Eine der schlimmsten Zeiten...

1. Kapitel

... die unser altes Europa durchkämpft, durchstolpert, durchlitten hat, ist die Epoche der etwa hundertunddreißig Jahre zwischen 1320 und 1450. Eine solche Verwirrung der Geister, so viel Unordnung, eine so wilde moralische und materielle Anarchie hat, gleichzeitig in allen Ländern, kaum jemals geherrscht. Im Osten brach das alte griechische Kaiserreich unter dem  Ansturm der ottomanischen Türken zusammen, das deutsche Reich lag zerrissen in den abstoßenden Kämpfen zwischen den Häusern Luxemburg und Habsburg, mörderische Bürgerkriege rasten in Flandern, Spanien und Italien; durch diese gleiche Heimsuchung war Frankreich in eine Verelendung gesunken, die Worte nicht aussprechen können und die noch vertieft wurde durch den Krieg mit England, der hundert Jahre dauern sollte. Die Päpste lebten in Avignon, in der »babylonischen Gefangenschaft«; durch das Schisma sank die Kirche in eine Machtlosigkeit, die auch die lodernden Scheiterhaufen der Ketzerverfolgungen und der Hexenprozesse nicht verdecken konnten. Teufelsglaube, Hungersnöte, Entvölkerung durch den Schwarzen Tod, umherstreifende Banden, vor denen sich die Bauern in die wiedererstandenen Urwälder und in Erdhöhlen versteckten. Wie eine Seuche breiteten sich Unheil und Todesangst aus. Die Ethik des Hohen Mittelalters an deren Rittersitten der Adel sich noch immer klammerte, geisterte als ein hohles Spiel durch die trübe Zeit. Und doch ging der Fortschritt unter der chaotischen Oberfläche stetig vorwärts. Bauern, Handwerker, bürgerliche Gelehrte schufen, wo die Herren versagten, ihr eigenes Recht und ihre eigene Macht. Nicht ohne Blutvergießen, nicht ohne Schuld von Oben und Unten, aber nach 1450 hielten in allen Monarchien zwei Mächte das Schicksal der Länder in Händen: die breite Masse des Volkes und ein Einzelner, der König. Im Gang der Entwicklung waren diese beiden Kräfte gezwungen, miteinander zu arbeiten. Adel und Klerus führten ihr eigenes Leben, bald als Stütze, bald als Feind der Krone. Bevor sich aber diese Ordnung abzeichnete, mußte die Christenheit durch ein finsteres Tal gehen, und doch leuchtete gerade in dieser Dunkelheit ein helles Licht auf, so eigenartig, so unbegreiflich, daß es bis heute den Menschen keine Ruhe gelassen hat, seine Wesensart zu deuten und zu beschreiben, das ist das Erscheinen der Jeanne d'Arc. In dem einzigen Jahr ihres Wirkens hat sie der verworrenen Menschheit bewiesen, daß moralischer Mut, Anstand, Vernunft, Güte und der Glaube an eine übermenschliche Einwirkung, jedes Unglück zu bezwingen vermag. ja, sie hat gezeigt, daß es den Menschen, im Grunde, und wäre seine Seele auch überwuchert von bösen Instinkten, zur Helligkeit drängt, zum Aufwärtsschreiten, zur Entwicklung. Jeanne d'Arc hat die verdüsterte Menschheit ihrer Zeit dem Ausgang des dunklen Tales zugeführt, sie war nicht nur die Retterin in der Kriegsnot ihres Heimatlandes, mit ihrem Tod hat sie ihren Glauben an das Gute im Menschen für alle Welt besiegelt, sie wurde zu einem Beispiel, dessen Kraft keine Zeit hat brechen können. Vor ihrem Erscheinen suchte Jeanne d'Arc, ohne sich eines Zwanges bewußt zu sein, eine weithin sichtbare Persönlichkeit, an deren Seite sie festen Schrittes auf dem Boden einer Realität zu gehen vermochte, die allein ihr Wirken möglich machen konnte. Diese Persönlichkeit war Karl VII. von Frankreich, das Instrument in der Hand der Vorsehung, das der Jungfrau den Weg bereitete. In dem Jahre der tiefsten Entmutigung Frankreichs, 1429, wütete der Hundertjährige Krieg in Frankreich schon seit einundneunzig Jahren, und der Zwist zwischen dem Königshaus und Burgund, der nicht weniger Unheil brachte, seit fünfundzwanzig Jahren. Jeanne d'Arcs Hervortreten und Karls VII. Griff nach einer nicht mehr erhofften Rettung bieten ein wunderbares Bild für den Rückschauenden. Es scheint, als sei ein Baum, der in der Stille