Zur Entwicklung der Frauenbewegung an den Hochschulen
Während der Studentenbewegung der sechziger Jahre wurde vielen Studentinnen klar, daß sie trotz ihrer relativ privilegierten Situation von der Diskriminierung der Frauen in der BRD betroffen sind. Sie setzten sich zunächst mit Benachteiligungen auseinander, die ihnen durch reaktionäre Frauenleitbilder, Rollenverteilung und Verhaltensmuster in der privaten Sphäre erwachsen. Diese konkreten Erscheinungsformen alltäglicher Diskriminierungen wurden jedoch nicht Bestandteil studentischer Strategiediskussion. Dies verstärkte die Erfahrungs- und Vertrauenslücke der Frauen gegenüber politischen Engagements, zumal sie häufig genug erlebten, daß der weibliche Lebens- und Erfahrungsbereich stets abgedrängt wird in den Bereich des Privaten, der Reproduktionssphäre und damit als bedeutungslos gilt. Vor diesem Hintergrund wird meiner Ansicht nach die Forderung nach Autonomie in der Frauenbewegung verständlich.
Zunächst ging es darum, unter sich eine neue Selbstdefinition zu finden, die die tiefe Identitätskrise zwischen eigenen Ansprüchen, Bedürfnissen und Erwartungen und der herrschenden, dem widersprechenden Weiblichkeitsideologie überwinden helfen sollte. Ausgehend von subjektiver Betroffenheit wurden unmittelbare Erfahrungen zur Handlungsgrundlage gemacht. Die Erfahrungslücke im kollektiven Umgang mit eigenen Problemen und im Durchbrechen der Vereinzelung erzeugte eine Berührungsangst vor von »Männern beherrschten Institutionen und Organisationen« und wurde häufig zu einer Berührungsangst vor der gesellschaftlichen Realität überhaupt, die es zu überwinden galt, sollte Frauenprotest nicht auf dem Niveau subjektiver Strategie zur individuellen Selbstbefreiung verharren.
Letzteres verhindert nicht nur Selbstkritik und Lernen, sondern auch die Erkenntnisfähigkeit, daß die Analyse der Ursachen für die Unterdrückung, die Einordnung individueller Erfahrung in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge notwendige Voraussetzung sind, um von einer reinen Abwehrstrategie hin zu konkreten gesetzlich abgesicherten Veränderungen zu kommen.
Die Phase der Auseinandersetzung mit subjektiven Erfahrungen und persönlichen Bedingungen ist für die Befreiung der Frau meiner Meinung nach absolut notwendig, weil zuallererst die durch die geschlechtsspezifische Sozialisation angetrimmte Passivität und Unterbewertung der eigenen Person überwunden werden muß, um die Fähigkeit entwickeln zu können, für Alternativen einzutreten.
Der Prozeß der Emanzipation von der Passivität hin zu Forderungen nach gleichen Chancen und Rechten hat sich parallel zu einer politischen Entwicklung abgespielt, die eher darauf abzielte, selbst minimalste Errungenschaften zum Abbau der Frauendiskriminierung zurückzunehmen. War in der Bildungsreformphase der sechziger Jahre noch viel die Rede von Chancengleichheit für Mädchen und Arbeiterkinder, so ist jetzt im Zuge der Hochschulreform keine Rede mehr davon.[1]
Dem steht jedoch ein ständig wachsendes, sehr bewußtes Engagement von Frauen gegenüber. Die Einsicht, daß zur Veränderung der Situation der Frau Frauen nicht unter sich bleiben dürfen, hat an den Hochschulen dazu geführt, daß Frauengruppen begannen, in den Interessenvertretungen der Studenten, in der verfaßten Studentenschaft, ihre Forderungen zu proklamieren. In den Allgemeinen Studentenausschüssen wurden Frauenreferate eingerichtet, die in Zusammenarbeit mit Frauengruppen Beratungen durchführen, die Forderungen der Frauen in die studentischen Kämpfe einbringen und zahlreiche Initiativen von Studentinnen und Dozentinnen unterstützen. Dabei geht es sowohl um soziale Forderungen wie beispielsweise Erleichterungen für Studentinnen mit Kindern als auch um die Verteidigung demokratischer Rechte wie z.B. das Recht, sich gegen die Praxis des reformierten § 218 zu wehren, als auch und vor allem um wissenschaftsinhaltliche Auseinandersetzungen. Sehr schnell ergab sich die Notwendigkeit, eine breite Öffentlichkeit für gestartete Initiativen und Diskussionen herzustellen. Frauen beteiligten sich an den Streiks gegen das Hochschulrahmengesetz mit eigenen Veranstaltungen, die nicht selten zu den bestbesuchtester gehörten; in West-Berlin fanden Sommeruniversitäten für Frauen statt, in deren Rahmen nicht nur die Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen an der Uni, sondern auch in der Arbeitswelt und Familie zur Diskussion standen und stehen.
Der Frauenprojektbereich im VDS
Mit der Einrichtung des Frauenprojektbereiches in der »Vereinigung Deutscher Studentenschaften« (VDS) haben sich die Studentinnen eine Möglichkeit geschaffen, überregional die Arbeit der einzelnen Frauengruppen und Frauenreferate an den Hochschulen zu koordinieren, mit anderen Kräften wie z. B. Gewerkschaftsfrauen und Frauen im Bund demokratischer Wissenschaftler (BdWi), der Demokratischen Fraueninitiative (DFI) und anderen zusammenzuarbeiten. Diese Zusammenarbeit bewirkt, daß Studentinnen ihre Situation nicht isoliert von der Lage der Masse der Frauen in der BRD begreifen und daß an der Hochschule ein Problembewußtsein für die Schwierigkeiten der anderen Frauen geschaffen und umgekehrt Verständnis für die Situation der Studentinnen geweckt wird.
Im Mittelpunkt der aktuellen Aktionen und Diskussionen im Frauenprojektbereich stehen vor allem folgende Komplexe:
- Die Auswirkungen der Hochschulformierung auf die Frauenbildung und auf das Frauenstudium
- Die Frau als Subjekt und Objekt der Wissenschaft
- Die soziale Lage der Studentinnen
- Die Berufsperspektive und die Akademikerinnenarbeitslosigkeit.
Zum ersten Punkt: Das Hochschulrahmengesetz schickt Frauen unserer Meinung nach zurück an Heim und Herd. Die Einführung von Regelstudienzeiten würde den Leistungsdruck und Konkurrenzkampf an der Uni erheblich verschärfen. Frauenseminare, wie sie gerade erst erkämpft wurden, würden unter den Tisch fallen. Frauen mit Kindern könnten gleich aufgeben, die ohnehin hohe Abbruchquote unter Frauen wird weiter zunehmen. Begabtenabitur und Zweiter Bildungsweg, dornenvolle Wege zum Nachholen eines Bildungsdefizits, wurden bisher vor allem auch von Frauen wahrgenommen. Die Einschränkung dieser Möglichkeiten trifft sie besonders hart. Das Ordnungsrecht würde Frauen, ohnehin dazu erzogen, sich nicht zu wehren, weiter einschüchtern. Dies soll beispielhaft belegen, daß Frauen ihre eigenen Interessen in der Diskussion um die Hochschulformierung geltend machen müssen, um überhaupt Rahmenbedingungen, unter denen sich weitergehende Diskussionen entwickeln können, abzusichern. Der Projektbereich stellte sich zunächst zur Aufgabe, die Rahmenbedingungen des Frauenstudiums und der Bildungschancen für Mädchen zu analysieren, zumal so gut wie keine aktuellen soziologischen Untersuchungen dazu vorliegen und die Aussagen der Bundesregierung entweder sehr allgemein oder eher schönfärberisch sind. Die Notwendigkeit einer solchen Analyse ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, daß die Diskriminierung der Frauen im Bildungsbereich eine Diskriminierung in der Arbeitswelt nach sich zieht und den Frauen damit einen wesentlichen Bereich verschließt, der zur Emanzipation des Menschen beiträgt. Einige wenige Beispiele aus den Resultaten der bisher geleisteten Analyse sollen den Stellenwert der Forderung nach gleichen Bildungschancen belegen:
Der Frauenanteil an den bundesdeutschen Hochschulen rangiert unter den Ländern der Europäischen Gemeinschaft an 5. Stelle. An den wissenschaftlichen Hochschulen stieg die Frauenquote vom Wintersemester '57 bis Wintersemester '71 von 18,5% auf 26,5%, während sich die gesamte Studentenzahl von 167000 auf 395000 (!) erhöhte. Über 70% aller Studentinnen studieren in drei von acht Fachrichtungen, über 50% wählen einen lehrerbildenden Studiengang. Hier Einfluß auf entsprechende geschlechtsspezifische Studienberatungen und Studienorientierungen in der Schule zu nehmen, bemühen sich etliche Frauenreferate. Frauengruppen und AStA-Frauenreferate haben seit einigen Semestern durch Fragebogenaktionen, aber auch durch Seminar-, Examens- und andere Arbeiten begonnen, das Informationsdefizit bezüglich der realen Studienbedingungen für Frauen zu durchbrechen.
Die Diskussion um den zweiten Punkt, die Frau als Subjekt und Objekt der Wissenschaften, hat nachhaltig den Studienbetrieb an vielen Unis beeinflußt. Sowohl in Seminaren zu frauenspezifischen Themen, die von Studentinnen oder interessierten Dozentinnen (auch Dozenten!) initiiert wurden, als auch in gängigen Lehrveranstaltungen wird die Frage nach den Lebensbedingungen der Frauen im umfassendsten Sinn aufgeworfen.
