Die >Aktion 218<
Am 6. Juni 1971 veröffentlichte der >Stern< das Bekenntnis von 374 Frauen aus der BRD und West-Berlin: »Ich habe abgetrieben«. Die Idee der öffentlichen Selbstanzeige hatte die Journalistin Alice Schwarzer aus Frankreich übernommen[1] und zusammen mit der Frankfurter >Frauenaktion 70<, die seit einem Jahr regionale Kampagnen gegen den § 218 durchführte, den Aufruf formuliert. In knapp vier Wochen waren die Unterschriften, darunter viele prominente Namen, gesammelt worden. Die 374 Erst-Bekennerinnen hatten den Mut, trotz der strafrechtlichen und gesellschaftlichen Folgen ihrer heimliche Abtreibung öffentlich zu machen. Sie durchbrachen die Mauer des Schweigens und enttabuisierten die Abtreibung. Damit war der Anstoß zu der ersten primär von Frauen getragenen Massenbewegung in der BRD gegeben, die die zaghaft beginnende Diskussion um die Reformierung des § 218 entscheidend beeinflußte.
Im Juni und Juli 1971 demonstrierten in annähernd dreißig Großstädten und Kleinstädten Hunderttausende von Frauen und Männern gegen den § 218. Organisiert wurde die Kampagne von Frauengruppen, teilweise in Zusammenarbeit bzw. mit Unterstützung von Gliederungen der SPD (Jusos, Frauen, Juristen), den Jungdemokraten, der DKP, einigen Frauenausschüssen der DGB-Gewerkschaften und der Humanistischen Union. Die Frauengruppen koordinierten die Kampagne bundesweit, trafen sich erstmals im Juni 1971 in Düsseldorf und kurz darauf im Juli in Frankfurt. Hier waren bereits 25 Frauengruppen vertreten. Sie beschlossen, einheitlich unter dem Namen >Aktion 218< für die ersatzlose Streichung des § 218 einzutreten. Die >Aktion 218< einigte sich auf weitere gemeinsame Forderungen: Bezahlung der Abtreibung durch die Krankenkassen, Pille auf Krankenschein, Hearing zum § 218 und umfassende Sexualaufklärung.
Im Juli 1971 überreichten Vertreterinnen der >Aktion 218< dem damaligen Bundesjustizminister Jahn 86500 »Solidaritätserklärungen zur Abschaffung des § 218« und 3000 Selbstanzeigen »Ich habe abgetrieben«. Zwischenzeitlich kam der Justizapparat in Bewegung. In München durchsuchten im Juni rund 30 Polizeibeamte zwei Wohnungen von Mitgliedern der >Aktion 218<. Sie beschlagnahmten 2000 Solidaritätserklärungen und 200 Selbstanzeigen. Obwohl Polizei und Justiz in einer Reihe von Städten ermittelten, mußte keine Frau vor den Richter. Die Verfahren wurden eingestellt. Die Justiz scheute vor Massenprozessen, denn diese würden »deutlich machen, ... daß die Motive, aus denen sich Frauen unter entwürdigenden Umständen immer wieder zu einer illegalen Abtreibung entschließen, sieh herleiten aus sozialer und psychischer Not, die durch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse verursacht sind«.[2] Die Selbstanzeigeaktion der Frauen wurde von namhaften Schriftstellern[3] aufgegriffen, die sich öffentlich »der Beihilfe zu Straftaten gegen den § 218 StGB« bezichtigten. Dieser Selbstanzeige schlössen sich Hunderte von Männern an.
Der DGB, die F.D.P., die DKP, die Bundespartei der SPD (ebenso die Arbeitsgemeinschaften der Frauen, der Jungsozialisten und der Juristen) traten für die Fristenregelung (Straffreiheit für Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate) ein. Der SPD-Parteivorstand dagegen formulierte zurückhaltend: »Eine Reform bedarf sorgfältig ausgewogener und verantwortungsbewußter Lösungen«.[4]
Die >Aktion 218< forderte weiter: Ersatzlose Streichung des Abtreibungsparagraphen! Neue Formen, diese Forderung zu popularisieren, wurden gefunden. Im November 1971 wurde auf Massendemonstrationen gegen den § 218 in München, Frankfurt und Berlin Geld für die Abtreibung der Maria S. gesammelt. Im Mai 1972 fand in Köln das Frauentribunal gegen den § 218 statt, das die Parteien, die Justiz, die Ärzteschaft, die pharmazeutische Industrie und die Presse anklagte. Frauengruppen >störten< Ärztekongresse in Berlin, München, Heidelberg, Frankfurt und anderen Städten. Die Berliner Frauengruppe >Brot und Rosen< gab im Februar 1974 auf einer öffentlichen Veranstaltung bekannt, fünf Ärzte wegen der verbrecherischen Bedingungen, unter denen sie Abtreibung vornahmen (z.B. Notzucht, Beleidigung, Betrug, Steuerhinterziehung), angezeigt zu haben.[5] Erst relativ spät bekam die >Aktion 218< Unterstützung von einigen progressiven Ärzten. Am 7.3.1974 bezichtigten sich 329 Mediziner in der Zeitschrift >Stern< des Verstoßes gegen die Abtreibung. Einige Ärzte bekamen Disziplinarverfahren und verloren ihre Stellung.
Anfang 1974 fanden in den Großstädten der BRD und West-Berlin Aktionswochen gegen den § 218 statt. In Frankfurt berichtete eine Frau auf einer Veranstaltung über eine soeben mit der schonenden Absaugmethode vorgenommene illegale Abtreibung.[6]
Kollektive Kirchenaustritte wurden organisiert. Laut Tagesschau vom 17.3. 1974 sind allein in Frankfurt an einem Tag 350 Frauen aus den Kirchen ausgetreten.
