MARA - 21 Jahre alt - lebt in Rom
ROSETTA: Die erste Frage, die wir allen stellen, lautet: bezeichnest du dich als lesbisch?
MARA: Ja ...
ROSETTA: Du bist die jüngste Frau, mit der wir sprechen. Für mich ist es vor allem wichtig, zu verstehen, wie du mit deinem Lesbischsein von Anfang an umgegangen bist, und wie du es geschafft hast, dir schon so früh sicher zu sein, daß du lesbisch bist?
MARA: Ich muß sagen, daß ich von klein an spürte, daß ich lesbisch bin, natürlich nicht bewußt. In der Tat fühlte ich mich schon von klein auf von Frauen angezogen, immer so auf der Ebene, ich weiß nicht, sogar von Sängerinnen und Schauspielerinnen. Männliche Schauspieler gefielen mir nie, immer nur die Frauen. Dann bin ich zum ersten Mal richtig auf ein Mädchen abgefahren, als ich 11 Jahre alt war. Diese Sache ist mir nie komisch vorgekommen, aber irgendwie war es eben doch ziemlich komisch für mich, auch weil ich am Anfang natürlich glaubte, daß ich die einzige sei, d.h. ich glaubte, ich hätte eine Macke und müßte als Typ aufwachsen, weil ich Frauen mochte. Das war aber nie ein Problem bis zu dem Moment, als ich das wirkliche Bedürfnis hatte, Beziehungen zu Frauen haben zu wollen.
ROSETTA: Sag mal, weißt du noch, in wen du dich als erstes verliebt hast? Wann hast du dich zum ersten Mal richtig in eine Frau verknallt, was waren die Anzeichen?
MARA: Es war ... ich ging in die sechste Klasse. Ich erinnere mich noch genau, eines Tages brachte uns die Sportlehrerin in die Turnhalle, weil dort die Mädchen aus der achten Klasse waren, die die Abschlußprüfung in Gymnastik machten ... Irgendwann sah ich dieses Mädchen, sie hieß Roberta und, ich weiß nicht, ich habe sie gesehen, einfach so, und ich war überwältigt, ich mußte sie immerzu ansehen, und dann kam eins zum anderen. Ich weiß nicht, sie machte diese Prüfung mit Musikbegleitung und dann, weißt du, machst du dir Gedanken und malst dir alles mögliche aus ... Und ... nichts, in den darauffolgenden Tagen hab ich sie dann gesucht, weißt du. Ich hab herausgefunden, in welche Klasse sie ging, und ich war sehr traurig, daß das Schuljahr zu Ende ging, weil dies die letzten Schultage waren. Ich hab die verrücktesten Sachen angestellt, um ihre Adresse ausfindig zu machen. Solches Zeug halt, trotzdem hätte ich mich niemals getraut, sie anzusprechen. Sobald ich sie sah, fing ich an, zu zittern, weißt du. Trotzdem hatte ich Lust, sie zu sehen. Das war das erste Mal.
ROSETTA: Danach hast du sie nie wieder gesehen?
MARA: Dann, ja, ich muß sagen, sie ist auch eine von denen, die du überall triffst, daher habe ich sie nach einigen Jahren wiedergesehen. Ich muß sagen, sie hat bei mir ein komisches Gefühl erzeugt, d.h. ein schönes, weil es mich wieder daran erinnert hat.
ROSETTA: Kommen wir auf unser Gesprächsthema von eben zurück- es war für dich also instinktiv sofort normal, dich in eine Frau zu verlieben?
MARA: Es ging mir ziemlich schlecht, als ich vierzehn war ... bis ich 17 war, denn ich hatte einen Haufen Probleme: erstens, weil ich nicht wußte, wo ich hingehen sollte, um solche Frauen zu suchen. Als ich mitkriegte, daß es sie wirklich gab, und mir klar wurde, daß ich nicht die einzige war, wollte ich sie suchen gehen, aber ich wußte nicht, wo. Außerdem hatte ich Schiß, weißt du. Als ich von der Frauenbewegung, von einem Frauentreffen und auch von der Radikalen Partei, dem F.U.O.R.I. hörte ... Ich hatte schon den Wunsch, zu diesem Treffen zu gehen, aber irgendwie hielt mich etwas davon ab ... bis ich im Radio Radicale von der Besetzung des Governo Vecchio hörte, da sagte ich mir, Na gut, jetzt muß ich wirklich hin. Ich bin ins Governo Vecchio gegangen und habe dort ...
ROSETTA: Hast du praktisch dort deine ersten Kontakte mit anderen lesbischen Frauen gehabt?
MARA: Ja, ich möchte dir sagen, es ist mir da zum ersten Mal gelungen, das auszusprechen. Jetzt kommt ein Name, d.h.
ROSETTA: Ja, sprich ihn aus.
MARA: L... Ich habe dieses Mädchen auf eine ziemlich seltsame Weise kennengelernt, denn alle meinten, wir wären Schwestern, wir kannten uns aber nicht einmal, bis sie mir eines Tages, als wir miteinander sprachen, sagte, sie sei homosexuell. Da wütete und brodelte es in mir, ganz entsetzlich, ich dachte mir, Na gut, jetzt muß ich es sagen. Für mich war es unheimlich schön, aber ich brauchte drei Stunden, um es auszusprechen. Ja ... aber weißt du, auch ich ... im Grunde, vielleicht …
ROSETTA: Also, hat es dir geholfen, ein bißchen einfacher damit rauszukommen, weil du bei einer anderen Frau mitgekriegt hast, wie sie sagte, was sie war, auch wenn es für sie selbst sicherlich nicht leicht gewesen ist? Auch mir ist es, ehrlich gesagt, so gegangen. Es hat mir nie Stärke gegeben, mit den Frauen zusammenzusein, mit denen ich zusammenarbeitete. Ich meine, Frauen, die lesbisch waren, es aber nie aussprachen, sondern es gequält und versteckt lebten. Als ich sowieso schon kurz vor meiner Explosion stand, hat es gereicht, daß mir eine Frau klar sagte, Ich bin lesbisch. Da habe ich auf der Stelle alle meine Schutzmechanismen vergessen und instinktiv gesagt, Ich auch! ... Wo waren wir? Ach so, beim Governo Vecchio, bei der Besetzung des Gebäudes - nur Frauen haben es besetzt. Da drinnen hast du, ich erinnere mich an dich, bei einer Gruppe von jüngeren Frauen mitgemacht. Sie waren alle in deinem Alter, nicht wahr?
MARA: Ja, mehr oder weniger.
ROSETTA: Wir nannte euch die kleinen Mädchen.
MARA: Ja, genau, zum großen Ärger der Gruppe.
ROSETTA: Sag mal,was für Gefühle hattet ihr zu den anderen, also denen, die für die Abtreibung kämpften, und denen von den Beratungsstellen und in bezug auf die Diskussionen, die dort geführt wurden? Konntet ihr euch da einbringen? Konntet ihr eine eigene Identität finden, oder nicht?
MARA: Ich denke, ich kann nur von mir erzählen. Ich muß sagen, es gab da einen enormen Widerspruch für mich. Vielleicht hing das von meiner Situation ab, irgendwo hatte ich immer das Bedürfnis, diese ganzen Probleme mitzukriegen, dabei meinen Platz zu finden usw. In mir war andererseits auch eine Verweigerungshaltung. Damals verweigerte ich mich wahrscheinlich allem oder fast allem und eben auch dem da, d.h. allem, was irgendwie organisiert war. Schon die Treffen an sich nervten mich, weil ... ich fühlte mich dabei nicht so richtig zugehörig, d.h. ich habe mich immer ein wenig draußen gefühlt. Auch die anderen haben mich als Außenstehende gesehen, aber im Grunde war ich diejenige, die sich so verhielt.
ROSETTA: Aber meinst du nicht, daß in deiner Abwehrhaltung gegenüber diesen Versammlungen und Treffen nicht auch ein Stück deine Unsicherheit gesteckt haben könnte ... dich nicht offen als Lesbe zeigen zu können?
MARA: Ja, ich glaube, es war so.
ROSETTA: Denn deine Probleme, all das, worüber du sprechen wolltest, besonders all das, was deine Beziehungen zu Frauen anging, waren tabu.
MARA: Ja, eigentlich habe ich das auch so empfunden. Nicht von ungefähr konnte ich mich auf die Frauen beziehen, die offen sagten, daß sie lesbisch sind. Ich weiß noch genau, in den Anfängen der Besetzung des Governo Vecchio wurde wirklich nie davon gesprochen, überhaupt nicht, erst später kamen all diese Frauen, die sich als lesbisch bezeichneten, auf einmal damit raus ... Er st dann fiel es mir leichter, mich auf sie zu beziehen.
ROSETTA: Ja, sag mal, in der Zeit wart ihr, ich sage ihr, auch wenn du für dich sprichst, die Gruppe von denen, die sich dem Organisatorischen, wie die nötigen Sachen zusammen zu erledigen, z.B. Putzdienste, Nachtwachen usw., entzogen hat. Ich sah in dieser Haltung eine Weigerung, eine Weigerung, etwas von euch zu geben. Wahrscheinlich kam das, weil ihr euch von den anderen abgelehnt fühltet.
MARA: Ja, das wollte ich vorhin sagen.
ROSETTA: Ich wollte dich fragen: du hast es immer irgendwie geschafft, dich mit Gleichaltrigen zusammenzutun? Also mit sehr jungen lesbischen Frauen oder nur wenig älteren. Hast du jemals ältere lesbische Frauen, du weißt ja, in den berühmten ersten Frauengruppen gab es viele Lesben, hast du die je offen sagen hören, daß sie es sind? Damit hätten sie euch ja sicher gestärkt.
MARA: Nein ...
ROSETTA: Ich meine, indem sie aussprachen, was sie waren?
MARA: Du meinst, indem sie es aussprachen, in dem Moment, als sie es sagten?
ROSETTA: Ja.
MARA: Als sie es sagten, gaben sie mir persönlich Stärke.
ROSETTA: Aber hast du bei ihnen ein besonderes Interesse an euch als Lesben und nicht nur ein allgemeines an euch als Feministinnen wahrgenommen?
