Johanna

10., 11., 12. Kapitel

  Die Bedrohung von Orléans war seit langem in aller Munde und wurde durch Gerüchte noch übertrieben. Johanna, die <mit ihren Heiligen lebte, wurde mehr und mehr von ihnen gedrängt, der Stadt zur Hilfe zu kommen>. So werden ihre Überlegungen und Wünsche in manchen Berichten über ihr unbegreifliches Leben ausgedrückt. Die Gedanken der Jungfrau haben sich bestimmt unablässig mit ihren Plänen beschäftigt, aber wie sollte es ihr gelingen, das Dorf ungehindert zu verlassen? Wie sollte sie den Eltern erklären, warum sie nach Vaucouleurs zu gehen wünschte? Wie hätte sie gestehen dürfen, daß sie vom Festungskommandanten, Robert de Beaudricourt, eine kriegerische Ausrüstung und sicheres Geleit nach Chinon an den Hof des Dauphin verlangen wollte. Ihre Eltern hätten geglaubt, sie sei vom bösen Geist besessen. Und doch mußte sie fort. Es war Zeit. Orléans stand in höchster Gefahr, und vom Dauphin erzählte man, er sei ein hilfloser, gedemütigter Mann und vielleicht gar kein echter <Dauphin>.
Johanna hat, wie man aus verschiedenen ihrer Erlebnisse schließen darf, eine starke telepathische Begabung besessen. Die Hoffnung des Dauphin auf die Erfüllung der Weissagung Marie d'Avignons, auf die er so großen Wert legte und von der er mit seiner Umgebung immer wieder sprach, nämlich daß sein Königreich durch eine Frau verloren gegangen sei, aber durch eine Jungfrau gerettet werden solle, traf mit johannas heiliger Überzeugung zusammen, daß sie die rettende Jungfrau sei. Eine Unruhe, ein Zwang von ferne, legte sich über sie; für Johanna waren es ihre <Stimmen>; sie mußte gehorchen. In ihrer religiösen Ekstase und der Naivität ihrer sechzehn Jahre ahnte sie nicht die Schwierigkeiten; sie kannte keine. Ein Schutzgeleit durch wenige bewaffnete Männer, was brauchte es mehr? Johannas telepathische Gabe wird indirekt durch die gleiche Veranlagung ihres Vaters noch wahrscheinlicher gemacht. Er träumte in dieser Zeit der Rastlosigkeit seiner Tochter eines Nachts, daß Jeannette, sein frommes, liebenswertes, sittenreines Kind, mit Soldaten davonziehe. Seine Entrüstung und seine Angst waren so groß, denn er glaubte an den prophetischen Sinn der Träume, daß er am Morgen drohend ausrief, er wolle Johanna mit eigenen Händen töten, ehe er sie mit den Soldaten gehen lasse; und wenn er es nicht vermöge, so sollten die Brüder ihre Schwester ertränken, bevor das Furchtbare geschehe. Seine Jeannette, die Tochter eines ehrbaren, geachteten Mannes, freiwillig unterwegs als Soldatendirne, in den Händen des Abschaums der Menschheit! Der Traum wird ihm lange nachgegangen sein, während er ausschaute und lauschte, ob Banden sich wieder näherten, diese Landplage, die schlimmer war als ein auftauchendes Wolfsrudel.* (*Quicherat: Prozeß II Band I, S. 132)
Wie konnte Johanna bei dieser Erregung ihres Vaters von ihren Plänen reden. Aber der Befehl ihrer Stimmen blieb auch fernerhin über ihr, sie durfte nicht länger zögern. Die Stirnmen oder ihre Heiligen - Hören und Sehen wird nicht immer klar unterschieden hatten ihr geraten, den Vetter, Durand Lassois, den sie <Onkel> zu nennen pflegte, da er zwanzig Jahre älter war als sie, im Dorfe Burey-le-Petit zu besuchen. Burey war nicht fern, sie brauchte weniger als eine Stunde, um dorthin zu gelangen. Der Onkel war ein freundlicher, frommer Mann, nicht durch Klugheit ausgezeichnet wie Johannas Vater. Jeannette, dieses junge Weiblein, spürte, daß hier der Mann war, den sie leicht würde beherrschen können.  Dem Besuch bei Durand Lassois und seinem Weibe wurde vom Vater nichts in den Weg gelegt. So machte sich Johanna im Mai, es war das Jahr 1428, selig auf den Weg. Jetzt würde sie ihren Besuch in Vaucouleurs ausführen können. Durand Lassois und seine Frau, einfache Bauern, mit dem Vieh und der Erde und dem Wetter lebend, selber ein Teil der Natur, waren stets bereit zu glauben, was Menschen ihnen sagten, deren Beschäftigung das Denken, das Studieren, das Lehren, das Befehlen war. Zu ihnen gehörten die <Seigneurs>, deren Land sie bestellten, die Geistlichen, die zwischen ihnen und dem Himmel standen, aber auch die Seher, die Propheten und die Neuigkeitskrämer, die alles wußten, was in der Welt vorging.
Die kleine Johanna gehörte zu keiner dieser Ehrfurcht einflößenden Figuren, aber sie wußte zu reden und zu erzählen, daß Durand und seinem Weibe der Mund offen blieb. Nach Lassois' späterer Aussage sprach sie zweimal von der Prophezeiung der Marie d'Avignon und vermutlich auch von der Weissagung Merlins, die alle Lothringer so stolz machte, daß aus dem Bois Chesnu, von der Grenze Lothringens, die Retterin kommen sollte. Acht Tage blieb Johanna in Burey-le-Petit. Gegen Schluß ihres Besuches hatte sie den guten Durand davon überzeugt, daß er sie nach Vaucouleurs führen müsse, denn nur Beaudricourt könne ihr helfen, nach Chinon zu gelangen. Sie, Johanna, sei die verheißene Jungfrau, sie werde Orléans befreien und dann den Dauphin nach Reims führen, damit er als Karl VII., wie es sich für einen König von Frankreich gehörte, gesalbt und gekrönt werde. Man sieht Durand sich hinter dem Ohre kratzen und sein Weib stumm mit großen Augen dasitzen. Um sie her war die halbdunkle Hütte; die Hühner liefen ein und aus, an die Bretterwand, die den Wohnraum vom Stall trennte, stießen die Stirnen der Rinder, wenn sie das Heu aus der Raufe zerrten, oder die Hufe des Pferdes, das sich an seinem Strick bewegte. Draußen, vor der offnen Türe, durch die allein Licht in den Raum fiel, stand der strahlende Maientag. Es kann sein, daß Johanna auf einem der niedrigen Hocker saß, während sie sprach, und die schräge Abendsonne ihre braunen Haare umspielte und auf leuchten ließ, als sei sie ein Wesen aus einer höheren Welt. Durand und sein Weib glaubten Johannas Worten, sie waren die ersten, die begriffen, daß dieses Kind nicht war, wie sie selber waren. Der Onkel versprach, Johanna zum Sire Robert de Beaudricourt zu führen. Wenn Durand Lassois auch von schlichtem Geiste war, so ist es doch erstaunlich, daß er sich den Wünschen eines Mädchens, das er von seiner Geburt an kannte, unterwarf; ihn bezwang die Ausstrahlung der Jungfrau, die von nun an in Tausenden und Tausenden von Menschen jede kritische Regung, jeden Zweifel lähmen sollte. Johanna besaß jene suggestive Kraft, die so stark sein kann, daß sie jeden fremden Willen, der, unbewußt, zu glauben geneigt ist, in ihren Bann zu schlagen vermag.
Der Kommandant von Vaucouleurs, Robert de Beaudricourt, bei dem Johanna am Ende ihres achttägigen Verwandtenbesuches eine Audienz erzwang, war eine harte, realistische, allem Übersinnlichen verschlossene Soldatennatur, die keineswegs zu glauben bereit war. Als Johanna dem Kommandanten erklärte, ihr <Herr> wolle, daß der Dauphin König werde und sie ihn zur Krönung führe und daß sie Orléans entsetze, lachte er laut heraus. <Ihr Herr>? Wer war denn <ihr Herr>? «Der König des Himmels», sagte Johanna. «Verprügle das Mädchen!» schrie Beaudricourt dem Onkel Lassois zu, der bescheiden, die Mütze in der Hand, an der Türschwelle stand. «Durchhauen! Und ihren Eltern zurückbringen, verstanden?» Lassois hatte verstanden. Später, im zweiten Prozeß erzählte er: »Mehrmals sagte er zu mir, ich solle sie verprügeln.« «Und raus mit euch Bauernpack» Lassois zog Jeanne rasch mit sich, aber er verprügelte sie nicht. Bei dieser Szene, die sich im Schloß abspielte, in einem der hohen steinernen Gemächer mit den engen gotischen Fenstern und den schweren Eichenmöbeln, wie sie den Kommandanten der Kastelle für die Audienzen und Gerichtsitzungen dienten, war ein junger Adliger anwesend, Bertrand de Poulengy, mit dem Titel: <Equyer de l'écurie royale de France>. Die Quellen sagen wenig von ihm, es scheint, daß er in der Festung Vaucouleurs dem Kommandanten als Adjutant diente. Er stammte aus der Gegend, denn er kannte Johannas Vater und hatte als Knabe auch beim Baum der Feen gespielt. Dieser <noble seigneur>, wie er als Zeuge im Rehabilitationsprozeß genannt wird, stand während Johannas Audienz im Gerichtssaal still beiseite. Da es Mai war, wohl neben dem geöffneten Fenster, denn jeder wärmende Sonnenstrahl war kostbar für die hohen eiskalten Räume, und schaute zu dem jungen Mädchen hinüber, das erklärte, es sei von Gott gesandt, es wolle einen <König machen>, Orléans, eine von den Engländern belagerte Stadt, befreien! Johanna sprach mit Würde und ohne Furcht und brach nicht in Tränen aus, als Beaudricourt schrie, man solle sie verprügeln, wohl gar auspeitschen.
