Triumphaler Aufbruch - Jehanne la Pucelle

13. und 14. Kapitel

Am 27. April 1429 verließ Johanna Blois. Es war der «triumphale» Aufbruch, von dem Jean d'Orléans in der schwer belagerten Stadt Orléans Kunde erhalten hatte. An der Spitze des Zuges schritten die Priester mit Fahnen und Kreuzen, umringt von den Chorknaben. In das Geläute der Glocken klang der betende Gesang - Veni Creator Spiritus. Johanna, die Standarte in den Halter gestützt, die Stange von ihrer gepanzerten Hand umschlossen, war umgeben von den höchsten Befehlshabern des Königs. Sie hatten alle frühmorgens gebeichtet. Die Banner mit den allbekannten Wappen der Saint-Sévére, de Culen, de Loré, de Vignolles das war La Hires Zeichen rauschten im Frühlingswind zur Rechten und zur Linken der Jungfrau. Gleich hinter ihr ritten die ersten Gefährten ihrer Mission, Jean de Metz und Bertratid de Poulengy; ihnen folgten Jean d'Aulon und Jean Paquerel, die Johannas Hofstaat anführten, und in einem gewissen Abstand dreitausend Söldner. Den Abschluß des langen Zuges bildeten die Karren mit Lebensmitteln und dreihundert Ochsen. Johanna hatte gewünscht, dem Nordufer der Loire entlang auf Orléans zu ziehen, um so geradewegs die Stadt erreichen und den Halbkreis der von den Engländern errichteten Bastionen durchbrechen zu können. Daß dieser Durchbruch schwer zu erreichen war, wußte Johanna nicht, auch die genaue Situation der belagerten Stadt war ihr unbekannt, ebensowenig konrite sie sich ein Bild von der Geographie des Landes machen, das sie durchzog. Man ritt jedoch südlich der Loire, um mit einiger Sicherheit von Osten her nach Orléans hinein zu gelangen. Das Wetter war nicht gut; es stürmte schon seit Tagen, hin und wieder prasselte der Regen hernieder, tiefe Wolken hingen über dem weiten Land. Aber es war April, und es konnte während des langen Rittes geschehen, daß plötzlich strahlendes Wetter über dem Lande lag und der lange Zug der Bewaffneten aufblitzte wie eine riesige, sich dahinwindende Schlange. Am Abend des 27. April war das Heer gezwungen, im freien Felde zu übernachten. Für die Herren wurden Zelte aufgerichtet, auch Johanna hatte das ihre. Sie fühlte sich unbeschützt, denn ihr Hofstaat mußte sich zurückziehen; so ließ sie sich nicht, trotz den Vorstellungen erfahrener Männer, aus ihrer Rüstuiig befreien. Sie versuchte, von dem harten Silber umhüllt zu schlafen. Es gelang ihr nicht. Als sie sich am Morgen erhob, gehorchten ihr die Glieder kaum, und sie fühlte die Schürfungen schmerzhaft, die der Panzer an ihrem Körper wundgerieben hatte. Aber kein Klagelaut kam über ihre Lippen. Die Gewißheit, noch heute in Orléans einzuziehen - denn ihre Heiligen würden den Engländern verbieten, sie zu hindern - hob sie über Schmerz, Kälte und Mühsal des langen Rittes hinweg. Als es abermals Abend wurde und wiederum kalter Regen herniederrauschte, so daß der Schlamm der aufgeweichten Felder ihre silbergepanzerten Füße bespritzte, und plötzlich die Loire und im Nordwesten Orléans' Mauern und Türme im Nebel vor ihr auftauchten, jenseits des Wassers, da hielt sie ihr Roß in zorniger Verblüffung und Enttäuschung an. Dort drüben lag ihr Ziel? Man hatte sie betrogen.
Die Stadt schien unerreichbar, und die englischen Forts waren so weit entfernt, daß es hier zu keinem Gefecht kommen würde. Ihre Begleiter erklärten, man stehe gegenüber der «grande ile aux boeufs», und sobald der Sturm nachlasse, werde man Tiere und Proviant hinüberschaffen und selber übersetzen aber der Wind dürfe nicht nach Osten, wie jetzt, sondern müsse nach Westen blasen. «Sorgt Euch nicht», sagte Johanna, «der Wind wird sich wenden,» Trotz des Sturmes und der sinkenden Nacht nahte ein Boot, mit Mühe ans Ufer gelangend. Es war Jean d'Orléans. Man hatte seit Stunden von den Mauern der Stadt herab das Nahen des Heereszuges voller Erregung beobachtet. Jean d'Orléans hatte das Wagnis nicht gescheut, überzusetzen. Er wollte, er mußte die wunderbare Jungfrau grüßen. War dieser schlanke, silberne Ritter das gottgesandte Mädchen? Er war bereit, ihm die Hände zu küssen, seinen Segen zu erbitten. Wie lange hatten er und die Stadt auf sie gewattet! Aber Johanna fuhr wie eine zornige Siegesgöttin über ihn her: «Seid Ihr der Bastard von Orléans? Habt Ihr den Befehl gegeben, daß man von dieser Seite des Flusses komme und ich nicht geradewegs dorthin gelange, wo Talbot und die Engländer sind?» Die Antwort Jean d'Orléans' ist nicht bekannt, aber er muß zugegeben haben, daß man auf seinen Rat hin diesen Weg wählte. Wie hätte das kleine Heer auch ohne Vorbereitung den Ring der englischen Bastionen durchbrechen sollen? Johanna, die den Einzug in die Stadt, zwischen den Forts hindurch, als gefahrlos erklärt hatte, da Gott es wolle, brauste von neuem auf: «En nom Dieu» Der Rat unseres Herrn ist besser als der Eure! Ihr habt geglaubt, Ihr dürftet mich enttäuschen, aber Ihr selber werdet noch viel mehr enttäuscht sein, weil ich Euch die bessere Hilfe bringe, als sie jemals einem Ritter oder einer Stadt beschieden wurde, das ist die Hilfe des Königs im Himmel.» Johanna wollte dem Bastard wohl andeuten, daß sein Oberbefehl, jetzt, da sie die Hilfe des Himmels brachte, gar nicht festbegründet war. Jean d'Orléans hatte keine Zeit, beleidigt zu antworten, denn ein Jubelgeschrei brach durch die Nacht bis in das Zelt, in dem er sich mit Johanna und den Herren zu speisen anschickte. Der Wind hatte sich gewendet, er blies der Stadt entgegen! Ein Wunder war geschehen. Die Jungfrau vermochte den Winden und dem Wasser zu befehlen! Jean d'Orléans war hingerissen und überwältigt, und mit ihm die Söldner. Ein Engel vom Himmel war ihnen allen zur Hilfe gesandt. Er versprach Johanna, daß sie noch in dieser Nacht über den Fluß setzen und in dem Städtchen Chécy übernachten würde, in Sicherheit unter Frauen, wo sie sich der Rüstung entledigen könne. Morgen würde man in Orléans einziehen. Und die Truppe? Johanna wollte sich nicht von ihren Soldaten trennen. Was mochten La Hire, Gaucourt, Orléans im Sinne haben? Jean d'Orléans beruhigte sie. Die Truppen würden auf der Straße nach Blois zurückkehren und darin auf einem weiten Umweg von Norden her die Stadt erreichen. Die dreitausend Mann hatten ja nur den Lebensmittelzug schützen sollen. Johanna fügte sich widerstrebend und ließ sich von Jean d'Orléans über den Fluß setzen. Immer deutlicher mußte sie fühlen, daß die Herren ihr nicht blindlings folgten, und die Soldaten, die sie mit einem Lächeln zu lenken wußte, hielt man von ihr fern. Aber die Heerführer rechneten nicht mit ihrer Willenskraft und ihrem Gottvertrauen. Der 29. April des Jahres 1429 war gekommen, der Tag, an dem Frankreichs Schicksal sich wenden sollte, der Tag, an dem der letzte Akt des langen, langen Krieges begann. Johanna wußte ahnend um ihre Aufgabe in diesem Leben; in ihren Gedanken gab es schon <ein Frankreich>, das Lieblingsland Gottes, die Erbschaft des Dauphin. Es gab nur eine Krone Frankreichs, nur ein Gefäß mit heiligem Öl, von einer Taube vor Jahrhunderten zur Erde gebracht, es gab nur eine Kathedrale, die würdig war, die Gottesgabe zu bewahren, die Kathedrale von Reims. Hier wartete der König des Himmels auf seinen <Lieutenant, Charles VII.)
