Autonome Frauenprojekte

Frauenzeitschrift Courage

Eine Selbstdarstellung der COURAGE-Frauen

Die Courage erscheint seit September 1976 monatlich. Sie ist eine unabhängige Zeitschrift, die aus der autonomen Frauenbewegung entstand und von arbeitslosen Akademikerinnen und Studentinnen gegründet wurde. Courage informiert und deckt Mißstände auf. Einzelne Frauen und Frauengruppen berichten über ihre Erfahrungen und Initiativen. Frauen bekommen durch Courage Anregungen, sich mit ihrer und der Situation anderer Frauen auseinanderzusetzen. Aufgrund unseres Berichtes über Geburten (4/1976) und die Rolle der Hebammen bildete sich in Berlin eine Gruppe von Hebammen, die gemeinsam versuchen, ihre Situation zu verändern, gegen die Mißstände und entfremdeten Geburten in den Kliniken anzugehen. Der Bericht über die Anwendung der Prostaglandine bei Abtreibungen mobilisierte überall in der BRD Frauengruppen, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Außerdem führte er zu einer kleinen Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus. Im Frauenzentrum in Berlin bildete sich im letzten Jahr eine Gruppe älterer Frauen, um den Schwerpunkt für Heft 8/1977 vorzubereiten. Diese Gruppe besteht heute noch; die Zahl der Frauen hat sich verfünffacht (siehe den Erfahrungsbericht über diese Gruppe »Offensives Altern« S. 294f.). Mit unseren Veröffentlichungen über die Kampagne um Lohn für Hausarbeit konnten wir die Diskussion darüber vorantreiben.
Frauen berichten in Courage regelmäßig über ihre Initiativen, in denen sie informieren, beraten, unterstützen, helfen (z. B. Biff, Psiff, Fan Chen, Notruf für vergewaltigte Frauen), über Frauentreffen (z.B. ASF-Frauen, Berliner Frauenkonferenz, Kölner und Frankfurter Frauenkongreß), über Aktionen, Demonstrationen und Feste. Wir veröffentlichen Artikel über die Berufs- und Ausbildungssituation, über Gewerkschaftsarbeit und über Bürgerinitiativen. Mit besonderer Spannung erwarten wir die Reaktionen auf Texte, die radikale Positionen vertreten, so der Artikel über P. P. Zahl (6/1978), der das Verhältnis der linken Männer zu ihren Frauen und Kindern problematisiert, und der bei uns und den Leserinnen heftige Diskussionen ausgelöst hat. Auch der Konflikt um »Künstlerinnen International« (5/1977) ist ein Beispiel dafür.
In Courage schreiben selten professionelle Schreiberinnen, sondern Frauen, die von bestimmten Situationen persönlich betroffen sind. So sind z.B. unsere Psychiatrieberichte (3-6/1978) alle von Frauen geschrieben, die konkrete Erfahrungen als Patientin oder Betreuerin in dieser Institution gemacht haben. Wie groß das Bedürfnis nach einem solchen alternativen Kommunikations- und Informationsorgan ist, zeigt die ständig wachsende Zahl von Zuschriften: Artikel, Leserinnenbriefe, Anfragen, Kurzgeschichten, Gedichte und Fotos.
In jedem Heft haben wir einen inhaltlichen Schwerpunkt, d.h. zu einem Thema erscheinen mehrere Artikel, in denen unterschiedliche Aspekte und Erfahrungen vermittelt werden. Einige unserer Schwerpunkte waren: Psychiatrie, Landleben, Ökologie, Lesben, Hausarbeit, Schreiben, Prostitution. Diese Schwerpunkte planen wir einige Monate im voraus. Die Planung ist abhängig davon, ob wir wissen, wo Frauen schon seit längerer Zeit an bestimmten Themen arbeiten und bereit sind, für uns zu schreiben, davon, wie stark Interessen und Bedürfnisse von außen an uns herangetragen werden und auch von unserem eigenen Interesse. Die Entscheidung darüber, welche Artikel in einem Heft veröffentlicht werden, ist oft sehr schwierig. Artikel über subtile oder offene Gewalt gegen Frauen sind immer aktuell und notwendig. Für uns gilt es, ein Maß zu finden, in dem sie verkraftbar sind.
Die meisten Artikel, Gedichte, Rezensionen schicken uns die Frauen unaufgefordert. Darauf sind wir angewiesen, davon lebt die Courage. Nachdem wir diese Artikeleingänge auf einer Liste vermerkt haben, werden sie auf einer Redaktionssitzung verteilt. Wir haben regelmäßig drei Sitzungen pro Woche, manchmal auch eine Sondersitzung. Jede Frau betreut Artikel je nach ihrem Interesse. Wir haben keine Ressorts wie die anderen Zeitschriften, sondern entscheiden gemeinsam, ob wir einen Artikel drucken wollen oder nicht. Oft ergeben sich Änderungswünsche oder Kürzungen aus der Diskussion, wir besprechen das mit der Autorin oder Autorinnengruppe und bitten um Überarbeitung oder vergewissern uns, ob sie mit der Änderung einverstanden ist. Ablehnungen versuchen wir den Autorinnen gegenüber zu begründen. Berliner Autorinnen kommen oft mit ihren Artikeln zur Diskussion in unsere Sitzungen.
