»Die schreiben uns noch an die Wand«
Beobachtungen beim 5. »Treffen schreibender Frauen« in Bremen
Vom 5. Treffen schreibender Frauen habe ich in einer Zeitungsnotiz erfahren. Es findet diesmal in Bremen statt, an einem heißen Juni-Wochenende. Über hundert Frauen strömen zur Eröffnungsversammlung. Die meisten so zwischen zwanzig und vierzig, vereinzelt auch ältere.
In der ersten Stunde finden sich, leicht chaotisch, doch nicht ohne Humor, die einzelnen Arbeitsgruppen zusammen. Ihre Themen: Textlesungen-Textkritik/Bestandsaufnahmen weiblicher Themen und Schreibmuster/Französische Theorien weiblichen Schreibens/Was gefällt uns an Virginia Woolf?/ Schreibende Frauen sind nicht Sonntagsmalerinnen der Literatur/Frauenlieder-Frauentexte.
Am begehrtesten ist die Gruppe, in der Frauen eigene Texte lesen wollen. Ich habe den Eindruck, viele stehen unter Druck, viele wollen möglichst rasch gehört werden. Auch die Frau neben mir, mit langen Locken und in einer Art grünem Kampfanzug. Wir kommen ins Gespräch, entscheiden uns für eine der Gruppen, die am Ufer der Weser tagt, im Schatten hoher Bäume. Auf dem Weg dorthin erzählt mir Regine Johanna Schulte von sich. Sie ist dreißig Jahre alt, Musiklehrerin in Bochum. »Ich fühlte mich mies, sagt sie. »Ich wollte meine Rolle als Frau nicht akzeptieren. Das Schreiben hat mir geholfen. Aber, mir kommen die Wörter nicht so leicht. Ich will lernen, wie man das richtig macht, Schreiben!«
In einem Beutel trägt sie eine Handvoll schmaler Heftchen bei sich, selbstgeschriebene Gedichte, die sie irgendwo hat drucken lassen. Jahrelang hat sie ihre Schreibversuche ängstlich geheimgehalten. Dann hat sie den Teufelskreis durchbrochen, in einem Frauenzentrum ihre erste Lesung gewagt, auf die Gefahr hin, abgelehnt zu werden. Sie verkauft mir eines ihrer Heftchen für fünf Mark. Später, in einer der Gruppen, liest sie daraus - »Texte zur Unterdrückung und Emanzipation«, die sie »nicht nur als Frauengedichte« verstanden haben will. Ihre Sprache ist grausam, die Bilder sind teilweise brutal. Verbrannte Haut, Niedergeschlagenheit, getrocknetes Blut, eingebundene Füße, Tränen, Lähmung - Darstellung seelischer Verstümmelung, manchmal hart an der Grenze zum Klischee.
Auf dem Treffen begegne ich noch öfter Frauen wie Regine, mit ähnlichen Texten, ähnlichen Problemen, bei aller persönlichen Eigenart. Zum Beispiel einer über Fünfzigjährigen - grauer Bubikopf, geschieden, arbeitslos, die Kinder aus dem Haus. Atemlos trägt sie ihre Texte vor: »Ich muß schreien!« Und: »Warum hört ihr mich nicht?« Um besser von ihren Zuhörerinnen verstanden zu werden, erzählt sie rasch interpretierend, wie sie zu solchen Texten kam. Sie erzählt von ihrer inneren Not, ihrer Vereinsamung, davon, daß sie mit Blumen und Bäumen geredet hat, als niemand mehr Klagemauer für sie sein wollte, und daß sie dann schließlich mit dem Schreiben begonnen hat.
Schreibende Frauen, erzählt mir »Courage«-Redakteurin Karin Petersen aus Berlin, stammen größtenteils aus der Frauenbewegung. Sie sind Lehrerinnen, Hausfrauen, Studentinnen oder anderes. Schreibend versuchen sie, ihrer Gedanken, Wünsche, Ängste habhaft zu werden, etwas Eigenes zu produzieren inmitten eines unproduktiven Alltags, mit einem Blatt Papier zu kommunizieren, da sonst Kommunikation nur unbefriedigend stattfindet. Therapeutisches Schreiben also, das nicht nach dem Gelesenwerden fragt, sondern hauptsächlich nach der Entlastungsfunktion?
Ich begegne auch anderen Frauen. Zum Beispiel Ursula Krechel aus Frankfurt. Sie bezeichnet sich als eine »nicht mehr schreibende« Frau, als eine, für die Schreiben eine Tätigkeit neben vielen ist. Seit 1972 hat sie - literarisches - Schreiben radikal zu ihrem Beruf gemacht, »um etwas für mich zu tun«, frei, mit all den damit verbundenen materiellen und psychischen Risiken. Ähnlich ist es bei Jutta Heinrich. Sie schreibt seit zehn Jahren, aus »einer Notwendigkeit heraus«. Und um sich »wirklich dem Schreiben widmen zu können, das heißt, der Auseinandersetzung mit mir und dem, was mich umgibt«, hat sie sich aus allem herausgezogen, was ihr zwar Geld bringt, aber Zeit raubt.
Um frei denken zu können, geht sie hin und wieder auch mal putzen und macht sonst Arbeiten, die ihren Kopf nicht für fremder Leute Gedanken in Anspruch nehmen.
Jutta Heinrich, Jahrgang 1940, ist nach Bremen gekommen, weil in einer der Gruppen ihr Buch »Das Geschlecht der Gedanken« diskutiert wird. Wo liegt die Grenze zwischen schreibender Frau und Schriftstellerin? Haben schreibende Frauen eine Chance, entdeckt, veröffentlicht zu werden? Luisa Francka-Thomele vom Verlag Frauenoffensive, München, hat ständig mit dieser Frage zu tun. Auf dem Treffen fällt sie mir auf durch ihre Sachkenntnis, ihre Vitalität, ihre wache Kritik, die niemals verletzend ist. Luisa, 29 Jahre alt, arbeitet halbtags beim Münchner Verlag Frauenoffensive, der übrigens am 8. Mai 1976 das erste Treffen schreibender Frauen organisierte. Täglich gehen bei der Offensive Berge von Texten ein, darunter mindestens zwei Romanmanuskripte pro Woche. Meist handelt es sich dabei um die Verarbeitung von Negativerfahrungen: Scheidung, Probleme mit Kindern, Abtreibungen, Beziehungsprobleme mit Männern und Frauen, Ausbruchsversuche — das ist es, was schreibende Frauen beschäftigt. Handwerkliches Können, Umgang mit Sprache, literarische Gestaltung scheint ihnen sekundär. Alle Manuskripte werden von den Offensive-Frauen gelesen, viele wieder zurückgeschickt. Pro Jahr bringt der kleine Verlag, bei dem es übrigens einen Menstruationstag und einen Haushaltstag zur freien Verfügung gibt, zehn bis zwölf Titel auf den Markt. Der absolute Renner ist nach wie vor Verena Stefans Roman »Häutungen« mit einer Auflage von 135 000. Luisa selbst, versteht sie sich als schreibende Frau? Sie wehrt sich lachend gegen jede Einengung: »Ich bin einfach nur eine Frau, die liest, schreibt, ein Kind hat, die einkauft, arbeitet.«
Zusammen mit Margarethe von Trotta hat sie den Film »Das zweite Erwachen der Christa K.« gemacht, eben hat sie ein Drehbuch fertiggestellt über die Hexenverfolgung im 17. Jahrhundert. Wenn ihr eine ihrer Ideen gut gefällt, kann es auch sein, daß nur ein Gespräch daraus wird, ein Foto, eine Reise...