MARA: Das hab ich bei der Gruppe Rifiutare (Verweigern) wahrgenommen, bei Frauen wie T., P. oder N.. Sie kamen im Governo Vecchio als erste damit raus... Ja, bei ihnen hab ich es gespürt, auch wenn mit ihnen keine Gruppe entstand. Es war ziemlich schwierig, eine ... sagen wir, gleichberechtigte Verständigungsebene zu finden, weil die Alters- und Erfahrungsunterschiede, das war ein echtes Problem.
ROSETTA: Dann hast du mit deinen Freundinnen eine eigene Gruppe gemacht: ihr habt euch getroffen, diskutiert und zusammen Musik gemacht... euch immer ein wenig abgesondert. Weil du dich abgelehnt fühltest und deinerseits die anderen Gruppen ablehntest, finde ich es ganz normal, daß du dich einer Gruppe wie Rifiutare angeschlossen hast. Meiner Meinung nach hatte diese Gruppe von drei Frauen, die für euch die Erwachsenen waren, im Grunde das gleiche Problem mit den anderen mehr oder weniger aktiven Frauengruppen, die zumindest alle an den großen Versammlungen teilnahmen: sie fühlten sich auch nicht als Lesben wahrgenommen. Daraufhin habt ihr euch ja tatsächlich zusammengetan. War es deiner Meinung nach im Governo Vecchio klar, daß Rifiutare eine Lesbengruppe war? D.h., vertrat die Gruppe einen klaren Lesbenstandpunkt?
MARA: Für mich war es klar, daß sie Lesben waren, denn sie lebten ihre Beziehungen ganz öffentlich, aber auf der politischen Ebene bezogen sie im Grunde innerhalb des Governo Vecchio keinerlei Stellung. Als sich die Gruppe später zahlenmäßig vergrößerte, machten wir zusammen Selbsterfahrung. Wir hatten die Absicht, noch mit anderen Frauen aus dem Governo Vecchio mit klaren Positionen nach draußen zu gehen. Aber wegen auch internen Schwierigkeiten löste sich die Gruppe auf, bevor wir es machen konnten.
ROSETTA: Mir entging es auch, daß diese Gruppe ein klares lesbisches Selbstverständnis hatte, obwohl ich ganz genau wußte, daß die Frauen darin lesbisch waren. Vielleicht gab es zwei Gründe dafür: Erstens, weil ich damals selbst keine Klarheit über mein eigenes Lesbischsein hatte, es waren die Monate, in denen es mir mit tausenden inneren Dramen allmählich bewußt wurde. Zweitens, hatten sich in diesem Mechanismus des Ablehnens und Abgelehntwerdens zwischen den Frauen von Rifiutare und den anderen sehr komplexe Dynamiken eingespielt. Soweit ich mich erinnern kann, gab es auf beiden Seiten Unsicherheiten, Ängste und Ungeklärtes. Beide Seiten waren mit Aggressionen geladen, nicht wahr?
MARA: Ja, das stimmt.
ROSETTA: Hast du jemals in anderen politischen, nicht-feministischen Gruppen mitgemacht? Hat sich jemals für dich das Problem des Nebenwiderspruchs gestellt?
MARA: Nein, das war nie mein Problem, weil ich nie bei irgendeiner Gruppe mitgemacht habe, d.h., eine Zeitlang war ich in der Radikalen Partei, aber nur so ... Ich blieb im Grunde immer draußen. Ich sah es nicht als meinen Kampf an, was mich als Frau betrifft. Vielleicht fehlt mir da etwas, vielleicht auch nicht, aber ich habe nur Lust, für Frauen zu kämpfen. Es gibt auch andere Probleme, die mich tief berühren, trotzdem spüre ich, daß sie mich im Grunde nichts angehen.
ROSETTA: Du verwendest lieber deine ganzen Energien ausschließlich für Frauen und ihre Kämpfe.
MARA: Ja, genau, ich mache das rein instinktiv.
ROSETTA: Als erstes hast du dich den Frauen angenähert, sie haben dir gefallen, du hast dich in sie verliebt. Politisch gesehen hast du dann deinen Platz an einem Ort gefunden, der nur für Frauen ist: Dieser Ort ist der separatistischste innerhalb der gesamten Frauenbewegung. Auch das ist wichtig, oder? Der Radikale Separatismus des Governo Vecchio bestärkte viele Frauen, die Männern keine Energien geben, nicht mit oder für sie arbeiten und sich auch nicht mit ihnen treffen wollen.
MARA: Genau dafür habe ich mich entschieden. Am Anfang war das rein gefühlsmäßig, nach und nach wurde mir das bewußter.
ROSETTA: D.h., du hast dich instinktiv mit dem Feminismus als Separatismus identifiziert. Ich kriege seit einigen Jahren mit, daß du dich hauptsächlich in der Frauenszene und den Frauenkneipen bewegst: empfindest du das als ein Leben im Ghetto?
MARA: Nein, überhaupt nicht. Es schränkt mich gar nicht ein, einen Großteil meines Alltags in der Frauenszene zu verbringen. Im Gegenteil, es hat mir so viel Stärke gegeben, daß ich es geschafft habe, ohne Probleme auch außerhalb dieser Szene auf meine eigene Weise mit Frauen zusammen zu sein. Das verdanke ich der Frauenszene, in der ich erst gelernt habe, bestimmte Sachen wahrzunehmen, sie wiederzuerkennen, sie mir zunutze zu machen. Ich denke, keinem Typ und auch keiner Heterofrau wird es je gelingen, mich aufs neue zu beschneiden. Mir hat die Frauenszene den Impuls gegeben, rauszugehen und nicht zurückgezogen und versteckt in einem Ghetto zu bleiben.
ROSETTA: Sag mal konkret, was machst du sonst noch?
MARA: Darüber hinaus, meinst du?
ROSETTA: Ja.
MARA: Ich weiß nicht, mein ganzes Leben, na, ich muß sagen, Frauen machen mein Leben aus, sie sind das Wichtigste in meinem Leben. Alles, was aus mir rauskommt, bringe ich nur zusammen mit Frauen. Darüber hinaus gibt es noch andere Bereiche in meinem Leben, in denen auch Männer sind, z.B. die Arbeit oder das Theater. Anfangs habe ich mit Frauen Theater gemacht, momentan machen auch Männer mit. Und dann muß ich mich noch mit dem Alltagskram auseinandersetzen... Leider, tja, die Männer sind immer dabei, so oder so. Ich muß sagen, nachdem ich eine Zeit hatte, in der ich die Männer als Macker, als Schwanzträger völlig ablehnte, habe ich jetzt wieder Kontakt zu ihnen. Trotzdem ist mir dabei immer bewußt, daß meine Kontakte zu ihnen niemals mit meinen Frauenbeziehungen zu vergleichen sind, ich verhalte mich ganz klar, bei ihnen auch anders ...- Ich kann mich nur mit Frauen verwirklichen, mit Männern nie, weil ich das nicht will.
ROSETTA: D.h., du hast auch eine gefühlsmäßige Distanz zwischen dir und den Männern aufbauen können? Auch wenn sie dabei sind, kannst du deine Sachen machen, was nicht notwendigerweise heißt, mit ihnen zusammen, trotz ihrer Anwesenheit?
MARA: Ja, genau.
ROSETTA: Das zu können ... ist unbedingt nötig, denn sie sind überall... Das mit einem Minimum an Abstand tun zu können, finde ich sehr wichtig, weil uns die ständigen Aggressionen gegen sie verzehren und uns alle Kräfte nehmen. Wenn du Sachen für dich machen mußt, kannst du nicht deine ganze Zeit damit verbringen, gegen sie zu kämpfen.
MARA: Ja, so ist es. Ich versuche, damit klar zu kommen, was aber nicht bedeutet, Sachen mit ihnen zusammen zu machen.
ROSETTA: Ja, aber wenn sich deine aufgestauten Aggressionen einfach entladen müssen, und wenn du Lust hast, aggressiv zu ihnen zu sein? Mir geht das z.B. oft so ...
MARA: Ich kenne so was gut ... Natürlich, wenn sie mich auf der Straße anmachen, da habe ich heute keine Aggressionen mehr, ich beachte sie nicht mal, habe ich eine Art Vergnügen daran. Denn wenn ich ihnen ein bestimmtes Leck mich am Arsch zurückgebe und ihnen in die Augen schaue, wissen sie oft nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen, manchmal werden sie sogar völlig verunsichert. Jetzt ist es schon eh ein Spiel und ... Ich krieg aber Aggressionen, wenn sie, obwohl es sie überhaupt nicht angeht, bei Diskussionen über uns Frauen auf jeden Fall mitreden wollen, das geht mir unheimlich auf die Nerven.
ROSETTA: D.h., du wirst sauer, wenn du mitkriegst, wie sie immer und um jeden Preis bei uns, unserem Leben und bei unseren Vorhaben mitmischen wollen? Ja, ich empfinde das auch als eine ziemlich nervige Angelegenheit.
MARA: Ja, obwohl ich jetzt lerne, sie überhaupt nicht zu beachten, hab ich manchmal richtige Lust, mich mit ihnen anzulegen.
ROSETTA: Kannst du dir als Lesbe vorstellen, mit schwulen Männern zusammen zu arbeiten? Fühlst du dich wie sie?
MARA: Nein, überhaupt nicht, die männliche Homosexualität ist etwas ganz anderes als die weibliche, ich glaube, sie ist etwas vollkommen anderes.
ROSETTA: Kannst du dich gar nicht mit ihnen identifizieren?
MARA: Auf keinen Fall, nichts liegt mir ferner, als mich mit einem Schwulen zu identifizieren, das ist absolut nicht drin...
ROSETTA: Ja. Ich habe mal gesagt, ein Mann und eine Frau können nie gleich sein, nicht einmal wenn sie anders sind. Anders zu sein, heißt nicht, gleich zu sein, auch nicht unter Andersseienden.
MARA: Ja, das heißt es überhaupt nicht.
ROSETTA: Es gibt verschiedene Arten, anders zu sein. Ein Mann und eine Frauen stehen nie auf einer Stufe, noch können sie sich auf einer Ebene begegnen, in dieser vom Patriarchat vereinnahmten Welt, nicht mal auf halbem Weg. Laß uns ein paar Dinge klären: erstens, zur Auffassung Homosexualität sei Anderssein.
Zweitens, daß nur eine Minderheit anders sei. Das beruhigt alle diejenigen, die denken, in dieser totalen zweideutigen Heterowelt der Mehrheit anzugehören. Ist für dich nur eine Minderheit von Frauen lesbisch?