Die Diskussion um Wissenschaftsansätze und -inhalte, deren Umfang und Aspektereichtum hier nicht annähernd umrissen werden kann, machte bereits bis heute das große Defizit an wissenschaftlichen Untersuchungen über den weiblichen Lebenszusammenhang, über die historische Entwicklung jeweils propagierter Frauenleitbilder und -ideologien sowie Frauenaktivitäten in Gesellschafts-, Kultur-, und Naturwissenschaften deutlich. Damit sind das Ausmaß an Verschwendung von geistigen und kreativen Fähigkeiten eines großen Teils der Bevölkerung sowie die Ignoranz und Unwissenheit gegenüber deren Lebensbedingungen deutlich geworden. Indem Studentinnen und Dozentinnen dazu übergehen, Defizite nicht nur aufzudecken, sondern auch zu reduzieren, ist ein Prozeß in Gang gesetzt worden, der schwer aufzuhalten sein wird. Im Soziologenverband bilden beispielsweise Dozentinnen eigene Arbeitskreise. Naturwissenschaftlerinnen haben ihren dritten Kongreß veranstaltet, auf dem nicht nur die in diesem Bereich besonders extreme Benachteiligung der Frauen, sondern auch gängige Wissenschaftsinhalte und deren gesellschaftliche Auswirkungen wie zum Beispiel in der Stadtplanung diskutiert wurden.[2]
Einen ersten Höhepunkt der studentischen Frauenbewegung im Rahmen der verfaßten Studentenschaft stellte der Kongreß des VDS-Projektbereiches im Juli 1978 in Bielefeld dar.
Diskussionsthema auf der Grundlage der bereits geleisteten Analysen zu den Rahmenbedingungen, unter denen Frauen an der Uni arbeiten, war die Frage, wie die bisherige Funktion bürgerlicher Wissenschaft, das herrschende Frauenbild und damit entscheidende Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen abzusichern, durchbrochen und ersetzt werden kann durch wissenschaftliche Ansätze, die dazu beitragen, die Lage der Frauen zu verbessern. Da Wissenschaft eine spezifische Form des gesellschaftlichen Bewußtseins ist, transportiert sie die gängigen Sozialisationsmuster. Diese als historisch entstandene, veränderbare zu erkennen, ist notwendige Voraussetzung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frauenfrage, aber auch für die wissenschaftliche Arbeit von Frauen, denen die transportierten Muster eben diese Fähigkeit absprechen. Die stärkere Repräsentation von Frauen an den Hochschulen hat nicht zu einer Änderung der Stellung der Frau in Wissenschaft und Forschung und der Wissenschaftsinhalte geführt.
Den Studieninhalten das entgegensetzen, was Frauen brauchen
Diese Änderungen durchzusetzen, ist nur denkbar durch die Aktion der betroffenen Frauen. Sie müssen sich überlegen, wie dem, was an Studieninhalten geboten wird, das entgegengesetzt werden kann, was Frauen brauchen. Genau diese Überlegungen laufen an und sind damit selbst lebendiges Gegenbeispiel für gängige Frauenbilderklischees. Psychologinnen beispielsweise erfassen einerseits das Problem Angst an der Uni, untersuchen andererseits die Folgen des gerade in der Psychologie geprägten klassischen Begabungsbegriffes auf das weibliche intellektuelle Selbstvertrauen und auf wissenschaftliche Rechtfertigungen anachronistischer Frauenleitbilder. Alternative Therapiekonzepte sind nur ein Beispiel für solche konstruktiven Überlegungen.
Die Fülle der Fragestellungen, die in jedem einzelnen Fachbereich angesprochen wurden, können hier nicht wiedergegeben werden. Sie erwiesen erneut, wie komplex und universal die Frauenfrage sich auch im Bereich der Wissenschaften stellt. Fachspezifische und interdisziplinäre Tagungen werden sicher folgen. Medizinerinnen, Lehrerinnen und Gewerkschaftsfrauen unter anderen helfen zu verhindern, daß die Diskussion über den Einfluß der Frauen auf die Wissenschaft abstrakt bleibt, indem sie Probleme aus der Berufspraxis einbringen.
Einen breiten Raum nimmt die Frage ein, welches wissenschaftliche Instrumentarium dazu beitragen kann, Frauenprobleme zu lösen. Dabei wird immer mehr deutlich, daß zur Untersuchung der Problemursachen die deskriptive bürgerliche Wissenschaft nicht ausreicht, sondern auch materialistische Ansätze notwendig sind. Die Fragestellungen konzentrieren sich auf folgende Punkte:
- Wie wirkt sich die gegenwärtige Krise auf Bildungschancen für Frauen aus?
- Was folgt aus der Tatsache, daß das, was erforscht und wie es wissenschaftlich erarbeitet wird, ausschließlich von Männern geplant und bestimmt wird?
- Welche Veränderungen ergäben sich, wenn der weibliche Lebenszusammenhang integraler Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit würde, für die einzelnen Fächer?
- Welche konkreten Beispiele kann die Wissenschaft zur Veränderung der Situation der Frau leisten (z.B. in der Medizin, Pädagogik, Soziologie etc.)?
- Wie wird die Frau in einzelnen Fachrichtungen dargestellt?
- Welche sozialen Verhältnisse werden durch die Vorurteile vom wahren Wesen der Frau reflektiert?
- Was kann aus der Nichtbeteiligung der Frauen an akademischen Berufen über ihre Stellung in der Gesamtgesellschaft geschlossen werden?
Um eine effektive Diskussion führen zu können, müssen noch wesentlich mehr öffentliche Foren als bisher geschaffen werden. Frauenseminare und Seminare mit entsprechenden Fragestellungen sind durchzuboxen. Sie werden oft mit dem Hinweis auf die finanzielle Misere oder gar den geringen wissenschaftlichen Bedeutungswert abgewiesen, Dozentinnen werden unentgeltliche Lehraufträge zugemutet etc. Trotz dieser Schwierigkeiten wäre es im Interesse der Breite und Effektivität, aber auch im Sinne einer sich ernst nehmenden demokratischen Wissenschaft, die gegen die Unterdrückung der Frau sein muß, falsch, auf die Institutionalisierung von Frauenprojekten in den Wissenschaftsbetrieb zu verzichten.
Mittlerweile gibt es eine Fülle von Examensarbeiten; Frauen schließen sich in Examensgruppen zusammen, die auch Impulse aus der Praxis der Frauenbewegung aufgreifen und somit für die Arbeit der Frauen direkt Anhaltspunkte erarbeiten können. Bei der Koordinierung und Veröffentlichung dieser Arbeit könnten Organisationen wie der »Bund demokratischer Wissenschaftler« wertvolle Hilfe leisten.
Die Frage, inwieweit Frauen überhaupt ganz eigenständige Wissenschaftstheorien entwickeln müssen, da sie eben bisher kaum Eingang in die Wissenschaft gefunden haben, wird sehr kontrovers diskutiert.[3] Sicher ist anzunehmen, daß der weibliche Lebenszusammenhang, wie er kulturell entstanden ist, das wissenschaftliche Arbeiten generell beeinflussen wird. Sehr kritisch zu untersuchen ist die These, daß der »männlichen« Abstraktion eine »weibliche« Emotionalität entgegenzustellen sei, da solche Auffassungen Gefahr laufen, die geschlechtsspezifische Wesensteilung und Verstümmelung des Menschen festzuschreiben.
Den biologistischen Vorstellungen von den mangelnden kreativen und intellektuellen Fähigkeiten der Frau hat die Frauenbewegung an den Hochschulen längst ein Schnippchen geschlagen, indem diese dazu übergegangen ist, die Diskriminierungen nicht nur zu beklagen, sondern deren Ursachen zu entlarven und Alternativen vorzuschlagen und durchzusetzen. Obwohl nach wie vor unterrepräsentiert, sind gerade die weiblichen Studierenden ein nicht mehr wegzudenkender Faktor der politischen Auseinandersetzung an den Hochschulen.
Allerdings sind auch die Schwierigkeiten nicht zu unterschätzen, die ein derart ungewohntes Frauenverhalten mit sich bringt. Die Frau muß dauernd aus der Rolle fallen, wenn sie sich entgegen der herrschenden Auffassung als vollwertiger Mensch verhält. Die Arbeit im VDS-Projektbereich hat den praktischen Nutzeffekt, das Selbstvertrauen der Frauen zu stärken. Künstlerinnen machten dies auf dem Bielefelder Kongreß durch ein Wandbild deutlich: Als unausgefüllte Konturen angekommen, wurden die Frauen am ersten Tag vollgestopft mit Begriffen wie Emanzipation, Wissenschaftstheorie und Gesellschaft, am zweiten Tag wurde der »Berg« überwunden und sie stehen vor einer Tür, die sich ein wenig geöffnet hat und auf der die Aufforderung steht: unsere Bilder malen, unsere Worte schreiben, unsere Musik machen. Was alles hinter der Tür, durch die es zu gehen gilt, auf uns wartet, wenn wir konsequent ich sagen, ist noch nicht abzusehen. »Weiblichkeit stellt solange keine Qualität dar, solange sie vornehmlich die Züge der geschichtlichen Unterdrückung der Frau trägt«[4] - aber auch nur solange nicht. - Gaby Zipfel
Zur allgemeinen Bedeutung von Frauenseminaren
Der Stellenwert von Frauenseminaren, die 1972/73 im Rahmen der autonomen Frauenbewegung an der Universität entstanden sind und sich bis heute nur auf einzelne Fachbereiche beschränken, ist im Hinblick auf akademische Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen allgemein umstritten geblieben. Negative Einschätzungen von möglichen Veränderungsprozessen haben zugenommen, da die positive Aufarbeitung und Veröffentlichung von gemachten Erfahrungen bisher nur unzureichend erfolgt ist. Für viele von uns ist z.B. schon die unerwartete Erfahrung, im Frauenseminar zunächst unter einen größeren psychischen Druck zu geraten als in einer gemischten Arbeitsgruppe, negativ genug, um das Frauenseminar vorschnell wieder zu verlassen und die eigenen Bedenken dagegen bestätigt zu sehen. Eine positive Aufarbeitung der Veränderungsmöglichkeiten ist auch dadurch erschwert, daß sich diese nicht unmittelbar und ausschließlich auf den universitären Alltag und seine Anforderungen beziehen lassen. Ihre Umsetzung erfolgt vielmehr oftmals in Lebenszusammenhängen, die sich außerhalb des Wissenschaftsbetriebes befinden und scheinbar unabhängig von ihm sind.