Exkurs: Der Kampf gegen den § 218 in der Weimarer Republik
Schon einmal, in der Weimarer Republik, gab es eine Massenbewegung gegen den § 218. 1920 bringt die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag, der die Straffreiheit für Abtreibung wahrend der ersten drei Monate beinhaltet, in den Reichstag ein. Der sozialdemokratische Justizminister Gustav Radbruch, der den Satz prägte: »Es hat noch nie eine reiche Frau wegen § 218 vor dem Kadi gestanden«, kämpft im Bündnis mit Liberalen und Kommunisten vergeblich gegen die Reaktion, die nach dem verlorenen Krieg nach Rache ruft und dazu zuförderst Rekruten benötigt. Justiz und Polizei entfesseln wahre Treibjagden, um Abtreiberinnen aufzuspüren. Z.B. werden in Stuttgart alle Hebammen vernommen. 1924 fordern im Reichstag nur noch Kommunisten und Liberale die Freigabe der Abtreibung. Gustav Radbruch resigniert. »Die Sozialdemokraten weisen ...daraufhin, daß es in ihrer Fraktion keine einheitliche Meinung zum §218 gäbe. Die Stellung hierzu sei eine Gewissensfrage, die jeder einzelne für sich zu beantworten habe«[7]. 1927 wird im Reichstag eine Gesetzesnovelle diskutiert, die Strafmilderung für Vergehen gegen den § 218 vorsieht. 1929 wird das Abtreibungsstück »Cyankali« des kommunistischen Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf in Berlin uraufgeführt. 1931 werden Friedrich Wolf und die Ärztin Jacobowitz-Kienle wegen angeblicher Abtreibung verhaftet. Die Verhaftungen lösen Massenproteste aus. Doch die Befürworter der Reform: Liberale, Sozialisten, Kommunisten, sozialistische Ärzte und Juristen unterliegen gegen die Übermacht der reaktionären Rechten und deren Vertreter: Zentrumspartei, vaterländische Frauenverbände, konservative Ärzteverbände, die Kirchen und nicht zuletzt die Faschisten. Nach der faschistischen Machtergreifung >reformieren< die Nationalsozialisten den §218: in schweren Fällen Todesstrafe statt Zuchthaus und Freigabe der Abtreibung für >erbkranken< Nachwuchs.
Politische Entscheidungen
Die parlamentarische Diskussion in der Bundesrepublik verlief zwischen dem Indikationsmodell:
Innerhalb bestimmter Fristen Straffreiheit für Abtreibung bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren, bei zu erwartender schwerwiegender Schädigung des Kindes, bei Vergewaltigung und zur Abwendung einer schwerwiegenden Notlage für die Schwangere und der Fristenregelung:
Legalisierung der Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate, wenn vor dem Schwangerschaftsabbruch eine ärztliche Beratung erfolgte.
Die erbittertsten Gegner der Reform des Abtreibungsparagraphen waren die Kirchen. »Schwangerschaftsabbruch ist in jedem Fall Tötung werdenden Lebens... Dieses Leben ist unantastbar... Das gilt auch für die Mutter...«,[8] heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Katholischen und der Evangelischen Kirche. Die Deutsche Bischofskonferenz verweigerte der Frau selbst nach einer Vergewaltigung das Recht auf Abtreibung.[9] Die Vatikan-Zeitung >Osservatore Romano verglich die Reformentwürfe zum §218 gar mit Nazi-Methoden.[10] Doch auch im Bereich der Kirchen traten fortschrittliche Kräfte für eine Reform des §218 ein; z.B. sprachen sich 48 Hochschullehrer und wissenschaftliche Mitarbeiter der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen im Februar 1972 für die Fristenlösung aus.
Die überwiegende Mehrheit der Ärzteschaft lehnte die Fristenlösung ab und plädierte für einen eng umrissenen Indikationskatalog. Bei einer Umfrage bei Frauenärzten, die 1712 Gynäkologen beantworteten, stimmten fast 95% der Formulierung zu: »Die Tötung eines Embryos ist die Vernichtung eines Rechtsguts; sie ist daher nur aus schwerwiegenden Gründen zu verantworten«.[11] Auch solle die »Liberalisierung der Abtreibung... die Gefahr der Unterhöhlung des Gedankens der Kontrazeption«[12] beinhalten. Das Parlament nahm am 26.4.1974 den Fristenentwurf an. Nachdem die CDU/CSU mit ihrer Mehrheit im Bundesrat vergebens versuchte, das Reformgesetz rückgängig zu machen, klagten die CDU/CSU-regierten Länder und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beim Bundesverfassungsgericht mit der Begründung, daß die Fristenlösung nicht mehr das Recht auf Leben garantiere und daher für verfassungswidrig zu erklären sei. Mit Urteil vom 25.2.1975 entschied das BVG im Sinne der CDU/CSU und begründete seine Entscheidung u.a. damit:
»... der Staat muß grundsätzlich von einer Pflicht zur Austragung der Schwangerschaft ausgehen, ihren Abbruch also grundsätzlich als Unrecht ansehen,... Viele Frauen... lehnen die Schwangerschaft ab, weil sie nicht willens sind, den damit verbundenen Verzicht und die natürlichen mütterlichen Pflichten zu übernehmen«.[13]
Zu diesem Urteil gaben zwei Verfassungsrichter ein Minderheitenvotum ab, in dem sie erklärten, »daß die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers für die Fristen- und Beratungsregelung weder einer sittlich noch rechtlich zu mißbilligenden Grundhaltung entspringt«.[14]
Fünf Richter (3 CDU-Mitglieder, 2 CSU-Sympathisanten) brachten also das mit parlamentarischer Mehrheit beschlossene Reformgesetz zu Fall.
Der Bundestag beschloß am 6.5.1975 eine Neufassung des Abtreibungsgesetzes, die Straffreiheit für die medizinische, eugenische, kriminologische und soziale Indikation[15] vorsieht und am 21.6.1976 in Kraft trat.
Was ist aus dem Kampf gegen den §218 geworden?