Aber Zeitungmachen bedeutet nicht nur Redaktionsarbeit; es muß auch eine Menge Büroarbeit bewältigt werden, z.B. Abos, Anzeigen, Buchführung, Kleinanzeigen, Vertrieb, Briefe beantworten und noch vieles mehr. An den mechanischen Arbeiten wie Plakate verschicken, Mahnungen schreiben, Auswertungen der Fragebögen beteiligen wir uns alle.
Einmal pro Woche haben wir eine gemeinsame Sitzung, an der alle mitarbeitenden Frauen teilnehmen. Dort werden alle im Kollektiv anfallenden Probleme besprochen, kleine und große organisatorische Aufgaben verteilt, inhaltliche Diskussionen geführt. Alle über den redaktionellen Bereich hinausgehenden Entscheidungen werden hier gemeinsam getroffen. Die Schwerpunktplanung wird von der Redaktion vorgelegt und diskutiert, damit sich jede Frau an der Vorbereitung beteiligen kann. Der Schwerpunkt Stillen (2/1978) z.B. - von der Redaktion bereits verworfen — wurde nach einer solchen Diskussion wieder aufgenommen.

Zuerst war die Zeitung und dann das Layout. Eine Handvoll Frauen, die nicht wußten, was das ist. Es stellte sich sehr bald heraus, daß das Layout ein umfangreicher, eigener Arbeitsbereich ist, für den sich nach mehreren Heften eine relativ stabile Gruppe zusammenfand. Uns liegt vor allem daran, alternative visuelle Ausdrucksformen zu finden. Als wir anfingen, konnten wir kaum auf Erfahrungen und Vorbilder der sinnlichen Vermittlung feministischen Selbstverständnisses zurückgreifen. Keine von uns hatte technische Vorkenntnisse. Der bildlichen Gestaltung wurde anfangs auch in Courage wenig Raum gegeben. Wir mußten z.B. ein Verhältnis von Bild und Text von 1:2 für die Heftplanung durchsetzen. So war es zu Beginn den Frauen, die ein Interview machten, nicht selbstverständlich, eine Fotografin miteinzubeziehen; und daher war unsere Hauptsorge früher, Bildmaterial zu beschaffen.
Ein entscheidender Teil unserer Arbeit ist das Herumexperimentieren mit den Textfahnen, Überschriften und den Bildern. Wir versuchen dabei, nach optischen und inhaltlichen Überlegungen den vorhandenen Raum in einer sinnvollen Verbindung von Bild und Text zu gestalten. Wir teilen das Heft nach der Artikelreihenfolge grob auf und treffen die erste Auswahl der Fotos. Währenddessen diskutieren wir bereits die ersten Gestaltungsideen der Seiten. Zu zweit oder zu dritt geht es los: Fahnen schneiden, Textzeilen und die Buchstaben der Überschriften zählen, Fotoausschnitte bestimmen, berechnen, anordnen, die Bildfolge abstimmen, »kreative Luft« lassen und schaffen, Diskussionen über Linien, Balken und Kästen und Anzeigenplazierung. Bis hierher machen noch alle gerne und intensiv mit. Mühseliger wird es dann gegen Ende der Layout-Phase bei den kleingesetzten Seiten (Termine, Kleinanzeigen) und beim »Rein-Kleben« der Originaltexte und der für den Druck schon gerasterten Fotos: eine millimetergenaue, präzise Fummelarbeit. Die Krönung davon ist, wenn wir mit der Pinzette aus einem »ei« ein »ie« machen müssen.
Immer noch schwierig ist die Titelbildgestaltung. Welches Foto eignet sich, welche Wirkung wird es erzielen? Im Gegensatz zu anderen Zeitschriften haben wir keine langfristige Titelkonzeption, sondern der Titel steht immer in Verbindung mit dem Schwerpunkt oder einem aktuellen Artikel im Heft, so daß wir uns meistens spontan, oft auch erst in der letzten Minute für ein bestimmtes Foto entscheiden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Zeitung druckfertig ist, sind für uns etwa 10 Tage, auch Abende, Nächte und Wochenenden ins »Heft« gegangen. Unsere Nerven sind nicht die besten, wenn wir unser Produkt, in einer Schublade sortiert, unter Termindruck durch die Stadt zur Druckerei bringen.
Das Heft ist weg. Was nicht sichtbar wird, sind die Auseinandersetzungen während der Arbeit und die Art, wie wir dabei miteinander umgehen. Unser Eindruck von uns ist heute, daß wir gegenseitige Kritik an unseren Entwürfen nicht mehr als persönliche Zurückweisung erleben. Trotzdem entstehen Probleme, wenn Frauen Änderungen an einem Entwurf vornehmen, wenn die Betreffenden nicht dabei sein können. Denn wir arbeiten zwar alle mit einem ähnlich großen Zeitaufwand, doch oft nicht zur gleichen Tages- oder Nachtzeit. Nachdem die Auflage innerhalb weniger Monate von 5000 auf 22 000, über 55 000 auf 65 000 Exemplare geschnellt war, zeigte sich während dieser Zeit, daß die gesamte Arbeit von 10 Frauen nicht mehr zu schaffen war. Über eine Kleinanzeige im Heft kamen Anfang 1977 interessierte und engagierte Frauen dazu, 8 an der Zahl. Es dauerte eine geraume Weile, bis wir anfingen, über unsere internen Schwierigkeiten zu sprechen: Die eingestiegene Gruppe fand keinen rechten Anschluß und Kontakt an die bestehende Gruppe, welche wiederum mit der Organisation der redaktionellen Arbeit nicht klarkam. Sollten die einzelnen Artikel von Frauen betreut, vorbereitet, diskutiert und dann erst in die Redaktionssitzung kommen, oder sollte alles gemeinsam diskutiert werden? Ein handfester Konflikt spielte sich ab und es krachte. Der Anspruch auf alternative Umgangs- und Arbeitsformen war nicht so leicht zu praktizieren. Wir litten wohl alle gleichermaßen unter diesem Sprung zwischen unserem Anspruch und der Wirklichkeit.