Sie kreischte auch nicht auf wie andere Weiber, als der Kommandant drohte, er werde sie seinen Soldaten ausliefern; das hatte Beaudricourt mit höhnischem Lachen gewagt. Messire Bertrand de Poulengy sah tiefer als sein Kommandant: hier war ein Mädchen, wie er noch keines gesehen, er begriff den Nimbus noch nicht, der jeanne umgab, aber er war sehr ergriffen und führte, von Lassois gefolgt, die Jungfrau sicher zum Tore hinaus, damit keiner der groben Soldaten sich ihr zu nähern vermochte. Nachdem Mißerfolg in Vaucouleurs kehrte Johanna heim, zu Eltern und Brüdern, in ihr Leben zwischen Acker und Vieh, am Spinnrad und am Herd, wie es einer gehorsamen Tochter geziemte. Aber eine große Unruhe muß von ihr ausgegangen sein, denn eine Zeugin sagte später von dieser Zeit, Johannas Ungeduld sei <wie die einer Frau gewesen, die ihrer Niederkunft entgegensieht). Wie hätte sie nicht ungeduldig sein sollen? Sie, die auf jeden Kriegsbericht lauschte, wußte, daß Orléans immer enger umzingelt wurde und Leute, die aus der Gegend von Paris kamen, erzählten, daß die Engländer ihren kleinen König Heinrich demnächst zu salben und zu krönen gedächten, damit er unbestrittener König von Frankreich sei. Möchten doch die Heiligen ihr helfen, daß sie den Dauphin vorher nach Reims geleiten konnte! Der heilige Michael hatte ihr befohlen, zum Kommandanten Beaudricourt zu gehen, aber der hatte sie heimgeschickt; sie würde noch einmal zu ihm gehen; kein anderer als er konnte ihr helfen. Zu Johannas Glück ging Durand Lassois' Frau ihrer Niederkunft entgegen, da konnte sie zu Hause verkünden, sie wolle ihrer Verwandten beistehen. Nun war es aber inzwischen Winter geworden, und die Eltern wollten ihrer Tochter den Weg bei Kälte und Schnee nicht erlauben. Sie rechneten jedoch nicht mit johannas eisernem Willen, mit dem Gebot ihrer Stimmen, wie sie es vor sich selber ausdrückte. Es vergingen Wochen der Kämpfe mit den Eltern, denen Jeanne den wahren Grund ihrer Reise, die hohe Mission, nicht zu verraten wagte. Im Prozeß erklärte sie später, die Furcht, ihr Unternehmen hätte bei den burgundischen Nachbarn ruchbar werden können, habe sie gezwungen, ihren Eltern zu verschweigen, welcher Sendung sie gehorchen müsse*. (* Zweites Sonderverhör vom 12. März 1431 in Johannas Gefängnis)
Im Prozeß heißt es: «Et dir oultre qu'elle ne fust point contraincte de ses voix à le céler; mais doubtoit moult le révéler, pour doubte des Bourguegnons, qu'ilz ne la empechassent de son voyage; er par espécial doubtoit moult son pére, qu'il ne la empecéast de son véage faire.»** (** Quicherat: Prozesse, Band 1, S. 128)
Johanna ging, scheinbar der Widersetzlichkeit schuldig, vielleicht sogar als eine Verstoßene, von ihren Eltern fort. Noch im Prozeß rief sie, gequält von dem, was sie hatte tun müssen, aus, ihre Eltern seien wie von Sinnen gewesen, als sie eines Tages ihr Bündel schnürte und Abschied nahm. In Burey-le-Petit stand sie ihrer Base während der Geburt zur Seite, aber nach einigen Tagen verlangte sie von Durand, er solle sie zum zweiten Mal nach Vaucouleurs fiihren. Der Onkel weigerte sich, er fürchtete die Wut des Kommandanten und prophezeite, daß der Gewaltige Jeannette an den Schandpfahl im Hof binden und sie auspeitschen lassen werde.
Als die Jungfrau den Onkel nicht zu erweichen vermochte, beschloß sie, sich ganz allein auf den Weg nach Chinon zu machen. Durand mußte ihr Männerkleider leihen, und so ging sie fort, vor sich ein unbekanntes Land, das von den burgundischen Banden wimmelte. Trotz allem Mut kam sie nicht weit; ein unbemerktes Durchschlüpfen war unmöglich. Mit ihrem Kindergesicht - sie war soeben in diesem Januar 1429 siebzehn Jahre alt geworden - konnte sie nicht die Rolle eines Mannes spielen, die Verkleidung in dem viel zu großen Anzug ihres Onkels nützte ihr nichts. Nach ihrer Rückkehr in Tränen vermochte Durand Lassois Johannas Bitten, ihrem Zorn, ihrer Überredung nicht mehr zu widerstehen, sie sagte ihm, er kämpfe wider Gottes Willen und Befehl! Es war jetzt wie im vergangenen Mai, eine strahlende Gewißheit um das Mädchen, er mußte ihr dienen, und wenn man ihn zur Strafe in den Turm warf.
Der Himmel wird uns helfen, dir und mir, sagte Johanna. Sie warf einen groben Wolleumhang über ihr rotes Kleid, zog eine Kapuze tief über das Gesicht, Durand Lassois hing ein Hammelfell über die Schultern, und so stapften sie durch den tiefen Schnee nach Vaucouleurs. Der Bauer und das Mädchen wurden dem Kommandanten gemeldet. Ob Robert de Beaudricourt schlechter Laune war und Lust hatte zu toben und zu schimpfen, oder ob er gute Laune hatte und geneigt war, mit dem Bauernmädchen seinen Spaß zu treiben, oder ob er, von dem jungen de Poulengy beeinflußt, glaubte, er müsse das Mädchen noch einmal prüfen? Wer weiß es? Kein Wort ist darüber aufgeschrieben, aber Messire Robert ließ Jeanne vor sich bringen. In dem Dreivierteljahr, seitdem sie zum ersten Mal in Vaucouleurs gewesen, war Johanna an dem Wunder ihrer Aufgabe und wohl auch am Kampf mit ihren Eltern gereift, leidend gereift, wie jedes Genie an seinem ungeborenen Werk leidet. Als die Jungfrau abermals Beaudricourt gegenüberstand, ohne Demut, sondern aufrecht und selbstbewußt, ihr unerhörtes Verlangen ruhig aussprechend, geschah das Unerwartete, daß der Kommandant von der Wirkung ihres Wesens im Innersten gepackt wurde. Hatte das Mädchen ihn behext? Er versprach, ihr zu helfen; gegen seinen Willen, er wußte es, er fürchtete, sich lächerlich zu machen. Wenn das Mädchen eine der zahllosen Betrügerinnen war, vielleicht vom Teufel besessen? Nach der Audienz begab er sich eiligst mit dem Pfarrer von Vaucouleurs, Messire Jean Fournier, in das Haus des Ehepaares Le Royer, das Johanna Unterkunft gegeben hatte. Der Priester prüfte das Mädchen auf die vorgeschriebene Art, aber keines der Zeichen stellte sich ein, die eine Besessenheit durch den Teufel verriet. Hier war eine reine Jungfrau und eine gute Christin, Messire Robert dürfe ihr vertrauen.
Eine reine Jungfrau, eine gute Christin! Beaudricourt wollte es glauben, aber durfte er darum eine <Prophetin> zum Dauphin senden? Da hörte Johannas Wirtin, Catherine Le Royer, die wohl an der Türe lauschte, wie das Bauernkind zu dem allmächtigen Mann vom Schlosse sagte: «Kennt Ihr die Prophezeiung nicht, daß Frankreich durch eine Frau vernichtet und durch eine Jungfrau von den Grenzen Lothringens errettet werden soll?»* (*Aussage der Frau des Henri Le Royer, Prozeß II vom 31. Januar 1456)
Beaudricourt kannte die Weissagung wie jedermann. Ob sie diese Jungfrau sei, müsse sie erst beweisen, erwiderte er, aber er wolle dem Dauphin einen Brief senden, in dem er anfrage, ob er sie zu ihm schicken solle; bis die Antwort eintreffe, möge sie in Vaucouleurs bleiben. Johanna hatte inzwischen zu ihrer Freude Bertrand de Poulengy wiedergesehen. Dieser Mann war für seine Zeit eine Ausnahme an sittlicher Gesinnung; vor kurzem hatte er einem Gefangenen zur Flucht aus dem feuchten, stinkenden Burgverlies verholfen und dafür selber Strafe erduldet. Jetzt, in der Wartezeit auf die Antwort des Dauphin, wurde er Johannas Freund. Aber nicht nur er; die Einwohnerschaft der Festungsstadt, die in eine hoffnungsvolle Erregung versetzt war, umgab sie, wo sie ging und stand, mit Liebe, Verehrung und Bewunderung. Es wurde Johanna schwer, sich allein in die Kirche zurückzuziehen, um in einsamer Sammlung auf ihre Stimmen zu hören. Ein Zweifler und Spötter saß hingegen eines Tages am Kamin ihrer Wirtsleute neben ihr, Jean de Metz. Er fragte ironisch: «Was tust du denn noch hier? Soll der König von Frankreich vertrieben werden und wir alle Engländer werden?» Und Johanna in ihrer knappen, herrischen Sprechweise: «Ich bin in diese königliche Stadt gekommen, damit Herr Robert de Beaudricourt mich unter Begleitung zum Dauphin schickt. Vor der Fastenzeit muß ich auf meinem Wege zum König sein, und wenn ich meine Beine bis zu den Knien  ablaufen müßte! Niemand kann das Königreich zurückgewinnen, außer mir. Ich muß es tun, da Gott es so will.» Jean de Metz war hingerissen, in Ekstase, und schwur in Johannas Hand, er werde sie zum König bringen und sie schützen in jeder Gefahr. «Wann wollt Ihr aufbrechen? » «Lieber heut als morgen, lieber morgen, als den Tag danach.» Aber Johanna mußte sich in Geduld üben. Da war es ein Glück, daß der kranke Herzog von Lothringen, der übrigens auf burgundischer Seite stand, die <Inspirée>, von der schon die ganze Gegend sprach, zu sehen verlangte, sie solle ihn von Krankheit und Tod erretten. Johanna hat nie in ihrem kurzen Leben behauptet, sie könne Wunder tun; wenn sie trotzdem nach Nancy ritt, begleitet von dem begeisterten Jean de Metz, so war es ihre klare Überlegung, daß man zur Entsetzung von Orléans der Truppen bedürfe; der Herzog sollte ihr an Männern mitgeben, was er entbehren könne. In ihrem roten Bauernrock auf einem Klepper sitzend, den Vetter Lassois ihr geliehen hatte, ritt sie neben ihrem Begleiter durch das kahle Februarland dahin. Jean de Metz war ein Kriegsmann, er kannte Johannas Ziele, so wird die Unterhaltung sich um die Beschaffung von Truppen gedreht haben, die dem Dauphin aus Geldmangel abgingen. Er wird Johanna, die ahnungslos war, was die verwandtschaftlichen und politischen Verwirrungen unter den Großen der Welt anging, auch erklärt haben, daß der Herzog ihr kaum willfahren werde, denn er stehe auf der Seite Englands und Burgunds, und sei seinem Vetter Burgund doppelt verpflichtet, da er ihn zur Wut gereizt habe, als er, der Herzog von Lothringen, seine Tochter und Erbin, Isabella, mit René d'Anjou, Herzog von Bar, dem Schwager des Dauphin, verheiratet hatte. Johanna ließ sich nicht abschrecken. Bei dem kranken Herzog angelangt, erklärte sie ihm, Heilungen könne sie nicht vollbringen, aber wenn er ihr René d'Anjou, den Herzog von Bar, seinen Schwiegersohn, von Truppen gefolgt, mitgebe, werde sie den Himmel um seine Genesung anflehen.