MARA: Nein, ich glaube nicht, sehr oft spüre ich bei Frauen, sie sich als heterosexuell verstehen, eine sehr starke homosexuelle Komponente, auch wenn sie unbewußt ist. Ich weiß nicht wirklich, wie weit das geht, ob sie die vor sich selbst verstecken oder ob sie sie den anderen gegenüber verbergen, und wie bewußt das geschieht ...
ROSETTA: Hattest du in der Vergangenheit auch Geschichten mit sogenannten heterosexuellen Frauen?
MARA: Z.B. weiß ich noch von einer meiner Tanten, wie es ihr Spaß machte, mich zu berühren, als ich meinen Busen bekam. Ich regte mich fürchterlich darüber auf, sie sagte mir immer, wie wunderschön ich sei. Sehr oft fühlte ich mich von ihr beobachtet. Dieses Gefühl war für mich alles andere als unangenehm, besonders, da sie mir auch gefiel. In Gesprächen machte sie sehr oft sexuelle Anspielungen, immer jedoch mit Männern. Auch von einigen Freundinnen meiner Mutter hatte ich einen ähnlichen Eindruck, z.B. gab es da eine junge Frau mit zwei Töchtern, die sofort ihre große Sympathie für mich zeigte, als ich sie mit 16 kennenlernte. Das erste, was sie mir sagte, war, daß ich Wahnsinnsaugen hätte. Wir unterhielten uns oft, immer war sie es, die Kontakt zu mir suchte, sie rief auch meine Mutter an und fragte nach mir. Als sie sich von ihrem Ehemann trennte, fragte sie mich, ob ich sie besuchen wollte, da sie allein sei. Aber ich bin nie hingegangen ... Ich weiß nicht genau, warum. Auch wenn offensichtlich keine bedeutenden Sachen passieren, kriege ich immer mit, wenn eine Frau, die sich als hetero bezeichnet, mir bestimmte Signale zukommen läßt, auch wenn sie vielleicht keine Ahnung von meinem Lesbischsein hat. Die Liste, die ich machen könnte, wäre sehr lang, angefangen mit meiner Musiklehrerin, die ich von der 5. bis zur 8. Klasse hatte, bis hin zu einer Frau, die ich vor 3 Monaten im Theater kennenlernte. Das war ein paar Tage vor meinem ersten und bisher einzigen Auftreten als Schauspielerin. Obwohl sie ihren Alten immer hinter sich herzockeln ließ, verhielt sie sich mir gegenüber auf eine ganz eindeutige Weise, auch wenn sie versuchte, sich dabei hinter ihren langjährigen schauspielerischen Erfahrungen zu verstecken. Aber ich weiß ganz gut, was eigentlich dahinter steckte, wenn sie mich umarmte, um mir vor der Vorstellung Mut zu machen und mich Mäuschen oder so ähnlich nannte. Ganz zu schweigen von den Begegnungen, ja oft nur Blickkontakten, auf der Straße ...
ROSETTA: Sag mal, deine Altersgenossinnen, die sagen, heterosexuell zu sein, ich meine, die, die zusammen mit ihren kleinen Freunden zu Patty Smith, zum Massenzio [1] und zu all diesen Sachen gehen, was für eine Beziehung hast du eigentlich zu ihnen?
MARA: Ich kann keine Beziehungen zu ihnen haben, weil sie mich unwahrscheinlich aufregen. ... Sie sind halt Frauen, ich fühle mich auf irgendeine Weise von diesen Geschichten betroffen. Ich kann dabei noch viel saurer werden, als ich es je mit Männern sein könnte, die interessieren mich eben nicht die Bohne, während ich bei Frauen wirklich stinkwütend werde.
ROSETTA: Hast du schon jemals etwas mit einem Mann gehabt?
MARA: Nein .. So, in einer bestimmten Phase meines Lebens, in der ich anfing, Beziehungen zu Frauen haben zu wollen, gab es ... ein paar Jungen, die hinter mir her waren und etwas von mir wollten. Ich ... ich war sehr unsicher, weil, ich weiß nicht, irgendwann hatte ich auch ein Bedürfnis nach bestimmten Dingen ... Aber als ich sagte, o.k., laß es uns probieren ..., brachte ich es nicht. Ich brachte es überhaupt nicht, auch weil ich mich selbst überhaupt nicht richtig einbringen konnte, das war einfach nicht drin. Ich habe nie etwas mit einem Mann gehabt, wirklich nie.
ROSETTA: Hattest du Schwierigkeiten mit deiner Familie? Sind sie sich darüber im klaren, daß du lesbisch bist?
MARA: Ich habe es ihnen gesagt. Am Anfang haben sie es natürlich sehr schlecht aufgenommen, das war klar. Sie haben mich sogar zu einem Psychologen geschickt, der mich übrigens ziemlich verwundert hat, als er mit dem Satz anfing Dein Vater hat mir gesagt, du hast ein Problem. Darauf habe ich ihm geantwortet, Das stimmt nicht, daß ich ein Problem habe, ich komme sehr gut mit meinem Lesbischsein zurecht. Damals hatte ich schon Beziehungen zu Frauen, mir machte mein Lesbischsein überhaupt keine Schwierigkeiten, es ging mir auch nicht schlecht. Er antwortete mir: Tja, wenn es dir gut dabei geht, bist du auch nicht krank, ein Kranker ist jemand, dem es schlecht geht. Wenn es dir gut geht, dann leb es ruhig aus, nur müssen wir uns über eine Strategie gegenüber deinen Eltern einigen, denn sie machen sich Sorgen. Also werde ich deinem Vater sagen, daß du eine Phase der sexuellen Unreife durchlebst, und daß dies vorbeigehen wird ... Ich hab ihm geantwortet, Sag ihnen, was du willst, mich interessiert das alles nicht mehr.
ROSETTA: Ja, das ist nicht weiter verwunderlich, da es eine umfassende Theorie gibt, nach der die Homosexualität nur eine regressive Phase bedeutet im Verlaufe einer sogenannten sexuellen Entwicklung, die von der Undifferenziertheit hin zur Heterosexualität führen soll. Das kennen wir ja.
MARA: Zumindest weiß ich echt nicht, ob er mich oder meine Eltern oder sich selbst verarscht hat ...
ROSETTA: Ein Gedanke, der nicht auszuschließen ist ... Und wie war es mit deiner Mutter?
MARA: Mit meiner Mutter war das ein ziemlich großes Problem, auch wenn danach einiges passiert ist, das mich vermuten läßt, daß sie es akzeptiert hat... Obwohl wir nie mehr so darüber geredet haben wie beim ersten Mal. Übrigens zeigte meine Mutter beim ersten Mal eine ziemlich verdächtige Neugierde für diese Dinge. So fragte sie mich, Was machst du denn mit den Frauen?, und dann sagte sie mir Ach, auch ich in deinem Alter worauf ich sie fragte, In meinem Alter, was?, Ach, ich war immer mit einer meiner Freundinnen …«, sagte sie ziemlich wegwerfend. Darum denke ich, meine Mutter hat auch starke lesbische Tendenzen ... Ich sehe es auch in ihrem Verhältnis zu mir und in meinem zu ihr ... eine Hass-Liebe ... Vielleicht ist gerade meine Beziehung zu meiner Mutter mein größtes Problem, denn bei ihr hab ich die irrsten Mechanismen drauf... Ich verletze sie immer, um mir selbst noch weher zu tun, verstehst du? Ich weiß nicht, es ist seltsam, ich denke, bei ihr läuft das Gleiche ab.
ROSETTA: Kannst du etwas mit ihr zusammen machen?
MARA: Nein, leider nicht, ich schaffe es nicht, weil sie sich immer wie eine Mutter verhält. Da läßt sich nichts machen, sie sieht mich immer nur als ihre Tochter. So ein Verhältnis kann ich nicht ab.
ROSETTA: Was für eine Art von Beziehung stellst du dir zu ihr vor?
MARA: Ich möchte eine Beziehung zweier Frauen, und das ist etwas, was es nicht gibt. Es gibt nur klar definierte Rollen: sie drängt mich in eine Rolle,und ich verpasse ihr dann auch eine.
ROSETTA: Glaubst du nicht, daß dies auch ein Schutzwall ist, den sie gezwungenermaßen zwischen euch beiden aufbauen muß?
MARA: Ja, ich glaube, sie wehrt mich sehr ab. Ebenso glaube ich, daß sie mich sehr liebt, und daß sie mich sehr viel mehr als meinen Bruder liebt, obwohl dann im Endeffekt das Gegenteil dabei herauskommt ... Aber frau spürt das ... Ich glaube, sie ist im Grunde froh über das, was ich ... eigentlich bin, was für ein Mensch ich bin. Ich mache vieles, was sie auch gern gemacht hätte. Es gab Zeiten, in denen wir miteinander sprechen konnten. Ich erinnere mich an einen Abend, es war wunderschön, als ich früh nach Hause kam und mein Vater nicht da war, also haben wir angefangen zu reden. In dem Moment, als ich ihr einiges erzählte, meinte sie zu mir Nein, nein, schau mal, das ist nicht so. Darauf sagte ich, Gute Nacht und ging ins Bett. Fünf Minuten später ruft sie mich mit der Ausrede Hast du eine Zigarette? und sagt Tja, ich weiß, du hast eigentlich recht. .... Jedoch hatte die Sache damit leider ihr Ende. Und am nächsten Morgen hatte sie das gleiche Abwehrverhalten drauf wie eh und je, wenigstens schien es so. Es ist also eine Beziehung, die, ich weiß nicht, zu der ich mich nicht durchgängig verhalten kann, weil es da so einiges gibt, und zwar ihr bzw. mein Abwehrverhalten, dann die Aggressionen. Wir können nur selten richtig miteinander sprechen. Ich bin immer sehr aggressiv, wenn ich mit ihr sprechen will, das ist meine Art, mit dem Reden anzufangen. Es ist für mich nicht leicht, über bestimmte Dinge mit meiner Mutter zu reden, ja auch über ihr Leben. Klar, eine Frau, die bereits 45 Jahre alt ist und alles mögliche redet, was sie im Alleingang erfahren hat, wird in Krisen gestürzt, wenn sie mit bestimmten Sachen konfrontiert wird. Oft sage ich dann, Ich weiß nicht, vielleicht habe ich kein Recht dazu. Manchmal werde ich jedoch stinkwütend, das muß ich ihr dann sagen, und ich sage es ihr auf eine ganz bestimmte Art ...
