheidung doch nicht streitig, alle Entscheidungen werden ...
VALERIA: Das sind alles keine Entscheidungen.
ALICE: Ja. Ich wollte nur deine Entscheidung ganz verstehen, und zwar im Vergleich zu anderen Frauen, die sich vielleicht ganz anders entscheiden, also auch, daß sie außerhalb bestimmter gesellschaftlicher Zwänge bleiben wollen.
VALERIA: In erster Linie ist das meine eigene Entscheidung, dabei geht es mir um die gesellschaftliche Anerkennung, wovon ich vorhin geredet habe.
ALICE: Ja, ja, aber du hast mir immer noch nicht gesagt, inwieweit das in deiner Beziehung zu einer anderen Frau mitspielt. Das interessiert mich nämlich.
VALERIA: Es interessiert mich auch, nur ... ich bin vielleicht stur... Ich verstehe die Frage einfach nicht. Ich finde sie zu allgemein formuliert.
ALICE: Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, vielleicht kannst du doch etwas dazu sagen.
VALERIA: Entweder ihr stupst mich an, oder ich kann damit nichts anfangen... Vielleicht will ich das auch gar nicht.
ALICE: Tja, es ist ziemlich schwer, weil ... selbständig zu arbeiten ist nicht das Gelbe vom Ei. Klar, es gibt viele Möglichkeiten, diesen freien Beruf auszuüben, also was du da reininvestierst, das kann eben zu einem Streitpunkt mit der Frau, mit der du zusammen bist, werden. Und es ist klar, wenn ...
GIULIA: Meine Einstellung zu Macht und Arbeit hat sich verändert. Obwohl ich in der Vergangenheit immer versucht habe, mich von der Arbeit, die ich ausgeübt habe, zu lösen, war es doch nie so wie heute. Seitdem ich lesbisch bin, habe ich ein Bedürfnis nach Veränderung, ich will mich als lesbische Frau begreifen und nicht im Schatten der Sicherheit eines Mannes leben. In der Schule zu arbeiten, heißt etwas, auch ich will meine Anerkennung durch die Arbeit, die jedoch nicht zum Zentrum meines Lebens, meiner einzigen Bestätigung, werden soll.
VALERIA: Ja, aber ich habe keine Lust, mich der Logik einer total entfremdeten Arbeitssituation anzupassen. Für mich ist Arbeit ein Mittel, um alle möglichen Sachen zu machen, die mich wirklich interessieren. Sie gibt mir keine unmittelbare Bestätigung, auch wenn eine Arbeit natürlich befriedigender sein kann als eine andere. Ich sehe Arbeit im Verbindung mit anderen Dingen: Wenn ich arbeite und einen Text aus Paris brauche, setz ich mich ins Flugzeug und fliege hin, ich habe keine Schwierigkeiten à la >Oh Gott, ich hab kein Geld, um mir den Text zu besorgen.< Als Sekretärin könnte ich das nicht.
ALICE: Das stimmt.
VALERIA: Was, sagtest du, hast du nicht verstanden?
ALICE: Welche Rolle das Geld in deiner Beziehung zu einer anderen Frau spielt, besonders was deine zwei Sätze von vorhin angeht.
VALERIA: Häh?
ALICE: Daß du lieber bezahlt hast, als selbst Flugblätter zu drucken, daß du den Analytiker bezahlt hast, damit er dir zuhört.
VALERIA: Sicher, meine Liebe, ich finde es aber richtig, Geld dafür zu benutzen, um zu zeigen, wie kläglich Männer im Grunde sind. Das ist meine private kleine Rache, den Analytiker zu bezahlen und ihm zu sagen, >Jetzt mußt du dafür meinem Schweigen zuhören<.
ALICE: Bei Männern kann ich dir da auch zustimmen, auch wenn ich glaube, daß historisch gesehen das Für-etwas-bezahlt-zu-werden gegen Frauen benutzt wurde. Ich bezweifle sehr, daß du so grundsätzlich trennen kannst, was du mit Geld anfängst.
