FRANCESCA - 37 Jahre alt - lebt in Rom
ALICE: Ich würde gerne das Thema unseres Telefongesprächs wieder aufnehmen, das über die Ästhetik.
FRANCESCA: Das mit dem Saturday Life [7] und den russischen Zigaretten?
ALICE: Ja, genau. Wir könnten darüber reden, ich finde das spannend. Du hast davon gesprochen, daß du Angst hattest, was weiß ich, anderen die Hand zu geben, jemand zu küssen...
FRANCESCA: Inzwischen nicht mehr. Jahrelang war ich sehr scheu und zurückhaltend in meinem Auftreten. Wenn ich z.B. mit jemand aus einem Glas trinken sollte, habe ich mich schrecklich dabei angestellt usw. Das Äußere derjenigen, in die ich mich verliebte, war für mich von großer Wichtigkeit. Ich sah, wie sie sich bewegten und wie sie dabei zu Skulpturen wurden. Skulpturen, die denken. Ganz allmählich hat sich dann bei mir etwas verändert, es wurde mir immer wichtiger, eine gleichberechtigte Beziehung zu meinen Geliebten aufzubauen. Die Liebe zu einer Frau, die alle meine ästhetischen Vorstellungen erfüllte, schloß nämlich eine gleichberechtigte Beziehung aus.
ALICE: Warum meinst du, gab es keine Gleichberechtigung?
FRANCESCA: Als ich meine ersten Beziehungen hatte, hatte ich, wie soll ich sagen, ich hatte eine sehr eigene Vorstellung von Beziehungen, sowohl sexuellen als auch freundschaftlichen. Ich habe das zwar nicht hingekriegt, um jeden Preis wollte ich sympathisch erscheinen, ich wollte mehr als die anderen drauf haben, um akzeptiert zu werden und zu gefallen. Es gelang mir nicht richtig, ich selbst - in Anführungsstrichen - zu sein bzw. nur bis zu einem gewissen Grad. Wir haben alle viele Seiten, und natürlich gehörte die Seite, die ich nach außen hin lebte, auch zu mir, sie war nicht die einzige. Was raus kam, war eher die Seite, die ... ich will jetzt nicht über die russischen Zigaretten reden, aber darauf läuft es hinaus. Ich war so gehemmt, daß ich mir ein snobistisches Verhalten anderen gegenüber zulegte, was ich dann total ablehnte, als ich anfing, mich selbst in Frage zu stellen.
ALICE: Sag mal, was hat zu diesem Schritt beigetragen?
FRANCESCA: Erstmal dauerte meine erste Beziehung sehr lang. Sie war gleichzeitig schön und schrecklich, ich war allen Widersprüchen zugleich ausgesetzt. Ich schämte mich geradezu, eine Frau zu sein, ich war nicht fähig, meinem Dafürhalten nach war ich nicht fähig, zu geben, was ein Mann geben konnte. Das spiegelt wahrscheinlich auch ein bißchen die Bedürfnisse der Anderen wider. Ich habe versucht, mich dem männlich geprägten Rollenverhalten anzupassen, um anerkannt zu werden. Das ging so weit, daß ich, was soll ich sagen, das ging so weit, daß ich mir sogar meinen Busen aboperieren lassen wollte. Ich wollte ihn nicht mehr. Dann natürlich, als ich mir das alles überlegte, dachte ich, was für ein Mist! Trotzdem redete ich davon und dachte daran.
ROSETTA: Diese berühmte Phase des verhinderten Mannes ...
FRANCESCA: Bevor ich herausfand, daß ich lesbisch bin, spürte ich bei den anderen schon diese ... Art Erwartung. Meine Interessen lagen im ästhetischen Bereich, z.B. die Malerei, und daß ich mit Genuß alles mögliche selbst machte. In den Augen der anderen Leute war so etwas eher männlich als weiblich, die hatten mich bereits abgestempelt, noch bevor ich etwas über mich selbst und meine Präferenz für mein eigenes Geschlecht herausfand. Das alles ist mir geblieben. Ich habe meine Neigungen akzeptieren gelernt, und zwar sowohl meine Sexualität, als auch meine Leidenschaften. Ich habe daraus meinen eigenen Lebensstil entwickelt. Dahinter verbirgt sich kein verhinderter Mann, sondern ganz einfach eine Frau. Frauen können nämlich auch so etwas machen. Das hat viel Zeit gebraucht. Viel Zeit und viele Enttäuschungen, denn jedes Mal merkte ich, immer wieder hatte ich die gleiche falsche Rolle drauf, immer wieder habe ich es falsch gemacht, es wurde immer schlimmer. Bis ich mich dann etwas mehr geöffnet habe. Wahrscheinlich haben mir dabei meine Erfahrungen mit mir ebenbürtigen Frauen geholfen, die ich bis dahin abgelehnt hatte. Meine ersten Beziehungen hatte ich immer zu unerbittlich heterosexuellen Frauen ...
ALICE: Kann es nicht sein, daß sie auch versucht haben, dich auf eine leicht männliche Rolle festzulegen? Du hast davon gesprochen, daß du dich immer in sehr schöne Frauen verliebt hast, mit denen aber keine gleichberechtigte Beziehung möglich war. Warum ist es deiner Meinung nach unmöglich, daß eine schöne Frau auf einer Stufe mit dir steht? Wie sahen eigentlich deine ästhetischen Normen aus?
FRANCESCA: Heute habe ich keine ästhetischen Normen mehr, früher schon.
ROSETTA: Waren die fest verankert?
FRANCESCA: Nein. Objektiv gesehen, gibt es einfach schöne Gegenstände und andere, die schlicht und einfach häßlich sind. Die häßlichen können durchaus viel zweckmäßiger und praktischer sein, während die schönen nur schön sind, sonst nichts. Inzwischen mag ich die praktischen Gegenstände lieber. Ich spreche viel von Gegenständen, aber ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich rede so, weil ich keine anderen Vergleiche finde. Wenn über Ästhetik allgemein geredet würde, könnte ich über Bilder reden, aber so ist alles noch viel komplizierter.
ALICE: Ich glaube, deine Suche nach dem Schönen hat dir auch geholfen, deine sexuelle Wahl zu rechtfertigen.
FRANCESCA: Das denke ich auch.
ALICE: Alle sind dafür offen, jemanden zu entschuldigen, der/die von etwas sehr Schönem fasziniert wird. Es ist so, als seist du von dieser schönen Sache gebannt. Ist es aber etwas Häßliches, dann sieht es ganz anders aus ... Da gibt es kein Pardon, das ist Tatsache an sich, und damit hat sich's.
FRANCESCA: Es gibt aber auch das Bild von der Frau als Verführerin.
ALICE: Ja, sicher. Die Frau ...
ROSETTA: Die dich verführt,
FRANCESCA: ... das Fleisch, der Tod und der Teufel. Ich weiß nicht, ob du das Buch von Mario Praz [8] gelesen hast?
ALICE: Ja.
FRANCESCA: Der Titel vereinigt in sich die Vorstellung von Tod, Versuchung, Verdammnis und Leidenschaft. Die Frau als Böse.
ALICE: Das ist ein Thema
ROSETTA: Es geht darum, daß die männlich geprägte Kultur stark auf dein Verhältnis zur anderen Frau einwirkt, also eine von Grund auf frauenfeindliche und tödliche ... Liebe und Tod, das Fleisch und der Geist, siehe D'Annunzio, um nur einen zu nennen...
FRANCESCA: Der gesamte Jugendstil. Der Jugendstil ist ganz auf die Femme fatale ausgerichtet, die das Bild der gefallenen Frau verkörpert.
ROSETTA: Die gefallene Frau, der Traum des Homosexuellen ...
FRANCESCA: Sie bringt eher Verderben als daß sie die Gefallene ist. In der Tat entsprachen meine ästhetischen Vorstellungen von Frauen, die mir gefielen, genau denen von der Femme fatale: Vollendeter Jugendstil in Körper, Geschmeidigkeit, Haaren und all dem ...
ROSETTA: Diese ästhetischen Vorstellungen sind immer männlicher Herkunft, selbst wenn es sich hier, wie in vielen anderen Fällen, um Phantasien von männlichen Homosexuellen handelt. Zum Beispiel Erté, der Traum der Transvestiten. Hattest du damals noch andere Informationen über Lesben?
FRANCESCA: Nein, die spezifisch lesbische Kultur war mir noch unbekannt. Zwar kannte ich Frauen, die ich als Lesben ausmachen konnte, weil sie mir ähnelten, gesehen hatte ich viele, aber mir war es nie gelungen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Man redete zwar, aber wie unter Männern.
ALICE: Ist es dir nicht in den Sinn gekommen, daß du auch mal eine Liebesgeschichte zu einer dir ähnlichen Lesbe haben könntest?