Die >Aktion 218< hat entscheidend zur öffentlichen Diskussion um die Reformierung des Abtreibungsparagraphen beigetragen. Ohne die engagierten Frauen hätte die Fristenlösung wohl kaum parlamentarische Mehrheiten gefunden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Parlament und gegen die Verfassung führte noch einmal zu bundesweiten Protestaktionen; in Frankfurt z.B. zu öffentlich angekündigten Abtreibungsfahrten mit Bussen nach Holland, die erst Anfang 1978 eingestellt wurden. Die Frauengruppen bemühten sich seitdem um die volle Ausschöpfung und Anwendung des reformierten Abtreibungsparagraphen. Dazu gehören Informationen über Ärzte, Kliniken und offizielle Beratungsstellen, die durch Fragebogen und Einzelgespräche eingeholt werden. In ihren eigenen Beratungsstellen informieren die Frauengruppen über die Möglichkeiten, eine legale Abtreibung zu bekommen und begleiten, wenn nötig, Frauen zu Ärzten und Behörden, vereinbaren Termine etc. Das ist mühsame Kleinarbeit.
»Von dem Kampf gegen den alten § 218, der ein tragendes Element der Frauenbewegung war, blieb letzten Endes nur noch die Beratung... Der Stellenwert der 218-Beratung ist heute umstritten. Sie wird teilweise als karitativ angesehen, der § selber bleibt unbekämpft«.[16] War das Ergebnis des Kampfes gegen den § 218 auch enttäuschend, erfolglos war er nicht und eines hat er den Frauen klargemacht: »Die Notwendigkeit des Sichwehrens und der Organisierung«.[17]
Für die Verwirklichung des § 218 bei sozialer Indikation
Von einer gemeinsamen Aktion gewerkschaftlicher Frauenausschüsse in Dortmund
»Frauen und Männer - kämpft gemeinsam für Eure Rechte: für die Verwirklichung des § 218 bei sozialer Indikation!«
So lautete die Überschrift eines Flugblattes, das im Januar 1977 an einem Informationstisch in der Dortmunder Innenstadt von Gewerkschafterinnen an die Passanten verteilt wurde. Auf dem Flugblatt hieß es weiter: »Wir fordern die Durchsetzung der uns gewährten Rechte. Wir fordern die Stadt Dortmund auf, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu treffen, die den Schwangerschaftsabbruch an den Städtischen Kliniken oder in einer Spezialklink nach sozialer Indikation für jede betroffene Frau möglich machen. Wir fordern, daß der Abbruch nach der für die Frau medizinisch schonendsten Weise (z.B. der Absaugmethode) durchgeführt wird. Wir fordern den sofortigen Ausbau vorhandener und die Einrichtung zusätzlicher Beratungsstellen.«
Wie war es zu dieser gemeinsamen Aktion gewerkschaftlicher Frauenausschüsse gekommen, an der sich folgende Gewerkschaften beteiligten: Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IG B u. E), Industriegewerkschaft Metall (IGM)? Zur Situation in Dortmund nach der Verabschiedung der erweiterten Indikationslösung 1976: Es gab im gesamten Raum Dortmund weder einen niedergelassenen Frauenarzt noch eine Klinik, die den Abbruch nach der sozialen Indikation vornahm. Statt dessen erschienen in den lokalen Zeitungen Stellungnahmen der Chefärzte der verschiedenen Krankenhäuser, in denen sie sich einheitlich gegen die soziale Indikation aussprachen und den Abbruch in die Nähe der Euthanasie rückten. Auch der Chefarzt der Städtischen Frauenklinik lehnte den Abbruch nach der sozialen Indikation aus »Gewissensgründen« kategorisch ab. Und kein niedergelassener Frauenarzt hatte bisher die Genehmigung zum ambulanten Abbruch vom Regierungspräsidenten beantragt (- denn der Abbruch wird von den gesetzlichen Krankenkassen nur mit etwa 50,- DM bezahlt). Bereits Anfang 1976 befaßte sich der ÖTV-Frauenausschuß mit der erweiterten Indikationslösung: Welche Vorteile, welche Nachteile bringt dieses Reformgesetz, das nach der gescheiterten Fristenlösung vom Bundestag verabschiedet worden war? Wie wird seine praktische Durchführung in den Kliniken Dortmunds gehandhabt? Welche Meinung vertritt der Krankenhausdezernent als oberster Dienstherr des Chefarztes der Frauenklinik zu dessen Gewissensnöten? So entschloß sich der ÖTV-Frauenausschuß im Juli 1976, eine Podiumsdiskussion über den § 218 zu veranstalten, zu der alle weiblichen ÖTV-Mitglieder eingeladen wurden. Thema: »Die erweiterte Indikationslösung und ihre Anwendung in Dortmund«. Es sprachen eine Richterin, eine Ärztin und eine Ratsherrin des Stadtparlamentes.
Die Richterin beschrieb die Rechtsunsicherheit des neuen Gesetzes: Nach wie vor liegt die Entscheidung über einen Abbruch bei den Ärzten, nicht bei der Frau selbst. Nach wie vor kann der durchführende Arzt bei Anzweifelung der Indikation straffällig werden. Ja, sogar ein Helfer macht sich strafbar, der einer Frau den Weg nach Holland ermöglicht.
Die Ärztin ging auf die medizinische Durchführung des Abbruchs ein: Nach wie vor wird der Abbruch in der Klinik mit der Ausschabung in Vollnarkose durchgeführt. In zwei von hundert Fällen kommt es dabei zu Zwischenfällen - angefangen bei der Narkose. Zudem muß eine Frau nach dieser Methode mindestens einen Tag lang das Bett hüten. Die in Holland bereits lange praktizierte Absaugmethode wird in der BRD fast nur bei Privatpatienten angewandt.
Nach Aussagen der Ratsherrin diskutierte man im Rat der Stadt über die Einrichtung einer gesonderten Abteilung im Bereich der Städtischen Kliniken, wo der Abbruch durchgeführt werden könnte. Abschließend wurde von den anwesenden Gewerkschafterinnen eine Resolution verabschiedet und an den Krankenhausdezernenten geschickt, in der die oben genannten Forderungen aufgeführt wurden. Weiterhin erinnerten die Gewerkschafterinnen an den auf dem Gewerkschaftstag 1975 angenommenen ÖTV-Antrag zur Fristenlösung.