Wie steht es überhaupt mit der Unterscheidung einer weiblichen, einer männlichen Kreativität? Gibt es eine weibliche, eine männliche Sprache? In einer der Gruppen wird das andiskutiert, doch ohne Leidenschaft. »Das waren am Anfang ganz wichtige Fragen«, sagt mir Katrin Mosler, Mitorganisatorin des Bremer Treffens, Mitherausgeberin der Frauenliteraturzeitung »Schreiben«. Sie hat die Bewegung von Anfang an beobachtet. Eine ihr auffallende Tendenz jener Frauen, die schon länger in der Bewegung sind und schreiben, ist die zunehmende Müdigkeit, sich an ideologischen Debatten zu beteiligen, Abgrenzungen nach außen zu suchen. Eine neue Phase der Innerlichkeit? Katrin Mosler sagt von sich selbst, daß sie früher ein politisches, linkes, aber ihrer jetzigen Empfindung nach »völlig unlebendiges« Leben geführt habe. Erst seitdem sie, ehemals Lehrerin, jetzt Hausfrau, zwei Kinder hat - »Geburt ist ja eine ungeheure Form der Produktivität« - begann sie mit dem Schreiben. Die scheinbar private Lebensform ist für sie eine Art Überdauern, Überwintern der radikalen Kräfte: »Es geht unterirdisch zu zur Zeit, weil obendrüber nichts los ist.« Katrin, die früher mal Germanistik studierte, schreibt nicht aus innerer Not, auch wenn sie das bei anderen für eine wichtige Durchgangsphase hält. Sie hat Spaß am Schreiben, arbeitet am sprachlichen Detail, sucht neue Ausdrucksformen, unverbrauchte Wörter und Sätze. Mit sieben Frauen diskutiert sie ausführlich den literarischen Anspruch der Texte, die in der kleinen Literaturzeitung »Schreiben« veröffentlicht werden.
Einen ähnlichen Prozeß beobachtet sie bei vielen schreibenden Frauen: Mit einer selbstbewußteren Haltung wächst auch der Wunsch, sich kritisch, selbstkritisch mit der Sprache eigener und fremder Texte auseinanderzusetzen.
Geheimtip dieses Treffens scheint der Name der französischen Professorin Helene Cixous zu sein. Eine der Gruppen, hauptsächlich besetzt von Studentinnen und Lehrerinnen, liest und diskutiert »Die unendliche Zirkulation des Begehrens« (Merve Verlag, Berlin).
Helene Cixous liefert darin Analyse und Modell weiblicher Schreibtätigkeit. »Wenn ich nicht schreibe, ist es, als wäre ich tot«, sagt sie. Sie hat zum Schreiben ein geradezu körperliches Liebesverhältnis. Schreiben: Das ist, so sagt sie, für viele Frauen die einzige Möglichkeit, zu sich zurückzukommen, nachdem sie ihrer selbst beraubt wurden und nicht gelernt haben, sich selbst zu genießen. Helene Cixous lehrt an der Universität Paris-Vincennes, wo sie seit Jahren eine Forschungsarbeit über Feminität durchführt. Sie weicht von den offiziellen akademischen Pflichtübungen ab, indem sie ihre Studentinnen bittet: »Schreibt etwas, das euch am richtigsten, am wahrsten, am lebendigsten erscheint.« Man hört es mit Verwunderung, mit Faszination.
Am Ende des Bremer Treffens werden Adressen ausgetauscht - ohne schwesterliche Euphorie, eher mit dem Wunsch, gemeinsam selbstbewußte Texte zu lesen, daran zu arbeiten. In vielen Städten gibt es, so erfahre ich, bereits Literaturcafes, Literaturkneipen, regelmäßige Lesegruppen. Heimgekehrt vom Treffen schreibender Frauen, rufe ich als erstes einen Mann an, den Schriftsteller Hermann Piwitt in Hamburg. »Schreibende Frauen?« sagt er gedehnt. »Ab und zu wurden bei uns in der Gruppe 47 so ein paar exotische langhaarige Wesen dazugebeten. Ich weiß noch, wie vor 15 Jahren Herr Grass verblüfft und anerkennend sagte: >Diese Frauen fangen an, uns an die Wand zu schreiben. Und da war doch noch gar nichts, aber die Angst war schon da, bei den Männern.«
Auf der Suche nach der Frauenmusik
Freundinnen, emanzipationsbewußte Frauen, fühlen sich betroffen, wenn ich sie auf den Widerspruch hinweise, daß sie sich für Musik begeistern, die sie mehr oder weniger offen diskriminiert, ja verachtet. Musik, die in's Ohr geht, verdeckt ihren Entstehungszusammenhang. Die notwendige Kompensation des Alltags, die sie darüber hinaus erfüllt, läßt leicht ihre Produzenten vergessen. Die Leute, die die Musikindustrie mit ihren Entscheidungen lenken, Produzenten, Verleger, Manager, Arrangeure, Toningenieure und Musiker, sind Männer. Eine Banalität. Sie hat zur Folge, daß aus unseren Radios »Männermusik« ertönt, d.h. von männlicher Empfindung und Denkweise produzierte Musik. Ich möchte den Begriff ausführen. Es ist schwierig, den subjektiven Rahmen von Musikempfindung zu sprengen und Kriterien für männliche Musik genau festzulegen (- ich bin keine Musikwissenschaftlerin). Einer der wichtigsten Gründe dafür liegt wohl auch im Fehlen der Alternative. Durch die Abgrenzung vom negativen Beispiel gelingt oft die Verdeutlichung des Gesuchten. Es ist individuell unterschiedlich, wer sich durch welche Musik in seiner Würde verletzt sieht, und in Gesprächen werden Eindrücke dieser Art in den Bereich des Geschmacks verlegt und dort vergessen. Dennoch gibt es Kriterien, die eine Definition zulassen. Um es mal ganz studentisch auszudrücken: Musik ist der kulturelle Ausdruck der patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft.