FRANCESCA: Nein. Mit so einer von ihnen habe ich mich damals über Frauen unterhalten. Sie hatte eine blonde Frau, ich eine dunkelhaarige. Beide waren sehr schön ziemlich schön, die eine schöner, die andere weniger schön, bzw. beide auf verschiedene Art schön. Aber wehe, wenn eine von uns mit einer häßlichen Frau liebäugelte: unmöglich! Vielleicht übertreibe ich jetzt, aber ich mache das, um euch eine bessere Vorstellung davon zu geben.
ROSETTA: Seltsam! ... Bei den Lesben, die ich im Lauf der Zeit kennenlernte, hat mich immer sehr beeindruckt, daß sie, wenn sie sich verliebten, sich auf ihre Gefühle und Einschätzungen verließen. Auch unter ästhetischen Gesichtspunkten. Die widersprechen völlig den herrschenden Gesetzen des Warenmarkts, von dem Maria Schiavo als Gemetzel spricht. Es geht um den Wertverlust der Ware Frau auf dem allumfassenden Markt der Heterosexualität. Heute finde ich als Lesbe Frauen sehr schön, die ich vor zehn Jahren selbst als häßlich bezeichnet hätte, und zwar nach scheinästhetischen Kriterien, die nur von einer männlichen Sichtweise herrühren konnten. Ich denke, daß in den letzten Jahren von engagierten Frauen da ein großes Stück Arbeit geleistet wurde. In der Vergangenheit muß die Haltung von Lesben zu anderen Frauen schlimm gewesen sein.
ALICE:: Das stimmt, sie waren für uns nicht vollwertig.
ROSETTA: Du konntest dir anscheinend nicht vorstellen, eine lesbische Frau zu lieben. Das kam dir absurd vor. Letztenendes waren die Frauen anders als du, du suchtest das Andersartige in ihnen, wie ein Mann. Auf der anderen Seite ...
ALICE: Warum haben dich die heterosexuellen Frauen mehr angezogen?
FRANCESCA: Natürlich fand ich, daß die heterosexuellen Frauen besser aussehen. Heterosexuelle Frauen geben sich anderen Frauen gegenüber meistens auch irgendwie anders.
ALICE: Gegenüber anderen lesbischen Frauen?
FRANCESCA: Lesbischen und nichtlesbischen. Eine Frau verhält sich meistens einer Frau gegenüber nicht so wie gegenüber einem Mann. Da versucht sie, sich attraktiver zu geben. Wer weiß, vielleicht ist sie dann sogar häßlicher.
ALICE: Meinst du, bei Männern?
FRANCESCA: Ja, für mich hatten heterosexuelle Frauen eben ein anziehenderes Äußeres, was nicht heißt, daß die heterosexuellen Frauen, die mir gefielen, Vamps waren. Aber sie achteten auf ihren Körper und ihr Äußeres.
ALICE: Komisch, ich hatte die größten Schwierigkeiten mit meinem Körperselbstgefühl. Als ich anfing, mit Frauen zusammen zu sein, merkte ich, daß ich nicht mehr bluffen konnte. Im Umgang mit Männern setzen heterosexuelle Frauen ein paar richtig standardisierte Verhaltensweisen ein, z.B. das Verführen, sich zu schminken, eine ganz bestimmte Art, sich zu kleiden, sich zu bewegen. Das alles dient dazu, den Körper zu verdecken und zu verstecken.
FRANCESCA: Diese Aufgetakelten mochte ich gar nicht, dafür aber die, die sich irgendwie anders zurechtmachten und versuchten, anziehender zu wirken. Die Verführungskünste von Frauen haben sich im Laufe der Zeit verändert. Vor Jahren hat eine Frau bei einer anderen meistens im allgemeinen gar keine Verführungskünste eingesetzt.
ALICE: Zumindest nicht solche
FRANCESCA: Ja, nicht solche ... Ich mochte aber diese bestimmte verführerische Art, ich fand sie faszinierend. Mir war das völlig frei und und eben das, was anders war als ich, machte mich neugierig und faszinierte mich. Das ist auch heute noch so. Als ich herausfand, daß die Frauen alles taten ... Tja, wenn ich eine Frau gut fand, mußte ich feststellen, daß sie sich absolut normal zu mir verhielt und nichts tat, um mir zu gefallen. Statt dessen kriegte ich mit, wie sie für einen Mann die verrücktesten Dinge machte. Ich denke, ich habe sicherlich ein wenig mit den Männern konkurriert, was auch meinen Sinn für Ästhetik beeinflußte. Als ich lernte, mehr das zu schätzen, was mich wirklich fasziniert, also, eine andere Art von Verführung, also, das wirklich Verführerische hat an und für sich gar nichts mit dem Gesicht, dem Schminken, der Kleidung usw. zu tun. Als ich begriff, was das wirklich und echt Verführerische ausmacht, änderten sich auch meine ästhetischen Vorstellungen ein klein wenig, aber nicht ganz und gar. Jedenfalls existierte damals für mich nur die schöne Frau und basta, während die häßliche Frau für andere Dinge da war, möglicherweise als Freundin. Sie interessierten mich mehr unter anderen Gesichtspunkten. Als ich lernte, eher andere Fähigkeiten zu schätzen wie Intelligenz und Verführungskünste, hat mich auch körperlich die nichtschöne Frau gereizt.
ALICE: Wenn du mir z.B. sagen müßtest, welche Frau du schön findest, wer wäre dann für dich eine schöne Frau?
FRANCESCA: Von den Frauen, die wir gemeinsam kennen?
ALICE: Auch die wir nicht direkt kennen, also, Frauen, die ich gesehen haben könnte, wenigstens auf einem Foto.
FRANCESCA: Es gibt davon nicht gerade viele, eine schöne Frau muß für mich vor allem Faszination ausstrahlen. Es ist nicht wichtig, ob die Nase vollendet ist oder die Augen einwandfrei sind. Was mich aber seit jeher angezogen hat, sind Augen, die leicht auseinanderstehen. Ich war schon immer der Faszination von leicht auseinanderstehenden Augen erlegen, vielleicht, weil sie einem ausweichen. Dann, ich weiß nicht, ein spezielles Lächeln. Augen können wunderschön und wie gemalt sein, was aber nicht unbedingt heißt, daß ich sie toll finde. Ich mag lieber Augen mit einem ganz bestimmten Ausdruck, den ich jetzt nicht genau beschreiben kann. Das kann ein ironischer sein, zwischen Ironie und Melancholie. Er muß das ausdrücken, was dahinter steht. Wenn es Heiterkeit ist, muß der Blick heiter sein. Aber oft ist dahinter ein wenig Traurigkeit. Der Körper ist auch sehr wichtig für mich, das Gesicht muß ausdrucksvoll sein und der Körper auch. Z.B. auf deine Frage, wen ich als eine schöne Frau ansehe, mir gefallen Jeanne Moreau, die Girardot, sie sind eigentlich nicht schön, aber irgendwie doch, sie haben etwas Besonderes, keine gleicht der anderen. Beide sind verführerisch.
ALICE: Vorhin hast du von deiner Faszination gesprochen, die heterosexuelle Frauen auf dich ausübten...
FRANCESCA: Heterosexuelle Frauen interessieren mich nicht mehr. Wahrscheinlich verliebe ich mich irgendwann doch wieder einmal in eine, aber ich glaube, daß es dann anders liefe. Kurz gesagt, fühlte ich mich ihnen damals fast unterlegen, ich hatte Minderwertigkeitskomplexe. Ich hatte immer Angst, daß ... sie z.B.. vergleichen würden.
ALICE: Vergleichen?
FRANCESCA: ... mit Männern.
ALICE: Ach, so, mit Männern. Also, nicht ihren mit deinem Körper, sondern deinen Körper mit dem eines Mannes.
FRANCESCA: Ja. Ein Vergleich zwischen ihrem Körper und dem meinen kam mir überhaupt nicht in den Sinn, ich fühlte mich nicht im geringsten minderwertig. Auch bei extrem schönen Frauen spielte das keine Rolle. Aber die Konkurrenz zum Mann war schwieriger. Dann wurde ich dessen müde, ja, müde, ich habe mich davon gelöst.
ALICE: Entschuldige mal, vielleicht hast du es vorhin gesagt, aber ich habe es nicht mitgekriegt, was war der springende Punkt, der dich dazu brachte, diesen Schritt zu tun?
