Gewerkschaftliche Frauenarbeit und Frauenarbeitskämpfe

Solidarität will gelernt sein
Ansätze, Aktionen und Perspektiven gewerkschaftlicher Frauenarbeit

Frauenpolitik in den Gewerkschaften hat zur Aufgabe, daß Verfassungsnorm (Artikel 3 Grundgesetz) zur Verfassungswirklichkeit wird. Und da die Frauenfrage ein Teil der sozialen Frage ist, kann gewerkschaftliche Frauenarbeit stets nur Bestandteil der Politik der Gesamtorganisation sein. So ist es eine Seite, Forderungen aus den Erfahrungen der eigenen Sitution aufzugreifen, einzubringen, voranzutreiben: das müssen die Frauen selbst tun, denn sie sind es, die etwas zu gewinnen haben. Und es ist die andere Seite, diese Forderungen auch durchzusetzen: das müssen Frauen und Männer gemeinsam tun. Dazu bedarf es der Solidarität und einer starken gewerkschaftlichen Organisation.
Festhalten müssen wir schon an dieser Stelle, daß Frauen in vergangenen historischen Kämpfen ihren Beitrag gegen Unterdrückung und Ausbeutung, für Demokratie und für den Frieden geleistet haben.
Heute ist nicht zu übersehen, daß sich die Frauenfrage mit besonderer Schärfe stellt und ihr Kampf von einer höheren Qualität ist. Schon sehr frühzeitig ging die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung davon aus, daß die wichtigste Vorbedingung für die Gleichberechtigung, für die Befreiung der Frau, ihre Eingliederung in den Erwerbsprozeß ist, denn:

  • so nehmen Frauen aktiv an der gesellschaftlichen Produktion teil und tragen zur Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums bei;
  • so sind sie nicht länger auf den engen Hausbereich festgelegt, in dem sie die Außenwelt nur durch den Mann vermittelt erfahren;
  • so erhalten sie für ihre Arbeit Lohn und werden ökonomisch unabhängiger;
  • so werden ihre Chancen zur Erhöhung ihres Qualifikationsniveaus größer
und schließlich
  • nur durch die Erwerbsarbeit sind Frauen für gewerkschaftliche Organisationen erreichbar; d.h. sie werden einbezogen in die sozialen Auseinandersetzungen.

Wenn auch die Berufsarbeit die ausschlaggebende Vorbedingung für die Gleichberechtigung ist, so ist sie nicht die Gleichberechtigung selbst. Die Erfüllung weiterer Grundbedingungen ist erforderlich. Einmal müssen Bedingungen geschaffen werden, daß Teile der privaten Haushaltsführung und Teile der Kindererziehung zur gesellschaftlichen Aufgabe werden. Und zum anderen müssen für die Berufsarbeit Voraussetzungen geschaffen werden, die die Frauen aus ihrer Lage als billige und oft unqualifizierte Arbeitskräfte herausholen, sonst bleibt ihre minderwertige Stellung im Berufsleben nur eine andere Variante der Ungleichheit.

Berufs- und Familienpflichten in Übereinstimmung bringen

Wenn wir zurückschauen, können wir feststellen, daß die Frauenerwerbsarbeit nach dem Krieg ständig zugenommen hat. Das war die Grundlage dafür, daß viele Frauen mehr und mehr aus dem Zustand des Wehklagens herausgekommen sind. Das Ziel für viele war nicht mehr die Rückkehr ins Hausfrauendasein. Stärker in den Vordergrund traten Wunsch und Forderungen, Berufs- und Familienpflichten miteinander in Übereinstimmung bringen zu können.
Gerade unter den jüngeren Frauen gibt es viele, die in der Berufstätigkeit eine Lebensaufgabe sehen. Sie empfinden Interesse an ihrer Berufsarbeit. Sie erkennen, daß sie durch Berufsarbeit selbstbewußter und finanziell unabhängiger geworden sind. Sie haben - wenn auch nur zögernd - erkannt -, daß gewerkschaftliches Bewußtsein vor allem aus den erfahrenen Diskriminierungen im Betrieb und den Interessenauseinandersetzungen erwächst.
Und ganz offensichtlich erkennen auch viele Männer, daß Frauenerwerbsarbeit mehr persönliche Partnerschaft bringen kann. In einem INFAS-Report aus dem Jahre 1965 ist noch nachzulesen, daß 72 Prozent der befragten Männer und 68 Prozent der befragten Frauen eine Berufsarbeit der Frau für nicht normal halten. Zehn Jahre später halten nach INFAS nur noch 42 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen es für nicht richtig, daß Frauen auch berufliche Aufgaben übernehmen. Das zeigt deutlich den Wandlungsprozeß an.
Dabei wollen und dürfen wir nicht idealisieren. Wir wissen, daß die weitaus größte Zahl der Frauen aus finanzieller Notwendigkeit erwerbstätig ist. Wir wissen auch, daß gesellschaftliche Einrichtungen (z.B. für die Versorgung der Kinder) nur äußerst unzureichend zur Verfügung stehen. Und schließlich wissen wir, daß die den Frauen angebotenen Arbeitsbedingungen überwiegend schlechter sind als die ihrer männlichen Kollegen. Das kann aber für uns nicht heißen »raus aus dem Beruf«, sondern vielmehr heißt es: gemeinsam kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, für gesellschaftliche Einrichtungen. Zwar haben unsere Forderungen nach Lohngleichheit, nach erweitertem Mutterschutz, nach bezahltem Karenzurlaub nach der Entbindung, nach einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau, nach Reform des § 218 StGB usw. noch nie auf den ersten Plätzen der gewerkschaftlichen Forderungskataloge gestanden, aber vor einigen Jahren traten sie doch weit stärker in den Vordergrund als jemals zuvor. Das war die Zeit, als Hoffnungen bestanden auf soziale Reformen, als die Devise lautete »mehr Demokratie wagen«.

Die Krisensituation und die Lage der Frauen
Wir alle wissen, welch tiefgreifenden Einschnitt in diese Entwicklung wir in den letzten Jahren hinnehmen mußten. Die Krisensituation ging an den erwerbstätigen Frauen nicht vorbei. Im Gegenteil: Die alle Bereiche umfassenden Krisenerscheinungen bringen für die Arbeiter- und Angestelltenfamilien große Probleme mit sich. Sichtbare soziale Gegensätze, die zunehmende Unsicherheit und Existenzgefährdung, Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, die Angst um den Arbeitsplatz, die ständige Verteuerung der Lebenshaltungskosten, besonders der Mieten, treffen die Frauen mit besonderer Härte.
Auch solche Frauen, die im Unterschied zu den meisten Arbeiterinnen eine gewisse Anerkennung ihrer Arbeit fanden - die weiblichen Angestellten -, werden heute vielfach durch Rationalisierungsmaßnahmen von dieser Entwicklung betroffen. Ja, auch viele Studentinnen, die bisher als Privilegierte galten, werden mehr und mehr dem Konkurrenzkampf an den Universitäten und der beruflichen Perspektivlosigkeit ausgesetzt. Nicht wenige Frauen beginnen, ihre Situation zu überdenken. Sie lassen sich durch verbale Erklärungen und ablenkende Versprechungen der Politiker nicht mehr abspeisen und stellen ihre Forderungen in den Zusammenhang mit den sozialen, demokratischen und politischen Auseinandersetzungen.
In einer solchen Situation müssen es die Gewerkschaften sein und sind es auch, die die Betroffenen mehr und mehr in die Interessenauseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit einbeziehen. Das heißt: Gewerkschaftliche Frauenarbeit kann und darf nicht stellvertretend für die erwerbstätigen Frauen verrichtet werden, sondern immer nur mit ihnen. Anzuknüpfen gilt es also an den Interessen der Frauen. Das hat entscheidend etwas damit zu tun, wie auch bei ihnen gewerkschaftliches und politisches Bewußtsein entsteht und wie schließlich auch das Interesse an der gewerkschaftlichen Arbeit weiter entwickelt werden kann. Wie erkennen sie ihre Situation und wie begreifen sie die Möglichkeiten der Veränderbarkeit ihrer Lage, das heißt, die Lage der Angestellten und Arbeiter überhaupt? Ausgehen können wir davon, daß für die einzelnen Frauen am Arbeitsplatz (und darüber hinaus) vor allem das zunächst interessant ist, was mit ihrer eigenen Erlebnis- und Erfahrungswelt übereinstimmt. Hier sind sie andersartigen Konflikten ausgesetzt. So müssen sie erst lernen, daß diese Konflikte kein privater Schicksalsschlag sind, denen man mit Unterordnung oder Resignation begegnet, sondern mit gewerkschaftlicher Aktion. Und von hier aus erkennen sie auch, daß es sich in Wahrheit um gesellschaftliche Konflikte handelt, die in der grundsätzlichen Abhängigkeit aller Arbeitnehmer in dieser Gesellschaft begründet liegen. Aus diesem - zunächst theoretischen-Grundsatz gilt es, für die praktische Frauenpolitik der Gewerkschaften Schlußfolgerungen zu ziehen. Im Rahmen dieser Darstellung ist es nur möglich, beispielhaft einige Aktionen aufzuzeigen, die in Form und Inhalt so angelegt waren und sind, daß die erwerbstätigen Frauen selbst - gemeinsam mit den Männern - für eine Veränderung ihrer Situation eintreten.