Diesem Geschäft traute der alte Herzog durchaus nicht, besonders, da Johanna auch von ihm verlangte, er solle seine Konkubine wegschicken und seine ältliche Frau zurücknehmen. Johanna durfte sich glücklich schätzen, daß ihr nichts Schlimmes geschah, ja, daß sie sogar vier Franken in Silber erhielt und ein stattliches schwarzes Roß. Als sie in Vaucouleurs ihr altes Quartier bei Catherine Le Royer wieder bezog, erfuhr sie, daß immer noch kein Bote des Dauphin erschienen sei. Johanna wollte indessen für die Abreise bereit sein. Ihre jungen Gefährten rieten ihr, Männerkleider anzulegen, denn nur so konnte sie sicher mit ihnen durch das Land reisen. Alles, was die Jungfrau betraf, wurde sofort bekannt, so kauften ihr nun einfache Leute, die an ihre Sendung glaubten, die Kleidungsstücke, die sie zu haben wünschte. Ein leinenes Männerhemd, unter einem gefütterten und gesteppten <pourpoint> zu tragen, das eine Art Weste mit Ärmeln war, an der die Männerstrümpfe mit Häkchen befestigt wurden. Auch ein ärmelloser Kittel aus schwarzer Wolle wurde angeschafft, der bis zur Hälfte die Oberschenkel bedeckte; ein Gürtel hielt ihn zusammen. Schließlich verehrte man ihr auch einen gefütterten Umhang gegen die Kälte und um sich nachts darin einrollen zu können, denn es war ja Mitte Februar. Und nun die schönen, langen kastanienbraunen Haare, ach, die mußten abgeschnitten werden. Nach der Mode der Zeit wurde ihr der halbe Hinterkopf und die Partie über den Ohren kahlrasiert und die übrigen Haare <rund> geschnitten, so daß sie wie ein Pelzbarett auf dem Kopfe lagen. Eine Eisenhaube darauf, Sporen an die Stiefel, ein Schwert an den Gürtel, das ihr Beaudricourt schenkte - jetzt war das Mädchen Johanna nicht mehr von einem jungen Soldaten zu unterscheiden.* (*Adrienne Harmand: Jeanne d'Arc, ses costumes, son armure)
Jean de Metz und Bertrand de Poulengy lehrten Johanna während der Wartezeit reiten; sie zeigte Lust und Begabung zu jeder ritterlichen Beschäftigung. Sie war kräftig und unerinüdlich, dennoch wehrte sie sich oft gegen die weltliche Vorbereitung zu den Taten, die sie so ungeduldig ersehnte. An solchen Tagen wollte sie nur auf die Stimmen ihrer Heiligen lauschen, die ihr Zuversicht verliehen und ihr Rat erteilten. Aber auch die Bürger von Vaucouleurs waren rastlos und von Ungeduld ergriffen. Warum kam keine Botschaft vom Dauphin? Waren seine Boten überfallen und getötet worden? Man konnte nur beten und beten, wie die Jungfrau es tat, beten, daß der Himmel ihr beistehen, ihr und dem Lande Frankreich!

11. Kapitel

In Chinon herrschte, im Gegensatz zu Vaucouleurs, eine höchst gereizte Unruhe, es wurden ärgerliche Diskussionen vom Zaune gebrochen, oder man war erfüllt von einer nervösen Euphorie und ging, beschwingt von einer längst nicht mehr gekannten Hoffnung, umher. Der Dauphin war von stiller Ergriffenheit, La Trémoille wütend, daß eine Macht von unbekannter Seite sich zwischen ihn und seinen Herrn den er beherrschte - zu drängen schien. Regnault de Chartres versuchte das Gespenst, das umging, totzuspotten. Gérard Machet schwieg und wartete ab. Die Schar der jungen Höflinge machte zynische Späße ohne Ende. Was war geschehen? Warum brauste es im eisigen Januar 1429 wie ein voreiliger Frühlingssturm durch Säle, Höfe und Türme, durch Kapellen, Schlafgemächer, sogar durch die Dienerwohnungen und die Soldatenquartiere? Es war ein Brief an den Dauphin eingetroffen. Ein Brief war keine Seltenheit, aber der Absender war ungewöhnlich, und der Inhalt des Briefes erst recht unbegreiflichl Die Mauern des Ratszimmers des Königs hatten sein Geheimnis nicht bewahren können. Der Verfasser des Schreibens, das so viel Staunen erweckte, war der gute Sieur Robert de Beaudricourt, der die äußerste Festung des Dauphin, Vaucouleurs an der lothririgischen Grenze, tapfer gegen die Burgunder verteidigte. Beaudricourt? Unter den Höflingen war sein Name unbekannt, ein Kriegsmann wie ein anderer. Auch der Dauphin hatte nur wenig von diesem fernen Untertan gehört. Beaudricourt - er hatte es gewagt, seinem Herrn, der für ihn der allerchristlichste König, Karl VII. von Frankreich war, einen Brief zu schreiben! Der Kommandant einer ständig bedrohten Grenzfestung sollte von Rechts wegen ein nüchterner Mann sein, der mit beiden Füßen auf dem Boden stand. Was dieser Gute aber in seinem Brief schrieb, schien darauf hinzudeuten, daß er den Verstand verloren hatte. Ein Bauernmädchen, ein Kind von siebzehn Jahren, verlange zur Königlichen Majestät, König Karl VII., gebracht zu werden; Gott sende das Mädchen, um Orléans zu befreien und den König nach Reims zu führen, um dort gesalbt und gekrönt zu werden.
Der vorzügliche Beaudricourt schrieb in einer überredenden Dringlichkeit, das Volk sehe in Jeanne, der Tochter eines Bauern, Jacques d'Arc, aus dem Dorfe Domrémy, eine Gottgesandte; sie höre seit Jahren Stimmen, die ihr befahlen, wie sie vorgehen solle, sie habe auch Visionen von Heiligen, die zu ihr träten. Übrigens sei das Mädchen von unschuldigem, gütigem Wesen. Er, Beaudricourt, sei bereit, es an den Hof zu senden. Zwei junge Männer, Bertrand de Poulengy und Jean de Metz würden die Jungfrau sicher nach Chinon geleiten. Der König möge seinen Willen gütigst bekannt geben. So ungefähr muß der Brief gelautet haben, der nicht erhalten ist, dessen Inhalt aber durch spätere Ereignisse bekannt wurde.* (*Qicherat, Prozesse, Band 1, S. 115)
Im Rat des Königs wurde das Schreiben als Kuriosum verlesen, aber der Dauphin ersehnte in seiner Verstörtheit göttliche Hilfe. So raffte er sich zu einern eigenen Entschluß auf und schickte, unter La Trémoilles zornigem Spott, den Befehl nach Vaucouleurs, das unbekannte Bauernmädchen nach Chinon zu bringen. Es war der junge Ritter Colet de Vienne, der die lange, gefahrvolle Reise bis Vaucouleurs an der Maas unternehmen sollte. Würde er sicher bis zur Festung kommen? Es gelang ihm, zwischen Engländern, Burgundern und armagnakischen Banden, die Freund und Feind überfielen, hindurchzuschlüpfen. In der zweiten Woche des Februar 1429 ritt Colet de Vienne durch das Tor der Burg zu Vaucouleurs. Beaudricourt ließ ihn sofort vor sich kommen; was überbrachte er? Das langerwartete Schreiben des Königs. Der Kommandant löste rasch das große Siegel vom Schriftstück. De Poulengy wird auch zugegen gewesen sein und über die Schulter Beaudricourts mitgelesen haben. Man hört ihn erleichtert aufseufzen: der Brief enthielt den Befehl, die Visionärin an den Hof nach Chinon zu schicken. Wie wird erst Jeanne in ihrer geliebten Kapelle, ihrem Zufluchtsort, Gott gedankt und ihre Heiligen angefleht haben, ihr auch in dem neuen Leben, das vor ihr lag, hilfreich beizustehen. Johannas Eskorte bestand aus sechs Männern, den drei jungen Adligen Bertrand de Poulengy, Jean de Metz und Colet de Vienne und drei Knechten. Am 2 5. Februar 1429 ritt die Jungfrau unter den Segenswünschen der Bürger und der zusanimengeströmten Bauern aus der Festung davon. Ihr Dasein als Retterin Frankreichs hatte begonnen, eines Frankreichs, das noch gar nicht bestand, aber reif war für einen Zusammenschluß aller verstreuter, getrennter, von Fremden besetzter und sich suchender Landesteile. Der Weg von Vaucouleurs nach Chinon war nicht gar so weit, man könnte ihn in zwei Wochen bewältigen, aber man durfte wegen der umherstreifenderi Feinde nicht frisch auf den Heerstraßen voranreiten. Colet de Vienne wird sich gefragt haben, ob es ein zweites Mal glücken werde, heil durchzukommen. Die Männer beschlossen, nur nachts zu reiten, und auch dann den Pferden die Hufe mit Lappen zu umwickeln, am Tage wollten sie sich verstecken und ausruhen. Diese Reise war keine Lustpartie. Es regnete stark und hatte schon seit Wochen geregnet, die Flüsse gingen hoch, viele waren über ihre Ufer getreten, oft mußten Johanna und ihre Begleiter lange am morastigen Ufer entlang reiten, bis sie eine seichte Stelle fanden, wo die Pferde an das andere Ufer schwimmen oder waten konnten, Und wie kalt es war. Wenn die Kriegsleute und die Jungfrau, die sie beschützten, am Tag oder in der Nacht sich versteckten und schliefen, so lagen sie eng aneinander gedrängt, um ein wenig Wärme zu finden, sechs junge Männer und zwischen il-inen ein siebzehnjähriges frisches Mädchen, ein Bauernkind, das nichts anderes als Vergewaltigung von Kriegsmännerri zu erwarten hatte, und doch war Johanna nicht in Gefahr. De Metz und de Poulengy haben beide später im Prozeß unter Eid ausgesagt, daß keiner der Begleiter Johannas je unerlaubte Wünsche gehegt oder ihre Reinheit durch unzüchtige Worte beleidigt habe, sie schien den Männern wie von unsichtbaren Schutzgeistern umgeben. Und wirklich pflegte Johanna bei jeder Bedrohung durch streifende Engländer, Burgunder oder Armagnaken ihre Gefährten mit dem Vertrauen in <die Hilfe ihrer Brüder im Paradies> zu stärken. Sie sprach von den Bewohnern des Himmels -vie von ihren eigenen Verwandten und von Gott als dem eigentlichen König von Frankreich. Hierin waren die jungen Männer mit Johanna durchaus einig, haben doch zu allen Zeiten die Kämpfer jeder Partei Gott als Verbündeten ihrer, und nur ihrer <guten Sache> angesehen. So war denn Johannas Verbundenheit mit einer