schon lange wuchs und wuchs, plötzlich in Blüten ausgebrochen, ob auch rings umher verdorrtes Leben stand. Um diesen einzigartigen Baum in der Menschheitsgeschichte zu verstehen, tut man gut, seine Wurzeln frei zu legen. Sie dringen tief in die Geschichte unseres westlichen Kontinents ein, bis hinunter in die schicksalhafte Verbindung, die Wilhelm von der Normandie im Jahre 1066 knüpfte, als er, in England landend, zu Boden stürzte und, die Hände in den Ufersand gekrallt, ausrief: «Ich fasse dich, England!» Dieses Ergreifen eines fremden Gebietes, der Rückgriff über das Meer nach Frankreich, das Fahrenlassen und von neuem Packen, ein ständiger Wechsel von Erobern und Verlieren, das war vom Tage an, da Wilhelm der Eroberer sich zum König von England machte, bis zum Ausbruch des Hundertjährigen Krieges, im Jahre 1338, das ruhelose Schicksal Frankreichs und Englands. Keine verwandtschaftliche Bindung, nicht die gemeinsamen Kreuzzüge, kein Friedensschluß und kein Vertrag vermochten eine gute Nachbarschaft zu begründen, solange England Anspruch auf die Normandie und das große aquitanische Reich erhob, das fast den ganzen Westen und Süden Frankreichs umfaßte. Solange das geschah, mußten beide Länder immer von neuem ihre beste Jugend und ihre materiellen Reichtümer opfern. Es konnte nicht ausbleiben, daß es zu einer letzten großen Auseinandersetzung kam. Frankreich mußte um die Vertreibung der Fremden, um den endgültigen Sieg kämpfen, denn ohne diesen Schlußakt konnte das Land, das der Insel gegenüber lag, nie zur Ruhe kommen. Und doch waren nach einundneunzig Jahren dieses entscheidenden Ringens die Engländer immer noch in der Übermacht. Jeanne d'Arc brachte die Wendung zum Sieg, aber Karl VII. schloß erst dreiundzwanzig Jahre nach ihrem Flammentod den Frieden zwischen seinem befreiten Land und dem Rivalen von vier Jahrhunderten. Als Karl VII. in der Königsgruft zu Saint-Denis beigesetzt wurde, trug er den Beinamen Der Siegreiche.
In England regierte bei Ausbruch des großen Krieges der vorzügliche Eduard III. und in Frankreich sein ebenbürtiger Gegenspieler, Philipp VI. von Valois. Das reiche Flandern, das die Göttin Eris als Zankapfel schon vor Jahrhunderten zwischen die beiden Länder geworfen hatte, war auch jetzt wieder der Grund zu bittrem Zwist.[1] Kampfeslüstern fiel Philipp VI. ohne Kriegserklärung in die Guyenne ein, die englischer, erheirateter Besitz war.  Und alsogleich nahm Eduard III. den hingeworfenen Fehdehandschuh auf Krieg fand bei dem Adel beider Königreiche stets entzückte Zustimmung. Kampf war immer noch die Lebensaufgabe der Herrenschicht; wie anders konnte man zu Ruhm, vielleicht sogar zu Gelde kommen, wenn nicht auf dem Schlachtfeld? Auch das Volk in England war dem Kriege geneigt, denn nur zu gut wußte es, daß seine Betriebsamkeit und sein Wohlstand von gesicherten Absatzgebieten auf dem Kontinent abhingen. Aber Frankreich war eine Großmacht, die zwanzig Millionen Einwohner zählte; England besaß kaum vier Millionen Menschen und vermochte nur achttausend Mann den vierzigtausend Mann, über die Philipp VI. verfügte, gegenüberzustellen. Doch war England reich genug, Truppen zu kaufen. Eduard III. setzte 1338, zunächst nur von einem stattlichen Gefolge begleitet, auf den Kontinent über. Ohne sonderliche Mühe gelang es ihm, den Hennegau, Geldern und Jülich durch Subsidien zu gewinnen. Überdies versprachen ihm der Herzog von Brabant, der sechzigtausend Kronen erhielt, und der deutsche Kaiser, Ludwig IV., der Bayer, dem dreitausend Goldflorin überbracht wurden, einige tausend Mann Söldner zu schicken. War Frankreich besser gerüstet? Eine starke französische Flotte lag in den Kanalhäfen. Eduard mußte hören, daß man dort über das Inselvölkchen spottete, das glaubte, Frankreich besiegen zu können. Eduard III. ließ sich jedoch nicht einschüchtern; sein Geld und die guten Bündnisse würden ihm helfen, den Krieg rasch