Unsere Gruppe war zu diesem Zeitpunkt 30 Frauen stark, die zwar alle regelmäßig, aber nicht täglich mitarbeiteten. Die Courage war im Oktober 1977 noch lange nicht in der Lage, mehr als 3-4 Frauen zu bezahlen - auch nicht unsere Autorinnen und Fotografinnen. Wir waren zwar so gut wie unverschuldet, hatten aber noch nicht genügend Einnahmen, die uns ermöglichten, uns für die geleistete Arbeit zu bezahlen. Die Diskussionspapiere unseres Konflikts wurden dann in 2/1978 abgedruckt, um unsere Positionen öffentlich zu machen.
Inzwischen, im Juli 1978, sind wir 20 Frauen, die zum Teil voll bei der Courage verdienen, zum Teil anteilmäßig ihr Geld erhalten, je nach Arbeitsaufwand und Nebenverdienstquellen. Immerhin wenden wir inzwischen monatlich für Gehälter DM 10 000 auf. Unsere Finanzen haben wir in 6/1978 in »eigener Sache< veröffentlicht. Wir haben Arbeitsplätze für Frauen geschaffen, wenn auch noch unterbezahlte. Zwei der ehemaligen »Bürofrauen« sind jetzt voll in der Redaktion beteiligt, eine andere arbeitet mit an den Nachrichten, eine andere hält die Finanzen im Auge. Mit der Rotation der Arbeitsbereiche hinken wir noch nach, aber kleine Rädchen drehen sich schon.

Braunschweiger Frauenbuchladen am Eulenspiegelbrunnen

Eine Selbstdarstellung

Begonnen hat alles innerhalb der Frauenbewegung, die sich 1975/76 in der Phase der Entstehung der Frauenprojekte befand. Wir wurden durch schon bestehende Frauenbuchläden in Berlin und München ermutigt, auch in Braunschweig einen Frauenbuchladen aufzumachen. Wir waren zu Anfang fünf Frauen aus der Fraueninitiative Braunschweig, alle Mütter mit kleineren und größeren Kindern, alle arbeitslos. Die Gründung des Frauenbuchladens Ende 1976 war für uns eine Möglichkeit, wieder eine Berufsarbeit zu haben und gleichzeitig dazu beizutragen, die Gedanken und Überlegungen der Frauenbewegung weiter zu verbreiten. Heute, nach eineinhalb Jahren, ist unsere Gruppe noch dieselbe wie zu Anfang, und es sind noch drei Frauen dazugekommen. Bisher haben wir ohne Bezahlung gearbeitet, um einen
gewissen Buchbestand aufzubauen. Wir finden es aber erstrebenswert, uns in Zukunft einen vertretbaren Stundenlohn zahlen zu können, damit wir nicht wieder die Rolle von Frauen einnehmen, die für ihre Arbeit nichts verlangen.
- Wir haben auch nichts gegen Männer, die etwas für ihre eigene Emanzipation tun wollen. Sie bekommen bei uns auch für sie wichtige Literatur.
Der Buchladen erfüllt neben dem Bücherverkauf noch eine ganz wichtige Funktion, nämlich den Frauen viele Kontaktmöglichkeiten verschiedenster Ausgangspunkte zu bieten.
