Frauentreff Wilhelmsburg e.V.
1. Teil: Die Entwicklung der Frauenstadtteilgruppen in Wilhelmsburg
Zur sozialen Situation in Wilhelmsburg
Wilhelmsburg, flächenmäßig der größte Stadtteil Hamburgs, gehört zu den Stadtteilen mit geringster Lebensqualität. In Folge des Baus großer Verkehrswege quer durch den Stadtteil, der Entwicklung des Hamburger Hafens und der Gewerbe- und Industrieansiedlung sollte Wilhelmsburg nach Senatsplänen in seinem westlichen Teil in Industrie- und Gewerbegebiet umgewandelt und die Bevölkerung in neu zu schaffende Wohngebiete im östlichen Teil umgesiedelt werden. So entstanden im Osten Wilhelmsburgs in mehreren Schüben Neubausiedlungen, ausschließlich sozialer Wohnungsbau.
Soziale Einrichtungen, die Voraussetzungen für Wohnqualität sind - wie z. B. Kindergärten, -tagesheime, Schulen, Freizeitstätten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Beratungsstellen usw. - wurden nur zögernd und in nicht ausreichendem Maße gebaut. Kulturelles Leben findet kaum statt. Es gibt weder ein Kino noch eine Buchhandlung für die insgesamt 50 000 Einwohner (davon je die Hälfte im östlichen und im westlichen Teil).
Die Bevölkerung im Osten Wilhelmsburgs ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen von ungelernten Arbeitern, Facharbeitern und Handwerkern sowie Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Ein Drittel der Bevölkerung wird nach Angaben des Ortsamtes als »sozial schwach« angesehen.
Frauen, die in Neubaugebieten wie dem Wilhelmsburger Osten leben, sind in der Regel außerhalb ihrer Familien isoliert, enge Nachbarschaftskontakte sind selten. Auch die berufstätigen Frauen haben kaum Kontakte. Die große Anzahl der teilzeitbeschäftigten Frauen, die in der Regel Büros, Schulen und Arztpraxen nach Feierabend putzen, haben durch die Art ihrer Tätigkeit kaum Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen. Isolierung, Fixierung auf Haushalt und Kinder und in der Regel wenig qualifizierte Berufstätigkeit führen bei den Frauen zu geringem Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Durchsetzungsvermögen.
Anstöße für die Entwicklung von Initiativen im Stadtteil
Anstöße für Entwicklung von Frauengruppen und anderen Aktivitäten in Wilhelmsburg sind von verschiedenen Seiten gekommen:
- Durch Aktivitäten im Rahmen einer kirchlichen Gemeindearbeit, die die Verbesserung der Lebensbedingungen im Stadtteil, die Stärkung der Kräfte einzelner in der Durchsetzung berechtigter Lebensinteressen und die Aufhebung von Isolierung der Menschen untereinander zum Ziel hat.
- Durch Einzelinitiativen von Frauen im Stadtteil, die durch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Situation der Abhängigkeit und fehlenden Selbstverwirklichung das Bedürfnis nach Veränderung verspürten, aber schon bald merkten, daß diese Veränderungen nur zusammen mit anderen Frauen zu schaffen waren.
- Durch Frauen, die durch berufliches und/oder soziales Engagement am Stadtteil bzw. an Frauen Interesse an einer Stärkung der Frauenbewegung im Stadtteil haben.
Schon vor Jahren haben Frauen, die generell von den fehlenden sozialen und kulturellen Einrichtungen im Stadtteil am stärksten betroffen sind, in Wilhelmsburg begonnen, durch Eigeninitiative die Misere des Stadtteils auszugleichen:
Eine von der Kirche (bzw. deren Mitarbeitern und Pastoren) angebotene Möglichkeit, Kinderspielstunden einzurichten, wurde von Frauen aufgegriffen, die bald in Selbstorganisation Spielstunden für ihre eigenen und anderer Mütter Kinder durchführten. Die Arbeitsgruppe der Leiterinnen dieser Spielstunden, in der später auch persönliche Fragen der Frauen besprochen wurden, kann als eine der ersten Frauengruppen des Stadtteils angesehen werden.
Da diese Form der Arbeit mit Kindern - wenn auch gering - durch Elternbeiträge honoriert wird, bietet sie für die Frauen eine ansatzweise Verknüpfung von herkömmlicher Frauenrolle und Berufstätigkeit, was ein wichtiger Schritt heraus aus der herkömmlichen Rolle der unentgeltlich Dienenden ist.
Eine ähnliche Form der Selbstinitiative von Frauen ist eine Spielwohnung in einer Neubausiedlung des Stadtteils (Kirchdorf-Süd), in der seit über zwei Jahren das Ziel verfolgt wird, Mütter bei ihren täglichen Einkäufen, Arzt- und Behördenbesuchen usw. für einige Stunden von ihren Kindern zu entlasten, bzw. den Kindern ein gemeinschaftliches Spielangebot zu machen.
Verknüpfung kirchlicher Stadtteilarbeit mit Frauenaktivitäten
Die schon am Beispiel der Kinderspielstunden deutlich werdende enge Verknüpfung der kirchlichen Stadtteilarbeit mit den Frauenaktivitäten wird auch bei anderen Initiativen sichtbar: So wurde z.B. nach dem Bau der Mammut-Siedlung Kirchdorf-Süd von Pastoren und kirchlichen Mitarbeitern sowie anderen Gemeindemitgliedern ein Besuchsdienst in den Neubauwohnungen eingerichtet. Aus diesem Besuchsdienst und anschließenden gemeinsamen Treffen interessierter Bewohner sind u.a. die o.g. Spielwohnung wie auch eine Stadtteilinitiative entstanden. Ebenfalls auf Initiative von Pastoren und kirchlichen Mitarbeitern wurde ein Arbeitskreis für Eltern, Lehrer und Schüler gegründet, in dem über Schulprobleme diskutiert, Informationen aus den verschiedenen Schulen ausgetauscht, Verbesserungsvorschläge erarbeitet und Aktionen geplant werden. Da es bei diesem Arbeitskreis um die Erziehung von Kindern geht, sind auch hier die Frauen in der Mehrzahl.