jenseitigen Welt auch den rauhen Soldatennaturen, die sie umgaben, natürlich. Nicht nur während dieser Reise, auch während der späteren Feldzüge. Eine Aureole der Gottverbundenheit umgab das wunderbare Mädchen. Auf der Fahrt nach Chinon wurden Johannas Begleiter ihre vertrauten Freunde, und da sie als ein fröhliches Menschenkind geschildert wird, voll Mutterwitz und Schlagfertigkeit, so war die Stimmung gewiß nicht ständig die einer weltfernen Erhabenheit, doch die Unantastbarkeit der Jungfrau zerbrach darüber nicht. Die sechs Männer sahen in Johanna Gottes Gesandte; würden der Dauphin, seine Räte, die höfische Umgebung ebenfalls ihrer heiligen Sendung glauben? Wie würde sie empfangen werden? Während Johanna auf dem Weg war - sie brauchte elf Tage von Vaucouleurs bis Chinon -, hatte Karl ihr Kommen schon fast vergessen. Nicht so eine zweite Hauptfigur dieser Sorgenzeit um Orléans, in diesem Kampf, der sich von Woche zu Woche zuspitzte, das war der Bastard, Jean d'Orléans, eine erfreuliche Erscheinung in der verrohten Männerwelt dieser Zeit. Er hatte schon Mitte Februar Gerüchte von dem Nahen einer gottgesandten Jungfrau gehört, die Orléans zu retten versprach, denn wie ein Stein war dieses Wort in das stehende Wasser der Entmutigung eines ganzen Landes gefallen und hatte Kreis um Kreis gezogen, weiter und immer weiter. Der Bastard hatte sogleich die gute Nachricht in der Stadt verbreiten lassen, da hob sich die Zuversicht wie im Sprung, kein Wort mehr von Ergebung. Tag und Nacht standen nun Wächter auf den Mauern und Türmen, um die Ankunft der Erretterin in die Stadt hinunterzurufen, aber die Tage und die Wochen gingen hin; die Ersehnte kam nicht. Da sank auch dem Bastard, Jean d'Orléans, der Glaube an ein gutes Ende. Weder von dem Mädchen noch vom Hof in Chinon ein Zeichen der Hilfe. Schlief denn der Dauphin, oder hatte er seine Stadt und ihre Verteidiger fallenlassen? Karl schlief nicht; es waren Nebendinge, die ihn spielerisch beschäftigten, als wolle er dadurch seine schweren Pflichten mit Vergessenheit bedecken. Er verteilte Freundlichkeiten, die nichts kosteten, denn er besaß ja kein Gold und kein Silber. Was konnte er für seinen lieben Halbvetter, Jean d'Orleans, tun? Ihm die Anerkennung als Prinzen von Geblüt gewähren. Nun durfte Jean die französischen Lilien irn Wappen führen, allerdings mußte dieses den Schrägbalken von links unten nach rechts oben zeigen, das Zeichen der Bastarde großer Herren. Jean d'Orléans, der junge Mann vom königlichen Blut der Valois, bedankte sich höflich, aber er hätte lieber Truppen, Lebensmittel, Kanonen, Munition und Söldner entgegengenommen. Was nützten ihm die Lilien auf seinem Wappenschild? Er lechzte nach einer einzigen Lilie, dem wundertätigen Mädchen, das allein ihm die Lilie von Frankreich bedeutete. Karl schob jedoch jede Förderung des Krieges von sich. Daß im geheimen die Gespräche über eine Versöhnung mit Burgund ununterbrochen fortgingen, wußte außer den Eingeweihten niemand. Die Stände und die umliegenden Städte zürnten Karl VII. Der Nachschub, für den sie Geld bewilligt hatten, war nie aufgestellt worden. War wirklich all das gute Geld der Bürger am Hof verpraßt? Und das nächste Versprechen Karls, die plündernden Banden aufzulösen und zu vertreiben oder sie einzufangen und zu köpfen, hatte er auch nicht gehalten, nein, vom Dauphin war keine Hilfe zu erwarten.
Währenddessen war die Umzingelung der Stadt Orléans nahezu vollendet, die gefürchtete Hungersnot ausgebrochen und das Gespräch über Verhandlungen mit den Engländern neu aufgelebt. Der Feind war jedoch, nachdem die Burgunder abberufen waren, kaum noch dreitausend Mann stark, aber der Glaube an die Unbesieglichkeit der Engländer lag seit Azincourt wie eine Erstarrung über den Franzosen. In Orléans war in den sechs Monaten der Belagerung kein Ausfall gewagt worden. Jetzt, in diesem Februar 1429, da das Schicksal der Stadt besiegelt schien, fragte sich der Bastard, zu welchem Zweck man die Stadt, an der dem König nichts zu liegen schien, halten sollte. Nur damit die tapfere Bevölkerung in ihr verhungerte? Aber die Retterin war nahe; wie nah, das konnte Jean d'Orléans nicht wissen, weil Johanna während der Zeit ihrer Reise durch das feindlich besetzte Land allen Augen verborgen blieb; als sie jedoch die erste französische Stadt erreichte, war sie der Welt wieder sichtbar, und sogleich verbreiteten sich Berichte über Berichte von der gottgesandten Jungfrau durch das gesamte französische Territorium.
Diese erste französische Stadt, in der Johanna sich frei bewegen konnte, war Fierbois in der Touraine, nahe Chinon. Fierbois - der weitberühmte Wallfahrtsort der Krieger, die der Gefangenschaft oder dem Tod in der Schlacht hatten entrinnen können. Die uralte Kirche der Stadt war der heiligen Katharina geweiht, von der Johanna glaubte, sie wandle, unsichtbar für fremde Augen, aber oft sichtbar für sie, an ihrer Seite. Johanna war glücklich, an diesem Ort der Wunder, in der Kirche ihrer Heiligen, zweimal am Tag die Messe hören zu dürfen, zu beichten und den Leib des Herrn zu empfangen, in diesen Mauern, die bedeckt waren von Ketten und Stricken der Befreiten und von geopferten Rüstungen, Helmen und Schwertern. Sie hatte ihre Mission schon in Vaucouleuts nicht geheimgehalten, wieviel weniger jetzt im Sanktuarium ihrer Heiligen. Da werden ihr die Priester oder die Leute ihres Quartiers von den vielen Wundern erzählt haben, die Sankt Katharina hier vollbrachte, auch muß sie erfahren haben, daß die Kirche als ein Heiligtum Frankreichs galt, denn die Tradition erzählte, Karl Martell habe nach seinem Sieg über die Araber, im Jahre 732, in diesem Heiligtum sein Schwert als Opfer auf dem Altar niedergelegt. Der junge Ritter Colet de Vienne, der geradenwegs vom Hof in Chinon zu Johanna gekommen war, wird seinerseits berichtet haben, daß vor wenigen Monaten der Bastard von Orléans und verschiedene hohe Herren, ja sogar der große Hauptmann La Hire, in Fierbois vor Johannas Heiligen gekniet hätten; sie seien in Begleitung eines Herrn gewesen, der <auf wunderbare Weise> einen Engländer im <Gotteskampf> besiegt und ihn seiner Rüstung beraubt habe. Diese Trophäe befand sich nun auch in der Kirche der wundertätigen Katharina. Johanna konnte sich vom Hause ihrer Heiligen kaum trennen, aber sie ritt doch mit ihren sechs Männern am nächsten Morgen, strahlend vor Zuversicht, glühend vor Tatendrang, davon. Die letzte Strecke bis Chinon galoppierten sie die sanften Hänge zum Flüßchen Vienne hinunter. Es war der sechste März 1429, Vorfrühling, Himmel und Fluß in schwachem Sonnenlicht von zartestem Blau, die Weiden und das Buschwerk unter einem Schleier von erstem Grün. So weit und schön das Land, das sich gegen die Loire hin erstreckte. Johanna liebte die Natur und das Leben irn Freien als ihr Element und als Rahmen der Arbeit, die bisher ihr Leben gewesen war. Hier, im Schutze des Schlosses Chinon, waren die Bauern bei der Frühlingsarbeit; sie kannte jeden Handgriff von weitem, es war ihre Weltl Aber dort drüben, auf dem Steilufer der Vienne, erhob sich das Schloß, in dem ein König wohnte, der <Gentil dauphin>, den sie seit Jahren von ferne liebte; um ihn herrschte das höfische Leben, dem Volke unbekannt und auch ihr so fern, so fremd. Chinon, das schönste Schloß in Frankreich, so hatte Colet es genannt, bevor er mit einem Brief Johannas an den Dauphin, den der Priester in Fierbois für sie geschrieben hatte, ihr und den andern Männern voranritt. Welch eine Burg! Größer als das Städtchen zu seinen Füßen dehnte sich der massige Bau, der eigentlich aus drei Schlössern bestand, mit runden und eckigen Türmen, Mauern, Bastionen, Höfen, Palästen, Kapellen, Häusern, Stallungen und Kasematten in großer Länge aus. Dort oben wohnte der König? Und Hunderte von Höf lingen mit ihm? Und Diener, Knechte, Soldaten? Es wird nicht berichtet, daß Johanna Angst und Schüchternheit befiel, sie wurde im Gegenteil zornig, daß ihre Begleiter sie nicht sogleich, ohne Zögern, zum Dauphin führten. Vielleicht werde er sie nicht empfangen, meinten die Männer, sie müsse sich gedulden. Colet de Vienne, der zu Johanna zurückgekehrt war, führte sie in das Haus einer würdigen Frau, die am aufsteigenden Weg zum Schloß wohnte und eine Art <Hostellerie> führte. Hier verging der sechste März, der siebente schlich vorbei, der achte brach an. Johanna erstickte fast in ihrer Ungeduld. Hatte man sie im Schloß vergessen? Nein, in den Gemächern des Königs, unter den hohen Geistlichen seiner Umgebung, im Rat, wo La Tremoille das herrische Wort führte, im Quartier der Höflinge wurde ein leidenschaftlicher Kampf ausgefochten, ob man die Visionärin aus Lothringen ansehen solle oder nicht. Der Brief des Mädchens, den Colet überbracht hatte, klang nicht wie der einer Besessenen, die Jungfrau sagte darin, sie werde den Dauphin unter allen seinen Adligen erkennen, sie wisse vieles, das für ihn gut zu erfahren sei, sie habe fünfzig (lieues) durchreist, um ihm zu Hilfe zu kornmen, und noch manches andere Erstaunliche.* (*Prozeßverhandlung vom 27. Febr. 1456. Quicherat_ Prozesse Band I, S. 75 und 76; darunter die Aussage des Jean Dunois, Bâtard d'Orléans.)