FRANCESCA: Der springende Punkt war ... vielleicht mein Selbsterhaltungstrieb. Am Ende einer sehr langen Beziehung stellte ich alles in Frage, alles, was in mir vorgegangen war, was sich verändert hatte, was ich verdrängt hatte... Da kam insbesondere alles ans Tageslicht, was ich bis dahin unterdrückt hatte. Ich versuchte herauszufinden, warum diese Geschichte ein so schlechtes Ende genommen hatte, obwohl eigentlich sämtliche Voraussetzungen gut gewesen waren. Ich bin mit dieser Frau sehr gut klargekommen, ich mochte sie, sie war schön, körperlich fand ich auch, ich unterhielt mich gerne mit ihr, kurz, alles, für mich war sie vollkommen. Aber da es aus war, gab es augenscheinlich etwas, was nicht lief. Und dieses Etwas, was nicht lief, war eben ihre Heterosexualität. Irgendwann hatte diese Frau, ich weiß nicht, ob sie es absichtlich gemacht hat oder es ernst meinte, aber sie interessierte sich für einen ... Das hat mich sehr verletzt, nicht nur aus Eifersucht, sondern wegen des Konkurrenzdrucks, es verunsicherte mich. Als ich mir vorstellte, daß einer von uns beiden, ich oder er, sozusagen mein Rivale, verlieren würde, zog ich mich lieber vorher zurück, noch bevor ich irgendeine Gegenoffensive gestartet hatte. Ich zog mich in mich selbst zurück. Meine Reaktion stachelte Cristiana sogar an, sie stachelte sie an und reizte sie. Sie trieb ihre verbalen Spielchen, die mich total nervten. Für mich war das kein Spiel, sondern sehr ernst. Und irgendwann packte ich es nicht mehr. Um mich zu schützen, mußte ich ... ich habe es so gedreht, daß Cristiana mich verließ. Ich war total neurotisch geworden, hielt nichts mehr aus, oft war ich zu, dann wieder übertrieb ich, lächerlich! D.h. ich nahm es nicht einmal mehr wahr, ob sie mich doch liebte oder nicht, jedenfalls, als ich sie verließ ... wir haben uns in gegenseitigem Einverständnis getrennt, tatsächlich habe ich sie aber verlassen. Ihr ging es ziemlich schlecht, mir da schon weniger als ihr, ich hatte nämlich schon vorher beschlossen, daß es unter keinen Umständen mehr weitergehen konnte. Sie gefiel mir, ich liebte sie immer noch sehr, aber ich kam nicht mehr gut mit ihrer Art, ihrem Lebensstil, klar. Von daher reichte mir das Ästhetische nicht mehr. Ich lernte, andere Dinge zu schätzen wie Sichzuverstehen, sehr wichtig ist noch, daß ich damals praktisch versteckt lebte.
ALICE: Entschuldige, meinst du die Zeit, in der du mit ihr zusammen warst?
FRANCESCA: Ja. Niemand wußte davon. Oder besser, alle dachten es sich schon, aber niemand wußte es mit Sicherheit, daß wir zusammen waren. Das störte mich sehr, denn alle glaubten, das Recht zu haben, sich, sei es zu Christiana, sei es zu mir, so zu verhalten, wie sie wollten.
ALICE: Du meinst damit das Flirten oder was?
FRANCESCA: Ja, das Flirten vor meinen Augen; das machten sie meiner Meinung nach extra, um zu provozieren, um zu sehen, was passiert. Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich darunter litt, aber da es niemand wissen durfte, tat ich s o, als wäre nichts. Aber gleichzeitig führte ich mich in der Öffentlichkeit unmöglich auf und machte Szenen ... verrückte Szenen, die sich viele nicht erklären konnten. Sie meinten, ich wäre verrückt, aber da ich Künstlerin bin, sagten sie, >Tja, sie ist eben eine Künstlerin<.
ALICE: Hast du niemals daran gedacht oder versucht, ihre Heterosexualität in Frage zu stellen?
FRANCESCA: Nein, ich hatte nämlich Angst, sie zu verlieren. Mir war klar, daß sie sich erschreckt hätte und geflüchtet wäre, wenn ich ihre Heterosexualität in Frage gestellt hätte. Sie hatte nämlich panische Angst, homosexuell zu sein.
ALICE: Was hielt sie davon, daß du nichts mit Männern am Hut hattest?
FRANCESCA: Das war normal für sie. Für sie war ich heterosexuell, aber in einem anderen Sinne. In dem Sinne nämlich, daß ich praktisch ein Mann war und sich damit das heterosexuelle Paar in einem homosexuellen Verhältnis reproduzierte. Diese Rechnung ging für sie auf.
ALICE: Aber was hältst du von heterosexuellen Beziehungen, also, zwischen Mann und Frau?
FRANCESCA: Was ich davon halte? Ich habe keine besondere Einstellung dazu, ich denke, wenn sich zwei Menschen gefallen, sehe ich nichts ... Ich bin damit einverstanden, aber für mich ist das nichts.
ALICE: Mir sind oft Frauen begegnet, die nie mit einem Mann zusammen waren, aber ein leicht mythisches Bild von heterosexuellen Beziehungen haben.
FRANCESCA: Das mag sein, aber ich muß gestehen, eine Lesbe, die schon einmal verheiratet war, kam mir früher unglaubwürdig vor. Solche Frauen verursachten bei mir ein merkwürdiges, unsicheres und ungewisses Gefühl. Durch Selbsterfahrung änderte sich meine Haltung dazu. Aber du hast mir vorhin eine Frage gestellt?
ALICE: Ja, wie du über die Heterosexualität denkst.
FRANCESCA: Was ich darüber denke? Jeder kann machen, was er will, aber ich hatte immer den Eindruck, daß sich eine Frau, nachdem sie homosexuelle Erfahrungen gemacht hat, nie so ganz einfach davon lösen kann. Sie wird sicher zu den Männern zurückkehren, aber immer mit einem Anflug des Bedauerns. Vielleicht geht sie auch wieder zu den Frauen zurück. So dachte ich, als ich allmählich meiner selbst ein bißchen sicherer wurde.
ALICE: Denkst du nicht, daß es einer Frau, die mit einem Mann zusammen ist, schlecht gehen kann? Ich finde das schon, und ich projiziere, glaube ich, da auch nicht meine eigene Geschichte.
FRANCESCA: Ich glaube aber, daß es einer Frau auch mit einem Mann gutgehen kann. In dieser Welt gibt's alles, so etwas kann auch vorkommen. Ich persönlich könnte niemals mit einem Mann zusammen sein, das ja. Ein Mann kann für mich im wahrsten Sinne des Wortes kein Partner sein. Ein grundlegender Unterschied durch unterschiedliche Lebensbedingungen ist mir immer bewußt. Dieser Drang zu dominieren, den Männer immer haben, stört mich. Deswegen ertrage ich keine Männer in meinem Leben, aber ich weiß nicht, ob es möglich ist, so zu verallgemeinern oder nicht. Was mich betrifft, sieht es so aus: es geht nicht an, daß mein Leben dem eines Mannes untergeordnet ist, nein, wirklich nicht.
ALICE: Vielleicht verallgemeinere ich zu sehr, und es ist nicht gerecht. Aber ich habe viele heterosexuelle Beziehungen vor Augen, deswegen gehe ich immer von der Vorstellung aus, daß es Frauen in Männerbeziehungen schlecht geht. So denke ich, wenn ich einer heterosexuellen Frau begegne.
FRANCESCA: Ich habe aber auch schöne heterosexuelle Paare gesehen, die bei mir einen guten Eindruck hinterlassen haben. Auch homosexuelle Bindungen haben es in sich beim näheren Hinsehen ...
ALICE: Ja, auch die haben es in sich
FRANCESCA: ... Du kannst nie wissen, was dabei herauskommt.
ALICE: Das stimmt.
FRANCESCA: Heterosexuelle Beziehungen stören mich aus den schon von mir angesprochenen Gründen. Und aus anderen Gründen bin ich für homosexuelle Beziehungen, aber mir ist nicht danach, ein Urteil zu fällen ...
ALICE: Ich will auch kein Urteil fällen, ich will nur nicht, daß das in die Beziehung zu einer anderen Frau hineinspielt.
ROSETTA: Sag mal, als du deinen Beruf aufgenommen hast, was hat da dein Lesbischsein für eine Rolle gespielt?