Nach einigen Wochen antwortete der Krankenhausdezernent auf die Resolution. Eingangs betonte er, daß er voll auf der Seite der betroffenen Frauen stünde und den Reformparagraphen voll bejahe. Alsdann begründete er ausführlich, welche bereits bestehenden Gesetze die Durchführung des Abbruches nach der sozialen Indikation verhinderten: Er verwies auf die Kompetenzen des Landes für die Einrichtungen neuer Krankenhausabteilungen, er zog sich hinter die Reichsversicherungsordnung zurück, nach der den Kliniken die ambulante Behandlung von Patienten untersagt ist und lehnte die Einrichtung einer Beratungsstelle aus rechtlichen Gründen ab. Der Frauenausschuß der ÖTV lud den Dezernenten zur nächsten Sitzung ein und beschloß gleichzeitig, mit der ganzen Problematik an die Öffentlichkeit zu gehen. Außerdem nahm er Kontakt zu den Frauenausschüssen der Gewerkschaften HBV, IGM, IG B u.E.auf.
Die Gewerkschaft druckte Unterschriftenlisten. Diese wurden an die gewerkschaftlichen Vertrauensleute der genannten Gewerkschaften verteilt. Darin wurde die Durchsetzung des Schwangerschaftsabbruches nach der sozialen Indikation an den städtischen Kliniken gefordert. Mit Hilfe eines Informationsstandes informierten die Gewerkschafterinnen die Dortmunder Bevölkerung über dieses Problem, sammelten dabei weitere Unterschriften, verteilten das eingangs zitierte Flugblatt. Darüber hinaus forderten sie die Einrichtung von mindestens 6 Klinikbetten für die Durchführung des § 218 an der städtischen Frauenklinik und informierten die niedergelassenen Frauenärzte über diese Aktion und die anstehenden Forderungen. In der Sitzung des Frauenausschusses mit dem Krankenhausdezernenten willigte dieser schließlich ein, sich für die Bereitstellung von Betten in der Frauenklinik für diesen Zweck einzusetzen.
Am 2. März 1977 übergab eine Delegation des ÖTV-Frauenausschusses der Mehrheitsfraktion im Rat der Stadt 1500 gesammelte Unterschriften aus Dortmunder Betrieben, mit denen die Bereitstellung von 6 Klinikbetten zur Durchführung der sozialen Indikation gefordert wurde. Der Rat der Stadt entschied daraufhin, der Landesregierung die Einrichtung einer gesonderten Abteilung zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches vorzuschlagen. Leider fiel dieser Plan im folgenden Jahr den einsetzenden Sparmaßnahmen im Bereich des Krankenhauswesens zum Opfer und konnte nicht mehr realisiert werden.
Der Chefarzt der Städtischen Frauenklinik stellte sieben Betten seiner Klinik für den Abbruch nach sozialer Indikation zur Verfügung und überließ die Gewissensnöte seinen Oberärzten.
Im Verlauf des Jahres 1977 haben fünf niedergelassene Frauenärzte die Genehmigung zur Durchführung des ambulanten Schwangerschaftsabbruches in ihrer Praxis beantragt und auch bekommen.
Der ÖTV-Frauenausschuß schätzt dieses Ergebnis als einen Erfolg der gewerkschaftlichen Kampagne ein.
Frauenzentrum Frankfurt und Neu-Isenburg[1]
»Wir fahren nicht länger nach Holland«
Unsere Erfahrungen mit der Beratungspraxis
Im Sommer 1975 diskutierte die 218-Beratungsgruppe des Eckenheimer Frauenzentrums zum erstenmal über kollektive Fahrten für schwangere Frauen nach Holland. Wir haben uns unser Recht auf Selbstbestimmung vom bestehenden Gesetz nicht verbieten lassen und die Busfahrten öffentlich in Pressemitteilungen angekündigt. Im Juni 1975 fuhren schwangere Frauen zum erstenmal gemeinsam nach Holland. Dieser Schritt in die offene Illegalität wurde von den staatlichen Stellen als ungeheure Provokation empfunden. Polizei, Verfassungsschutz und Beamte der Mordkommission ließen denn auch nicht lange auf sich warten und führten eine Razzia im Frauenzentrum durch; Ermittlungsverfahren gegen zufällig anwesende Frauen wurden eingeleitet: Sie sind bis heute noch nicht eingestellt.
Mit Unterstützung von Frauenzentren aus anderen Städten fand eine Demonstrationsfahrt mit Bussen und zahlreichen Pkw in eine holländische Klinik statt, die von Presse und Fernsehen breit aufgegriffen wurde. Von da an fuhr jede Woche ein Bus mit etwa zwanzig Frauen und zwei Begleiterinnen aus dem Frauenzentrum nach Holland. Wegen der ungeheuren Resonanz in der Bevölkerung sahen sich die staatlichen Verfolgungsorgane bald gezwungen, ihre Einschüchterungsversuche aufzugeben.
Die Gesetzesänderung im Juni 1976, die den Frauen weder die Fristenlösung geschweige denn die ersatzlose Streichung des § 218 brachte, sondern ihnen nur erniedrigende und mühevolle Prozeduren in mehreren Instanzen bescherte, hatte zunächst keine Auswirkungen auf die Holland-Fahrten. Es fuhren im Gegenteil eine große Anzahl Frauen mit, deren Situation eine eindeutige Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach dem reformierten Paragraphen verlangt hätte, denen jedoch von Ärzten, Beratungsstellen und Kliniken das Recht auf diesen Eingriff weiterhin verweigert worden war. Die offiziellen Beratungsstellen, die Ärzte, die Krankenhäuser, die Krankenkassen und nicht zuletzt jene Politiker, die schon die Reform des Paragraphen »wegen mangelnder Nachfrage« überflüssig fanden, hatten an unserer Praxis nichts auszusetzen: Indem die Schwangerschaftskonflikte im Ausland gelöst wurden, brauchten sie sich mit diesem Problem nicht weiter zu befassen. Die Frauenbewegung fordert nach wie vor die ersatzlose Streichung des § 218, seine Reform hat erneut deutlich gemacht, daß Frauen noch immer keine Selbstbestimmung zugestanden wird. Ihr Recht können sie nur über diskriminierende Instanzenwege geltend machen - und selbst das bleibt ein Lotteriespiel. Diese ungeheuerlichen Mißstände gilt es aufzuzeigen und anzugehen.