Aktion gerechte Eingruppierung
Es ist keine neue Erkenntnis, wenn festgestellt wird, daß die Bemühungen der Gewerkschaften um die Forderung nach »gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit« ein Stück vorangekommen sind; dennoch sind wir vom Ziel weit entfernt.
So zeigte eine Untersuchung in den Betrieben der Druckindustrie und der Papier, Pappe und Kunstoffe verarbeitenden Industrie (die übrigens auf einen der empfindlichsten Nerven der Unternehmerverbände gestoßen ist), daß in diesen Wirtschaftsbereichen - wie auch in vielen anderen - die Frauen durchweg in den unteren Lohngruppen, die Männer in den beiden oberen Lohngruppen zu finden sind. Das ist Lohndiskriminierung; nicht einmal die tarifvertraglichen Bestimmungen werden eingehalten. Und die Unternehmen stecken dadurch Jahr für Jahr enorme Summen an Extragewinnen ein. Das war für die IG Druck und Papier Anlaß, 1974 zu einer bundesweiten »Aktion gerechte Eingruppierung« aufzurufen und allen Betriebsräten umfangreiche Handlungsanleitungen zu geben.
Der Aktion lag vor allem die Überlegung zugrunde, daß Lohnfragen noch immer Machtfragen sind und niemals durch individuelle Initiativen gelöst werden können (auch nicht durch noch so viele Aufrufe von Politikern, nun doch endlich einmal einen Prozeß zu führen!).
Bei Eingruppierungsfragen sind gute Voraussetzungen für gemeinsames solidarisches Eintreten gegeben, denn

  • bei Eingruppierungsfragen handelt es sich um ein Problem betrieblicher Auseinandersetzung, von dem immer ganze Gruppen betroffen sind;
  • das Eingruppierungsproblem kann seitens der Betriebsräte und gewerkschaftlichen Interessenvertretung innerbetrieblich gut bekannt gemacht werden. Viele Informationsmöglichkeiten können ausgeschöpft werden (Betriebs- und Abteilungsversammlungen, Schwarzes Brett, betriebliche Mitteilungsblätter, Einbeziehung der gewerkschaftlichen Vertrauensleute);
  • den Arbeitnehmern ist klar, daß es sich um ihr eigenes Problem handelt und nicht um eines des Betriebsrats oder der Gewerkschaft.

Dies sind wichtige Voraussetzungen für die Mobilisierung der Betroffenen selbst.
Und das Ergebnis?
In vielen Betrieben wurden die Eingruppierungsfragen aufgegriffen - und gelöst. Ohne Übertreibung kann festgestellt werden, daß Hunderte und mehr Kolleginnen höhergruppiert worden sind. In anderen Bereichen ist man noch »am Ball«, denn Lohnerhöhungen sind nicht im Sturmlauf zu erreichen.
Kolleginnen berichteten auf der 6. Bundesfrauenkonferenz der IG Druck und Papier 1977: »Innerhalb von 4 Wochen haben wir Versammlungen in 17 Abteilungen durchgeführt mit insgesamt 400 Wortmeldungen zu Eingruppierungsfragen. Überall ist ausführlich diskutiert worden. Der Frauenausschuß hat sich eingeschaltet. Alle diese Aktivitäten führten dazu, daß auf einmal die Unternehmensleitung sich bereit erklären mußte zu verhandeln. Das war vor einem Jahr, und heute haben wir ein Ergebnis. Ab April wurden ca. 350 Kolleginnen höhergruppiert und dabei handelt es sich um echte Lohnerhöhungen zwischen DM 0,18 und DM 0,80 für die Stunde - keine übertariflichen Lohnbestandteile sind angerechnet worden. Und dann haben wir den   gleichen Weg beschritten bei der Eingruppierung von 650 Angestellten im Außendienst; hier haben wir Gehaltserhöhungen bis zu DM 350,- durchsetzen können.«
Eine Kollegin aus einem anderen Betrieb sagte: »Nachdem nun endlich alle Frauen tarifgerecht eingruppiert waren, mußten wir in den Lohnlisten feststellen, daß übertarifliche Zulagen (als geheime Kommandosache der Unternehmer) nur an männliche Kollegen gezahlt wurden. Dann gingen wir wieder ran - und haben die gleichen Zulagen für die Frauen durchdrücken können.«
Insgesamt können wir heute sagen, daß die Aktion - die unbefristet weiterläuft - erfolgreich verlaufen ist. Dabei messen wir nicht nur am materiellen Ergebnis, sondern vor allem auch daran, daß die Frauen (und Männer), die diese betrieblichen Aktionen erfolgreich durchgestanden haben, heute selbstbewußter auftreten (die Frauen übrigens auch in ihrem privaten Bereich).

Aktion >Frauen im Büro<
Die IG Druck und Papier hat 1977 in 100 Betrieben eine Umfrage bei weiblichen Angestellten über ihre Arbeitsbedingungen durchgeführt. Mit den Fragebögen, die an den Arbeitsplätzen ausgelegt wurden (wieder starteten die Unternehmer eine »konzertierte Aktion« gegen die Umfrage), wollten wir erreichen, daß sich die weiblichen Angestellten ihrer Situation bewußter werden; viele Interessenkonflikte werden nämlich im Laufe der Zeit nicht mehr gesehen, weil sie sozusagen mit dem Schleier der Selbstverständlichkeit überzogen werden.
Und natürlich war die Umfrageaktion auch ein gewisser Gradmesser für die Bewußtseinslage der weiblichen Angestellten. Bedenken wir, daß vor ein paar Jahren-wie auch heute noch- argumentiert wurde: Angestellte haben kein Bewußtsein; die Chefnähe lähmt die Angestellten; sie sind in einer dubiosen Aufstiegsgläubigkeit befangen; sie sind sich ihrer Arbeitsplätze sicher, und die kleinen Privilegien verkleistern ihnen die Augen. Schauen wir uns das Umfrageergebnis an. Immerhin haben 662 weibliche Angestellte (das sind ca. 10%) geantwortet; das Ergebnis kann als repräsentativ gewertet werden.
61 Prozent der Frauen fühlen sich nicht richtig eingruppiert. Das bedeutet für die Gewerkschaften, die Eingruppierungsaktion auch auf den Bereich der Angestellten auszudehnen. Und wenn 38 Prozent der weiblichen Angestellten angeben, daß in ihrem Arbeitsbereich bereits Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt worden sind, dann deckt sich dies mit der Aussage des Deutschen Gewerkschaftsbundes, daß in den nächsten Jahren etwa 3 Millionen Angestellte direkt oder indirekt von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen sein werden. Die Angestellten spüren mithin, daß ihr Arbeitsplatz nicht sicher ist. So sehen 52 Prozent der Befragten ihren Arbeitsplatz für die Zukunft gefährdet.
Insgesamt macht das Untersuchungsergebnis deutlich, daß wir auch im Angestelltenbereich eine zunehmende Aktionsbereitschaft der Betroffenen zu verzeichnen haben.
Die >Frauen im Büro< haben uns viele Briefe geschrieben. »Als Frau wird man als billige Arbeitskraft ausgenutzt. Ich werde im Herbst nächsten Jahres eine Ausbildung als Industriefachwirt (Abendschule) machen. Bin ich dann gleichberechtigt? Sicher nicht, aber ich bekomme vielleicht!! einen erträglicheren Arbeitsplatz.« Oder: »Die Würde des Menschen hört dort auf, wo sie unternehmerischen Interessen im Wege steht. Da werden wir eingeschüchtert, entlassen, andere vorzeitig in den Ruhestand geschickt - und man erzählt uns dann noch von >natürlichen< Abgängen. Im Betrieb werden die Menschen als Nummern behandelt.« Und eine andere Kollegin meint: »Streß und Intrigen sind an der Tagesordnung. Wo jeder nur seinen Arbeitsplatz hat und um seinen Stuhl kämpft, ist von Achtung vor der Persönlichkeit keine Spur mehr zu sehen.«

Aus dieser Untersuchung müssen die Gewerkschaften nun Schlußfolgerungen ziehen: In der gewerkschaftlichen Betriebsarbeit mit den Betriebsräten und Vertrauensleuten, in der Tarifpolitik und in ihren Forderungen an den Gesetzgeber.