VALERIA: Das stimmt nicht, ich trenne das gar nicht so grundsätzlich. Es stimmt aber, daß ich anders als in der Weit der Männer durch die der Frauen wieder zu mir komme. Herrgott nochmal, wann habe ich angefangen, Flugblätter zu drucken? In der Frauenbewegung. Ich habe mich freiwillig dazu angeboten, eines der ersten Flugblätter zu drucken. Warum? Weil es für mich wichtig war, wieder Hochachtung vor mir selbst zu haben. Damit meine ich nun nicht, daß du durch Flugblätterdrucken und - machen zu dir selbst kommen kannst ... Im wesentlichen teile ich mein Leben in zwei Bereiche ein: Den wirklichen, mein wirkliches Leben, d.h. mein Privatleben, meine Freundinnen, Reisen, unsere Pläne, halt alle unsere Sachen. Der andere ist der strategische, die Umwelt, also der Kaufmann an der Ecke, bei dem du einkaufst, die Uni, die Arbeit usw... Weißt du, was ich meine? Was ich wirklich bin, zeigt sich nicht draußen, sondern nur drinnen. Gleichzeitig ist mir klar, daß ich mich mit der Umwelt auseinandersetzen muß, ich kann mich nicht lebendig zu Hause eingraben aus Gründen, die einfach auf der Hand liegen. Solange ich keinen Schlüssel zur einfachen Lösung meiner Schwierigkeiten mit der Umwelt in der Hand habe, fühle ich mich ganz klar ohnmächtig. Was bringt mich dazu, zwölf Stunden lang mit meinem Hintern auf einem Stuhl zu kleben und wie eine Verrückte zu arbeiten? Aber täte ich das nicht, würde ich mich ohnmächtig fühlen. Solange ich nichts anderes mit den Frauen auf die Beine gestellt haben werde, wird mir ... Ich will nicht alleine kämpfen müssen. Ich will nicht, daß es mir so dreckig geht wegen Ohnmachtsgefühlen gegenüber der Umwelt. Bestimmte Mittel zu benutzen, bedeutet, sich Zutritt zur Männerwelt zu verschaffen. Aber ich mache das mit einem ganz bestimmten Bewußtsein, daß das nicht dein Leben ist, daß du dort nicht weiterkommen kannst, daß du diese Mittel aber leider einsetzen mußt. Weil ich mich immer als Einzelkämpferin fühle ... Alleine habe ich Angst. Das andere Problem, mit dem noch viel schwieriger umzugehen ist, ist nämlich, daß dein gesellschaftlicher Status, den du als Frau immerhin erlangen kannst, in der Beziehung zu der Frau reinspielt, mit der du zusammen bist. Das ist alles schrecklich kompliziert, da kommen viele Faktoren zusammen. Auf der einen Seite gibt's da dich mit deiner dir von der Umwelt positiv oder negativ zugewiesenen Rolle, die du natürlich mit in dein Privatleben, also in deine Zweierbeziehung und deine persönlichen Beziehungen hineinträgst. Unabhängig davon laufen auf der anderen Seite die eigentlichen Mechanismen einer Zweierbeziehung. Hier erweitert es sich jetzt ins Unendliche, wenn es darum geht, was für eine Beziehung du zu der Frau hast, welche Erwartungen, was du in die Beziehung investierst, wie die Sexualität aussieht, ob und wie ihr andere Sachen macht. Das bedeutet im Grunde, über das Leben überhaupt zu sprechen.
ALICE: Wir können doch ein bißchen von euch und euren Erwartungen reden.
VALERIA: Ja, es geht um Macht, wie oft haben wir darüber geredet! Das läßt sich in einem Satz zusammenfassen, >Ich könnte nie mit einer x-beliebigen Frau zusammen sein.<
ALICE: Das ist typisch für bestimmte Lesbenkreise.