Die soziale Bedeutsamkeit dieser Zusammenhänge für die gesellschaftliche Stellung von Frauen (d.h., primär für die private Reproduktion, besonders auch die >Beziehungsarbeit< verantwortlich zu sein und darüber auch primär Anerkennung zu erfahren) wird dem >Fortschritt< zuliebe gern unterschätzt. Zwar haben wir heute ausbildungsmäßig scheinbar mehr Chancen im öffentlichen Bereich als je zuvor. Der emanzipative Gehalt der Möglichkeit einer ökonomischen Unabhängigkeit vom Mann reduziert sich jedoch weitgehend, wenn diese Möglichkeit in die Tat umgesetzt wird.[1] Der Versuch, Frauenemanzipation am Beispiel qualifizierter und unqualifizierter Frauenerwerbstätigkeit messen zu wollen, muß zwangsläufig scheitern, wenn der Schwerpunkt allein auf der Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben liegt und die Hausfrau gegen die erwerbstätige Frau dabei offen ausgespielt werden kann. Das Problematische an der Situation erwerbstätiger Frauen kann nur daran herausgearbeitet werden, daß sich ihr gesellschaftlicher Status stärker über ihre Zugehörigkeit zum Privatbereich (als Jungfrau, Ehefrau, Hausfrau, Mutter oder alleinstehende Frau<) bestimmt als über die Art ihrer Erwerbstätigkeit. Also muß der Ausgangspunkt allgemeinerer Forderungen zur Verbesserung der benachteiligten Lage der Frauen die frauenspezifische Diskriminierung im Privatbereich in ihrer Funktionalität für den öffentlichen Bereich sein. Der Begriff der >Doppelbelastung< geht implizit nur von der verheirateten Frau aus und bestätigt damit indirekt den bestehenden Ehezwang. Obwohl er auf den Privatbereich verweist, gibt er nur unzureichend Aufschluß über dessen Bedeutung. Über die gesellschaftliche Situation alleinstehender Frauen< ist nicht zufällig so gut wie nichts bekannt.
Grundsätzlich sind es Frauen nicht gewohnt und es wird nicht von uns erwartet, daß wir uns in der Öffentlichkeit begegnen, um unsere Forderungen gemeinsam durchzusetzen. Es gibt unabhängig von der Frauenbewegung keine Frauenöffentlichkeit. Möglichkeiten und Grenzen unserer frauenspezifischen Identifikationsbedürfnisse sind fremdbestimmt. Wir orientieren uns aneinander vorzugsweise über unsere gesellschaftlich vorgegebene Bezogenheit auf Männer und/oder Kinder, d.h. wir vermitteln unsere Bedürfnisse und Forderungen erst zuletzt an uns selbst. In Frauenseminaren und autonomen Frauengruppen entfällt diese Orientierungsmöglichkeit durch die bewußte Abgrenzung von Männern und Kindern. Notwendige Folge war eine starke Verunsicherung unter uns, die noch anhält, aber gleichzeitig die Chance enthält, unsere Beziehungen im privaten und öffentlichen Bereich neu zu hinterfragen und zu verändern und zwar nicht aus aufgesetzten Ansprüchen heraus, sondern auf der Grundlage gemeinsam entwickelter Bedürfnisse. Dabei hat sich herausgestellt, daß sich gemeinsame Erfahrungen keineswegs unmittelbar in eine gemeinsame Arbeit umsetzen lassen. Diese entwickelt sich vielmehr erst in einem längeren Prozeß und muß gegen widersprüchliche Erfahrungen durchgesetzt werden. Hier wird die Bedeutung von Selbsterfahrung offensichtlich, die in Frauengruppen und -Seminaren eine wesentliche Rolle spielt. Nicht zuletzt aus enttäuschten Erwartungen heraus konnte sie bisher ebenfalls nur unzureichend herausgearbeitet und verallgemeinert werden.[2] Verallgemeinernde Analysen sind jedoch dringend erforderlich, um der Gefahr zu begegnen, daß Selbsterfahrungsgruppen ihren eigenen Verlauf letztlich wieder als ein individuell verursachtes Versagen interpretieren und damit nicht bearbeiten können.
Welche allgemeinen Ziele haben Frauenseminare? Wie läßt sich die These verdeutlichen, daß wir vom Fortschritt der Wissenschaft nicht als Frauen profitiert haben, vielmehr als Frauen am Fortschritt verloren haben?[3] Zunächst ist davon auszugehen, daß die mangelnde Präsenz von Frauen in Wissenschaft und Forschung unsere Abhängigkeit von männlichen Herrschaftsstrukturen deutlich zeigt. Gleichzeitig ist hier aber auch ein weibliches Widerstandspotential vorhanden, das im Zusammenhang mit alternativen Kompetenzen das allgemein angestiegene Interesse an Frauenforschung bestimmt. Die Problematik der unzureichenden inhaltlichen wie personellen Repräsentation von Frauen im akademischen Bereich wird dabei auf eine neue Ebene gehoben. Qualifikationsdefizite von Frauen, mangelnde Motivation und intellektuelle Fähigkeiten stehen nicht mehr im Vordergrund der Erklärungsversuche, sondern die Herstellungs-, Aneignungs- und Kommunikationsstrukturen der Wissenschaft selber sind zum Problem geworden.[4] Hier ist jedoch zu beachten, daß im Wissenschaftsbetrieb, genauso wie traditionellerweise in anderen gesellschaftlichen Bereichen, Mehrarbeit und Gratisarbeit von uns erzwungen werden kann, solange die Frauenproblematik nicht als allgemeines gesellschaftliches Problem, sondern als nebengeordnetes eingestuft wird. Die Lage der Frauen an der Hochschule zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie unter >besonders< widersprüchlichen Bedingungen >besonders< viel arbeiten müssen.[5] Es reicht also für uns nicht aus, die Unterdrückung von Frauen durch Wissenschaft nur zu beschreiben, vielmehr muß sie im gesellschaftlichen Zusammenhang erst noch viel genauer reflektiert werden, um eine für uns notwendige Arbeitsverweigerung an den richtigen Stellen durchführen zu können. Der Frauenausschluß von wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung ist offenzulegen und zu analysieren. Der Preis für die Höherqualifizierung von Frauen (private Isolation) ist zu problematisieren. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Wissenschaft ist stärker als bisher herauszuarbeiten und zu hinterfragen. Am Beispiel der geschlechtsspezifischen Kommunikationsstrukturen läßt sich besonders eindrücklich aufzeigen, daß wir einen nicht unerheblichen Anteil an der Reproduktion des Wissenschaftsbetriebes haben, daß dieser Anteil jedoch unterbewertet, d.h. in den emotionalen (angeblich irrationalen) Bereich verwiesen, sexistisch verzerrt[6] oder auch völlig verleugnet wird. Die auf traditionellen Bewußtseinsstrukturen beruhenden Annahmen, daß wir in Verbindung mit unseren emotionalen Zuwendungsfähigkeiten umsonst und primär für andere arbeiten und ganz zuletzt nur an uns selbst denken, zwingen uns ständig in eine Rechtfertigungsposition. Schließlich wird dadurch auch erfolgreich verhindert, daß wir uns aufeinander beziehen, uns gegenseitig ernstnehmen und unterstützen können. In gemischten Arbeitsgruppen setzen sich Kommunikationsstrukturen durch, die individuell kaum erfolgreich zu durchbrechen sind. Der Wert unserer frauenspezifischen Arbeitsweise, welche die Wahrnehmung anderer Personen mit einschließt, wird allgemein in Anspruch genommen, aber kaum gesehen und nicht anerkannt. Vom >Wesentlichen< der wissenschaftlichen Arbeit bleiben wir ausgeschlossen. Es gibt hinreichende Gründe, die Frauen veranlassen können, sich aus gemischten Arbeitszusammenhängen zurückzuziehen, um sich auf sich selbst zu besinnen.[7]
In Frauenseminaren lassen sich veränderte Kommunikationsstrukturen besonders dadurch kennzeichnen, daß sich kollektive Arbeitszusammenhänge und Organisationsformen viel stärker durchsetzen als in gemischten Gruppen. Gleichgeschlechtliche Zweierbeziehungen tendieren mehr als gegengeschlechtliche dazu, sich nach außen zu öffnen. Im Frauenseminar erarbeiten wir uns ein Bewußtsein darüber, wie stark unsere Vorstellungen von >der neuen, idealen Frau< fremdbestimmt sind in ihrer fatalen Vermischung traditioneller und fortschrittlicher Elemente von >Weiblichkeit<. Während das >Männlichkeitsideal< heute ziemlich einseitig allein schon dadurch aufgebrochen erscheint, daß Männer auch Schwäche demonstrieren dürfen, sollen wir Frauen unsere Stärke auf mehreren Ebenen gleichzeitig unter Beweis stellen und sind damit hoffnungslos überfordert. Wir machen uns gegenseitig vor, daß wir Familie, Beruf und freie Sexualität irgendwie vereinbaren, obwohl gesellschaftlich eindeutig anerkannte Frauenleitbilder in allen diesen Bereichen fehlen. Darüber hinaus hat uns nicht nur die familiäre, sondern vor allem auch die schulische Sozialisation notwendige Identifizierungsmöglichkeiten allgemein erschwert. Wir haben gelernt, Frauen im gesellschaftlichen Zusammenhang nur als Randfigur wahrzunehmen, die in mütterlicher oder schwesterlicher Funktion auf männliche Hauptfiguren bezogen sind.[8] Wenn wir heute zunehmend Doppel- und Mehrfacharbeit leisten, um am gesellschaftlichen Fortschritt zu partizipieren, neigen wir gleichzeitig gezwungenermaßen dazu, >öffentlichen< Erfolg zu vermeiden. Er gefährdet unsere privaten Beziehungen zu Männern und zu Frauen,[9] denn wir wissen, daß Frauen, die in der Öffentlichkeit Erfolge haben, im Gegensatz zu Männern privat häufig sehr isoliert leben. Wir sind nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich voneinander getrennt.