ROSETTA: Wie reagiert sie?
MARA: Unsere Streitereien haben im allgemeinen eine erste Phase, in der wir beide brüllen. Dann kann es passieren, daß ich anfange, zu heulen. Sie kommt in mein Zimmer, wir umarmen uns, und alles ist glücklich und zufrieden. Danach können wir eine kurze Zeit lockerer reden. Nur ... leider, ich wiederhole mich, hält die gelassene und entspannte Atmosphäre nur kurz an. ROSETTA: Sag mal, erinnerst du dich an erotische Gefühle zu deiner Mutter?
MARA: Ich hatte nie eine sonderlich körperliche Beziehung zu meiner Mutter. Ich erinnere mich nicht einmal an irgendwelche Zärtlichkeiten von ihr, als ich klein war. Wir können uns immer nur nach unseren wilden Streitereien umarmen... Nie werde ich aber die Geschichte vergessen, die sich einige Tage, nachdem ich von zu Hause weggegangen war, ereignet hat. Sie rief mich im Governo Vecchio, in dem ich lebte, an und bat mich, wenigstens zum Essen nach Hause zu kommen. Ich weiß noch, sie war sehr lieb zu mir und kam nach dem Essen in mein Zimmer, um mit mir zu reden: Sie saß auf einem Stuhl, ich kniete neben ihr, ich streichelte sie, während wir beide heulend miteinander sprachen. Irgendwann lagen wir uns in den Armen, ich gab ihr sogar einen Kuß auf den Mund. Das verwundert mich immer wieder sehr, sobald ich nur daran denke, fast schäme ich mich dafür. Dann schrieb ich ihr einen langen Brief, in dem ich ihr von meinem Leben erzählte und ihr sagte, daß ich sie liebte. Das war vielleicht wirklich das einzige Mal, wo wir beide ohne Abwehr waren. Wir hatten ein sehr starkes Bedürfnis, miteinander zu reden. Sie glaubte, mich irgendwie verloren zu haben, während ich ihr verzweifelt zu verstehen gab, daß dies nicht der Fall war.
ROSETTA: Weißt du, bezüglich der Mutter-Tochter-Problematik und lesbischen Frauen existiert noch ein anderer Gemeinplatz. Vor ein paar Monaten habe ich mit einer sogenannten heterosexuellen Freundin gesprochen. Eine sehr intelligente und sensible Frau, eine von den Frauen, die ich sehr schätze und liebe. ... Nach vielen Jahren, in denen wir beide keinen Kontakt mehr miteinander hatten, schaffte ich es, mit ihr über mein Lesbischsein zu reden, obwohl sie unser Gespräch immer wieder auf heterosexuelle Bahnen zurückführen wollte. Ich habe einen Sohn, und wenn du Kinder hast, wirst du immer wieder auf diese Ebene zurückgeworfen. Ihr Verhalten schien mir sehr gelassen, sie ist sehr rational. Unter anderem meinte sie zu mir, Ja, ich verstehe viel, jedoch hat mich an den Beziehungen von lesbischen Frauen immer gestört, daß es zwischen den Frauen ungleiche Strukturen gibt: es verlieben sich immer ganz junge Frauen in sehr viel ältere. Sie hat so davon gesprochen, als ob das ein speziell lesbisches Charakteristikum wäre ... daß sich die junge Frau in die ältere Frau verlieben muß, ja, gerade dazu gezwungen ist, sich in die ältere zu verlieben, die wiederum für ihren Teil das kleine Mädchen sucht. Demnach reproduzieren beide zwanghaft dieses Pseudo Mutter - Tochter-Verhältnis. Hast du dich abgesehen von deiner Mutter jemals in eine sehr viel ältere Frau verliebt?
MARA: In eine sehr viel ältere nicht, doch muß ich zugeben, so etwas kann schon vorkommen. Z.B. habe ich meine eigenen Idealvorstellungen und meine Bedürfnisse nach Sicherheit und vielem anderen auf eine andere Frau übertragen, die ich für sehr viel älter hielt. ... Ich glaube aber nicht, daß das typisch für eine lesbische Beziehung ist, das kommt überall vor. Ich sehe nicht ein, warum es das nicht auch in einer Frauenbeziehung geben sollte.
ROSETTA: Du hast dir also nicht immer eine ältere Frau gesucht, sondern hast auch Liebesbeziehungen zu gleichaltrigen Frauen gehabt?
MARA: Ja, genau.
ROSETTA: D.h., es kann mit einer älteren Frau, einer gleichaltrigen und auch mit einer jüngeren passieren?
MARA: Ja.
ROSETTA: Im Grunde wird mit diesem Argumentationsmuster wieder versucht, die Frauen zu spalten. Es endet damit, daß die Ältere dafür verantwortlich gemacht wird, die Jüngere verführt zu haben.
MARA: Ja, genau das wird mir ständig entgegengeschleudert. Wenn in heterosexuellen Kreisen über Homosexualität geredet wird, ist immer die Rede von der älteren Frau, die das kleine Mädchen verführt, also à la Vampir... So was macht mich wahnsinnig sauer!
ROSETTA: Ja, die Verführung Abhängiger.
MARA: Ganz genau, diese Ausdrücke hat meine Mutter in unseren Gesprächen oft benutzt. Z.B.: Sie haben dich hörig gemacht!‹ als ob ich selbst unfähig wäre, mich zu entscheiden. Es sind immer die anderen, die mich abhängig gemacht haben, und ich Dummerchen ließ mich abhängig machen.
ROSETTA: Eine andere Sache: es kann passieren, daß du als Lesbe völlig abgelehnt wirst, dann wieder wird alles getan, um es dir auszutreiben, bzw. das andere Extrem: Oh, wie schön ist es, lesbisch zu sein, da begegnen sich zwei gleiche Menschen und lieben sich ... . Entweder wird die lesbische Beziehung als ein Bündel von Macht- und Abhängigkeitsmechanismen gesehen, oder die ganze Komplexität einer Frauenbeziehung wird einfach übergangen und zum Mythos der idyllischen Romanze, in der alles prima läuft, weil frau ja gleich ist, stilisiert.
MARA: Das stimmt eben nicht. Meiner Meinung nach sind zwei Menschen nie gleich. Daher stimmt es einfach nicht, daß eine Beziehung zwischen zwei Frauen idyllisch ist. In einer Beziehung gibt es Probleme, und zum Glück gibts die! Andernfalls wäre sie nicht echt. Jede von uns hat ja ihre Probleme, es gibt keine Vollkommenheit, wenn die Probleme rauskommen, um so besser!
ROSETTA: Diese Vorstellung von Gleichheit stammt aus der Narzißmus-Diskussion. Du spiegelst -dich im durchsichtigen und unbeweglichen Wasser. Jetzt mal ehrlich, wie fühlst du dich, wenn du mit einer Frau zusammen bist? Was für Probleme macht dir das Verliebtsein, was für Unsicherheiten und Aggressionen kommen da bei dir zum Vorschein?
MARA: Mamma mia! - Wenn ich in eine Frau verliebt bin, habe ich wahnsinnig viele Probleme, Unsicherheiten, ich brauche und suche ganz viel Bestätigung. Ach, es ist schwierig, darüber zu reden, es ist wirklich schwierig! Ich weiß nicht, oft mache ich das Problem der anderen zu meinem. Es kann passieren, daß ich die andere mit meinen Bedürfnissen und Schwierigkeiten einenge.
... Wenn du es aber tatsächlich schaffst, eine wirkliche Beziehung zu leben, merkst du, daß es eben doch nicht so läuft. Die Beziehungsschwierigkeiten werden gemeinsam angegangen, du redest darüber. Es kann aber auch sein, daß beide nur spüren ... Das ist ganz unproblematisch. Eigentlich habe ich aber Angst, den Frauen Gewalt anzutun, wenn ich meine momentanen Ansprüche durchsetzen will.
ROSETTA: Deine Bedürfnisse...
MARA: Ja, auch meine Bedürfnisse ... das muß ein bißchen auf einander abgestimmt sein.
ROSETTA: Abgesehen von dem Problem, daß du dir einen eigenen Freiraum im Beziehungsalltag finden mußt, müssen beide Frauen auch einen Platz für sich in der Gesellschaft finden. Dies alles führt sehr weit und ist mit den Erfahrungen eines heterosexuellen Paares überhaupt nicht zu vergleichen. Die Heterosexualität basiert auf einer gegebenen Tatsache: historisch gesehen gab es immer nur für einen der beiden Platz, den Mann.
MARA: Ja, das stimmt ...
ROSETTA: In der Geschichte existiert die Frau eigentlich gar nicht, und zwei Frauen zusammen sind erst recht unsichtbar. Beide müssen versuchen, als Frauen zu existieren, sichtbar zu werden und sich in der Gesellschaft einen Platz zu erkämpfen... Das ist schrecklich viel Arbeit, oft endet es damit, daß innerhalb der Zweierbeziehung große Mißverständnisse über die jeweiligen Freiräume entstehen. Ich weiß auch nicht, ob du Erfahrungen im Zusammenleben hast?
MARA: Nein, die habe ich nicht ... Ich habe noch nie eine richtige Zweierbeziehung gehabt, deswegen habe ich mich mit diesem Problem noch nie auseinandergesetzt
ROSETTA: Entschuldige, mit Zweierbeziehung, wir müssen diese Ausdrücke benutzen, weil wir keine anderen haben, sind zwei Frauen gemeint, die einen Großteil ihres Alltags miteinander verbringen, auch wenn sie nicht ununterbrochen zusammen sind. D.h., eine kontinuierliche Beziehung ... Hast du so etwas schon mal gelebt?
MARA: Ja, eine kontinuierliche Beziehung habe ich schon gehabt, jedoch war es äußerst problematisch. Die Frau, die ich liebte, bezeichnete sich nämlich als heterosexuell. Sie hatte vorher immer Beziehungen zu Männern gehabt, sie machte damit auch während unserer Liebesbeziehung weiter. Meiner Meinung nach war die Beziehung zu mir für sie auch unheimlich problematisch. Für sie war es natürlich etwas ganz Neues, gegen das sie im Grunde Widerstände hatte.
ROSETTA: Ja, klar.
MARA: Ich wüßte nicht einmal, wie ich diese Beziehung definieren sollte ...