VALERIA: Klar. Was ich damit meine? Jedenfalls nicht, daß meine Frau ein Einstein sein muß. Sie muß aber jenes gewisse Etwas besitzen, durch das sie für mich zu etwas besonderem wird. Allerdings mache ich sie durch meine Wahrnehmung zu dieser besonderen Frau, ganz unabhängig davon, ob sie bei der Müllabfuhr oder Präsidentin der Republik ist.
ALICE: Ich glaube nicht, daß das so unabhängig voneinander ist ...
VALERIA: Ich spreche nur für mich ... Wenn du allgemein darüber redest, magst du Recht haben, aber ich sprach von mir, d.h. es ist klar, daß allgemein gesehen die Macht etwas Faszinierendes hat ... Das, was mich vorwiegend beeinflußt, ist weniger die gesellschaftliche Stellung der anderen als, wie sie sich selbst organisiert. Wenn mir eine sagt, >Ich arbeite bei der Müllabfuhr, weil mir eine Arbeit an der frischen Luft Spaß macht und ich Büroarbeit hasse<. Wichtig ist für mich vor allem, wie sie sich auf mich bezieht. Die Frage ist nicht, ob sie bei der Müllabfuhr oder als Anwältin arbeitet, das hat, wie ich persönlich finde, eher in einer heterosexuellen Beziehung eine Bedeutung. Bei uns spielt die Machtfrage im Innern der Beziehung eine Rolle. Wir müssen herausfinden, wie die eigene gesellschaftliche Stellung in die Zweierbeziehung reinreicht. Für mich muß eine Beziehung gleichberechtigt sein. Hätte ich eine Beziehung, wie es mal war, in der ich das Gefühl hatte ... aus irgendeinem Grund die Macht zu haben oder überlegen zu sein, mit einer Frau, die an meinen Lippen hängt, könnte ich das zwar zwei Monate lang aushalten, es würde mich ja bestätigen ... Danach wäre es tödlich langweilig für mich, zum Gähnen. Ich brauche einen ständigen Austausch, ich will die Frau, mit der ich zusammen bin, vor allem schätzen können. Es bestätigt mich nicht, Macht über die Frau zu haben, die ich wirklich liebe, das bringt mir nichts. Das habe ich am eigenen Leib erfahren. Ich kriege dann nichts Richtiges zurück, ich mache dann ständig Sachen, die ich schon kenne. Ich meine nicht nur kulturelle Dinge, sondern ich rede von Lebenserfahrung. Es ist kein Zufall, daß ich mich mit dir und nicht mit anderen Frauen weiterentwickelt habe, auch sexuell. Das ist nicht gerade wenig und setzt einen wirklichen Austausch voraus, nicht stur auf bestimmten Positionen zu beharren, sondern Bereitschaft, sich gehen zu lassen, sich selbst im Verhältnis zur anderen näherkommen zu wollen.
ALICE: Wie hat sich deine Sexualität verändert?