Die Frauen, die sich in Frauengruppen zusammenfanden, kannten sich z.T. vom Besuchsdienst, von anderen o.g. Gruppen her oder aus einem Elterntraining, das ein Psychologe und eine Pastorin für interessierte Eltern anboten. Vor allem die Frauen hatten Interesse daran, die im Training gemachten Erfahrungen mit sich selbst und in ihren Beziehungen zu Männern und Kindern fortzusetzen. Sie taten sich nach Abschluß des Trainings in Frauengruppen zusammen.
Für viele Frauen bedeutet die Verknüpfung von Frauen- und Stadtteilgruppen eine hohe zeitliche Anforderung. Waren sie erst einmal aus ihrer bisherigen Beschränkung auf Haushalt, Familie und Kinder aufgebrochen zu neuen Aktivitäten, so hatten sie im Nu einen vollen Terminkalender. Diese zeitliche Belastung ist auch heute noch für viele Frauen besonders im Hinblick auf die Beziehung zu ihren Männern ein Problem.
Nachdem sich erst einmal Gruppen gebildet hatten, entstand die Idee eines gemeinsamen monatlichen Treffens und die Idee, an einem bestimmten Tag (Montag) in der Woche gemeinsam mit den Kindern zu kochen und zu essen.
An dem monatlich stattfindenden Treffen - genannt das »Plenum« - nehmen alle an den Frauenaktivitäten interessierten Frauen aus Wilhelmsburg teil. Hier werden Erfahrungen ausgetauscht, Organisationsfragen besprochen und Probleme zwischen den einzelnen Frauen bzw. Gruppen diskutiert, oder es wird einfach gefeiert. Das Montagskochen findet jede Woche in Gemeinderäumen statt. Abwechselnd kochen einige Frauen für etwa 20 Frauen und 20-30 Kinder. Beim gemeinsamen Essen werden
sowohl Neuigkeiten aus dem Stadtteil, politische Ereignisse, Probleme aus den Gruppen oder Probleme, die sich aus der Organisation dieser Montage ergeben, besprochen.
Konflikte innerhalb der Kirchengemeinde um die Form der von Pastoren und Mitarbeitern praktizierten Gemeindearbeit führten dann sowohl zur Bildung einer Gemeindeinitiative, an der die Frauen überproportional und sehr engagiert beteiligt waren, als auch zu Überlegungen innerhalb der Gruppen und beim Plenum, sich organisatorisch unabhängig von Institutionen, insbesondere der Kirche zu machen, deren Räume von den Gruppen genutzt wurden.
Gründung des Vereins Frauentreff
So entstand die Idee, einen Verein zu gründen, eigene Räume anzumieten und einen kulturellen Treffpunkt mit Bücherstube für Frauen und Kinder einzurichten. Gelder für eine Ersteinrichtung der Räume, die die Frauen selbst renovierten, kamen vom Ortsamt bzw. von der Bezirksversammlung. Die laufenden Kosten für den Unterhalt der Wohnung tragen die Frauen des Vereins durch Mitgliederbeiträge selbst. Die Bücher, die im Frauentreff entliehen werden, sind eine Leihgabe der Öffentlichen Hamburger Bücherhallen.
In diesem Frauentreff, der seit September 1977 existiert, treffen sich inzwischen fast alle z. Z. bestehenden Gruppen. Außerdem finden dort das Frauenplenum, Veranstaltungen zu speziellen Themen (medizinische Fragen, Bürgerschaftswahlen, Filme, Frauenhäuser) sowie Frauenfeste statt. An zwei Nachmittagen in der Woche ist die Wohnung für neue interessierte Frauen geöffnet.
Kurse werden sporadisch und je nach Interesse veranstaltet: Ein Töpferkurs und ein Nähkurs fanden bisher statt. Die Gruppen, die im Laufe der letzten drei Jahre entstanden, sind mehr oder weniger Freizeit- und/oder Selbsterfahrungsgruppen. Zum Teil sprechen sie Frauen in bestimmten Lebenssituationen an, wie z.B. die Geschiedenen-Gruppe oder die Mutter-Tochter- Gruppe. In der letzteren besprechen Frauen und ihre Töchter zwischen 6 und 13 Jahren mit einer Psychologin und einer Pastorin spezielle Mutter-Tochter-Probleme. Es werden Rollenspiele gemacht, Familienkonflikte gemeinsam in der Gruppe besprochen und die eigene Erziehung zur Frau/zum Mädchen bearbeitet.
Konflikte und ihre Bearbeitung durch Solidarität
Im Verhältnis von berufstätigen Frauen zu Hausfrauen hat es in bestimmten Situationen Spannungen und Probleme gegeben. Frauen, die berufstätig sind, konnten z.B. nicht so häufig am Montagskochen teilnehmen wie Hausfrauen. Sie wurden von den Hausfrauen z.T. wie müde heimkehrende Ehemänner bewirtet, was beiden Teilen Rollenschwierigkeiten bereitet hat. Auch fühlten sich Frauen aus dem Stadtteil, die sich selbst als gleichberechtigt empfanden, von »professionellen« Frauen (wie Pastorin, Rechtsanwältin, Sozialarbeiterin) als Objekte von Sozialarbeit behandelt. Konkurrenz und Machtkämpfe, die eigentlich in Beziehungen zwischen Frauen nicht sein »dürften«, führten zu Enttäuschungen und teilweise zum Rückzug einiger Frauen aus den Gruppen und Aktivitäten. Insgesamt hat aber die Verbindung der Frauenaktivitäten mit den anderen Stadtteil- und Gemeindeaktivitäten die Entwicklung eines gleichberechtigten, solidarischen Verhältnisses zwischen den Frauen unterstützt. Der gemeinsame Kampf gegen die Versetzung eines Pastors, für kleinere Klassen oder gegen die Verschmutzung einer Siedlung fördert dieses Verhältnis ebenso wie Feste und Tanzabende, so daß ein Gefühl gegenseitiger Anerkennung und Freundschaft trotz unterschiedlicher Ausbildung und Berufsausübung entstanden ist.