Im Frühjahr und Sommer 1977 führten wir eine Befragung Neu-Isenburger und Frankfurter Ärzte durch, hauptsächlich Gynäkologen und Gynäkologinnen. Dadurch wollten wir ihre Einstellung zur Praxis des reformierten Paragraphen überprüfen und sie auf ihre eigenen Möglichkeiten und Pflichten aufmerksam machen. Die Ergebnisse waren niederschmetternd. Die beteiligten Frauenzentren arbeiten an einer ausführlichen Dokumentation darüber.
Viele Ärzte waren überhaupt nicht bereit, mit der Frauenbewegung Kontakt aufzunehmen. Doch von den Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, erhielten wir sehr aufschlußreiche Informationen darüber, wie sie die Frauen behandeln.
Die Erfahrungen, die Frauen in diesem Lande mit dem § 218 machen, bestärken uns darin, das Problem hier anzugehen: Die offene Diskriminierung, wie sie in der Praxis des Paragraphen sichtbar wird, ist nur die Spitze des Eisberges einer generellen Frauenfeindlichkeit. Darüber verständigen sich die Frauen in der Beratung. Nur durch Druck auf die zuständigen Stellen können wir erreichen, daß sich an dieser Praxis etwas ändert und für jede Frau ein legaler Abbruch in der Bundesrepublik möglich wird. Wir fahren nicht länger nach Holland! Der letzte Bus fuhr am 9. Dezember 1977. Um die Öffentlichkeit darüber zu informieren, schickten wir eine Presseerklärung an die Zeitungen im Rhein-Main-Gebiet. Darin heißt es unter anderem:
»Wir sehen nicht ein, daß die betroffenen Frauen diese Lage weiterhin ausbaden müssen, und ihnen das Recht auf eine eigene Entscheidung vorenthalten wird. Es geht darum, nicht nur zu flickschustern, sondern verändernd in die gängige § 218-Praxis hier in der Bundesrepublik einzuwirken. Die Frauen werden von den Beratungsgruppen der Frauenzentren weiterhin darin unterstützt, ihr Recht auf eine Indikation durchzusetzen. Das heißt, wir informieren sie, wir begleiten sie auf dem Instanzenweg zu Arzt, Pro Familia und Klinik. So werden auch Ärzte und Krankenhäuser dazu gebracht, sich endlich ernsthaft mit diesem Problem auseinanderzusetzen.«
Die Holland-Fahrten sind eingestellt worden, damit das Problem nicht länger über die Grenze geschoben werden kann.
Die Schwangerschaftsberatung in den Frauenzentren unterscheidet sich wesentlich von dem, was in offiziellen Beratungsstellen geschieht. Wir akzeptieren grundsätzlich die Entscheidung der Frau für einen Abbruch oder das Austragen des Kindes. Sie muß sich bei uns nicht rechtfertigen. Aus persönlichen Erfahrungen und aus zahllosen Beratungsgesprächen in den vergangenen sechs Jahren wissen wir, daß der Entschluß zur Abtreibung jede Frau psychisch stark belastet: Keine Frau entscheidet sich »leichtfertig« für einen Schwangerschaftsabbruch, wie Ärzte immer wieder behaupten. Im Gegenteil, in jedem Gespräch erfahren wir, wie die Frauen sich quälen, den Einbruch einer ungewollten Schwangerschaft in ihr bestehendes Leben zu verarbeiten. Am wenigsten belastet sie dabei noch der Gedanke an Schwangerschaft und Geburt, als vielmehr die Verantwortung für die gesamte Entwicklung des Kindes, die in unserer Gesellschaft fast ausschließlich auf den Frauen lastet.
Schon mit dem Problem einer ungewollten Schwangerschaft werden sie allein gelassen. Für die meisten Frauen ist das Gespräch im Frauenzentrum über ihre Lage das erste, das sie offen führen können. Dabei weiten sich die Gespräche meistens schnell über das konkrete Problem der Abtreibung aus und kommen zwangsläufig zu Fragen der Verhütung, der Sexualität und der Beziehung zum Partner. Davon sind Schwangere und Zentrumsfrauen gleichermaßen betroffen. Für uns ist die Verständigung über die gemeinsamen Erfahrungen deshalb ein wesentlicher Teil des »Beratungsgesprächs«. Wenn möglich, versuchen wir, diese Gespräche in der Gruppe zuführen. Die betroffenen schwangeren Frauen erfahren dabei am deutlichsten, daß auch andere Frauen in der gleichen Lage durch ihre Umwelt dazu gebracht wurden, die ungewollte Schwangerschaft als persönliches Versagen zu empfinden.
Eine Zwangsberatung kann diese Erkenntnis nur verhindern, sie gibt keiner Frau die Möglichkeit, ihre Lage besser zu durchschauen. Im Gegenteil, sie fügt der Frau eine weitere Demütigung zu.