ROSETTA: Wie habt ich euch kennengelernt, auf was für einer Basis? Wie hat eure Geschichte angefangen, in welcher du zu deinem Lesbischsein standest, während die andere sich auf ihre Pseudoheterosexualität berief, hier können wir jetzt ruhig von Pseudo reden ... Wenn sie eine Liebesgeschichte mit einer Frau gelebt hat, war sie ja dann doch nicht so ... heterosexuell...
MARA: Ja, so ist es, im Grunde kam sie auf mich zu. Ich glaube, am Anfang wollte sie am Anfang nur eine besondere Erfahrung machen, nämlich mit einer Frau. Doch das Ganze entwickelte sich zu einer tiefen Bindung. Dabei wehrte sie die gleichzeitig ab, wobei es ihr aber schwerfiel, sich der zu entziehen ... Zu ihrer eigenen großen Verwunderung...
ROSETTA: Glaubst du, daß die Möglichkeit, eine andere Frau zu lieben, für sie völlig überraschend kam?
MARA: Das glaube ich schon.
ROSETTA: Trotzdem hatte sie weiterhin Kontakt zu Männern.
MARA: Ja, weil sie ihr bestimmte Sicherheiten gaben. Mit ihnen fühlte sie sich in der Lage, viele Dinge zu machen, die problematisch für sie wurden, sobald sie sie mit mir machte ...
ROSETTA: Hat sie jemals mit dir über Bisexualität geredet?
MARA: Ja.
ROSETTA: Was hältst du von der Bisexualität?
MARA: Ich denke, das ist etwas, ich weiß nicht, für mich als Mara ist so etwas nicht drin.
ROSETTA: Darüber wird zur Zeit viel geredet.
MARA: Ich weiß nicht, ich glaube, das ist so grundverschieden, Männerbeziehungen und Frauenbeziehungen zu haben. Sie lassen sich nicht vereinbaren.
ROSETTA: Was für Gefühle hattest du? Wie hast du dich bei dem Gedanken gefühlt, daß diese Frau, nachdem sie mit dir geschlafen hatte, danach möglicherweise mit einem Mann ins Bett ging.
MARA: Das hat mich ganz schön gestört, mir ging es deswegen ziemlich schlecht. Zudem habe ich es nicht verstanden, noch nie. Ich glaube, ich werde es nie verstehen können ... Jedenfalls erinnere ich mich, wie sie mir nach einem der ersten Male, als wir zusammen geschlafen hatten, erzählte, daß sie mit einem Mann zusammen gewesen war. Er hatte zu ihr gesagt: Aha, du hast mit einer Frau geschlafen, du lehnst mich also ab. Nichtsdestotrotz hatte sie weiter Beziehungen zu Männern, was ich nie verstanden habe, worüber ich mich aber auch nie weiter gekümmert habe.
ROSETTA: Wie hat es sich zwischen euch entwickelt und wie ist es zu Ende gegangen?
MARA: Es lief halt weiter, sie wehrte mich als ... ich ging immer wieder auf sie ein ... bis ich irgendwann nicht mehr konnte. Meine Entscheidung beendete unsere Beziehung. Eigentlich wollte sie das auch. Jedes Mal, wenn sie früher zu mir gesagt hatte. Naja, diese Geschichte hat wohl auch kaum Sinn mehr, machte ich mich wieder an sie ran, und es ging weiter.
ROSETTA: D.h. du warst diejenige, die die Initiative ergriff?
MARA: Ja, ich habe immer gesagt, Laß uns noch mal drüber reden, es wieder versuchen und
ROSETTA: War sie genauso alt wie du?
MARA: Nein, sie war ein oder zwei Jahre älter, sie war ganz anders als ich ... Sie führte ein ganz anderes Leben ...
ROSETTA: Sie erwartete wohl, daß du auf sie zugingst, sie war ansprechbar, wenn du zu ihr kamst?
MARA: Ja, als wir uns die ersten Male stritten, sagte sie: Ich warte nur darauf, daß du sagst: Ich hab die Schnauze voll, und es war dann auch so. Sie hatte aber genauso die Schnauze voll von mir ... jedoch nicht ganz. Als ich endgültig die Schnauze voll hatte, war es wirklich aus. Ich konnte wirklich nicht mehr .
ROSETTA: Hat sich ihre Art, dir die Initiative zu überlassen, auch auf eure sexuelle Beziehung ausgewirkt?
MARA: Nein.
ROSETTA: Ich frage dich das, weil ich viele Geschichte von lesbischen Frauen kenne, die sich von dem passiven Verhalten ihrer sogenannten heterosexuellen Liebhaberinnen in eine bestimmte Rolle gedrängt fühlten.
MARA: Nein, das ist mir nie so gegangen.
ROSETTA: In eurer Sexualität hat sie nicht auf deine Initiative gewartet... Hast du dich ihr verbunden gefühlt?
MARA: In solchen Momenten schon ...
ROSETTA: Gab es Gegenseitigkeit, gemeinsame Entscheidungen und keine festgeschriebenen bzw. starren Rollen?
MARA: Nein, in unserer Sexualität hatten wir keine Probleme.
ROSETTA: Wenn sie aber von ihren heterosexuellen Beziehungen erzählte, wie sprach sie davon? Hattest du den Eindruck, daß sie dabei sexuell und emotional beteiligt war?
MARA: Ach, weißt du, ich habe sie nie nach ihren sexuellen Männerbeziehungen gefragt, weil mir das, wie gesagt, ziemlich weh tat. Vielleicht konnte ich ihr deswegen keine Fragen stellen. Ich habe aber immer gespürt, daß sie die Männer im Grunde nur benutzt hat, zumindest kam das bei den wenigen Male, als wir dieses Thema ansprachen.
ROSETTA: Heterosexuelle Beziehungen sind Funktionsbeziehungen. Sie hätte sich sehr umstellen müssen.
MARA: Augenscheinlich war der Zeitpunkt dafür noch nicht da.
ROSETTA: Hast du dich wieder in andere heterosexuelle Frauen verliebt?
MARA: Nein, nicht verliebt. ... Mir haben heterosexuelle Frauen schon gefallen ... wenn ich es ansprach, wurde mir klar, daß sie immer irgendwie damit liebäugelten. In ihrer Heterosexualität haben sie sich aber sicher gefühlt, es gefiel ihnen, sie haben es immer zugelassen...
ROSETTA: D.h., es hätte genügt, ein bißchen beharrlicher zu sein?
MARA: Ja, vielleicht ...
ROSETTA: Tja, so läuft es immer. Ist dir je aufgegangen, was für ein Frauentyp dich am meisten anzieht?
MARA:
Ich bin da nicht so festgelegt ... Manche Frauen lösen bei mir bestimmte Gefühle aus, was dann so einiges nach sich zieht. Aber das hat gar nichts mit einem bestimmten Frauentyp zu tun. Vielleicht traf es früher zu, daß ich auf ältere Frauen abfuhr, weil ich kein Selbstvertrauen hatte. Ich dachte, eine ältere Frau könnte mir vieles für meine eigene Weiterentwicklung geben. Als ich ins Governo Vecchio kam, machte die erste Frau, die es mir angetan hatte, einen meiner Auffassung nach erfahrenen Eindruck. Sie war nur ein paar Jahre älter als ich, aber in meinen Augen war sie viel erfahrener. Das verwunderte mich um so mehr, als ich ihr Alter erfuhr. Ich glaubte, in sie verliebt zu sein, während mich in Wirklichkeit nur das Bild anzog, das ich sah. Als Mensch kannte ich sie eigentlich gar nicht. Aber sie hatte all das Selbstbewußtsein, die Durchsetzungsfähigkeit, und ich denke auch, die Intelligenz, die ich selbst gerne gehabt hätte. Mit denke meine ich nicht, daß sie dumm ist, sondern nur, daß ich sie nicht gut genug kannte, um das richtig einschätzen zu können. Damals machte ich sie zu einem Mythos, ich versah sie mit geradezu magischen Kräften... Das hing auch mit ihrem Äußeren zusammen, selbst darin war sie weiter, auch in ihrer Art, sich zu bewegen, mit ihren roten Haaren. Heute fahre ich auf die unterschiedlichsten Frauentypen ab. Gleichaltrige und auch Ältere. Ich habe kein Bedürfnis mehr, in den anderen die Erfahreneren bzw. die Stärkeren zu sehen... Im Gegenteil!
ROSETTA:
An dem Punkt haben sich unsere Wege gekreuzt. Du warst nicht einmal 20 und ich an die 40, als wir zwei uns plötzlich zur selben Zeit, mit der gleichen Intensität in dieselbe Frau mit den roten Haaren verliebt haben, ohne daß die eine von der anderen wußte. Ich muß sagen, auch heute noch bewegt mich der Gedanke an ihre Stärke, ihre Weichheit und an ihr herausforderndes Verhalten, so zu kämpfen, als wäre sie absolut sicher und stark. Ich habe weiter eine freundschaftliche Beziehung zu ihr. Und ich kann dir sagen, wir haben uns nicht getäuscht, als wir bei ihr eine Intelligenz und Sensibilität spürten, die übrigens bei Frauen nicht selten ist, bei ihr jedoch, und darin hast du recht, sind diese Fähigkeiten irgendwie magisch. Aber reden wir weiter, sonst laufen wir Gefahr, gemeinsam einen Fortsetzungsroman über unsere Liebe zu dieser rothaarigen Frau zu schreiben ... An der Art, wie du dich anziehst, wie du dich bewegst, wie du wirklich bist, also sehr weiblich, gibt es kein äußeres Zeichen, was dein Lesbischsein sichtbar macht. Nichts in deinem Verhalten läßt dies auf den ersten Blick erahnen. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die du haben kannst, wenn du als Lesbe abgelehnt wirst, hast du es schon erlebt, daß dein Lesbischsein nicht gesehen wird? Leidest du dann darunter? Mich stört es mehr, wenn ich als Lesbe übersehen werde, als wenn ich abgelehnt werde, oder wenn mit Gewalt versucht wird, mir mein Lesbischsein auszutreiben. Hast du auch Probleme damit?