Texte sind leichter klassifizierbar, weil man die Aussagen intellektuell festlegen kann. An dem unerschöpflichen Thema Liebe zum Beispiel sind die Texte »mit der Zeit gegangen«, hier pokert schon 'mal die Juliane Werding in einer Kneipe, da gibt schon 'mal eine Frau einem Typen den »Laufpaß«, aber an den Strukturen der patriarchalischen Gesellschaft wird nicht gerüttelt.
Die musikalische Vermarktung der Frauenbewegung hat selbstverständlich schnell in der Plattenindustrie Fuß gefaßt. Sie hat einige Schlager babyrosa eingefärbt. Das Schlimme dabei ist, daß ihre Ziele in ihr Gegenteil verkehrt wurden, wie es fast immer bei Kommerzialisierungsprozessen der Fall ist. Nach dem Motto von Brigitte Bardot »Eine Frau bleibt eine Frau« sind Schlager und Langspielplatten erschienen, die den formalen Aspekt aufgegriffen, das Wort »Frau« vorangestellt haben, in der Aussage jedoch alles beim Alten ließen. Es wurde keine wirklich neue oder überhaupt andere Perspektive als die schon bekannte männliche gewählt.[1] Rollenumkehrung oder, daß eine Liebesbeziehung mit ihrer formalen Beendigung noch lange nicht beendet ist, die Auflösung von Familienstrukturen, all dies scheint den Textern unbekannt, obwohl um sie herum unendlich viele Varianten der Beziehungen zwischen Menschen gelebt werden.
Während ich dies schreibe, singt - als hätte er mich beobachtet - »Väterchen« Barry White, Prototyp des Patriarchen in der Popmusikszene im Radio »We got it, Babe - Yes we got Barry, one more time in your way!« Solche Musik regt mich auf, denn sie verachtet mich. Da legt einer anbiedernd und unaufgefordert seinen Arm um meine Schultern, bietet mir seinen Schutz an, das, was er darunter versteht. Daß es viele Musikerinnen gibt, die Lieder schreiben und singen, will ich nicht unter den Tisch kehren. Dies aber bedeutet noch nicht, daß eine frauenspezifische Ausdrucksweise damit schon garantiert wäre oder, daß sie besonderes Engagement für die Ausdrucksformen ihrer Geschlechtsgenossinnen zeigen.
Positive Ansatzmöglichkeiten dagegen bietet eine Entwicklung innerhalb der Frauenbewegung. Ich habe in Frauenbuchläden und auf Frauenfesten Frauenrockbands, Gruppen und Solistinnen gesehen und gehört, die den Anfang machen. Sie sind auf verschiedene Weise dazu gekommen. Auf die Suche nach der Frauenmusik haben sie sich begeben, entweder weil sie durch die Bewegung dazu kamen, ihrer Musik einen Inhalt zu geben, der ihrer Identität entspricht, oder sie wollen sich musikalisch für ihre Sache einsetzen. Der aktuelle Stand dieser Musik von Frauen ist auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe. Titel der Frauengruppen aus München, Frankfurt und Darmstadt wie z.B. »Frauen gemeinsam sind stark«, »Frauen auf die Barrikaden«, »Chauvi-Rock« oder »Man hat uns von Kopf bis Fuß auf Männer eingestellt« machen deutlich, daß der Text das erkennbare Kriterium für das Thema ist. Die Musik ist Transportmittel, hat Agit-Prop-Charakter, ist Kampfmusik (denn die Frauen müssen kämpfen). Sie haben vorgefertigte Musikschemata übernommen und eigene Texte draufgesetzt.
Es gibt kabarettistische Züge, viele wohltuende Satiren und anklagende Lieder.[2] Das Fehlen ästhetisch genußvoller Alternativen verdeutlicht die Weite des Feldes, auf dem Musik stattfindet. In der DDR haben Sängerinnen wie Veronika Fischer oder Angelika Mann[3] die Agit-Prop-Ebene längst verlassen. Sie singen Lieder, die sich im Pop-Bereich behaupten konnten, ohne daß der Standpunkt der Frau dabei verloren gegangen wäre. Ich glaube, dies muß vor dem Hintergrund der verwirklichten gesetzlichen Gleichberechtigung von Frau und Mann gesehen werden.
Das bisher Beschriebene betrifft die Texte. Bei den Tonfolgen, Melodien, Arrangements ist es wesentlich schwieriger herauszufinden, was da ausgedrückt wird. Die deutlichsten chauvinistischen Züge sind mir persönlich oft bei Rockkonzerten aufgefallen: allein, wie die Musiker auftreten... ihr Imponiergehabe auf der Bühne. Sexuelle Kraftmeierei wird zum Argument, zum Ersatz für das, was eigentlich die Musik hergeben sollte. Die unerschütterliche Ernsthaftigkeit, mit der sich viele Bands ihren endlosen Soli hingeben und vergessen, daß der Genuß nur in der Gemeinsamkeit entsteht. Was den sinnlichen Genuß ausmachen sollte, verkehrt sich in ein sinnentleertes Leistungsprinzip, welches kaum vereinbar ist mit der für jede Kunst notwendigen schöpferischen Selbstverwirklichung.[4] Ich habe mich oft, allein durch die Form der Darstellung, überredet gefühlt, nicht aber freiwillig entschlossen. Ich stand vor der Bühne, hypnotisiert von dem Riesenzauber, eine Situation, in der sich Menschen wiederfinden, die nicht lernen durften, einen eigenen Entschluß zu fassen, ihre Identität durch eigene Aktivität zu finden. Ich will damit nicht behaupten, daß es männlichen Besuchern bei solchen Konzerten anders geht, sondern daß da männliche Musik in Form und Inhalt präsentiert wird - oder um es mit den Worten von Wolf Biermann zu sagen: »... auch Harmonien können lügen...«.[5] Sicher ist, daß Musik nicht wertfrei ist, geschweige denn frei von Rollenverhalten. Was also könnte Frauenmusik überhaupt sein? Eine Musik, deren weiblichen Eigencharakter auch ohne Worte erkenntlich wäre, habe ich in der BRD noch nicht gehört. Ebensowenig wie es eine Frauengeschichte gibt, ebensowenig hatte je Musik von Frauen die Chance, sich zu entwickeln.