Es gibt keine Stelle, die einen so umfassenden Überblick über die traurige Praxis des reformierten § 218 hat, wie die Frauenzentren: Wir Beratungsfrauen aus den Zentren haben schwangere Frauen bei ihrem Gang zu den offiziellen Beratungsstellen, zu den niedergelassenen Ärzten und bei der Bettensuche in Krankenhäuser begleitet. Was wir und die schwangeren Frauen dabei zu hören bekommen haben, läßt nicht den geringsten Zweifel darüber, mit welcher Einstellung die Mehrzahl der Ärzte den betroffenen Frauen begegnet: mit Gleichgültigkeit, Ablehnung und Arroganz. »Frauen, die heute noch schwanger werden, sind dumm oder leichtsinnig.« Das ist nur eine von vielen immer wieder aus Ärztemund zu hörenden Unverschämtheiten. Hier noch ein paar Beispiele aus »berufenem Munde«: »Die jungen Leute heutzutage haben alle viel zuviel Angst. Ihnen fehlt der Mut. Früher gab es fast nur >Muß-Ehen<, und die waren auch alle glücklich.» Ein Arzt, der keine Indikationen stellt: »Wer A sagt, muß auch B sagen.« Ein Arzt, der zwar Abtreibungen durchführt, sagt dazu, er tue es ungern, »denn dann ist mir der ganze Tag versaut«. »Ich stelle nur medizinische Indikationen«, so eine Ärztin im Frankfurter Raum, »und die ganz selten. Ich werde sowieso ständig von den Patientinnen belogen.« Als Medizinerin sieht sich die Ärztin nicht in der Lage, eine soziale Indikation zu stellen, weil sie die Familienverhältnisse und die soziale Lage der Frauen nicht beurteilen und überprüfen kann - was vom Gesetz gar nicht verlangt wird. Einer ihrer Kollegen (ver)urteilt: »Ob eine Frau schwanger wird, ist immer eine Frage der Lebensführung.«
Nach anderthalbjähriger Praxis mit dem reformierten Paragraphen 218 hat sich gezeigt, daß er willkürlich von Ärzten und Krankenhäusern und nach wie vor zu Lasten der Frauen gehandhabt wird. Es gibt keine Instanz, die darauf achtet, daß der Paragraph in seinen gesetzlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wird. Das zeigt sich bei der Beratung, der Indikationsstellung und in den ausführenden Krankenhäusern.
Beratungsstellen
Es gibt viel zuwenig anerkannte Beratungsstellen. So beklagen sich viele Pro Familia-Mitarbeiterinnen darüber, daß sie nur noch Schwangerschaftsberatung machen müssen und gar nicht mehr zur Sexual- und Eheberatung kommen. Durch die teilweise langen Wartezeiten ist es vorgekommen, daß eine Indikation nicht mehr rechtzeitig gestellt werden konnte. Es ist schwer, ein allgemeines Urteil über die offiziellen Beratungsstellen zu fällen. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß schon die Mitarbeiter einer einzigen Beratungsstelle den Paragraphen unterschiedlich auslegen und handhaben. Einen Monat nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes machten wir in einer Frankfurter Pro Familia-Stelle folgende Erfahrung: Eine Griechin, 42, verheiratet, drei Kinder, fühlte sich für ein weiteres Kind zu alt und körperlich und psychisch durch eine Schwangerschaft überfordert. Auf ihr Argument hin, sie sei auch finanziell nicht imstande, ein viertes Kind großzuziehen, meinte die beratende Ärztin: Die 16jährige Tochter besuche weder eine Schule noch sei sie berufstätig. Sie könne für das Kind sorgen. Als die Frau auf einem Abbruch beharrt, wird sie von der Ärztin gefragt, warum sie dazu nicht nach Griechenland fährt, »da ist es doch viel einfacher als bei uns«. Den Ausschlag für eine Indikationsstellung gibt schließlich die Einwilligung der Eheleute in eine Sterilisation. In den vergangenen anderthalb Jahren konnten wir auch positive Erfahrungen mit Beratungsstellen machen. Dabei handelt es sich allerdings in jedem Fall um Pro Familia-Beratungsstellen.
Grundsätzlich zielt die gesetzlich vorgeschriebene Beratung immer darauf ab, die Frau zum Austragen des Kindes zu bewegen. Als Zwangsberatung im doppelten Sinne verhindert sie, daß sich die schwangere Frau über ihre Motive für oder gegen eine Schwangerschaft tatsächlich klarwird. Eine Frau, die von der Richtigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs überzeugt ist, steht unter massivem Rechtfertigungszwang. Zusätzlicher Druck wird auf die Frauen durch die Rechtsunsicherheit ausgeübt, die bei einigen Beratern auch heute noch vorliegt. So muß beispielsweise in manchen Beratungsstellen, besonders von Ausländerinnen, für eine soziale Indikation eine Gehaltsbescheinigung vorgelegt werden, obwohl das gegen das Gesetz verstößt.
Die Ärzte
Laut Gesetz darf jeder Arzt eine Indikation stellen. Tatsächlich aber werden Frauen immer wieder mit folgenden Verhaltensweisen der Ärzte konfrontiert: Die Ärzte schicken die Frauen weg-entweder zu den Beratungsstellen oder zu den Frauenzentren, manchmal ziehen sie auch gleich die Adresse einer holländischen Klinik aus der Schublade. Es gibt Ärzte, die schwangere Frauen mit der »Auskunft« nach Hause schicken, daß sie nichts für sie tun könnten. Schon bei der Indikationsstellung zeigt sich also, wie willkürlich die Ärzte das Gesetz anwenden. So erklärte ein Frankfurter Arzt einer Beratungsfrau aus dem Frauenzentrum: »Es hängt von den Frauen ab, wie sich der Arzt zu ihnen verhält. Schließlich will er ja nichts von ihnen, sondern umgekehrt. Und wenn dann solche Hyperemanzipierten, solche Typen kommen, dann sage ich einfach nein.« Diesem Mediziner ist, wie vielen seiner Kollegen, offenbar nicht klar, daß die Frau nach dem reformierten Paragraphen einen Rechtsanspruch auf einen Schwangerschaftsabbruch hat und keineswegs als Bittstellerin kommt. Anstatt die Frauen in ihrer Krise zu beraten, verstärken die Ärzte durch ihre ablehnende Haltung und massiven Vorwürfe die Schuldgefühle der betroffenen Frauen.
Viele Ärzte täuschen Hilfe vor, indem sie Frauen Duogynon verschreiben. Sie lassen die Frauen in dem Glauben, die Schwangerschaft würde damit abgebrochen. Tatsächlich tritt die Periode acht bis zehn Tage nach der Einnahme nur dann ein, wenn die Frau ohnehin nicht schwanger ist. Manche Ärzte geben, wenn die Pillen nicht »gewirkt« haben, der Frau zusätzlich eine Hormonspritze. Dadurch wird die Feststellung der Schwangerschaft weiter verzögert. Der Arzt erreicht mit dieser Methode zumindest, daß ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der legalen Frist gefährdet ist. Ein Schwangerschaftstest hätte in weitaus kürzerer Zeit Klarheit verschafft, ob eine Schwangerschaft vorliegt oder nicht. Ist die Frau tatsächlich schwanger und will sich entscheiden, das Kind doch auszutragen, besteht durch diese Hormonbehandlung die Gefahr, daß das Kind geschädigt wurde.
