Geschlechterdifferenz und die Frage nach Gott

 

Vorbemerkungen

Wenn ich in meinen nachfolgenden Ausführungen feministische Positionen kritisiere, so tue ich dies als Feministin. Es handelt sich also dabei lediglich um eine punktuelle Kritik an feministischen Aussagen, nicht aber um eine Kritik am Feminismus insgesamt. Adressatinnen dieser meiner Kritik sind Vertreterinnen des sozialwissenschaftlichen Flügels des Feminismus, bei denen es recht einseitig um den Nachweis der
Geschlechtergleichheit geht und die damit einem kurzschlüssigen Nutzdenken das Wort reden. Dies geschieht nach dem Motto, daß, wer gleichberechtigt sein will, auch gleich zu sein hat. Leider wird bei dieser Vorgehensweise noch nicht gesehen, daß damit neue Ideologien an die Stelle der alten gesetzt werden, denn was in beiden Fällen fehlt, ist eine gründliche Auseinandersetzung mit neuesten anthropologischen Daten,
die wesentlich besser geeignet sind, patriarchale Vorurteile über das weibliche Geschlecht zu verabschieden als die feministische Ideologisierung der Geschlechtergleichheit, die ja letztendlich Weiblichkeit als eigene Dimension leugnet und damit mehr Weiblichkeit zerstört, als es das Patriarchat bisher
vermochte.
Daß es bei der Behandlung der Frage nach der Geschlechterdifferenz ganz zwangsläufig zu Verallgemeinerungen kommen muß, liegt in der Natur der Sache, denn schließlich will ich ja ganz allgemeine Tendenzen beschreiben, die sehr wohl auch den Ausnahmen Raum lassen, ohne daß ich dies aber immer wieder thematisieren möchte. Auch setze ich als selbstverständlich voraus, daß Frauen und Männer weibliche und männliche Anteile in sich haben und auch verwirklichen sollten, so daß Weiblichkeit auch etwas Geschlechtsübergreifendes sein kann und sich nicht auf die Frau beschränkt. Inwieweit es auf diesem Hintergrund überhaupt noch sinnvoll ist, diese Begriffe zu benutzen, kann ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Ich halte sie vorerst noch für notwendig, da sie nach wie vor geeignet sind, uns zu einer differenzierten Wahrnehmung zu verhelfen

Geschlechterdifferenz und die Frage nach Gott

Für breite Teile der feministischen Bewegung ist die Frage nach der Geschlechterdifferenz überflüssig geworden  da für sie feststeht, daß es solche Unterschiede im Grunde genommen gar nicht gibt. Wo sie hin und wieder noch wahrgenommen werden, handelt es sich - so glaubt frau - entweder um Projektionen oder um Überreste einer konservativen Sozialisation. Sie beginnt bekanntlich bereits in der Kinderstube, wo Mädchen anheimgestellt wird, mit Puppen zu spielen, während Jungen wesentlich interessanteres Spielzeug bekommen. Inzwischen melden sich allerdings feministische Mütter, die erschrocken feststellten, daß ihre Töchter trotz Kinderladenerziehung und progressivem sozialem Umfeld die Puppe den Autos und Legosteinen vorziehen, während der Sohn - trotz Teddybär und Friedenserziehung - vom Waffenarsenal des Freundes geradezu fasziniert ist. So machen sich hier und dort leise Zweifel an der Richtigkeit des Slogans bemerkbar: »Wir werden nicht als Frauen geboren, wir werden dazu gemacht.« Simone de Beauvoir hat diese These bereits 1949 formuliert, und zwei Jahrzehnte später zierte sie die Fahnen der Frauenbewegung. Ihre Zweifel an der Richtigkeit dieses feministischen Leitmotivs dürfen Frauen jedoch nicht allzu laut äußern, wenn sie nicht vorschnell des Neokonservatismus bezichtigt werden wollen - Was einst - befreiende Erkenntnis war - daß nämlich nicht alle proklamierten Unterschiede zwischen den Geschlechtern biologisch bedingt sind und daß es sich bei dem von Herrn Dr Möbus und anderen Experten festgestellten »physiologischen Schwachsinn des Weibes«**460.3.1*** schlichtweg um männliche Bosheit handelt -, ist zwischenzeitlich zu einer Gleichheitsideologie geworden. Nach dem Motto: »Wer gleichberechtigt sein will, hat auch gleich zu sein«, wird uns vom sozialwissenschaftlich orientierten Flügel der feministischen Bewegung eingehämmert,  daß wir fast ausschließlich soziale Wesen sind, die als tabula rasa auf die Welt kommen und die sich bis auf die Geschlechtsorgane in nichts voneinander unterscheiden. Dank Nestle und Gentechnologie werden sich in einer nicht allzu fernen Zukunft auch die exklusiven Gebär- und Nährfunktionen der Frau verflüchtigen und den Weg zum Unisex freimachen. So nachzulesen bei Shulamith Firestone, einer der führenden amerikanischen Feministinnen der siebziger Jahre.[2]
Ich will nicht bestreiten, daß die Relativierung bis hin zur Leugnung der Geschlechterdifferenzierung es vielen Frauen erleichtert hat, mehr Selbstvertrauen zu erlangen und mit so manchem Vorurteil aufzuräumen. Doch darf darüber nicht vergessen werden, daß Ansätze weitergeführt werden müssen und nicht zu einer Ideologie erstarren dürfen, wenn wir uns nicht der Wiederholung patriarchaler Sünden schuldig machen wollen. Schließlich geht es bei der Überwindung patriarchaler Deformationen nicht nur darum, falsche Inhalte aufzudecken, sondern genauso darum, falsche Denkstrukturen und Werturteile ad acta zu legen. Schauen wir uns daher einmal etwas genauer an, wie es zur Proklamierung der Geschlechtergleichheit kam.