Aber Orléans mußte entsetzt werden, damit der Weg frei wurde, auf dem sie mit ihrer heiligen Standarte dem Dauphin voran in die Krönungsstadt reiten würde. Der Morgen begann bei strahlender Sonne. Auf, auf! Ohne Zögern nach Orléans! Aber Stunden vergingen, bis die adligen Herren die mitgeführten Prachtgewänder über die Rüstung angelegt hatten, bis die Pferde mit den wappengeschmückten Schabracken bis an die Hufe bedeckt waren. Die Herolde, die Pagen, die Standartenträger mußten gekleidet sein, als begleiteten sie den König. Johanna erhielt für den Einzug ein weißes Pferd; sie trug keinen Waffenrock über der Rüstung, auch ihr Roß war unbedeckt, nur das Schwert Karl Martells hielt sie in der Hand. Lieber als das Schwert hätte sie ihre Standarte getragen, denn, so sagte sie zum Bastard von Orléans, viel hundertmal lieber sei ihr die Standarte mit dem Namen des Herrn als das Schwert, wolle sie doch den Truppen Gottes Hilfe bringen, aber niemanden töten. Auch hier hatte sie sich fügen müssen. Doch war sie von strahlender Heiterkeit, als die Kalvalkade sich in Bewegung setzte. Jean d'Orléans verhehlte seine Zuneigung zu Johanna nicht, die trotz ihres wundersamen Beginnens ein Mensch von beglückender Einfachheit war. Nie kehrte sie ein Heiligenwesen hervor, sie wehrte sich sogar scheu und bestürzt, wenn die Soldaten oder das Volk ihr als einer Heiligen huldigten. Der Nachmittag ging schon zu Ende, als die ersten Bürger Orléans' ihr entgegenströmten und in Huldigungsgeschrei ausbrachen. Je näher man der Stadt kam, desto größer wurde die Menschenmenge, und dann erklangen von ferne, hoch und tief, sämtliche Glocken der Stadt. Auf den Mauern konnte man ein Menschengedränge erkennen, und plötzlich, als diese Masse den Zug deutlich erblickte, erhob sich ein Jauchzen und Jubeln, wie man es noch nie vernommen hatte; die Stimmen hallten zu den Nahenden hin, aber auch über den Fluß zu den englischen Forts und «drückten sehr auf die Herzen der Engländer», so daß sie totenstill und wie gelähmt verharrten. Ungehindert erreichte die Jungfrau das Burgunder Tor. Es war acht Uhr abends. Mit Mühe hielten die Wächter den Durchgang frei, denn das Volk war wie von Sinnen. Es drängte sich so dicht um Johanna, daß sie nur Schritt für Schritt vorwärtskam. Jeder wollte sie berühren, sei es auch nur ihren Fuß, ihren Steigbügel, ihr Roß, um ihres Segens teilhaftig zu werden. Man pries sie mit überschwenglichen Worten, «noel, noel» rufend, man schrie ihr die Hoffnung der Stadt auf Befreiung entgegen; Flüche über die Engländer tönten dazwischen, jubelnder Dank für die Nahrung, die sie gebracht. Von der Kathedrale her näherte sich eine Prozession, laut singend, um den Lärm zu übertönen. Die Glocken wurden ohne Ende geschwungen, und alle starrten dieses junge, reine Antlitz unter dem Helm an, das wie erleuchtet war von der ersten großen Erfüllung der Prophezeiung, daß sie, die Jungfrau, dem französischen Volk angehören und ihm dienen sollte. Wie ein Engel vom Himmel erschien sie den Bürgern, die sich schon der Verzweiflung hingegeben hatten. Durch die ganze Stadt mußte Johanna ziehen, denn am gegenüberliegenden Tor hatte man für sie und ihr Gefolge beim Schatzmeister des Herzogs von Orléans Quartier gemacht. Es war dunkel geworden. Fackeln wurden angezündet. Die Rüstung der Jungfrau glühte auf wie Rosen; einem lebenden Heiligenbild gleich, zog sie, über die Köpfe der Menge erhoben, in dieser Prozession eines grenzenlosen Jubels dahin. Die Nacht umfing Johanna, als sie endlich im gastlichen Hause aufatmen konnte und Jean d'Orléans, La Hire, Xaintrailles, de Retz, Raoul de Gaucourt, andere Heerführer und der Bürgermeister der Stadt sich verabschiedet hatten. Die Türen ihres SchLtfgemaches schlossen sich hinter ihr; Haushofmeister, Page, Stallmeister waren fortgeschickt. Da ließ Johanna sich von den Frauen entkleiden und in ein langes Gewand hüllen. Sie hätte gern bei ihrem lieben Jean Paquerel im Gebet Ruhe gefunden, aber er war auf ihren Befehl mit den Truppen nach Blois zurückgeritten, damit er dafür sorge, daß ihr die Söldner unverzüglich nachgesandt würden. Viel war auf das junge Wesen, das noch vor einem Jahr im Frühling das erwachende Leben in Dorf und Ställen, in Wiesen und Wäldern als ein Bauernkind geteilt hatte, eingestürmt. Man nannte sie die Retterin Frankreichs - aber das Größte, die Schlacht um Orléans, stand noch bevor. Den ganzen Tag hatte Johanna Speise und Trank verweigert. Jetzt stand sie an einem schön gedeckten Tisch; sie wollte sich nicht niedersetzen, sosehr die gute Wirtin sie auch drängte. Nur einen goldenen Becher mit Wein nahm sie entgegen und ein wenig weißes Brot, wie es für Fürstentafeln gebacken wurde. Dann schickte sie auch die Frauen fort und blieb allein mit sich selber und ihrem heiligen Geheimnis. Johanna erwachte am Morgen des dreißigsten April 1429 in all ihrer siebzehnjährigen Frische und bäuerlichen Zähigkeit. In Unkenntnis der langwierigen Vorbereitungen zu einem Ausfall aus der Stadt und zu einem Angriff auf die Forts der Engländer, verlangte es sie noch heute nach Taten. Sie wußte, daß die Heerführer zusammensaßen und berieten, doch sie war nicht geholt worden! Man wünschte dieses Mädchen, das man gern das Idol des Volkes sein ließ, nicht bei den Kriegsberatungen. Einer der getreusten Gefährten des Bastard, der Sieur de Gamaches, geriet in helle Wut, als sein Kriegskamerad von Johannas göttlichen Eingebungen sprach. Er nannte sie verächtlich «une pétronelle» «une fille» im abschätzigsten Sinne; niemals würde er sich ihrem Kommando unterstellen. Und als Jean d'Orléans ihm widersprach, riß er sein Banner von der Stange, warf es zu Boden und schwur, dem König erst dann wieder dienen zu wollen, wenn das Mädchen vertrieben sei.* (* In Jollois: Histoire du siège d'Orléans und >im zweiten Prozeß< erzählt.)