und siegreich zu beenden. Der Anfang des Ringens hätte die Siegeszuversicht des englischen Königs dämpfen müssen, denn die deutschen Söldnertruppen erschienen nicht, Cambrai erwies sich als uneinnehmbar, also Rückzug nach Antwerpen, Beratung mit den Verbündeten über neue Angriffspläne und abermalige Geldbeschaffung. Die Söldnerführer pflegten hohe Forderungen zu stellen, erpresserische Preise, wenn ein König in Not war. Deshalb beschloß Eduard, nach England zurückzukehren, um im eigenen Lande die Geldbeschaffung in die Hand zu nehmen. Nun hatte aber Philipp VI., der sich schon im Triumphe wiegte, seine Flotte von zweihundert Schiffen bei dem flandrischen Sluys zusammengezogen, um Eduard die Rückkehr in sein Land abzuschneiden. Die Inselbewohner waren jedoch die geborenen Kämpfer von Schiff zu Schiff; so mußte Philipp zu seiner Verblüffung hören, daß es Eduard III., diesem Teufelskerl, gelungen war, mit seiner viel kleineren Flotte die französische zu besiegen. Die Franzosen waren wütend, während bei den Engländern der Siegesübermut hell aufloderte. Nicht zurück nach England des gemeinen Geldes wegen! Auf nach Tournai. Diese Stadt würde man rasch nehmen. Aber Tournai hielt stand wie ein Felsen. Der Mangel an Geld lähmte Eduard mehr und mehr. Das Söldnerheer begann, sich zu verlaufen. Da holte der König zu einem Schlag ganz anderer Art aus, als es die Eroberung einer Stadt gewesen wäre, zu einer Tat, die ihn wie durch einen Sprung in den Augen der rittermäßigen Welt auf einen Gipfel heben mußte, der jedes Schlachtenglück überstrahlte: er, der König von England, nahm in diesem Jahre 1340 in Gent mit pompöser Feierlichkeit und weltweitem Getöse den französischen Königstitel an. Und wenn er sich auch nicht in Reims salben und krönen lassen konnte, so ließ er doch in sein Wappen zu den eigenen heraldischen Löwen die französische Lilie aufnehmen. Gestickt, gehämmert und getrieben, gemalt, in Granit gehauen und in Edelsteine geschnitten, überall erschien die Herausforderung allen Augen sichtbar: Eduard III., ein französischer König!
War nicht das Recht auf Seiten Eduards? Sein Adel, der mit ihm gekommen war, schmunzelte. Wer war Philipp VI? Ein Valois! Ein Verwandter der Kapetinger, aber auch die Plantagenets waren mit dem ausgestorbenen Königshaus versippt gewesen. Philipps VI. Zorn war nicht gering. Mochte Eduard sich mit seinen Hochmutspossen auf die Insel heimbegeben! Die französische Flotte würde ihn am Davonsegeln nicht hindern, wohl aber am Wiederkommen, so verschwor er sich. Eduard stach also in See, aber nur, um auf seiner Insel mit dem Geld des Volkes und einer Anleihe, die er in Florenz gemacht, ein Heer von dreißigtausend Mann aufzustellen. Trotz Philipps Schwur schaffte Eduard seine Soldaten über den Kanal und landete in aller Stille bei La Hogue. Die französischen Truppen lagerten in der Guyenne, weil man das englische Heer dort erwartete. Philipp VI., der auch jetzt in den Engländern noch keine unüberwindlichen Feinde sah, wurde von einem ersten ahnungsvollen Schrecken über die wahre Natur seiner Gegner ergriffen, als im Louvre Botschaft über Botschaft vom Vormarsch der Engländer eintraf. Eduard III., der, der Sitte seiner Zeit entsprechend, das Heer selber anführte, zog wohlgemach gen Paris, das fast von allen Truppen entblößt war. Wie sollte Philipp seine Hauptstadt retten? Unter der Bevölkerung drohte eine Panik auszubrechen. Da sprang ein hoher Gast des Hofes in die Bresche: er wolle die Stadt verteidigen. Das war Karl von Luxemburg, der vor wenigen Wochen, im Juli 1346, in Phense als Gegenkönig Ludwigs, des Bayern, zum deutschen König ausgerufen worden war. Dieser Luxemburoer, später Karl IV., war am französischen Königshof erzogen worden; jetzt weilte er mit seinem alten blinden Vater, Johann von Böhmen, bei seinem Beschützer, Philipp VI., und stellte ihm seine fünf hundert deutschen Ritter zur Verfügung. Das