Seit rund drei Jahrtausenden besteht in Orient und Okzident die Tendenz, das männliche Geschlecht auf- und das weibliche abzuwerten - und das auf jede nur erdenkliche Weise. Das antike Israel erfand den bis heute höchst wirksamen Mythos, nach dem die Frau als sekundäre Erscheinung die Weltenbühne betrat. Bei der Sündhaftigkeit wurde ihr dann aber großzügigerweise der Vortritt gelassen. Als zweite aus der Rippe oder Seite Adams von einem männlichen Gott erschaffen, brachte sie es dennoch fertig, als erste zu sündigen und den Mann ins Unglück zu stürzen. Als Strafe für das Ignorieren des göttlichen Verbots und das Hören auf die Schlange verfluchte der patriarchale Gott gleich beide, die mütterliche Erde und die Schlange, Symbol der Großen Göttin, die dem patriarchalen Jahwe um Jahrtausende vorausging und die zu verdrängen ihm äußerst schwerfiel. Aus der göttlichen Schlange, die einst die Stirn der Pharaoninnen und Pharaonen zierte und die sich auch in anderen Ländern des Orients um den Leib der Göttin schlängelt, wurde ein rein zoologisches Wesen, ein Tier, das auf dem Bauche kriecht und später nur noch geeignet war, List und Tücke sowie antigöttliche Macht zu symbolisieren. Mit anderen Worten: Die einstige Göttin wurde entmachtet und verteufelt.
Göttlichkeit und Weiblichkeit sollten einander in Zukunft ausschließen, während sich nur noch der Mann mit dem Göttlichen identifizieren konnte. Der Frau selbst wurde beigebracht, ihren Geburtsschmerz als göttliches Strafgericht zu interpretieren, so daß bis in unser Jahrhundert hinein christliche Ärzte sich weigerten, der Frau vor der Geburt schmerzstillende Medikamente zu verabreichen, um nicht dem lieben Gott ins Handwerk zu pfuschen, denn schließlich war ja dem Mann von seinem Gott die Herrschaft über die Frau übertragen worden. (Erinnerung: »Er soll dein Herr sein«, 1. Mose 3,16.)
Im antiken Griechenland schufen Männer sich recht ähnliche Mythen. Dort wurde alles Übel dieser Welt Pandora zugeschoben, der griechischen Schwester Evas. Auch sie war vom Patriarchatsgott Zeus erschaffen worden, allerdings nicht zur Freude und Hilfe des Mannes, sondern als Rache für die gemeinsame Sache, die Prometheus mit den Erdenmännern gemacht hatte. Überall auf der Welt läßt sich nachweisen, daß der Aufstieg des patriarchalen Gottes den Abstieg des weiblichen Geschlechts zur Folge hatte. Durch mehrere Jahrtausende hindurch wurde die Frage nach Gott ausschließlich von Männern beantwortet, und immer ging ihre Antwort zu Lasten der Frau.
Das Bild vom Mann als Abglanz Gottes und der Frau als Abglanz des Mannes, das der Apostel Paulus prägte (1. Korinther 11,7), ist bis in die Gegenwart höchst virulent geblieben - und das nicht nur in den Köpfen von Theologen und Kirchenmännern. Sie fühlten sich zu allen Zeiten berufen, ihre Spekulationen über die Gottheit als »Selbstoffenbarung« des Göttlichen und ihre Vorstellungen vom Wesen des weiblichen Geschlechts als göttliche Offenbarung, zumindest aber als die Wahrheit schlechthin, unter die Leute zu bringen.
Wann immer Philosophen und Theologen ihre Weisheiten über Wesen und Berufung der Frau von sich gaben, ging es ihnen in erster Linie darum, ihren eigenen Machtbereich auszubauen und zu legitimieren. Von seinem Gott zu Lehre und Verkündigung der göttlichen Offenbarung berufen, verbietet der Mann der Frau überall im Patriarchat, es diesem gleichzutun. Sie soll weder herrschen noch lehren, sondern schweigen und Kinder gebären und diese im Gehorsam gegenüber Mann und Gott erziehen, nachzulesen im ersten Timotheusbrief 2,15.