Bevor der Buchladen entstehen konnte, hatte Frau viel zu tun. Die Ladenräume mußten gefunden, renoviert und eingerichtet werden; da wir damals alle arbeitslos waren, konnten wir verhältnismäßig viel Zeit investieren und den ganzen Papierkrieg durchstehen. Wir mußten uns um einen Gewerbeschein kümmern, beim Finanzamt, Ordnungsamt, bei der Handelskammer anmelden und einen Firmennamen beantragen, beim Amtsgericht den Laden eintragen lassen, eine Beglaubigung vom Notar erlangen, um eine GmbH zu gründen. In dieser GmbH sind wir alle gleichberechtigte Gesellschafterinnen und Geschäftsführerinnen. Das war für unseren Notar etwas ungewöhnlich; er befürchtete, daß dadurch Kompetenzschwierigkeiten entstehen könnten. Wir mußten dann das Vertrauen der Verlage und des Großhandels gewinnen. Inzwischen stehen wir mit allen Verlagen und Auslieferungen in gutem Kontakt, so daß wir alle Buchbestellungen, die auf uns zukommen, ausführen können. Enge Beziehungen haben wir besonders zu all den Projekten der Frauenbewegung und den ihr nahestehenden Verlagen, z.B. Frauenoffensive, München; Ala-Verlag, Zürich - er besteht aus einer Frau, Berta Rahm, die in Alleinarbeit schon viele interessante Texte der Frauengeschichte übersetzt und verlegt hat; Frauenpolitik, Münster, gibt u.a. zwei Zeitschriften heraus, »Mamas Pfirsiche» und »Protokolle«; Frauenverlag, Koblenz, ein sozialdemokratischer Verlag, der u.a. ein Frauenhandbuch und Frauenlieder zum »Haaresträuben« herausgibt; Frauenbuchvertrieb, Berlin, liefert alle Erscheinungen der Frauenbewegung aus, neben Büchern u.a. »Courage«, »Clio«, Frauenkalender, Poster und Schallplatten; Amazonenverlag, Berlin, veröffentlicht Bücher von und für lesbische Frauen. Inzwischen haben auch viele alte und bekannte Verlage, die nichts mit der Frauenbewegung zu tun haben, wie Rowohlt, Fischer, Suhrkamp und viele andere, eine ganze Reihe von Büchern über Frauenemanzipation in ihre Programme aufgenommen.
In unserem Buchladen haben wir Sachbücher, viele Autobiographien, in denen sich die Geschichte der Frauenbewegung stark widerspiegelt, allgemein politische Bücher, Lyrik, Romane, Bücher über die alte und die neue Frauenbewegung, die den geschichtlichen Hintergrund der Frau, der systematisch verschwiegen wurde, aufarbeiten und die verlorengegangene Identität der Frau aufzeigen. Bücher über Frauenkunst und -kultur, Jugend- und Kinderbücher, Schallplatten und Liederbücher.
Da unser jetziger Laden zu klein ist, um dieses große Spektrum von Veröffentlichungen richtig anbieten zu können, brauchen wir dringend größere Räume!
Längerfristig planen wir, Photos, Bilder und anderes, was Frauen produzieren, auszustellen. Wir wollen öfter als bisher Autorinnen zu uns einladen, um mit ihnen über ihre Bücher zu reden.
Erfahrungen, die Frau im Buchladen macht, werden beim wöchentlichen Gruppentreffen besprochen, ebenso organisatorische Probleme. Anfangs dachten wir, es sei gut, daß alle Arbeiten, die neben dem Bücherverkauf auftauchen, wie Buchhaltung, Bestellungen, Werbung, Außenkontakte, Schriftverkehr, von allen gemacht würden. Das brachte aber viel Zeitaufwand mit sich und auch Doppelarbeit. Wir sind dazu übergegangen, feste Aufgaben unter uns zu verteilen. Weil jede Frau ersetzbar sein soll (Urlaub, sonstige Abwesenheit, anderer Job), wechseln wir alle drei bis vier Monate die Arbeitsgebiete und haben klare Verantwortlichkeiten. Es ist wichtig, kollektive Arbeitsformen zu lernen - wir sind ja dazu nicht »erzogen« worden.
Durch die Behandlung der Problematik der Frauenunterdrückung und -benachteiligung in Rundfunkprogrammen, Fernsehsendungen und einem immer größer werdenden Angebot an Büchern und Zeitschriften findet in der Öffentlichkeit in verstärktem Maße eine Auseinandersetzung darüber statt.
Adresse: Braunschweiger Frauenbuchladen am Eulenspiegelbrunnen Bäckerklint 1, 3300 Braunschweig

Durststrecke Freiheit

Ich sitze in der Hamburger Frauenkneipe auf einem alten Sofa. Ich zähle die tanzenden Kerzenlichter auf den Biergläsern und laß den lieben Gott einen lieben Mann sein, draußen vor der Tür, denn Männer haben hier keinen Zutritt. Ich werde weder mit Blicken getreten noch mit Worten angerissen. Kein Thekenkavalier schickt ein Bier an mich ab, kein Gnä'dge Frau-Geflüster huscht über meinen Handrücken. Ich werde in Ruhe gelassen, ich bin allein. Aber die große Einsame mit Weitblick und gekonntem Fingernägelgeknabber wollte ich gar nicht sein. Sicher wollte ich auch nicht schulterklopfend Kumpanei morsen. Ich wollte mich einfach an einen Tisch setzen und Blicke nachmalen, wie ich manchmal Wolken nachmale. Ich wollte ins Zuhören fallen und vielleicht eigene Gedankengänge öffnen, aber der Augenblick zu einem noch freien Platz ist genauso zu wie in einer Männerkneipe. Lesbe, Ehefrau oder nur allein und ohne feministisches Bewußtsein? Ich weiß nicht, wie ich bei dem Erkennungsdienst der Frauen abschnitt, auf jeden Fall muß ich für sie ein verdächtiger Fall gewesen sein, sie schleusten mich an ihren Blicken vorbei in den hinteren Raum.