Ein wichtiges Problem in der Anfangsphase der Frauenaktivitäten war das Verhältnis zu den Männern. Der generelle Ausschluß von Männern z.B. beim Montagskochen und in der Frauenbewegung sowie als »männerfeindlich« empfundene Äußerungen einzelner Frauen über ihre eigene Beziehung zum Mann bzw. zu Männern generell führten zu Spannungen zwischen den Frauen. Ausschlaggebend waren dabei vermutlich Ängste vor dem Bewußtwerden eigener Schwierigkeiten in der Ehe und entsprechende Abwehr, Ängste vor der Diffamierung als Männerfeindin oder vor radikalen Veränderungen der eigenen Situation bzw. der eigenen Gefühle. Nach Wunsch einiger Frauen sollten die Frauenaktivitäten ohne Konflikte in den bisherigen Lebenslauf integrierbar bleiben. Der bei den verschiedenen Frauen unterschiedliche Wunsch nach Veränderung der eigenen Situation und der Beziehungen sowie die unterschiedliche Konfliktbereitschaft führten aber nur in der Anfangsphase zu Spannungen - inzwischen hat sich das Problem durch die Sicherheit in den Beziehungen zwischen den Frauen verringert.
2. Teil: Selbstdarstellung der Gruppe »Freie Frauen«
Wir sind seit fast einem Jahr eine Frauengruppe. Wir, das sind Marion, Helga, Annelie, Irma, Fritzi, Tina, Elsbeth, Susanne und Petra. Wir sind zwischen 27 und 57 Jahre alt.
Alles Frauen, die alleinstehend sind — außer Petra und Susanne, die einige von uns rechtlich vertreten - mit und ohne Kinder, sogenannte Problemfälle. Wir haben uns zusammengetan, als für uns die Trennung oder Scheidung von unseren Ehemännern anstand. Zwei von uns hatten damals die Scheidung schon hinter sich und wollten in der Gruppe mitmachen, um ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben; zwei andere waren im Stadtteil schon in einer anderen Frauengruppe. Als Gruppe fanden wir uns durch Vermittlung von Frauen, die hier im Stadtteil arbeiten, als Rechtsanwältin, Sozialarbeiterin etc. Zur Zeit entsteht auf ähnliche Weise eine neue Gruppe mit alleinstehenden Frauen, in die auch diejenigen Frauen gehen können, die im Laufe des Jahres in unserer Gruppe hatten mitmachen wollen.
Wir treffen uns wöchentlich am Freitagabend in der Frauenwohnung des Vereins »Frauentreff Wilhelmsburg«. Für uns ist dieser Freitagabend ein sehr wichtiger Termin. Für die Berufstätigen beginnt an diesem Abend das Wochenende, d.h. plötzlich haben sie Freizeit. Für die nicht Erwerbstätigen, die sogenannten Nur-Haus-Frauen, die also ständig den Haushalt und die Kinder um sich haben, für die auch am Wochenende keine Frei-Zeit ist, ist es eine Wohltat und Bereicherung, das alles hinter sich zu lassen und Gesprächspartnerinnen zu haben.
Da wir alle einmal eine »heile« Familie hatten, unsere Ehemänner uns jedenfalls ständig beansprucht haben, kam das Alleinsein - auch wenn wir es selbst gewollt hatten - sehr plötzlich auf uns zu. Nach den langen Ehejahren fiel es uns schwer, etwas mit uns alleine anzufangen. Genauso schwierig war es aber, herauszugehen und neue Kontakte anzuknüpfen. Das Zusammensein am Freitagabend überbrückt die anfängliche Leere und nimmt uns etwas die Angst vor dem Alleinsein am Wochenende. Wir helfen uns gegenseitig, mit diesen Gefühlen fertigzuwerden, und jede trägt zum Gelingen des Abends bei, was sie geben kann.
Anfangs waren wir alle in der Gruppe unsicher und aufgeregt - einige von uns hatten lange Zeit wenig oder gar keinen eigenständigen Kontakt zu anderen Menschen gehabt. Wir trauten uns oft nicht, etwas zu sagen - »warum sollte das, was ich sagen will, die anderen interessieren?« -, aber bald entdeckten wir, daß wir viele Gemeinsamkeiten miteinander haben. Oft eine ähnliche Situation in der Jugend, gleiche Erwartungen und Vorstellungen, als wir jung waren, ähnliche Erfahrungen in der Ehe und danach. Das hat viel Stoff für Gespräche gegeben.
Wir besprechen häufig auch unsere aktuellen Probleme. Fast alle müssen wir seit der Trennung von Sozialhilfe leben. Es ist für uns sehr schwer, uns gegenüber dem Sozialamt mit unseren berechtigten Forderungen durchzusetzen. Da ist es gut, Erfahrungen und Tips auszutauschen und auch einmal eine Frau zu haben, die uns auch praktisch zur Seite steht. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß wir manche Schwierigkeiten leichter lösen oder verkraften können, wenn wir in der Gruppe darüber sprechen können. Aber wir wälzen nicht nur immer Probleme, sondern wollen auch einfach miteinander Freude haben. Wir klönen miteinander, kochen zusammen oder gehen auch einmal aus.
Aus unseren Erfahrungen raten wir allen Frauen in der gleichen Situation, sich zusammenzutun. Da oft Ehekrisen und Scheidungsabsichten nach außen geheimgehalten werden, sollten sich Frauen auf der Suche nach einer Gruppe an Frauen wenden, die andere Frauen in dieser Lage kennen. Das sind wahrscheinlich Rechtsanwältinnen, Sozialarbeiterinnen, Lehrerinnen,
Pastorinnen, vielleicht Eheberatungsstellen. Und vor allem andere Frauengruppen und Frauenberatungsgruppen. Vielleicht hilft auch ein Anschlag in großen Geschäften oder eine Anzeige in den Frauenzeitschriften.
3. Teil: Selbstdarstellung der Beratungsgruppe
Seit Sommer 1976 besteht die Wilhelmsburger Frauenberatungsgruppe innerhalb des evangelischen Beratungszentrums im Wilhelmsburger Bahnhofsviertel. Entstanden ist diese Beratungsgruppe aus den eigenen Erfahrungen der beratenden Frauen. Sie fühlten sich selbst durch Gespräche mit anderen Frauen, zum Beispiel in Selbsterfahrungsgruppen, selbständiger, selbstbewußter und tatkräftiger. Diese Erfahrungen und Fähigkeiten aus dem Beruf wollten sie gern weitergeben. Denn gerade in Wilhelmsburg leben viele Frauen isoliert voneinander und haben Schwierigkeiten in Familie und Ehe. Wir fanden es wichtig und gut, daß fast alle Mitglieder der Beratungsgruppe einen Bezug zum Stadtteil hatten (als Pastorin, als dort niedergelassene Rechtsanwältin, als Lehrerin, als Hausfrau in einer Wilhelmsburger Mieterinitiative, als Ärztin usf.).