In den Begründungen für solche Bevormundungen vermischen sich theologische mit biologischen Aussagen. Wie dieses Gemisch letztendlich aussieht, möchte ich in einer kurzen Zusam- menfassung der Lehre des Thomas von_ Aquin aus dem 13. Jahrhundert, der bis heute höchste Autorität zukommt, darstellen: Sein historisch höchst bedeutsames Geschlechterkonzept sieht folgendermaßen aus:
Die Frau ist aus dem Mann heraus gestaltet worden. Alle Menschen sind Gottes Ebenbilder, aber Ebenbildlichkeit ist nicht Gleichheit. Weder ist Adam Gott gleich, noch ist Eva dem Adam gleich. Adam ist Gott gleich hinsichtlich seiner Stellung zur Frau, die analog zu sehen ist mit der Stellung Gottes im Universum, nämlich: Ursprung und Ziel. Der Mann ist Ursprung und Ziel der Frau. Sie ist dem Manne auf keinen Fall gleichwertig; denn er kann Leben zeugen, sie nicht. So geschieht die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts allein
durch den Mann. Hier beruft sich Thomas von Aquin auf die alten Griechen, die glaubten, das männliche Sperma enthalte bereits den vollständigen Menschen, der im Leib der Frau nur noch etwas zu wachsen brauche. Sie ist nur das Nest, der Brutkasten oder Backofen, in dem der Same ausgetragen wird. Die Frau selbst tut nichts dazu. Thomas von Aquin attestiert der Frau eine dreifache Minderwertigkeit: die biologische, da sie aus dem Erstlingsgeschöpf Mann entstanden ist; die funktionelle, da sie nur passive Hilfe bei der Fortpflanzung ist; und schließlich die qualitative, da sie - anders als der Mann, der sich kraft seines höheren Geistes um das Große und Ewige kümmert - mit niederem Verstand sich nur um das Kleine, Zeitliche sorgt.

Diese Sichtweise des Thomas von Aquin faßt einen jahrtausendealten Argumentationsstrang zusammen, der durch weitere Jahrhunderte hindurch die Festlegung und Beurteilung der Geschlechtsdifferenz bestimmte. Er dokumentiert eindeutig das männliche Interesse an der Beurteilung des weiblichen Geschlechts als minderwertig im Vergleich zum Mann, während dieser in Analogie zum männlichen Gott beschrieben wird.
Auf dem Hintergrund dieser Bewertung der Geschlechterdifferenz, in der die Theologie unauflösbar mit der Anthropologie und Biologie der Geschlechter verknüpft wurde, erscheint es durchaus verständlich, wenn Frauen im Zuge ihrer Emanzipationsbestrebungen nichts mehr hören wollen von einer Beschreibung geschlechtsspezifischer Merkmale, die zudem auch noch als eine Festschreibung mit den entsprechenden
Anforderungen an das jeweilige Geschlecht aufgefaßt wird.
Doch enthalten die feministischen Theorien von der Gleichheit der Geschlechter einige grundlegende und daher fatale Denkfehler. Sie gehen damit den dem Patriarchatssystem zugrundeliegenden psychischen Mechanismen auf den Leim, und das in mehrfacher Hinsicht:

Erstens bedient sich der feministische Ansatz desselben dualistischen Denkens, das das patriarchale System bisher so erfolgreich angewendet hat - erfolgreich im Sinne der Verblendung und Unterdrückung des wesentlicheren Teils der Menschheit. Da geht es nur noch um ein Entweder-Oder: Entweder gibt es diese Unterschiede, oder es gibt sie nicht. Und da die Feststellung solcher Unterschiede in der Vergangenheit der Frau stets zum Nachteil gereichte, müssen sie nunmehr samt und sonders geleugnet werden. Die Gemeinsamkeit des feministischen und patriarchalischen Dualismus besteht darin, daß auf dessen Grundlage keine differenzierte Beurteilung der Geschlechterdifferenz möglich ist.
Zweitens berücksichtigt der feministische Ansatz zu wenig, daß die von ihm bekämpften Vorstellungskonglomerate von der sogenannten »Biologie« oder »Natur der Frau« nichts oder nur sehr wenig mit der wirklichen Beschaffenheit zu tun haben, sondern sich aus männlichen Projektionen, Spekulationen, Vorurteilen und falschen Bewertungen von Fakten zusammensetzen. Mit ihrem Denkansatz werten Feministinnen bedauerlicherweise patriarchales Denken auf und geben ihm nachträglich eine Bedeutung, die ihm angesichts neuester Forschungsergebnisse gar nicht zukommt.
Drittens verhindert der feministische Ansatz, der patriarchale Spekulationen der Vergangenheit auf die Biologie im allgemeinen überträgt, daß Frauen sich mit den neuesten Aussagen der Biologie und Anthropologie befassen und damit ganz wesentliche Chancen eines allgemeinen Umdenkens verspielen.
Viertens: Indem sich Feministinnen damit begnügen, eine Geschlechterdifferenz einfach zu leugnen, verdrängen sie gleichzeitig einen ganz wesentlichen Teil wissenschaftlicher Erkenntnisse, der alles andere als frauenfeindlich ist, und verhindern oder erschweren auf diese Weise wichtige Prozesse der Selbsterkennung, die durchaus geeignet sind, das weibliche Selbstwertgefühl zu stärken.
Fünftens liegt dem feministischen Widerstand gegen die Biologie ein falsches Biologie-Verständnis zugrunde. Der Vorwurf des »biologischen Determinismus«, der regelmäßig bei dem Verweis auf biologische Daten erhoben wird, zeigt, daß hier die Biologie des Menschen grundsätzlich als etwas Statisches und nicht als Ausdruck eines höchst differenzierten Zusammenspiels von Anlage und Umwelt gesehen wird.