Jean d'Orléans vermochte den empörten Ritter nur mit Mühe zurückzuhalten. Doch war der Sieur de Garnaches nicht der einzige, der eine heillose Wut auf das junge Ding aus dem Volke hatte, das die ganze Stadt verrückt machte und sich anmaßte, Angriffe auszuführen, die bestimmt in einer Niederlage, in Plünderung der Häuser und Vernichtung der Bevölkerung enden mußten. Johanna beredete sich indessen unter vier Augen mit Jean d'Orléans. Er müsse nach Blois reiten, ihre Truppen holen, in Eilmärschen. Der Bastard, der ihren mystischen Einfluß auf das Heer nicht bezweifelte, versprach ihr, sich am nächsten Tag auf den Weg zu machen. Er war ein idealistischer junger Mann und ein Ritter nach der alten Art, wie sie vor dreihundert Jahren, gläubig und den Frauen dienend, von Land zu Land gezogen waren. Ganz anders die Männer, die diese kriegerische Verknüpfung zu entwirren versuchten; sie dachten sehr nüchtern. Wenn man die Akten über die Waffenstillstands- und Friedensbemühungen zwischen Karl VII., Burgund und Bedford aus den Jahren 1429 und 1430 durchblättert - sie sind alle gedruckt und der Forschung zugänglich - so findet man den Namen Jeanne d'Arc oder <la Pucelle d'Orléans> in keinem der Dokumente; die hohe Politik übersah ihre Existenz. Man duldete sie als den befeuernden Engel für Soldaten und Volk, man feierte sie, wenn es nötig war, oder man ärgerte sich über sie und hielt sie dem Wirken der regierenden Herren fern, überzeugt, daß Einzelwesen, die aus der Norm fallen, wohl die eine oder die andere große Tat vollbringen können, aber die Evolution der Zeit, die Grundwellen der Geschichte niemals zu beeinflussen vermögen.
Jeanne d'Arc war sich der natürlichen Beschränkung ihrer Macht nicht bewußt; zu ihrem Heil mußte sie glauben, daß sie das Steuer der Ereignisse in der Hand hielt und es herumzuwerfen imstande war, anders hätte sie niemals das Außerordentliche, das ihr, wie sie glaubte, aufgetragen war, ausführen können. Am dritten Mai 1429 kam beim letzten Abendlicht die ersehnte Nachricht, daß die Truppe aus Blois im Anrücken sei. Zuerst hätten die Türmer nur eine Staubwolke entdeckt, aber dann seien die letzten Sonnenstrahlen auf Panzer und Waffen erglüht. Die Bürger von Orléans und die Besatzung gerieten abermals in unbändige Erregung. Würden die Engländer sich auf die Nahenden stürzen? Stand eine Schlacht bevor? Scharen von Männern und Frauen kletterten auf die Mauern der Stadt und lauschten zu den Bastionen hinüber. Nichts rührte sich. Der Vollmond stand über der Loire, die wie ein silberner Gürtel die drohenden Forts und das stille, weithingebreitete Land umschlang. Niemand ging zur Ruhe. Die Truppe kampierte in der Entfernung eines Couleuvrinenschusses.** (**Couleuvrine oder Coulevrine - langrohriges Feldgeschütz, das 1429 in Orléans Verwendung fand.)
Als dann die Türmer beim Erlöschen des Morgensterns und dem Aufdämmern des ersten goldenen Tagesscheines am Horizont das Ende der Nacht verkündeten, hieß es, der Heereszug sei der Stadt schon nahe. Man hatte Johanna die gute Meldung gebracht. Sie ließ sich rüsten - wie langsam ihr guter d'Aulon war - dann stürmte sie ihren Soldaten mit fünfhundert Mann entgegen. Die weiße Standarte hatte sich im Morgenwind breit über ihr entfaltet, ihre Rüstung leuchtete in den ersten Sonnenstrahlen auf, als sei sie unter ihrem Feldzeichen <Jesus, Maria> vom Himmel herniedergestiegen. Alle Männer, die ihr folgten, und alle, die ihr, von Jean Paquerel und singenden Priestern geführt, entgegenzogen, waren wie von der Erde gehoben in ihrer frenetischen Begeisterung; sie wären ihr in die Hölle gefolgt, um den Fürsten der Finsternis zu erschlagen. Man lechzte danach, daß die Engländer hervorbrächen; aber sie rührten sich nicht wie in all diesen Tagen seit dem Einzug der Jungfrau in Orléans. Manche Engländer mochten denken, sie sei von Gott gesandt, die meisten jedoch schworen, sie stünde mit dem Teufel im Bunde. Aber wie auch immer: «Sie kann uns verderben», hieß es, denn «sie und jeder einzelne ihrer Soldaten ist <fest> gegen Pfeile und Kugeln.» Nachdem die Mannschaft in der Stadt untergebracht war, hielten die französischen Heerführer eine geheime Beratung ab, wiederum ohne Johanna. Da rief sie Jean d'Orléans zu sich, um zu erfahren, was man plane. Aber Orléans wußte nichts; man berate erst über die Lage, denn Nachricht sei durch die Späher gekommen, Sir John Fastolf wäre mit einem starken Heer unterwegs. Talbot schien seine Ankunft abwarten zu wollen. Johanna, die schon viel Unentschlossenheit erlebt hatte, zitterte, daß man die Gelegenheit, die Engländer anzugreifen, da sie noch gering an der Zahl waren, ungenützt vorübergehen lasse. Selbst wenn Fastolf jetzt einträfe, wollte sie einen Ausfall wagen. Der Bastard scheint versucht zu haben, sie mit Ausflüchten zu beschwichtigen, aber Johanna war kein <Bauernmädchen>, sie war ein Wesen außerhalb der gewohnten Menschenart; die Intuition sagte ihr, was sie zu tun hatte. Wenn sie auch keine gewiegte Heerführerin war, so war sie doch ein genialer Mensch, der unbeirrt und sicher seiner selbst der inneren Stimme folgte. «Bastard, Bastard», rief sie ihrem militärischen Gefährten zu, «en nom Dieu, ich befehle dir, es mich wissen zu lassen, sobald du die Ankunft Fastolfs erfährst. Wenn er durchschlüpft, ohne daß du es mir berichtetest, so lasse ich dir den Kopf abschlagen, du kannst dich darauf verlassen!»