VALERIA: Weißt du, das auf einen Nenner zu bringen, ist nicht leicht. Was mich immer etwas gestört und mich in meiner Sexualität bisher beeinträchtigt hat, war ... die Hektik, also weniger die Eile, in der die Sexualität durchgezogen werden mußte, als vielmehr die Hektik, die durch die vielen verschiedenen Beziehungen entstand. Eine rein sexuelle Beziehung interessiert mich nur bis zu einem gewissen Grade, an und für sich kann ich mir Erotischeres vorstellen, ich kann ganz andere mir wichtigere erotische Sachen machen. Was mein Weiterkommen entscheidend unterstützt hat, ist die Ruhe, die mir eine Beziehung ermöglicht, in der ich mich auf ganz unterschiedliche Weise einbringen kann: In der Sexualität, dem Miteinanderquatschen, den intellektuellen Auseinandersetzungen, den gemeinsamen Aktivitäten ... Bei einer vorübergehenden sexuellen Beziehung bin ich im Grunde nicht einmal erotisch beteiligt. Von daher konnte ich wahrscheinlich in all diesen vielen und unterschiedlichen sexuellen Beziehungen meine eigentlichen sexuellen Bedürfnisse nicht verwirklichen, ich hatte immer das Gefühl, unter einem Leistungsdruck zu stehen. Statt Liebe zu machen, mußte ich etwas leisten. Wahrscheinlich hat dabei auch eine Rolle gespielt, daß ich fast ausschließlich sexuelle Beziehungen zu heterosexuellen Frauen hatte. Deswegen war ich damals nie entspannt oder gelassen. Außerdem hatte ich das Gefühl, von diesen Frauen kontrolliert zu werden. Ich mußte aufpassen, daß beim sexuellen Verkehr nichts Verdächtiges passierte. Mir war nicht klar wie, wann, warum, das so sein sollte, jedenfalls habe ich auf meinen guten Ruf zu achten. Es ging nicht um den >Superfick<, vielmehr mußte ich aufpassen, daß ich nichts machte, was als >männlich< galt. Bei Giulia habe ich jedoch nicht das Gefühl, in meiner Sexualität kontrolliert zu werden, ich muß nichts leisten und habe so mehr Möglichkeiten, herauszufinden, was Sexualität für mich bedeutet. Ich kann mich besser entspannen und das nicht nur vorübergehend bei der eigentlichen Sexualität, sondern immer. Es war für mich auch wichtig, mit niemandem, also auch keinem Mann, auf den sich die heterosexuelle Frau dann bezieht, oder konkurrieren zu müssen. Die sexuellen Rollen waren in den Beziehungen damals ziemlich festgeschrieben, d.h. sie verlangten von mir eine ganze Menge. Sie behaupteten , daß sie keine Ahnung hätten, wo sie anfangen sollten. Ganz bestimmte Sachen durftest du keinesfalls tun, die für sie ... einen männlichen Charakter haben konnten. Ihre Vorstellung von Lesben entsprach eben dem Stereotyp. Darüber hinaus beweist du als eine, die mit heterosexuellen Frauen geht, im Grunde nur deine niedrige Selbsteinschätzung.
ALICE: Was soll das heißen?
VALERIA: Verliebt habe ich mich damals nie. Um zu bumsen, brauche ich mich nicht zu verlieben. Ich hatte auch damals nicht das Gefühl, mich gleich in eine neue Beziehung reinstürzen zu müssen, nur weil eine Frau mich verlassen hatte. Was mich in dem Verhältnis zu Maria beeindruckte, war, daß sie die Initiative ergriffen hatte. Sie war es, die um mich herumscharwenzelt und die Initiative ergriffen hatte. Ich glaube, auch sexuell hatte sie mich ganz schön überwältigt. Sie hatte die Rollenverteilung völlig auf den Kopf gestellt, obwohl noch die Konkurrenz mit einem Mann, ihrem Ehemann, blieb. Letztenendes habe ich nicht mitgekriegt, was ich für sie bedeutete, also ob ich für sie nur eine vollkommene Abwechslung zu ihrer langweiligen heterosexuellen Beziehung war oder ob sie wirklich Zuneigung für mich empfand. Heute denke ich, daß es für sie sehr viel bequemer war, mit mir statt mit ihrem Mann zusammen zu sein. Was mich mitgenommen hat, war, daß sie am Anfang unserer sexuellen Beziehung zu mir gesagt hatte, daß sie unsere Sexualität nicht als, ja, nicht als Sexualität empfand. Deswegen dachte ich, daß mir irgendetwas fehlte. Ich will das jetzt nicht auf die Penisneidtheorie zurückführen, da käme ich im Traum nicht drauf. Ich dachte aber, >Wenn sie sich bei ihrem Mann erregt, wie kommt's, daß das bei mir nicht funktioniert?< Die Antwort liegt auf der Hand, sie ließ sich durch mich nicht anmachen, weil sie mit ihrem Kopf voll in der Heterowelt steckte. Oft hielt ich meine Eifersucht zurück. Einige Frauen erzählten mir, daß ihre Ehemänner sie dauernd nervten durch ihre Hypereifersucht. Hätte ich mich dann noch genauso aufführen können? >Ja, du hast recht, meine Liebe, wie können diese Kümmerlinge auch nur so eifersüchtig sein? So antwortete ich dann und entfremdete mich immer mehr von mir selbst.