Sechstens akzeptieren Feministinnen, sich selbst als ein ausschließlich patriarchales Produkt zu definieren, wenn sie sich nur noch als soziale Wesen verstehen. Das heißt, sie schreiben all jene Unterschiede, die der Frau eher Anlaß zu Erleichterung oder gar Stolz als zu Minderwertigkeitsgefühlen geben könnten, uneingeschränkt dem patriarchalen Konto gut. Wie sich leicht nachweisen läßt, sind die Lebensentwürfe von Frauen wesentlich stärker am Leben als an der Vernichtung orientiert als die der Männer. Auch praktizieren sie ein weitaus gemeinschaftsfördernderes Verhalten als jene. Wäre es nicht ein allzu großes Kompliment an die patriarchale Weiblichkeitserziehung, wollte frau ihr allein ein derart positives Resultat zuschreiben?
Siebtens fahren die auf Gleichheit pochenden Feministinnen fort, sich über den Mann zu definieren, da sie ja nicht darüber hinauskommen, ihre Gleichheit mit ihm unter Beweis stellen zu wollen. Dadurch verhindern sie ihre eigene Selbstwerdung und versäumen, an der Bereitstellung positiver weiblicher Identifikationsmöglichkeiten mitzuwirken.
Achtens berauben sie sich dadurch gleichzeitig der Möglichkeit, die eigentlichen Probleme zu durchschauen, die den patriarchalen Konstrukten zugrunde liegen, und erweisen sich als genausowenig aufklärerisch wie das System, das sie bekämpfen. Ebenso wie dieses begnügt sich auch der hier angesprochene Flügel der feministischen Bewegung mit einer Hälfte der Wahrheit, und zwar mit jener, die vom Patriarchat so lange ausgeblendet wurde, daß wir nämlich auch soziale Wesen sind. Verkannt wird allerdings, daß wir beides sind, biologische und soziale Wesen, deren Verhaltensweisen und Einstellungen wohl nicht ausschließlich auf soziales Lernen zurückgeführt werden können.

Zu dieser Erkenntnis gelangte auch die feministische Soziologin Evelyne Sullerot. Nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit anthropologischen Daten sah sie sich gezwungen, ihre Auffassung über »Die Wirklichkeit der Frau« - so lautet der Titel des von ihr bereits vor neun Jahren herausgegebenen Buches - zu revidieren. Sie beschreibt das Fazit ihrer Erkenntnisse: »Nicht alles ist genetisch, nicht alles ist hormonal, nicht alles ist umweltbedingt, nicht alles ist sozial, nicht alles ist politisch.«**460.3.3***
Allerdings werden diese Erkenntnisse anscheinend von der Furcht begleitet, die Frauen könnten auf die Idee kommen, den patriarchalen Spieß weiblicher Minderwertigkeit einfach umzudrehen, denn sie warnt davor, aus den von ihr zusammengetragenen Daten »die unleugbare oder pauschale Überlegenheit des einen Geschlechts über das andere«[4] ableiten zu wollen. Sie folgt damit Andre Lwoff, der in seinem Beitrag schreibt: ».. .die Vorstellung von der Überlegenheit eines der beiden Geschlechter muß völlig ausgeschlossen werden.[5]
Bei der Überprüfung der uns zur Verfügung stehenden Daten können wir aber meines Erachtens sehr leicht feststellen, daß die biologischen Forschungsergebnisse zu einem überwiegenden Teil sehr wohl auf die Überlegenheit eines Geschlechts hinweisen, nur nicht auf die des männlichen. Hier regt sich der Verdacht, daß wieder einmal für die Frau wichtige Erkenntnisse verhindert werden sollen und damit dem patriarchalen Gott, der das Essen vom Baum der Erkenntnis ja bekanntlich verboten hat, Gehorsam und Verehrung gezollt wird.
Nun gibt es aber einen weiteren feministischen Flügel, der dem Gleichheitskonzept sozialwissenschaftlich orientierter Feministinnen inzwischen den Rücken gekehrt hat. Diese Frauen entwickeln auf ihrem Wege der Selbstfindung ein weibliches Überlegenheitsgefühl. Sie erfahren sich auf biologischer Ebene aufgrund ihrer Gebär- und Nährfähigkeit dem Mann überlegen. Weitere Daten über die geringere Sterblichkeitsrate des weiblichen Geschlechts auf allen Altersstufen, einschließlich der pränatalen Phase, sind dazu angetan, dieses Gefühl weiblicher Überlegenheit zu unterstützen,  das  auch  noch  andere Ebenen ihres Frauseins erfaßt. Auf seelischer Ebene erfahren sie sich als sensibler, intuitiver, weniger verdrängend und daher aufrichtiger und selbstkritischer als der Mann. Auf sozialer Ebene nehmen sie sich als verantwortungsbewußter, rücksichtsvoller sowie kooperations- und hilfsbereiter wahr.
Schließlich wird ihnen auch noch auf geistiger Ebene von Psychologen bescheinigt, daß sie zu einer mehr ganzheitlichen Wahrnehmung tendieren als der Mann, was sich auch in ihren Denkgewohnheiten niederschlägt und zu weniger aggressiven Weltanschauungen führt, zum Beispiel auch zu weniger nationalistischen oder konfessionellen Gefühlen, da sie insgesamt in weniger trennend-spalterischem Denken verhaftet sind.