FRANCESCA: Ich glaube, gar keine. Als ich klein war, spielte ich leidenschaftlich gerne mit dem Werkzeugkasten meines Vaters, um damit etwas zu bauen. Ich sammelte auch Steine, zerklopfte sie und machte Farben daraus. Oder, ich saß am Tisch mit meinem Großvater, einem Ingenieur und zeichnete mit ihm zusammen, er auf der einen Seite, ich auf der anderen. Ich malte Cowboys, Unmengen von Indianern, die Leute raubten ... Indianerzelte, Pfeile und Bögen. Ich saß zwar da, an dem Tisch, träumte aber von so etwas. Ich erinnere mich noch daran, daß ich auch die irrsten architektonischen Gebilde baute. Vielleicht hat mein Großvater großen Einfluß auf mein Leben gehabt. Er nahm mich bei seinen Spaziergängen mit, wir gingen in die Hauseingänge hinein,und er meinte zu mir, >Sieh dir an, wie gut diese Treppe gemacht ist, sie verläuft so ... Sieh mal, dieses Treppenstück, das ist so gemacht, damit es oben genau ansetzt, usw. Oder, schau mal, wie schlecht diese Treppe gebaut ist, alles daran ist falsch, hier müßte es so aussehen. Die ist nicht gelungen, sie verläuft dorthin, obwohl es viel logischer wäre, wenn sie hierher gehen würde<. So etwas habe ich nie in Büchern gelesen, darüber steht nichts drin, ich habe sie aber mitgekriegt, sie praktisch mit der Muttermilch aufgesaugt. Mit der Malerei ist es anders gelaufen, die Malerei war wirklich meine Entdeckung, zu Hause wurde zwar vieles andere wie eben die Architektur gemacht, aber es wurde nicht gemalt. Die Malerei dagegen ... Irgendwann einmal fand ich im Keller einen sehr alten Kasten, wahrscheinlich noch aus dem 19. Jahrhundert. In ihm waren noch Farben, die weich geblieben waren, es waren Ölfarben. Ich nahm eine dieser Farben mit hoch in die Wohnung. Mein Großvater sah die Farbe in meiner Hand und fragte mich, >Wo hast du sie her?< >Ich habe sie aus dem Keller, aus einem Kasten< >Aha!< Später förderten mein Großvater und mein Onkel zu meinem Geburtstag ... den Kasten wieder zutage. Sie hatten alles wieder in Ordnung bringen lassen und ihn mit Farben vollgefüllt. Sie schenkten ihn mir zusammen mit einer Staffelei. Es war das schönste Geschenk überhaupt, das schönste meines Lebens. Von da an bin ich morgens früh nach draußen gegangen, so gegen vier oder fünf. Ich ging los, um zu malen. Mein Vater meinte, >Wohin gehst du schon so früh? Bist du verrückt? Wer weiß, was dir passiert, wer weiß wo du hingehst!< Aber wo ging ich wohl hin? Ich hatte alles, Leinwand, Farbkasten, die Staffelei, die dauernd hinfiel, ich war ja klein. Das hatte mich wirklich gepackt, das ging so weit, daß ich alles andere vergaß, alle Probleme, die Liebe. Ich machte mir gar nichts aus der Liebe und all den Problemen. Ich hatte das Malen, ich dachte an nichts anderes. Dann hatte ich unglücklicherweise die Idee mit den Kursen an der Kunstakademie. Etwas ganz und gar Nutzloses, ja, eher sogar Schädliches, sie bringen dir nämlich überhaupt nichts anderes bei als das gleiche, was die Professoren machen. Dein eigener Stil verliert dadurch praktisch seine Natürlichkeit, die er ursprünglich hatte, als du ihn dir auf eigene Faust entwickeltest. Die Farben entdeckst du von alleine, niemand kann dir da etwas beibringen. Die entdeckst du von ganz alleine, sie können dir höchstens sagen, daß das Preußischblau andere Farben dunkler macht, weil es einen chemischen Bestandteil hat, der oxydiert. Aber das sagen sie dir nicht einmal auf der Akademie. Das, was sie dir eigentlich beibringen müßten, bringen sie dir nicht bei, sie zeigen dir auch nicht einmal die Techniken. Sie lehren dich eine Ästhetik, die meinen Vorstellungen nicht entspricht, aber denen von irgendsoeinem Arschloch. Dann natürlich ganz langsam, nachdem ich gerade die Akademie abgeschlossen hatte, fingen die Krisen an, denn ich fing an zu begreifen, daß alles eine Verarschung gewesen war und daß ich das Beste verloren hatte. Was weiß ich, alles Negative kam zusammen.
ROSETTA: Wie bist du während deines Studiums, auf der Akademie bzw. danach, als du unterrichtet hast, vor deinen Kollegen bzw. deinen Schülerinnen mit deinem Lesbischsein umgegangen?
FRANCESCA: Die Akademiezeit war für mich total schön, aber auch sehr schlimm. Schlimm zu Anfang, weil ich im ersten Akademiejahr meine Zeichnungen morgens machen mußte und das nicht einmal jeden Tag, ich arbeitete nämlich, jedenfalls machte ich sie meistens von neun bis elf. Danach mußte ich weg, niemand kannte mich, ich hatte überhaupt keine Beziehungen, alle ließen mich in Ruhe. Erst im Laufe des zweiten Jahres lernte ich Leute kennen, um mit denen das Examen zu machen. In der Mitte des zweiten Jahres ... im Sommer hatte ich mich in eine Frau verliebt, meine erste Frau und deswegen ... war ich im Winter drauf noch verliebt. Ich hatte es noch nicht geschafft, ihr von meiner Liebe zu erzählen. Ich hatte Angst, alles zu verderben und daß sie dann flüchten würde. Auch weil ich wußte, daß sie heterosexuell war. Ich hatte kein bißchen Hoffnung. Lieber wollte ich überhaupt nichts, als abgewiesen zu werden. Mir ging es sehr schlecht, ich war völlig verstört, immer nervös und eifersüchtig. Wirklich nur denkbar Negatives lebte ich da aus. Bis eines Tages, ich erinnere mich, ich war ... zum ersten Mal auf einem dieser Akademiefeste. Da ich völlig fertig und nervös war, trank ich, in der Zeit habe ich getrunken, auf dem Fest soff ich wie ein Loch, um blau zu werden... Mein Besäufnis ging so lange weiter, bis mich genau die Frau in meinem Zustand sah und zu mir kam. Ich drehte völlig durch, darum liebkoste sie mich ein wenig. Ich war so auf sie abgefahren, daß ich wie erstarrt war, denn ... Sie meinte zu mir, >Hilfe, warum bist du immer so rigide, du wirst gestreichelt und du und ... nichts. Aber zwei Tage später habe ich kapituliert. In einem Lokal sagte ich ihr, natürlich mit einer viel höheren Stimme als normalerweise, ich war ja aufgewühlt und ängstlich, alle drehten sich nach mir um, also ich sagte ihr, was ich für sie empfand. Einen Moment lang blieb sie sprachlos, denn sie hatte nicht im Traume daran gedacht. Und natürlich dachte ich sogleich, daß es ... daß ich sie zum letzten Mal sah, >Nun tschüß denn<. Statt dessen habe ich sie weiter gesehen, mit der Entschuldigung, daß sie so etwas Drastisches nicht machen könne, mich nicht mehr zu sehen, nachdem wir uns täglich gesehen hatten, meinte sie ...trotzdem widerstand sie hartnäckig ... und ich wartete. Ein anderes Mal trank sie dann ein bißchen, daraufhin ging es ihr schlecht. Ich habe mich dann um sie gekümmert, das war alles, ich habe sie gesund gepflegt. Da fing es an. Danach hatte sie immer noch Widerstände, sie meinte nämlich, daß sie an >jenem Tag< betrunken gewesen sei. Das ging so bis ... ach ja, wir waren zusammen in Deutschland, zwischen uns lief zwar schon etwas, aber sie wehrte es immer noch ab. Das konnte ich nicht verstehen. Sie wollte mich nicht, sie war ja in jedem Fall heterosexuell, aber ich ... Sie meinte, daß es ab und zu vorkommen kann, was aber nichts ... bedeutete. Mich machte das wahnsinnig, dieses Hin und Her, dieses Ja und Nein, ... fürchterlich! Bis dann, als wir wieder in Italien waren, ich weiß nicht, was bei ihr los war. Völlig unerwartet hat sich dann alles aufgeklärt. Es ging dann einfach weiter, sie blockte nicht mehr ab, erst ... eine ganze Weile später.
ROSETTA: Das heißt, daß sie dich eine Zeitlang abgewehrt hat. FRANCESCA: Ziemlich lang, anderthalb Jahre ungefähr ...
ALICE: Wie sahen deine Beziehungen zu anderen lesbischen Frauen aus, die du im Laufe der Zeit kennenlerntest?
FRANCESCA: Ich habe nicht viele kennengelernt, zwar kannte ich ein paar lesbische Frauen, aber nicht genug.
ALICE: Was für Beziehungen hast du zu diesen Frauen aufgebaut?
FRANCESCA: Zu den Lesben?
ALICE: Ja.
FRANCESCA: Ich habe es dir doch gesagt ...
ALICE: Freundschaften?
FRANCESCA: Ja ... Freundschaften, wir haben miteinander geredet, ja, manchmal auch zusammen gearbeitet.
ALICE: Als mir klar wurde, daß ich lesbisch bin, hatte ich das Bedürfnis, mich mit anderen Lesben auseinanderzusetzen. Ich habe mein Lesbischsein sofort in einem politischen Zusammenhang gesehen.
FRANCESCA: Ich nicht.
ALICE: Ich habe es nicht ertragen, mich mit Typen zu treffen, sie nervten mich.
FRANCESCA: Ja, mich auch, heute ertrage ich sie überhaupt nicht mehr, auch wenn ich bei der Arbeit leider gezwungenermaßen mit ihnen zu tun habe.
ALICE: Das geht mir auch so, aber wenn ich es mir aussuchen könnte ...
FRANCESCA: Es nervt mich jedenfalls.