war nicht viel, aber der Glaube an die Kraft des einzelnen Ritterschwertes war noch unerschüttert. Gemeinsam mit dem deutschen Adel sammelten sich die Franzosen in Saint-Denis. Es war eine prächtige Schar junger Männer, die aus dem Pariser Tore zog. Die Herren trugen nicht mehr wie vor zweihundert Jahren Kettenhemden, sondern die allerkunstvollsten Rüstungen: die Pferde waren unter wappengeschmückten Decken verborgen, die bis an die Hufe reichten. Knappen liefen mit den Standarten ihrer Herren nebenher, damit man von ferne eines jeden Familie erkennen konnte und sich den Gegner zu wählen vermochte. Philipp sah skeptisch auf den Ritterprunk, er war ein nüchterner Franzose und wußte, daß ein Krieg nicht mehr ein Wettkampf mit Lanze und Schwert zwischen zwei höflichen Gegnern vornehmer Abkunft war. Er hatte schon vor Monaten beim Grafen von Monaco fünfzehntausend Genueser Bogenschützen angeworben, die jetzt im rechten Moment eingetroffen waren; auch die französischen Truppen aus der Guyenne strömten herbei. Eduard III. hörte durch seine Spione von dieser gewaltigen Heeresmasse mit dem festen Paris als Rückhalt. Da schwenkte er nach Norden zur Somme ab, aber nicht, um dem Kampf auszuweichen. Bei dem Dorfe Crécy-en-Ponthieu beschloß Eduard, seinem Gegner, Philipp VI., die Schlacht anzubieten. Es war im August des Jahres 1346, einem glutheißen Sommer. Auch Eduard III. baute nicht mehr auf die turnierartige Ritterschlacht. Sein Heer, durch Übermüdung, Krankheit und schlechte Ernährung stark zusammengeschmolzen, bestand aus den leichtbewaffneten, kaum zivilisierten Bewohnern Irlands und Wales; seine größte Hoffnung aber waren die englischen Bogenschützen, die ihre Kunst vor langer Zeit von den Normannen übernommen hatten. Den Rittern wurde befohlen, ihre Pferde in Sicherheit zu bringen, um zu Fuß, mit dem Schwert, den Feind niederzuschlagen. Der König selber hielt auf einem Hügel; zu seinen Füßen am Abhang lag die Reserve, während unten im Wiesenland, von einem Graben geschützt, die Hauptmacht stand. Den rechten Flügel befehligte der eben sechzehnjährige Sohn des Königs, der »Schwarze Prinz«, den linken Flügel der Herzog von Northhampton. Der unerwartete Halt und das geschickte Ausweichmanöver des englischen Heeres warf den französischen Kriegsplan, den Philipp mit seinem Connetable entworfen hatte, über den Haufen. Man mußte rasch ein neues Vorgehen improvisieren. Der König wollte Kriegsrat halten. Aber die zusammengewürfelte Masse, die Philipps Heer bildete, hatte sich schon in Bewegung gesetzt und drängte kampfesmutig den Engländern entgegen. Die naive Beschreibung dieses Vorganges erzählt, daß Philipp in die ihn so leicht überwältigende Wut geraten sei, aber den Dingen ihren Lauf gelassen habe. Der König gab den Genuesern Befehl, den Kampf zu eröffnen, obgleich gerade diese Männer aus dem warmen Italien durch die sommerliche Hitze völlig erschlafft waren. Überdies hatte ein Gewitterregen ihre Bogensehnen naß, weich und unbrauchbar gemacht. Aber gehorsam stürzten sie vorwärts, ihr schwaches Schießen mit satanischem Gebrüll unterstützend. Die Engländer sahen den Südländern mit stoischem Schweigen entgegen, die riesigen Bogen gespannt, die langen, scharfen Pfeile zum Flug bereit auf der Sehne. Einer jagenden Wolke gleich, die ihren Schatten auf die Wiese warf, fiel die Masse der Pfeile über die herandrängenden Feinde herab. »Es war, als schneite es«, schrieb später ein Chronist. Von Panik ergriffen wichen die Genueser zurück. «Macht die Schufte nieder», schrie Philipp auf, und seine Ritter sprengten zwischen die fliehenden Söldner, sie erbarmungslos niederhauend. Die Hauptmacht des französischen Adels folgte dem Herzog von Alengon und dem Grafen von Flandern, um über den Schwarzen Prinzen, so genannt wegen seiner dunklen Stahlrüstung, und seine kleine Schar herzufallen. Der junge Eduard, der mit seinen kaum sechzehn Jahren nicht einmal zum Ritter geschlagen war, wehrte sich mit der adligen Jünglingschar, die ihn umgab wie ein gewiegter Kriegsmann, aber die Übermacht seiner Feinde schien ihn erdrücken zu wollen. Da sandte er einen Boten zu seinem Vater und erbat Hilfe. Eduard III., ein harter Mann, fragte den Boten nur, ob sein Sohn verwundet, vom Pferde gerissen oder tot sei; nein, nein, er lebe, aber der Schwertkampf gegen die Übermacht der französischen Ritter sei fürchterlich. «Keine Hilfe», war Eduards Antwort. «Mag der Knabe sich heute seine Sporen verdienen!»