Welche Möglichkeiten bieten Frauenseminare, Frauenbeziehungen durch Selbsterfahrung neu zu reflektieren und eine gemeinsame Arbeitsmotivation zu entwickeln? Frauensolidarität erschöpft sich im allgemeinen darin, daß wir uns im Privatbereich untereinander ausweinen. Um Solidarität auf einer höheren Ebene praktizieren zu können, ist ein bestimmtes Maß an Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen eine wesentliche Voraussetzung. Grundlage der gemeinsamen Arbeit in einem Frauenseminar ist die allgemeine Bereitschaft, gemeinschaftlich voneinander zu lernen. Dadurch wird die Trennung zwischen Identifikationsbedürfnissen mit Sachen und mit Personen angegangen und das erleichtert die Arbeit an den Widersprüchen zwischen Theorien und eigenen Erfahrungen.[10] Die übliche Hierarchie zwischen Lernenden und Lehrenden verändert sich, indem die Arbeit zielgerichtet, aber weniger ergebnisorientiert als prozeßorientiert verläuft. Eine wichtige Funktion der Lehrenden besteht darin, Kompetenzen im Hinblick auf die Prozeßhaftigkeit zu entwickeln, unmittelbaren Leistungsdruck abzubauen und vorbildhaft Vertrauen in die Selbständigkeit und Verbindlichkeit des in den Arbeitsgruppen entstehenden Engagements zu setzen. Das ist nur möglich, wenn die Lehrenden selber die Bereitschaft bewiesen haben, sich auf eine längerfristige Frauenselbsterfahrungsgruppe einzulassen. Bestimmend dafür ist, die eigene Betroffenheit zum Ausgangspunkt für das Erkenntnisinteresse allgemeinerer, gesellschaftlicher Strukturen zu machen und die Isolation von Frauen untereinander praktisch anzugehen. Der Selbsterfahrungsprozeß verläuft phasenspezifisch. Zunächst entsteht in der Gruppe eine befreiende Wirkung im Entdecken von Gemeinsamkeiten, jedoch auf einer Grundlage, die sich im weiteren Verlauf als problematisch erweist. Solange wir uns in erster Linie als schwach und unterdrückt definieren und als gemeinsamen Bezugspunkt hauptsächlich die Abgrenzung von Männern im Sinne eines Tabus verteidigen, wird eine notwendige Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen uns verhindert. Trotzdem ist zu betonen, daß dieses Anfangsstadium einer ersten Selbstfindung dient und als solches notwendig und zu akzeptieren ist. Allerdings besteht die Gefahr, daß enttäuschte Bedürfnisse und Erwartungen einzelner Mitglieder im Zusammenhang mit den zwangsläufig auftretenden Gruppenkonflikten zu einem vorzeitigen Auseinanderfallen der Gruppe führen. Der Zeitfaktor spielt eine große Rolle. In einem fortgeschritteneren Stadium rücken die Unterschiede zwischen uns in den Mittelpunkt der Selbsterfahrung, neue Erkenntnisse über Widersprüche in der weiblichen Lebenssituation werden dadurch gewonnen, Beziehungsinteressen differenzieren und intensivieren sich. Stärke/Schwäche-Definitionen werden relativiert.[11] Es ist offensichtlich, daß sich die Gruppenprozesse nur auf dem Hintergrund eines größeren öffentlichen Zusammenhanges entwickeln können. Die Arbeitsgruppen eines Frauenseminars sind deshalb auf den Austausch im Plenum sehr stark angewiesen, auch wenn die dem Plenum verbleibenden Funktionen häufig in Frage gestellt werden. Ebenso sind die Frauenseminare an verschiedenen Fachbereichen untereinander auf Kontakt angewiesen. Der Informationsaustausch ist eine wesentliche Grundlage für die Auseinandersetzungen und Diskussionen in Frauenseminaren und anderen Projekten im Rahmen der Frauenbewegung, in denen wir uns gegenseitig als gesellschaftliche Subjekte begegnen und die Bedeutung einer Frauenöffentlichkeit erfahren für die Durchsetzungsmöglichkeiten von Forderungen, die für uns wichtig sind.[12]
Es wird die Aufgabe weitergehender Analysen sein, aufzuzeigen, daß die therapeutischen Effekte, die sich in Frauenselbsterfahrungsgruppen feststellen lassen, keine unvollkommene therapeutische Situaton widerspiegeln, sondern daß die Erfahrungen und Erkenntnisse, die aus dem Zusammenhang der Frauengruppen heraus entstanden sind, eine gesellschaftsverändernde Perspektive haben. - Vera Werner
Sommeruniversitäten
Die Westberliner »Sommeruniversität für Frauen« ist zu einem festen Ereignis innerhalb der Frauenbewegung geworden. Anfang Oktober 1978 fand die 3. Sommeruni statt: »Frauen und Mütter-Ideologie, Wirklichkeit oder konkrete Utopie« hieß das Thema. Es ist ein an sich zeitloses Thema, das jedoch in der feministischen Bewegung der letzten Zeit an Aktualität gewann. Und es ist ein Thema, das alle Frauen betrifft. Aufgegliedert in Geschichte, Mutterschaft und Berufstätigkeit, Biologie der Frau, weibliche Psyche, das Kind und Darstellung der Mutter in Kunst und Literatur sollte es als ein wesentlicher Teil der »Feministischen Wissenschaft« analysiert werden.
Die Westberliner Sommeruni hat in der BRD noch keine Schwesternveranstaltung gefunden (in Europa nur noch eine). So bildet sie wohl das größte Forum der West-Berliner und bundesrepublikanischen Frauenbewegung. Ausgangspunkt der 1. Sommeruni für Frauen 1976 unter dem Motto »Frauen und Wissenschaft« war die Initiative einer Gruppe von Dozentinnen und Assistentinnen an der Freien Universität Berlin. Ansetzend an ihrer Situation - der Universität als Arbeitsplatz - sollte ein Angriff auf den Elfenbeinturm Wissenschaft unternommen werden; die Wissenschaft berücksichtige die Frau bisher weder als Subjekt noch als Objekt ihrer Untersuchung adäquat. Als Privilegierte unter den Frauen betrachten die Dozentinnen ihre Aktivitäten als Teil »eines umfassenderen Kampfes gegen Ausbeutung«.[1] Sie können und wollen nicht stellvertretend für andere Frauen kämpfen, jede Frau müsse an ihrem Platz arbeiten. Aber sie wollen »Universität, Wissenschaft und Gesellschaft verändern«. »Möglicherweise werden wir mit unserer Frage nach Frauenmacht und -identität, nach den Bedürfnissen und nach der Dialektik von Macht und Ohnmacht der Frauen nicht nur Vorurteile und Irrtümer aufdecken, sondern für die gesamte heutige Gesellsehaft die Frage der Macht neu formulieren können: denn die Macht, die wir wollen, ist nicht eine Macht, um aus anderer Menschen Arbeit Profit herauszuschlagen, sondern die Macht, unser eigenes Leben zu bestimmen«.[2]
Ein Tag war dem Thema »Hausarbeit« gewidmet. Die Diskussionen und das In-Frage-Stellen der unbezahlten Hausarbeit gaben dann auch Anlaß, diesen Bereich die 2. Sommeruni genauer untersuchen zu lassen. So ging es 1977 um »Frauen als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte«. Kritik an der Organisation des letzten Jahres war aufgegriffen worden. Die Vorbereitungsgruppe - nun auch Studentinnen und sogenannte andere Dienstkräfte, wie Sekretärinnen - hatte erreicht, daß die Sommeruni für Frauen als wissenschaftliche Veranstaltung der FU anerkannt wurde. Fachbereiche waren um Unterstützung des Antrages beim Präsidenten der FU gebeten worden. Dies ermöglichte es den berufstätigen Frauen, Bildungs- bzw. Weiterbildungsurlaub zu beantragen. Leider wurde dies mangels Information und in Erwartung etwaiger Diskriminierungen und Repressionen am Arbeitsplatz von zu wenigen Frauen in Anspruch genommen. Der Zeitpunkt Anfang Oktober war günstiger als direkt im Sommer. Zur Kinderbetreuung wurden Erzieherinnen engagiert, aber vielen Frauen war es verständlicherweise unbehaglich, ihre Kinder mal wieder irgendwo abzugeben, und so sah man besonders Babys in den Veranstaltungen.