Jetzt sitze ich vor meinem zweiten Asbach und warte auf den Abholtermin für die schönen spreizfüßigen Sessel. Bin ich zynisch, ist das männliches Verhalten? Die alten Möbel dämmern vor sich hin wie Schwerhörige, einige Frauen auch. Sie sitzen da wie nicht abgeholt. Ich muß mit mir selber sprechen wie zu Hause, wie Millionen Frauen in ihren »eigenen« vier Wänden. Ich bin hierhergekommen, um das einen Abend lang nicht zu müssen. Ich werde aufgenommen von dem satten Idealismus organisierter Gemütlichkeit, aber ich werde nicht angenommen. In abgestumpfter Kleidung, mit angezogenen Blicken hocken viele der Frauen in ihrer stilechten Revolution. Sie haben ihre Ideologie, aber ich spüre keine Ideen. Als ich mir einen Kaffee am Tresen bestelle, entdecke ich auf dem schwarzen Kachelschild vor der Spüle reizende bunte Prilblümchen. Reklame für ein Spülmittel in einer Frauenkneipe, Werbung für zarte, gepflegte Arbeitshände? Vielleicht sehe ich das zu verbissen. Ich lächel ein paar Frauen zu. Sie sehen mich an wie Platzanweiserinnen. Ich gehe an meinen Tisch zurück. Wenn ich nicht zuhören darf, will ich wenigstens mithören. Ich höre: Immer leiert sie eine aggressive Anmachstimmung an/Sie scheckt nichts/So laufen die Dinger überhaupt nicht/Diese Typen kannst du vergessen. - Fängt eine Revolution nicht bei der Sprache an? Ich höre programmierte Unsprache. Nicht, daß ich hochtrabend auf meiner gerümpften Nase Hindernisse nehme, auch ich zertrete wie andere Frauen meinen Zigarettenstummel unter der Schuhsohle, obwohl ein Aschenbecher auf dem Tisch steht. Die unausgesprochene Unsicherheit in dieser Kneipe macht mich krank. Aber steigt ein Phoenix in einem Saustall aus der Asche?
Harter Rock im Dämmerlicht. Sehr junge Frauen sehen Wange an Wange starr aneinander vorbei. Widersprüche. Aber sind sie nicht eine Chance? Ein neuer Weg geht immer von einem alten ab. So viele Fragen. Ich möchte sie austauschen. Mit wem? Soll ich vor mich hinleidend an den Lippen kauen, eine Frau wie aus einer Illustrierten, besser das Image meiner Unterdrückung? Warum setze ich mich nicht an den Tresen und versuche ein Gespräch mit den Theken-Frauen? Warten ist die schlimmste Form weiblicher Nervosität.
Ich kletter auf einen Tresenhocker. Frauen latschen mit leeren Biergläsern hinter die Theke und mit schnell gezapften Halben an ihre Tische zurück. Ob die auch alle bezahlen, denke ich, wer hat hier eigentlich eine Übersicht? Ist das die viel gepriesene Spontaneität: Bier her und weg bin ich? Geht da vielleicht auch mal eine Flasche Schnaps mit, weil wir ein Kollektiv sind: Alles gehört allen? Ich frage eine der Kneipen-Frauen. (Die Dialoge sind teilweise fiktiv, ich habe sie aus dem Gedächtnis aufgezeichnet.)
»Du hast recht«, sagt sie, »leider. Wir schließen neuerdings unseren Vorratsraum ab.«
Sie gibt mir Feuer.
»Sehe ich irgendwie komisch aus?« frage ich.
»Wie meinst du das?«
»Ich werde nicht angesehen, ich werde angegafft.«
»Ja«, sagt sie und haut Schaum von einem Bier. Sie reicht mir ein Flugblatt über den Tresen. Ich lese:

Wer boykottiert die Frauenkneipe?

Ich habe mir mal vorgestellt, daß die Frauenkneipe ein Ort ist, wo möglichst viele Frauen hinkommen können: unterschiedliche Frauen mit ganz verschiedenen Bedürfnissen, auch gegensätzlichen. Daß diese Unterschiede und Gegensätzlichkeiten dort nebeneinander existieren können, vielleicht sogar sich austauschen können. Vor allem, daß sie auch sichtbar sind, ohne daß sie abschreckend sind, einschüchternd. Daß es vielleicht ein Ort ohne Angst wird.
Ich habe dann festgestellt, daß es sehr schwierig ist. Allein schon die Erwartungen und Wünsche der Frauen, die die Kneipenarbeit machen, waren/sind sehr unterschiedlich. Allgemein wird auf bewegungsfremde Frauen sehr angstvoll reagiert, sehr ablehnend oder meist auch gar nicht. Gruppensicherheit bedeutet mehr als Angst von einzelnen. Und dafür wird für mein Gefühl zu viel geopfert. Lautstärke und Parolen, ein »Wir sind weiter«, »Wir sind lesbischer-feministischer« (?) bestimmen die Atmosphäre. Schüchternheit, Angst und Unsicherheit, die sich nicht laut äußern, die noch keine Gruppenzugehörigkeit gefunden haben, werden übergangen und nicht gesehen: Aggression ist erstrebenswertes Verhalten - Sensibilität mit Scheuklappen und auf Kosten anderer.