Beaudricourts Schreiben, das im Januar an den Hof zu Chinon gelangt war, hatte man schon längst vergessen, so war nun der Disput um die Visionärin von neuem ausgebrochen. Mit vollem Recht, denn der König durfte sich nicht der Lächerlichkeit preisgeben, von einer der zahllosen <Prophetinnen> an der Nase herumgeführt zu werden. Im zweiten Prozeß haben nicht weniger als sechs Zeugen darüber ausgesagt, wie genau Johannas Behauptungen geprüft wurden. Karl VII. ließ, im Einverständnis mit seinem Conseil, zwei Minderbrüder nach Domrémy abgehen, um dort unauffällig Urteile über die <Pucelle> einzuholen. Da die Minderbrüder aber noch lange nicht zurückkehren würden, entschloß sich der König, beraten von seinem Beichtiger, Gerard Machet, dem späteren Bischof von Castres, vorn Priester Jean Girard und dem Bruder Pierre l'Hermite sowie von allen seinen Räten, zu zwei Taten: erstens die Jungfrau durch die Geistlichen einer kurzen Prüfung zu unterziehen und die jungen Männer, die sie von Vaucouleurs nach Chinon begleitet hatten, über Wesen und Benehmen des rätselhaften Mädchens auszufragen. Wie lautete die Antwort der Jungfrau auf die Frage der geistlichen Herren nach dem Zweck der Reise? Der Dauphin war begierig, sie zu hören. «Der König des Himmels hat mich gesandt, Orléans zu befreien und den König nach Reims zur Krönung zu führen.» Mehr sei nicht zu erfahren gewesen. Ein ärgerliches Kopfschütteln; das hatte sie auch in ihrem Brief geschrieben. Wie durfte man solcher Behauptung glauben? Der Dauphin sollte (ein Zeichen) ihrer Gottgesandtheit verlangen. Und nun de Metz und de Poulengy, die gründlich ausgefragt worden waren; sie hatten berichtet, Johanna sei von reinen Sitten; die Heiligen begleiteteli sie, und wirklich seien alle sieben wie durch ein Wunder mehreren tödlichen Gefahren entgangen. Die Überlieferung erzählt, da Johanna in ihrem Brief an den Dauphin verkündet habe, sie werde ihn unter allen seinen Höflingen sogleich erkennen, habe der Hof beschlossen, der König solle sich unter seinen Herren verbergen, um das Mädchen zu prüfen: - eine der Blumen im Kranz der Legenden um die Jungfrau. Johanna, die den <Dauphin>, wie sie ihn immer noch nannte, hingebend liebte, wird ohne Zweifel mit ihrem Begleiter, Colet de Vienne, viel von Karl, den er ja vom Ansehen kannte, gesprochen haben. Und jetzt wieder, während der Tage des Wartens, hat Johannas Wirtin sicherlich von Karl VII. erzählen müssen, was sie nur wußte. So war es denn Johanna bekannt, daß ihr Gentil Dauphin klein, mager und sehr häßlich war, dazu schlecht gekleidet im Gegensatz zu den Nichtsnutzen, die wie die Kurtisanen, übermäßig modisch, bunt und mit Schmuck behängt, parfumiert und gemalt einhergingen. Endlich, am dritten Tag nach ihrer Ankunft, verkündete ein Page dem wartenden Bauernmädchen - oder war es ein Bauernknabe? -, der Graf von Vendöme werde am späten Nachmittag die Jungfrau im Schloß erwarten und sie zum König führen.
Jeanne, die fast jede Stunde des Wartens im Gebet zugebracht hatte, dankte Gott, daß ihr jetzt endlich die große Stunde schlug, die sie durch Jahre ersehnt, die Stunde einer Begegnung, die sie selber nur als hohes Wunder vor ihrem inneren Auge gesehen. Die Stunde, die zu den seltensten in der Geschichte der Menschheit gehört, nie zu erklären, weder von Wundergläubigen noch von Realisten mit all ihren Ausführungen; die Stunde, in der ein siebzehnjähriges Bauernkind, eine Analphabetin, die nichts von der Welt wußte, die nicht einmal die Ausdehnung Frankreichs kannte, nichts von Kriegsführung oder der Politik der Großen ahnte, sich bereitete, vor den verzagten Bastard-König zu treten, der im Begriffe stand, das Letzte seines Reiches zu verlieren, um ihm zu sagen: <Gott wird dir durch mich helfen.> Und noch eines wollte sie ihm verkünden, aber das war tiefes Geheimnis zwischen Gott, dem Dauphin und ihr selber, die zu ihm gesandt war. Johanna verbrachte auch die Stunden, bis man sie holte, im Gebet; ihre Männerkleidung vermochte sie nicht zu verschönern, wie ihre Wirtin es von ihr verlangte; die Gewandstücke waren gar zu sehr mitgenommen nach zwei Wochen, einer Reise, bei der man auf der bloßen Erde geschlafen, sich im Unterholz und in Gräben verborgen hatte oder durch Flüsse gewatet war. Während Johanna, das Kinn auf die gefalteten Hände gepreßt, auf den Knien lag, versammelten sich, als der Tag zu sinken begann, in einem der Thronsäle des Schlosses Hunderte von Höflingen, alle auf das festlichste gekleidet. Zwei Abgesandte von Orleans waren herbeigeeilt, der Sire de Gaucourt, der Kämmerer des Königs, war anwesend, auch der Erzbischof von Reims, Regnault de Chartres, Jean Juvenal des Ursins und Alain Chartier, ferner der Hofastrologe und natürlich La Trémoille und La Hire. Die Spannung, ob das einfache Kind dem ungewohnten Glanz verwirrt erliegen würde, war groß. Es scheint, dass Yolande d'Anjou kurz vor Johannas Ankunft in Chinon geweilt und den Dauphin einer Begegnung mit der Jungfrau günstig gestimmt hatte. Jetzt wartete Karl ihrer in Verwirrung, in Erregung. Die Dämmerung umschwebte schon das weite Schloß, als Johanna über die Zugbrücke und durch das äußere Tor der Burg schritt, ein schlankes, knabenhaftes Mädchen in Schwarz, mit einem einfachen Schwert gegürtet. Johannas Gesicht war wie erleuchtet, und ihre Augen strahlten in ekstatischem Glanz; sie war schön in ihrer Erhobenheit. Man darf es annehmen, denn ein berittener Wächter, der sie kommen sah, näherte sich ihr verblüfft, stieß einen Fluch aus und rief ihr zu, als sie sich anschickte, die Treppe zum mittleren Schloß hinaufzusteigen: «Bist du die berühmte Jungfrau? Hätte ich dich nur eine Nacht, so wäre es vorbei mit der Jungfräulichkeit!» Diese Dreistigkeit traf Johanna nicht. In ihrer ruhigen, ja erhabenen Art sagte sie zu dem Mann: «Im Namen Gottes; du mißachtest IHN! Und bist so nahe dem Tod.» Dann trat sie hinein in das Palais des Königs, begleitet von den Pagen, die sie geholt hatten, während der freche Beleidiger seinen Weg fortsetzte zum Ufer der Vienne hinunter, in deren Wassern er noch in der gleichen Stunde ertrank.