Zunächst, im Winter 1975/76, versuchten wir eine Pro familia-Beratungsstelle für Wilhelmsburg zu initiieren. Wegen mangelnder Gelder schlug das fehl. Wir schlossen uns dann dem evangelischen Beratungszentrum für Ehe-, Familien- und Lebensfragen an. Dort arbeitete bereits ein Psychologe mit Pastoren und Sozialarbeitern der sehr aufgeschlossenen Kirchengemeinde. Durch die Mitarbeit in einer kirchlichen Stelle sahen wir uns nicht eingeschränkt. Im Gegenteil, denn dieses Zentrum wird bei vielen Leuten dort geschätzt, weil sich die kirchlichen Mitarbeiter mit ihrer Arbeit an denBedürfnissen der Wilhelmsburger orientieren und sich nicht mit frommen Worten begnügen.
Anfangs sorgten wir gegenseitig für eine ausreichende fachliche Ausbildung und Beratung. - Während eines Stadtteilfestes stellten wir uns mit einem Stand und Flugblättern in verschiedenen Sprachen vor. Die meisten Frauen kommen über Mundpropaganda, Mitarbeiter der Kirche und über das Anwaltsbüro zur Beratung. Wir beraten mittwochs von 18.00 bis 20.00 Uhr, wenn notwendig sind wir auch an anderen Tagen zu erreichen. Die Beratungen werden immer zu zweit und möglichst mit Tonbandaufnahme zur eigenen Kontrolle durchgeführt.
Die Ärztinnen informieren z.B. über Empfängnisverhütung, Schwangerschaft usw., die Rechtsanwältinnen über Scheidungsfragen, Unterhaltsrecht usw. Eine Sozialarbeiterin des Ortsamtes gibt Auskunft über soziale Unterstützung in verschiedenen Fällen. Zusätzlich üben wir uns unter Anleitung einer Psychologin in den Grundlagen der Gesprächstherapie. Diese Stunden werden auch gebraucht, um Spannungen innerhalb der Gruppe zu besprechen und zu beseitigen.
Wir sind jetzt seit eineinhalb Jahren 8 Frauen, die beständig und gut zusammenarbeiten. Zwischen den meisten sind die Kontakte untereinander außerhalb der Beratungs- und Koordinationszeiten aus Zeitmangel nicht sehr groß, was wir alle bedauern.
Im Mai 1977 erhielten wir auf Antrag der evangelischen Kirche die Genehmigung, soziale Beratungen nach §218 durchzuführen. Dies gaben wir in einer kleinen »Pressekonferenz« den lokalen Zeitungen bekannt. Die Ärzte in Wilhelmsburg wurden mit einem Brief informiert. Die §218-Beratungen nehmen aber in der Gesamtzahl der Beratungen nur einen kleinen Teil ein (anders als für Wilhelmsburg erwartet). Die teilweise konservativen Ärzte scheinen ihre Patientinnen lieber zu Fürsorgern ins Ortsamt als zu einer Frauengruppe zu schicken. - Gelegentlich führen einige von uns auch Beratung über Empfängnisverhütung und Sterilisation in anderen Frauengruppen und vor Schulklassen durch.
Konflikte in Familie und Ehe oder eine Scheidung sind der häufigste Grund für ein Aufsuchen der Beratungsstelle. Wir versuchen dann zusammen mit dem (Ehe-)Partner und den Kindern eine Klärung oder Verbesserung der Situation zu erreichen. Besonders hilfreich ist es für uns, daß wir die Frauen oder auch Familien in bestehende Gruppen weiterleiten können. Z.B.
können die Frauen der »Geschiedenen-Gruppe« ihre speziellen Probleme zusammen besprechen und eventuell lösen, sich gegenseitig durch Unternehmungen aus der Einsamkeit helfen.
Wir Frauen der Beratungsgruppe haben seit Mai 1978 Hilfe bei schwierigen Beratungen und persönlichen Problemen durch eine Psychologin. Mit ihr treffen wir uns einmal in der Woche. Das bringt jeder einzelnen eine Menge guter Gefühle und stärkt außerdem die Zusammengehörigkeit. Nachdem die Beratungsstelle so erfolgreich angelaufen ist, hat Pro familia nun Interese an einer Zusammenarbeit in Wilhelmsburg geäußert.
Müttergruppe Rodgaustraße
»Wir brauchen hier im Wohngebiet eine starke Gemeinschaft«
Eine Selbstdarstellung
Das Wohngebiet Rodgaustraße/Messeler Straße besteht hauptsächlich aus Familien mit vielen Kindern. Die meisten haben soziale Schwierigkeiten. Von diesen Familien gehen die Kinder überwiegend in Sonderschulen. Vor ca. 5 Jahren richtete die Stadt Darmstadt in einigen Räumen die Lern- und Spielstube ein. Hier kann vor allem den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen werden. Die Kinder gehen dort sehr gern hin.Die frühere Leiterin dieser Lern- und Spielstube lud damals alle Eltern ein, um mit ihnen die Probleme ihrer Kinder zu besprechen. Wir Eltern lernten uns durch diese gemeinsamen Abende etwas besser kennen. Daraus entstand unsere Müttergruppe, die mittlerweile aus 8 bis 10 Frauen besteht. Wir Mütter besprechen alle Nöte und Sorgen des Wohngebietes. Bei uns fehlten zum Beispiel Spielplätze im Wohngebiet; so besprachen wir, wie wir zu einem neuen Spielplatz kommen könnten, denn wo so viele Kinder sind, muß auch für Spielplätze gesorgt werden. Wir überlegten, wo ein großer Spielplatz hinkommen könnte. Nicht weit, am Rande des Wohngebietes, liegt ein großer Acker. Nun unternahmen wir die ersten Schritte, um das Stück Acker zu bekommen. Wir sammelten Unterschriften und gingen damit zum stellvertretenden Bürgermeister in Darmstadt-Arheiligen (Bezirksverwaltung). Diesem trugen wir unsere Sorgen vor. Er stimmte unserem Vorschlag zu und leitete unser Schreiben weiter. Wir hatten aber kaum eine Hoffnung!