Diese Drohung, die im Scherz gemeint war - denn Johanna hat nicht einmal erlaubt, gefangene Engländer zu töten zeigt ihr unbefangen-menschliches Verhältnis zu den fürstlichen Herren und Heerführern. Der Tag hatte früh begonnen; Johanna zog sich in ihr Zimmer zurück, um zu schlafen. Aber kaum waren ihr die Augen zugefallen, als sie laute Stimmen von der Straße hörte und ein Geschrei, der Kampf mit den Engländern sei entbrannt und das Blut der Bürger fließe vor dem Tor. Vier oder fünf Zeugen erzählen von dieser Szene, jeder ein wenig anders; aber daß Johanna aufsprang, zornig nach ihrer Rüstung rief, ihr Roß zu bringen befahl, ihren Hofstaat aufjagte, wird von jedem berichtet. Jean d'Aulon, der zu Johannas ergebenstem Freund geworden, legte ihr die Rüstung an; bedenkt man, wie viele Schnallen und Riemchen, Extrastücke und Gürtel zu befestigen waren, und daß Johanna in höchster Ungeduld war, so kann man sich die zitternden Finger des Ritters vorstellen und Johannas antreibende Worte. Endlich konnte sie die Treppe hinuntereilen; sie schrie ihren kleinen Pagen an, warum er sie nicht geweckt habe. Ah, die Standarten «Lauf hinauf, reiche sie mir durch das Fenster hinunter!» Sie schwang sich auf ihr Pferd - der Knabe tat, wie ihm befohlen - und sie jagte davon, daß die Funken von den Steinen sprühten. Schon rannten ihr Flüchtende entgegen; sie rief ihnen zu, umzukehren. Sie gehorchten. Der Kampf tobte um die Bastille Saint-Loup östlich der Stadt. Gleich außerhalb des Burgunder Tores riß Johanna ihr Roß zurück; es stand. Blutende Verwundete wurden an ihr vorbeigetragen; sie erschrak. Französisches Blut wurde vergossen, und sie war nicht dabei, um die Ihren zu schützen. Jean d'Aulon und der Bastard hatten sie eingeholt. «Hinaus, sie kämpfen!» Bewaffnete Bürger liefen hinter ihr drein, immer mehr kamen gerannt, Johanna blieb an ihrer Spitze. Die Soldaten, die draußen zu wanken begannen, begrüßten die Jungfrau mit Jubelgeschrei; sie sprengte mitten unter sie. Einmal war sie hier, dann dort, sie schien zu fliegen. Das Schwert zog sie nicht, doch hielt sie ihr Banner hoch, daß sein Tuch wie eine helle Wolke über ihr und den nächsten schwebte, wie Schutz des Himmels ging es von den heiligen Zeichen aus. Im Namen Jesu und Mariä gab es keine Niederlage! Die gesamte Menschenmenge, die Johanna führte, drängte in elementarer Kampfeslust voran. Der Widerstand der Engländer erlahmte; ein Grauen packte die Soldaten - Wer durfte gegen den Himmel kämpfen? Oder kämpften sie gegen die Hölle? Talbot, der seine Leute wie versteinert sah, fand keine andere Möglichkeit, als sie zurückzunehmen. Wütend mußte er der Jungfrau die Bastille Saint-Loup überlassen. Johannas erster Sieg. Ruhe, Stille. Erschüttert, mit gesenkter Standarte, blickte sie von ihrem Pferd auf das Schlachtfeld. Sie sah die Toten und hörte die Verwundeten schreien. Da konnte sie die Tränen nicht zurückhalten. Im Triumph brachte man ihr die Gefangenen; sie wußte, wie bestialisch ihre Armagnaken, diese (Schinder), die <Goddams> foltern und abschlachten würden. Da schrie sie den Männern zu «Alle Gefangenen stehen unter meinem Schutz, bringt sie in den Hof meines Quartiers.» Im weiteren ließ sie mit Trompetenschall verkünden, daß bei Todesstrafe die Kirche des eroberten Forts nicht geplündert werden dürfe. Das war eine Stimme, die man noch nie auf den Schlachtfeldern gehört hatte. Die Chronisten schweigen darüber, was mit den Verwundeten geschah, aber auch diese wird Johanna nicht haben verenden lassen. Am nächsten Tag war das Himmelfahrtsfest. Die Jungfrau erklärte, sie wolle in der Mitte ihrer Leute die Messe hören, beichten, kommunizieren, und viele Gebete sollten gen Himmel steigen für die Toten, die ohne letzte Wegzehrung dahingefahren waren. Die Kathedrale faßte die Menschen nicht, die in Dankbarkeit knieten, wo sie noch vor kurzem in Verzweiflung auf den Fliesen gelegen waren. Die Stadt war noch nicht befreit, und doch stieg das Te Deum wie ein Jubelgeschrei in das hohe Gewölbe hinauf. Von diesem Himmelfahrtstage an schufen die religiöse und die nationale Ekstase eine neue, nie empfundene Begeisterung für alles französische Land; und eine Liebe zu dem schönen, mutigen, jungen Weib, wie sie sonst nur den Heiligen im Himmel gilt, erhob sich zu einer Woge des Gefühls, die riesenhaft, alles mitreißend, Tausende von verzagten Männern in Helden verwandelte. Gott, Frankreich, Jehanne la Pucelle, das war das Dreigestirn, das strahlend über dem fast verlorenen Lande aufgegangen war.