Kneipenfrauen machen die Arbeit für Frauen, die lautstark ihre Ideen vertreten, ohne Rücksicht auf Gefühle und Bedürfnisse anderer. Laut-Starke bestimmen, wer in die Kneipe reindarf und wer nicht. (Auf alle Fälle nicht die Frau mit ihrem 8-jährigen oder etwas älteren »Jungficker«.) Verachtung, die uns Frauen fast überall entgegengebracht wird, wird hier von Frauen gegen Frauen gerichtet. Und es gilt die Prämisse, daß das Stärke ist: sieh abzugrenzen, nur mit bestimmten Frauen was zu tun haben zu wollen, andere auszuschließen. Männerverhalten wird somit »in«. Es reicht nicht, Männern unser Lächeln zu verweigern, unsere Achtung, nein, wir sollen es möglichst erstmal gegenüber Frauen üben, bevor wir damit an die Öffentlichkeit treten, und die Frauenkneipe ist ein Ort wie geschaffen dafür. Frauen sind ja sowieso nichts wert, das wissen wir ja.
O, ich bin wütend über diesen Boykott, über diese lustfeindlichen Frauen, die nur Arbeit und Dreck machen, für die ich ein Jahr lang gearbeitet habe, um mit meinen Ersparnissen die Kneipe mitfinanzieren zu können. Ich habe mir damit eine schlechte Ehe erkauft: Ich darf putzen und einkaufen, habe Euch gegenüber sogar noch weniger Rechte als einem Ehemann gegenüber. Ich habe mir Pflichten erkauft. Andere nehmen sich die Rechte. Ich muß um meine Rechte kämpfen, weil ich nicht laut und richtig genug schreien kann. Andere verschrecken Frauen, die mir wichtig sind, verschrecken überhaupt Frauen, die wichtig für die Existenz der Kneipe sind und erwarten somit auch noch, daß wir umsonst für sie arbeiten.
Ich fordere diese schreienden, keifenden und kreischenden Superlesben und -feministinnen auf:
Steckt endlich eure eigene Energie, Zeit und Geld in diese Kneipe, nutzt sie nicht nur aus!
Denn: Selbstbestimmung mit allen Konsequenzen, nicht nur das angenehme patriarchalische Pantoffelheldentum ist feministische Sache.
Zeigt endlich auch mal eure Schwächen und Probleme, tut nicht immer so stark und weist bedeutungsvoll auf eure Auseinandersetzungen hin, die ihr ja wohl in Eurer Privatheit führt.
Vera

Ich halte der Kneipenfrau meine Zigaretten hin. »Das ist mir aus der Seele gesprochen, aber ein solches Flugblatt wäre in einer Männerkneipe unmöglich.«
»Unvorstellbar«, sagt sie, »wir wollen ja auch was anderes. Weg vom bloßen Saufkonsum. Wir haben ein vielseitiges Programm. Jeden Montag ist hier Seniorinnenstammtisch. Wir veranstalten Filmabende, Fotoausstellungen, auch Autorinnen-Lesungen. Bei uns im Keller findest du Musikinstrumente, Frauen, die Lust haben, können bei uns selber musizieren. Du kannst hier mit
Deiner Tochter Tischtennis spielen.«
»Mit meinem Sohn aber nicht, er ist schon 9.«
»Ich finde das selber scheiße.«
»Wenn ich das konsequent zu Ende denke«, sage ich, »stehen mir die Haare zu Berge. Dieser Jungenboykott geht nicht nur gegen die Mütter. Die Väter haben seit Urzeiten eine natürliche Auswahl getroffen. Ihre Söhne nehmen sie schon mal mit in Kneipen, zu Kegelabenden, zum Vatertagsbesäufnis. Wollen wir ihnen dieses unmenschliche Aussortieren nachmachen?«
»So habe ich das nicht gesehen, eher spontan, vom Gefühl her fand ich das nicht richtig.«
»Wenn Denken und Fühlen nicht eins sind, entstehen Sackgassen. Das meine ich wörtlich, das ist Männerherrschaft«, sag ich. Sie hat zu tun, sie hat viel zu tun. Aus dem Zapfhahn zischt und zischt die Verschwesterung. Und doch wirft die Kneipe keinen Profit ab, wie sie mir später erzählt. Frauen trinken einfach weniger. Meint sie. Ich glaube das nicht so ganz. In bürgerlichen Kneipen und zu Hause trinken Frauen genauso viel wie Männer, auch Schnaps. Hier sitzt kaum eine bei Cola. Ich beobachte, daß wirklich die
Übersicht fehlt. Zwei der Thekenfrauen wissen nicht einmal, was ein Korn kostet. Der Korn steht auch nicht im Eisschrank, sondern wie Weinbrand im Regal. Welche Frau bestellt sich schon einen lauwarmen Korn? Denke ich wieder einmal zu sachlich, zu »männlich«? Ist es nicht gut, daß rund vierzig Frauen sich mit dem Thekendienst abwechseln, ohne für ihre Arbeit eine Bezahlung zu verlangen? Aber wenn der Umsatz stagniert? Ich muß nicht die Geschäftsgebaren von Männerkneipen nachahmen, nur, ein schwesterliches Chaos aus Mitgehenlassen, Unerfahrenheit und Liebe, Friede, Schmalzstullen ist noch lange kein Schlaraffenland. Wie ich von einer Kneipenfrau erfahre, haben sich vierzig Frauen zu einer GmbH zusammengeschlossen. Jede dieser Frauen haftet persönlich mit DM 500,-. Auch eine Spendenaktion hatte großen Erfolg. Sie wollen ihre Kneipe retten, diese widersprüchlichen, teilweise kaputten Frauen. Ich schrieb einmal in einem Gedicht: »Wie das Risiko/Hingabe/Schatten in meine  Mundwinkel/zeichnet. Ich sehe klar/die Durststrecke Freiheit/doppelbelastet/unterbezahlt/auszuhandeln/ meinen Beitrag/Würde.  Gehbehindert/werde ich mich stürzen/auf die Krücke Widerstand.« Das Gedicht betrifft auch diese Frauen. Wir sind keine Leerzeilen. - Eine betritt die Kneipe in einem Rock. Gelächter. »Sag mal, kommst du von einer Beerdigung«? Wir stelzen noch zu oft aneinander vorbei, eben auf den Krücken Widerstand. Unsere Durststrecke Freiheit darf nicht in Bierseligkeit enden. Ich blinzel der Frau zu. Sie setzt sich zu mir.