Doch das lange Warten lohnte sich. Wir bekamen Antwort, daß dieses Ackergelände für einen Spielplatz freigestellt würde. Unsere Freude war groß. Als wir nun rangingen, unseren Spielplatz auszugestalten, sammelten wir überall gute Vorschläge. So fuhren wir mit den Kindern nach Frankfurt, um zwei große Spielplätze zu besichtigen. Die Kinder hatten riesigen Spaß und wollten gar nicht nach Hause. So wurde uns erst richtig klar, wie nötig so ein großer Spielplatz für unser Wohngebiet ist. Denn alle Kinder spielen gern, und durch Spielen lernen sie sich richtig kennen.
Der Spielplatz soll mit stabilen Spielgeräten ausgestattet werden, die wir zum Teil auch selbst bauen wollen. Damit sind wir auch nicht ganz von der Stadt abhängig. Der Spielplatz ist noch nicht fertig, und wir haben noch ständig Gespräche mit Herren von der Stadt.
Wir beteiligten uns auch an den Bewohnerfesten, bei denen wir einen Flohmarkt veranstalteten. Der Erlös von dem letzten Bewohnerfest ist für den Spielplatz vorgesehen, denn dies kommt ja all unseren Kindern zugute. In unserem Wohngebiet gibt es auch viele ältere Menschen. Wir wollten diesen auch eine Freude machen. So backten wir Kuchen, kochten Kaffee und schmückten die Lernstube (weil diese die einzigen dafür geeigneten Räume im Wohngebiet sind) aus, um die älteren Menschen zu einem gemütlichen Nachmittag einzuladen. Doch unsere Mühe wurde wenig belohnt, denn es kamen nicht sehr viele.
Jedes Jahr zu Weihnachten veranstalten wir mit der Lern- und Spielstube zusammen eine Weihnachtsfeier für alle Kinder im Wohngebiet. Dafür werden wochenlang vorher Geschenke gebastelt, immerhin gibt es ca.100 Kinder in dem entsprechenden Alter. Auch für uns selbst machten wir eine Weihnachtsfeier, wo wir bei Gebäck und Wein saßen und Gesellschaftsspiele spielten. Dies hielten wir alles mit Bildern fest, so haben wir noch lange eine schöne Erinnerung.
Im November 1977 waren wir auf einer Frauentagung der Landesarbeitsgemeinschaft für soziale Brennpunkte in Hessen. Dort lernten wir die Probleme anderer Gruppen kennen und hörten, was diese so alles machen.
Wir haben nun beschlossen, in unserer Gruppe monatlich einen geringen Beitrag zu nehmen. Dieser Beitrag soll dann für bestimmte Zwecke verwendet werden, entweder wir gehen mal gemeinsam Essen oder ins Theater, oder wir machen einen Ausflug, woran sich alle beteiligen sollen. Für nächstes Jahr überlegen wir, ob wir nicht eine gemeinsame Freizeit planen sollen, zu der wir Mann und Kinder mitnehmen wollen. Die Kinder sollen von Studenten betreut werden, so daß wir Mütter einige ruhige Stunden am Tag haben.
In letzter Zeit haben wir auch bestimmte Themen besprochen. Wir besprachen auch die Sozialhilfeprobleme, wer dafür berechtigt ist, welchen Anspruch der einzelne hat. So waren wir uns einig, bei Kleiderbeihilfen Bargeld zu fordern, denn wir sehen nicht ein, daß wir mit Gutscheinen einkaufen gehen sollen. Das bedeutet eine Diskriminierung. Wir wollen genauso behandelt werden wie andere auch und nicht wie Menschen zweiter Klasse. Wir können nichts dafür, daß wir in einer solchen Wohngegend wohnen. Wir würden gerne mit anderen Gegenden tauschen, aber wer will schon Familien mit vielen Kindern???
Auch können wir nicht die teuren Mieten bezahlen, da meistens nur ein Elternteil arbeiten geht, denn der andere muß die Kinder beaufsichtigen. Bei uns fehlen halt ausreichende Kinderbetreuungsstätten und Räume, wo die Jugendlichen sich treffen können. Doch für diese sozialen Dinge hat die Stadt angeblich kein Geld. Und wenn sie endlich die Notwendigkeit einsieht, für diese Gebiete etwas zu tun, wie jetzt zum Beispiel mit dem Bau einer Kindertagesstätte mit Hort und Jugendräumen, ist dies schon gleich wieder zu klein geplant. Wo so viele Leute mit sozialen Problemen wohnen, muß mit größeren Mitteln geholfen werden.
Das sehen leider noch nicht alle ein, sonst würden auch mehr Frauen und Mütter in unsere Gruppe kommen und uns unterstützen. Wir werden nicht aufhören zu werben, um wieder neue Frauen für die Gruppe zu gewinnen. Denn alle Frauen in unserem Wohngebiet haben Probleme, die wir gemeinsam doch besser lösen können. Wir könnten gemeinsam die Probleme besprechen und Lösungen überlegen. Durch gemeinsamen Erfahrungsaustausch kann vielleicht eher jemandem geholfen werden. Wenn viele so denken würden, kämen wir auch zum Ziel. Wir brauchen hier im Wohngebiet eine starke Gemeinschaft, denn wenn wir alle zusammenhalten, können wir gemeinsam unsere Probleme und Sorgen lösen. Nur in einer großen Gemeinschaft sind wir stark!
Kontaktadresse:………….
Geschichte und Bilanz der Frauengruppe Presberger Straße
in Wiesbaden
Eine Selbstdarstellung
Die Frauengruppe wurde im Mai 1977 gegründet. Eigentlich gab es uns schon vorher, nur nicht in dieser Zusammensetzung. 1976 hatte sich im Wohngebiet (einer ehemaligen Obdachlosensiedlung) ein Kreis »alleinerziehender Mütter« gebildet, da es bei uns besonders viele ledige, geschiedene und verwitwete Mütter gibt. Einige aus unserer Gruppe lernten sich damals in diesem Kreis näher kennen. Als wir dann eine Frauengruppe aus Marburg einluden, um Kontakt zu anderen Frauen in sozialen Brennpunkten aufzunehmen und Erfahrungen mit ihnen auszutauschen, machte die Marburger Frauengruppe auf uns einen ziemlich starken Eindruck. Nach einem Gegenbesuch in Marburg entschlossen wir uns, selber eine Frauengruppe zu gründen. Das war der Beginn. Wir waren damals 7 Frauen im Alter zwischen 22 und 58 Jahren.