Eine andere Methode, sich der Verantwortung zu entziehen, ist die Fehldiagnose: Es kommt so oft vor, daß eine vorliegende Schwangerschaft nicht diagnostiziert wird, daß man System dahinter vermuten kann. Eine große Anzahl von Ärzten schiebt religiöse Gründe vor, um keine Indikation stellen zu müssen. Es gibt genügend Beispiele dafür, daß diese Argumente bei einer privaten Liquidation entfallen. Viele Ärzte stellen den Frauen den legalen Weg auch als umständlich und geradezu aussichtslos dar und legen ein vermeintlich soziales Verhalten an den Tag, indem sie den Frauen anbieten, »die Sache für 600 Mark komplikationslos zu bereinigen«. Es gibt sogar Ärzte, die sich noch immer nicht über die Gesetzesreform informiert haben. Welchen Einblick in die Praxis des reformierten Paragraphen haben wohl Mediziner, die bei einem Fortbildungsseminar der hessischen Landesärztekammer überhaupt erst darüber aufgeklärt werden müssen, welche Institution Pro Familia ist und welche Aufgaben sie hat? Stellt der Arzt eine Indikation, so geschieht das häufig nicht, um dem Anliegen der Frau gerecht zu werden, sondern um eigener Vorteile willen. Nicht selten lassen sich Ärzte das Ausstellen einer Indikation extra bezahlen. Die Geldschneiderei hat nachweislich zu regelrechten Absprachen unter den Ärzten geführt: Mehrere Ärzte bilden einen Ring, in dem die Frauen von einem zum anderen geschickt werden, und jeder verdient daran. Die gegenwärtige Handhabung des § 218 begünstigt die Einrichtung von Privatkliniken, die geschäftstüchtigen Ärzten eine zusätzliche Gewinnquelle eröffnen. Sie sind nicht daran interessiert, ihre Klinik als anerkannte Einrichtung anzumelden. Denn damit ergibt sich für sie die Möglichkeit, doppelt zu liquidieren: Bei vorliegender Indikation ziehen sie den vollen Krankenkassensatz ein und fordern zusätzlich einen willkürlich festgesetzten Betrag bis zu 300 DM von der Frau, da der Krankenkassensatz angeblich ihre Kosten nicht deckt. In Frankfurt gibt es eine Tagesklinik, deren Chef wiederholt behauptet hat, sich um die kassenärztliche Zulassung zu bemühen. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung wußte man nichts davon, wie sich auf Rückfrage des Frauenzentrums herausstellte. Noch mehr verdienen die Privatkliniken an Frauen, die ohne Indikation kommen: Der Betrag von 300 Mark für einen Abbruch verdoppelt sich dann mindestens. Die ablehnende Haltung vieler Krankenhäuser, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, zwingt Frauen immer wieder, auf die privaten Einrichtungen zurückzugreifen. Bekommen sie ein Bett in einem Krankenhaus, so sind sie dort Schikanen ausgesetzt und liegen beispielsweise in der Entbindungsstation mit Müttern zusammen, die gerade geboren haben.
Die Krankenhäuser
Jedes Krankenhaus mit entsprechender Einrichtung kann laut Gesetz einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Tatsächlich wird das aber auch in nichtkonfessionellen Krankenhäusern sehr häufig durch das Chefarztsystem blockiert. Ärzte, die dem reformierten Paragraphen positiv gegenüberstehen, dürfen den Abbruch nicht vornehmen, wenn der Chefarzt dagegen ist. Das heißt, nicht das individuelle Gewissen des einzelnen Arztes entscheidet, sondern alle müssen sich der Entscheidung des Chefarztes beugen. Dieser wiederum handhabt sein Gewissen sehr flexibel; Frauen, die sich selbst ein Klinikbett suchen müssen, werden beispielsweise aus »Gewissensskrupeln« abgewiesen, während Frauen, die von einweisenden Ärzten kommen, selbstverständlich eine Abtreibung erhalten. Diese Erfahrung machten wir in mehreren Krankenhäusern des Rhein-Main-Gebiets. Es hat sich gezeigt, daß die einzig wirkliche Verbesserung des § 218 - die soziale Indikation - in der Praxis abgewertet wird. Zahlreiche Frauen mit sozialer Indikation werden nicht behandelt. Die Ärzte nehmen die soziale Indikation weniger ernst als die medizinische. Indikationswillige Ärzte werden auffällig, die Ernsthaftigkeit ihrer Indikationsstellung angezweifelt, ihre Patientinnen zurückgewiesen.
Ein erschreckend hoher Anteil der Krankenhäuser, die Abbrüche durchführen, verlangen von Frauen mit sozialer Indikation die Einwilligung zur Sterilisation, andernfalls verweigern sie den Abbruch. Dagegen ist bekannt, daß Frauen, die eine Sterilisation haben wollen, auf ungeheure Schwierigkeiten stoßen. Demütigende und diskriminierende Behandlung der schwangeren Frauen in Krankenhäusern waren und sind an der Tagesordnung, nicht nur wenn die behandelnden Ärzte versuchen, Frauen mit sozialer Indikation zu einer Sterilisation zu zwingen. Im Frühjahr 1977 begleiteten wir Frau K., die mit einer sozialen Indikation ein Bett suchte, in drei Krankenhäuser. Was sie dort erlebte, ist kein Einzelfall.
»Frau K. ist 24 Jahre alt, steht kurz vor dem Examen und erhält staatliche Studienunterstützung (BAföG), da die Eltern sie nicht unterstützen können. Der Vater des Kindes ist nicht bereit, ihr finanziell zu helfen. Als Frau K. und ihre Begleiterin in der ersten Hessenklinik, dem Dreieich-Krankenhaus in Langen, nach einem Bett für einen legalen Schwangerschaftsabbruch fragen, werden sie von der Sekretärin des Chefarztes sofort gefragt, »soziale oder medizinische Indikation?«
Der Chef der Frauenklinik, Dr. S., der die begleitende Frau nur zögernd duldet, nimmt zuallererst Einsicht in die Unterlagen und sagt dann sofort, daß vor zwei Wochen kein Bett frei sei, das heißt, die Schwangerschaftsunterbrechung könnte erst in der zwölften Woche durchgeführt werden. Frau K. müßte noch zwei Wochen die nervliche Belastung ihrer Schwangerschaft auf sich nehmen und hätte noch nicht einmal die Gewißheit, daß der Abbruch dann tatsächlich vom Dreieich-Krankenhaus durchgeführt würde.