»Lohn für Hausarbeit« - ja oder nein - bei einer Podiumsdiskussion wurden die kontroversen Standpunkte deutlich, die ausführlicher in vielen Beiträgen zur Sommeruni behandelt wurden. Die Vertreterinnen der Forderung, wie die Gruppe um die »Courage« und ein Teil der Lesbierinnen, argumentierten, die Bezahlung sei die Voraussetzung für die Verweigerung der Hausarbeit.[3] Alle Frauen seien in erster Linie Hausfrauen, und eine qualifizierte Arbeit biete keine Befreiungsperspektive. Im Kampf um den Hausarbeitslohn würden sich alle Frauen zusammenfinden. Unerwähnt blieb, woher das Geld fließen soll. Aber hier weiß vielleicht die CDU mit ihren Vorschlägen zum Erziehungsgeld Rat. - Beide Vorschläge sind dazu angetan, die Frauen gar nicht erst auf die Idee kommen zu lassen, bessere Qualifikation und mehr Arbeitsplätze zu fordern. Es ist doch auch kaum zu erwarten, daß die bezahlte Hausfrau sich weigert, den Kindern das Essen zu kochen oder dem Mann die Wäsche zu waschen.
Die Gegnerinnen dieser Forderung bildeten die Mehrheit der Besucherinnen, repräsentiert durch Frauen vom Frauenzentrum, aus dem Frauenhaus, vom Sozialistischen Frauenbund West-Berlin. Ihre Kritik richtete sich unter anderem gegen die falsche Analyse der Hausarbeit. Die Nichtanerkennung der Hausarbeit hat ihre Ursache in der Privatheit, nicht in der Unbezahltheit. Das antikapitalistische und antipatriarchalische Ziel des Kampfes ist die Vergesellschaftung von Hausarbeit. Aufgehoben werden müssen sowohl die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wie die psychischen Folgen isolierter Tätigkeit. Unsere Energien würden besser und erfolgreicher im Kampf um gleiche und gute Qualifikation für Jungen und Mädchen, gegen Arbeitslosigkeit, für bessere und ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten genutzt werden.
Eine zweite Podiumsdiskussion betraf die Frage der Quotierung von Arbeitsplätzen: »50% aller qualifizierten Arbeitsplätze für Frauen«. Einigen Feministinnen scheint noch nicht deutlich zu sein, daß Arbeitskämpfe am Arbeitsplatz stattfinden und dabei die Unterstützung von Gewerkschaften unabdingbar ist. Auch wenn die Gewerkschaftspolitik der Nachkriegsjahre die Verbesserungen für erwerbstätige Frauen bzw. die weitere Einbeziehung der Frauen ins Erwerbsleben hinter prozentuale Lohnforderungen zurückstellte (die die meist niedriger bezahlten Frauen benachteiligten), hinter Urlaubsverbesserungen und sozialen Leistungen. Erst in letzter Zeit werden DM- oder Ecklohnerhöhungen gefordert, da immer mehr Männer von Abgruppierungen betroffen werden. Claudia Pinl (»Das Arbeitnehmerpatriarchat«) referierte zu diesem Bereich und kam zu dem Schluß, daß sowohl von außen als auch von innen Druck auf die Gewerkschaften nötig sei, um sie zur Vertretung aller Erwerbstätigen im Interesse aller Erwerbstätigen zu machen. (Die Männer haben doch wohl schon Erfahrungen damit gemacht, was es heißt, eine industrielle Reservearmee im Hintergrund zu haben und dadurch Repressionen ausgesetzt zu sein.)
Das Thema 1978: »Frauen und Mütter« schien weniger Brisanz zu bergen. Doch der Verlauf der 3. Sommeruni blieb leider hinter ihrem Anspruch weit zurück. Massenselbsterfahrung oder die »Theorie der Subjektivität« statt interdisziplinäres, wissenschaftliches Herangehen an die Komplexität der Frauenfrage beherrschten die meisten Veranstaltungen. Ich hätte mir durchaus gewünscht, ausgehend von persönlichen Erfahrungen der Mütter und Nicht-Mütter die realen Bedingungen für Mutterschaft in unserer Gesellschaft aufzuzeigen, und daran mögliche Forderungen und Strategien zu knüpfen. Statt dessen blieben die Schilderungen ohne Auswertung und die plakativen Ergebnisse von den gesellschaftlichen Bedingungen der meisten Frauen abgehoben. Die Forderung »Lohn für die Arbeit an Kindern« z.B. sollte nicht die von der Mehrheit der Frauen (und nicht nur von diesen) vertretenen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, kinderfreundlichen Einrichtungen und Veränderungen im Schulbereich (Zwischenruf »Für feministische Schulen!«) übertönen.
Die wissenschaftliche Analyse der geschlechtsspezifischen Ausbeutung und der Trennung zwischen privatem und öffentlichem Bereich, die sich sehr wohl mit den Erfahrungen der Frauen verbindet, muß in den Mittelpunkt der Sommeruni gerückt werden. Andernfalls degradiert diese Institution zur Spielwiese für exotische Positionen und schlägt um in eine politisch isolierte und rückschrittliche Richtung.
An der Organisation einer solchen Veranstaltung bleibt noch vieles zu kritisieren. Auch in diesem Jahr war der Veranstaltungsort die Universität, die wohl doch viele Frauen abschreckt. Um dem Anspruch gerecht zu werden, Gesellschaft zu verändern, müssen wir auch die Frauen an ihrem »Arbeitsplatz Haushalt« erreichen. In die Stadtteile gehen - Volkshochschulen, Kirchen, Stadtteilgruppen, Gewerkschaftsgruppen sollten als Mit-Trä-ger der Frauenuni angesprochen werden. Die Präsentation der Beiträge darf nicht in den, von uns ja gerade kritisierten, Uni-Methoden steckenbleiben. Am ersten Tag sollte den Frauen (unter Anleitung) die Möglichkeit gegeben werden, nach Themenschwerpunkten Gruppen zu bilden. Täglich würden dann gemeinsame Veranstaltungen besucht, Zeit für Arbeitsgruppen bliebe frei, Mittags könnte frau gemeinsam Essen gehen, Filme sehen und diskutieren, Kontakte knüpfen, die auch nach der Sommeruni wirksam werden. Es kommen viele Frauen, die eben noch nicht in der Frauenbewegung tätig sind. Ihnen sollten Anregungen und Möglichkeiten der Weiterarbeit geboten werden.
Die Vorbereitungsgruppe könnte unterstützen, indem sie Medien zur Verfügung stellt, Filme zur Situation der Frau anbietet, Theater-, Kabarett-und Gesangsgruppen engagiert. Einzelne Veranstaltungen sollten in den Stadtteilen stattfinden. Spektakuläre Aktionen oder kleinere Vorführungen von Theatergruppen könnten auf den Wochenmärkten für Aufmerksamkeit sorgen. Ansprechender wäre das Programm der Sommeruni in Zeitungsform. Um es kostenlos besser verteilen zu können, ließen sich Anzeigen aufnehmen (wir Frauen haben doch schon genug zu bieten). Dies alles ist natürlich nicht von zehn einzelnen Frauen zu leisten, aus denen die Vorbereitungsgruppe der Sommeruni 1978 bestand. Um so wichtiger wird die Einbeziehung nicht nur von Frauengruppen, sondern gerade auch von gesellschaftlichen Kräften, die zu uns noch nicht so hilfsbereit und solidarisch stehen.
Ein euphorisches oder doch irgendwie »besonderes« Gefühl - eine Woche lang Uni-Betrieb nur mit Frauen - stellte sich bei mir nicht so recht ein. Dazu waren die äußeren Bedingungen den sonstigen zu ähnlich: anonymer Massenbetrieb, Suche nach Räumen von bestimmten Veranstaltungen, überfüllte Hörsäle, Klatschen oder Buh-Rufen als einzige Beteiligungsform bei Podiumsdiskussionen, der Kloß im Hals, der mich davon abhält, vor 100 Leuten und eben auch vor 100 Frauen etwas zu sagen. Als organisierte Frau hatte ich zwar nicht das Gefühl, allein gelassen zu ein, hörte dies aber von einigen Frauen, die dann auch nicht mehr kamen.
Entwicklungsmöglichkeiten liegen dort, wo wir näher an unsere Ansprechpartner wie Gewerkschaften und Parteien herankommen, denn sie sollen unsere Forderungen aufnehmen und weiter vertreten. Durch Verbreiterung unserer Forderungen außerhalb der Uni, durch unsere Organisierung, mit Aktivitäten am Arbeitsplatz, in den Schulen unserer Kinder, in Bürgerinitiativen u.v.a.m. können wir überzeugen. Wir müssen so viele werden im Kampf um eine Gesellschaft, die Emanzipation im weitesten Sinne, nämlich die Befreiung aus Abhängigkeit, für alle Menschen ermöglicht, daß auch Männer die Richtigkeit und Wichtigkeit unserer Kämpfe erkennen, damit wir dieser Macht, die auch die Initiatorinnen der Sommeruniversität für Frauen anstreben, ein Stück näher kommen. - Astrid Lösche
Frauen in »Männerberufen«
Es gibt eine Form subtiler Frauenunterdrückung, die darin besteht, Frauen aus jenen Bereichen der Gesellschaft auszuschließen, die für diese von besonderer Bedeutung sind. Ein solcher Bereich ist für eine hochentwickelte Industriegesellschaft wie die Bundesrepublik die Naturwissenschaft und Technik.