Frauen im Streik
Die Tarifauseinandersetzungen im Frühjahr 1978 waren keine Tarifbewegungen im herkömmlichen Sinne. Es waren gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen von großer Tragweite.
Die Unternehmer betreiben eine Rationalisierung, aus der sie mehrfachen Nutzen ziehen wollen. Im Bereich der Druckindustrie z.B., indem sie durch Rationalisierung Arbeitsplätze unwiderbringlich vernichten, und indem sie an den verbleibenden, aber wesentlich reduzierten Arbeitsplätzen die bisherigen Fachkräfte nicht dauerhaft weiterbeschäftigen wollen. Um dieses Ziel zu durchkreuzen, mußte die gewerkschaftliche Organisation mit ihren Mitgliedern einen harten Arbeitskampf um die Erhaltung der Arbeitsplätze, um menschengerechte Arbeitsbedingungen, um bessere Ausbildung, um die Erhaltung ganzer Berufe führen. Und dieser Arbeitskampf konnte nur durch beispielhafte Geschlossenheit, die im wahrsten Sinne des Wortes zu einer Lebensnotwendigkeit der Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben geworden ist, erfolgreich durchgestanden werden. Zunächst konnte es scheinen, als würden die Frauen in den Gewerkschaften vor einem schwierigen Problem stehen. Es war nämlich das erklärte Ziel der Unternehmer und ihrer Verbände, künftig vor allem ungelernte Frauen in der Satzherstellung zu beschäftigen. Sicher ist es schlimm genug, daß es nur insgesamt 6 Prozent weibliche Facharbeiter in diesem Lande gibt. Niemals aber kann es unsere Position sein, daß zur weiteren Erhöhung der unternehmerischen Gewinnraten mit Hilfe von unausgebildeten Frauen Facharbeitertätigkeiten und Facharbeiterplätze vernichtet werden. Und entsprechend haben die Frauen dann auch gehandelt. Mehr noch als im Arbeitskampf 1976 standen die Frauen bei Streik und Aussperrung Seite an Seite mit den Männern. Viele haben Streikposten gestanden, waren in Streikleitungen vertreten, haben an Informationsständen mit Passanten über das Streikziel diskutiert usw. - für sie gab es keinen Acht-Stunden-Tag. Das alles ist keine Selbstverständlichkeit. Solidarität will gelernt sein und das gerade unter Frauen. Wird nicht immer wieder gesagt: >Frauen sind nicht unter einen Hut zu bringen<? Und wenn das heutige gesellschaftliche Frauen-Leitbild - von der Bewußtseinsindustrie massenweise propagiert -noch immer (durch Krise und Frauenarbeitslosigkeit sogar wieder verstärkt) auf Ehe und Familie hintrimmt, dann verblüfft die erste Einschätzung eines Saarbrücker Streiks von einem Gewerkschaftssekretär überhaupt nicht: »Mal ganz ehrlich. Das war ein intriganter Frauenhaufen. Jede gegen jede. Neid und Klatsch.« Und dann kommt das Aber:« Während des Streiks wurde es ganz anders. Plötzlich war jede für jede. Ein richtig verschworener Haufen. Wer versucht hätte, sich mit einer der Frauen anzulegen, der hätte es mit allen zu tun gekriegt. Ich hab da Entwicklungen von Frauen mitgekriegt vom Heimchen am Herd zum bewußten Streikposten. Die hatten ihre Lage erkannt und konnten plötzlich darüber reden. Die Erfahrungen des Streiks waren mehr wert als tausend Schulungen.«
Freilich: Die Aktivisten sind noch in der Minderheit, aber es werden immer mehr - und diese positive Entwicklung gilt es zu fördern.
Wir müssen aber sehen, daß Streiks auch außerhalb der Betriebe entschieden werden. Die Familie ist durch einen Streik in ihrer Existenz unmittelbar bedroht, erst recht, wenn es um den Kampf für Arbeitsplätze geht. Oft wird übersehen, daß Arbeitslosigkeit bei den Betroffenen zu schweren persönlichen Krisen führt. Aus einer Untersuchung geht das erschreckende Ausmaß an sozialem Elend hervor. Arbeitslose schämen sich, flüchten in die Isolation, meiden Freunde und Bekannte. Auch der Familienzusammenhalt wird auf das stärkste belastet, weil Frauen und Kinder im »Ernährer der Familie« einen Versager sehen.

Während eines Streiks sieht das dann so aus: Die streikenden Kollegen »draußen« können sich auf die Solidarität ihrer Kolleginnen und Kollegen stützen; für die Frauen »drinnen« bleibt als erste Reaktion: Angst und die vage Hoffnung, daß alles bald vorbei sein möge und wieder seinen gewohnten Trott geht. Ähnliches gilt für die Kinder, die diese Spannungen zu spüren bekommen und oft gehänselt werden, weil man ihre Väter als arbeitsscheues Gesindel bezeichnet, wenn sie für ihre Rechte kämpfen. Die Frau eines Bremer Kollegen sagte anläßlich des Bremer Zeitungsstreiks 1977: »Das Problem ist ganz einfach, daß man nicht dabei ist. Man ist isoliert und fühlt sich doch zugehörig. Während des Streiks kriegte man keine Information, die Männer waren ja nicht da. Das einzige, was ich von meinem Mann tagelang hörte, war: >Brauchst für mich nicht zu kochen, ich komm nicht< - mehr hörte ich nicht. Und dann kriegt man noch solche Drohbriefe: >Mein Mann wird arbeitslos, dann ist die Sicherheit nicht mehr da.< Dann ist es doch im Grunde genommen eine logische Folge, daß sie zu ihrem Mann sagt: >Du gehst jetzt wieder an die Arbeit<«
Aus solchen Erkenntnissen galt es für die Gewerkschaften Schlußfolgerungen zu ziehen, denn im Arbeitskampf 1978 hagelte es nur so an »Liebeswerbungen« der Unternehmer in Form von Briefen an die »lieben Mitarbeiter und ihre Familien«. Eindeutig: Das doch nur, um über diesen Umweg vielleicht Streikbrecher in unsere Reihen zu bringen.
Wir haben es 1971 erlebt: Bei einem Streik gegen einen großen Chemiebetrieb war für die Konzernherren der Weg des Postversandes für solche Briefe zu langsam - sie haben Briefe an Hunderte von Haushaltungen per Taxis ausfahren lassen. Schon daran mag man erkennen, wie wichtig ihnen diese Mittel sind. Im Arbeitskampf 1978 gab es gute gewerkschaftliche Ansätze zur Einbeziehung der Familienangehörigen. Kolleginnen aus den Frauenausschüssen verfaßten Flugblätter an die Familien zur Aufklärung über die Arbeitnehmerinteressen, und sie gaben Anstoß für Streikversammlungen, an denen Ehepartner und Kinder teilnahmen. Auf einer solchen Veranstaltung traf die Frau eines Perforatorsetzers den Nagel auf den Kopf, als sie ans Mikrofon ging und u.a. sagte: »In den Zeitungen, die vor dem Streik noch erschienen sind, habe ich gelesen, daß die Unternehmer immer wieder erklärten: >Dieser Streik ist überflüssig, wir haben für jeden Betroffenen einen Arbeitsplatz^ Das stand dann sinngemäß so in den drei Briefen, die wir von der Firma erhielten. Offensichtlich soll ich ihm Vorwürfe machen, daß er streikt, während die Unternehmer um seinen Arbeitsplatz besorgt sind.

Wir sollen zu Hause den Mut verlieren und ihn auch unseren Männern nehmen ... Deshalb sprechen wir zu Hause oft über diesen Streik. Deswegen müssen wir unseren streikenden Ehepartnern helfen. Wir müssen ihnen die Kraft geben, die notwendig ist, um diesen langen schweren Arbeitskampf durchzustehen und zu gewinnen.«
Aber: Streik ist nicht etwas für alle Tage. Daher müssen die Gewerkschaften alles tun, um auch die Ehepartner mehr als bisher-auch in »Friedenszeiten« - an die gewerkschaftliche Organisation zu binden. Die jetzt stärker anlaufenden Kulturveranstaltungen der Gewerkschaften sind dafür in besonderem Maße geeignet.