Die Behauptung, daß an diesem Tag zum ersten Mal in der Kriegsgeschichte Artillerie eingesetzt worden sei, ist nur bedingt richtig, denn die Engländer führten nicht mehr als einige kleine Kanonen mit, die eiserne Bällchen ausspuckten, »um die Pferde scheu zu machen«. Immerhin waren Empörung und Erstaunen unter den festlich gekleideten französischen Rittern und Knappen über die neue Waffe groß. Die Entscheidung brachten nicht »die Kanonen«, sondern die englischen Bogenschützen, vor deren schweren, scharfen Pfeilen keine Ritterrüstung schützte. Das Ziel, das ruhig gewählt und selten verfehlt wurde, waren die Augen hinter den Helmschlitzen, die Halsgrube im Moment, da der Kopf sich aufwärts hob, und die Achselhöhlen des schwertführenden Armes. Aber nicht nur durch das Geschick der Bogenschützen, auch durch den unermüdlichen, beispiellosen Mut des Schwarzen Prinzen und seiner Schar, die unbeugsam aushielt und immer neu heranstürmende Scharen von französischen Rittern niederhieb, wendete sich gegen Abend der Sieg Eduard III. zu. Die Franzosen sahen, daß der Tag für sie in eine Nacht des Unglücks zu sinken drohte. Karl IV., der Verbündete des französischen Königs, kämpfte tollkühn, seines Lebens nicht achtend, und der französische Adel tat es ihm gleich. Nur noch einige Ritter mehr für das bedrohte Zentrum, und die Schlacht könnte noch zum Guten gewandt werden. Da griff der blinde König Johann von Böhmen in das Ringen ein, Karls Vater, ein Ritter der alten Schule wie wenige; er glaubte an die Macht des Schwertes, seines Schwertes, «in dem die Seele des Mannes wohne». Er wollte kämpfen, er mußte kämpfen! Nur noch einmal in diesem Leben. So befahl er seiner deutschen Umgebung, einer kleinen Schar todesmutiger Ritter, ihn in die Schlacht zu führen, und damit sie nicht auseinander gesprengt würden, und es für sie nur Sieg oder Tod gebe, gebot der alte König, die Zügel all ihrer Pferde unlöslich miteinander zu verknüpfen. Und so, ein untrennbares Menschenknäuel bildend, stürmten die Deutschen mit dem alten blinden König unter die englischen Ritter. Aber da war das Fußvolk aus Wales, diese Masse wilder, noch halb heidnischer Männer. Sie drängten sich zwischen die Herren und erstachen mit ihren kurzen Schwertern die Pferde der Deutschen vom Bauche her. Die verknäuelten Ritter und ihr König stürzten zu Bodenundvermochten nicht mehr auf die Beine zu kommen. Sie endeten alle unter den Schwerthieben der Engländer. Vor diesem grauenhaften Schauspiel, von der Nacht überrascht, dennoch von einem blindwütenden Hagel von Pfeilen von neuem überschüttet, flohen die französischen Ritter in das schützende Dunkel, noch weithin vom Schwarzen Prinzen und seinen Gefährten verfolgt. Philipp, rasend vor Zorn, war gezwungen, sich der allgemeinen Flucht anzuschließen. Eduard soll seinen jungen Sohn, den Schwarzen Prinzen, stumm vor Rührung umarmt haben und ihn noch in sinkender Nacht »auf dem Felde der Ehre« zum Ritter geschlagen haben. Eine hohe Auszeichnung, die dem sechzehnjährigen Knaben unter dem Jubel der Ritterschaft und des Heeres zu Teil wurde. Nur Könige erhielten vor der Zeit Ritterschlag und Sporen, wenn sie bei ihrer Krönung das einundzwanzigste Jahr noch nicht erreicht hatten. Als Eduard und der Prince of Wales, die Heerführer und die höchsten Herren sich in ihr Zeltlager zurückzogen, blieben auf dem