Ich sehe eine Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, ohne auf den ästhetischen Aspekt zu verzichten, im Anhören von Musik, die in analogen historischen Situationen entstanden ist. - »The woman is the nigger of the world«. In der Schwarzenmusik, besonders im Blues, habe ich oft Anteile von dem gehört, was Frauenmusik sein könnte. Es ist der Ausdruck von alltäglich gewordener Demütigung und Verachtung aufgrund der Hautfarbe, in Musik.
Die Musik ist eine Sprache, die über die Grenzen eines Landes hinaus verständlich ist. Sie vereinigt. Sie hat die Fähigkeit, uns mit ihrem Klang in unsere Träume zu führen (gegebenenfalls weg von der Realität), um neue Kraft für ihre Durchsetzung aus der wiederbelebten Sehnsucht zu schöpfen. Sie ist Ausdruck einer Gesinnung.
Ich kann unmöglich mit Worten eine Musik beschreiben, ich kann nur ihre Voraussetzungen, ihre Komponenten nennen. Daß man immer wieder neue Ausdrucksformen durch neue Inhalte kreieren kann, zeigen amerikanische Musikerinnen wie Joni Mitchell zum Beispiel, die zu dem gekommen ist, was für viele Frauen noch unüberwindlich erscheint: Sie traut sich. Sie stellt sich hin, alle bestehenden Muster scheinbar vergessend, und singt, wie sie fühlt.
In unserer Musik muß unsere sinnliche Wahrnehmung klingen, und wie sich das dann anhört, ist die Aufgabe der Musikerin.
Der allererste Schritt dahin besteht in jedem Fall darin, die Zweifel an sich selbst zu überwinden, zur eigenen Ausdrucksweise zu stehen, und sich getrauen, sie darzustellen.
Frauenband »Schneewittchen«
Ihr namenlosen Frauen
Ihr namenlosen Frauen
aus der Vergangenheit
ihr Schwestern, wie habt ihr gelebt
was wissen wir denn von euch
den Heldentaten der Männer
lauschen wir nun nicht länger mehr
wo ist die Geschichte der Frauen
wo ist unsere Vergangenheit
Ihr namenlosen Frauen, ihr namenlosen Frauen
während Krieg und Friedenszeit
habt ihr mit Kopf und Händen
habt ihr mit euren Bäuchen
die Heldentaten vollbracht, die es braucht
um trotz Zerstörung zu leben
von diesen Frauen wollen wir hörn
und nicht mehr die Geschichten vom Zerstör’n
Ihr ungezählten Frauen, ihr ungezählten Frauen
die für Frauenrechte gekämpft
zurück an den Herd gedrängt
hat man stets euch, wenn ihr erwachtet
wenn Gewalt nicht half, half Gesetzesmacht
um Frauenkraft zu brechen
und was ihr getan wurde ausgelöscht
in den Büchern der Vergangenheit
Ihr starken tapferen Frauen, ihr starken tapferen Frauen
der Französischen Revolution
zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
habt ihr gefordert Schwesterlichkeit
im Kerker und auf dem Schafott habt ihr Frauen
für unsere Sache gelitten
gelöscht hat man eure Taten
in den Büchern der Vergangenheit
Wir neu erwachten Frauen, wir neu erwachten Frauen
suchen unsere Vergangenheit
zwischen Lügen und zwischen Zeilen
sind Spuren noch zu finden
die Fetzen unserer Geschichte
werden wir zusammensetzen
denn wissen wir, was die Frauen taten
wissen wir auch was wir tun
(Bruni Regenbogen)
Gibt es eine Frauenliteratur?
Ein Beitrag über »Frauenliteratur« steht vor Schwierigkeiten, die nicht nur aus der Sache kommen, sondern aus dem Begriff selbst. Schauen wir uns Herkunft und Gebrauch des Begriffs »Frauenliteratur« an, so wird deutlich, daß ein Unbehagen durchaus begründet ist. Seit Frauen schreiben, werden sie in Sonderkategorien abgedrängt, die mit Literatur nur noch zum Teil etwas zu tun haben. Dies wird im 19. Jahrhundert besonders deutlich, als Schriftstellerinnen unübersehbar an die Öffentlichkeit drängten. Zwar gab es schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine Bewegung briefeschreibender Frauen, die sich jedoch im Vorfeld literarischer Tätigkeit bewegte und sich zumeist mit der Schilderung häuslicher Dinge begnügte. Literarische Arbeiten, etwa von Roswitha von Gandersheim oder Catharina Regina, von Sophie la Roche, die mit der »Geschichte des Fräulein von Sternheim« das Genre des »Frauenromans« eröffnete, von Friederike Unger und Christiane Neubert, von Therese Huber und Bettina von Arnim blieben Einzelleistungen.
Für das 19. Jahrhundert dagegen führt die Literaturhistorikerin Sophie Pataky in ihrem Schriftstellerinnenlexikon von 1840-1890 4547 Autorinnen an. Sobald Frauen jedoch ihr jahrhundertealtes Schweigen brechen, folgt die Diffamierung durch die männliche Konkurrenz auf dem Fuß: »Die Poesie ist unter die Weiber gekommen«, räsoniert Eichendorff, die Herren Literaten gehen auf Vordermann, entschlossen, jedes Stückbreit ihres poetischen Terrains gegen die weiblichen Eroberer zu verteidigen. Sie tun dies so elegant wie auf allen anderen Gebieten auch, wenn es darum geht, Diskriminierung als Zuvorkommenheit zu tarnen. Sie überlassen den Damen den »Damenroman«, feiern sie als »Heldinnen der Feder« (Alker) und »dichtende Frauen« (Prutz), kurz, sie verweisen sie wohlwollend auf die Spielwiese »Frauenliteratur«. Selbst ein so fortschrittlicher Literaturwissenschaftler wie Robert Prutz reserviert ihnen in der »Deutschen Literatur der Gegenwart« ein Kapitel »Die Literatur und die Frauen«. Wo für literarische Werke männlicher Schreiber eine Fülle ästhetischer, poetologischer, stofflicher Kriterien zur Beurteilung und Differenzierung bereitgestellt werden, begnügt Mann sich für die weibliche Konkurrenz mit dem schlichten Etikett ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Daß dabei völlig unterschiedliche Texte unter diesen Begriff gepfercht wurden und werden, wird noch zu zeigen sein.