MARA:
Ich möchte, daß mein Lesbischsein gesehen wird und man weiß, daß ich so bin. Ich habe ein großes Bedürfnis, mich überall so zu geben, wie ich bin. Wenn ich mich mit Leuten treffe, die es nicht wissen, stört mich manchmal, daß sie es nicht wissen, und ich möchte es ihnen irgendwie mitteilen. Ansonsten mache ich nichts, um es vor ihnen zu verstecken, und wenn sie es mitkriegen, ist es gut, wenn nicht ... abwarten und Tee trinken.
ROSETTA:
Ich könnte mir vorstellen, daß du dich wegen der Männer, wegen der Mißverständnisse, die möglicherweise entstehen können, da du für sie verfügbar scheinst, unbehaglich fühlst. Wie bewältigst du solche Situationen? Verhältst du dich provozierend?
MARA:
Was meinst du mit provozierend?
ROSETTA:
Ich wollte damit diese schrecklichen Ängste vor dem Erkanntwerden ansprechen ... Oft werden sie mit einem heftigen und aggressiven Verhalten überspielt. Weil du dich selbst unsicher fühlst, begibst du dich mit aller Gewalt in das Gefecht... Also, wenn schon Krieg sein muß, dann lieber gleich. Oft verschwendest du dabei aber auch unnötig Energien. Mir kommst du dabei ziemlich gelassen vor, stimmt das?
MARA:
Ja.
ROSETTA:
Du kannst dich demnach so zeigen, wie du bist. Vieles von dir wird schon allein dadurch deutlich, mit wem du zusammen bist und mit wem nicht. Schon auf den ersten Blick wird klar, daß du nicht dem Schema Dyke - kurze Haare - usw. entsprichst. Abgesehen davon, würde auch da niemand etwas sehen, wenn er es nicht sehen wollte ...
MARA:
Ja, sicherlich ... aber eigentlich stören mich kurze Haare und ein entsprechendes Verhalten ... schon in meiner Kindheit verweigerte ich alles, was als weiblich galt. Ich lebte in einer Welt, die nur für Männer gemacht war, und ich hielt bis zu einem bestimmten Alter alles, was Frauen betraf, für häßlich, blöd, usw. ... Deswegen hatte ich ... als kleines Mädchen entsetzliche Auseinandersetzungen, weil ich immer Hosen anziehen und kurze Haare haben wollte. ... Mir wurde irgendwann klar, daß mich das sehr einengte und mir nicht entsprach. Aus Trotz oder wegen anderer blöder Sachen hatte ich ein künstliches Verhalten drauf, das mir nicht entsprach. Dann habe ich wieder zu meinem eigentlichen Verhalten zurückgefunden, obwohl vielleicht noch etwas davon da ist.
ROSETTA:
Was meinst du damit?
MARA:
Ich weiß es nicht ... z.B. mein Problem mit dem Tanzen, denn beim Tanzen muß eine Frau, ich dachte zumindest, daß sie es müßte, niedlich, graziös und irgendwie weiblich sein. Ich hab es noch nicht geschafft, mich von meinen Widerständen dagegen zu befreien. Eigentlich sollte jede die Musik, die ihr gefällt, hören und sich ganz nach ihrem Gefühl bewegen. Was solls, ich finde, daß ich mich, sonst in meiner Art, an Dinge ranzugehen und mit ihnen umzugehen, ziemlich verwirkliche ...
ROSETTA:
Hat es dir geholfen, ein bißchen lockerer zu werden, indem du in der letzten Zeit in eine Frauenkneipe, in der getanzt wird, gegangen bist?
MARA:
Ein kleines bißchen ... Es ist mir bewußt, daß dieser Kampf mit meinem Körper ziemlich hart ist, aber etwas hat sich schon bewegt...
ROSETTA:
Wenn du mal einen Moment darüber nachdenkst, oder wenn wir dies zusammen tun, auf was kannst du es zurückführen, daß du so ein starres Verhältnis zu deinem Körper hast?
MARA:
Tja, auf die Angst, ich weiß nicht ...
ROSETTA:
Ja, das hat mit Angst zu tun ... Ich kann dir von mir erzählen ... Ich weiß für mich, woher meine Steifheit kommt. Auch ich habe große Schwierigkeiten, mich gehenzulassen, gelöst zu gehen und entspannt zu tanzen. Ich weiß, ich habe diese Möglichkeit vielleicht für immer in den Jahren verloren, in denen ich meine weiblichen Attribute, wie meinen Hintern, meine Hüften, meine Brust, meinen Rücken ... als Objekte männlicher Begierde erfahren habe. Als ich mitkriegte, daß ich die Beute war, ich war immer die Beute, die von einer Horde von Jägern verfolgt wurde, immer gezwungen, mich irgendwie zu bedecken, meinen Körper so wenig wie möglich zu zeigen und ihn so wenig wie möglich zu bewegen. Es brauchte keinen Anlaß, und schon warst du die Provozierende. Es galt bereits als provozierend, daß sich überhaupt auf der Straße lief ... mit der Zeit versteifte sich meine Wirbelsäule völlig, und zwar wegen des Horrors, den ich in den Jahren hatte, als ich in Kalabrien lebte und jung war und auch schön. Auf der Straße wurde ich immer verfolgt. Es war keine persönliche Paranoia. Ich konnte keine 20 Schritte von zu Hause zur Schule und zurück gehen, ohne diese Nachstellungen ertragen zu müssen, ohne diese unverschämten Kommentare hinter meinem Rücken hören zu müssen, mit diesem Keuchen von dem, der hinter mir her war, was dann auch bald zu meinem eigenen Keuchen wurde, da ich abhauen mußte ... Ich glaube, ich habe mich davon, von dieser Angst ... noch nicht befreit.
MARA:
Bei mir ist es wahrscheinlich anders gelaufen. Es machte mir nichts aus, mich als Beute zu fühlen, weil ich wußte, ich war eine unerreichbare Beute. Vielleicht kommt mein Problem mit meinem Körper daher, daß ich mich lange Zeit nicht als Frau akzeptiert habe. Als z.B. mein Busen anfing zu wachsen, hatte ich am Anfang unwahrscheinliche Probleme damit, ich trug riesige Hemden, um alles zu verstecken ... Ganz zu schweigen von der Menstruation ... Erst seit kurzem bin ich dabei, meinen Körper wahrzunehmen, wenigstens nehme ich ihn jetzt als vorhanden wahr, vielleicht noch nicht in seinen Bewegungen, denn ich habe da noch Probleme. Aber mein Körper fängt an, mir zu gefallen, so wie er ist, so wie ich ihn im Spiegel sehe. Ich neige nicht dazu, ihn zu verstecken, jedoch schaffe ich es immer noch nicht, mein Problem mit dem Bewegen hinzukriegen ... das ist noch da.
ROSETTA:
Hat es dir geholfen, deinen Körper als Frauenkörper wahrzunehmen, als du sexuelle und erotische Beziehungen zu anderen Frauen anfingst?
MARA:
Ja, sehr ... Ich habe angefangen, meinen Körper wirklich anzunehmen, als ich anfing, Frauenbeziehungen zu haben ... Da fing es an, daß ich es im Grunde ganz gerne hatte, daß mein Körper mir und den anderen Frauen gefiel. Die Männer habe ich dabei völlig außer Acht gelassen, es ist mir scheißegal, wenn sie mich auf der Straße verfolgen, weil ich auf eine bestimmte Art angezogen bin. Wenn ich sie provoziere, wenn sie sagen, daß ich sie provoziere, ist das ihr Bier ...
ROSETTA:
Das stimmt ...
MARA:
Nur kann ich mich noch nicht sehen ... es ist schwierig, das zu erklären ... Meinen Frauenkörper akzeptiere ich inzwischen schon, aber noch nicht bestimmte Verhaltensweisen meines Körpers, die weiblich für mich sind. Vielleicht, weil ich sie immer als etwas Negatives bei den Frauen empfand, die ihre Weiblichkeit zur Schau tragen, ja, auch als etwas Lächerliches.
ROSETTA:
Die Titelbilder der Modezeitschriften schreiben der Frau ... ein ganz bestimmtes Bild vor, wie sie zu sein hat. Von weiblichen Stars wird verlangt, daß sie dieses Bild des totalen Glücks, der Weiblichkeit, der Sinnlichkeit und der Verfügbarkeit für sämtliche heterosexuellen Normen verkörpern. Der extremste Fall, ich weiß nicht, ist Marilyn Monroe, die sich umbringt, und all das. Ich habe dazu so meine eigenen Gedanken: Ich frage mich, was dazu beigetragen hat in dieser männlichen Kultur. Darin können wir uns überhaupt nicht wiederfinden, also diese Frau, die weiblich hoch zehn auf ihren hochhackigen Schuhen mit den Hüften wackelt, mit ihrem sinnlichen roten Mund, mit all ihren engen und überkandidelten Kleidchen. Apropos: hast du je Frauen kennengelernt, die dem gerne entsprochen haben und froh waren, damit zu leben?
MARA:
Nein, ich glaube wirklich nie.
ROSETTA:
Aber wer hat sich dieses selbstmörderische Frauenbild ausgedacht?
MARA:
Na, die Männer waren das. Und dann ... lassen mich deine Worte an die Transvestiten denken, die dieses übelste Frauenbild geprägt haben ...
ROSETTA:
Genau, darüber denke ich auch viel nach, und zwar über die, die tatsächlich diese Moderichtlinien geschaffen haben, und die sämtliche Mittel dafür in den Händen halten. Ich weiß nicht, das fängt bei den Modefotografen an und geht bis hin zu den berühmten Schneidern, den berühmten Frisören, den bekannten Visagisten, ganz zu schweigen von den vielen Kultur-, Literatur- und Kunstproduzenten, die kräftig dazu beigetragen haben, dieses Frauenbild zu schaffen. Ich habe den Verdacht, daß dieses Frauenbild nicht so sehr der heterosexuellen, sondern einer männlichen homosexuellen Vorstellungswelt entstammt. Dieses Bild liefert ihnen den Spiegel, von dem, wie sie gerne sein würden, falls sie Frauen wären. Meiner Meinung nach verdeckt das einen Sadismus und einen schier unendlichen Frauenhaß. Dieses ist einer der vielen Gründe, die es mir unmöglich machen, an einen gemeinsamen Kampf mit männlichen Schwulen zu denken ...
MARA:
Ja ... das stimmt.