Der Münchner »Frauenbuchverlag« - Chancen und
Schwierigkeiten eines autonomen Projekts

Den Frauenbuchverlag gibt es jetzt seit zwei Jahren. Wir haben mit dem Verlag damals, am 1. Mai 1976, begonnen, weil wir in unserer Arbeit in Stadtteilen, in der Gewerkschaft, an der Volkshochschule oft nach Büchern gesucht haben, die wir in anderen Verlagen nicht, auch in der »Frauenoffensive« nur zum Teil, gefunden haben. Wir, das sind sechs Frauen, Sozialarbeiterinnen, Journalistinnen, Betriebsrätinnen, Hausfrauen und Mütter. Eine von uns arbeitet ganztags im Verlag und wird seit diesem Jahr auch dafür bezahlt, eine halbtags, vorläufig noch unbezahlt. Die anderen beteiligen sich an der Alltagsverlagsarbeit wie sie Zeit haben, die inhaltlichen Entscheidungen über das Programm treffen wir gemeinsam. Dazu treffen wir uns alle 14 Tage, diskutieren die eingesandten Manuskripte und entwickeln Projekte, für die wir Autorinnen suchen.
Wir haben Schwierigkeiten mit einer Selbstdarstellung, weil wir immer hin- und herschwanken zwischen der Darstellung unseres Anspruchs und dem, was in der Praxis davon übrigbleibt. Deswegen wollen wir uns zu einigen Fragen äußern, die in den letzten Jahren immer wieder auftauchten. Eine ganz häufige Frage ist die nach der Zusammenarbeit mit Männern, oft der Indikator für gute feministische Gesinnung. Ihr seid doch gar nicht autonom, wird uns vorgehalten, und das soll wohl heißen, unsere Bücher sind gar keine Frauenbücher.
Wir sehen in der Autonomie von Frauen eine wichtige Voraussetzung für wirkliche Befreiung. Allerdings verstehen wir Autonomie inhaltlich: Die Programmentscheidung und die Bearbeitung des Manuskripts findet unter Frauen statt. Die Verlagsorganisation, Bürokratie und Ökonomie, den Alltag teilen wir mit dem Weismann Jugendbuch-Verlag, mit Männern. Das hat seine Gründe in der günstigeren Planung und den finanziellen Vorteilen, weil wir z. B. aufgrund einer umfangreicheren Produktion bessere Bedingungen bei Druckereien aushandeln können, hat aber auch einen inhaltlichen Zusammenhang in einem (nach und nach entstehenden) Mädchenbuchprogramm. Konflikte, frauenfeindliche und männerfeindliche, konnten wir bislang solidarisch lösen; wir sind dadurch auch nicht von der Entwicklung eigener, positiver Ansätze abgehalten worden, im Gegenteil. An der Reaktion der Männer auf verschiedene Projekte ist uns oft etwas klar geworden.
Es gilt auch als unfeministisch, wenn ein Frauenverlag es wagt, Bücher zu produzieren, in denen ein Mann mitgearbeitet hat. Wir halten die rein formale und rigide Entscheidung nach diesem Kriterium nicht für sinnvoll: Wir wollen uns vorbehalten, inhaltlich zu entscheiden, ob die Mitarbeit eines Mannes an einem Projekt gegen die Wichtigkeit des Projekts spricht.
Drei von uns haben inzwischen Söhne. Auch aus diesem Grund liegt uns nicht an der Vertiefung der Kluft zwischen Männern und Frauen, sondern an der Entwicklung einer neuen Qualität, die Männer nicht notwendigerweise ausschließt. Langfristig würden wir gerne von der Kategorisierung »Frauenbücher« wegkommen; dahin, daß wir unsere Bücher nicht mehr extra als Frauenbücher ausweisen müssen, weil Frauenliteratur zur Selbstverständlichkeit geworden ist, auch für Männer. Zumal das Etikett »Frauenbuch« in der letzten Zeit mehr und mehr dazu benutzt wird, die Kassen bürgerlicher Verlage klingeln zu lassen, leider auch, wenn es Bücher sind, die Frauen gar nichts nützen.