ALICE: Ja, aber was meintest du vorhin mit dem Zusammenhang zwischen deiner Entscheidung, nur heterosexuelle Liebhaberinnen zu haben, und dem Akzeptieren deines Lesbischseins?
VALERIA: Tja, mit lesbischen Frauen hätte ich mir solche Tricks sicher schnell abgeschminkt. Ja, die Tricks ... Lesben hätten manche meiner Trickkisten und Verhaltensweisen mit meinen wahren Problemen konfrontiert. Meine Probleme wollte ich in der Zeit bestimmt niemandem zeigen, noch mich selbst damit auseinandersetzen. Meine Schwierigkeiten mit meinem Weiblichsein habe ich immer verdrängt, weil mir das ungeheure Angst macht. Mit einer heterosexuellen Frau hast du mehr Bewegungsfreiheit. Damit meine ich, daß du da mit bestimmten Sachen nicht unbedingt rausrücken mußt, du kannst dich nicht gleichberechtigt auseinandersetzen, denn du bist nicht auf der gleichen Wellenlänge. Dadurch bietet es sich für dich praktisch mehr an, die Beziehung zu mystifizieren, du hast ja meistens mehr Erfahrung als sie. Mit lesbischen Frauen würde so ein Spielchen nicht funktionieren. Bei den heterosexuellen Frauen zog mich besonders das Verführungsmoment an. Also, daß ich sie verführe, ihre Weit durcheinanderbringe. Ich weiß nicht, ob das sadistisch oder missionarisch ist. Ich habe sadistisch gesagt, denn ich kann mir schon vorstellen, eine heterosexuelle Frau soweit zu bringen, daß sie ihren Kopf verliert, und daß ich sie dann einfach in ihrer Welt hängenlasse, so daß sie lernt, was es heißt, auf Gedeih und Verderb mit Männern zusammensein. Mit missionarisch meinte ich, daß ich mir ebenso vorstellen kann, daß eine Frau durch eine Beziehung mit mir ganz und gar mit ihrem vorherigen Leben bricht. Diese beiden Sachen spielen immer irgendwie mit. Ich glauben, daß mein Abfahren auf Heterofrauen wahrscheinlich daher kommt ... also, daß es vor allem mit meinen Identitätsproblemen zusammenhängt. Wenn ich mit einer Heterofrau zusammen bin, bin ich die Lesbe, da gibt's kein Entrinnen, ich habe eine feste Rolle, auch wenn die Beziehung beschissen läuft. Ich bin lesbisch, ich verführe sie ja, ja, ich bumse sogar mit ihr. ich hatte immer panische Angst, nicht genügend lesbisch zu sein. Ich hatte immer das Bedürfnis nach einem eindeutigen Beweis, daß ich wirklich lesbisch bin. Ich glaube, daß sich all das auch auf meine Beziehungen zu meinen Eltern auswirkt, bei ihnen bring ich, scheint's so, kleine Zeichen in Umlauf, die ihnen eigentlich meine Homosexualität klarmachen müßten. Ja, ein schöner Krach mit meinen Eltern würde mir den Beweis liefern, daß ich wirklich lesbisch bin, und trotz aller Unannehmlichkeiten hätte ich damit erreicht, was ich will: Die Bestätigung meines Lesbischseins. In vergangenen Zeiten wollte ich das gleiche, nur mit ziemlich traurigen sexuellen Beziehungen. Ich konnte mich nur damit identifizieren, wenn ich eine sexuelle Beziehung hatte, aber das reichte mir nicht, ich wollte, daß mein Lesbischsein wahrgenommen wurde. Wahrscheinlich trug ich mein Lesbischsein deshalb so sehr zur Schau, damit ich eine Identität bekam. Ich kriege es mit, wenn eine Frau lesbisch ist, ich nehme die kleinen Zeichen wahr, die jede schwule Frau signalisiert, die die Heteros aber nie erkennen werden können. Wenn ich sie mitkriege, bedeutet das offensichtlich, daß ich genau wie sie lesbisch bin. Als ich beim F.U.O.R.I. war, faszinierte mich die Argumentation, daß die Heterosexualität etwas Mittelmäßiges sei, das Lesbischsein aber etwas Edleres, ja, ja, der Homosexuellenstolz ... Klar, übertriebener Stolz ist typisch für Leute, die sich minderwertig fühlen.
