Selbstbestimmung contra Fremdbestimmung und Gewalt

Mutterschaft als einzige Bestimmung und Berufung der Frau, als ihre (heilige) Pflicht und Aufgabe und nicht zuletzt als ihr »Schicksal« (als wäre sie nicht eine zusätzliche biologische Fähigkeit) - mit dieser Ideologie sind wir seit Jahrhunderten auf Heim und Herd festgelegt und von Beruf und Öffentlichkeit ferngehalten worden. Doch weit mehr noch ist dabei mit uns geschehen: »Der Gebrauch, den die patriarchalische Geschichte auf diese Weise von der Fortpflanzungsfunktion und somit von den weiblichen Geschlechtsorganen, vom weiblichen Körper, kurzum von der Frau gemacht hat, indem sie sie zum Objekt und nicht mehr zum Subjekt einer so eng an ihre psychische und physische Person gebundenen Funktion machte«,[1] hieß auch, sie ihrem eigenen Körper und sich selbst zu entfremden. Es ist das Verdienst der feministischen Bewegung, Themen wie die Befreiung des weiblichen Körpers und der weiblichen Sexualität aus Fremdbestimmung, die gewaltsame Beeinträchtigung unserer psychischen und physischen Gesundheit und unserer psychosozialen Entwicklungsmöglichkeiten, die in das Leben der Frauen tiefeingreifenden Probleme der Verhütung, Abtreibung und ihrer gesetzlichen Regelung auf die Tagesordnung gesetzt zu haben - Themen also, die bisher noch immer in den Bereich des Privaten verwiesen wurden.
In diesem Zusammenhang muß auch die jahrelange Abtreibungskampagne gesehen werden, die eine feministische Frauenbewegung in der Bundesrepublik überhaupt erst hervorbrachte, gleichzeitig aber sehr maßgeblich von den seit 1968 bestehenden sozialistischen Frauengruppen wie dem SFB getragen wurde und darüber hinaus zu einer breiten Zusammenarbeit sämtlicher Flügel der Frauenbewegung, fortschrittlicher (Frauen)gruppen in den Parteien, der Gewerkschaft und der reformistisch orientierten Bevölkerung führte (vgl. S. 35f.).
Die Geschichte dieses Kampfes zeichnet Irene Hübner im ersten Abschnitt dieses Kapitels nach. Was aus diesem Kampf geworden ist, nach dem niederschmetternden frauenfeindlichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts und nach Inkrafttreten des »liberalisierten« § 218, zeigen die folgenden Beiträge. Inge Zeller berichtet von einer gewerkschaftlichen Protestaktion »Für die Verwirklichung des § 218 bei sozialer Indikation«, das Frauenzentrum Frankfurt und Neu-Isenburg beschreiben ihre »Erfahrungen mit der Beratungspraxis«. Dahinter steht die Frage, ob es Ansatzpunkte gibt, die zu einer neuen Bewegung in Sachen § 218 führen könnten mit dem Ziel, nicht nur die jetzige skandalöse, weil rechtswidrige Indikations-Praxis abzuschaffen, sondern den bestehenden Paragraphen selbst, wozu unsere Nachbarländer (mit mehr oder weniger großen Einschränkungen) mittlerweile übergegangen sind.
In den letzten Jahren hat sich die feministische Bewegung zunehmend dem Thema »Gewalt gegen Frauen« zugewandt (vgl. S. 57 f.). Gewalt-Tribunale und die sich ausbreitenden Frauenhausinitiativen haben in gewisser Weise die früheren überregionalen Aktivitäten feministisch orientierter Frauengruppen abgelöst. Annette Schäfer untersucht im zweiten Abschnitt den »Gewaltbegriff in der Frauenbewegung« und die Chancen, Schwierigkeiten und Perspektiven von Frauenhausprojekten. Die Gruppe Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen aus dem Westberliner Frauenzentrum berichtet in einer Selbstdarstellung, wie sie vergewaltigten Frauen zu helfen versucht.
Im dritten Abschnitt geht es um Alternativen zur bornierten »Männermedizin«, der der Vorwurf gemacht wird, die körperlichen und psychischen Bedürfnisse der Frauen nicht zu berücksichtigen und viel dazu beizutragen, die fremdbestimmte Rolle der Frau und ihre traditionellen Bilder von sich selbst aufrechtzuerhalten. Wie schwer es ist, ein alternatives Frauenselbsthilfekonzept in der Praxis, allein auf die eigenen Kräfte gestützt, zu verwirklichen, zeigt der Beitrag von Anke Schneemann. Eine Selbstdarstellung des in der Bundesrepublik bisher einzigartigen Feministischen Frauen Gesundheits-Zentrums e.V. schließt sich an.
Auffällig ist, daß der Bereich der körperlichen und psychischen Integrität von Frauen bisher nahezu ausschließlich die Domäne feministischer Gruppen geblieben ist. Selbsthilfe jedoch ist ein Indiz für Mängel - nicht für Macht.[2]