ALICE: Vor die Wahl gestellt, etwas mit Männern zu tun zu haben oder nicht, würde ich mich auf jeden Fall dagegen entscheiden. Die interessieren mich nicht. Was mich bei meinem Einstieg in die Lesbenszene überraschte, war, daß ich nicht das kleinste Bewußtsein über so etwas vorfand. Anscheinend war ich verrückt. Eines Tages hatten mich zwei lesbische Frauen, die seit ungefähr vier Jahren zusammen lebten, zum Mittagessen eingeladen. Ich geh< zum Essen zu ihnen, und wen sehe ich da? Einen Typ, der Mann einer meiner Freundinnen, der Frauen geschlagen hatte, weswegen wir beschlossen hatten, ihn zu isolieren, ihn nicht mehr zu treffen. Mir verschlug's die Sprache, ich dachte, >Er wird rein zufällig hier sein<. Ich fand aber dann heraus, daß er einer ihrer Freunde und zusammen mit mir zum Essen eingeladen war. Darauf habe ich gesagt: >Entschuldigt, ich habe die Zigaretten vergessen< und bin gegangen ... Dennoch, ich kam mir komisch vor. Ich verstehe nicht, warum lesbische Frauen bis dahin nie versucht haben, sich zusammenzuschließen.
FRANCESCA: Es wurde auch aus dem folgenden Grund nicht versucht ... Nach dem berühmten Fest, an dem alles herauskam, wurden eine meiner Kommilitoninnen und ich praktisch von allem ferngehalten und isoliert. Da begannen die Schwierigkeiten. Übrigens dachten sie, daß ich und meine Kommilitonin zusammen wären ...
ROSETTA: Welch überragende Intelligenz und was für ein Durchblick!
FRANCESCA: Wir amüsierten uns königlich, man mied uns geradezu. Das ging so weit, daß es den Professoren zu Ohren kam, die setzten daraufhin unsere Noten herunter, begründeten es aber anders. Verrücktes passierte. Mit uns wurde nicht mehr gesprochen. Wenn die Leute uns auf dem Flur trafen, senkten sie ihren Blick. Vor allem die Frauen liefen weg, die Männer lächelten spöttisch. Wenn wir mit dem Modell redeten, so wie wir das immer getan hatten, hieß es, >Wer weiß, ob sie sich nicht an die ranmacht<. Wirklich schlimm, erbärmlich, also ... unheimlich kleinkariert. Am gemeinsten waren die Frauen zu uns. Übrigens riefen uns einige von ihnen in aller Heimlichkeit an, weil sie den Rausch der homosexuellen Liebe einmal mit uns ausprobieren wollten. Sie sagten, >Ich bitte euch, erzählt niemandem etwas davon<. Das hat mich so geschafft, daß ich gar keine Lust hatte, irgendjemand kennenzulernen. Für eine lange Zeit hatte ich keine Beziehungen außer der zu meiner Geliebten, meiner Kommilitonin und wenigen anderen. Eine ganze Weile verging, bis ich wieder nach draußen gehen konnte. Und zwar mit der Frauenbewegung, au warte, wie lange hatte ich keine Kontakte mehr zu lesbischen Frauen! Ich war wirklich eine isolierte Lesbe. Ich hatte mich eben mehr der Arbeit, der Malerei usw. gewidmet. Die Frauenbewegung interessierte mich, denn endlich wurden soziale Forderungen gestellt. Ihr Konzept begeisterte mich allerdings nicht gerade. Ich ging in eine Gruppe, das ödete mich total an... Wenn ich sprechen wollte, es fiel mir sehr schwer, zu reden, und wenn ich dann endlich redete, unterbrachen sie mich und sprachen andere Probleme an, die mich nicht interessierten. Jedenfalls hat mich das einiges gelehrt, besser, es hat mich viel gelehrt.
ROSETTA: Weil du dich mit anderen Augen gesehen hast?
FRANCESCA: Genau! Allmählich habe ich irgendetwas an jeder gesehen und gefunden, auch bei denen, die ich früher bestimmt nicht beachtet hätte. Es gibt nämlich Frauen, die dir nicht in jedem Fall sympathisch sind, die du eigentlich nicht magst. Nun gelang es mir, sie zu akzeptieren. Vielleicht übertrieb ich auch in die entgegengesetzte Richtung, ich verstand einfach alles, ich weiß nicht, warum. Daraufhin habe ich dann vieles in meinem Leben anders gesehen. Zuerst haben sich meine ästhetischen Ideale verändert und dann ich mich selbst. Nach und nach ... entstand dann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen mir selbst und meinem ästhetischen Ideal. Heute habe ich mich darin sehr verändert, ich bin nicht mehr derartig voreingenommen.
ROSETTA: In der Zeit, als du isoliert warst und dich in, du sagst, heterosexuelle Frauen verliebt hast, die dann seltsamerweise mit dir zusammen waren, na ja, was soll's, bezeichnen wir sie als heterosexuell ...
FRANCESCA: In Anführungsstrichen.
ROSETTA: Ich wollte sagen: Hast du aufgrund deiner Beziehungen zu >heterosexuellen< Frauen irgendwelches sexuelles Rollenverhalten drauf gehabt? Wie haben sich deine Erfahrungen in der Ausprägung deiner Sexualität als lesbischer Frau niedergeschlagen?
FRANCESCA: Ja, das haben sie mir auch beschert. Insbesondere die Beziehung zu einer Frau hat mir unendliche Probleme verschafft. Sie endete ii-n Krankenhaus, im Sanatorium. Sie haben sie wegen Homosexualität eingesperrt. Ihre Mutter rief mich an und sagte, daß es meine Schuld sei. Bevor ihre Tochter mich kannte, hätte sie nie solche Geschichten gehabt ... Was wollte ich eigentlich sagen? Warum sind wir ausgerechnet hier angelangt?
ALICE: Wir haben davon gesprochen, wie sich deine Beziehungen in deiner Sexualität niedergeschlagen haben.
FRANCESCA: Diese Frau hatte mich in ein sexuelles Rollenverhalten gedrängt, natürlich, um die Tatsache auszugleichen, daß sie mit mir zusammen, aber unter keinen Umständen homosexuell war. Meine erste Beziehung war nicht so, die war gleichberechtigt, ich hatte keine Rollenprobleme ALICE: Aktive oder passive? FRANCESCA: Nein, nein, überhaupt keine. Aber dafür mit der zweiten, und bei der dritten war es noch schlimmer. Die dritte war so unvorstellbar passiv, ich sollte nur den aktiven Part übernehmen. Das war schlimm, echt ... ganz schön aufreibend.
ROSETTA: Meinst du nicht, daß diese Passivität bei solchen Frauen das letzte Mittel ist, an das sie sich klammern, um das eigene Lesbischsein abzuwehren?
FRANCESCA: Ja, sicher, die dritte unter all diesen sogenannten >Heterosexuellen ist meiner Meinung nach in der Tat eine verkappte Lesbe, während sie es selbst absolut bestreitet. Trotz der Beziehung zu mir leugnet sie, die Beziehung hat vier Jahre gedauert, sie wehrt die Bezeichnung lesbisch noch gänzlich ab. Sie hat äußerste Diskretion verlangt, niemand durfte etwas wissen, niemand durfte etwas sehen, niemand durfte einen Verdacht schöpfen, ja, ich kann euch sagen, puh! Ich blieb mit ihr mehr aus Angst denn aus Liebe zusammen, denn da sie in meinem direkten Umkreis arbeitete, das war praktisch wie eine Erpressung. Alles in allem eine elende Geschichte, ich denke nicht gerade liebevoll daran. Aber, ich habe mich ihr gegenüber schrecklich gerächt, so etwas lasse ich nämlich nicht ungestraft geschehen.
ROSETTA: Wie können deine Beziehungen heute, zur Zeit, zu heterosexuellen Frauen aussehen? Ober was kann Gemeinsames laufen?
FRANCESCA: Mit der ersten Frau bin ich noch heute sehr befreundet. Nach zwar auch langen schmerzhaften Zeiten sind wir noch echte Freundinnen, heute können wir in Ruhe reden, sei es über meine Beziehung oder über ihre.
ROSETTA: Über ihre, daß sie noch weiter mit Männern zusammen ist?
FRANCESCA: Ja, genau.
ROSETTA: D.h., sie ist zu ihnen zurückgegangen
ALICE: Wenn du nichts dagegen hast, möchte ich ein anderes Thema wieder aufgreifen, bei einer Frauengruppe mitzumachen, hat dir geholfen, deine ästhetischen Vorstellungen allmählich zu verändern. Dann hast du angefangen, dich zu verändern. Worin? Wie du mit deinem Körper umgehst? Daß du mit anderen aus einem Glas trinkst? Wann hat diese Veränderung bei dir eingesetzt?
FRANCESCA: Als ich anfing, beim Film zu arbeiten: gezwungenermaßen. Ich war immer unterwegs, alle faßten mein Glas, meine Sachen an, also entweder verdurstest du oder du gewöhnst dich daran. Es war eine ziemlich, wie eine psychische Vergewaltigung.
ALICE: Es wurde dir aufgedrängt.