Auf den Einwand von Frau K.s Begleiterin, daß dies hier ein akuter Fall sei, antwortet Dr. S.: »Ein akuter Fall ist für mich eine Frau, die blutend auf dem Flur steht.« Begleiterin: »Das wollen Sie doch nicht herbeiführen?« Dr. S.: »Eine Schwangerschaft ist für mich nicht dringend.« Begleiterin: »Richtig, aber hier liegt ein Schwangerschaftsabbruch vor.«
Dr. S. besteht auch weiterhin auf dem Termin in vierzehn Tagen. Die begleitende Zentrumsfrau erinnert an vorangegangene Abweisungen von legalen Schwangerschaftsabbrüchen im Dreieich-Krankenhaus und an die »Dokumentation«, die das Frauenzentrum in Neu-Isenburg über solche Fälle zusammenstellte.
Dr. S.: »Dann werden Sie wohl wieder eine Dokumentation machen?« Begleiterin: »Sie zwingen uns dazu.« Dr. S.: »Dann werde ich auch eine machen.«
Auch im Offenbacher Stadtkrankenhaus, das die beiden Frauen als nächstes aufsuchten, wird die begleitende Person des Vertrauens vom Chef der Gynäkologie, Professor B., zunächst abgelehnt. Professor B.: »Wenn jemand mitkommt, dann sage ich überhaupt nichts mehr.« Dann will B. wissen, warum die Frauen sich überhaupt an seine Klinik wenden und nicht an das Dreieich-Krankenhaus oder die Uniklinik. Als Frau K. mitteilt, sie komme vom Frauenzentrum, schimpft und brüllt der Klinikchef lautstark über die Frauenzentren. Frau K. steht zunächst sehr eingeschüchtert und hilflos da. Schließlich schaut sich Professor B. die Indikationsunterlagen an. Dann schnauzt er Frau K. an, ohne zu wissen, ob sie die Pille nimmt oder nicht: »Warum nehmen Sie denn die Pille nicht? Sie sind doch intelligent und nicht eine von den ... sozial Schwachen.« Als auch Professor B. behauptet, daß erst in zwei Wochen ein Bett zur Verfügung stünde, da er die Unterbrechung persönlich vornehmen müsse, verläßt Frau K. niedergeschlagen das Krankenhaus. Sie ist von Professor B.s Gebrüll stark mitgenommen und außerdem nicht gewöhnt, sich schreiend mit Leuten auseinanderzusetzen.
In der Frankfurter Universitätsklinik, dem dritten Krankenhaus bei dieser Bettensuche, werden die beiden Frauen abgewimmelt. Kein zuständiger Arzt ist für sie zu erreichen. Frau K. ist der Verzweiflung nahe, sie fährt noch am gleichen Tag mit dem Zentrums-Bus nach Holland. Die Kosten für die Reise und Behandlung betragen 420 Mark. Frau K. reicht die Rechnung bei ihrer Krankenkasse, der DAK, ein. Die DAK erstattet nur, was sie in der Bundesrepublik für einen Schwangerschaftsabbruch gezahlt hätte, nämlich 105,20 Mark (zitiert nach einem Gedächtnisprotokoll der beiden Frauen, das in einer »Dokumentation« des Frankfurter und des Neu-isenburger Frauenzentrums veröffentlicht wurde).
Um solche Mißstände abzuschaffen, gehörte es neben der Beratung und Begleitung betroffener Frauen immer auch zur Arbeit der Frauenzentren, die Öffentlichkeit auf diese Zustände aufmerksam zu machen: Wir haben an verschiedenen Podiumsdiskussionen teilgenommen, Pressekonferenzen in den Frauenzentren abgehalten und einen Teil der katastrophalen Fälle in einer »Dokumentation« festgehalten. In der ersten Hessenklinik, dem Dreieich-Krankenhaus in Langen, machten wir im November 1976 ein Go-In: Während der Besuchszeit am Sonntagnachmittag zog eine Gruppe von Frauen durchs Krankenhaus, verteilte Flugblätter an die Besucher und diskutierte mit ihnen über die frauenfeindliche Handhabung des § 218 in dieser Klinik. In der örtlichen Presse wurde mit Text und Fotos ausführlich über unsere Aktion berichtet. In Presseveröffentlichungen machten wir auch in der darauffolgenden Zeit wiederholt darauf aufmerksam, wenn Frauen dort abgewiesen wurden. Mit Erfolg, wie sich nach anderthalb Jahren zeigt: Im Dreieich-Krankenhaus erhielten in letzter Zeit mehrere Frauen mit sozialer Indikation anstandslos ein Bett.
Damit ist einmal mehr bewiesen, daß nur durch Druck auf die zuständigen Stellen - Ärzte, Krankenhäuser, Beratungsstellen - die frauenfeindliche Praxis des § 218 verändert werden kann. Wir werden auch in Zukunft für die Rechte der Frau, für ihre Selbstbestimmung kämpfen: Wir fordern, daß jede Frau die Möglichkeit für einen medizinisch schonenden Schwangerschaftsabbruch hat - ohne diskriminiert zu werden, ohne den Profitinteressen öffentlicher und privater Institutionen ausgeliefert zu sein. Wir fordern die ersatzlose Streichung des § 218.
Der Bericht ist nur eine knappe Zusammenfassung unserer Erfahrungen mit der Handhabung des reformierten § 218. Der Artikel wurde in kollektiver Zusammenarbeit der Beratungsfrauen aus den Frauenzentren Bockenheim und Eckenheim in Frankfurt sowie des Neu-Isenburger Frauenzentrums verfaßt.