Mit der Kasernierung im Damenreservat war es allerdings noch nicht getan; vielmehr hatte Mann auch genaue Vorstellungen über »frauengemäße« Spiel- und Stilregeln. So sind sich im 19. Jahrhundert Literaturwissenschaftler und Kritiker zwar mehr oder weniger einig, »daß das Weib ebenso wie der Mann zur Poesie angelegt sei... da diese ein allgemein menschlicher Erbteil ist« (Barthel), aber über die Nutzanwendung dieses »Erbteils« lassen sie dann auch keinen Zweifel. Schriftstellerei wird dem Weibe nur gestattet, wenn es »weiblich bleibt«, wenn es »die Schranken, die seinem Geschlecht von Natur und Sitte gezogen sind, nicht überschreitet« (Barthel), wenn die Frau »im Leben und auch in ihren Schriften durchaus und vor allem streng weiblich« ist (Reiche), »Keuschheit und Innigkeit der Empfindung« (Barthel) und »echt weibliches Eingehen auf das Kleine und Unscheinbare« (Prutz) vorweisen kann. Mann empfiehlt ihr Natur- und Landschaftsbeschreibungen, feiert sie als »schlichte Hohepriesterin des häuslichen Glücks« (Prutz) und gesteht ihr bestenfalls noch eine Beschäftigung mit sozialen Themen, keinesfalls aber eine Einmischung in schnöde Politik zu. Denn: »Die Logik der Frauen ist eine andere als die der Männer« (Julius Schmidt[1]). Oder, wie es ein Arzt wenige Jahre später formulierte: »Das Weib ist kärglicher mit geistigen Fähigkeiten versehen als der Mann und büßt sie eher wieder ein. Dieser Zustand ist von vornherein vorhanden und unabänderlich«.[2]
Festzuhalten bleibt für unsere Fragestellung nach einer Definition des Begriffs »Frauenliteratur«, daß es im 19. Jahrhundert die Männer waren, die diesen Begriff prägten und damit Autorinnen qua Geschlechtszugehörigkeit auf besondere Realitätspartikel und spezifische An-Sichten festlegen wollten. Bis heute hat sich daran wenig geändert, wenn 1976 ein Spiegel-Schreiber den Frauen Romane von »Seele und Sex« nebst einem »Schürfrecht in der Seele« zubilligt und lüstern voyeurhaft losjubelt »...beflügelt durch die Attacken und Theorien der Emanzen-Brigaden hat der Damen-Roman einen großen Sprung nach vorn getan: er bekam einen Unterleib«. Das Titelblatt des Magazins zeigte dazu eine nackte Frau brünstigen Blicks vor der Schreibmaschine kauernd - ein Bild so richtig aus dem Alltag einer Schriftstellerin.[3] Die Welt der Frau als Mischung aus Seelenleid und Sinnenlust - so hätte Manns gern seit Jahrhunderten.
Und Frau? Was verstehen Frauen selbst unter »Frauenliteratur«? Literatur »von Frauen als Frauen über Frauen für Frauen« (zwar immer wieder zu lesen) ist eine zwanghafte Deklination, die wenig weiterführt. Denn erfüllen etwa die Danella, die Paretti oder die Cordes, um nur drei der quantitativ Großen der Herz-Schmerz-Sellerlisten zu nennen, diese Anforderungen nicht, wenn sie alljährlich aufs neue für die seelische Entrümpelung von Millionen Leserinnen sorgen? Das zugespitzte Beispiel macht deutlich: Weiblichkeit - weder der Autorin noch ihrer literarischen Heldin noch der Leserin - ist ein Kriterium für das, was unhinterfragt als »Frauenliteratur« bezeichnet wird.
Wenn Geschlechtszugehörigkeit also nicht ausreicht zur Definition von »Frauenliteratur«, könnte man nach Inhalt und Funktion der unter diesem Begriff angebotenen Werke fragen und folgern: »Frauenliteratur« ist Literatur, die von Frauen geschrieben ist und sich auf das Thema Frauenemanzipation konzentriert. Mit dieser inhaltlichen Bestimmung wäre auch eine Abgrenzung von der DANELLA-PARETTI-CORDES-Gruppe möglich. Denn mit Emanzipation haben die drei dichtenden Damen wenig im Sinn: »Küche, Kinder, Kirche soll man nicht verdammen. Das Wort Emanzipation zerfließt mir wie ein Stück Eis in der Hand«, sagt die Cordes.[4] Mit der Eingrenzung von »Frauenliteratur« auf ihre emanzipatorische Funktion ergeben sich jedoch neue Fragen: Was ist unter »Emanzipation« zu verstehen? Gibt es unterschiedliche Auffassungen und wie finden diese Auffassungen ihren Ausdruck in der Belletristik? (Denn auf die sogenannte »Schöne Literatur« möchte ich meine Darstellungen beschränken.)
Keinen bemerkenswerten literarischen Ausdruck hat bislang die Anschauung der traditionellen Linken gefunden, die die Frauenfrage als Nebenwiderspruch abtut, der erst nach der Veränderung der derzeitigen ökonomischen Machtverhältnisse zu lösen sei. Logisch gerät mithin, etwa bei der DKP in einem programmatischen Flugblatt zum Internationalen Frauentag 1978, nur die ökonomische und rechtliche Benachteiligung der Frau ins Blickfeld. Kein Wort fällt zur doppelten Unterdrückung der Frau, im Gegenteil: Die Frauen sollen sich auch noch glücklich preisen, wenn das starke Geschlecht dem schönen beim Kämpfen unter die Arme greift. Denn: »Gemeinsam das heißt - wir dürfen unsere Frauen und Mädchen nicht allein lassen.« Zur Belohnung wird dann den »Frauen an der Seite der Arbeiterklasse«[5] irgendwo ein Plätzchen reserviert. Der Wunsch nach Harmonie von lohnabhängigem Mann und lohnabhängiger Frau im gemeinsamen Kampf ist hier der Vater des Gedankens und der Praxis, in der die Spezifik der Frauenproblematik in den allgemeinen sozialen und politischen Fragestellungen aufgeht und sich von daher auch dem unmittelbaren literarischen Zugriff entzieht.