Es heißt, Naturwissenschaft und Technik sei Männersache. Nach gängiger Auffassung kann daher etwa eine Chemikerin, Ingenieurin oder Elektrikerin unmöglich »weiblich« sein - der Durchschnittsbürger stellt sie sich entweder als Mannweib oder als geschlechtsloses Wesen vor, als eine schrullige Jungfer, die so unattraktiv ist, daß sie »es nötig hat«, oder als verbissenes Arbeitstier.
Mädchen werden schon in ganz frühem Alter davon abgehalten, sich technisch zu betätigen: sie sollen die Mutterrolle einüben und lieber mit Puppen als mit Eisenbahnen und Modellbaukästen spielen. Indem Frauen von Kindheit an von Technik ferngehalten werden, wird der Mythos von der mangelnden technischen Begabung der Frauen ständig neu reproduziert: Es wird ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, ihre Fähigkeiten zu entfalten, und so können sie auch keine Beziehung zur Technik entwickeln. So kommt es, daß bereits in den entsprechenden Ausbildungsgängen nur wenige Prozent Frauen vertreten sind. An der TU Berlin z.B. studieren im Fach Bauingenieurwesen 5% Frauen, im Fach Maschinenbau 2-3% Frauen, im Fach Elektrotechnik nur 1-2% Frauen; an der TU Clausthal-Zellerfeld gibt es an der gesamten ingenieurwissenschaftlichen Fakultät nur 5% Frauen. Die Berufe können grob eingeteilt werden in:
- naturwissenschaftliche Berufe mit Hochschulabschluß (Diplom), z.B. in den Fächern Physik, Chemie, Biologie, Geowissenschaften;
- technische Berufe mit Hochschulabschluß (Diplomingenieur) oder Fachhochschulabschluß (graduierter Ingenieur), z.B. in den Fächern Informatik, Maschinenbau, Elektrotechnik, Bauwesen, Architektur;
- technische Handwerksberufe (mit Lehrabschluß), z.B. Schlosser, Kfz.- Mechaniker, Elektriker, Rundfunk- und Fernsehtechniker.
Die Berufe im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, in denen Frauen dagegen die überwiegende Mehrheit stellen, sind die technischen Assistenzberufe, die dadurch gekennzeichnet sind, daß untergeordnete, oft monotone oder routinemäßige, häufig auch gesundheitsgefährdende Zuarbeit für einen »kreativ« arbeitenden Naturwissenschaftler, Ingenieur oder Arzt geleistet werden muß: medizinisch-, chemisch- oder mathematisch-technische Assistentin, technische Zeichnerin usw., ganz zu schweigen von den Fließbandarbeiterinnen, die technische Gebrauchsgegenstände zusammensetzen: Auf dieser untergeordneten, völlig einflußlosen Stufe wird den Frauen dann sogar gern »Fingerfertigkeit« bescheinigt.
Die männliche Herrschaft im naturwissenschaftlich-technischem Bereich geht jedoch weit über die Berufswelt hinaus. Frauen, die nach traditioneller Auffassung ins Haus gehören, verstehen oft nicht einmal die einfachsten Wirkungsprinzipien derjenigen technischen Geräte und Anlagen, mit denen sie im Haus tagtäglich zu tun haben: elektrische Leitungen und Wasserinstallation, Haushaltsgeräte, Beleuchtung und Heizung; oder von Fahrrädern und Autos, mit denen sie vielleicht jeden Tag einkaufen fahren; geschweige denn, daß sie imstande sind, diese zu reparieren. Ist der Fernseher nicht richtig eingestellt oder soll die neue Waschmaschine in Betrieb genommen werden, ist gleich der Mann zuständig.
Auf eine kurze Formel gebracht: Männer erforschen die Naturgesetze und machen Technik daraus. Frauen dürfen dabei gern Handlangerdienste leisten und das Konsumvolk bilden. Aber sie haben so gut wie kein Wörtchen mitzureden, welche Technik sie haben oder nicht haben wollen.
Wie Frauen aus den naturwissenschaftlich-technischen Berufen ferngehalten werden
In den naturwissenschaftlich-technischen Berufen finden Frauen, allein aufgrund ihres Geschlechts, erheblich schwerer einen Arbeitsplatz als Männer, häufig gar keinen; oft werden sie trotz hoher Qualifikation als bessere Sekretärinnen oder technische Assistentinnen eingesetzt. An vielen Hochschulen wird schon bei der Studienberatung den Frauen von vornherein von diesen Fächern abgeraten: »Was wollen Sie denn überhaupt hier?!?« Es gibt auch Professoren, die Frauen keine Diplomarbeiten geben, mit der Begründung, sie nähmen, da sie ohnehin keine Berufsaussichten hätten, nur Männern den Platz weg. In den technischen Lehrberufen finden Frauen häufig nicht einmal eine Lehrstelle. Beispielsweise hat eine Frau bei ca. 150 Betrieben in den Großstädten zwischen Hildesheim, Flensburg und Lübeck eine Lehrstelle als Tischlerin gesucht, dabei aber nur eine Zusage erhalten. Die »Begründungen« der Betriebe dafür, Frauen von Lehre und Beruf auszuschließen, sind vielfältig. Ganz allgemein werden Frauen bei Einstellungen benachteiligt durch den »Vorwurf«, sie könnten schwanger werden und »ausfallen«. Aber es gibt noch einige weitere »Erklärungen« dafür, warum Frauen nicht erwünscht sind.
Da sind zuerst einmal die staatlichen Arbeitsschutzvorschriften, die - »zum Schutze der weiblichen Gesundheit« — eine Reihe von Beschäftigungen für Frauen verbieten: ganz allgemein solche Arbeiten, bei denen häufig Lasten von mehr als 10 kg gehoben oder getragen werden müssen, Nachtarbeit und Tätigkeiten, die mit einer bestimmten Belastung an Röntgen- oder radioaktiver Strahlung verbunden sind; im Baugewerbe die Tätigkeit auf Baustellen, im Tischlerhandwerk die Beschäftigung an bestimmten Holzverarbeitungsmaschinen und vieles mehr. Eigentlich könnte trau mit soviel staatlicher Fürsorge für ihre Gesundheit ja durchaus zufrieden sein. In der Praxis sind diese Bestimmungen jedoch häufig nichts anderes als ein Vorwand für Diskriminierung, und bei genauerem Hinsehen stellt sich vieles dabei als fragwürdig heraus. Körperkräfte z.B. sind hauptsächlich eine Sache des Trainings. In unserem Land ist es noch nicht allzulange her, daß Frauen -ohne daß Schutzvorschriften in Kraft traten! - als »Trümmerfrauen« maßgeblich am Aufbau unserer Städte mitwirkten. Ferner ist noch lange nicht erwiesen, ob nicht die typischen Frauenarbeitsplätze mit monotoner, aber nervenbelastender Arbeit ebenso zu Krankheiten Anlaß geben wie Arbeitsplätze, die schwere Muskelarbeit verlangen. Außerdem: Wäre nicht manche Arbeitsschutzbestimmung - und vor allem ihre Einhaltung! -genauso für Männer notwendig?
Überhaupt richten sich die Schutzbestimmungen oft eben nicht nach gesundheitlichen Notwendigkeiten, sondern nach politischen Interessenlagen: Gibt es eine Aufgabe, wie z. B. Krankenpflege, wozu man-n die Frauen unbedingt haben will, sind plötzlich Ausnahmeregelungen vorhanden: in Krankenpflegeberufen dürfen, ja müssen Frauen sogar nachts arbeiten. Ebenso folgt aus den Strahlenschutzgesetzen nicht, daß für Strahlenanwendungen in der Medizin nur männliche MTA's eingestellt werden dürfen; es wird jedoch durchaus daraus abgeleitet, daß in entsprechenden Forschungsprojekten keine Physikerin, Chemikerin oder Biologin eingestellt wird. Dort, wo die staatlichen Schutzvorschriften nicht ausreichen, den Ausschluß der Frauen zu begründen, wird mit dubiosen Statistiken gearbeitet: Frauen seien öfter krank und verursachten mehr Betriebsunfälle. Mit diesem letzteren »Argument« rät z.B. das Arbeitsamt zuweilen Gartenbaubetrieben ab, Frauen einzustellen. Niemandem würde es aber einfallen, aufgrund der vielen Unfälle im Haushalt Frauen von den Tätigkeiten im Hause abzuraten! Häufig argumentieren Betriebe damit, sie hätten keine sanitären Einrichtungen für Frauen. Tatsächlich gibt es eine Bestimmung, die vorschreibt, daß von einer gewissen Anzahl beschäftigter Frauen an der Betrieb sanitäre Einrichtungen für Frauen bauen muß. Aber hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Weil kaum Frauen da sind, braucht der Betrieb keine Toiletten zu bauen - weil keine Toiletten da sind, »können« keine Frauen eingestellt werden. Daß dieses Argument im übrigen oft nur vorgeschoben wird, erkennt trau auch daran, daß in demselben Betrieb z.B. genug Frauen als Sekretärinnen arbeiten.
Schließlich bleiben noch eine ganze Reihe weiterer »Begründungen«, Frauen nicht einzustellen, wie z.B.: Frauen »störten das Klima« im Betrieb und riefen sexuelle Konflikte hervor. Dies ist z.B. manchmal der Fall bei Forschungsschiffen, wo Frauen mit der Begründung, es sei einmal passiert, daß eine schwanger von Bord gegangen sei, abgeschreckt werden sollen, oder wo besonders darauf hingewiesen wird, frau solle nur nicht auf Deck ihre Höschen zum Trocknen aufhängen.
