Frauenkultur - Kulturrevolution?

»Das Wort >Kultur< steht in seinem heutigen Gebrauch für zwei verschiedene Begriffe. Der eine, traditionellere, bezieht sich auf das gesamte Gebiet des >Wissens<, der geistigen Arbeit (der naturwissenschaftlichen, philosophischen, literarischen, künstlerischen usw.), und auf die Instrumente und Ebenen von dessen Verbreitung. Der andere, jüngere Begriff, umspannt den gesamten Ausdrucksbereich einer historisch gegebenen anthropologischen Realität (auf der Ebene der Institutionen, der Normen, der Verhaltensweisen, der Alltagsgewohnheiten, der gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen, der privaten und öffentlichen Beziehungen)«[1]

Wenn Frauen begonnen haben, eine spezifische »Frauenkultur« der »von Männern beherrschten« entgegenzusetzen - auf beiden Ebenen der zuvor zitierten Definition -, so verstehen sie dies als ihre selbstbewußte Antwort auf eine Realität, in der »unsere Sprache, unsere Kunst, unsere Kultur... die totale Vorherrschaft des Mannes wider(spiegeln). Es ist offenbar eine zahlenmäßige Vorherrschaft, aber diese Vorherrschaft ist auch in den Betätigungsfeldern und -formen der Männer begründet«.[2]
Die Diskussion geht darum, ob diese »Gegenkultur« eine »einfache Negation« der »Männerkultur« ist und »insofern nur eine Reaktion, eine
einfache Umkehrung der bürgerlichen Kultur«,[3] wie hierzulande einige traditionelle Marxisten meinen, oder ob sie Ausdruck der Bewußtwerdung einer neuen weiblichen Identität ist, die zugleich eine neue kulturelle Qualität beinhaltet, wovon Feministinnen, aber auch viele Marxistinnen überzeugt sind.[4]
»Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen« (Abschnitt 1) haben Frauen der Literatur, der bildenden Kunst, der Musik, Theater, Film und Fotografie (»Körpersprache« z.B.) ihren eigenständigen Stempel aufzudrücken versucht. Diese Vielfältigkeit kann hier nur in Ansätzen widergespiegelt werden. Da Literatur bei diesen Versuchen eine herausragende Rolle spielt und »schreibende Frauen« in den letzten Jahren von der Frauenbewegung zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist dieser Bereich exemplarisch ausgewählt worden. So schildert Inge Nordhoff ihre Eindrücke beim »5. Treffen schreibender Frauen« in Bremen. Ulla Hahn setzt sich mit dem Thema alternativer Frauenkultur am Beispiel »Frauenliteratur« auseinander, indem sie die Geschichte dieses Begriffes nachzeichnet und Chancen einer emanzipatorischen Dimension herauszuarbeiten versucht. In der Musik sind Frauen besonders unterrepräsentiert.[5] Ihr gilt der zweite Schwerpunkt dieses Abschnittes. Wie mühsam es ist, gerade in der Musik ein neues Selbstverständnis zu finden und umzusetzen, beschreibt die junge Liedermacherin Jasmine Bonnin. Den Schluß dieses Abschnittes bildet der Abdruck eines fiktiven Interviews der »schönen Melusine« mit dem sowjetischen Schachgroßmeister Dr. Solowjow von Irmtraud Morgner, ein treffsicher-witziges Plädoyer für den notwendigen Eintritt der Frau in die Menschenkultur.
Das neue kulturelle Selbstverständnis von Frauen findet seinen stärksten Niederschlag in »autonomen Projekten«, die sich aber beachtlich voneinander unterscheiden. Ihre »kulturrevolutionäre« Variante - aufbauend auf »essentials« wie Konzentration auf das eigene Geschlecht, Entwicklung eines weiblichen Bewußtseins unter Ausschluß von Männern bzw. absoluter Separation von ihnen[6] - hat eine Fülle alternativer Projekte hervorgebracht, mit denen eine Art Gegennetzwerk weiblicher Bewußtseinsindustrie innerhalb der Gesellschaft geschaffen werden soll: Zeitschriften, Verlage, Vertriebe, Läden, Kneipen usf. (auch »Women Studies«/Frauenstudium oder feministische Therapiezentren sind aus diesem Selbstverständnis geboren). Hierzu gibt es im zweiten Abschnitt zwei Beispiele: die Selbstdarstellung der Frauenzeitschrift Courage und Margot Schroeders Reflexionen über die Hamburger Frauenkneipe.
Eine weniger radikalfeministische Variante stellen autonome Projekte dar, bei denen Frauen alternative Arbeits- und Lebensformen, ihre eigene Entfaltung und die Verbreitung alternativer Inhalte nicht unter Ausschluß von Männern im Auge haben. Exemplarisch stehen dafür die Selbstdarstellungen des Braunschweiger Frauenbuchladens am Eulenspiegelbrunnen und des Münchner Frauenbuchverlags (Antje Kunstmann).
Da die Medien bei der Aufrechterhaltung und ständigen Reproduktion der Unterdrückung der Frau - insbesondere im Bereich der Rollenmuster, Verhaltensweisen und zwischenmenschlichen Beziehungen, durch ein verzerrtes Abbild der Frauenrealität und durch die permanente Entwürdigung der Frau zum sexuellen Objekt - eine wesentliche Rolle spielen, werden sie im dritten Abschnitt am Beispiel des Fernsehens unter die Lupe genommen.
Mit Alexandra von Grote erleben wir einen Abend lang die Darstellung der Frau im bundesdeutschen Fernsehen, ergänzt durch die Zusammenfassung der Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung. Warum sich Frauen in der Institution Fernsehen zusammenschließen und wofür sie kämpfen, berichtet die Frauengruppe im ZFD. Holzer u. a. beschreiben, wie sie das Medium Film für bewußtseinsverändernde Frauenarbeit nutzen. Im vierten Abschnitt stellen Frauen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen ihre subjektiven Erfahrungen und Selbstbilder von Veränderung und Befreiung vor (Dohmel - Purrmann - Büchel/Wex), wobei Irmgard Dohmels Beitrag auch einen guten Überblick über das Aktivitätenspektrum eines nicht großstädtisch-studentisch geprägten Frauenzentrums und die sich daraus ergebenden Veränderungsmöglichkeiten gibt. Angelika Wagner beendet dieses Kapitel mit einer zusammenfassenden Darstellung der bisherigen Erfahrungen mit Frauengesprächsgruppen als einem wichtigen Instrument individueller Bewußtwerdung und des Sich-auf-den-Weg-Machens.
Die Frage, ob es eine »weibliche« Ästhetik gibt, wie sie aussehen und welchen Beitrag zur Menschwerdung der Menschheit sie leisten könnte, ist erst aufgeworfen, aber noch längst nicht beantwortet. »Schon vor langer Zeit hatte Simone de Beauvoir festgestellt, daß die Männer ihre Beschreibungsperspektive mit der absoluten Wahrheit verwechseln«.[7] Aber sie fügte auch hinzu: »Alle >männlichen Modelle< abzulehnen wäre unsinnig ... Ich halte es für notwendig, daß wir das Wissen von unserem Gesichtspunkt her revidieren - nicht, daß wir es ablehnen«.[8]