ALICE: Genau.
VALERIA: Das Thema hat mich immer fasziniert. Ich glaube, das hat mit meiner Identitätssuche zu tun ... Ich mußte alles Lesbische verteidigen.
ALICE: Natürlich verteidige ich auch alles Lesbische, was wohl sonst? Ich glaube aber nicht, daß sich das Lesbischsein und das Edel- und Besonderssein bedingen. Diese Sichtweise hat eine gefährliche Komponente, daß nämlich Homosexualität etwas mit Minderheit und Devianz zu tun hat.
VALERIA: Bis zu einer gewissen Grenze ... nervt mich aber die Banalität von lesbischen Frauen.
ALICE: Mich nervt die auch.
VALERIA: Ich führe sie auf die Heterosexualität zurück.
ALICE: Das Mittelmäßige oder das Banale?
VALERIA: Beides ... das war ein Lapsus, ich wollte das aber klären. Guckst du dir die heterosexuellen Frauen von Ferne an, siehst du auch Mittelmäßiges und Gewöhnliches. Ich kann halt weder mittelmäßige heterosexuelle Frauen ausstehen noch gewöhnliche homosexuelle Frauen. Gewöhnlich zu sein, bedeutet, wie ich finde, nicht, daß eine immer flucht, auch wenn mir das manchmal auf<n Keks geht. Ganz bestimmte Sachen kann ich einfach nicht mehr hören. Das ist keine Frage eines mehr oder minder wohlklingenden Tonfalles, das nervt mich einfach. Aus dem gleichen Grund finde ich die Kleidung für lesbische Frauen sehr wichtig. Es ist keine Frage bestimmter Kleidung, also Rock oder nicht Rock, Hosen oder keine, Blüschen oder ... Ich mag eine Frau, wenn ihr Lesbischsein durch ihre Kleidung sichtbar wird. Mich stört dagegen, daß sich bestimmte Frauen als Lesben bezeichnen, was zur Zeit gerade in ist, wenn du sie aber auf der Straße siehst, denkst du, >Oh Gott, was ist denn das für'ne Heteroschnalle!< Das bedeutet, sie haben nichts Lesbisches an sich.
ALICE: Es kann doch sein, daß alle Frauen lesbisch sind?
VALERIA: Ich kann mir das auch vorstellen, daß alle Frauen das sind, das interessiert mich aber nicht sonderlich. Auch Eva könnte lesbisch gewesen sein, aber Tatsache bleibt, daß sie mit Adam zusammen war. Und nun? Das potentiell Lesbische in jeder Frau kann mich auf einer theoretischen Ebene interessieren, aber in der Wirklichkeit hatte ich eine unheimliche Wut auf die heterosexuellen Frauen, und nicht nur weil sie mein Geschlecht runtermachen, indem sie sich selbst runtermachen, sondern weil sie für mich im wahrsten Sinne des Wortes Streikbrecherinnen und Verräterinnen sind.
ALICE: Und wie stehst du zur Bisexualität?
VALERIA: Bisexualität ist eine Form der Heterosexualität, mit nur ein paar mehr Freiheiten, wirkliche Bisexualität gibt es nicht.