FRANCESCA: Ja, es wurde mir aufgedrängt, dann habe ich mich daran gewöhnt.
ALICE: Hast du das Lesbischsein je als Krankheit empfunden?
FRANCESCA: Nein, ich habe nie daran gedacht, daß es eine Krankheit sein könnte. Als ich mein Lesbischsein entdeckte, eigentlich habe ich es nicht entdeckt, irgendwann habe ich mich ganz plötzlich in eine Frau verliebt, für mich war das nicht tragisch, sondern wunderschön, ich habe nicht gedacht, >Oh Gott, ich verliebe mich in eine Frau. Ohgottohgott, was mache ich nur? Was für ein Drama!< Anfangs habe ich mich in diese Geschichte hineingeworfen, dann habe ich mich auf einmal gefragt, ob dies der Weg sei, den ich von nun an einschlagen würde oder nicht, und ob nicht noch etwas anderes dahintersteht. Und ob ich es schaffen würde, wieder in eine andere Richtung zurückzugehen, wenn ich es nur wollte. Das war wirklich in den Anfängen, danach hatte ich keine ...
ROSETTA: Hast du selbst jemals versucht, wieder auf die Heterosexualität zurückzukommen?
FRANCESCA: Nein.
ROSETTA: Nie?
FRANCESCA: Einmal habe ich es versucht, wirklich ... noch vor dem ersten Mal. Ich war noch nicht ... ich hatte mich noch in keine Frau verliebt, ich meine, richtig. Als ich mein Diplom an der Kunsthochschule gemacht hatte, entschloß ich mich am nächsten Tag, daß ich es einfach probieren mußte. >Wenn schon', dachte ich, >mache ich alles zusammen<.
ROSETTA: Wie eine Prüfung.
FRANCESCA: Ja, ich war von dieser Prüfung so ausgelaugt, daß ich entweder alles zusammen auf die Reihe brachte oder es nie mehr getan hätte, denn eigentlich war es mir vollkommen egal. Es gab da dieses arme Würstchen, ästhetisch gesehen war er ja ganz ansprechend, er rief mich schon zwei Jahre lang immer wieder an. Eines Abends schlug ich ihm vor, zu mir zu kommen. Der Ärmste war längst völlig verschüchtert ... Das hatte er sich nicht erwartet...
ROSETTA: Natürlich, du bist da ja aktiv geworden.
FRANCESCA: ... Weil ich ihn bis zu dem Augenblick immer wie den letzten Dreck behandelt hatte. Ich hatte die Initiative ergriffen, und er wird kapiert haben, daß es praktisch eine Prüfung war. Selbstverständlich habe ich es ihm nicht gesagt, aber er hat es sicherlich schon so verstanden. Tja, ich habe es probiert, dieser Versuch war einfach lächerlich!! Ich fand es komisch und auch leicht abstoßend, ich mochte es überhaupt nicht. Ohne daß wir zu irgendwelchen besonderen Sachen gelangt waren, habe ich an einer bestimmten Stelle zu ihm gesagt, >Hör zu, ich kann nicht mehr, es macht mir echt keinen Spaß, das bringt mir nichts', worauf er, >Hab dich nicht so ...< Der Arme hat versucht, >Ich weiß nicht, dir geht's sicher schlecht, du bist bestimmt k.o. wegen der Prüfungen<. Ich dann wieder, >Nein, sieh mal ...< So schickte ich den Ärmsten dann zurück nach Haus. Von dieser ganzen Geschichte verbleibt mir die Erinnerung an eine denkwürdige Waschaktion, bei der ich die Laken, Kopfkissen usw. >desinfizierte<.
ROSETTA: Das mit der Wäsche und dem Desinfizieren erinnert mich sehr an eine alte Freundin von mir, die jedesmal genauso verfährt, wenn sie mit einem Mann ins Bett geht. Es ist ein Ritual, das sich pünktlich jedem sexuellen Verkehr anschließt, das geht schon seit Jahren so bei ihr, allerdings verweigert sie es, das irgendwie zu analysieren...
FRANCESCA: Bei mir war es nur dieses eine Mal und dann nicht mehr. Das war meine erste und letzte heterosexuelle Erfahrung. Damit habe ich, wie es so schön heißt, es auf sich beruhen lassen. Obwohl der Akt nicht ganz vollzogen war, hatte ich Horror davor, daß ich schwanger sein könnte. Ich war terrorisiert, du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles angestellt habe! Der Horror bis zur nächsten Menstruation, ihr habt keine Ahnung! Verdammt! Zuallererst einmal ist er mir egal, dann gefällt es mir noch nicht einmal und dann noch die Angst! Aber wen kratzt das, das mache ich nie wieder, darauf scheiße ich.
ROSETTA: Hast du je einen Moment lang Mutter sein wollen?
FRANCESCA: Nein.
ROSETTA: Warst du nie mit einer Frau zusammen, die zu dir so etwas wie >Wäre es nicht schön, ein eigenes Kind ganz für uns zu haben?< gesagt hat?
FRANCESCA: Das haben mich viele Frauen gefragt, aber das hat mich immer ein bißchen erschreckt. Ich weiß nicht, vielleicht hätte ich es vor langer Zeit auch mal gewollt, aber weil ich es nicht mit der Frau haben konnte, die ich liebte, hörte das Problem auf, ein Problem zu sein, auch auf der irrationalen Ebene.
ALICE: Wie denkst du darüber, daß du jahrelang isoliert gelebt hast? Hat das deine Beziehung zu anderen Leuten beeinflußt? Meinst du, daß es sich darauf ausgewirkt hat oder nicht?
FRANCESCA: Weiche anderen Leute?
ALICE: Die Umwelt.
FRANCESCA: Die Umwelt ist vielfältig und dennoch ist alles in Schubladen eingeteilt, scheint mir.
ALICE: Ja, zweifellos. Ich meine aber nicht die Arbeitswelt, sondern die Freundschaften, also die emotionalen Beziehungen, nicht unbedingt Liebesbeziehungen. Ja, was waren damals die anderen für dich?
FRANCESCA: Alle anderen. Ich empfand alle anderen als >anders<.
ALICE: Anders als du?
FRANCESCA: Vollkommen fremd.
ALICE: Aber hat dir das nicht, ich weiß nicht, die Einsamkeit ... zu schaffen gemacht?
FRANCESCA: Nein. Mir machte es zu schaffen, daß ich mit niemandem reden konnte, ich war mir nämlich ganz sicher, daß ich nicht wirklich verstanden werden würde. Und deswegen war es sinnlos, zu reden, mir war nicht danach, meine Gefühle zu verschwenden. Aber in der Zwischenzeit habe ich, um etwas Sinnvolles zu tun, mit meiner Schwester geredet. Ihr habe ich es z.B. erzählt, mit meiner Tante habe ich geredet, meine Mutter ist tot, andernfalls hätte ich es ihr gesagt. Ich habe mit den Frauen geredet, die mir näherstanden, von denen ich wußte, daß sie Verständnis dafür hätten, und Schluß. Meine Freundinnen von früher sind, als ich es ihnen offenbart hatte, meine Freundinnen geblieben, auch nachdem, da hat sich nichts geändert.
ALICE: Das waren natürlich Frauen.
FRANCESCA: Ja.
ALICE: Du hattest demnach Freundinnen, du warst nicht wirklich allein.
FRANCESCA: Nein, aber, nachdem ich mich von dieser ersten Frau getrennt hatte, eben nach diesen tragischen Momenten, sind wir beide uns ganz langsam wieder als Freundinnen nähergekommen. Das ging zwar langsam und war auch manchmal ziemlich schwer, dann entstand nach und nach ein Verständnis füreinander und eine sehr starke Zuneigung, wie soll ich sagen, wie zwischen Schwestern. Auch mit der Mutter dieser Frau bin ich heute noch eng befreundet. Wir waren zusammen in Ferien, sie, ihre Mutter und ich. Wenn sie ihrer Tochter ein Geschenk macht, schenkt sie auch mir eines, sonntags lädt sie mich immer zum Mittagessen ein. Ihre Mutter ist übrigens Malerin, von daher haben wir viele Berührungspunkte. Vorletzten Sonntag sind wir beide zusammen in die Berge gefahren, sie hat dort gezeichnet, ich habe Fotos gemacht, wir sind einander sehr verwandt.
ROSETTA: Eine Frau, die fähig ist, sich große Freiräume unabhängig von Männern zu schaffen.
FRANCESCA: Ja, ihre Mutter hat z.B. nach einem Jahr Ehe ihren Mann verlassen, sie hat ihn förmlich aus dem Haus gejagt. Ich hänge sehr an dieser Frau.
ROSETTA: ... die schon für ihren Spaß sorgt. Frau könnte ja auch zusammen Spaß haben.