Schlachtfeld von Crécy, unter den grausam funkelnden Sternen und dem höhnischen Strahlen des Mondes zwölftausend Ritter des französischen Adels tot zurück und um sie her, in Gruppen und Haufen, dreißigtausend Mann Fußvolk, Verwundete, Sterbende und Tote. Nur ein kleiner Teil unter diesen Opfern des Tages waren Engländer. Die Überlegenheit des Ritters, des (reitenden Herrn) als Führer eines zusammengewürfelten Fußvolkes kleiner Lehensmänner, diese Kriegsordnung des Feudalismus war vor der Unüberwindlichkeit eines geübten Fußvolkes zusammengebrochen; eine neue Zeit hatte begonnen, und es hieß für den Ritter fortan, die Rolle eines Hauptmanns kleiner Truppenteile zu übernehmen. Damit brach die internationale Gemeinschaft des Adels, der auch kämpfend nie wahrhaft verfeindet gewesen war, zusammen. Von nun an wurde der Krieg ein Ausfluß des Hasses und der Fremdheit zwischen den Nationen. Der Sieg von Crécy im Jahre 1346 fuhr wie ein Frühlingsbrausen unter die englische Nation und beseelte das Heer auf dem Kontinent mit Siegeszuversicht. Eduard III. war gewillt, sich auch weiterhin vor allem auf das Fußvolk zu stützen; es machte vier Fünftel seines Heeres aus. In Friedenszeiten hatte er seine Bogenschützen ständig üben lassen. Die Männer kannten die Wichtigkeit ihres Anteils an den Schlachten, so war es ihr Ehrgeiz, dem König, dem Adel, dem ganzen Lande unentbehrlich zu sein. Mit dem Geist, der in seinen Truppen herrschte, vermochte Eduard den Sieg auf seine Seite zu zwingen.
Philipp VI. mußte sich aus der Guyenne zurückziehen. Poitou, die heißumstrittene Provinz, fiel an die Engländer zurück. Nun galt es für Philipp, das alte Anjoureich, das 1328 an die französische Krone gefallen war, zu halten. Noch war seine Flotte die weitaus stärkere, aber es war ihm bekannt, daß Eduard sich bereitete, die Oberherrschaft über den Kanal zu erringen. Wenn die Engländer Calais eroberten, dann war die französische Flotte an der eigenen Küste nicht mehr sicher, und die Normandie, die Heinrich II. von England, 1259 an Frankreich abgetreten hatte, konnte leicht an die Insel zurückfallen. Aber Calais würde für Eduard eine harte Nuß bedeuten, mochte er sich die Zähne daran ausbeißen! Eduard III. wußte, was ihm bevorstand. So richtete er eine ganze Stadt vor den Mauern von Calais ein, mit Häusern, Straßen, Marktplatz, Kapellen und fürstlichen Unterkünften; alle Bequemlichkeiten, die die Zeit kannte, wurden bereitgestellt. Und dann erwartete man in Ruhe die Übergabe der Stadt. Ein Jahr sollte das Martyrium der Bürger bei Hungersnot und Seuchen dauern. Philipp VI. vermochte die Hafenstadt nicht zu entsetzen, aber die Bürger hielten aus. Eduard, der trotz der improvisierten Stadt sein Heer bei Winterstürmen, Regen und Morast auch an Seuchen zusarnmenschmelzen sah, war von Wut gegen Calais wie von Dämonen besessen; einmal mußte die Stadt fallen; warum dieser sinnlose Widerstand, der hüben und drüben der Mauern Tausende von Menschenleben forderte? Erbarmungslos sperrte er jede Zufuhr vom Meer und vom Lande her. Wie Schatten erschienen die vor Schwäche wankenden Verteidiger auf den Mauern. Wie viele Frauen und Kinder mochten schon dem Hunger zum Opfer gefallen sein. Die Überlebenden von Calais kannten ihr Los: dem Hunger erliegen oder von Eduards wütenden Soldaten niedergemetzelt werden. Wie sollte man da die Stadt übergeben? In der Blütezeit des Rittertums wäre der tapferen Besatzung ein ehrenvoller Abzug gewährt worden, und der siegreiche Belagerer hätte die Hungernden gespeist und mit ihnen gemeinsam in der Kirche ein Tedeum gefeiert. Aber diese helle Zeit lag fast zweihundert Jahre zurück; seitdem waren die Völker und ihre Fürsten verroht, und niemand wehrte den wuchernden bösen Instinkten. Für Calais kam aber trotzdem der Tag, an dem der Magistrat die Übergabe der Stadt anbieten mußte, weil das Leiden der Bevölkerung jedes Maß überschritten hatte.