In einer Vorhalle erwartete der Graf von Vendôme die Jungfrau. Er hat wohl spöttisch gelächelt, bei dem Gedanken, was nun geschehen würde. La Trémoille*, (*Die Berichte nennen verschiedene Höflinge, die sich als König ausgegeben hätten. Die Episode scheint der Legende anzugehören.)  den man als <ein Faß>, <eine Qualle> beschreibt, hatte sich auf den Thron gesetzt, Karl sich unter seinen Höf lingen versteckt. Das Mädchen konnte ihn nicht entdecken! Dann öffnete sich die Türe des Saales vor Johanna; es war ein riesiger Raum, über dessen Schwelle sie trat. Herren und Damen in so herrlichen Gewändern, wie sie nie geahnt, da13 es solche gäbe, standen dichtgedrängt zur Rechten und zur Linken. Unzählige Fackeln erleuchteten den Raum. In mächtigen Kaminen loderten Feuer, an der fernen Schmalseite erhob sich der Thron mit dem Baldachin über mehreren Stufen. Ein sehr dicker Mann saß auf dem königlichen Sessel unter dem Lilienwappen. Johanna schritt dem Thron entgegen, während sich ein Raunen und Tuscheln erhob: Ein Mädchen in Männerkleidungl Ein Mädchen, das seine Beine zeigte. Und die geschnittenen dunklen Haare, schamlos jedes weibliche Wesen verbarg auch das letzte Härchen unter einer Haube oder unter dem <Hennin> mit dem wallenden Schleier. Jetzt blieb das seltsame Geschöpf stehen, es fragte den Grafen von Vendóme, warum man es täuschen wolle; der Herr auf dem Thron sei nicht der König. Johanna schaute umher, lächelte und trat auf einen schmächtigen Mann zu, der weniger elegant gekleidet war als seine Umgebung. Sie kniete nieder und küßte das Knie des jungen Mannes und sagte mit ihrer sanften, aber klingenden Stimme zu ihm, was in den Worten verschiedener Zeugen ungefähr so überliefert ist, «Gentil Dauphin, j'ai nom Jehanne la pucelle [34], der König des Himmels sendet mich mit der Botschaft zu Euch, daß Ihr in Reims gesalbt und gekrönt werdet und daß Ihr der Hauptmann des Himmelskönigs seid, der auch der König von Frankreich ist.» Ob die Höf linge lachten, ob der Erzbischof von Reims aufgefahren ist, weil das Mädchen über seinen Kopf hinweg die Krönung in Reims versprach? Wie auch immer, Karl VII. war von der Erscheinung der Jungfrau wie gebannt. Er faßte sie schweigend bei der Hand und führte sie in eine der tiefen Fensternischen, die so gern zur Unterhaltung unter vier Augen benutzt wurden, da die starken Seitenmauern keine Lauscher zuließen. Im letzten Schimmer eines klaren Frühlingsabends breitete sich dort unten, jenseits der Vienne, das hüglige, liebliche Land aus. Man sah ihm von fernher den Hunger und das Elend nicht an; es war ein Teil von Frankreich, dieses Landes, das dem Gentil Dauphin gehörte. In dieser Fensternische hat Johanna das Wort gesagt, das Karl nach Jahren der Zerrissenheit, der Zweifel, der Beschämung von Gefühlen seines Unwertes heilen mußte, denn er glaubte dem unerklärlichen Wissen der Jungfrau, das Wort der Überzeugung, er sei Karls VI. echter Sohn. Das Gerücht des Bastardtums sei das höllische Werk von Menschen, die ihn beiseite zu schieben versucht hätten. Er sei Karl VII. von Frankreich und würde von ihr, die Gott ihm gesandt, nach Reims geführt werden. Wenn das heilige Öl ihm Stirn, Brust und Handflächen berührt habe und die Krone sein Haupt umschließe, dann würden alle seine Provinzen, Herzogtümer und Grafschaften ihm, dem höchsten Lehensherrn, wieder zufallen, das Volk sich um ihn scharen und die Feinde vertreiben. Die Legende sagt, der König habe einen Beweis, ein <Zeichen> erbeten, daß sie, die Jungfrau, die Wahrheit kenne. Es gibt mehrere Versionen über dieses Ansinnen. Es wurde später auch in leidenschaftlichem Für und Wider um die Art des (Zeichens> debattiert, das sie dem König gegeben habe. Johanna selber, die Chronisten, unter ihnen Jean Chartier, die Zeugen im Prozeß, sie alle widersprechen sich in diesem wichtigen Punkt. Es war von einem Engel, von einer goldenen Krone, von einem Gegenstand die Rede, so kostbar, wie ihn nie jemand gesehen, und schließlich von einem Gebet, in der Einsamkeit vom Dauphin gesprochen, das Johanna wiederholen konnte. Wie begreiflich, wenn man die Wundersucht dieser Zeit bedenkt und die zahlreichen Legenden, die von Himmelsbotschaften reden und Gaben von Engeln gebracht; oder von Tauben, von kostbaren Gefäßen, heiligem Öl, von Blutstropfen und wundertätigem Wasser. Johanna hat kein <Zeichen> gegeben, und der König wohl auch keines verlangt. Er wollte ja glauben, er mußte glauben, denn Johannas Verkündigung rettete sein König- und sein Menschentum. Eine Bergeslast war ihm vom Herzen genommen. Der Hof sah mit Staunen einen König, der erhobenen Hauptes zu den Seinen zurückkehrte, einen Mann mit dem schmerzlich-frohen Ernst in den Zügen, wie ein Genesender ihn zeigt, der den Tod hinter sich gelassen hat. Diese schöne, rasche Veränderung in Karl bezeugte später der Sieur Simon Charles, der an diesem Abend anwesend war.

12. Kapitel

Johanna wäre gern geradewegs nach Orléans geeilt; wie Nike, die Siegesgöttin, die sich mit ausgebreiteten Schwingen in die Schlacht herniederstürzt. Nur sah sie solch heidnische Bilder nicht vor sich; sie hatte Wochen verloren und war nun ungeduldig. Dürfte jetzt der Bastard von Orléans der eingeschlossenen Stadt verkünden, daß sie, die Gott zu ihrer Hilfe gesandt, schon in Chinon zum Auf bruch bereit sei, so würde kein Hunger und keine Not die Stadt bezwingen können. Aber wenn der König ihr keine Truppen gab, wenn die regierenden Herren sie an ihrem Werke hinderten, wenn sie nicht diese oder die nächste oder die übernächste Woche vor den Mauern erschien, dann würde Orléans <zum Teufel gehen>, wie Colet de Vienne es ihr vorhergesagt, und die <Goddams> Herr sein. Man gab Johanna keine Gelegenheit, den Dauphin mit ihrer Zuversicht zu beseelen. Der Hof stand um ihn geschart und drängte ihm vielerlei mißtrauische Bedenken auf. Die Geistlichen wollten Beweise der Gottgesandtheit des Mädchens sehen, die armagnakischen Haudegen gewiß sein, ob die Inspirierte im Felde nicht mehr Unheil als Vorteil bringen würde. Die Tage vergingen; jetzt behaupteten die Frauen gar, Johanna sei kein Mädchen, sondern ein junger Mann, man müsse sie nur reiten und mit der Lanze umgehen sehen; woher sollte auch <eine Hirtin> aus dem fernen Lothringen Begabung für solche Künste besitzen? Dieses Erstaunen teilte der junge Herzog Jean von Alencon, den ein Bote des Königs von der Rebhuhnjagd im Gelände von Saint-Florent abberufen hatte, um ein Mädchen zu sehen, das in Chinon eingetroffen sei und verspreche, als Gottes Abgesandte, Orléans zu entsetzen. Das war eine Nachricht! Eine Nachricht für Alencon, der die Engländer haßte. Seit der Schlacht bei Verneuil hatte er als englischer Gefangener fünf Jahre auf der Meeresfestung Crotoy an der Mündung der Somme zugebracht. Sein Vater war bei Azincourt gefallen, im Augenblick, da Heinrich V. ihm die Friedenshand hinstreckte. Sein Herzogtum hatten die Engländer ihm genommen. Wahrhaftig, Jean d'Alencon hatte allen Grund gehabt, sein Schwert gegen England zu ziehen, und seine kleine Gemahlin hatte Grund, ihn nicht zurückzuhalten, war sie doch die Tochter Karls von Orléans, des Besitzers der belagerten Stadt, der seit Azincourt auf der Insel in Gefangenschaft lebte. Am Tag, nachdem der Bote ihn erreicht hatte, war Alencon in aller Frühe mit stattlichem Gefolge zu Karl VII., dem er blutsverwandt war, gejagt. Er hatte Johanna im Gespräch mit dem König gefunden. Wie unbefangen, wie anmutig war sie ihm entgegengetreten. Einen Blick in ihr erleuchtetes Antlitz, und er hatte gewußt: hier ist die Heldin aus dem (Bois Chesnu), die uns prophezeit wurde, <die Frau, die Frankreich rettet, nachdem eine Frau Frankreich zugrundegerichtet hat>. In seiner Freude an der Jungfrau schenkte Alencon ihr eines seiner besten Pferde. Von Stund an waren der Herzog und die Jungfrau in einer fröhlichen und vertrauten Kameradschaft verbunden. Alencons Begeisterung riß einige der Heerführer mit; La Hire, Xaintrailles und Gille de Retz (oder Rais) schlossen sich ihm an, wenn er die heilige Sendung der Jungfrau verteidigte. Gille de Retz, als <Blaubart> in die Geschichte und Sage eingegangen, fünfundzwanzigjährig und schon Maréchal de France, war ein Satan in Menschengestalt. Zwar sollte er seine scheußlichsten, kaum auszusprechenden Verbrechen erst später begehen, aber das absolut Böse lag schon jetzt, in diesem Jahre 1429, in seinem Blut. Worin bestand der Zauber, mit dem Johanna ihn und so manche andere Mordgesellen zu bändigen wußte, daß sie wieder zur Messe gingen und ihre Flüche hinunterschluckten? In Johannas unbefangener Reinheit. Wie die Heilige unter den wilden Tieren bewegte sie sich furchtlos unter den bestialischen Männern, keinen von ihnen verdammend und in ihrer Demut nie die eigene Unzulänglichkeit vergessend. Aber noch eines hatte ihr den abergläubischen Respekt der rauhen Männer eingetragen: der überraschende Tod des frechen Soldaten in den Wassern der Vienne. Nun standen sie wie eine Garde um die prophetische Jungfrau. Ganz anders die Geistlichkeit am Hof. Regnault de Chartres, der Erzbischof von Reims, und andere Kirchenfürsten, Priester und Mönche waren