Die Wege zur Emanzipation sind gesellschaftliche Machtfragen
Es wurde bereits gesagt, daß diese gewerkschaftlichen Aktionen nur beispielhaft für viele andere stehen. Eine ganze Reihe weiterer Aktivitäten und Bemühungen würden es verdienen, genannt und beschrieben zu werden: So zum Beispiel die Diskussionen um das Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes für Arbeitnehmerinnen, auf dessen Grundlage gegenwärtig ein Aktionsprogramm entwickelt wird; oder die Initiative der Kolleginnen der Industriegewerkschaft Metall, die in der »heißen Phase« um den § 218 StGB in kurzer Zeit 125000 Unterschriften für die Fristenregelung sammelten und dabei eine Menge an Aufklärungsarbeit leisteten; die Aktionen der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen zur Einhaltung der Frauenarbeitsschutzbestimmungen (die Verstöße seitens der Unternehmer gegen die Frauenarbeitsschutzbestimmungen haben in den letzten Jahren nach offiziellen Untersuchungen bis zu 50 Prozent in einem Jahr zugenommen); der Beschluß des 20. DGB-Bundeskongresses, auf allen Ebenen Aktionen für die Errichtung von Ganztagsschulen durchzuführen; oder der Beschluß des DGB-Rheinland-Pfalz, am 9. September 1978 in Mainz eine Demonstration mit Kundgebung unter dem Motto »Stop -Lohndiskriminierung und Frauenarbeitslosigkeit« mit Kulturprogramm durchzuführen; das »Jahr der Arbeitnehmerin« 1972 mit vielen öffentlichen Versammlungen (manchmal mit über 1000 Teilnehmern), mit vielen Podiumsdiskussionen und Diskussionen auf Straßen, Ausstellungen und Messen, bei denen viele Frauen-wie auch auf Kundgebungen zum 1. Mai-gesprochen haben; alle gewerkschaftlichen Aktivitäten zum »Internationalen Jahr der Frau«, als es Gewerkschafterinnen waren, die im nationalen und internationalen Rahmen entscheidende Beiträge geleistet haben, daß die Frauendiskriminierung weit mehr als zuvor in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt worden ist. Und schließlich sollte nicht vergessen werden, daß es auf vielen Konferenzen und Kongressen gerade die Frauen sind, die Anträge gegen die Einschränkung demokratischer Rechte (z.B. gegen Berufsverbote), für den Verzicht auf Kriegsspielzeug und für Abrüstung eintreten. Zum »Alltagsgeschäft« der Frauenpolitik gehören schließlich als ständiger Auftrag die Bildungsveranstaltungen für und mit den Frauen, die Arbeit in den Frauenausschüssen, die Unterstützung der Betriebsrätinnen. Und nicht zuletzt muß ein entscheidender Schwerpunkt genannt werden: das Ansprechen der Arbeitnehmer auf unzähligen Betriebsversammlungen mit dem Thema >Die sozialen Belange der erwerbstätigen Frauen< - dies verbunden mit Betriebsrundgängen und Beratungen. Hier erreichen wir Männer und Frauen, Organisierte und Unorganisierte und können vor allem unsere konkreten Forderungen an die unmittelbaren Adressaten richten - an die Unternehmer.
»Recht auf Arbeit - auch für Frauen
Recht auf Arbeit ist die zentrale gewerkschaftliche Forderung. Recht auf Arbeit - auch für Frauen beinhaltet aber auch, daß die Erwerbstätigkeit der Frauen nicht vom Konjunkturverlauf abhängig gemacht werden kann. Das heißt es sind alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Frauen erwerbstätig sein können, daß in Zukunft Männer und Frauen Erwerbstätigkeit als eine Selbstverständlichkeit betrachten und auch die Frauen ihren Lebensplan darauf aufbauen können. Alle damit verbundenen Forderungen können nicht losgelöst von den allgemeinen politischen Maßnahmen gesehen werden und sind nicht nur mit den Mitteln der Wirtschaftspolitik, sondern gleichermaßen mit der Bildungs- und Sozialpolitik zu erreichen. Bereich der Wirtschaftspolitik

  • Bei Vergabe von öffentlichen Aufträgen und staatlichen Investitionen sind Auflagen zu erlassen, die eine Vermehrung von Arbeitsplätzen zur Folge haben und eine bestimmte Quote qualifizierter Ausbildungsund Arbeitsplätze für Jugendliche und Frauen vorsehen sowie die Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsumwelt beachten;
  • Schaffung von mehr Arbeitsplätzen durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Rahmen allgemeiner Arbeitszeitverkürzung, Verlängerung von Urlaub sowie Einbeziehung von weiteren Beschäftigten ins Erwerbsleben;
  • Verstärkter Schutz für die Beschäftigten bei Rationalisierungsmaßnahmen;
  • Gesamtgesellschaftliche Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses nach den Bedürfnissen der Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Mitbestimmung der Gewerkschaften - insbesondere bei Investitionen sowie bei Kapitalexport;
  • Demokratisierung der Wirtschaft durch Einführung der paritätischen Mitbestimmung; Überführung von Schlüsselindustrien und anderer markt- und wirtschaftsbeherrschender Unternehmen in Gemeineigentum.«

»Bereich der Bildungspolitik

  • Reform des Bildungswesens nach den bildungspolitischen Forderungen des DGB, insbesondere Einführung des zehnten Schuljahres und Änderung der Bildungsinhalte;
  • Einführung von Ganztagsschulen und Einrichtungen von Hausaufgabenhilfen;
  • Reform der Berufsbildung nach der Forderung des DGB;
  • bei Vergabe öffentlicher Mittel zur Schaffung von mehr qualifizierten Ausbildungsplätzen ist eine bestimmte Quote für Frauen festzulegen, dies gilt besonders für sogenannte Männerberufe;
  • bei Einrichtung überbetrieblicher Ausbildungsstätten ist eine bestimmte Quote für Ausbildungsplätze für Frauen vorzusehen;
  •  Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, damit die Wiedereingliederung der Frauen in den Arbeitsprozeß (Anpassungsbildung) ermöglicht wird;
  • besondere Bildungsangebote für Frauen im Rahmen der Weiterbildung zur Erhöhung der Qualifikation beziehungsweise zur Erreichung eines beruflichen Abschlusses sowie Umschulungsmaßnahmen;

Bereich der Sozialpädagogik

  • Sonderurlaub für Mütter und Väter in den ersten 18 Monaten nach Ablauf der Mutterschutzfristen bei Zahlung eines Entgelts;
  • ausreichende Kindertagesstätten zu angemessenen Unterbringungskosten;
  • Freistellung Erwerbstätiger zur Pflege erkrankter Familienangehöriger bei vollem Lohnausgleich;
  • Verkürzung der Arbeitszeit, um die Aufgaben in Beruf und Familie besser vereinbaren zu können;
  • Verbesserung des Mutterschutzes nach dem Zehn-Punkte-Programm des DGB;
  • Schaffung einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau.

Die Delegierten erwarten von den Gewerkschaften zur Durchsetzung dieser Forderungen gezielte Aktionen, die so angelegt sein müssen, daß sie mehr als bisher die Betroffenen selbst einbeziehen sowie die arbeitende Bevölkerung, vom Standpunkt gegensätzlicher Interessen über wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge, aufklären und die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Forderungen deutlich zu machen.«

(aus: Angenommener Auftrag beim 11. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Druck und Papier, Augsburg 1977)

Alle diese Bemühungen waren nicht umsonst. Seit 1972 sind 350000 Frauen den Gewerkschaften beigetreten; die Gesamtzahl der weiblichen Mitglieder beträgt heute 1,4 Millionen (das entspricht einem Anteil von 18,7 Prozent). 25 000 Betriebsrätinnen sind aktiv; die Zahl der Frauen in den gewerkschaftlichen Bildungsveranstaltungen steigt ständig an.
Dabei täuschen wir uns nicht über die wirkliche Lage. Wir wissen, daß die Situation der erwerbstätigen Frauen unter den bestehenden Bedingungen eines kapitalistischen Gesellschaftssystems nur sehr zögernd verbessert werden kann.
Und so bleibt es dabei: Alle Wege und Ziele zur Gleichberechtigung, zur Befreiung der Frau sind keine Geschlechterfrage (weil es niemals wahr sein wird, daß die Ehefrau des Generaldirektors mehr mit ihrer Putzfrau gemeinsam hat als mit ihrem Ehemann); es sind gesellschaftliche Machtfragen.
Wir wissen auch, daß unsere Programme nicht so schillernd und sensationell sind wie exotische Frauenfeten und Walpurgisnächte. Freilich erfordert die Durchsetzung mehr Ausdauer, zumal gewerkschaftliche Aktivitäten in vielen Massenmedien zumeist totgeschwiegen werden. Aber Gewerkschafter machen nicht aus jeder schwierigen Aufgabe ein Problem, sondern - umgekehrt - Gewerkschafter haben seit über 100 Jahren in den sozialen Problemen der Arbeiterschaft ihre Aufgabe gesehen. Und es besteht kein Anlaß zum Zweifeln, daß wir unsere Ziele erreichen werden. - Gisela Kessler