Anfangsschwierigkeiten
Zuerst trafen wir uns noch unregelmäßig und nur zu besonderen Anlässen. Damals wurde über persönliche Probleme noch kaum gesprochen. Ein verständliches Mißtrauen hinderte den offenen Austausch bei Konflikten. So wurde denn auch gleich zu Beginn die Verschwiegenheit als wichtigste Voraussetzung zur Zugehörigkeit in der Gruppe gewertet. Die Gruppe gab sich selbst Regeln. Ein Hinaustragen von Problemen aus der Gruppe sollte den Ausschluß zur Folge haben. So sollte gewährleistet sein, daß sehr persönliche oder intime Probleme in der Gruppe besprochen werden könnten, ohne daß befürchtet werden mußte, daß die Angelegenheit durch nachbarliches Geschwätz im Wohngebiet verbreitet wurde. Von der Gruppe wurde Schutz erwartet. Aber das Mißtrauen, das wir im Lauf unseres Lebens gelernt haben und das uns als Schutzmantel dient, blieb lange in unserer Gruppe. Ein sehr zurückhaltendes Aneinander-Herantasten und ein langsames Vertrauen-zueinander-Gewinnen bestimmte lange Zeit die Atmosphäre. Wir wagten uns noch nicht an heiße Eisen. Viele Themen, besonders auch Sexualität und Partnerschaftsprobleme, blieben eher Zwiegesprächen vorbehalten. Wir hoffen, dies ändert sich mit zunehmendem Vertrauen und ermöglicht uns, noch offener über persönliche Schwierigkeiten zu sprechen.
Ziele
Eigentlich wußten wir uns anfänglich keine rechte Zielsetzung zu geben, wir wollten nur unter uns sein, mal raus aus den vier Wänden, mal mit Frauen sprechen, die in einer ähnlich schwierigen Situation leben (die meisten von uns sind Sozialhilfeempfängerinnen, die der Kindererziehung wegen keinen Beruf erlernen konnten und zur Zeit teilweise noch bis zu 9 Kinder zu versorgen und erziehen haben oder aufgrund von Krankheit oder Früherwerbslosigkeit von Sozialhilfe leben müssen). Wer die Regelsätze der Sozialhilfe kennt, weiß, was das für uns bedeutet. Geselligkeit und Gespräche standen also eher im Mittelpunkt als nach außen gerichtete Aktionen.
Zur Zeit der Gründung bestanden bereits Kontakte zum Verband alleinerziehender Mütter (VAM) mit Besuch und Gegenbesuch und Teilnahme an deren Frauenstammtisch. Außerdem bestanden Kontakte zur Ärztin der Pro-Familia-Station, die auch zu mehreren Treffen kam. Zum Wiesbadener Frauenzentrum gab es nur flüchtige Kontakte im Zusammenhang mit dem VAM und mit einer Unterschriftenaktion für eine junge Frau, die ihre Wohnung verlieren sollte. Aber die stark emanzipatorische und eher männerfeindliche Haltung der Frauen aus diesem Zentrum sprach uns nicht so an, noch dazu haben wir ganz andere Probleme. Interessiert waren wir dagegen an dem aus dem Frauenzentrum hervorgegangenen »Verein zum Schutz mißhandelter Frauen«, der ein Frauenhaus für Wiesbaden plant. Da das Problem mißhandelter und geschlagener Frauen in unserer Siedlung eine nicht unerhebliche Rolle spielt, unterstützen wir diese Gruppe und luden sie zu einem regionalen Frauentreffen ein.
Anfang 1978 trafen wir uns mit Frauen und Frauengruppen aus anderen Wiesbadener Sozialen Brennpunkten und initiierten das »Regionale Wiesbadener Frauentreffen«. Bisher kamen vier regionale Treffen zustande. Themen an diesen Abenden waren u.a. Sozialhilfeprobleme, Wohnungs-und Sanierungsfragen, Kindergeld (das ja bekanntlich bei Sozialhilfeempfängern als Einkommen angerechnet und somit von der Sozialhilfe abgezogen wird), außerdem Frauenfragen, Partnerproblematik, Mißhandlungen, Scheidungen und das geplante Frauenhaus in Wiesbaden. Zielsetzung bei dieser Außenkontaktaufnahme war neben der Festigung der eigenen Gruppe unser Bedürfnis nach Austausch, nach Stärkung durch Solidarisierung mit mehreren Frauengruppen, um durch einen städtischen Zusammenschluß auch gemeinsam an die Öffentlichkeit treten zu können und als Verhandlungspartner für Politiker wichtiger zu werden. Im Herbst 1978 ist ein großes Treffen der Sozialen Brennpunkte Hessens in Wiesbaden geplant, und wir werden gemeinsam mit den Frauen des regionalen Treffens einen Infostand zur derzeitigen Situation in der Sozialhilfe machen.
Die Idee zu dem regionalen Frauentreffen wurde beim 1. Hessischen Frauentreffen der LAG Sozialer Brennpunkte Hessen e.V. geboren, an dem sich Frauengruppen aus den verschiedensten Brennpunkten Hessens im Herbst 1977 getroffen hatten. Wir fanden bei dieser Tagung diese Anregung so gut, daß wir sie in die Tat umsetzten. Bei diesem Frauentreffen, das auf der Domäne Hohlenfels im November 1977 stattfand, standen folgende Themenbereiche im Vordergrund:
1. Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Frauengruppen,
2. Filme und Diskussion über den § 218 und Frauenhäuser,
3. Sozialhilfeprobleme.
Drei von uns arbeiteten in der Vorbereitungsgruppe mit, drei von uns fuhren dann zu der Tagung.