Eduard III. empfand eine solche Erleichterung, da auch seine Lage haltlos geworden war, daß er versprach, die Besatzung und die Einwohner zu schonen, falls sechs Bürger sich ihm zu bedingungsloser Bestrafung in die Hände gäben; das hieß: zur Enthauptung. Und nun berichtet der Chronist Jehan le Bel von einer der wenigen lichten Stunden in der Finsternis dieser Zeit: Alle Glocken von Calais hätten das Ende der langen Qual eingeläutet, während der Rest der Bürgerschaft sich zitternd um die Nahrungsmittel sammelte, die der Bote des englischen Königs überbrachte. Aber noch durfte niemand eine Hand ausstrecken; erst mußte jedermann die Bedingung der Übergabe hören. Nahrung und Gnade für alle, aber sechs Männer müßten dem Königsboten folgen, um mit ihrem Kopf für den langen Widerstand zu büßen. Da habe sich ein lautes Geschrei und Weinen erhoben, doch Meister Eustache de Saint-Pierre, der reichste und mächtigste Handelsherr der Stadt, habe sich anerboten als erster im Sünderhemd, den Strick um den Hals, barfuß vor den Sieger zu treten und ihm sein Leben anzubieten, aber fünf Männer müßten ihm folgen; wer wolle sich opfern? Da sei eine große Schar von Männern aus allen Kreisen der Stadt zu ihm getreten, um mit ihrem Leben die Mitbürger zu retten. Fünf der angesehensten Bewohner von Calais wurden ausgewählt und wanderten blaß und grau vor Hunger, lebenden Leichnamen gleich, in das englische Zeltlager. Das Heer strömte zusammen, um die Verhaßten anzustarren und zu beschimpfen, deren Hartnäckigkeit Hunderten von Engländern das Leben gekostet hatte; aber anstatt die Unseligen mit Schimpf und Spott zu überschütten, wurde das Stirnmengewirr zum Raunen und das Raunen zum Schweigen. Durch diese Stille der Ehrfurcht schritt Eduard III. inmitten seiner Barone und Ritter daher, bebend vor Rachgier; aber seine Umgebung seufzte und klagte und bat um Gnade für die tapferen Männer, die im Staube knieten, bereit ihr Leben für das Leben des Stadtvolkes zu geben. Eduard soll der Anblick die Sprache verschlagen haben. Erst nach einer Weile konnte er mit kalter Stimme ächzen: «Schlagt ihnen die Köpfe ab!» Da erhob sich unter den Baronen ein bittendes Gemurmel, und Walter von Maunay faßte Mut, den König zu beschwören, sich nicht durch Grausamkeit diesen Helden gegenüber in Schande zu bringen; aber Eduard schrie auf: «Bringt den Henker hierher vor meine Augen; ich will sie büßen sehen für die Engländer, die ihretwegen starben.» In diesem Moment trat die Schar der englischen Adligen vor der Königin zurück, die, hochschwanger, von ihren Frauen gestützt, vor ihren Gemahl trat; sie wollte reden, aber die Tränen erstickten ihre Stimme; so sank sie schluchzend vor ihm auf die Knie, nur eins erbittend, um Christi und seiner Mutter willen, Gnade zu üben. «Herrin, ich wollte, Ihr wäret nicht gekommen », sprach der König, «aber ich kann Euch nichts abschlagen, nehmt die Bürger von Calais, sie seien in Eure Hände gegeben.» Danach habe Eduard die Königin aufgehoben, die sechs Stricke der Verurteilten ergriffen, ihnen aufzustehen geboten und sie der Königin zugeführt, «um seiner Liebe willen, die er für sie empfand», wie der Chronist es ausdrückt. Die Königin bat sogleich ihre Herren, die ehrenwerten Bürger zu kleiden und ihnen ein gutes Mal vorzusetzen: «to make them a good cheer».