14. Kapitel

In England, wo Henry Beaufort, Bischof von Winchester, mit Klugheit regierte, hörten Hof und Parlamerit - ungläubig und zu Spott geneigt - vom Auftreten einer <Kuhmagd>, die vom Teufel besessen sei und Besatzung und Bürger von Orléans zu einem gewissen Widerstand, sogar zu Ausfällen hingerissen habe. Die meisten der Herren waren geneigt, die merkwürdige Erscheinung als einen unbedeutenden Auswuchs dieses verworrenen Krieges anzusehen, aber Winchester kannte die Menschen, vor allem <die Masse Mensch>. Wenn die Franzosen, wie man ihm erzählt hatte, an eine Gottgesandte zu glauben begannen, so konnte im Handumdrehen das ganze Land mitgerissen werden. Man müsse dem Regenten Bedford Truppen schicken, noch einmal und immer noch einmal. Das Parlament brummte, es sei kein Geld in der Staatskasse, man dürfe das Volk nicht noch weiter auspressen! Winchester, selbst unermeßlich reich, schob die Einwände beiseite; er wolle persönlich die Aufstellung einer Armee finanzieren, wie er es bereits früher getan habe. Jetzt, wenn überhaupt, war eine starke Kriegsmacht auf dem Kontinent vonnöten. Nicht nur, um das französische Volk, das auf der Schwelle zu einer allgemeinen Erhebung zu stehen scheine, im Zaume zu halten, sondern auch um Philipp von Burgund, den Verbündeten, am Abfall von der englischen Sache zu hindern. Dessen Volk spreche französisch, er selber sei vom königlichen Blut der Valois. Allerdings sei er der Schwager Bedfords, des englischen Regenten in Frankreich, aber was wiege eine Heiratsverbindung gegen die Blutsverwandtschaft? Eine einzige Schwäche Englands, und Philipp der Gute könne hinüberschwenken zur Partei seines Vetters, des Sogenannten Dauphin. Ein anderer wichtiger Punkt in den Überlegungen Winchesters, dem weder Rat noch Parlament zu widersprechen vermochten, war die neue Verbrüderung Schottlands mit Frankreich. Seit dem November 1428 war es bekannt, daß der älteste Sohn Karls VII. - wie dieser Bastardkönig sich fälschlich nannte - der kleine Ludwig, mit dem Kind Margarethe, der Tochter Jakobs I. von Schottland, verlobt worden war und daß zur Bekrönung des Heiratsvertrages schottische Truppen nach Frankreich abgesandt werden sollten, wogegen Karl dem Schwiegervater seines Sohnes bedeutende Gebiete in seinem Königreich - die er erst in seinen Besitz bringen mußte - abzutreten versprach. Noch waren die schottischen Truppen nicht eirigeschifft, noch konnte England in diesem Wettlauf um die Vorrnachtstellung in Frankreich vor den anderen eine Armee auf dem Kontinent bereitstellen. Nur dann durfte man es in dem aufgewühlten Frankreich wagen, Heinrich VI., den siebenjährigen König zweier Länder, in Reims salben und krönen zu lassen. So wurde beschlossen, die kindliche Majestät zu John of Bedford nach Paris in den Louvre, das königliche Schloß, zu schicken. Der Regent Bedford stimmte seinem Oheim zu, doch schlug er vor, lieber in der sicheren Normandie, in Rouen, einen Hof für den kleinen König einzurichten. Mit der Salbung in Reims eile es nicht so sehr; von der frommen Begeisterung des Pöbels sei vorläufig nichts zu fürchten, und der Dauphin werde auf keinen Fall Heinrich VI. zuvorkommen, denn Karl könne nicht in die Krönungsstadt einziehen, da Burgund ja eine Kette französischer Städte besetzt halte, die den undisziplinierten Scharen der Armagnaken leicht standhielten; es lägen auch englische Besatzungstruppen in diesen Städten. Der <Roi de Bourges> werde südlich der Loire bleiben müssen, und noch so viele Teufelsbotinnen könnten ihn nicht an Auxerre, Troyes und Châlons vorbeiführen. Von Herzog Philipp von Burgund dürfe man aber kein Auge lassen, schrieb Winchester warriend nach Paris. Auch Bedford wußte nur zu gut, daß Karl alles tat, um Philipp zu versöhnen und zurückzugewinnen. Man müsse sich den Herzog über kurz oder lang durch eine besondere Vergünstigung, vielleicht mit der Vormacht über Paris, neu verpflichten. Die politischen Fäden, die herüber und hinüber, die kreuz und quer gesponnen wurden, blieben den Augen des Volkes verborgen, aber das Gerücht von einer bevorstehenden Krönung des kleinen Heinrich von England, der sich nach der Salbung Heinrich I. von Frankreich nennen würde, flog durch das ganze Land und drang auch hinter die Mauern von Orléans. Jetzt wuchs Johannas Ungeduld, entscheidende Ausfälle zu wagen, nur noch an. Sechs Wochen hatte man verlorene bis sie endlich in Orléans hatte einziehen dürfen. Die Eroberung des Forts Saint-Loup im Osten der Stadt war keine große Tat gewesen; immerhin war nun einer der besten Wege für die Verproviantierung freigelegt. Aber man sollte in diese Kerbe hauen, es mußten Taten geschehen, Siege errungen werden. Sie war doch gesandt, um Orléans zu befreien. In ihrer Unrast begann Johanna, damit nur irgendetwas geschah, Briefe an die Engländer am jenseitigen Ufer der Loire zu schreiben, sie sollten abziehen, bevor sie alle des Todes sterben müßten. Das Volk, das immer um sie war und jeden Schritt und jedes Wort verfolgte, sah erst den einen Herold und am nächsten Tag den zweiten über den Fluß setzen. Nur der zweite kehrte zurück, beladen mit Beleidigungen. Entgegen der geheiligten Kriegssitte hatte man den ersten gefangengesetzt. Empört diktierte Johanna einen dritten Brief, in dem es hieß:

«Vous hommes d'Angleterre qui n'avez
aucun droit en ce royonie de France,
le Roi du Ciel vous mande et ordonne
par moi, Jehanne la Pucelle, que
guerpissiez vos bastilles et retourniez en
votre pays. Sinon je ferai de vous un tel
hahu qu'il y en aura perpétuelle mémoire.
Je vous aurais mandé ma lettre plus
honnétement, mais vous retenez mes héraults.
Vous avez retenu mon hérault
appelé Guyenne. Veuillez me le rendre,
et je vous enverrai quelques-uns de vos
gens pris à la bastille de Saint-Loup,
parce qu'ils ne sont pas tous morts*.»