»Tschüß du - wir streiken«

16 Frauen kämpfen einen Monat lang um mehr Lohn

An irgendeinem Sommernachmittag sitzt Susanne Mertash allein in ihrem Garten und zieht Bilanz: »Bist Mitte dreißig. Hast zwei große Töchter und einen netten Mann und ein Häuschen im Grünen. Hockst jetzt seit 15 Jahren zu Hause. Sitzt auf der Terasse und umhäkelst Taschentücher. Bist lasch geworden. Tu was, Susanne.«
Ottweiler ist ein kleines Städtchen im Saarland. Arbeitsplätze sind hier rar, die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei 17 Prozent. Susanne Mertash hat Bankkaufmann gelernt, aber in ihrem alten Beruf kommt sie nicht unter. Angeboten wird ihr Hilfsarbeit in der Kunststoffverarbeitung. Also fängt sie bei Opel in Ottweiler an, einer Kleinstfirma mit 23 Beschäftigten, in der überwiegend Frauen PVC-Schlauchmaterial zu medizinischen Einwegartikeln wie Katheter, Sonden, Beatmungsschläuche im Akkord verarbeiten. Die meisten arbeiten halbtags für drei Mark die Stunde. Susanne fängt in der Endkontrolle an und verdient ein paar Mark mehr. Sie wird gebeten, darüber nicht zu sprechen. Das findet sie merkwürdig.
In der Halle, in der die Frauen arbeiten, steigt die Temperatur im Sommer auf 50 Grad. »Akkord in der Sauna«, sagen die Frauen. Sie fluchen, aber keine beschwert sich. Sie warten darauf, daß das Thermometer platzt und wundern sich, daß keine von ihnen umkippt. Ihre Gespräche kreisen um Kochrezepte, Mode, Männer. Der Meister spielt sie gegeneinander aus. Geködert werden die Frauen mit totaler Gleitzeit. Sie können kommen, wann sie wollen. Morgens oder mittags - für Frauen mit kleinen Kindern ist das ideal. Dafür akzeptieren sie Hungerlohn und Schikane. Susanne beobachtet das fassungslos. Sie hat nicht gewußt, daß Menschen unter solchen Bedingungen arbeiten. Nach den ersten Einarbeitungswochen sagt sie zu sich: »Du reißt jetzt dein Maul auf - egal, was passiert.« Sie redet mit ihren Kolleginnen über den miesen Lohn, die Hitze, die stupide Arbeit. Ein paar Frauen nehmen schließlich Kontakt zur Gewerkschaft auf und leiten Betriebsratswahlen ein. Die meisten Frauen treten in die Gewerkschaft ein. 1975 gibt es bei Opel in Ottweiler drei Betriebsrätinnen. Susanne wird zur Vorsitzenden gewählt. »Wir hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Aber was ich mach', das mach' ich ja gründlich. Ich fuhr auf Lehrgänge. Ich bin mit dem Betriebsverfassungsgesetz abends ins Bett gegangen und morgens wieder aufgestanden.«
Susannes Mann ist monatelang auf Montage. »Immer, wenn er wieder nach Hause kommt, findet er eine neue Frau vor.« Erst eine, die wieder arbeiten gehen will. Dann eine, die sich über haarsträubende Arbeitsbedingungen aufregt, dann eine Betriebsratsvorsitzende, die das Betriebsverfassungsgesetz vorwärts und rückwärts aufsagen kann ... und schließlich eine, die keine Zeit mehr für ihn hat. Die morgens um fünf vor dem Bett steht, mit dicken Stiefeln, Schal und Mütze und sich hastig verabschiedet: »Tschüß Du, wir streiken.«

Tarifverhandlungen - »Wozu brauchen Frauen mehr Geld?«
Die Firma Opel ist nicht Mitglied im Arbeitgeberverband. »Das können die sich gar nicht leisten«, sagen die Frauen, »dann müßten sie ja Löhne zahlen, wie sie in der chemischen Industrie üblich sind-das wären fast acht Mark für Ungelernte der untersten Lohngruppe«.
Zum 31. Dezember 1976 kündigt die IG Chemie den bestehenden Haustarifvertrag bei Opel. Der Arbeitgeber antwortet darauf nicht. Er macht keinen Terminvorschlag für Verhandlungen, schickt lediglich die Bestätigung der Kündigung. Viel Zeit vergeht. Endlich, am 7. März, die erste Verhandlungsrunde. Teilnehmer sind der Sekretär der IG Chemie, Jochen Bierkämper, und die drei Betriebsrätinnen Susanne Mertash, Elke Bettinger und Inge Stuppi. Die Geschäftsleitung rückt zu viert an; an der Spitze Unternehmer Marquard. Die Betriebsrätinnen tragen ihre Forderungen vor:

  • Angleichung der Löhne und Gehälter an die der chemischen Industrie des Saarlandes.
  • Einführung eines Urlaubsgeldes in Höhe von 20 Mark pro Urlaubstag.
  • Verdoppelung des Weihnachtsgeldes. Bisher gab es zwischen 50 und 200 Mark.
  • Erhöhung der vermögenswirksamen Leistungen auf 39 Mark pro Monat.
  • Einführung der 40-Stunden-Woche und zwar tarifvertraglich abgesichert.


Für einen Augenblick ist es sehr still im Verhandlungszimmer. Dann brüllt der Unternehmer die Frauen an: Was sich der Betriebsrat alles herausnehme, was der für Zeit brauche für seine Gewerkschaftsarbeit, was das die Firma alles koste. Dann wendet er sich an den Gewerkschaftssekretär: »Lieber Herr Bierkämper, ich denke nicht daran, den Tarifvertrag zu
verbessern.« Marquard will die Urlaubszeiten nicht verlängern, sondern kürzen. Mehr Geld will er auch nicht zahlen: »Das sind doch nur Frauen - wozu brauchen die mehr Geld? Die Ehemänner verdienen doch.« Den Betriebsrätinnen reicht's. Sie brechen die Verhandlungen ab. Schnell werden alle Gewerkschaftsmitglieder zusammengetrommelt. Die Frauen überlegen. Es gibt zwei Möglichkeiten: weiter verhandeln, das heißt, sich weiter beschimpfen zu lassen, oder die Verhandlungen offiziell für gescheitert erklären. Die erste Möglichkeit scheidet aus - wozu weiter verhandeln? Die Unternehmensleitung will ja keine Verbesserungen. - Die Gewerkschaft erklärt die Tarifverhandlung für gescheitert. Während des dann eintretenden tariflosen Zustandes wollen die Frauen in einer Urabstimmung klären, wer bereit ist, für mehr Lohn zu kämpfen.
»Der Jochen hat ganz offen mit uns diskutiert«, sagt die Betriebsrätin Elke Bettinger. »>Überlegt Euch das gut<, hat er gesagt, >wenn ihr Euch für Streik aussprecht, kann der Laden dabei Pleite gehen. Streik kann heißen: arbeitslos<. Und wir Frauen haben gesagt: >Lieber arbeitslos als solche Arbeit.<«
Von den 23 Beschäftigten nehmen 14 an der Urabstimmung teil. Alles Frauen. Alle 14 stimmen mit »ja« - für Streik. Die beiden Frauen, die an der Urabstimmung nicht teilnehmen konnten, schließen sich später den anderen an.
Ab Dienstag, dem 15. März 1977, wird die Firma Opel von 16 Frauen bestreikt. Der Unternehmer hält das für einen vorgezogenen Aprilscherz.

Streiktage - »Was wollt ihr mit dem Zirkus erreichen?«
Susanne hat ihren Wecker auf fünf Uhr gestellt, wird aber wach, bevor er klingelt. Sie ist aufgeregt, kann kaum etwas essen. Der erste Streiktag. Mein Gott, denkt sie, du hast noch nie gestreikt, hoffentlich geht das gut. Alle Frauen denken das an diesem Morgen - und alle sind um sechs Uhr da. Verpackt wie Eskimos. Der 15. März ist eiskalt. Eine Frau hat Toilettenpapier mitgebracht, damit versperren sie symbolisch den Betrieb. Dann hüpfen 16 Frauen vor dem Werkstor auf und ab, blasen sich ihren warmen Atem in die Hände und warten, was nun weiter passiert. Um 11.30 Uhr rollt ihr Streikbüro an. Die IG Chemie hat einen Wohnwagen gemietet. Die Betriebsrätinnen erklären der Unternehmensleitung, daß sie weiterhin im Amt sind, sich aber als Arbeitnehmerinnen am Kampf der Belegschaft voll beteiligen.
Am Abend des ersten Streiktages malen die Frauen Plakate und Spruchbänder, und am nächsten Morgen kann jeder schon von weitem sehen, daß bei Opel was los ist. »Dieser Betrieb wird bestreikt.« - »Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.« - »Hier schaffen nur Radfahrer.« Die Streikbrecher betreten geschlossen das Werk.
Am Nachmittag des zweiten Streiktages haben die Frauen sogar Telefon in ihrem Wohnwagen. Die ersten Solidaritätstelegramme treffen ein. »Haltet durch.« - »Gebt nicht auf.« - »Eure Forderungen sind gerecht.« - »Viel Erfolg.« Eine Frauengruppe aus Neunkirchen bringt eine Streikspende vorbei. Die Stimmung ist ausgezeichnet. Besucher werden jubelnd begrüßt.
Die Frauen müssen höllisch aufpassen. Immer wieder versucht die Firmenleitung, die Streikenden auszutricksen. So entdecken sie am dritten Streiktag, daß Streikbrecher eingeschleust werden sollen - im Lieferwagen, unter Planen versteckt.
Die Stimmung bleibt gut, obwohl die Frauen bald merken, daß ihr Arbeitskampf so normal nun wieder auch nicht ist. Einige Kolleginnen stehen morgens mit langen Gesichtern vorm Streikbüro. Elke geht auf sie zu: »Was ist los mit euch? Wie guckt ihr denn aus der Wäsche?« Die Frauen berichten: Ihre Männer, ihre Freunde, ihre Verwandten hätten auf sie eingeredet. Was mit dem Streik erreicht werden solle, wozu dieser Zirkus denn gut sei. Elke sagt: »Einige Frauen konnten sich zunächst gar nicht gegen so blöde Argumente wehren. Die sind zu Hause regelrecht mutlos gemacht worden. Kamen ganz geknickt dahergeschlichen. Und wir anderen haben sie dann aufgerichtet. Abends gingen sie dann wieder senkrecht und mit neuen Argumenten nach Hause. Ehrlich, was wir die Ehemänner und die Verwandtschaft manchmal verflucht haben. Montags war immer der kritischste Tag. Am Wochenende fiel der Bewußtseinsstand rapide. Aber abgesprungen ist keine.«
Sechster Streiktag. Noch immer kein Verhandlungsangebot - dafür Kleinkrieg. Die Unternehmensleitung ruft die Polizei, weil ein Auto die Betriebseinfahrt versperrt. Die Polizei fährt vor, sieht keine Autosperre, zieht wieder ab. Um morgens nicht mehr an den spottenden und schimpfenden Frauen vorbei zu müssen, beginnen die Streikbrecher eine Stunde früher mit der Arbeit. Am nächsten Tag stehen auch die Frauen um fünf Uhr vorm Betrieb.
Am elften Streiktag verlangt die IG Chemie Einsicht in die Geschäftsbücher der Firma. Die Frauen sind auf das Ergebnis gespannt.