Eduards Siege über die Franzosen fanden bewundernden Widerhall in ganz Europa, und als es ihm gelang eine große spanische Flotte, die in den Kanal eingedrungen war, nach wütenden Kämpfen zu vernichten, legte die Welt ihm den Ruhmestitel »King of the seas«, (König der Meere) bei. Eduard stand auf der Höhe seines Ruhmes, aber sein Land war ausgesogen von den hohen Kriegskosten, durch die er sich ein stehendes Heer von gut geschulten Kriegsleuten verschafft hatte. Auch Frankreich lag darnieder, verarmt und verwildert; und nun brach im Jahr 1348 die Pest über Europa herein. Von Ägypten her raste der Schwarze Tod über Italien, über das Languedoc und die Provence bis nach Paris und England. Ein grauenhaftes Sterben beraubte Europa seiner Volksmassen. (Ein Drittel der Welt) sei damals in wenigen Monaten dahingerafft worden. Es nützte nichts, daß man sich mit Kapuzen schützte.[2] Der Schwarze Tod war stärker als alle Vorsicht und kehrte immer wieder; es nützte nichts, Bußfahrten zu unternehmen, um Gott gnädig zu stimmen, oder Tanzorgien auf Straßen und Plätzen aufzuführen, um dem Teufel zu schmeicheln; der Schwarze Tod kam und ging, wie er wollte, und nahm hoch und niedrig mit; so auch die gute Königin von Frankreich, Philipps VI. Gemahlin, seine Schwiegertochter, seine lieben Ratgeber, seinen Hofnarren, seine Jäger, seine Diener. Da verging Philipp VI. sowohl wie Eduard III. die Lust, den Krieg weiterzuführen; die Erschöpfung ihrer Länder war ohne Maß. Man schloß 1349 einen Waffenstillstand auf sieben Jahre. Noch ein letztes gutes Geschäft machte Philipp VI., 1350, in seinen letzten Lebenstagen. Er bezahlte die Schulden Humberts II. von der Dauphiné unter der Bedingung, daß die Provinz nach Humberts Tod als Apanage dem jetzigen und allen folgenden französischen Thronfolgern gehören und diese den Namen eines Dauphin tragen sollten. So war denn in Frankreich der Dauphin geschaffen*, (*Johann der Gute trug den Titel noch nicht, erst sein Sohn Karl wurde der erste Dauphin)  wie in England, schon durch Eduard I., der Prince of Wales.
Nach Philipps VI. Tod, 1350, trat sein Sohn, Johann II., das Erbe, das ihm zufiel, in einem trostlosen Zustand an: die Staatskasse war leer; die Söldner, die sich um ihren Lohn geprellt sahen, warfen sich auf das kriegsverheerte Land und sogen ihm den Rest der Kraft aus. Sie überfielen Burgen, Städte, Dörfer; raubten, töteten und hausten schlimmer als die Wölfe.
Kam die Nachricht vom Nahen einer dieser marodierenden Scharen, so floh die Dorfbevölkerurig und versteckte sich, bis sie ungefährdet in die rauchenden Trürnmer ihrer Heimstätten zurückkehren konnte; oder sie zog selber plündernd aus, mutlos, verbittert, ohne Lust das Land neu zu bestellen, dessen Frucht nicht sie, sondern doch die fremden Teufel ernteten.
Große Städte waren sicher, aber kleine Flecken wurden erstürmt und von allem entblößt, was die räuberischen Banden zu locken vermochte. Keine Kirche, kein Altar blieb verschont, und von den Burgen zogen Herren und Damen nach Paris, wo sie sich Häuser bauten oder am Hofe des Königs lebten, ihre Burgen einigen Getreuen zur Verteidigung überlassend.