ROSETTA:
In der Vergangenheit faszinierte mich das sehr, aber damals war mir mein Lesbischsein noch nicht klar. Heute meine ich, daß mich kein Schwuler als Frau und als Lesbe richtig, wahrnehmen kann, und zwar unter gar keinen Umständen. Es kommt nicht von ungefähr, daß du, als ich dieses Thema angeschnitten habe, auch gleich an Transvestiten gedacht hast ... letztenendes können sie uns aber nie das wegnehmen, was uns ausmacht..
MARA:
Diese Männer übertreiben, es ist ein sehr gemeiner und deutlicher Versuch, an etwas heranzukommen, was sie aber nie erreichen werden.
ROSETTA:
Nicht von ungefähr wurde dieses Frauenbild einer Reihe von berühmten Schauspielerinnen auch in ihrem wirklichen Leben aufgezwungen. Sie mußten ihr Muttersein verheimlichen, ihre Töchter verstecken. Ich weiß nicht, ob du den Film Fedora, der übrigens von einem Mann gedreht wurde, gesehen hast
MARA:
Nein, ich kenne ihn nicht ...
ROSETTA:
Er nimmt ziemlich genau diese Fragen auf. Mutter und Tochter sind voneinander getrennt, weil die Karrierefrau, die Frau, die dem Weiblichkeitsideal vollkommen entspricht, keine Mutter sein darf. Hier bestraft, wie ich finde, der Schwule seine größte Haßliebe, seine Mutter, und ebenso drückt sich darin seine Angst aus, geboren worden zu sein, aber nicht selbst gebären zu können ...
MARA:
Das stimmt ...
ROSETTA:
Laß uns unseren Faden wieder aufnehmen... Als dir dein Lesbischsein klar wurde, gab es da irgendwelche Dinge, die dir dabei geholfen haben, was weiß ich, ich meine Bücher, Veröffentlichungen oder Filme über die Realität und die Erfahrungen von Lesben? Oder anderes?
MARA:
Du meinst ... die mir geholfen haben? Nein, d.h. ich habe irgendwann festgestellt, daß ich nicht allein damit bin. Als ich nämlich zufällig die Bezeichnung, die eigentlich als Beleidigung gilt, hörte, habe ich in einem Lexikon nachgeschaut, was sie bedeutet. Und da habe ich mir gesagt, wenn es dafür ein Wort gibt, ist es klar, daß es nicht nur mich gibt. Die Vorstellung, die ich von Lesben hatte, bevor ich ins Governo V. kam, stammte aus Zeitungen und dem Kino, sie war häßlich und negativ ... Von daher hat es mir nicht geholfen.
ROSETTA:
Auch ich werde niemals vergessen, wie rassistisch z.B. ein berühmter Regisseur wie Rossellini gegenüber Lesben und, das ist sicher kein Zufall, auch gegenüber Prostituierten war. Ich beziehe mich auf Rom offene Stadt, ein Meisterwerk des neorealistischen Films ... Auch bei ihm bestätigt es sich wieder einmal, wie Männer Lesben sehen.
MARA:
Ja. Wenn wir über Religion reden, ich hatte eine sehr katholische Erziehung, gegen die ich mich natürlich sperrte, und ... irgendwann habe ich erfahren, daß die Homosexualität eine der größten Sünden ist, die es überhaupt geben kann. Da bin ich ins Nachdenken gekommen. Ich dachte an Gott, an seine allumfassende Liebe, an alles Schöne ... Da sagte ich mir: Es ist unmöglich, daß die Homosexualität verdammt wird ... , ich fühlte, daß es etwas Schönes ist, wenn ich eine Frau liebe oder glaube, sie zu lieben oder mich in eine Frau verliebe. Ich fragte mich daher, wie kann so etwas verurteilt werden? ... So dachte ich damals ... Auf positive oder objektive Vorstellungen über lesbische Frauen bin ich aber nie gestoßen.
ROSETTA:
Was hat dir dann weitergeholfen?
MARA:
Der Kontakt mit anderen Frauen, die so sind wie ich.
ROSETTA:
Kurz gesagt, dir hat die Frauenbewegung geholfen ... wenn auch auf indirektem Wege. Glaubst du, daß das Lesbischsein irgendwelche politischen Aspekte hat, lebst du dein Lesbischsein auch politisch?
MARA:
Ich denke, es hat politische Aspekte, weil es vielleicht das größte ist, was den Männern am meisten Macht beschneidet. Von daher ist es, meiner Meinung nach, in sich revolutionär.
ROSETTA:
Wie alt bist du jetzt?
MARA:
21, seit ein paar Tagen ...
ROSETTA:
So, wie du redest, nehme ich an, daß du für dich eine Zukunft mit Ehe, Männern, Kindern, Mutterschaft ... ausschließst.
MARA:
Für mich kommen Männer und Ehe nicht in Frage ... Was das Muttersein betrifft ... ist das ein Thema, ich weiß nicht, ich denke nicht daran. Mir gefiele es schon, Mutter zu sein, aber ich glaube nicht, daß ich es je in die Tat umsetzen werde, auch weil ich jetzt verständlicherweise noch nicht bereit bin, einen Sohn, eine Tochter zu haben. Ich möchte eine Tochter, vielleicht hat dieser Wunsch nach Mutterschaft mit meinem Egoismus zu tun. Das wäre nicht richtig ... Und dann fallen mir die praktischen Probleme ein, die Beziehung mit dem Mann, das ist etwas, das ich nicht kann ...
ROSETTA:
Hast du jemals an eine Befruchtung ohne Mann gedacht?
MARA:
Ja, das würde mir gefallen ... Ich habe geträumt, daß ich aus Ansteckung schwanger wurde ... Habe ich dir nie davon erzählt?
ROSETTA:
Nein, erzähl mir davon, das geht nicht nur dir so ...
MARA:
Eines Nachts habe ich geträumt, daß mich eine Frau, die ich nicht kannte, mit ihrer dreimonatigen Schwangerschaft ansteckte. Ich erwartete dieses Kind, jedoch habe ich im Traum die ganze Geburt übersprungen, dann hatte ich es einfach ...
ROSETTA:
War es ein Junge oder ein Mädchen?
MARA:
Ein Mädchen ... Ich erinnere mich, wie sich mein Vater dieses Mädchen anschaut und mir sagt, Ganz der Papa. Darauf ich, Welcher Papa, denn es gab für mich überhaupt keinen Vater. Er blieb jedoch hartnäckig, Sieh mal die Nase, ich schaue sie an und sage wieder, Aber welcher Vater?... Danach bin ich mit diesem großen Fragezeichen ...
ROSETTA:
Während du in Zukunft Männerbeziehungen für dich ausschließt, hältst du dir aber offen, Kinder zu haben..
MARA:
Ja, das halt ich mir offen.
ROSETTA:
Du träumst es als Erfahrung mit einer anderen Frau und versuchst mit allen Kräften, den Mann dabei auszuschließen, und zwar möglicherweise auch von der Befruchtung ... Das ist nicht einmal ein außergewöhnlicher Traum ... Dir war ja schon früh dein Lesbischsein bewußt, was für Träume hast du, wenn du an dein Leben denkst, ein Leben ganz für dich, zusammen mit anderen Frauen, in dem du nichts einem Mann überläßt? Wie möchtest du leben, was möchtest du machen und haben, welche Vorstellungen hast du von dir und der Welt?
MARA:
Ach, weißt du, ich habe keine solchen Träume... klar, ich möchte ganz bestimmte Dinge, aber ich denke nicht daran, ich denke nicht an ein Morgen, ich lebe in der Gegenwart, und ganz allmählich und langsam organisiere ich mir, je nachdem, meine Sachen ... Natürlich gibt es Dinge, die ich will, aber an die Zukunft denke ich nicht.
ROSETTA:
Du hast viel Zeit für dich selbst und dadurch auch viel Freiraum. Was für einen Freiraum möchtest du dir mit so viel Zeit schaffen ... Das wollte ich dich eigentlich fragen. Ich weiß nicht, hast du auch Lust auf Abenteuer, d.h. auf andere Dinge und andere Welten, z.B. herauszufinden, was die Frauen in anderen Ländern machen?
MARA:
Na klar ... Aber was ich wirklich in meinem Leben machen will, ist das Theater. Für mich ist das sehr wichtig. Es macht mich richtig neugierig, wie diese Geschichte weitergehen wird. Ich weiß so ziemlich, was mich bei so einer Arbeit erwartet.
ROSETTA:
Was fasziniert dich am Theater am meisten?
MARA:
Ach, weißt du, das ist schwer zu sagen.
ROSETTA:
Moment mal, wir müssen auch sagen, was beim Theater. Willst du als Schauspielerin arbeiten, als Regisseurin oder willst du Kostüme machen?
MARA:
Tja, wie es jetzt aussieht, als Schauspielerin, jedoch hätte ich auch nichts dagegen, Regie zu machen ... Das Theater gefällt mir insgesamt, einfach alles, von Kind an war es schon immer mein Traum. Lange Zeit habe ich ihn verdrängt und mir gesagt, Spinn doch nicht, das ist nichts Ernstes, ich muß einen Abschluß, eine normale Arbeit machen. Ganz langsam habe ich mich dann wieder auf meine eigenen Sachen eingelassen und hatte auch wieder ein Auge für meinen Traum. Und als ich damit anfing, wurde mir bewußt, daß es gar nicht so verrückt ist, weil es mir dabei unwahrscheinlich gut geht. Und ... alles andere geht mir dabei aus dem Kopf, das hat sich immer wieder gezeigt, wenn ich im Theater gearbeitet habe. Von daher denke ich wirklich, daß ich das weitermachen werde. Ich würde jede Arbeit im Theater annehmen, weißt du?
ROSETTA:
Das hast du dir also schon als Kind überlegt? Wahrscheinlich hast du dich auch nicht so sehr aus einer Verwirrung heraus gegen die Schule und dergleichen gewehrt, sondern weil du klar wußtest, daß du auf diese Weise das nicht finden würdest, was du brauchst ...
MARA:
Ja, das stimmt.
ROSETTA:
Du hattest es praktisch schon gefunden. Deswegen glaube ich, ein geregelter Job ist nichts für dich, nur zum Überleben ...
MARA:
Ja, es würde mir sehr schwer fallen, nur so zu arbeiten, um Geld zum Leben zu verdienen. Deswegen habe ich es nie gemacht und bin daher noch ökonomisch von meiner Familie abhängig. Immer, wenn ich es versucht habe, habe ich es nicht geschafft.