Die Lage der Frauen im Beruf
Die Frauen sind oft sehr isoliert unter lauter Männern. Als vollwertige Arbeitskraft werden sie nicht anerkannt, es wird gar nicht daran gedacht, Frauen könnten ebenso kompetent sein wie Männer. Nimmt eine Architektin in einem Architekturbüro z.B. das Telefon ab, heißt es meistens: »Ist denn keiner von den Herren da?« Eine Bauingenieurin wird auf der Baustelle öfter mal für die Tochter ihres Chefs gehalten. Da die Frauen viele Vorurteile widerlegen müssen, müssen sie mehr leisten und besser sein als Männer - es besteht so etwas wie ein Zwang zur Überqualifikation. Alles, was frau tut, wird genau beobachtet. Sehr häufig kommt es vor, daß frau dies unter dem Druck der Verhältnisse einfach akzeptiert, sich selbst unter Druck setzt. Sie traut sich z. B. nicht, sich krank zu melden, aus Angst, ihre unsichere Position noch mehr zu gefährden. Wenn sie Schwächen zeigt oder Fehler macht, heißt es gleich: »typisch Frau!«; jeder ihrer Fehler wird gleich ihrem ganzen Geschlecht angelastet. Sie muß ständig für sich und Frauen, die nach ihr kommen, eine Bresche schlagen. Sie hat keine Möglichkeit, sich über ihre Probleme auszusprechen, ohne daß es gleich heißt: »Warum machst du als Frau auch sowas?!« Frau hat in diesen Berufen keine weiblichen Vorbilder, sie fühlt sich deshalb in ihrer Identität in Frage gestellt. Sie muß sich ständig mit Reaktionen ihrer Umwelt auseinandersetzen, z.B. mit Sprüchen wie: »Für eine Physikerin ist sie aber erstaunlich hübsch!« Eine Mathematikerin hat es bereits aufgegeben, ihren wirklichen Beruf anzugeben, weil sie jedesmal wieder verwunderte Bemerkungen zu hören bekommt: »So sehen Sie aber gar nicht aus!« - sie ist inzwischen so weit, daß sie sich selbst verleugnet und meist sagt, sie sei Kindergärtnerin.
Nicht selten kommt es vor, daß Frauen von ihren Kollegen am Arbeitsplatz eine exzentrische Rolle zugewiesen bekommen. Sie sind z.B. neckische Maskottchen, Aushängeschild oder exotisches Wundertier. Was sie nicht erfahren, ist eine unkomplizierte, selbstverständliche Anerkennung ihrer Person und ihrer Arbeit. So werden viele Frauen zu überangepaßten Einzelkämpferinnen, die manchmal so weit gehen, daß sie männliches Rollen-verhalten ohne Kritik übernehmen und oft sogar noch die »besseren Männer« werden. Frau kommt sich dann z.B. unheimlich gut vor, verglichen mit Frauen, die sich der traditionellen Frauenrolle angepaßt haben, macht sich auch mal über diese lustig, traut ihnen vielleicht auch nicht zu, eine Glühbirne einschrauben zu können.
Ein weiteres Problem ist auch, daß sich viele Frauen mit ihrer Berufswahl sozusagen gleichzeitig gegen ein Kind entscheiden müssen, denn für Mütter ist die Situation besonders unzumutbar. Die häufig sehr kurzen Arbeitsverträge im Forschungsbereich bedeuten eine große Existenzunsicherheit, und der ständig verlangte Einsatz samt Überstunden und Wochenend-Arbeit macht eine Kinderbetreuung unmöglich.
Initiativen von Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen
»Wir wollen unsere Lage ändern!« - unter diesem Motto luden einige Frauen der technischen Hochschule Aachen im Juni 1977 zu einem bundesweiten Treffen von Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen ein. Es kamen ca. 60 Frauen; für viele war es das erste Mal, eine so große Zahl von Geschlechtsgenossinnen auf einem Haufen zu sehen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Das allein war für viele schon ein großes Erlebnis und machte ihnen wieder Mut. Da das Bedürfnis nach Gedankenaustausch so groß war, wurde ein weiteres Treffen für Anfang Januar 1978 in Hamburg ausgemacht, an dem bereits an die 200 Frauen teilnahmen. Ein drittes Treffen folgte Anfang Mai 1978 in Frankfurt, das vierte findet im Februar 1979 in Göttingen statt. Das wichtigste Ziel dieser Treffen besteht darin, daß Frauen aus Naturwissenschaft und Technik ihre Isolation durchbrechen, sich gegenseitig den Rücken stärken und erkennen, daß ihre scheinbar individuellen Schwierigkeiten Probleme der Gesellschaft sind. Bei den Treffen werden auch Erfahrungen von Frauengruppen aus vielen Städten ausgetauscht (beim Hamburger Treffen ca. 20 Gruppen). Weiterhin sollen die Treffen dazu dienen, politische Ansätze und Forderungen zu entwickeln, und schließlich gibt es den Aspekt der Kritik am patriarchalischen System unserer Gesellschaft und an seinen Werkzeugen, der heute praktizierten Naturwissenschaft und Technik. Das bedeutet zum einen die Suche nach neuen Inhalten in diesen Fächern, zum andern die Frage, wie der heutige Zustand geschichtlich entstanden ist.
Vom Aachener bis zum Frankfurter Treffen sind es drei Hauptdiskussionsthemen gewesen, die in den Arbeitsgruppen behandelt worden sind:
1. Wie hält frau die Ausbildung durch, erkämpft sich einen Platz im Beruf
und behauptet sich im täglichen Kleinkrieg?
1.1. Arbeitsgruppe »Frauengruppen an der Uni«
Die Situation von Frauen an den »männerbeherrschten« Fachbereichen wie z.B. Physik, Landwirtschaft oder Bauingenieurwesen unterscheidet sich im wesentlichen nicht von der Situation im entsprechenden Beruf, wenn auch im Studium, besonders zu Beginn, der Anteil der Frauen oft noch deutlich größer ist. Viele Frauen scheitern aber an den Schwierigkeiten, der Einschüchterung und der »Anmache« von Hochschullehrern und männlichen Kommilitonen und brechen ihr Studium vorzeitig ab. So sieht es z. B. in Praktika nicht selten so aus, daß die Männer die Versuche durchführen, während die Frauen das Protokoll schreiben »dürfen«, oder es wird den Frauen die Beteiligung sogar offiziell verwehrt - wie den Landwirtschaftsstudentinnen in Göttingen die Teilnahme an Viehtransporten. Dadurch wird einer Benachteiligung bei einer späteren Bewerbung der Weg bereitet, da praktische Erfahrungen erwünscht sind.
Die Arbeit der Frauengruppen an diesen Fachbereichen besteht aus der konkreten Unterstützung der Frauen, z. B. durch eine eigene Studienberatung, aus Öffentlichkeitsarbeit, z.B. durch Veranstaltungen, eigene Zeitungen, und Untersuchungsarbeit zur Studiensituation und Berufsperspektive, z.B. durch Fragebögen oder Interviews. Eine Frauengruppe machte eine große Wandzeitung mit einer Collage vom Frauenbild in der Technikwerbung. An entscheidender Stelle aber stehen ganz konkrete Aktionen, mit denen sich die Frauen gegen die Frauenfeindlichkeit am Fachbereich wehren. Exemplarisch seien hier einige genannt:
Nachdem ein Professor in einer Vorlesung gesagt hatte, es kämen nie Frauen in seine Veranstaltungen, allerdings mit einer Ausnahme, die man aber nicht zählen könne, da sie so häßlich gewesen sei, daß sie es wohl nötig gehabt hätte, fand er sich am nächsten Tag mit seinen Worten namentlich (!) auf einer Wandzeitung wieder. Eine andere Frauengruppe veröffentlichte die üblen Sprüche solcher Typen regelmäßig unter dem Thema »Klops des Monats«. - In einer Mathematikvorlesung von Bauingenieuren in Berlin wurde die einzige teilnehmende Frau jedesmal durch ein ganzes Pfeilkonzert von ihren Kommilitonen »begrüßt«. Als sie darauf öffentlich reagierte, erhielt sie einen anonymen Brief, in dem ein Typ sich darüber ausließ, daß sie mit der Teilnahme an dieser Vorlesung nur beabsichtige, die Männer dort aufzugeilen, und überhaupt nur deshalb dort studiere. Die Frauengruppe hat diesen Brief veröffentlicht und diese Unverschämtheit dadurch zu einer zentralen Auseinandersetzung am ganzen Fachbereich gemacht. Ein starker Konflikt der Frauengruppen besteht darin, einerseits die Situation am Fachbereich unerträglich und die Berufsperspektive unzumutbar zu finden, andererseits aber den Anspruch zu haben, mehr Frauen zu einem solchen Studium zu ermuntern, worin die einzige Chance zur Verbesserung der Situation besteht. Offizielle Forderungen sind spezielle Förderkurse für Frauen, um ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, ein durch ihre Sozialisation bedingtes Defizit aufzuheben, und Berufsberatungsstellen für Frauen, wo bereits berufstätige Frauen der entsprechenden Fachrichtungen über ihre Erfahrungen berichten.
1.2. Arbeitsgruppe »Interessenvertretung«
Den meisten Frauen brennt es auf den Nägeln, die Situation der Frauen am Arbeitsplatz zu verbessern. Aber mit den Organisationen, die sich auf den ersten Blick als Hilfe für solche Zwecke anbieten, den Parteien und Gewerkschaften, haben die Frauen leider viele schlechte Erfahrungen gemacht.