Daß all diese Erkenntnisse das Gefühl weiblicher Überlegenheit berechtigt erscheinen lassen, bestätigt den Frauen der amerikanische Anthropologe Ashley Montagu mit seinem Werk »The natural Superiority of Women«, das er bereits vor 35 Jahren verfaßt hat und das seitdem immer wieder neu überarbeitet und aufgelegt wurde. Er schreibt, daß biologische und soziale Überlegenheit an dem Ausmaß abgelesen werden kann, in dem die jeweilige Eigenschaft oder Fähigkeit überlebenswirksam ist für das Individuum und die Gruppe. Wenn Menschen länger leben als andere, wenn sie widerstandsfähiger und gesünder sind und sich so verhalten, daß damit gerechnet werden kann, daß sie und ihre Nachkommen effizienter überleben als die anderen, dann sind diese Menschen im Vergleich zu den anderen überlegen. Diese Beschreibung, die weitaus mehr auf das weibliche als auf das männliche Geschlecht zutrifft, bezieht sich nicht nur auf das unmittelbare, sondern auf das langfristige Überleben der Gruppe, das heißt die unmittelbare Familie, dann die soziale Gruppe, zu der die Familie gehört, und schließlich die ganze Gruppe.[6] Wie Montagu weiter ausführt, kann die Tatsache, daß Männer überwiegend größer und von ihren Muskeln her stärker sind als Frauen, als solche nicht als Überlegenheit gewertet werden - wie das bisher der Fall war -, wenn sie nicht zum Nutzen der Gruppe eingesetzt wird. Der Mißbrauch dieser scheinbaren körperlichen Überlegenheit, der nur allzuoft stattgefunden hat, bringt dem einzelnen und der Gruppe langfristige Überlebensnachteile, die uns mit den Atomraketen als erweiterter Muskelkraft des Mannes nur allzu deutlich bewußt wurden. Kriege, die von Männern seit Jahrtausenden ersonnen und durchgeführt werden, tragen weder zum Überleben des einzelnen noch zu dem der Gruppe bei. In einer Gesellschaft, in der die »Starken« sich selbst und die anderen vernichten, ist es offensichtlich ein Vorteil, nicht »stark« im zuvor beschriebenen Sinne zu sein. Die Stärke des weiblichen Geschlechts besteht darin, daß es zum einen insgesamt besser für das Leben ausgestattet und zum anderen stärker an lebensförderndem Verhalten orientiert ist.
Grundlage dieser Überlegenheit ist anscheinend die Priorität, die dem weiblichen Geschlecht vor dem männlichen zukommt. Dazu einige biologische Daten: Die weibliche Eizelle und das X-Chromosom bilden die Grundlage des Menschen, des Mannes genauso wie der Frau .Denn »die Geschlechtschromosomen X und Y enthalten nicht die Informationen für die männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale, sie steuern lediglich indirekt die Verwirklichung dieser Informationen, die für beide Geschlechter in den Autosomen liegen«.[7] Jeder Mensch ist in den ersten sechs Wochen seines Lebens weiblich.
Damit ein chromosomal männliches Lebewesen tatsächlich männlich wird, muß es erst mehrere Hürden überwinden. Durch vielerlei Forschungsergebnisse wird Weiblichkeit als primär Gegebenes und Männlichkeit als sekundär Gewordenes bestätigt - gleichgültig, ob es sich dabei um die Erforschung der
Chromosomen, der Geschlechtsorgane, der funktionalen Unterschiede von weiblichen Eizellen und männlichen Spermien oder aber um genetische Berechnungen über den Beginn des Menschengeschlechts geht. Immer geht Weiblichkeit jeglicher Männlichkeit voraus, so daß wir nunmehr in der Lage sind, die patriarchalen Ursprungsmythen, die einen männlichen Gott an den Anfang der Schöpfung setzen und den Mann vor der Frau entstehen lassen, als Ausdruck einer männlichen Abwehr weiblicher Überlegenheit durch ihre Verkehrung ins Gegenteil entlarven können. Dahinter steht ein psychischer Verdrängungsmechanismus, der von Anna  Freud hinlänglich beschrieben wurde.
Diesen Abwehrmechanismus der Verkehrung ins Gegenteil habe ich in meinem ersten Buch »Die Weiblichkeit Gottes« an vielen Stellen der patriarchalen Kulturgeschichte nachgewiesen. Ich möchte seine Wirkungsgeschichte hier noch einmal an den Aussagen des Thomas von Aquin exemplarisch veranschaulichen. Die Überlegenheit des Mannes wurde von ihm mit der dreifachen Minderwertigkeit der Frau begründet. Biologisch galt sie als minderwertig, weil er angeblich vor ihr entstanden war. Inzwischen liegt der Nachweis vor, daß genau umgekehrt das Weibliche dem Männlichen vorausgeht. Wenn also aus der Priorität eines Geschlechts überhaupt eine Wertigkeit abgeleitet werden könnte, dann käme sie dem weiblichen Geschlecht zugute. Ihre zweite, die funktionelle Minderwertigkeit leitet Thomas aus der »Tatsache« ab, daß die Frau nur passive Hilfe bei der Fortpflanzung ist. Mit dieser Auffassung hebt er nicht auf die rezeptive Haltung der Frau beim Geschlechtsakt ab, sondern auf ihre angebliche Passivität im Verlauf der Erschaffung eines Kindes, an die bis zur Entdeckung der weiblichen Eizelle im vorigen Jahrhundert noch geglaubt wurde.