(* »Ihr Männer aus England, die Ihr gar kein Anrecht auf dieses Königreich Frankreich habt, der König des Himmels fordert Euch auf und befiehlt Euch durch mich, Jehanne la Pucelle, daß Ihr Eure Bastillen schleift und in Euer Land heimkehrt. Wenn nicht, so mache ich aus Euch einen solchen >hahu<, daß man sich ewig daran erinnern wird, Ich hätte Euch meinen Brief förmlicher überreichen lassen, aber Ihr habt meinen Herold, genannt Guyenne, zurückbehalten. Schickt ihn mir zurück, und ich übergebe Euch einige Eurer Leute, die man an der Bastille Saint-Loup gefangengenommen hat, denn es sind nicht alle gefallen.«)

Dieser dritte Brief wurde an einem Pfeil befestigt und zu den <Goddams> hinübergeschossen. Es erhob sich jenseits des Flusses ein wildes Hohngeschrei. Da lief Johanna auf die Brücke, bis dorthin, wo sie eingestürzt war, und schrie zu Sir William Glasdale hinüber, er solle abziehen, er habe hier nichts zu suchen. Nur Beschimpfungen tönten zurück, als sei sie das letzte der lasterhaften Soldatenweiber. Johanna zog sich zurück, ihr liefen die Tränen über die Wangen. Warurn wollten die Feinde nicht hören? Jetzt mußten sie besiegt und getötet werden, und französisches Blut würde vergossen werden. Sie war ein Menschenkind, das den Frieden, das Leben, das Glück des Alltags für das geplagte französische Volk herbeiführen wollte - sofern es möglich war, ohne Blutvergießen. Johanna schwebte in einem erträumten Himmel. Zu Johannas Erleichterung faßte der Kriegsrat in den ersten Tagen des Mai große Beschlüsse. Als man sie endlich rief, damit sie höre, was beabsichtigt sei, nämlich ein Scheinangriff auf das Fort Saint-Laurent im Westen der Stadt, um die Engländer von ihren Bastillen südlich der Loire fortzulocken sagte Johanna den Herren auf den Kopf zu, das sei nicht alles, man verheimliche ihr größere Pläne. Wie Chartier im zweiten Prozeß erzählt, soll Johanna zornig im Raume auf- und niedergegangen sein. Die Führer wären verblüfft gewesen. Das Mädchen <wisse> alles. Jean d'Orléans gab in seiner höflichen und freundlichen Art zu, daß man nach dem Scheinangriff das ungeschützte Fort SaintJean-le-Blanc, südöstlich der Loire, zu nehmen gedenke. «Johanna, zürne nicht», sagte er versöhnlich. Darauf erklärte die Pucelle gnädig ihr Einverständnis. Am sechsten Mai 1429 wurde jedoch ganz anders gehandelt, als es beschlossen worden war. Der Scheinangriff auf Saint Laurent wurde nicht ausgeführt, und die Bastille Saint-Jean-le-Blanc wurde von den Engländern geräumt und niedergebrannt, als sie gewahrten, daß die Franzosen unter Gaucourt und d'Aulon über den Fluß setzten. Jetzt, nach dieser Verkürzung der Front, besaß die Bastille-des-Augustins, Orldans gegenüber, eine verstärkte englische Besatzung. Diese Vorgänge hatten sich in wenigen Morgenstunden abgespielt. D'Aulon und de Gaucourt beschlossen, mit ihrer Truppe nach Orléans zurückzukehren. In diesem kritischen Augenblick brauste Johanna zu Pferd, begleitet von La Hire, daher. Sie sahen die Entmutigung der Ihren, sie sahen die Engländer von der Bastille-des-Augustins in Scharen herandrängen.Da legten Johanna und La Hire ihre Lanzen ein und jagten den Engländern entgegen, sofort schlossen sich ihnen Xaintrailles und de Retz an. D'Aulon und ein Spanier, Alfonso de Partada, die den Rückzug decken sollten, waren wütend über die Rolle, die ihnen aufgedrängt worden war. Rückzug, während die Gottgesandte vorwärtsstürmte? Schon lösten sich einige Tapfere vom Rückzug los. Noch versuchte d'Aulon, seinem Befehl zu gehorchen, Hauptleute und Söldner vom Kampfe fernzuhalten, aber dann riß es ihn und den Spanier in das Scharmützel. Befehl hin oder her, was ging es sie an.
Die Jungfrau kämpfte, also kämpften sie auch, ihr konnten nur Sieg und Triumph zufallen. D'Aulon sah an der Spitze der Engländer einen großen, starken Krieger; da rief er Maitre Jean, der mit seiner Couleuvrine auch auf das südliche Ufer übergesetzt war, zu, er solle den Engländer niederschießen. Maitre Jean zielte, schoß, und der eine Engländer wurde von der einen Kanonenkugel aus dem Wege geräumt. Es waren wieder wie in vergangenen Zeiten die Taten Einzelner, die der dumpf dreinhauenden Soldatenmenge den Sieg brachten; die Engländer wichen in abergläubischem Schrecken zurück, taub für die wütenden Befehle ihrer Kommandanten, und die Bastille-des-Augustins wurde erobert. Von Gefallenen wird nicht gesprochen. Die Engländer hatten sich in die Tourelles geflüchtet, in die beiden stark befestigten Türme am Südende der halbzerstörten Brücke zwischen Orléans und dem englisch-besetzten Ufer der Loire. Es war Abend geworden; Johanna beschloß, bei den kampierenden Truppen zu übernachten, da man ja morgen, am siebenten Mai, die Tourelles zu nehmen gedachte. Der Bastard von Orléans, La Hire, de Gaucourt, Xaintrailles und d'Aulon schifften sich ein, um in der Stadt ihr Quartier aufzusuchen. Mit Mühe überredeten sie Johanna, sich ihnen anzuschließen. Nur wegen eines Pfeilschusses, der sie am Fuß verwundet hatte, gab sie nach und verließ die Truppen. Die Jungfrau kehrte zu ihren freundlichen Wirten zurück, aß ein wenig, trank einen Schluck Wein und wollte zur Ruhe gehen. Da tritt einer der Herren vorn Kriegsrat bei ihr ein; seine Botschaft war kurz und hart: Morgen wird nicht gekämpft, die Truppen werden in die Stadt zurückgenommen, man gedenkt, die Verstärkung, die der Dauphin zu senden versprach, abzuwarten. Warten? Warten, obwohl man wußte, daß Sir John Fastolf jeden Tag mit Heeresmacht zu Talbot stoßen konnte? «Ihr wart in Eurer Versammlung», sagte Johanna erregt, «und ich in der meinen. Ihr könnt Euch darauf verlassen, meine Räte haben Gutes beschlossen, und ihr Rat wird befolgt werden! Eurer wird in Nichts zerrinnen!» Dem Abgesandten des Kriegsrates stand vermutlich der Mund offen vor Verblüffung. Jean Paquerel, der Beichtvater Johannas, war bei dieser Unterredung anwesend und hat später zu Protokoll gegeben, daß die Jungfrau prophetisch ausgerufen habe, sich zu ihm, Paquerel, wendend. «Weckt mich morgen bei Tagesanbruch, Ihr müßt immer neben mir bleiben, denn es wird viel Arbeit für mich geben.» Und mit einem Seufzer des Schreckens: «Ein Pfeil wird mich treffen, oberhalb der linken Brust.» Die