»Guck mal, Elke, die Staatsgewalt rückt an.«
20. Streiktag, Mittwoch, 13. April 1977, fünf Uhr morgens. Kollegen anderer Firmen haben sich angewöhnt, vor der Arbeit noch schnell bei den streikenden Frauen vorbeizusehen. Heute helfen sie ihnen, das Werkstor mit Autoreifen zu verbarrikadieren. Gegen halb acht kommen die Streikbrecher und die vom Betriebsrat nicht genehmigten Arbeitskräfte. Die Frauen haken sich unter, bilden eine Mauer, lassen niemanden durch. Plötzlich sieht Susanne Polizeiwagen auf das Werkstor zufahren. Sie stößt ihre Kollegin an. »Guck mal, Elke, die Staatsgewalt rückt an.«
Die Polizisten steigen aus, gehen auf die Streikenden zu, fordern sie auf, die Einfahrt unverzüglich frei zu machen. Die Frauen setzen sich auf die Autoreifen und rücken eng zusammen. Die Polizei droht: das sei Widerstand gegen die Staatsgewalt. Keine Reaktion. Sie versucht, Personalien aufzunehmen. Sie nimmt sich jede Frau einzeln vor: Name? Adresse? Die Frauen zucken mit den Schultern, schweigen.
Inzwischen sind zwei hauptamtliche Funktionäre von der IG Chemie gekommen. Der leitende Polizeioffizier wendet sich hilfesuchend an sie. »Sagen Sie den Frauen, daß sie das Werkstor räumen sollen. Sofort. Wenn nicht, räumen wir mit Gewalt.« Der Gewerkschafter tut seine Pflicht. Er ruft den Frauen zu: »Hört mal, er hat gesagt, ich soll euch sagen, die Einfahrt muß geräumt werden. Wenn nicht, will er Gewalt anwenden.« Keine der Frauen rührt sich auch nur einen Millimeter. Stumm hocken sie auf ihren Reifen. Die Polizisten gehen ein paar Schritte auf die Frauen zu, dann bleiben sie unschlüssig stehen. Die Frauen gucken sie an, beobachten jede Bewegung, sagen kein Wort. Susanne merkt, wie ihr die Tränen übers Gesicht laufen. »Angst hast du nicht«, denkt sie, »du heulst aus Wut und Verzweiflung. Da baut sich die Staatsgewalt so einfach vor uns auf - und wir sind hilflos.«
Die Situation wird unerträglich. Alle warten, daß irgendetwas passiert. Plötzlich, in die Stille hinein, ruft der Gewerkschaftsfunktionär: »Ihr wollt doch arbeiten, man läßt euch ja nicht. Dann geht doch an die Arbeit!« Die Frauen springen auf, stürzen ans Werktor und rütteln am Gitter. Die brisante Situation ist vorüber - der Trick gelungen. »Hätte die Geschäftsleitung in diesem Moment die Tore geöffnet«, sagen die Betriebsrätinnen, »du lieber Himmel. Wir hätten nicht gewußt, wie es dann weitergegangen wäre. Wir wollten doch den Streik nicht abbrechen.«
22. Streiktag - die erste Verhandlung mit der Geschäftsleitung. Unternehmer Marquard bombardiert die Streikleitung mit übelsten Unterstellungen: Die Frauen seien mit Alkohol vollgepumpt worden, damit sie dann die
Streikbrecher mit Knüppeln an der Arbeitsaufnahme hindern. Die lächerlichen Vorwürfe erweisen sich als Ablenkungsmanöver. Als es nämlich um die Forderungen der Frauen geht, muß er gestehen, überhaupt nicht in der Lage zu sein, mehr Lohn zu zahlen. Der Betrieb ist bankrott.
Am 18. April 1977 ist der Streik der 16 Frauen zu Ende. »Wenn Frauen was in die Hand nehmen, dann aber gründlich«, witzelt der Mann einer Kollegin. Aber nicht die Frauen haben den Betrieb kaputtgestreikt - er war schon vorher pleite. Die Frauen haben jetzt nur noch eine Forderung: Sie verlangen ihre Kündigung, damit sie ohne Sperrfrist Arbeitslosengeld beantragen können. Keine geht mehr in den Betrieb zurück, auch nicht die Betriebsrätinnen.
Am Ende des Streiks sind alle 16 Frauen arbeitslos. Deprimiert sind sie nicht. »Der Streik hat uns gutgetan. Wir sind ganz schön aufgewacht. Uns macht heute keiner mehr was vor. Solch' beschissene Arbeit läßt sich wohl keine mehr andrehen.«
Susanne kann mit ihrem Mann jetzt besser reden - auch über seine Arbeit. »Der sagt nie mehr: >Bleib doch zu Hause.< Erst hat er gemosert, dann hat er uns bewundert. Er hat mal gesagt: >Eine Frau, die arbeitet und sich wehren kann, ist für den Mann beruhigend< Er braucht sich ja auch nicht mehr alles gefallen zu lassen. Zur Not weiß er: Ich verdiene, ich kann die Familie eine Zeitlang über Wasser halten.«
Zwei Frauen sind inzwischen verheiratet. Die anderen haben einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Nichts Tolles, aber »jeder Arbeitsplatz ist besser als der, für den wir uns so ins Zeug gelegt haben.«
Die Firma Opel in Ottweiler besteht noch heute. Eine Handvoll Arbeiter produzieren irgendetwas. Was, das wissen die Frauen nicht so genau. Es ist ihnen auch egal. - Monika Held