Wahrscheinlich war dieser Glaube nötig, um dem Mann überhaupt das Gefühl zu vermitteln, daß es sich bei den Kindern, die die Frau gebar, eben auch um seine Kinder handelte. Die biologische Wirklichkeit sieht allerdings anders aus. Sie verweist den Mann in die passive Rolle im Verlauf der Entstehung neuen Lebens, denn, so resümiert die englische Anthropologin Doris F. Jonas, »in biologischer Hinsicht besteht kaum ein Bedarf an Männern nach der Befruchtung der weiblichen Eizelle«.[5] Der schöpferische Akt des Mannes bezieht sich also nur auf wenige Sekunden, der der Frau auf zusätzliche neun Monate. Während Frau und Mann gemeinsam zeugen, ist die Erschaffung des neuen Menschen im Verlauf der Embryonalentwicklung allein das Werk der Frau, genau wie die Geburt.
Derselbe potentielle Unterschied besteht zwischen der weiblichen Eizelle und dem männlichen Spermium, das fälschlicherweise vielfach als männlicher »Same« bezeichnet wird; denn, so schreibt Ashley Montagu: »Eier haben unter gewissen Umständen die Fähigkeit, sich bereitwillig zu erwachsenen Organismen zu entwickeln, während Spermien hierzu völlig unfähig sind.«[9] Der Begriff »Same« suggeriert immer noch, trotz besseren Wissens, daß das vollständige Wesen bereits potentiell vorhanden ist und nur noch einer Nahrungszufuhr bedarf, um selbständig lebensfähig zu sein.
Die alleinige schöpferische Aktivität des Mannes im Gegensatz zur schöpferischen Passivität der Frau erweist sich also ganz klar als eine Verkehrung der Wirklichkeit, die männlichem Wunschdenken, möglicherweise auf der Grundlage eines männlichen Gebärneides, entspringt, der durch die Erfindung eines weiblichen Penisneides verdrängt wurde und heute noch wird.
Ähnliches läßt sich auch für die dritte vermeintliche Minderwertigkeit der Frau aufzeigen. Sie ist qualitativer Art und wird von Thomas damit begründet, daß sich der Mann kraft seines höheren Geistes um das Große und Ewige kümmert, während die Frau sich mit ihrem niederen Verstand nur um das Kleine, Zeitliche sorgt. Daß Thomas hiermit einen Teilausschnitt patriarchaler Wirklichkeit beschreibt, die der Mann mit den brutalsten Mitteln in jahrhundertelangen Kämpfen und einschränkenden Gesetzgebungen selbst geschaffen hatte, da er die Konkurrenz der Frau ausschalten wollte, wurde nicht nur im 13. Jahrhundert übersehen. Noch heute sind viele Frauen und Männer der Meinung, Frauen seien zu geistigem Kulturschaffen nicht in der Lage, und begründen diese Annahme damit, daß es angeblich - um nur eines von vielen Beispielen zu nennen - keine Komponistinnen gegeben hätte. Inzwischen haben Frauen ihrer rund dreitausend ausfindig gemacht, nur daß ihre Namen konstant verschwiegen und ihre Werke nicht gespielt werden. Wie sich nachweisen läßt, wurden Frauen bereits in der Antike aus kulturschaffenden Positionen, insbesondere jener der Priesterin, von Männern verdrängt und schließlich total ausgeschaltet, wobei nicht etwa das religiöse Interesse des Mannes eine wesentliche Rolle spielte, sondern seine Lust an der Macht. Das zeigt sich bis heute ganz eindeutig, wo in beiden Kirchen sich ausschließlich Männer in die institutionelle wie auch die theologische Macht teilen, während diese Männer in den Gottesdiensten kaum noch anzutreffen sind. Wo es also um das Hinhören und Belehrtwerden geht, sind 80 bis 100 Prozent der Anwesenden Frauen! Es läßt sich ganz eindeutig nachweisen, daß in unserer jahrtausendelangen patriarchalen Vergangenheit die Schaffung von biologischen wie auch theologischen Thesen, die als Tatsachen ausgegeben wurden, primär eine Machtfrage war und es - insbesondere in der Theologie - vielfach heute noch ist. Dort lebt man bis heute von den Lügen der Vergangenheit, aus denen der Mann nach wie vor seine Macht bezieht und gar nicht daran denkt, der Frau den ihr zustehenden Anteil zukommen zu lassen.
In Theologie und Kirche sprechen Männer nach wie vor von göttlicher Selbstoffenbarung, wo es doch in Wirklichkeit um Zeugnisse männlichen Größenwahns geht; so zum Beispiel, wenn ein männlich patriarchaler Gott, der sehr spät die Bühne der Menschheitsgeschichte betritt, sich als einziges göttliches Wesen und alleinigen Herrscher des Universums ausgibt und alle anderen Gottheiten anderer Zeiten und Kulturen, insbesondere Göttinnen, kurzerhand zu Götzen erklärt, oder wenn sich der Mann seinen ausbeuterischen Umgang mit der Natur durch seinen Gott legitimieren läßt, dem er die Worte in den Mund legt: »Macht euch die Erde Untertan«; oder wenn Theologie und Kirche vom Göttlichen als von einer trinitarischen
Männlichkeit sprechen, von der selbst Jesus noch nicht das geringste wußte, obwohl er der (angebliche) göttliche Initiator ihres Redens und Handelns ist.