Heerführer, erzürnt über Johannas Eigenwilligkeit in Dingen, die sie, nach ihrer Ansicht, nicht verstand, ließen sich von dem Beschluß der Jungfrau nicht beirren. Wie sehr unterschätzten sie die elementare Macht, die inJohannas Popularität lag! Sie unterschätzten aber auch den Erfolg, den Mut und Raschheit bringen. Nein, es würde morgen nicht gekämpft werden, die Jungfrau mochte prophezeien, so viel sie wollte. Der Sire de Gaucourt erhielt den Auftrag, das Burgunder Tor verschlossen zu halten und es mit Bewaffneten gegen Johanna und ihre hitzige Gefolgschaft zu verwahren. Johanna erhob sich am nächsten Tag, den siebenten Mai 1429, vor Sonnenaufgang; sie wollte den Befreiungskampf fortsetzen, und sie würde es tun! Nachdem sie Jean Paquerel gebeichtet und mit ihm gebetet hatte, versuchten der Schatzmeister Milet und seine Frau Colette sie zurückzuhalten. Man hätte in der Nacht Fische gefangen, ein schöner, großer sei für Johanna gebacken worden. «Behaltet den Fisch bis heute abend, dann habe ich die Toureues genommen; ich bringe Euch einen Goddam mit, der seinen Teil davon essen soll», rief Johanna <gaiement>, vergnügt, aus, wie die Dame Colette später berichtete. Die Jungfrau habe nicht an dem Siegestag, der vor ihr lag, gezweifelt. Ohne einen der Heerführer zu benachrichtigen, sprengte sie zum Burgunder Tor. Aus allen Gassen strömten ihr bewaffnete Bürger zu, die Johannas Ungeduld teilten. Als man das Tor erreichte, waren Tausende von kampfesgierigen Männern um sie. Gott hatte der Stadt Orléans die Jungfrau gesandt, sie wollte kämpfen; aber die großen Herren schliefen und dachten an keinen Ausfall. Mochten sie schlafen! Johanna und die Menge war am Tor angelangt. Das Tor! Ein Schrei der Wut: es war verschlossen! Bewaffnete standen davor, und der Sire de Gaucourt rief der Jungfrau spöttisch zu, er habe Befehl, das Tor nicht zu öffnen. Johanna rief einen Gegenbefehl laut über die Köpfe ihrer Gefolgschaft dem Sire de Gaucourt zu: «Öffnet das Tor!» «Nein!» Johannas Männer drängten sich in den Torbogen hinein, sie schrien, sie drohten; Gaucourts Leute, fast erdrückt, wichen zur Seite. Ihr Führer, wütend über den Widerstand, den er fand, brüllte den Bewaffneten zu, das Tor zu halten. Johanna schrie ihm ins Gesicht: «Ihr seid ein schlechter Mensch! Aber ob Ihr wollt oder nicht, meine Bewaffneten kommen durch.» Gaucourt hörte ihre Worte wohl kaum, denn mehrere Bürger drangen mit ihren Waffen auf ihn ein, er sah seinen Tod voraus. Die Menge heulte und tobte um ihn her. Schon war die Wache zu Johanna übergegangen. Ein Krachen, ein Bersten, das schwere hölzerne Tor war eingedrückt und gleich danach die Seitenpforte auch. Wie ein Strom, der einen Damm durchbrochen, wälzte sich die jubelnde Menge zur Stadt hinaus, in ihrer Mitte Johannas silberne Gestalt unter der weißen Standarte. Man sprang in die Boote, die bereit lagen, und nun hinüber zum andern Ufer, wo die französischen Truppen die Nacht über kampiert hatten. Die aufgehende Sonne warf ihr Licht auf das bewegte Wasser, auf die Befreierin Orléans' und die tapferen Bürger der Stadt - ein strahlender Maientag. Um sieben Uhr begann der Kampf um die Tourelles. La Hire, Jean d'Orléans, Xaintrailles, Florent d'Illiers, der Sieur de Guitry und alle übrigen Heerführer hatten wohl oder übel Johanna nacheilen müssen; immer noch sagten sie eine furchtbare Niederlage voraus. Aber Johannas nächste Gefolgschaft legte Leitern an die Außenmauern der <Boulevarts> und kletterte aufwärts, obgleich die Engländer sie mit der bloßen Faust in den Graben hinunterstießen und mit Streitäxten, Lanzen, Pfeilen, Messern immer wieder vertrieben. Die Stunden vergingen; Johanna war stets in den vordersten Reihen, aber der Mut der Bürger und der Soldaten sank zusammen wie ein Strohfeuer. Da sprang Johanna vom Pferd, kletterte in den Graben hinunter, packte eine umgestürzte Leiter, ließ sie an die Mauer legen und stieg furchtlos unter einem Regen von Pfeilen aufwärts. Die Soldaten, neu befeuert, ihr nach. Da wankt Johanna auf der Leiter, der Pfeil, den sie prophezeit, hatte sie oberhalb der linken Brust getroffen und war tief ins Fleisch gedrungen; sie riß ihn selber heraus, vor Schmerzen laut aufschreiend. Blutend wollte sie weiterkämpfen, schon kletterten Engländer über die Mauer, um sie in der Verwirrung der Ihren gefangenzunehmen, aber da scharten sich die Franzosen um sie und vertrieben die Feinde. Der Sieur de Garnaches, ihr erbitterter Feind, der nicht unter ihr hatte kämpfen wollen, war hingerissen zu Bewunderung; er gab ihr sein Pferd und sorgte, daß sie in einem nahen Weinberg ausruhte. Diesseits und jenseits der Mauern der Tourelles wurde es für eine Weile still, denn es war Mittag, und Freund und Feind aß und trank, Fleisch und Wein, wie es sich gehörte. Einige Soldaten waren der Jungfrau gefolgt, sie sahen Johanna vor Schmerzen und Erschöpfung weinen; Blut sickerte durch den Panzer. Man nahm ihn ihr ab, und sogleich begannen einige Stimmen die uralten Worte der <Besprechung> einer Wunde zu murmeln, aber Johanna wollte nichts von diesen Zauberkünsten wissen. Man solle ihr ein wenig Öl bringen, die Wunde damit bestreichen und ihr den Panzer wieder anlegen. Es geschah, und dann verlangte sie, allein zu bleiben. Wie war es, als die Männer gegangen waren? Ein stiller Weinberg war um Johanna, wohl verwildert wegen der Kriegszeit. Aber die Reben, die zäh alles fremde Kraut verdrängten, zeigten die rosafarbenen Blättchen der jungen Schößlinge, von denen der Saft herniedertropfte. Dünne Schatten lagen auf dem Rasen. Johanna kniete an einer der kleinen Granittreppen und sprach mit ihren Heiligen; Worte, die den Glauben an ihre Mission, an ihre Lebensaufgabe umschlossen, erfüllt von jenem Glauben an sich selbst, der jeden willensstarken Menschen in der Stunde seiner Bewährung zum Außerordentlichen befähigt. Sie war bereit, in den Kampf zurückzukehren. Da hörte sie die Trompeten zum Rückzug blasen; der Bastard leitete die Schlacht. Sie springt auf, eilt zu ihm: «Wartet noch! Wir greifen von neuem an. Jean d'Orléans wollte ihr nicht gehorchen, aber Johannas Wiedererscheinen hatte unter den Soldaten schon das gesunkene Feuer der Begeisterung neu entfacht. Die Scharen der Söldner und ihre