FRANCESCA: Ja, außerdem ist sie mutig und intelligent und wach, keine von diesen langweiligen, moralischen Müttern, ganz und gar nicht. Ich bin gern mit ihr zusammen, also, für mich ist es nicht so, als ... für mich spielt das Alter ehrlich keine Rolle, ob eine zu jung ist oder zu alt. Ich kommt mit jeder Frau klar, sofern sie nur intelligent, verständnisvoll und offen ist. Dann kratzt es mich auch nicht mehr, ob sie schön oder häßlich, buckelig oder alt ist.
ROSETTA: Das meinte ich vorhin, mit dem, was ich an Lesben am meisten liebe: ihre Liebe zu allen Frauen, unabhängig von den Marktgesetzen, den Jugendlichkeits- und Schönheitsnormen... Ich wollte dich aber noch etwas fragen: wie hast du dich als Lesbe mit Fragen wie Karriere, Geld und Berufstätigkeit auseinandergesetzt?
FRANCESCA: In meiner Karriere habe ich mich sehr oft eingeschränkt, um eben in meinem Lesbischsein keine Kompromisse eingehen zu müssen. In ganz bestimmten Situationen habe ich schon einiges hingeschmissen. Ich habe Alice von dem berühmten Buch, ich habe wieder mal vergessen von wem ... A Saturday's Life erzählt. Irgendwie habe ich mich in die Figur dieses Mädchens hineinversetzt und gleichzeitig in die der anderen Frau. In die Figur dieses Mädchens, weil ich selbst so viel angefangen habe, ich bin damit auch erstaunlich weit gekommen, und es dann ganz plötzlich gelassen habe. Als ich dann aber den Gründen nachging, warum ich einmal angefangene Karrieren aufgegeben habe, bin ich immer wieder auf meinen Konflikt mit der Gesellschaft gestoßen. Als mir klar wurde, daß an dem Punkt die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft unvermeidbar gewesen wäre, zog ich mich raus.
ROSETTA: Damit kann ich mich sehr identifizieren. Ich habe mich oft gefragt, ob die abrupten Brüche in meiner >Karriere< dann waren, wenn ich einen Kompromiß hätte eingehen müssen, der mir Schuldgefühle eingejagt hätte oder ob ich von Anfang an bereits so große Schuldgefühle hatte, daß ich einfach nicht mehr weiter konnte
FRANCESCA: Ich muß sagen, bei mir ist das nicht so.
ROSETTA: Ich weiß nicht, ich z.B. bin mir dessen nicht ... ich könnte das nicht schwören, dem bin ich noch nicht nachgegangen ... mir nicht so viel herausnehmen zu können, mir nicht mehr so viel erlauben zu können, weil ich lesbisch bin.
FRANCESCA: Ich meine auch, daß du dich mit der Gesellschaft auseinandersetzen mußt. Und genau da haue ich ab.
ALICE: Ja, ich möchte aber noch die Sache mit der Isolation aufgreifen, und zwar nicht ohne Grund, denn meiner Meinung nach haben die Körpersprache und eine isolierte Situation extrem miteinander zu tun. Mir ist aufgefallen, daß es das heute noch gibt, obwohl sich die Zeiten geändert haben. Ich denke, es gäbe auch viele Möglichkeiten ... Es gibt lesbische Frauen mit ganz bestimmten Körperhaltungen, die typisch sind für Angst. Z.B., so mit den Schultern dazustehen, nicht wahr. Geh doch nur ins Zanzibar, ich möchte jetzt keine Namen nennen, schon allein ...
ROSETTA: Ja, genau Frauen, die sich ihres Busens schämen, all so was.
ALICE: Bei denen, die nicht viel Brust haben, ist das doch genauso. Entweder haben sie so eine Haltung drauf, als wollten sie abhauen, ihre Körpersprache ist meiner Meinung nach eine typisch defensive. Es ist nicht ganz klar, wovor sie sich schützen müssen, ach, eigentlich ist es doch klar.
ROSETTA: Die Kehrseite davon ist eine Wahnsinnsaggressivität.
ALICE: Genau, eine ungeheure Aggressivität deswegen ...
FRANCESCA: Das ist nicht wahr. Ich z.B. hatte eine ziemlich lange Phase, in der ich so aggressiv war, daß meine Freundinnen mich nirgendwohin mehr mitnahmen. Meine Verwandten, meine Freundinnen, niemand ... sie hatten Schiß davor, daß sich eine meiner Aggressionen ohne jeden Grund auf irgend jemand entladen könnte. ALICE: Haben es eigentlich andere Männer, was weiß ich, bei dir versucht?
FRANCESCA: Wart mal, was war letztens ... ? Ach ja, in Arabien. Ich habe dir erzählt, daß einer versucht hat, gewalttätig zu werden, aber zum Glück ist es ihm nicht gelungen. Das war so ein arabisches Arschloch, der ganz von sich überzeugt meinte, daß ich den Himmel auf Erden erleben würde, wenn ich mit ihm ginge.
ALICE: Das hat dich sicher vollends überzeugt.
ROSETTA: Wie hat er es aufgefaßt?
FRANCESCA: Nichts von wegen Lesbischsein, nein, nein.
ROSETTA: Einfach so?
FRANCESCA: Ja, einfach so. Er meinte, ich würde zuviel arbeiten und mich zu wenig vergnügen. Ich antwortete ihm darauf, daß ich extra dorthin gefahren war, um zu arbeiten. Und wenn ich zum Arbeiten dort bin, würde ich keine Kompromisse machen, unter keinen Umständen. Danach habe ich mich seiner entledigt, indem ich ihm sagte, daß ich davon ausgehen würde, daß er ein Gentleman sei und daß er sich unter keinen Umständen etwas herausnehmen würde, was ich nicht wollte. Und da wurde er so, er war völlig durcheinander.
ROSETTA: Seit einigen Jahren hast du eine Zweierbeziehung, Zusammenwohnen einbegriffen! Wie verhalten sich deine Nachbarn zu dir und der Frau, mit der du lebst?
FRANCESCA: Ihr Verhalten zu mir ist ganz in Ordnung. Ich weiß nicht, ob sie sich verstellen oder ob sie es wirklich so meinen. Für sie war ich schon immer eine verrückte, komische Frau, deswegen denken sie sicher, daß in meiner Wohnung alles möglich ist.
ALICE: Sie tolerieren demnach etwas, was sie seltsam finden und was überhaupt nicht der Norm entspricht.
FRANCESCA: Auch weil ich diesen Leuten keinen Anlaß zu Beschwerden gegeben habe, muß ich sagen. Wir küssen uns nicht im Treppenhaus und bumsen auch nicht auf den Treppen ... Es dauert ja nur fünf Sekunden, dann bist du in der Wohnung und kannst dort machen, was du willst. Es ist kein Skandal nötig, um dich durchzusetzen.
ALICE: Bei mir im Haus gab es schon Skandale, die allerdings meine Freundinnen provoziert hatten. Ich werde respektiert, solange ich zahle. Ich zahle für die Gemeinschaftseinrichtungen...
FRANCESCA: Das gilt, glaube ich, überall, nicht nur im Falle von Homosexualität oder Heterosexualität. Wichtig ist, daß du zahlst, daß du dich im gesetzlichen Rahmen bewegst und dich an den Gemeinschaftsausgaben beteiligst, das übrige kehrt sie einen Dreck.
ALICE: Sieh doch mal, mir ist aufgefallen, daß sie zu den anderen toleranter sind, zu mir kommen sie als erste, um zu kassieren, und das belastet mich schon, da ich kein Geld habe. Für mich ist nämlich die finanzielle Unsicherheit ein leidiges Thema.
FRANCESCA: Tja, ich lebe auch mit dieser Unsicherheit, wirklich, denn mal kann ich viel Geld verdienen und dann wieder gar nichts. Ich bin nicht der Typ, der das Geld auf die Seite legt, deswegen bezahle ich alles, was ich vorher nicht zahlen konnte, wenn ich einmal viel verdiene. Was weiß ich, das Geld verschwindet auf vielen Wegen, du bezahlst die Schulden, die Miete, Rückstände. Es gibt Zeiten, in denen ich nichts verdiene, dann lastet die Ungewißheit total auf mir. Trotzdem gelingt es mir dann nicht, und ich werde das wohl nie hinkriegen, etwas ... routinemäßig zu tun, genau, immer, jederzeit, jeden Morgen zur gleichen Zeit, jeden Abend zur gleichen Zeit, jeden Tag das Gleiche. Da kann ich auch sterben, ich würde, glaube ich, bösartig werden... Mir ist so etwas völlig fern, ich bin nicht so, ich bin kein Gewohnheitsmensch. Wir alle haben kleine Gewohnheiten, aber es gibt solche, und solche und manches kann ich einfach nicht ertragen. Gewohnheiten, die mir von anderen aufgezwungen werden und nicht von mir kommen, ertrage ich einfach nicht.