ROSETTA:
Du kannst dich also noch nicht von zu Hause und von deiner Familie lösen, weil deine Pläne es so wollen, daß du noch Zeit reinsteckst, bevor du Geld damit machen kannst. Was für ein Verhältnis hast du zum Geld?
MARA:
Ein sehr schlechtes, ich habe nie welches.
ROSETTA:
Und wenn du etwas hast?
MARA:
Wenn ich es habe, gebe ich alles gleich aus, ich kann damit nicht umgehen. Vielleicht weil ich es nie in den Fingern hatte, obwohl ich aus einer Familie stamme, die Geld hat, zwar nicht sehr viel, aber einiges. Aber sie haben mir nie-Geld gegeben. Ich gebe es aus und verschenke es, wenn ich mal weiches habe. Ich denke nie daran, vielleicht weil ich weiß, daß ich immer was zum Essen habe ... Ich habe es nie geschafft, etwas zurückzulegen, um damit was zu machen ... Wenn ich es aufhebe, sag ich mir dann eines schönen Tages Aber warum? Jetzt will ich dieses ..., vielleicht denke ich nie an morgen.
ROSETTA:
Sag mal, hast du dir je Gedanken darüber gemacht, ob Frauen, die nichts mehr mit Männern zu tun haben, eigene Bedürfnisse und Träume entwickeln können? Das ist ja für Frauen, die sich der Heterosexualität aussetzen, nicht möglich.
MARA:
Na klar.
ROSETTA:
Und spürst du den Unterschied zwischen dir, deinen lesbischen Freundinnen und allen Frauen, die sich dafür entscheiden, an erster Stelle an sich selbst zu denken, also den Unterschied zwischen dieser Welt und der Welt der Frauen, die sich dem Mann und der Familie widmen.
MARA:
Und wie ich das spüre! Frau sieht es, frau fühlt es ... es ist einfach da!
ROSETTA:
Es gibt ein anderes ziemlich verbreitetes Vorurteil, daß Lesben eine sehr begrenzte und unvollständige Sexualität haben.
MARA:
Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden. Ich habe mich in meinen sexuellen Beziehungen zu Frauen nie eingeschränkt oder nur halb befriedigt gefühlt. Ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten, weil ich nie sexuelle Beziehungen zu Männern hatte, aber ich habe auch überhaupt kein Bedürfnis, es zu vergleichen, denn so läuft es gut für mich, es fehlt mir nichts.
ROSETTA:
Abgesehen von deinen Frauenbeziehungen, was für ein Verhältnis hast du zu deinem Körper?
MARA:
Ja?
ROSETTA:
Was für eine Art von Verhältnis?
MARA:
Derart ... auch das ist neu ... daß ich ihn anschaue, ihn anfasse, ihn fühle, was ich auch alles lange Zeit verdrängt habe ... Z.B. habe ich diesen Sommer meine Füße entdeckt, ein Körperteil, der fast immer bedeckt ist. Deswegen ist es auch schwer, eine Beziehung zu den eigenen Füßen zu haben. Ja, diesen Sommer habe ich sie eben entdeckt, zuerst einfach so, wie sie sind ... und dann in Beziehung zu den anderen Dingen, zur Bewegung, zur Umwelt und auch z.B. als Ausdrucksmittel. Diesen Sommer habe ich mit den Frauen, die mit mir in Griechenland waren, ein Spiel gemacht, ich habe mit meinen Füßen gesprochen.
ROSETTA:
Und die anderen Frauen?
MARA:
Sie haben mir geantwortet, ich weiß nicht, mit den Händen oder ... alles in allem, war das was, das mit meinen Füßen ... Ich spürte auch gerne den Sand unter ihnen. Ich weiß nicht, es war ganz anders als früher ... als ich sie gar nicht beachtet hatte. Jetzt mußte ich, wenn ich ein neues Objekt entdeckte, dieses einfach mit den Füßen berühren ...
ROSETTA:
In diesem Sommer warst du mit anderen Frauen verreist, du warst in Griechenland, was für Erfahrungen hast du auf dieser langen Reise in ein anderes Land, zusammen mit anderen Frauen, gemacht?
MARA:
Ich muß sagen, daß sich auf dieser Reise eine ziemlich ungewöhnliche Situation zwischen uns entwickelte. Wir waren vier Frauen, zwei, Fiammetta und Gina, die ich erst seit kurzem kannte, präsentierten sich mir als zwei Freundinnen. Mit der anderen, Gabriella, bin ich seit ungefähr drei Jahren befreundet.
Eine Geschichte, Beziehung, entwickelte sich zwischen mir und Fiammetta, der jüngsten von den Dreien. Sie war ein Jahr älter als ich. Es wurde mir schnell klar, daß die beiden in Wirklichkeit ein Paar waren, obwohl sie es weder vor den anderen noch wahrscheinlich vor sich selbst zugaben. Also nach außen hin hatten sie eine sogenannte offene Beziehung. Aber ihr Offensein war eigentlich nichts anderes als ein Negieren von Eifersucht, und sie hielten sich die Möglichkeit offen, sexuelle Beziehungen zu anderen Frauen zu haben, und oft zu dritt zu bumsen (ich finde kein anderes Wort, um das zu bezeichnen). Das ganze Spiel wurde noch viel haariger. Gina benutzt Fiammetta, die zehn Jahre jünger ist als sie, öfters, um eine Frau aufzureißen, die dann in eine Beziehung zu dritt hineingezogen wird. Gina arbeitet selbständig mit einer gutgehenden Praxis, und Fiammetta arbeitet seit drei Jahren bei ihr. Dazu kommt, Gina gibt Fiammetta Arbeit, zudem war Fiamma bis vor drei Jahren völlig unter der Fuchtel ihrer Familie. Sie fing an, mit Gina, die als ihre Arbeitgeberin das vollste Vertrauen der Familie hatte, auszugehen und mit ihr Sachen zu machen. Gina ist die erste Frau, mit der Fiammetta sexuelle Beziehungen hat. Deswegen bietet sie ihr viele materielle und gefühlsmäßige Sicherheiten und Garantien, die Fiammetta jedoch mit der totalen Auslöschung ihrer Selbst bezahlt. Gina hat aus ihr praktisch ihre Kreatur, ihr Alter-Ego gemacht. Fiammetta ist hübsch und objektiv gesehen - Gina ziemlich häßlich. Ich glaube, das ist einer der Hauptgründe für ihre Unsicherheit, was sie übrigens immer abgestritten hat. Deshalb ist es für sie eine große Absicherung, sei es für sie selbst, sei es in der Öffentlichkeit, ein hübsches Mädchen bei sich zu haben, die ihr wie ein Hündchen folgt. Das erste Ereignis geschah eines Nachts, wenige Tage nach der Ankunft. Ich und Fiammetta waren dabei, miteinander zu schlafen, als Gina sie rief. Zu meiner allerdings nicht so großen Verwunderung erhob sich Fiammetta, und beide gingen nach draußen auf die Terrasse. Mir war so, als ob ich seltsame Geräusche, unterdrückte Schreie, Ohrfeigen und heftige Stöße gegen das Geländer hörte. Fiamma weinte und antwortete erregt. Nichts, was in diesen Tagen vorgefallen war, konnte mir erklären, was da passierte. Der Grund mußte also ich sein. Am nächsten Morgen, als ich endlich die Möglichkeit hatte, mit ihr allein zu sein, fragte ich Fiammetta, was in der Nacht passiert sei. Sie antwortete mir nur, Ich erinnere mich nicht. Immer wenn ich sie danach fragte, gab sie mir diese Antwort. Ein paar Tage lang passierte gar nichts, ich und Fiamma schmusten weiter miteinander. Das alles immer unter den wachsamen Augen Ginas, die ihrerseits mit Gabriella eine sexuelle Beziehung angefangen hatte. Das ging so weiter, bis sie eines Abends mit einem Vorwand weggingen. Sie kamen zwei Stunden später zurück. Am nächsten Morgen veränderte Fiammetta ihr Verhalten mir gegenüber total. Es war, als wäre eine Mauer zwischen uns, und nichts mehr möglich. Wenn ich sie nach dem Grund fragte - es war sehr schwierig, sie einen Moment allein zu erwischen, da Gina sie nicht aus den Augen ließ - sagte sie mir äußerst vage Dinge und vermied damit praktisch eine Antwort. Jedenfalls hatte Gina auf viele Arten und Weisen angefangen, mir ihre Abneigung zu zeigen, und zwar aus Gründen, die gar nichts mit meiner Beziehung zu Fiammetta zu tun hatten. Gleichzeitig ergriff auch Gabriella deren Partei, und ich war ganz alleine ohne jeden Halt, und ohne jemand zu haben, mit der ich sprechen konnte; all das in einem Land, das ich nicht kannte, in einer Situation, die ich nicht verstand. Außerdem war eine Freundschaft von mir, auf die ich mich verlassen hatte, gefährdet. Fiammetta hörte wie immer auf Gina, die ihr fast nicht mal mehr erlaubte, mich anzusehen, während sie weiterhin so tat, als ob sie keine Eifersuchtsprobleme hätte. Nach der Reise habe ich zuerst jede Beziehung zu Gina und dann auch zu Fiammetta abgebrochen, weil ich heute der Ansicht bin, daß es sich nicht lohnt, sich von einer solchen Geschichte auffressen zu lassen. Es ist mir bewußt, Fiammetta braucht die Sicherheit dieser Beziehung so sehr, daß sie nicht wirklich verstehen will, was darin abläuft, um so eventuell den Sprung zu schaffen. ROSETTA: Gab es auf dieser Reise etwas Positives für dich? MARA: Ja, auf dieser Reise mußte ich mich mit einer für mich völlig neuen Situation auseinandersetzen. Damals habe ich es echt geschafft, das alles zu bewältigen und bewußt Erfahrungen zu machen. Als ich es anging, habe ich mich weiterentwickelt und allerhand verstanden.
ROSETTA:
Ich stelle dir noch eine Frage: wo sollen deiner Meinung nach lesbische Frauen heute ihre Prioritäten setzen?
MARA:
Sie sollen öffentlich werden, damit unter die Leute gehen, sich selbst so darstellen, daß sich die Leute über das, was sonst alles so geredet wird, Gedanken machen. Wir Lesben sollten das Lesbischsein auf eine andere Art sichtbar machen, nämlich so, wie wir es verstehen.