Aktivitäten und Aktionen
Angeregt durch die Marburger Gruppe und ihren Erfolg gegenüber der Behörde, schrieben wir wegen einiger Mißstände einen Brief an den Leiter des Sozialamtes. Allerdings brachte das nicht viel - die Antwort, gut gemeint, blieb weitgehend ohne Folgen. Im Mai nahmen einige von uns an einer Wochenendfreizeit für Mütter und Kinder teil, die inhaltlich von uns mit vorbereitet war. Das Zusammensein bei diesem Wochenende stärkte die Beziehungen untereinander, und da wir uns mit unseren Kindern sehr wohl in dem Feriendorf gefühlt haben, nahmen wir auch in diesem Jahr Anfang Mai wieder an einer Wochenendfreizeit teil, die unter dem Thema »Kreativität und Spiel« stand. Gemeinsam mit den Kindern organisierten wir einen Jahrmarkt mit Zirkus. Das Fest war ein voller Erfolg.
Zur Zeit versuchen wir mit einer Unterschriftenaktion, im Wohngebiet die Errichtung einer Ampelanlage zu erreichen. Um Geld für unsere Arbeit zu erhalten und um mal gemeinsam ausgehen zu können, führten wir Kleider- und Spielzeugbasare durch. Im Wohngebiet werden in jedem Jahr verschiedene Feste veranstaltet. Jedesmal waren Frauen aus unserer Gruppe im Festkomitee. Die Einnahmen, die wir an den Ständen (Flohmarkt, Kleider- und Handarbeitsbasar, Kuchen- und Getränkestand u.a.m.) erzielten, gingen an die Bewohnerkasse, von der jeweils für das Wohngebiet die nächsten Feste, Ausflüge (Schiff- und Busfahrten) finanziert werden. Hier sehen wir auch in Zukunft einen unserer Aufgabenbereiche.
Für diesen Sommer haben wir die Herausgabe eines Faltblattes »Frauen im Wohngebiet« geplant, in dem wir in verschiedenartiger Weise auf siedlungsspezifische Probleme eingehen wollen — mit Interviews, Lebensbeschreibungen, Informationen, Anzeigen etc. Wir hoffen, dabei auch Frauen anzusprechen, die noch keinen Zugang zu einer Frauengruppe gefunden haben und glauben auch, daß dann Frauen, die sich in einer Notlage befinden, sich eher an die Frauengruppe wenden. Wir möchten gerne helfen, können aber oft nichts tun, da viele Frauen dies eher als Einmischung in persönliche familiäre Angelegenheiten verstehen und sich Streitfälle oft auch kurzfristig von selber regeln.
Wir würden uns freuen, wenn uns eine Frauengruppe mal schreiben würde.
Kontaktadresse:……
Projekte von und für Frauen im sozialen Bereich
Videoarbeit mit Frauen im Falkenhagener Feld[1]
Meine Motivation, mit zwei Arbeiterfrauen ihren Alltag und ihre Lebensumstände mit Video zu dokumentieren, möchte ich mit einer persönlichen Vorbemerkung begründen.
Mein Interesse an der Zusammenarbeit mit Inge B., Hausfrau, verheiratet, 8 Kinder, und Christa S., Lagerarbeiterin, geschieden, 3 Kinder, war nicht in erster Linie dadurch bestimmt, daß ich ihre besondere Situation als Frau im
Blickfeld hatte. Ich hatte nicht wie sie Erfahrungen als Arbeiterin und Mutter gemacht, noch konnte ich mich nach meinem damaligen Verständnis mit ihrer Situation als Hausfrau identifizieren. Mein Anliegen war es vielmehr, mit Video erst einmal zu untersuchen und zu dokumentieren, wodurch der Alltag dieser beiden Frauen in proletarischer Lebenslage bestimmt ist und welche Versuche Inge und Christa machen, die Integrität ihrer Persönlichkeit zu wahren.
Inge und Christa habe ich im Zusammenhang meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in einem Freizeitheim des Falkenhagener Feldes kennengelernt.[2] Der Kontakt zu Inge hat sich über die Kinder und auf ganz unkomplizierte Art und Weise ergeben. Christa war dagegen zurückhaltender.
Als ich sie vor zirka fünf Jahren das erste Mal besuchte, um mit ihr über den damals 14jährigen Sohn zu reden, schlug sie mir die Tür vor der Nase zu und beantwortete meine pädagogischen Intentionen mit den Worten: »Was - Probleme haben die Jugendlichen? Die habe ich auch, und wer hilft mir!« Ihren Sohn konnten wir damals in einem Prozeß wegen Autodiebstahl unterstützen und eine drohende Heimeinweisung verhindern. Damit war das Eis gebrochen und Christa froh, daß sie sich erst einmal den ganzen Ballast von der Seele reden konnte.
Vor zwei Jahren bereitete ich meine Diplom-Arbeit an der PH Berlin vor und bat beide Frauen aus diesem äußeren Anlaß, ihren Alltag mit Video dokumentieren zu dürfen. Die Zustimmung von Inge und Christa habe ich zunächst als ein Geschenk an mich verstanden, ohne recht zu wissen, welches Interesse wir eigentlich persönlich füreinander haben. Rückblickend würde ich heute sagen, daß das Vertrauen von Inge und Christa eine Herausforderung darstellte, mich mit meiner sozialen Herkunft, meinen Privilegien, aber auch meiner Selbstentfremdung und meiner Situation als Frau auseinandersetzen zu müssen. Für Inge und Christa bedeutete die Videoarbeit ganz einfach eine Abwechslung vom täglichen Trott und eine Möglichkeit, sich selber darzustellen.
Meine Neugier, die Lebensumstände dieser beiden Frauen zu ergründen, war für mich auch eine Möglichkeit, von den aktuellen Ereignissen meiner Lebenslage Abstand zu gewinnen und den Sinn für wesentliche Aspekte der sozialen Realität nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. In umgekehrter Weise konnte ich durch meine ganz anderen Lebensumstände auch ein Stück Freiheitsbedürfnis und den Wunsch nach Veränderungen in den Alltag von Inge und Christa hineintragen. Nachdem ich mit beiden Frauen abgesprochen hatte, welche Ausschnitte ihres Alltags wichtig sind, aufgezeichnet zu werden, begleitete ich sie jeweils an 5 Tagen mit der Videokamera. Die für die Videofilme notwendigen Informationen sollten durch Gespräche mit anderen mitarbeitenden Frauen besorgt werden.[3]
Nach dem ersten Zusammenschnitt des Videofilms »Christa, Lagerarbeiterin«, den ich zunächst für eine adäquate Analyse der Alltagssitution von Christa S. hielt, war durch ihre Kritik und die von anderen Frauen[4] klar geworden, daß in der übergewichtigen Darstellung der Arbeitssituation die persönlichen Belange zu kurz gekommen waren. Christa drückte ihre Kritik so aus: »Du hast in mir nur die Frau als Arbeiterin sehen wollen. Dabei wäre es mir wichtig gewesen, anderen Frauen mitzuteilen, wie schwer, aber auch wie wichtig es ist, eine Scheidung durchzustehen, wie da so die Probleme sind!« Dadurch, daß ich in Christa vor allem die abhängige Lohnarbeiterin gesehen hatte, fühlte sie sich zu Recht in ihrer Persönlichkeit beschnitten. Ich hatte sie, wenn auch ungewollt, zum Objekt fester Ordnungen gemacht, obgleich sie in bezug auf die Scheidung, wie sie selber sagte, ein Stück Befreiung und Selbständigkeit erkämpft hatte.