Die Parallelität der männlichen Verabsolutierung des eigenen Geschlechts auf Erden mit dem monotheistischen Absolutheitsanspruch des einen Gottes, der als Herr im Himmel verehrt wird, ist ganz offenkundig. So wie Männer durch Jahrtausende hindurch alles darangesetzt haben, das weibliche Geschlecht zu marginalisieren, es für unwichtig zu erklären und seine Relevanz auf allen Ebenen menschlichen Seins in Abrede zu stellen bis hin zur Unsichtbarkeit der Frau im öffentlichen Leben und insbesondere an den Hebeln der Macht, genauso wird bis heute die Weiblichkeit göttlicher Dimensionen verdrängt und negiert. Jene aber, die sie betonen, werden als Ketzerinnen gebrandmarkt.
Legitimiert wird diese männliche Reduktion mit dem angeblichen Nachweis, Jesus Christus, der als Herr der Gemeinde verehrt wird, habe nun einmal Gott seinen Vater genannt. Daß er aber vom Göttlichen genauso als von seiner Mutter gesprochen hat, dürfen wir nicht wissen. Texte, die die Verehrung des göttlichen Weiblichen beinhalten, wurden aus dem neutestamentlichen Kanon ausgeschlossen und - wo möglich - vernichtet. Sie tauchen erst in unserem Jahrhundert aus dem Sand der Wüste wieder auf und belegen, daß die Reduzierung des Göttlichen auf Männlichkeit beileibe nicht von Anbeginn zum Wesen des christlichen Glaubens gehörte. So wie der irdische Vater die Mutter zur Voraussetzung hat, kann auch ein männliches göttliches Prinzip nicht ohne das mütterliche gedacht werden. Das Vaterbild, das Jesus vom Göttlichen malt, muß also inklusiv und nicht exklusiv verstanden werden. Es schließt die Mutter ein und nicht aus.
Desgleichen nimmt die Rede vom göttlichen Vater nur einen sehr beschränkten Raum ein. Wo immer nämlich Jesus vom Heiligen Geist oder aber vom Reich Gottes spricht, was wesentlich häufiger geschieht als vom Vater, da gebraucht er ein hebräisches Femininum. Der Heilige Geist ist für ihn eine Heilige Geistin (die Ruah), und das Reich Gottes ist die Malkhut oder die Schechina. Auch verdrängt die Kirche die Tatsache, daß Jesus seinen göttlichen Vater scharf abgrenzt gegen irdische Väter, die er gemeinhin für böse erklärt (Lukas 11,13). Er verbietet sogar, den für Gott gebrauchten Vaterbegriff auf die irdischen Väter zu übertragen. So sagt er beispielsweise: »Ihr sollt niemand auf Erden >Vater< nennen, denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist« (Matthäus 23,9). Hier bezieht sich die Exklusivität des göttlichen Vaters auf die irdischen Väter, nicht aber auf die Mütter. Demnach wäre wohl die Anrede des Papstes mit »Heiliger Vater« ein Verstoß gegen die Lehre Jesu, nicht aber die Anrede des Göttlichen mit »Mutter«.
Dasselbe gilt für die Anrede, die Jesus im Vaterunser gebraucht. Er lehrt das Göttliche ABBA, also Papa oder Väterchen, zu nennen, eine kindliche Lallform, der die Mama-Anrede zumeist vorausgeht. Auch das Verhalten des von Jesus beschriebenen göttlichen Vaters ist bei genauem Hinsehen durch und durch weiblich und paßt ganz und gar nicht in patriarchale Vorstellungen vom Vatersein. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn wartet der Vater jahrelang auf die Heimkehr des jüngeren Sohnes, der in die Fremde gezogen ist und dort sein Erbe verpraßt hat. Als er in heruntergekommenem Zustand endlich zurückkehrt, läuft ihm der Vater schon von weitem entgegen und fällt ihm - nach gut mütterlicher Art - um den Hals. Er bereitet ihm ein Fest und kleidet ihn neu ein, ohne Rechenschaft zu verlangen über den Verbleib des Geldes, auch ohne ihm eine Mahnrede zu halten oder gar die Bedingungen für das Verbleiben im Vaterhaus vorzulegen. Ein solches Verhalten war bis in die patriarchale Gegenwart hinein für Väter unüblich. Für einen rechten Vater hatte das Patriarchat ganz andere Verhaltensregeln festgelegt. Die Diskrepanz zu irdischen Vätern aller Zeiten tritt hier also ganz besonders zutage, während die Nähe zum Mütterlichen nicht zu übersehen ist. Jesus benutzt also sein Bild des göttlichen Vaters, um weibliche Verhaltensweisen als vorbildlich darstellen zu können, nicht aber, um Weiblichkeit als nicht göttlich zu brandmarken, wie es Kirchenväter durch zwei Jahrtausende hindurch getan haben. Würden wir in gleicher Weise Jesu Rede vom Reich Gottes — von der weiblichen Malkhut, wie es im Hebräischen heißt - einer Analyse unterziehen, so kämen wir zu dem Ergebnis, daß es sich hierbei um Antithesen zur patriarchalen Gesellschaftsstruktur handelt, die jedoch in auffallender Nähe zu matriarchalen Strukturen und Weltbildern stehen.