ALICE: Ja, aber z.B., wenn ich mir anschaue, wie heute in der Emilia gearbeitet wird. Teamarbeit, diese ganze Richtung ... die Gruppe übt dabei dann ziemliche soziale Kontrolle aus, deswegen ist es z.B. für eine homosexuelle Frau sehr schwer, sich an einer solchen Gruppe zu beteiligen. Wie wird dort gearbeitet? Ich weiß nicht, zum Beispiel das Stadtteilteam mit dem Soziologen, dem Kinderarzt usw. Du bist zur Arbeit gegangen, die Arbeit sah soundso aus, ich weiß nicht, wir gingen dann auch zusammen essen, blieben ein Stündchen länger weg, das gilt als Überstunde, aber in Wirklichkeit wurde rumgequatscht. Ihnen kam das äußerst gelegen, aber über was im Himmel hättest du da reden können, ich fühlte mich dort immer wie ... Für sie war das optimal, warum wohl? Dieses Volk machte nichts anderes als arbeiten, sie kannten keinen Menschen, ihre einzigen Bekanntschaften liefen über die der Arbeit. Die wurde zu ihrem Leben, das war's dann, für mich war es das nicht.
ROSETTA: Das ist das unendlich Irre an der Norm, sich dieser Gewalt und damit dieser Norm zu unterwerfen.
ALICE: Das ist die Norm, klar.
ROSETTA: Sich radikal dem Wahnsinn der Norm zu widersetzen, das machen meiner Meinung nach genau die Frauen, die sich einfach instinktiv auf die Suche nach Einfachheit und Wahrheit begeben, auch wenn immer das Gegenteil behauptet wird.
ALICE: Aber es geht nicht nur um die Arbeit, zumindest geht es mir nicht nur darum. Ich meine, meine Arbeit ist nicht gerade einfacher bzw. weniger anstrengend geworden, oder daß ich jetzt letztenendes weniger arbeite. Von den festen Arbeitsplätzen weiß man doch, daß da absolut gar nichts getan wird, sondern die nur das Geld einsacken.
FRANCESCA: Ja, aber gleichzeitig ist es doch entmutigend und geradezu abartig, daß du nur dafür bezahlt wirst, daß sie dich dein Leben lang demütigen können.
ROSETTA: Weil du diese Institutionen doch akzeptierst. Manchmal bezahlen sie dich auch, damit du nicht arbeitest.
ALICE: Ja, sie bezahlen dich für's Nichtarbeiten.
ROSETTA: Das stimmt. Ich glaube, an meinen diversen Arbeitsplätzen habe ich immer alles ganz schön durcheinander gebracht, wenn ich wirklich arbeiten wollte.
FRANCESCA: Meine Schwester ist verhaßt, weil sie eine der wenigen ist, die wirklich arbeitet, z.B. im Finanzministerium, wo sie früher angestellt war, um studieren zu können. Sie hatte eine Ausschreibung gewonnen, und deswegen studierte bzw. arbeitete sie die ganze Zeit, während die anderen nichts machten. Sie bewältigte all die uralten, verstaubten und längst vergessenen Akten... Sie haben sie gehaßt und wie!
ALICE: Klar, weil sie etwas in Gang gesetzt hat.
ROSETTA: Was vielfach als Arbeitsverweigerung bezeichnet wird, ist eigentlich die Weigerung, nicht zu arbeiten und die eigenen Energien in eine Sache zu stecken, die mafiaartig und weit verbreitet ist. Es wird nichts wirklich Produktives getan, dafür aber das Geld eingeheimst...
ALICE: Schließlich verbringen sie ihre Zeit doch dort!
ROSETTA: Immer wenn ich arbeiten wollte, oder immer wenn ich eine Arbeit annahm, habe ich das ganz allein deswegen gemacht, weil sie mich ehrlich interessierte. Die Auseinandersetzungen begannen dann, weil ich wirklich an diese Arbeit glaubte und sie machen wollte. Von daher verlangte ich alle möglichen Hilfsmittel, ich wollte, das alles funktionierte. Unmöglich! Ich denke, diese Art Arbeit reproduziert genau das Verhältnis zur eigenen Familie ...
ALICE: Ja, aber für die anderen war die Arbeit so, ich weiß nicht, als ob wir uns zu einem Schwätzchen treffen und dafür bezahlt würden.
FRANCESCA: Tja, wenn du in ein Büro gehst, siehst du all diese Zeitungen, als ob du an einem Kiosk wärst. Du hast eine irre Auswahl, immer rechtslastig, als äußerstes der Paese Sera, der schon schlecht angesehen wird, aber alle haben Il tempo. Als ich unterrichtete, was das gleiche ist wie bei der INPS, der Sozialversicherung, zu arbeiten, gab's da jeden Tag förmlich eine Ausstellung des Il tempo. Ich kann euch sagen, wenn ich mit dem Paese Sera in der Tasche herumlief, wurde ich bereits schief angesehen. Ein paar haben ihn gelesen, aber zu Hause. Zur Arbeit wurde Il tempo mitgebracht, denn der Rektor, ein Erzfaschist, setzte die Lehrer mit seinen Beurteilungen stark unter Druck. Dann diese Unterwürfigkeit, diese Füßeküsserei, jeder erdrückt irgendwie jeden, alle Mittel sind recht, abgrundtiefer Haß auf allen Seiten, dreißig Jahre verbringen sie im selben Zimmer, aber sie verachten sich die ganzen dreißig Jahre über.
ROSETTA: Wie in einer Ehe!
FRANCESCA: Ja, wie zwei Menschen, die sich nicht vertragen bzw. die so gut zusammenpassen, daß sie sich dafür hassen.
ROSETTA: Es ist kein Zufall, daß all die Menschen, die sich im Grunde solchen Institutionen wie Ehe, Heterosexualität etc. etc. verweigern, große Schwierigkeiten haben, als Angestellte zu arbeiten.
FRANCESCA: Das stimmt.
ALICE: Andererseits gibt es aber auch die entgegengesetzte Seite, nämlich, zu wissen, daß du in jedem Fall alleine für deinen Unterhalt sorgen mußt und somit auch genau zusehen mußt, daß du Mittel hast, ob es geht oder nicht. Eine lesbische Frau weiß sehr wohl, daß sie ihre Sicherheit weder einem Mann noch einem Ehemann bekommt.
ROSETTA: Würde es dir z.B. gefallen, frei zu arbeiten, eventuell auch mit anderen Frauen?
FRANCESCA: Ja, sehr.
ROSETTA: Was würdest du gerne machen, was wären deine Traumvorstellungen?
FRANCESCA: Ich habe immer schon davon geträumt, eine Art Werkstatt für Bühnenausstattung aufzumachen, die die Requisiten und Ausstattung für ganze Stücke entwerfen und herstellen kann. Eine Art Super-Rancati.[9] Das soll so aussehen, daß es für alle Arbeit gibt, daß neue Techniken erprobt werden, neue Materialien und Dinge erfunden werden, daß wir unsere Ideen für uns selbst und andere verwirklichen. Ihr wißt, daß es in Italien sehr wenige solcher Werkstätten gibt. Ein Jahr lang habe ich schon meine Erfahrungen in dem Bereich gemacht. Das hat sich als wirklich produktiv für mich herausgestellt, aber das war ein Versuch im Alleingang. Wir bräuchten eine solide Basis, um anfangen zu können ...
ROSETTA: Findest du, daß entgegen der herrschenden Meinung, z.B. beim Film, Frauen praktisch...
FRANCESCA: ... fähig wären, alles zu tun ...
ROSETTA: ... sehr wohl in der Lage wären, diese Art von Arbeit zu machen, nicht wahr?
FRANCESCA: ... alles, ja alles.
ROSETTA: ... obwohl beim Film die Ausstattung von jeher fast in Männerhand ist.
FRANCESCA: Ach, es dreht sich alles um die Befriedigung. Wehe du schneidest sie den Männern ab und gibst sie den Frauen? Wir sind doch verrückt! Alle befriedigenden Arbeiten werden von Männern ausgeführt. Fährst du nach Spoleto,[10] kann einem das richtig Angst machen!
ROSETTA: Ich möchte dich etwas fragen. In deinem Traum von diesem Frauenprojekt für Ausstattung
FRANCESCA: Nicht nur Ausstattung, sondern auch Herstellung.
ROSETTA: ... ja, entwerfen, das Entwerfen von neuen Ausstattungen durch Frauen. Kannst du dir vorstellen, daß dabei in deiner Nähe auch die Frau, mit der du zusammen bist, die du liebst, mitmacht?
FRANCESCA: Margherita?
ROSETTA: Ja.
FRANCESCA: Bei meiner ersten Arbeit in diesem Bereich hat sie mir geholfen: Sie hat mit mir zusammen gearbeitet, sie war sehr gut.
ROSETTA: Könnt ihr zusammen arbeiten?
FRANCESCA: Ja.
ROSETTA: An demselben Projekt? Das war es, was ich gerne gewußt hätte.
FRANCESCA: Ja, schon.
ROSETTA: Gibt es keine Konkurrenzgeschichten?
FRANCESCA: Nein. Ich respektiere sie und sie mich, das Wichtige in Beziehungen ist, sich zu respektieren.