aufgebracht gegen dieses Laienkind, das sich erlaubte, als Inspirierte aufzutreten. Als gottgesandte Jungfrau! Wer konnte wissen, ob ein Mädchen, das wochenlang mit Männern durchs Land gezogen war, überhaupt eine Jungfrau war. Von ihrer Unberührtheit hing es jedoch ab, ob der Teufel oder Gott aus ihr sprachen. Auch die geistlichen Herren waren von der Geschichte des Mannes, dem Johanna den nahen Tod vorausgesagt hatte, sehr betroffen. Waren es nicht Hexen- oder Zauberkünste, mit denen sie sich an ihm gerächt hatte ? Und die Stimmen, die sie hörte, und die Heiligen, die sie sah? Blendwerk der Hölle! Ein geistliches Kollegium müßte das Mädchen prüfen. G6rard Machet vertraute johannas klarem, sicheren Wesen, aber La Trémoille, in der Furcht, seine Günstlingsstellung geschmälert zu sehen, applaudierte den Kirchenfürsten. Auch Raoul de Gaucourt, eine höchst wichtige Persönlichkeit am Hofe, hätte die Visionärin, die Karl zu Gott weiß welchen kriegerischen Unternehmungen verleiten konnte, lieber als Betrügerin entlarvt gesehen; er war der Haushofmeister des Königs, ein kluger und fähiger Mann, ein ausgezeichneter Diplomat. Er besaß das Vertrauen des Dauphin und unterstützte die Friedensbemühungen mit Philipp von Burgund. Und nun war diese Johanna aufgetreten und drohte, alle feingesponnenen Fäden durcheinander zu bringen. Wenn es ihr wirklich gelang, Orléans zu befreien, so würde der Erfolg ihr zu Kopfe steigen, und sie wäre nicht von weiteren Kriegstaten zurückzuhalten. War der Kampf denn nötig? Wahrscheinlich kam der Dauphin mit Philipp von Burgund zu einem Friedensschluß, der für die Engländer die Aufgabe Orléans' bedeutete. De Gaucourts Ansicht von Johanna änderte sich aber sehr bald, es erging ihm wie so vielen Menschen, die mit ihr lebten; die Reinheit und Unbefangenheit ihres Wesens bändigte den natürlichen Widerstand gegen ihr unerklärliches Wesen. Bezeichnend für seine Zeit, in der (Tugend) etwas Erstaunliches war, sind seine Worte, die er als fünfundachtzigjähriger Mann im Rehabilitationsprozeß sprach: «Sie war sehr keusch, ich habe niemals bemerkt, daß sie nachts einen Mann bei sich hatte». Der Sieur Raoul de Gaucourt mußte es wissen; er und seine Gattin waren ständig um Johanna, denn der Oberhofmeister hatte vorn Dauphin den Auftrag erhalten, die Jungfrau im Schloßareal einzuquartieren und ihr einen Hofstaat beizugeben. Karls Dankbarkeit der Jungfrau gegenüber war vorläufig unbeschränkt, er war bereit, ihr alles zuliebe zu tun, sie zu ehren und auszuzeichnen. Gaucourt gab seiner Schutzbefohlenen mehrere Zimmer im Tour du Cobdray und eine eigene Kapelle. Der Haushofmeister des Königs lebte im gleichen Turm; seine Gemahlin, die im Rufe großer Tugend stand, unterhielt Johanna, und der kleine Page, Louis de Contes, den man in der neugegründeten Familie im Turm <Minguet> nannte, sang für Johanna zur Laute und lehrte sie das Brettspiel. Tagsüber aber kamen oft die Herren vom Hof zu ihr auf Besuch in den Turm und fragten sie aus. Was sollte Johanna ihnen antworten? In Orléans wollte sie Antwort geben, warum sie gesandt worden war. Louis de Contes sah die Jungfrau oft in Tränen am Betschemel knien. War es zu verwundern? Diese freundliche Haft, dieses erzwungene Nichtstun, bei dem ihre hohe Mission zu zerrinnen drohte, mußte sie, nach ihrem stürmischen Bemühen an die Arbeit zu gehen, ernüchtern und niederdrücken. Auch Alencon konnte ihr nicht helfen. Er gab ihr zwar Reitunterricht, und sie durfte dem <Gentil Dauphin> ihre Künste vorführen, wenn er sich in den Wiesen beim Schloß erging, aber gegen das Sticheln und Raunen des Hofes waren beide machtlos. Immer noch hieß es bei der Mehrzahl der Beobachter: das Mädchen ist eine Hexe. Weder Weib noch Mann. Vielleicht der Sproß des Teufels und einer Alraune, wie der Zauberer Merlin es gewesen war. «So tut, was Ihr wollt, untersucht, prüft, befragt, aber laßt mich aus dem Spiel», so etwa war die Antwort des Dauphin auf das Drängen der Feinde Johannas. Die Gemahlin Gaucourts und ihre Freundin, die Dame La Maéon, ließen sich die Erlaubnis, Johannas Art zu erforschen, nicht zweimal geben. Das Rätselwesen mußte sich ihnen ausliefern. - Es war ein Mädchen. Aber war es ein unberührtes Mädchen? Die Frage, ob die Stimmen und Visionen aus dem Himmel oder aus der Hölle stammten, war noch nicht beantwortet. Umsonst verteidigten die Freunde das wuridersame Menschenkind, dem die Reinheit vom Antlitz glänzte; der König gab die Erlaubnis, daß man Johanna nach Poitiers brachte, wo ein geistliches Kollegium das letzte Wort haben sollte. In diese Stadt hatten sich die Bischöfe von der Partei des Königs gerettet, desgleichen einige Doktoren der Universität Paris, auch das Parlament unter Juvenal des Ursins residierte in Poitiers. Karl VII., der Gentil Dauphin, und der Herzog von Alencon, <mon Beau Duc>, wie Johanna diese fürstliche Person nannte, begleiteten sie. Man hatte die Jungfrau beschworen, die Männerkleidung abzulegen und als Dame zu reiten, aber sie hatte dieses Ansinnen abgelehnt. Sie war gekommen, um Männern in der Schlacht voranzugehen, sie mußte sich frei bewegen können, wollte sie sich doch im Reiten üben; ihr Beau Duc sollte sie auch während der Reise belehren. Was konnten ihr da schleppende Gewänder, lange Ärmel und flatternde Schleier nützen? Orléans liegt nordöstlich von Chinon, Poitiers südlich der königlichen Residenz. Johanna verging vor Ungeduld, der belagerten Stadt zur Hilfe zu eilen; sie ahnte nicht, daß man sie südwärts führte. Unterwegs fragte sie, wohin der König sie bringe? Nach Poitiers, zur Befragung durch die Doktoren der Theologie. Johanna soll erschrocken ausgerufen haben: «En nom Dieu! Das wird mir Schwierigkeiten bringen - Aber <messires> (meine Gebieter) werden mir helfen.» Meinte sie ihre himmlischen oder ihre irdischen Herren? Wahrscheinlich die irdischen, denn ihre Heiligen, die sie immer um sich glaubte, waren ja ein Ritter und zwei hohe Frauen. Ihre irdischen Herren, der König und der Herzog, konnten ihr aber wenig beistehen, als sie dann in Poitiers im Gerichtssaal auf einer kleinen Holzbank dem thronenden Kollegium der Doktoren gegenübersaß, das G6rard Machet präsidierte. Einer der Professoren packte von Anfang an das heiße Eisen der <Stimmen> und der < Erscheinungen> an. Er fragte die Jungfrau, in welcher Sprache die Heiligen denn redeten und meinte, in welchem französischen Dialekt. «In einer besseren Sprache, als Ihr sie sprecht», sagte Johanna, und man hat seit dem Tage ihre Antwort als geistreich bezeichnet. Der Professor sprach den Dialekt seiner Provinz. Aber die Frage des Theologen, die verächtlich kommentiert zu werden pflegt, traf, psychologisch gesehen, ins Schwarze. Wenn Johanna zugegeben hätte, daß die Stimmen im lothringischen Dialekt redeten, den sie selber sprach, so lag die Erklärung nahe: also hörst du die Stimmen deines Innern. Johanna, die ihr begnadetes Wissen um ihre Mission nicht anders erklären konnte als durch Stimmen und Visionen, die sie berieten, hütete sich in ihrer Klugheit, in die Fallen zu gehen, die man ihr stellte. Sie war keiner Lüge fähig und war keine Sophistin, aber sie mußte ihre Berufung, die auch ihr unbegreiflich, wenn auch über jeden Zweifel erhaben war, in Worte kleiden, die ihre Frager zum Verstummen brachten. Johannas schwebende Antworten, jetzt und im späteren Prozeß, erinnern an die Antworten, mit denen Christus seine pharisäischen Frager zum Schweigen brachte. In der gleichen Realistik, die heutigen Prüfungen zugrundeliegt, versuchten die Theologen zu Johannas Zeit - Männer, die zum Teil ausgezeichnete Psychologen waren - die Wurzeln ihres unnatürlichen Selbstvertrauens freizulegen und über Wahn oder Wahrheit ihrer visionären Erfahrungen ein abschließendes Urteil zu finden. Die Fragen, die man Johanna hier in Poitiers und später bei dem Prozeß in Rouen mit zähem Forscherwillen immer wieder stellte, umschlossen etwa die Überlegung: wenn Johanna ihre Heiligen von <Monsieur de Beaudricourt in Vaucouleurs> reden hörte oder von Gerüchten über den Dauphin, von der Gefahr um Orléans oder von allerlei Einzelheiten aus ihrem eigenen Leben, so hörte sie nur Dinge, die sie kannte; die Stimmen hatten nie etwas gesagt, das außerhalb ihrer Kenntnisse lag. Die vielgeschmähten Theologen, die Johanna scheinbar nur plagten und hinderten, waren die Elite des französischen Geistes, in ihrem Wissen der dumpfen abergläubischen Masse weit voraus. In dieser Zeit einer <Renaissance> der Künste und Wissenschaften begannen die Gelehrten, die meistens Doktoren der Theologie waren, tiefer und tiefer in die Zusammenhänge der Natur hineinzuschauen, doch mußten sie mit Vorsicht überlegen, was sie der Menge von ihrem Wissen verraten durften. Die alte Gewohnheit, das Böse mit dem Wirken von Teufeln und Hexen zu erklären, blieb deshalb noch lange in Gebrauch. Durch Angst und Furcht war das Volk am ehesten zu leiten, aber die Herren selber lächelten wohl untereinander über die Schreckensgestalten, die sie aufboten. Ihrer Gelehrsamkeit bedeuteten die Stimmen und Visionen dieser Jungfrau offensichtlich den Ausdruck der Erschütterung darüber, was sie als heranwachsendes