Für die Malkhut gebraucht Jesus Bilder vom Backen und Flicken, von Aussaat und Ernte, von Reife und Fruchtbarkeit, die alle in den weiblichen Tätigkeitsbereich gehören. Auch die kostbare Perle, mit der er das Reich Gottes vergleicht, ist ein uraltes weibliches Symbol. Um dies feststellen zu können, müssen wir uns allerdings um Studiengebiete bemühen, die außerhalb der Theologie liegen, denn sie wurden fein säuberlich ausgegrenzt, da sie angeblich nichts mit ihr zu tun haben. In der Theologie wird vielmehr nach wie vor bibelimmanent argumentiert. Religionsgeschichtliche, psychologische und anthropologische Erkenntnisse werden ausschließlich zu apologetischen Zwecken eingesetzt, also nur dort, wo es darum geht, den theologischen Standpunkt zu untermauern. Wird er jedoch in Frage gestellt, wird mit Ausgrenzung reagiert.
Der Prozeß der Verdrängung des Göttlich-Weiblichen muß analog gesehen werden zur Verdrängung des Wissens um die biologischen wie auch geistig-seelischen schöpferischen Kräfte der Frau, denn in beiden Fällen können wir denselben Abwehrmechanismus der Verkehrung ins Gegenteil feststellen. Genauso wie der Mann von sich behauptete, der Erstling der Schöpfung zu sein, und sich selbst schließlich als alleinigen Urheber menschlichen Lebens ein mythisches Denkmal setzte, genauso wurde der patriarchale Männergott an den Anfang der Menschheitsgeschichte oder besser der Weltgeschichte zurückprojiziert. Die dort lange vor ihm ansässige Göttin, von der es hieß, sie habe den Kosmos geboren, wurde verketzert und außer Kraft gesetzt und schließlich ihre Verehrung unter Todesstrafe gestellt.
Die Jahrhunderte währenden Frauen Verbrennungen, bei denen der Dianakult, die Verehrung der alten Göttin durch die Frauen also, eine gewisse Rolle gespielt hat, sind hierfür ein beredtes Beispiel. Außerdem wird bis heute die Tatsache, daß das Göttliche im Patriarchat nur männlich gedacht werden kann, als Begründung dafür genommen, daß Frauen weder Priesterinnen noch Theologinnen sein können. Sollten sie sich dennoch zu theologischen Aussagen erdreisten, so werden diese als »Teufelswerk«, »illegitime Theologie« oder auch als »verstiegener Umgang mit der Bibel« - alles Originalton Kirche - diffamiert.
Auf zweierlei Weise wird die Unterbindung der metaphysischen Repräsentanz des Weiblichen im Gottesbild auch heute noch verteidigt: Zum einen wird argumentiert, Gott habe sich nun einmal in der Vergangenheit nur Männern und als eindeutig männliches Wesen offenbart, genauso wie sich in früheren Jahrhunderten auch die eigenartige Biologie des männlichen und weiblichen Geschlechts ausschließlich Männern offenbarte. Frauen vergangener Kulturen wußten noch, daß die Göttin aller Schöpfung vorausging, das Männliche sich also aus dem Weiblichen ableitete, wie dies ja heute auf allen Ebenen bestätigt wird.
Zum anderen können wir aber von Theologen auch hören, Gott sei weder männlich noch weiblich. Gott als Vater, König, Richter und Herr der Heerscharen - das seien eben nur Sinnbilder des Göttlichen. In Wirklichkeit müsse Gott als Neutrum angesehen werden. Die Analogie zu jenem feministischen Flügel, der die Aufhebung der Geschlechterdifferenz proklamiert, ist nicht zu übersehen.
Doch was wäre, wenn wir diese Theologen beim Wort nähmen? Müßten sie sich dann nicht ganz vehement für die Prägung eines weiblichen Gottesbildes einsetzen, um so der geschlechtlichen Einseitigkeit des patriarchalen Männergottes zu jener Ausgewogenheit zu verhelfen, die mann - aber auch frau - von einem Neutrum erwarten könnte?
Nun, das wäre zwar logisch gedacht, aber wahrscheinlich nicht theologisch. Und wie stünde es mit dem Argument, daß ausschließlich dem primären Geschlecht die alleinige Repräsentanz als alleiniger Abglanz des Göttlichen zuzuschreiben sei?
Auch hier wäre die Wiederbelebung der Großen Göttin genauso wie die Einsetzung der Frau als Herrscherin auf den Stühlen kirchlicher und gesellschaftlicher Macht - die einzig logische, diesem Denken immanente Konsequenz. Da Männer sich ja bekanntlich als die einzigen Sachwalter der Logik verstehen, scheinen sie diese Konsequenz wohl zu kennen und setzen - verständlicherweise - weiterhin alles daran, die Frucht vom Baum der Erkenntnis - anders als Eva es einst tat - nicht mit der Frau zu teilen, oder aber nach dem altbewährten Vorbild des Vogel Strauß den Kopf vor unangenehmen Erkenntnissen in den Sand zu stecken.