ALICE: Früher glaubte ich auch, daß lesbische Frauen etwas ganz Besonderes, irgendwie Aristokratisches wären.
VALERIA: Das ist typisch für die erste Zeit.
ALICE: Heute ist mir bewußt, daß es mir sehr viel weiterhilft, offen für andere Lesben zu sein, sie wirklich zu kennen. Ich finde, einige lesbische Frauen haben irgendwie aus Abwehr immer noch diese Vorstellung von ihrem Besonderssein. Die Kehrseite der Medaille ist, daß sie das Lesbischsein im Grunde ablehnen, also nach dem Motto, wir sind die besten Lesben, wenn es schon so schrecklich ist, lesbisch zu sein, kompensieren wir und entwickeln eben spezielle Fähigkeiten. Mich nervt das Gewöhnliche auch unwahrscheinlich, das war schon immer so, genauso dieses Nullachtfünfzehnverhalten. Trotzdem ist mir nicht danach, solche Kategorien zu benutzen, um so der Spaltung zwischen lesbischen und heterosexuellen Frauen noch mehr Stoff zu geben. Ich glaube, die Unterschiede liegen woanders.
VALERIA: Da bin ich ganz deiner Meinung. Diese Überspanntheit, die in der ersten Zeit wahrscheinlich dazu gehört, in der dir deine Homosexualität bewußt wird, ist eigentlich nichts anderes als der verzweifelte Versuch, von den Heterosexuellen anerkannt zu werden. Wie soll ich es sagen? Aber, Leonardo da Vinci war homosexuell. Hier geht es um das Genialische oder das Geniale, kein Mensch würde sich trauen zu sagen, daß Leonardo da Vinci trotz seines Schwulsein ziemlich beschränkt war. Erinnerst du dich an die ersten Zeitungsartikel über Homosexualität? Da wurde die Geschichte eines schwulen Julius Caesar hervorgekramt, über den schwulen Leonardo geschrieben, über Michelangelo ... Ihre Außergewöhnlichkeit, ihre Genialität, rechtfertigten den kleinen >Makel<.
ALICE: Natürlich, jemand so Ungewöhnliches kann nichts anderes als ein ungewöhnliches Sexualleben führen, solch eine Argumentation schließt das Verdrängen der Homosexualität praktisch mit ein.
VALERIA: Diese Leute werden bis aufs letzte ausgequetscht, getreu dem Bild vom homosexuellen Künstler.
ALICE: Das läßt mich an die Rubrik denken, die wir im Quotidiano Donna eingerichtet haben. Viele heterosexuelle Frauen haben auf diese Lesbenseite reagiert ... Keiner dieser Frauen aber kam es in den Sinn, daß wir homosexuelle und heterosexuelle Erfahrungen gemacht haben könnten, sie glaubten nicht, daß es Lesben gibt, die Kinder haben, und daß es Lesben gibt, die aus dem Effeff mit den Spielregeln des Heterolebens vertraut sind. Der Grund? Eine Schranke wäre zusammengebrochen, sie hätten gemerkt, daß sie auch lesbisch sein könnten. Wenn ich ankomme und dich frage, >Was machst du? Ah, du bist Angestellte? Ich auch. Du hast zwei Kinder? Ich auch. Ich bin lesbisch, du nicht?<, tja, ist das eine unwahrscheinliche Bedrohung, die ich auslöse. Frau versteht nicht mehr, was das Lesbischsein ausmacht, und wo die Unterschiede liegen.
VALERIA: Ja, es ist nichts Außergewöhnliches mehr, auch deine Wohnungsnachbarin kann lesbisch sein, also die völlig unverdächtige normale Frau, die ein langweiliges Leben führt, auch die kleine Angestellte ... Ich habe die Theorie von dem lesbischen Besonderssein nicht aufgebracht... Das mag schon ein faszinierendes Bild sein, aber im Grunde zeugt es von dem Abwehrmechanismus. Um vor dem Auge der heterosexuellen Leute zu bestehen, versuchst du, Anerkennung für dein Lesbischsein durch deine Einzigartigkeit zu finden. Du verkaufst dein Lesbischsein praktisch und handelst dir zum Tausch die Anerkennung deines Genialischseins ein.