Mädchen von den Greueln in ihrer Umgebung gesehen, den Ängsten, die sie und die Ihren ausgestanden hatten, was sie von den Leiden Frankreichs überhaupt und der Schande des Dauphin, die überall beschrieben wurde gehört hatte. Die Stimmen waren aber auch der Ausdruck ihrer Wunschträume, ihres Mitleids, ihrer Liebe zu diesem fernen, so schmählich behandelten Dauphin. Daß ihr Empfinden derart elementar war, daß es sich zu mystischem Schauen und Hören steigerte, zeigt einen seelischen Sonderzustand, der das Maß des Natürlichen sprengt. Johanna selber war das <Wunder>, ihre <Stimmen> und (Visionen) das Gefäß, das sie sich schuf, um Gedanken auszudrücken, die ihr im Grunde unerklärlich waren. Die überirdischen Stimmen haben oft nicht gehalten, was Johanna als Versprechen von ihnen zu hören glaubte. Wenn sie später in der Gefangenschaft immer wieder betonte, die Stimmen hätten ihr gesagt, Gott würde ihr nichts geschehen lassen, und es geschah ihr schließlich das Schlimmste, was Menschen geschehen kann, so war es auch hier sie selber, die, in begreiflicher Angst, sich tröstende Stimmen suggerierte. Auch von den vier Versprechungen, die Johanna auf Grund der heiligen Einflüsterungen gab, erfüllten sich nur zwei. Ursprünglich hatte sie die Befreiung Orléans' und die Krönung des Königs vorausgesagt. In Chinon versprach sie ihrem lieben Alencon jedoch, sie werde seinen Schwiegervater, Karl von Orléans, aus England zurückbringen und selber das Meer überfahren; und in Poitiers sagte sie in ihrem temperamentvoll diktierten Brief an Bedford, den englischen Regenten von Nord- und Westfrankreich, über den Sieg des Dauphin: «Cela lui a été révélé par la pucelle et il entrera à Paris en bonne compagnie.» Und zwar, wie sie glaubte, in ihrer Gesellschaft. Die vier Versprechungen sind persönlich gehört oder vom Hörensagen zu Protokoll gegeben worden durch den Herzog von Alencon, durch Perceval de Boulainvilliers, durch den Seneschall von Berry und von Alain Chartier, dem Geheimsekretär des Königs. Aber wie immer Johanna ihre Stimmen deutete oder wie sie von den Zeitgenossen und späteren Generationen erklärt wurden, sie beruhten in Johannas Überzeugung auf wirklichen Erlebnissen.Am Dienstag der Osterwoche 1429 diktierte Johanna von Poitiers aus jenen Brief an den kleinen, siebenjährigen König Heinrich VI. von England und an Bedford, in dem die erwähnte Prophezeiung über ihren und des Königs Einzug in Paris stand, ein Brief voll naiver Überheblichkeit und Weltunkenntnis, über den wohl auch ihre Freunde lächelnd den Kopf geschüttelt haben. Sich an die Belagerungsarmee wendend, sagt sie: «In Gottes Namen geht weg in Euer Land. Wenn Ihr es nicht tut, so könnt Ihr Nachrichten von der Pucelle erwarten, die Euch über kurzem besuchen wird, und zwar zu Eurem größten Unheil. König von England, ich bin der Heerführer, ich erwarte Ihre Leute, die in Frankreich stehen an irgendeinem Ort und vertreibe sie, ob sie wollen oder nicht. Wenn sie nicht gehorchen, lasse ich sie alle umbringen (occire). Ich bin von Gott, dem König des Himmels, hierher gesandt in meiner leiblichen Gestalt, um Euch aus Frankreich hinauszustoßen. Wenn sie gehorchen wollen, werde ich ihnen Gnade erweisen.» Es folgen dann noch seitenlange Drohungen, die sich immer wiederholen und den Eindruck großer Erregung machen, in der sie diktiert wurden. Aber trotz Naivität, Weltunkenntnis und Erregung - welch ein Gottvertrauen, daß es ihr, einem siebzehnjährigen Kind, gelingen könnte, neunzig Jahre des Krieges mit den mächtigen Engländern zu beenden. Johanna hat den Krieg nicht beendet, aber sie hat das Schiff des Sieges flottgemacht und ins Meer des Erfolges gestoßen. Johannas Brief wurde in Poitiers, bevor man ihn absandte, von der fürstlichen und gelehrten Welt, die sie umgab, geprüft und kommentiert. Dabei scheinen die Herren begriffen zu haben, welch ein Instrument zur Begeisterung der Truppen ihnen in die Hände gefallen war. Von einer religiösen Ekstase der Theologen und Kirchenfürsten ist in den späteren Aussagen nichts zu spüren, obgleich Bruder Séguin Johanna für gottgesandt hält. Im übrigen sagt er sehr realistisch: «Angesichts der großen Gefahr, in der Orléans schwebt, und unter dem Druck der Notwendigkeit beschlossen wir, der König müsse der Jungfrau erlauben, ihm zu helfen und sie nach Orléans schicken.» Johanna war die letzte Rettung, die man allenfalls noch versuchen konnte. Immerhin verlangten die Professoren in Poitiers zum Schlusse doch, die Jungfrau solle ein Zeichen ihrer Gottgesandtheit geben. WoraufJohanna von ihrer Holzbank aus kaltblütig den thronenden Herren zurief: «Ich bin nicht nach Poitiers gekommen, um Zeichen und Wunder zu tun! Führt mich nach Orléans, gebt mir Truppen, eine kleine Zahl Bewaffneter genügt, und ich werde Euch die Wunder zeigen, für die ich gesandt bin.» Johanna glaubte, nun dürfe sie ohne Aufenthalt nach Orléans jagen, und es werde ihr folgen, wer wolle; aber zu ihrem Schrecken befahl der König, sie solle in Tours ihre feierliche Einkleidung als Ritter abwarten und danach die Mutter und die Gattin Alencons aufsuchen. Warum die Verzögerung? Die Einkleidung konnte in einem Tag geschehen, und wozu sollte sie fürstliche Damen besuchen? Man hatte ihr wohl nicht zu gestehen gewagt, daß der Erzbischof von Embrun, den man zum Schluß noch um seinen Rat gefragt, die Antwort nach Poitiers gesandt hatte: «Gott habe zu mehreren Malen durch Jungfrauen, so auch durch Sibyllen, offenbart, was er den Menschen verbirgt. Aber man müsse die volle Gewißheit haben, daß sie (Johanna) eine unberührte Jungfrau (une vierge) sei. Der Teufel könne mit einer Jungfrau keinen Pakt schließen.» So hatte Karl VII., der Gentil Dauphin, seine Schwiegermutter Yolanda gebeten, sie möge sich nach Blois begeben, um dort, gemeinsam mit den Herzoginnen von Alencon, die Jungfernehre des Mädchens zu bestätigen oder zu verwerfen. Johanna kannte als Bauerntochter die Beschaffenheit von Mensch und Tier, auch lebte sie in einer Zeit, die keine Zimperlichkeit kannte; so gibt es in der Überlieferung kein Wort der Empörung aus ihrem Munde oder ein Zeichen des Widerstands gegen die Pflicht, die den Damen auferlegt war. Es war für Johanna ja auch von allergrößter Bedeutung, daß man ihre Jungfernschaft anerkannte und bestätigte. Die Damen gaben in Blois das gewünschte Zeugnis. Keine Teufelsmacht hatte sich Jehanne la Pucelle zu nähern vermocht. Stolz und befreit schwang sich Johanna auf ihr schwarzes Streitroß, das Geschenk ihres Feau Duc; sie war eine herrliche, siegverheißende Erscheinung. In Tours hatte man ihr auf Karls Befehl eine <weiße>, das heißt, eine silberne Rüstung gegeben.
Wie ein junger Sankt Georg muß sie ausgeschaut haben, strahlend vom Helm bis zu den gepanzerten Füßen, das Banner, das sie hatte machen lassen, in der Hand. Es war mit den goldenen Lilien Frankreichs bestickt. Auch war eine Weltkugel darauf, die von zwei Engeln gehalten wurde. Auf der anderen Seite standen die Namen: Jesus, Maria. Eine zierliche Streitaxt hing am hohen, kostbaren Sattel. Ihr Gefolge, der neue <Haushalt>, den der König ihr bewilligt hatte, bestand aus Louis de Contes und einem zweiten jungen Pagen, aus ihrem Waffenmeister Jean d'Aulon, auch dieser bekannt für seinen Anstand und sein würdiges Wesen, aus zwei Herolden und zwei Pferdeknechten. Zu Johannas freudiger Überraschung waren ihre Brüder Pierre und Jean zu ihr gestoßen, die sich aber bei den Knechten zu halten hatten. War nun alles getan, um die Gottgesandte mit Glanz in Erscheinung treten zu lassen? Nein, eines fehlte noch: ein Schwert, dieser mystische Besitz des ritterlichen Streiters. Johanna wünschte das alte Schwert aus Fierbois, von dem die Priester in Sankt Katharinen ihr erzählt hatten, zu führen. Man solle es holen. Es geschah, und sogleich verbreitete sich im Volk, das in Erregung die Straßen des Ortes durchzog und täglich Zuwachs aus der Umgebung bekam, das Gerücht, die Jungfrau habe ein Wunder getan. Von dem Schwert habe niemand etwas gewußt, sie aber habe den Platz angegeben, wo es vergraben liege; es sei sehr rostig gewesen, aber der Rost sei abgefallen, sobald die Priester begonnen hätten, es zu putzen. In Goldbrokat gehüllt, wurde das Schwert, Karl Martells Schwert, wie es hieß, der Jungfrau überbracht. Mit den Menschen, die in Blois ein und aus gingen, eilte der Bericht über die Gottgesandte und ihre Wundertat durch das Land bis nach Orléans, wo die Eingeschlossenen in letzter Not um ihr Kommen beteten. Seit Wochen hatten die Türmer umsonst nach dem Entsatzheer unter dem rettenden Engel ausgeschaut. Jetzt endlich konnte die Erlöserin sichtbar werden. Schon war der April fast zu Ende gegangen, und die Späher des Bastards hatten von nichts anderem berichtet als von einem Hin- und Herreisen des wundertätigen Mädchens von Chinon nach Poitiers und von Poitiers nach Tours und von Tours nach Blois. Aber mit dem Gerücht über das Schwert von Fierbois war auch die Beschreibung eines triumphalen Aufbruchs aus Blois eingetroffen. Jean d'Orléans war bereit, Johanna entgegen zu galoppieren, sobald ihre ersehnte Nähe von den Türmern mit Trompetenstößen verkündet wurde.