Die Frauen von Erwitte

Erwitte liegt im Westfälischen. Die Stadt liegt in der Börde zwischen Soest und Paderborn, am alten Hellweg, der sie schnurgerade durchzieht. Sie hat 13 000 Einwohner, 3 Schützenvereine, eine alte katholische Kirche. Ringsum dehnen sich bis zum Horizont Runkelrüben- und Getreidefelder. Die Wahlen in dem erzkonservativen Gebiet gewinnt hoch die CDU. Wirtschaftlich ausschlaggebend für die Stadt sind die Werke der Zementindustrie, außerdem gibt es zwei oder drei Kleinbetriebe. Frauenarbeitsplätze werden kaum angeboten. Trotzdem existiert eine fortschrittliche Frauengruppe.
1975 wurde Erwitte weithin bekannt. Im Frühjahr begann in der Zementfabrik Seibel & Söhne der bisher längste Arbeitskampf in der Bundesrepublik. Auf seinem Höhepunkt, am 1. Mai 1975, versammelten sich 12 000 Menschen auf dem Marktplatz und bekundeten ihre Solidarität mit der Belegschaft.
Noch im Dezember 1974 hatte die Geschäftsleitung des Zementwerks in einer Betriebsversammlung das Unternehmen »wirtschaftlich gesund« genannt. Aus heiterem Himmel erhielten dann im Februar 96 der 151 Belegschaftsmitglieder, darunter Betriebsräte, die Kündigung. Überzeugende Gründe wurden nicht angegeben, ein Sozialplan nicht vorgelegt, Verhandlungen abgelehnt.
Am 10. März besetzte die Frühschicht das Werk, die anderen Arbeiter schlossen sich an. Seibel reagierte mit Aussperrung und weiteren Kündigungen, die das Paderborner Arbeitsgericht Ende April für unwirksam erklärte. Am 2. Mai, nach der großen Kundgebung, glaubte die Gewerkschaft, die Lage sei jetzt für eine Verständigung günstig. Die Belegschaft räumt das Werk und bietet erneut Verhandlungen an. Seibel schlägt aus. Ab Juni wird der Konflikt von schwer überschaubaren arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen geprägt. Länger als ein Jahr läßt Seibel den Betrieb ruhen, erhalten die Arbeiter keinen Lohn. Trotzdem weigern sich die meisten Belegschaftsmitglieder, bei Seibel wieder anzufangen, als er im Juni 1976 neu aufmacht und von ihnen verlangt, auf Lohn- und Kündigungsschutzklagen zu verzichten. Lieber nehmen sie schlechter bezahlte Arbeit in anderen Betrieben an.
Im Februar 1978 obsiegt endlich die Belegschaft bis auf wenige Fälle beim Bundesarbeitsgericht in Kassel. Jedoch werden bis zum Augenblick, in dem diese Zeilen geschrieben werden, die Prozesse um die ausgefallenen Lohngelder immer noch hingezogen.

Wann immer vom Arbeitskampf in Erwitte gesprochen wird, ist auch die Rede von den Ehefrauen der Zementwerker. Sie haben eine entscheidende Rolle gespielt.
Bei einem Streik in der Papierindustrie Baden-Württembergs wenige Zeit zuvor war es den Unternehmern gelungen, auf die Frauen der Streikenden einzuwirken, so daß sie den Vertretern der Gewerkschaft den Zutritt zu ihren
Wohnungen verwehrten. »Die haben den Männern die Hölle heiß gemacht«, erzählt in Erwitte der Gewerkschaftssekretär. Dieser Streik hatte nicht durchgehalten werden können.
Niemand konnte voraussehen, wie sich die Frauen in Erwitte verhalten würden. Fast alle waren Hausfrauen. Sie hatten keinen Beruf. Sie zogen Kinder auf. Sie putzten Wohnungen, kochten das Essen. So, wie sie es bei ihren Müttern gelernt hatten.
Wie es in der Fabrik aussah, davon wußten sie so gut wie nichts. Mancher Ehefrau hatte der Mann nie von seiner Arbeit erzählt. Manche erfuhr nicht einmal, daß sich ein Streik abzeichnete. Von der Gewerkschaft wußten viele
kaum mehr, als daß sie Schutz bei Kündigungen bietet, daß Beiträge gezahlt werden müssen, und die schienen ihnen sehr hoch. Betroffen gewesen waren die Frauen der Zementwerker immer von den Auswirkungen der harten Arbeit, die ihre Männer leisteten. Jahrelange Schichtarbeit hatte normales Familienleben fast unmöglich gemacht. Wenn die Kinder aus der Schule kamen, gingen die Väter zur Arbeit. Meistens wurde auch an Sonn- und Feiertagen gearbeitet. Kamen die Männer nach Haus, fanden kaum Gespräche statt. »Die waren ja so kaputt, so fertig, Essen rein, Schuhe aus, dann hingelegt, fünf Minuten später waren sie am Schlafen.«
Eine der wichtigsten Entscheidungen im Erwitter Streik war der frühe Entschluß der IG Chemie, Papier, Keramik, sich an die Ehefrauen der Zementwerker zu wenden. Einige Frauen waren der Gewerkschaft wegen Auskunft aufs Büro gerückt. Die Gewerkschaft schaltete schnell. Alle wurden eingeladen. Die Betreuung der Kinder übernahm die Arbeiterwohlfahrt. An diesem Nachmittag wurde bei Kaffee und Kuchen über den Hergang und den Stand der Auseinandersetzung bei Seibel berichtet. Am Ende sagten sich die Frauen, daß es nicht schaden könne, wenn man zusammenbliebe. Zunächst wollten sie sehen, wo die Männer arbeiten. Sie kamen aufs besetzte Werksgelände und ließen sich alles zeigen. Sie hatten gebacken. Tische wurden ins Freie gestellt. Sie beschlossen, sich wieder zu treffen. Von dann ab kamen wöchentlich etwa 25 Frauen zusammen. Sie waren im Alter von 28 bis 50 Jahren. Man diskutierte über den Streik. Die Dortmunder Frauengruppe brachte neue Themen hinzu. So begann, was der umsichtige Gewerkschaftssekretär heute »ein kleines Wunder« nennt. Für die Frauen war es der Anfang einer großen Veränderung. Diese Ehefrauen kannten Geselligkeit fast nur in der Familie, bei Verwandtenbesuchen, allenfalls zusammen mit dem Mann in der Gastwirtschaft oder bei Kaffeekränzchen. Manch eine wohnte schon viele Jahre in Erwitte und hatte »einfach keinen Kontakt gekriegt«.
Jetzt gab es für sie zum ersten Mal Zusammenkünfte, bei denen es um mehr ging als um ihren Privatkram und den Privatkram anderer: in der Gruppe mit den anderen Zementwerker-Frauen, in der Mitgliederversammlung der Gewerkschaft, in der Belegschaftsversammlung.
Und sie kommen über Erwitte hinaus. Sie fahren nach Recklinghausen, bauen auf dem Markt einen Informationsstand auf. Sie schreiben dafür Flugblätter, besorgen Transparente, malen Plakate und nehmen die Kinder mit. Sie organisieren am 13. Juni eine Demonstration durch Lippstadt vor das Haus von Seibel - 200 Frauen, Kinder und Kollegen beteiligen sich. Es ist das erste Mal, daß sie so in der Öffentlichkeit auftreten. »Ich hab am ganzen Körper gezittert, als ich da am Bahnhof stand«, sagt eine von ihnen, »und dann unterstützten uns ja viele von den Dortmunder Frauengruppen und als die dann im Hintergrund Solidarisieren, mitmarschieren< und so die Sprüche da klopften, da wurde man doch schon mutiger. Als wir dann losgezogen sind - und da war ich so mutig und das war so schön, wir waren da voll mit dabei.« Sie demonstrieren vor den Wohnungen der Meister, die angefangen haben, wieder bei Seibel zu arbeiten und singen ihr Lied »Keiner schiebt uns weg«.
Das Lied der Frauen von Erwitte

Gewerkschaft steht für alle da
Wir kämpfen mit den Männern
keiner schiebt uns weg
keiner schiebt uns weg
So wie ein Baum beständig steht
Besetzen wir Fabriken
am Wasser,
keiner schiebt uns weg
keiner schiebt uns weg
Wir fordern unsere Löhne
Keiner und auch der Seibel nicht
keiner schiebt uns weg
So wie ein Baum beständig steht
Wir kommen heut' nach Lippstadt
am Wasser,
keiner schiebt uns weg
keiner schiebt uns weg

Sie erleben, wie völlig unbekannte Menschen über die Ungerechtigkeit empört sind, mit der Seibel seine langjährigen Arbeiter behandelt. »Das Wort Solidarität«, sagt eine von ihnen in der Broschüre,[1] in der 1976 acht Frauen ihre Erfahrung festhalten, »war für mich so eine Art Fremdwort.« Alle diese Initiativen gingen von den Frauen aus. »Wenn wir erst die Männer gefragt hätten, wäre es immer unter den Tisch gefallen.« Als von überall her Aufforderungen nach Erwitte kommen, in Gewerkschaftsversammlungen, in Volkshochschulen und Universitäten über die Betriebsbesetzung zu berichten, und als wie üblich die Männer die Einladungen als an sie allein gerichtet betrachten, bestehen die Frauen darauf, mitzugehen. Und bald werden sie auch allein eingeladen.
Sie kommen mit ganz anderen Menschen und mit Lebensweisen in Berührung, die sie nicht kennen, mit städtischer Jugend, Lehrlingen, Studenten, mit Kollegen aus anderen Betrieben. Einmal, in Darmstadt, übernachten sie in einer Wohngemeinschaft. Sie sehen, daß die jungen Leute ernsthaft wissen wollen, was in Erwitte los ist und daß ihre Diskussionen zugleich über Erwitte hinausgehen. Sie halten das »für ganz groß« - das kennen sie von ihren Kindern nicht. Diese Jungen »sind mit einfachen Dingen viel eher zufrieden, gar nicht so, daß die den ganzen Tag putzen und so, hier muß Staub weg und da muß Staub weg. Wir meinen immer, wir müßten den ganzen Tag aufräumen und putzen und tun, und die leben da so. Ganz einfach.«
Die Frauen in Erwitte bilden sich eigene Meinungen.