- Die Gewerkschaftsführung macht von sich aus nichts zur Frauensituation, die Frauen müssen von daher auch innerhalb der Gewerkschaften einen erbitterten Kampf darum führen, daß die Frauenfrage überhaupt auf den Tisch kommt. So ist es sogar passiert, daß eine Frau gemäß dem Motto »Frauen rein in die Gewerkschaften« für den Betriebsrat kandidieren wollte, aber von der Gewerkschaftsführung von der Liste gestrichen wurde.
- Die »Frauenausschüsse« und »Frauenarbeitskreise« der Gewerkschaften und Parteien haben mehr eine Alibifunktion, sie werden von vielen männlichen Mitgliedern und der Führung nicht für voll genommen, wichtige Entscheidungen werden letztlich von Männern getroffen; daher kann die Arbeit dieser Ausschüsse nicht in konkrete Politik umgesetzt werden.
Nur wenn aus der Gewerkschaft wieder eine wirkliche Interessenvertretung wird, besteht dort auch die Möglichkeit zum Kampf für die Interessen der Frauen.
Die Arbeit im Betriebsrat hielten die Frauen für sinnvoll, da dieser einen gewissen Einfluß im Personalbereich hat, und frau sich dort z.B. dafür einsetzen kann, daß mehr Frauen in einem bestimmten Bereich eingestellt werden. Allerdings müßte der Betriebsrat das Recht erhalten, Bewerbungen einzusehen, bei Einstellungsgesprächen anwesend zu sein und mitbestimmen anstatt nur mitsprechen zu können. Durch das undemokratische Listenwahlrecht wird es leider fortschrittlichen Kollegen und besonders Frauen erschwert, in den Betriebsrat gewählt zu werden.
In letzter Zeit werden vom Staat hier und da als »Modellversuche« angepriesene Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen in technischen Lehrberufen angeboten, z. B. in Hamburg als Dreherin und Maschinenschlosserin in der Lehrwerkstatt bei der Firma Heidenreich & Harbeck. Diese Modellversuche geben zwar Frauen die Chance zu einer derartigen Ausbildung und bringen das Problem auch ansatzweise in den Medien ins Gespräch, doch fehlen daran nicht die »Haken«. Da z.B. in dem Ausbildungsgang keine Einarbeitung in den Produktionsbetrieb erfolgt, haben die Absolventinnen kaum Chancen auf einen angemessenen Arbeitsplatz; zwar wurde ihnen eine Stelle garantiert, doch könnten sie sich diese »nicht aussuchen«. Außerdem liegt die Vermutung nahe, daß diese Modellversuche lediglich ihrem Initiator als Imagepflege in Sachen Gleichberechtigung dienen sollen und als frauenpolitisches Feigenblatt der Politiker gedacht sind.
2. Alternative Ansätze und Projekte in Naturwissenschaft und Technik
Für viele Frauen stellt sich die Frage, wie sie ihr erworbenes Wissen sinnvoll einsetzen können, da sie nicht bereit sind, an der menschenfeindlichen Entwicklung der Gesellschaft und der Technik mitzuwirken. Einerseits wollen sie nicht auf die Möglichkeit der Einflußnahme an entscheidenden Stellen verzichten, andererseits sind sie dort aber der Gefahr der Anpassung ständig ausgesetzt. Überhaupt ist es schwierig, alternative Projekte in offiziellen Institutionen zu realisieren. Außerdem bleibt dies meist nur eine Möglichkeit für Privilegierte. So kommen z.B. viele Gesundheitsschäden durch schlechte Arbeitsbedingungen zustande, und da frau nicht einfach aufhören kann zu arbeiten, muß sie in erster Linie einmal das Übel am Arbeitsplatz selbst beseitigen. Und was nützt es z. B., alternative Energieträger zu entwickeln, während die menschenfeindliche Technik wie etwa Atomkraftwerke weiter bestehen bleibt?!? Das Hauptproblem besteht wohl darin, daß frau von ihrer Arbeit leben können muß, und gegenwärtig kaum Auftraggeber für alternative Projekte zu finden sind. Dennoch hier einige Beispiele zur Anregung:
2.1. Alternative Medizin/Volksmedizin
Der erste Kritikpunkt ist die herrschende Unmündigkeit gegenüber den Ärzten, die dazu dienen soll, uns passiv zu halten. Viele Ärzte klären nicht über die Krankheiten auf, wollen ein aktives Mitwirken am Genesungsprozeß verhindern, um sich den Status des »Halbgottes in weiß« zu erhalten. Wir sollten dem entgegenwirken, indem wir gemeinsam zum Arzt gehen, auf einer Erklärung unserer Krankheit bestehen und gutes oder schlechtes Verhalten des betreffenden Arztes öffentlich machen. Der zweite Ansatzpunkt ist, daß heutzutage viel zu leichtfertig mit oft schädlichen chemischen Medikamenten umgegangen wird, was hauptsächlich der Pharmaindustrie zugute kommt. Wir wollen lernen und auch breiteren Schichten z.B. durch Volkshochschulkurse vermitteln, daß frau Schmerzen und kleineren Unpäßlichkeiten auch ganz gut erstmal mit Massagen, Packungen, Kräutern oder autogenem Training zu Leibe rücken kann.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist der der Vorbeugung durch gesunde Ernährung, Sport und Gymnastik.
2.2. Alternative Architektur (Stadt- und Wohnungsplanung)
Für die Architektinnen stellt sich in erster Linie das Problem, überhaupt Arbeit in ihrem Beruf zu finden. Positive Beispiele für eine Planung, die von der herkömmlichen Praxis abweicht, gibt es so gut wie keine. Erste Ansätze, die zu einer »alternativen Architektur« hinführen könnten, entwickeln sich an den Hochschulen. Frauen schreiben zunehmend Studien-und Diplomarbeiten unter frauenspezifischen Gesichtspunkten. Ein praktischer Schritt ist z.B. die Zusammenarbeit mit der örtlichen Frauenhausgruppe, in dem Architekturstudentinnen bei der Gestaltung des Hauses für geschlagene Frauen mitwirken. Der Kontakt zu Frauen im Stadtteil läuft über Stadtteilfeste, Frauentreffs, Wohnberatung, Volkshochschulkurse und Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen.
Eine andere Möglichkeit wäre es, wenn Architektinnen zusammen mit anderen Frauen unter selbstbestimmten Arbeitsbedingungen eine Planung in ihrem Interesse machen könnten, von der sie gleichzeitig auch leben könnten. Einen Versuch stellt das Projekt »Stadtteilcafé« in Stuttgart dar, das im Laufe dieses Jahres verwirklicht werden soll. Hier wollen Architektinnen einen Treffpunkt für Frauen eröffnen, in dem neben dem Cafébetrieb auch Wohnberatung und handwerkliche Kurse angeboten werden sollen.
2.3. Alternative Ökologie: Energie- und Landwirtschaft
Da die heutige Technik fast ausschließlich auf Profit bzw. Industrieinteressen ausgerichtet ist, stellt sich gerade hier die Frage nach Alternativen, wenn frau sich nicht an dieser menschenfeindlichen Technologie beteiligen will.
Folgende Ansätze gibt es:
- erlerntes Wissen für Bürgerinitiativen zur Verfügung stellen;
- Bau von alternativen Energieerzeugern, wie Windkraft, Biogasanlagen und Sonnenkollektoren, und eine entsprechende Ausbildung von Arbeitslosen;
- Lehraufträge an der Volkshochschule zur Aufklärung von Frauen über Konsumprodukte und technische Einrichtungen, mit denen sie täglich umgehen.
3. Theorie und Geschichte von Frauen in Naturwissenschaft und Technik
Die zentrale Frage lautet: Wie ist es gekommen, daß heute die Meinung herrscht: »Naturwissenschaft und Technik ist Männersache«? Inwiefern hängt die heutige Technik, die ihre wesentlichsten Impulse von der Rüstungsindustrie erhält, mit der patriarchalischen Struktur unserer Gesellschaft zusammen? Wir müssen uns über die geschichtlichen Prozesse Klarheit verschaffen, die die heutige industrielle Gesellschaft bestimmen und bestimmt haben. Wir müssen nicht nur ein neues Bild von Naturwissenschaft und Technik entwerfen, sondern auch ein neues Frauenbild, und sehr wahrscheinlich gibt es einen Zusammenhang zwischen beiden. Geschichtsforschung ist für Frauen Identitätsforschung: Nach unserer bisherigen Lektüre können wir bereits festhalten, daß an den ersten Erfindungen und Entdeckungen, die wir als kulturellen und technischen Fortschritt bezeichnen, Frauen entscheidenden Anteil hatten, wenn sie nicht sogar die alleinigen Schöpferinnen waren. Was uns die moderne männliche Technik seither gebracht hat, beruht im wesentlichen auf Krieg und Raubbau, also auf Zerstörung und Ausbeutung von Mensch und Natur. Aus der Beschäftigung mit frühgeschichtlichen, vermutlich mutterrechtlichen Gesellschaftsformen versprechen wir uns in gewissen Punkten Vorbild und Maßstab für das Problem, das sich heute stellt, nämlich: Wie muß eine alternative Technik aussehen, die wieder - oder endlich - Mittel zu dem Zweck sein soll, bessere Lebensbedingungen für alle Menschen zu schaffen. Seit dem Aachener Treffen haben sich auf jedem Treffen neue Frauengruppen gebildet, weil das Bedürfnis besteht, nicht nur bei nationalen Treffen Erfahrungen und Meinungen auszutauschen, sondern auch kontinuierlich an Problemen weiterzuarbeiten, die jede Frau in ihrem Bereich hat. - Hamburger Gruppe »Frauen in Naturwissenschaft und Technik«