ALICE: Für diese Anerkennung bezahlst du teuer.
GIULIA: Mir fällt gerade ein, daß an meinem Arbeitsplatz viel über Homosexualität geredet wird.
ALICE: Entschuldige, aber wo arbeitest du?
GIULIA: Ich arbeite in einer Schule. Es wird dort über Homosexualität geredet, weil es ein Modethema ist. Die Leute reden über Lesben, als ob sie fünf Nasen oder sechs Augen hätten. Das Komische daran ist, daß ich, eine Lesbe, dort bin ... Sie reden davon, als ob Lesben Monster seien, daß sie praktisch an äußeren Merkmalen zu erkennen seien. Die Leute dort wissen nicht, daß ich mitten unter ihnen bin.
VALERIA: Sie vertreiben damit ihre Angst vor ihrer eigenen Homosexualität.
ALICE: Aber wie fühlst du dich, wenn sie in solch haarsträubenden Begriffen von dir reden?
GIULIA: Ich tue so, als wäre nichts, aber ich merke, wie ich erröte. Ich bin absolut geschickt darin geworden, alles zu verheimlichen.
VALERIA: Zu heucheln?
ALICE: Nein, sie hat verheimlichen gesagt. Ich nehme an, du machst irgendwelche Sachen, um als heterosexuell zu gelten?
GIULIA: Ja, das stimmt. Ich erzähle oft Ereignisse aus meiner heterosexuellen Vergangenheit, von den anderen Frauen dort werde ich als Hetero angesehen. Das macht mir zu schaffen ... Was meine Identität als Lesbe angeht, als Mensch fühle ich mich völlig gespalten. Nicht ohne Grund habe ich fürchterliche Horrorträume ... Als eine meiner Kolleginnen heiratete, träumte ich zwei Tage vor ihrer Hochzeit, daß ich an ihrer Stelle war. Ich heiratete, ich wohnte bei den Schwiegereltern, kurz, ich näherte mich einem normalen gesellschaftlich anerkannten Leben an.
VALERIA: Aber das sind ja genau die Mechanismen, die die stereotypen Vorstellungen in dieser Gesellschaft produzieren und denen wir verzweifelt hinterherrennen. Das bedeutet, daß wir uns immer noch nicht unsere eigene Identität schaffen, immer noch verhelfen dir andere zu deiner Identität.
ALICE: Das stimmt, auch das Rollenverhalten läßt sich auf eine fehlende Identität zurückführen.
VALERIA: Was meinst du mit Rolle?
ALICE: Die Rolle, die du spielst, z.B. in einer Zweierbeziehung, oder in einem kleinen Kreis von Lesben, was weiß ich ... Bei deinen Freundinnen, in Lesbenkneipen kannst du eine Rolle draufhaben. Du kannst etwas männlicher oder etwas weiblicher sein, das geht aber schon zurück, zumindest teilweise. Ein Rollenverhalten draufzuhaben, heißt, dir deiner selbst sehr sicher zu sein.
VALERIA: Ja, weil du weißt, wer du bist.
ALICE: Oder zumindest glaubst du das zu wissen. Denn ich glaube, daß das ein Gewaltakt ist und daß du vielleicht gar nicht so bist.
VALERIA: Sicher, oder du bist vielleicht nur teilweise so.
ALICE: Gerade weil du keine eigene Identität hast, stülpt die Gesellschaft der Lesbe eine über, und wie sie das tut! Auf der einen Seite verdrängt sie die Existenz des Lesbianismus, auf der anderen Seite baut sie ein Bild von der Lesbe als verdorbener Frau auf. Die Lesbe ist sittlich degeneriert, krank und psychisch unreif, oder sie gilt als ein Unikum, als eine extravagante Künstlerin, wie wir vorhin schon sagten ...