Im krassen Widerspruch zu dieser Auffassung steht die Anschauung von der Frau als biologischem Gattungswesen. An die Stelle des Klassenwiderspruchs tritt in der feministischen Theorie der der Geschlechter: Die Welt zerfällt in weiblich und männlich, wobei alle möglichen schlechten Eigenschaften den Männern, alle guten den Frauen wesensmäßig zugeschrieben werden. Theoretisches Denken, Rationalität, Logik werden als spezifisch männlich abgelehnt, Spontaneität, Phantasie, Sensibilität als typisch weibliche Eigenschaften reklamiert. Die Frau erscheint mithin als Wesen, das qua Geschlechtszugehörigkeit von vornherein zur Kreativität geradezu geschaffen ist. Übersehen wird dabei nicht nur, daß Kunstproduktion überhaupt dieser als weiblich apostrophierten Fähigkeiten bedarf, sondern auch, daß damit ein jahrhundertealter Status quo festgeschrieben wird. Verhaltensweisen und Eigenschaften, die das Patriarchat für die Frau übrig ließ, weil sie zur Selbstbehauptung in der Gesellschaft nicht taugten, werden nun von Feministinnen wieder als ureigenste Fähigkeiten, als »Entwicklung« gepriesen. Frauen wollen nicht ebesoviel oder das Gleiche leisten wie Männer, worauf der traditionalistische Ansatz letztlich abzielt, sondern etwas grundsätzlich anderes.
Die Frage nach der Definition der Frau ohne unterschwellige Anpassung an von den Männern aufgestellte und verinnerlichte Leitbilder ist durchaus legitim - unzulänglich, ja irreführend ist oft die feministische Antwort. Als Spezifikum weiblichen Schreibens und Denkens wird eine radikale Subjektivität verlangt und in einen Gegensatz zur männlichen Objektivität gestellt. Da die vorhandene Welt als von Männern gemacht und beherrscht erscheint, wird versucht, eine eigene spezifisch weibliche Sprache und Ästhetik herauszubilden. Der männlichen Sprache der Abstraktion und des Kalküls wird die weibliche Sprache der Spontaneität und Phantasie entgegengesetzt. Erprobt wird diese weibliche Sprache vorwiegend in der Beobachtung des eigenen Körpers und körperlich-seelischer Veränderungen. »Weibliches Denken leitet sich aus der Erfahrung der Körperlichkeit ab«, schreibt die Schriftstellerin Christa Reinig.[6] Wie dieses so abgeleitete weibliche Denken sich entfaltet, macht insbesondere Verena Stefans Buch »Häutungen« deutlich, der bislang konsequenteste Ausdruck der hier skizzierten Richtung innerhalb des feministischen Spektrums. Das Bedürfnis nach Mitteilung subjektiver Erfahrung, nach der Aussprache von Leiden, Unterdrückung und ersten Versuchen, sich der Ursachen der als Mißstand empfundenen Situation bewußt zu werden, prägen bislang das Bild der gesamten Literaturproduktion aus dem Umkreis der Frauenbewegung.
Ein Vergleich drängt sich auf mit den ersten Publikationen schreibender Arbeiter im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, die sich zunächst ebenfalls in Niederschrift und Reflexion betrieblicher Mißstände erschöpften. Auch in ihrer Vorliebe für bestimmte Gestaltungsformen lassen sich beide Gruppen vergleichen: Selbsterfahrungsberichte, Tagebuchaufzeichnungen, Gedichte standen am Anfang der Bewegung schreibender Arbeiter, stehen jetzt am Anfang der Bewegung schreibender Frauen. Auch die Argumente, die für die Bevorzugung dokumentarischer Formen angeführt werden, weisen verblüffende Ähnlichkeiten auf: Während die schreibenden Arbeiter überlieferte Literaturformen als »bürgerlich« und damit als »vernebelnd« ablehnten, wird von den Feministinnen das Wort »bürgerlich« durch »männlich« ersetzt. Der Tatbestand jedoch bleibt der gleiche: Erfahrung wird gleich Wirklichkeit, Dokumentation gleich Wahrheit gesetzt, literarische Gestaltung als Fremdbestimmtheit und Zwang abgelehnt. Wie kurzschlüssig diese Zuordnungen sind und wie schnell sie formal und inhaltlich in eine Sackgasse führen, ist wiederholt diskutiert worden.[7] Hier mögen zwei Beispiele die Problematik andeuten. Da sind zum einen die autobiografischen Aufzeichnungen Marianne Herzogs »Von der Hand in den Mund«,[8] die von Frauenarbeit am Fließband und deren Auswirkungen auf das gesamte Denken und Fühlen der Betroffenen berichten. Zum anderen gibt es die grünen, goldenen oder sonstwie schillernden Illustrierten-Blätter für die Frau, die mit »wahren Geschichten« Authentizität suggerieren und ein Ergriffensein hervorrufen wollen, das sich in der emotionalen Identifikation mit dem Geschilderten erschöpft. Beide Male werden dokumentarische Formen verwandt, dennoch liegen buchstäblich Welten zwischen Marianne Herzog und der Regenbogenpresse.
Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß die Niederschrift subjektiver Erfahrungen für die/den Schreibende(n) ein wichtiges Mittel ist, um sich unter dem Leidensdruck der bestehenden Verhältnisse ein Ventil zu schaffen. Und sicher ist so verstandenes Schreiben fast immer ein emanzipatorischer Akt, insofern sich der/die Schreiber(in) während des Schreibens selbst verändert. Über den Gebrauchswert dieser Texte ist damit jedoch noch nichts gesagt. Wer schon einmal bei einem Treffen schreibender Frauen dabei war, kennt die Problematik, die aus der Gleichsetzung der Entdeckung der Weiblichkeit mit der Entfaltung von Kreativität erwächst, wenn Frauen glauben, allein die Tatsache, daß sie als Frauen schreiben, mache aus ihren Texten Literatur.