Führer wandten sich erneut zum Angriff auf die Mauern, doch die Eroberung der Tourelles schien über Menschenkraft zu gehen. Abends um acht Uhr, als die Franzosen dreizehn Stunden lang gekämpft hatten, versuchte Jean d'Orldans den Angriff nochmals abzubrechen. Johanna flehte ihn an, auszuhalten! Sie entreißt ihrem Pagen die Standarte, hebt sie hoch auf und ruft mit ihrer kräftigen, hellen Stimme, daß jedermann sie hört: «Sobald meine Standarte die Steine berührt, kommt Ihr hinüber.» Wie beflügelt läuft sie zur Mauer, senkt die Standarte, stößt gegen die Quadersteine und ruft den Nachdrängenden zu: «Jetzt hinüber. Alles gehört Euch!» In ekstatischer Raserei schiebt einer den anderen aufwärts, auf Leitern, auf vorspringenden Steinen. Die Engländer, wie in Trance versetzt von den Worten der Jungfrau, stehen wehrlos auf dem Boulevart, der hinter den Mauern die Türme schützt. Gegen Teufelswerk sind sie machtlos. Die Franzosen überspringen die Mauern, ein halber Widerstand begegnet ihnen, niemand weiß, was eigentlich geschieht; in unfaßlicher Eile sind die Türme genommen. Die Engländer fliehen auf die kleine Insel Saint-Antoine; aber die Bürger von Orléans hatten an diesem Tag die zerstörte Brücke, die hinüberführte, mit Leitern und Balken wieder aufgerichtet, ein schier unmögliches Unternehmen, aber es war ihnen geglückt. Die Engländer sehen sich von zwei Seiten angegriffen. Die unbewaffneten Bürger von Orléans, die von den Mauern aus Stunde um Stunde den Kampf verfolgt hatten, waren nun von der gleichen Raserei gepackt wie die Truppen vor den Tourelles. Sie strömen aus der Stadt, Hunderte, Tausende, schreiend, drohend, betend, jubelnd. Die Engländer in ihrer Verstörtheit sehen <Erscheinungen: Sankt Michael und die Schutzpatrone Orléans'>! Sie versuchen zu fliehen, denn eine ganze Welt von Menschen stürzt zu ihnen heran, sie rennen kopflos hierhin und dorthin, viele fallen zu Boden und werden zu Tode getrampelt. Glasdale, Suffolk und andere Führer versuchen, sich über ein schmales Holzbrücklein in das Innere der Türme zu flüchten. Johanna sieht, wie eben ein französisches Feuerboot die leichte Brücke erreicht - sie wird brennen, sie muß einstürzen! Da schreit sie dem Manne zu, der sie noch vor wenigen Tagen so schmählich beschimpft hat: «Glasidas, Glasidas (Glasdale), ren ty, ren ty (ergib dich)!» Aber schon brechen die dünnen Planken der Brücke unter dem schwerbewaffneten Mann, er stürzt in Feuer und Wasser. Bei den prasselnden Flammen, die nun auch die Tourelles ergreifen, ruft Johannas klagende Stimme nochmals zu dem brennend versinkenden Glasdale hinüber: «Ach, ich habe großes Mitleid mit deiner Seele.» Die Tourelles waren erobert. Die Verwundeten und fünfhundert Gefangene sowie die Bürger und die Soldaten wurden in Boote geladen, die noch manche Stunde zwischen der Stadt und dem südlichen Ufer der Loire hin- und herfahren mußten. Johanna saß neben Jean d'Orléans mit La Hire und de Retz im vordersten Boot. Das Wasser blutigot im Widerschein des Feuers. Aus dem südlichen Tor drängten die zurückgebliebenen Bürger, Greise, Frauen und Kinder unter Fackelschein zu den Landestegen hinunter. Wieder läuteten alle Glocken, und die Priester kamen Johanna entgegen, Orléans' geliebter Tochter. Von diesem 7. Mai 1429 an war ihr Name bei allem Volk <Die Jungfrau von Orléans>. Seit achtzehn Stunden hatte sie, ohne zu essen und zu trinken, für die Stadt gekämpft, sie war verwundet worden und hatte es nicht beachtet, um die Männer immer wieder zu neuem Kampfe anzufeuern. Berichte über den Sieg flogen sogleich in die Umgebung der Stadt hinaus und in den nächsten Tagen weiter und weiter in das ganze Land. An diesem späten Abend der Heimkehr hätten die Frauen die gottgesandte Jungfrau tragen mögen, ihre Wunden pflegen und sie zur Ruhe bringen, aber Johanna verlangte es, in der Kathedrale ein Dankgebet zu sprechen. Da gingen ihr die Priester voran, und das Volk strömte ihr in dichten Haufen nach. In der Kirche wurde ein Tedeum angestimmt; die jubelnden Stimmen erfüllten das hohe Gewölbe und den weiten, pfeilergetragenen Kirchenraum. Johanna war auf den Stufen des Altars niedergesunken, fassungslos schluchzend. Da weinten viele, viele mit ihr. Wie menschlich und gut war dieses Weinen der siebzehnjährigen Jungfrau nach dem schweren, erregenden Tag; sie hatte nicht leicht wie im Spiel gehandelt. Unter übermäßiger Anstrengung ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, wenn auch gestützt von ihrem Glauben an Gottes Willen, hatte sie das durch Monate Erhoffte, kaum noch Geglaubte, die Befreiung Orléans', vollbracht.
Ja, sie hatte gesiegt! Glänzender, als sie es in ihren Tränen der Erschöpfung wußte. Denn während sie nach Stunden endlich in tiefem Schlafe lag und die Stadt zur Ruhe kam, regten die geschlagenen Feinde während der ganzen Nacht, überstürzt und von Angst getrieben, die Hände, um sämtliche Bastillen zu räumen. Schon eine Stunde nach Mitternacht traf ein Herold in Chinon ein, der sein Roß fast zu Tode gejagt hatte, man müsse den König wecken, Orléans sei befreit! Karl war bei der guten Nachricht sogleich hellwach. Er ließ seine nächsten Räte zusammenrufen, und vor ihnen mußte der Herold die Eroberung der Tourelles, ja, die ganze Geschichte der Schlacht eines einzigen langen Tages, der Tapferkeit der Jungfrau und der Heerführer erzählen. Der Dauphin war wie außer sich vor Freude; er ging in jener Nacht nicht wieder zu Bett, denn sogleich mußten seine Schreiber kommen, damit er ihnen in Briefen an seine Städte südlich der Loire, an seine Gattin Marie und die Herzogin Yolanda die Siegesbotschaft und die Heldentaten der Jungfrau diktiere.
Auch die Briefe, die er in den nächsten Tagen nach seinen Worten schreiben ließ, sind zum Teil erhalten*; (* Der Brief an die Stadt Narbonne ist wiedergegeben in Quicherat: Prozesse, Band I.) sie sprechen viel von der Hilfe Gottes: die Berichte aber, die von Mund zu Mund weiterflogen, wurden immer mehr mit Wundertaten der Pucelle ausgeschmückt; sie war die gottgesandte Jungfrau, durch sie war die Verheißung, die seit Jahrzehnten Volk und Fürsten bekannt war, erfüllt. Ein Mädchen aus dem Bois Chesnu hatte gut gemacht, was eine Frau an Frankreich gesündigt hatte.