  •  »Man sieht jetzt eher, was die Politiker alle für Fehler machen.«
  •  »Wenn ich mir heute am Fernsehen die Nachrichten ansehe, seh' ich ganz anders, als ich die sonst gesehen habe.«
  •  »Ich fange jetzt die Zeitung von vorne an zu lesen, nicht mehr die Todesanzeigen zuerst.«

Sie werden interviewt. In Zeitungen und im Rundfunk hört man die Frauen der Zementwerker.
Sie kommen dahinter, daß ihr Leben mit Politik zu tun hat und fragen jetzt, ob es gerecht ist, daß das Schicksal von 150 Familien von einem einzigen Unternehmer abhängt.
Diese Hausfrauen, die noch nie ein Gericht betreten hatten, fahren nach Hamm und Paderborn zu den Verhandlungen der Arbeitsgerichte, und sie lernen: »Ich weiß nicht, wofür wir da einen Rechtsstaat haben, das bringt doch alles nichts, wenn man darüber nachdenkt, kann man echt verzweifeln. Die Arbeitsplätze, die kriegen wir dadurch ja auch nicht wieder, und das Geld kriegen wir auch nicht.«
Sie treten in der Familie anders auf, natürlich. Nach einem Jahr Arbeitskampf schreibt die Gruppe im Mitteilungsblatt der Belegschaft Seibel & Söhne Nr. 6/Juli 76:

  • »Wenn ich früher mal weggehen wollte, habe ich immer meinen Mann gefragt, ob ich darf. Jetzt sag ihm ihm: Hör mal, heut ist Montag. Ich gehe jetzt zum Frauenabend.
  • Wir sind selbstbewußter geworden - wenn auch einige unserer Männer meinen, daß wir heute lediglich frecher seien. Andere erkennen unsere Entwicklung aber auch an. Besonders wie wir im letzten Jahr die Demonstration nach Lippstadt gemacht haben, hat das manche Männer sehr beeindruckt. (>Ehrlich, das hätte ich meiner Frau nicht zugetraute) Heute halten wir es für selbstverständlich, daß die Männer zu Hause mitzupacken, soweit ihre Arbeit es zuläßt. In dieser Hinsicht ist es jetzt Zeit, daß die Männer einen Schritt nach vorn machen. Vielen leuchtet das nämlich noch nicht ein, daß sich auch zu Hause etwas ändern sollte. Die Meinung >Wofür soll ich denn helfen? Wofür hab' ich denn eine Frau?< ist noch längst nicht ausgerottet. Die Zeit, wo wir >Nur-Hausfrauen< waren, ist mit Sicherheit vorbei.«

Diese Zeit ist nicht vorbei. Jedenfalls nicht für alle.
In Erwitte ist der Alltag wieder eingekehrt. Der Alltag, das ist die strenge Trennung des Lebens in Arbeit und Privatsphäre.
Eine kurze Zeit, im Arbeitskampf, während der Fabrikbesetzung und der Aussperrung, war das Leben einheitlich und hatte es einheitlich eine öffentliche Dimension gewonnen. Von jetzt an dominiert im nichtberuflichen Leben wieder die Familie. Für die Frauen heißt das: zurückgestoßen-werden ins Haus, neue Unterwerfung unter die patriarchalischen Verhältnisse. Die Frauen der Gruppe haben einen täglichen Kampf um ihre Selbstbehauptung zu führen; denn in keiner der Familien sind wesentlich neue Strukturen entstanden. Wie soll das auch! Die Gesellschaft von Erwitte funktioniert wie zuvor. Die Familie ist in das öffentliche Leben nicht integriert.
Erwitte bietet den Frauen keine Hilfe. Für eigene Berufstätigkeit, auf die sie die erworbene Selbständigkeit stützen könnten, gibt es kein Angebot. Viele könnten auch nicht von Haus abwesend sein, weil sie die Kinder zu unselbständig erzogen haben. Viele kommen auch gar nicht auf die Idee. Vor allem aber erwarten die Männer, daß sie wie zuvor nur für den Haushalt da sind.
Geblieben ist die regelmäßige Verbindung von sechs Frauen. Sie befassen sich mit aktuellen Fragen, z.B. mit der Kooperativen Schule. Zum Paragraphen 218 haben sie keine übereinstimmende Meinung. Sie müssen die Freiheit, zu ihren Gruppenabenden oder zu Gewerkschaftsveranstaltungen zu gehen, jedesmal wieder erkämpfen.
Vier von ihnen sind als Hausfrauen Mitglied in der Gewerkschaft geworden. Etwas Neues in der Gewerkschaftsbewegung. Sie zahlen Beiträge, nehmen an den Frauenausschußsitzungen teil, waren im Frühjahr 1978 zum ersten Mal auf einer Delegiertenkonferenz. Die Tochter der einen hat sich als Jugendvertreterin aufstellen lassen, der Ehemann einer anderen wurde zum Betriebsrat gewählt.
Aber diese Aktivität außer Haus verlangt enorme psychische Kraft. »Hier in Erwitte lehnt man unsere Gruppe ab«, sagt Hedi Ficht. »Im Anfang war es nicht so, aber in der letzten Zeit hat sich das doch mehr zum Negativen entwickelt.« Niemand kommt, wenn sie einladen. Das ist anders, wenn sie zusammen mit anderen, etwa mit den Jusos, eine Veranstaltung machen. »Im Anfang waren die Männer begeistert«, sagt Hedi Ficht, »aber auf die Dauer haben sie gesehen, daß das von ihrer Bequemlichkeit abgeht und sehen zu, daß das Hausmütterchen doch wieder an den Herd kommt. Und wir paar lassen uns das nicht mehr gefallen; aber wir müssen jedesmal wieder kämpfen. Bei mir persönlich läuft das so: Wenn ich weiß, es ist eine Frauenausschußsitzung, oder es kommt eine Einladung von einem DGB-Kreis, dann sag ich o.k., da fährst du hin, ob mein Mann sich dagegen wehrt oder nicht. Die meisten wechseln ab, lassen es ein- oder zweimal ausfallen, damit sie nicht immer den Druck von den Männern kriegen. Der größte Teil war dem Druck auf die Dauer nicht gewachsen.« Neunzehn von fünfundzwanzig.

Erwitte ist ein großartiger Aufbruch gewesen. Die Verbindung, die unter dem Druck einer sozialen Provokation für einen historischen Augenblick zwischen dem privaten Dasein der Zementwerkerfamilien und ihrer kollektiven Existenz zustande kam, setzte innerhalb der proletarischen Kräfte eine Frauenbewegung von außerordentlichem schöpferischen Elan frei. Frappierend überwanden Frauen in wenigen Monaten seit Generationen überlieferte Befangenheit.
Niemand konnte erwarten, daß diese Frauenaktion in dem katholisch-konservativen Klima Erwittes, weitab von den Hauptströmen der demokratischen Bewegung, sich auf der Höhe halten würde, die sie zur Zeit der Herausforderung innehatte. Erwitte ist nicht die Bundesrepublik. Aber was sich hier ereignete, bestätigt das Vertrauen, das wir in die Fähigkeit der Frauen setzen, frei zu werden und zur Emanzipation der Menschheit beizutragen. Das ist auch gemeint, wenn eine der Erwitterinnen 1976 sagt, sie wisse nicht, wie das einmal sein wird, »wenn das alles nicht mehr ist«. Keine möchte diese Zeit missen. Auch diejenigen nicht, die, sicherlich nicht unverändert, an den Herd zurückgekehrt sind. Es hat eben auch Spaß gemacht. Einige Erfahrungen sollte man festhalten:

  • Das erste Zusammentreffen, von dem die Erwitter Frauenbewegung ausging, ist von außen, von der Gewerkschaft, organisiert worden.
  • Die Wirksamkeit der Frauengruppe entfaltete sich im Zusammenhang mit den größeren organisatorischen Voraussetzungen des gewerkschaftlich geführten Kampfes.
  • Unter diesen Bedingungen gründete sich die Kraft der Frauenaktion auf ihre Autonomie.
  • Die Erwitter Frauenbewegung ist ein hervorragendes Beispiel für die soziale, politische und intellektuelle Entfaltung, die Frauen erleben, wenn sie gemeinsame Interessen wahrnehmen.
  • Erwitte hat die große Bedeutung gezeigt, die ein integrierter, selbständiger Frauenkampf in einer sozialen Auseinandersetzung hat.
  • Der Weg der Erwitter Frauenbewegung belegt exemplarisch die radikal hemmende Rolle, die die Trennung zwischen Familie und Öffentlichkeit im Prozeß des sozialen Fortschritts spielt.
  • Die Entwicklung in Erwitte hat zum Eintritt von Hausfrauen in die Gewerkschaft geführt. Der vom Leben geschaffene Präzedenzfall weist auf eine allgemeine politisch-organisatorische Möglichkeit und Aufgabe hin.

Emmi Kuhlmey