Was Verena Stefans »Häutungen«[9] aus der Fülle dieser Selbstdarstellungen heraushebt, ist der hohe Grad an Kommunizierbarkeit ihrer Erfahrungen. Über die literarische Qualität ist damit nichts gesagt; Marlies Gerhardt hat überzeugend nachgewiesen, daß Verena Stefan der Versuch, für ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen eine neue, weibliche Sprache zu finden, gründlich mißlungen ist.[10] Die Gründe für dieses sprachliche Scheitern, für die Flucht in triviale Sprachmuster der zwanziger Jahre liegen im wesentlichen in der inhaltlichen Konzeption der Autorin, die nicht nur den Rückzug vor dem Mann, sondern auch den aus der Gesellschaft propagiert. Der Politikbegriff einer zentralen These der Frauenbewegung »Das Private ist politisch« wird hier in einem Maße reduziert, daß noch Radieschenpflanzen in mikrobiotischer Heimaterde als politischer Akt gefeiert werden kann. Indem sich Verena Stefan von der Welt der Männer distanziert, findet sie nicht zu einer eigenen Welt, sondern zu einer den Frauen jahrhundertelang reservierten Spielwiese, wo sie des männlichen Wohlwollens sicher sein darf, da sie männliche Privilegien nicht im mindesten antastet. Sie versucht erst gar nicht, Kultur und Gesellschaft, aus der die Frauen jahrtausendelang ausgesperrt waren, ihren fremden und verfremdenden Blicken auszusetzen. Sie macht von vornherein die Augen zu, kehrt den Blick nach innen und »...statt der neuen Haut erscheint eine uralte Pelle«.[11]
Was bleibt, ist der Rückzug auf die kleinen Freuden und Leiden des Alltags, wie er der Frau schon vor hundert Jahren empfohlen wurde: »...wie dieser Kuchen entstand, wer ihn essen würde und daß auch morgen noch genug da sein wird. Eine einzige wirklich alltägliche Form der Befriedigung, ein feierliches Genießen ohne Enttäuschungen. Nach diesem Bild ließe sich die Welt verändern. ...Es war wie ein Nachdenken der Natur, dieses Innehalten».[12]
Wer derart kopflos aus der Gesellschaft und vor dem Mann ins kleine Frauenglück im stillen Winkel flieht und sich dort einrichtet, übersieht völlig, daß der überzogene Mythos vom Antagonismus der Geschlechter das Patriarchat nicht in Frage stellt, sondern bestätigt und somit den Männern die beste Potenzgarantie in allen Lebensbereichen gewährleistet. Da alle Entfremdungsformen spätkapitalistischer Rationalität den Männern angelastet werden, gerät die untrennbare Verknüpfung heutiger Erscheinungsformen des Patriarchats mit dem spätkapitalistischen Gesellschaftssystem und seinen immanenten Zwängen, die im übrigen auch den Bedürfnissen der Männer nicht entsprechen, nicht ins Blickfeld.
Auch die »neue frau« des Rowohlt Verlags tanzt im Reigen um die Neue Sinnlichkeit kaum aus der Reihe. »...erzählende Texte aus den Literaturen aller Länder« sollen vorgelegt werden, »deren Thema die konkrete sinnliche und emotionale Erfahrung von Frauen und ihrer Suche nach einem selbstbestimmten Leben ist«, heißt es im Vorspann. Während sich die ersten Bände diesem engen Konzept einpassen, gehen jedoch sowohl Sarah Kirschs noch in der DDR geschriebenen Reportagen »Die Pantherfrau« als auch die Autobiografie der Völkerkundlerin Margaret Mead über die Beschränkung auf »sinnlich und emotionale Erfahrung« hinaus. Im Urteil über Autorinnen, die einer der beiden skizzierten Gruppierungen zuzurechnen sind, möchte ich mich Virginia Woolf anschließen: »Die Frauen, die für Männer gehalten werden wollten, bei dem, was sie schrieben, waren nichts Außergewöhnliches und wenn sie jetzt Platz gemacht haben für Frauen, die für Frauen gehalten werden möchten, - die Veränderung ist kaum von Vorteil«.[13]
Immer deutlicher jedoch bildet sich in der Frauenbewegung eine Strömung heraus, die die spezifischen Interessen der Frauen weder auf von sexistischen Mechanismen geprägte geschlechtsspezifische Fragen reduziert noch eben diese Spezifik in der sozialen Frage aufgehen läßt. Die spezifische Problematik der Frauen wird nicht geleugnet, sondern wie bereits bei Clara Zetkin als klassenübergreifend angesehen: »Daß wir alles hassen, jawohl hassen und beseitigen wollen, was die Arbeiterin, die Arbeiterfrau, die Bäuerin, die Frau des kleinen Mannes, ja in mancher Beziehung sogar die Frau der besitzenden Klasse demütigt und quält«.[14] Gleichzeitig jedoch beziehen sich feministische Linke bzw. linke Feministinnen auf die historisch-materialistische Basis der Frauenfrage, was konkret bedeutet, daß die Verbesserung der ökonomischen und rechtlichen Stellung der Frau ebenso energisch vorangetrieben werden muß wie ihre individuelle Emanzipation, und daß die Emanzipation der Frau notwendig auch die des Mannes mit einschließt.
Margot Schroeders Roman »Ich stehe meine Frau«,[15] der bereits 1975 im Zusammenhang mit ihrer Arbeit im Werkkreis schreibender Arbeiter entstanden ist, kommt dieser Konzeption am nächsten. Unterdrückungsmechanismen, die die Frau durch kapitalistische und patriarchalische Herrschaftsausübung erfährt, werden nicht länger als Haupt- und Nebenwiderspruch aufgefaßt, sondern dialektisch aufeinander bezogen. Die versteinerten gesellschaftlichen Zustände und die versteinerten Mann-Frau-Beziehungen werden als Mißstände geschildert, die alle Menschen betreffen, die diesen Zwängen ausgesetzt sind. Perspektiven sieht Margot Schroeder über ihre weibliche Romanfigur mithin nicht in der Abkehr vom Mann, sondern in der Auseinandersetzung mit ihm, nicht im Rückzug aus der Gesellschaft, sondern im praktischen Eingreifen. In dieser Koppelung gelingt es ihr, nicht nur die These der Frauenbewegung »das Private ist politisch« in den Verhaltensweisen ihrer Romanfiguren zu versinnlichen, sondern auch ihre Umkehrung zu konkretisieren. Auch Birgit Pauschs Erzählung »Die Verweigerungen der Johanna Glauflügel«[16] geht von einem dialektischen Bezug zwischen Herrschafts- und Geschlechtsbestimmtheit aus, die gleichermaßen zerstört, aufgehoben werden muß. Ihre Hauptfigur sucht in der Auseinandersetzung mit Elternhaus und Ehemann nicht nur ihre weibliche, sondern auch ihre politische Identität. Sie verändert sich gemeinsam mit einem linksorientierten gegen ihren reaktionären Mann.