Wie arbeitet ihr zusammen? Ist es eine Alternative zur normalen Berufsarbeit? Auch Fragen, die uns oft gestellt werden, besonders von Frauen, die vor der eigenen Berufsentscheidung stehen. Frauenprojekte sind sicher keine Ausnahme unter anderen alternativen Projekten und früher oder später mit Zwängen konfrontiert, die die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aufzwingen. Es sind allerdings nicht die gleichen Zwänge wie in staatlichen Institutionen oder im Betrieb.
Vielen erscheint es bei uns auf den ersten Blick immer sehr positiv, nahezu ideal. Ideal ist es sicher nicht, aber viele Vorteile hat unsere Arbeit für uns ganz persönlich schon. Der Verlag und die Wohnung sind nicht getrennt. Dadurch ist es einfacher, auch mit einem Kleinkind zu arbeiten. Ich kann mir die Arbeit nach dem Rhythmus des Kindes einteilen, brauche mich der Alternative Arbeit oder Kind vorläufig nicht auszusetzen. Kein Chef beaufsichtigt uns, außer dem eigenen verinnerlichten Arbeitszwang, gewiß auch finanziellen Notwendigkeiten. Wir nehmen uns Zeit, Konflikte auszutragen und müssen nicht taktieren. Wir machen die Bücher, die wir und wie wir sie für richtig halten und müssen sie inhaltlich oder wirtschaftlich nicht vor irgendeinem Verleger rechtfertigen; wir brauchen keine Kompromisse machen, um unseren Arbeitsplatz zu sichern. Wir wissen, was wir wofür machen und arbeiten verhältnismäßig unentfremdet.
Alles natürlich nur bedingt. Die Zwänge holen uns etwas später ein und oft sind sie unsichtbarer als in normalen Betrieben. So können wir zwar darüber entscheiden, wann wir arbeiten und ob wir auch mal nicht arbeiten, da aber sehr viel Arbeit von wenigen getan werden muß, ist der Spielraum verhältnismäßig gering. Auch die räumliche Einheit von Verlag und Wohnung hat nicht nur Vorteile: Der Verlag breitet sich wie ein Moloch überall hin aus, wir können uns nur schwer zurückziehen. Abstand, um einiges auch mal in Frage stellen zu können, wäre aber notwendig. Jetzt ist es so, daß uns abwechselnd immer mal wieder die Frauenfrage zum Hals raushängt, weil wir sie bei einem Projekt wieder und wieder lesen müssen, bis das Buch fertig ist.
Unsere Schwierigkeiten liegen weniger in der inhaltlichen Entscheidung über die Annahme von Manuskripten, als vielmehr in der praktischen Arbeit an dem Manuskript, wenn es einmal entschieden ist. Diese Arbeit hat sich bisher noch nicht gleichmäßig verteilt, bzw. nicht alle können sich in gleicher Weise beteiligen, weil sie berufstätig sind und nur bedingt Zeit haben. Aber genau diese Arbeit vermittelt den Bezug zu den Büchern, und nur darüber wird der Verlag letztlich die gemeinsame Sache. Das bedeutet aber, daß die Frauen einen Teil ihres Geldes im Verlag verdienen müßten, und das ist vorläufig noch nicht möglich. Die finanzielle Knappheit und die Notwendigkeit, außerhalb des Verlags mit Frauen zu tun zu haben, um nicht die einsamen Entscheidungen, weg von der Realität der Frauen, für die wir die Bücher machen, zu treffen, hat bei uns dazu geführt, daß viele unserer Ideen vorläufig nicht recht produktiv geworden sind. Sie schlummern in den jeweiligen Aktenordnern so dahin. Etwa die Frage nach anderen Vertriebsmöglichkeiten, durch die wir Frauen erreichen, die vor Buchhandlungen - auch vor Frauenbuchhandlungen - die oft zitierte Schwellenangst haben.
Aus der unterschiedlichen Arbeitsintensität, die die Frauen in den Verlag einbringen können, entstehen auch im Beirat Autoritäts- bzw. Dominanzprobleme, die wir thematisieren und zu verändern versuchen. Eine Veränderung hat - mit allen Unzulänglichkeiten - dadurch stattgefunden, daß Marianne während der sechs Wochen ihres Mutterschutzes täglich in den Verlag kam und wir gemeinsam ein Handbuch für Frauen, eine dänische Lizenz, redigierten. In den Kapiteln über Schwangerschaft und Geburt konnten wir viele unserer unmittelbaren Erfahrungen einbringen und uns dabei sehr selbstverständlich um den dreimonatigen Moritz kümmern. Die erste Überarbeitung war rechtzeitig zur Geburt von Mariannes Kind fertig. Die folgende nervenaufreibende Arbeit hing dann wieder fast ausschließlich an einer Frau.
Ich meine, daß die Chance für Frauenprojekte darin besteht, daß sie aus den Schwierigkeiten anderer alternativer Projekte lernen, und das können wir nur, wenn wir unsere Schwierigkeiten veröffentlichen. Schwierigkeiten, die oft unter den Tisch gekehrt werden, weil uns unser ansozialisiertes weibliches Harmoniestreben im Weg steht und weil es unter Frauen keine Konflikte geben darf. - Wenn es uns nicht gelingt, frecher miteinander umzugehen und weniger vorsichtig, können wir die Talfahrt, die sich in vielen Frauenprojekten zeigt, nicht aufhalten.