Gemeinsam ist Margot Schroeder und Birgit Pausch, die mit sehr unterschiedlichen literarischen Darstellungsmitteln arbeiten, daß sie nicht einer monokausalen Weltsicht anheimfallen, sondern ihre durch eine spezifische Sozialisation von den Männern verschiedene Welt-Anschauung in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einbringen. Kehren wir zurück zur Eingangsfrage nach einer möglichen Definition von »Frauenliteratur«, so können wir jetzt feststellen, daß sich dieser Begriff bestenfalls auf eine Gruppe von Büchern anwenden läßt, die sich stofflich und perspektivisch auf die Beschäftigung mit dem biologischen Wesen Frau beschränken. Literatur wie die von Schroeder oder Pausch läßt sich kaum unter diesen Begriff subsumieren. In der Komplexität ihrer Realitätsaneignung schreiben sie nicht »Frauen«- sondern »Welt«-Literatur. Wie schwer es ist, diese Konzeption in der feministischen Öffentlichkeit durchzusetzen, zeigen nicht nur die Zurückhaltung feministischer Zeitschriften oder Mißverständnisse von Leserinnen gegenüber dem Buch Birgit Pauschs; die Intoleranz gegenüber Anschauungen, die nicht ins eigene beschränkte Konzept passen, scheint Mode zu machen. Obgleich z.B. Jutta Heinrichs Roman »Das Geschlecht der Gedanken«[17] im Verlag »Frauenoffensive« erschien, lehnten Frauenbuchhandlungen in West-Berlin und München Lesungen mit der Autorin ab. Begründung: Man wisse mit dem Buch nichts anzufangen. Der wahre Grund wurde verschwiegen, liegt aber auf der Hand: Auch Jutta Heinrich läßt sich nicht ins Damenreservat abdrängen, sie »ergreift keine Partei für ein Geschlecht«.[18] Sie zeichnet vielmehr das Bild der menschenunwürdigen Dressur des Menschen nach seinem Geschlecht, wobei sie allerdings keinen Zweifel läßt, daß gerade dem Mädchen kaum eine Chance zur Selbstverwirklichung gelassen wird.
Reaktionen feministischer Kritikerinnen machen nur noch einmal mehr die Grenzen dieser Strömung innerhalb der Frauenbewegung deutlich. Daß sich jedoch Autorinnen, die der Frauenbewegung nahestehen, mit ihrem Schreiben - »in ihrem Drang nach Weltmachen, in sich und außer sich« (Irmtraud Morgner) - nicht einschränken lassen, stimmt optimistisch.
Interview der schönen Melusine (S. M.)
mit dem sowjetischen
Schachgroßmeister Dr. Solowjow (Dr. S.), das sie ihrem 4. Melusinischen
Buch als 19. Kapitel zufügte[1]
S.M.: Es gibt relativ gute Schachspielerinnen, keine absolut guten. Wie erklären Sie sich das?
Dr.S.: Nicht nur historisch.
S.M.: In Wissenschaft und Kunst müssen Frauen sich der männlichen Konkurrenz, die als Maßstab empfunden wird, stellen. Warum werden im Schach nach Geschlechtern geschiedene Wettkämpfe ausgetragen?
Dr.S.: Weil eine Frau sich nicht absolut fanatisieren kann. Wie Bobby Fischer etwa. Der kennt außer Schach nichts, nicht mal Romanzen. Und man akzeptiert ihn durchaus noch als männlichen Menschen - einen weiblichen Menschen seiner Art würde man als Popanz empfinden. Obgleich dieser weibliche Mensch vom natürlichen Leben eigentlich kaum weiter entfernt wäre als Herr Fischer...
S.M.: Was gehört eigentlich nach Ihrer Ansicht zum natürlichen Leben einer Frau?
Dr.S.: Nicht ihre soziologisch bedingten Lasten. Aber Kinder. Deren Anwesenheit, Forderungen, Ansprüche, Poesie sind Barrieren gegen die Fanatisierung des Geistes. Kindliches Dasein setzt geistige Gegenstände zur Realität in Beziehung, relativiert sie, ironisiert sie auch mitunter auf drastische Weise. Wenn ich meiner Frau die Betreuung unserer Söhne zur Hälfte abnähme, das heißt, wenn nicht nur sie, sondern auch ich gleichberechtigt wäre, könnte ich nur Bezirksklasse sein. S.M: Die Emanzipation der Frau müßte demnach mit dem Niedergang der Schachkunst zu bezahlen sein.
Dr.S.: Mit dem Niedergang der Profi-Schachkunst des Stils, der heute bei Weltmeisterschaften gespielt wird, jedenfalls. Vielleicht liegt den Frauen das königliche Spiel aber auch nicht sehr, weil es kriegerisch ist. Schachspieler müssen sich gegen ihren Gegner aufbringen, um fit zu werden für das Match. Den Monomanen Fischer kann ein bloßer Sieg nicht befriedigen. Er giert nach der psychischen Vernichtung seines Gegners. Gewöhnlich begleitet er seine Attacken mit lauten Comic-strip-Ausrufen: »Crunch!«, »Smash!«, »Crash!«. - »Nach dem sechsten Spiel spürte ich, wie Petrosjans Ego zerbröckelte«, gestand er zufrieden in einem Fernsehinterview.
S.M.: Hat nicht Sport überhaupt eine kriegerische Komponente?
Dr.S.: Man bekämpft sie offiziell, indem man seinen völkerverbindenden Geist propagiert, zu Marschmusik. Manche Gewichtheber beschimpfen ihre Gewichte, um sie besser zur Hochstrecke bringen zu können.
S.M.: Ich glaube nicht, daß Frauen ihr Selbstbewußtsein mit der Überzeugung, einen anderen Menschen niedergerungen zu haben, aufbessern können oder müssen. Die Antriebe, sich so beweisen zu wollen, fehlen ihnen vielleicht sogar ursprünglich. Frauen sind autarke Systeme. Relativ unsportlich...
Dr.S.: Wenn man die männliche Sportauffassung als Norm annimmt.
S.M.: Dr. Solowjow, Sie sind nebenberuflich Physiker. Halten Sie Frauen auch für relativ unwissenschaftlich?
Dr.S.: Wenn man den männlichen, zu geistigem Fanatismus neigenden wissenschaftlichen Denkstil als Norm setzt und zu dieser Norm relativiert: ja. Wissenschaftliche Ergebnisse haben ein neutrales Aussehen. Die Wege zu diesen Ergebnissen zeigen die persönliche Handschrift des Wissenschaftlers: sein Denkmuster. Auch die Fragestellung, die Auswahl der Forschungsgegenstände verrät diese Handschrift. Würden die Frauen, von ihren soziologisch bedingten Lasten befreit, die Forschungsarbeit be- und verhindern, könnte der Wissenschaft eine neue Denkungsart zuwachsen. Der geistige Fanatismus hat hervorragende wissenschaftliche und künstlerische Ergebnisse gebracht. Der geistige Realismus könnte nicht weniger hervorragende Ergebnisse bringen. Andersartige. Er ist eine Tugend, für die uns vorläufig noch der Blick fehlt. Der von materiellen Interessen bestimmte Blick, Moral kann nebensächliche Veränderungen auslösen, keine grundlegenden.
S.M.: Geradezu selbstlos vernünftig. Geh ich recht in der Annahme, daß Sie öffentlich Wein predigen und heimlich Wasser trinken?
Dr.S.: Sie gehen recht.
S.M.: Und was sagt Ihre Frau dazu?
Dr.S.: Wenn ich ihr in Interviews entgegenkomme, steckt sie leichter zurück.
S.M.: Danke.