Um wenigstens im Nachhinein nicht eine homogene Aussage im Videofilm vorzutäuschen, die Widersprüche offenzulegen und das Verhältnis von Medienarbeiterin und gefilmter Person zu problematisieren, haben wir diese Kritik wie ihre Ergänzungen und Kommentare zu den ersten Schnittfassungen in den Videofilm mit aufgenommen. Dabei sind wir so vorgegangen, daß wir uns Teile der Videodokumentation zusammen angesehen und unsere Gespräche dazu wieder mit Video aufgezeichnet und in der darauffolgenden Schnittfassung verarbeitet haben. Hierbei kam uns das Medium Video zur Hilfe; denn durch die technische Möglichkeit der Rückkoppelung[5] war für Christa eine Korrektur- und Antwortmöglichkeit gegeben und insgesamt eine Kontrolle für alle Beteiligten gewährleistet. Wichtiger Bestandteil dieser Videodokumentation mit Christa S. ist daher nicht nur die Beschreibung ihres Alltags und ihrer Befreiungsversuche, sondern auch die Art und Weise, wie diese Dokumentation zustande kam.[6]
Inhalt und Darstellungsform des Videofilms »Christa, Lagerarbeiterin:
«Teil I: Dokumentarische Beschreibung eines Arbeitstages. Christas Arbeit im Lager einer Keksfabrik und zu Hause. Kurze Darstellung des Ortes und der Schul- bzw. Arbeitssituation der Kinder.
Teil II: Montage von Gesprächen, die wir zu verschiedenen Zeiten aufgenommen haben: über Christas ökonomische Lage als Haupternährerin ihrer drei Kinder, die im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen für vergleichbare Arbeit als Nebenverdienerin eingestuft wird; über die Schwierigkeiten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, weil der Betrieb zu klein ist; über ihre Situation als geschiedene Frau und ihre Wünsche in bezug auf die Erziehung der Kinder und die Verbesserung ihrer ökonomischen Lage.
Teil III: In einer ungeschnittenen Einstellung beschreibt Christa, wie sie sich zusammen mit den Kolleginnen gegenüber den Schikanen und Spaltungsversuchen eines Vorarbeiters zur Wehr setzt.
Fazit: Die Schwierigkeit, Christas Alltagssituation in ihrem Sinne angemessen zu erfassen und parteilich darzustellen, bewirkte ein Nachdenken über meine anderen Alltagserfahrungen und Verarbeitungsweisen. Daraus folgte in Zusammenarbeit mit Vroni Bauriedl später eine zweite Videodokumentation zum Thema »Hausarbeit« aus den Bändern, die schon 1976 mit Inge, Hausfrau, entstanden waren.[7]
Politische Bildung für Frauen
In den letzten Jahren entstanden in fast allen Städten der Bundesrepublik Kurse zur politischen Bildung für Frauen an den Volkshochschulen. Maßgeblichen Einfluß auf diese »neue« Form der Erwachsenenbildung hatten zweifelsohne engagierte Frauen, die in der Erwachsenenbildung tätig und in der Frauenbewegung aktiv sind. Die Einführung solcher Kurse verlief allerdings nicht ohne Widerstand und ohne Auseinandersetzung. Es heißt zwar im Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen: »Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln«;[1] wenn es jedoch darum geht, diese Prinzipien mit geeigneten Formen für die Einbeziehung von Frauen in die Erwachsenenbildung durchzusetzen, wird entweder von »Damenkränzchen« geredet oder in Frage gestellt, daß Frauen überhaupt politische Bildung brauchen. Trotz umstrittener Existenzberechtigung haben heute solche Gesprächskreise zur politischen Bildung für Frauen einen beachtlichen Zulauf. Wieso eigentlich politische Bildung für Frauen?
Wenn die Bildungsangebote der Volkshochschulen - gerade auch von Hausfrauen - häufiger genutzt werden als von Männern (1975 waren zwei Drittel der Volkshochschulbesucher Frauen), so muß man zweierlei feststellen:
das Bildungsangebot ist überwiegend an den Bedürfnissen der sozial besser gestellten Frauen ausgerichtet,
der Frauenanteil in Politik, Mathematik und Naturwissenschaften ist am geringsten.[2]
Zum Vergleich: Frauenanteil der Besucher:
Gesellschaft und Politik: | 46,4% |
Mathematik, Naturwissenschaft, Technologie: | 41,3% |
Hauswirtschaft: | 91,9% |
Gesundheits- und Körperpflege: | 76,2% |
Aus dieser gewissen Abstinenz gegenüber politischer Bildung ergibt sich die Frage: Wie können Frauen für die politische Bildung gewonnen werden?
Bisher ist es so, daß Frauen aufgrund ihrer Sozialisation, ihrer größeren Hemmungen und nicht zuletzt der Inhalte der politischen Bildung sich nicht trauen, an politischen Kursen teilzunehmen. Sie trauen sich nicht, weil sie mit ganz anderen Lebensvoraussetzungen belastet sind (alltägliche Probleme des Haushalts und der Kindererziehung z.B.), weil sie einen gewissen Nachholbedarf haben, der in den üblichen Kursen nur noch krasser zum Ausdruck kommt, weil sie meist die Erwachsenenbildung unter dem Gesichtspunkt sehen - wie kann ich diese für die Familie verwerten?
Frauengesprächskreise sollen dagegen Frauen ansprechen, indem sie die Lebenssituation der Frauen stärker berücksichtigen (z.B. Gesprächskreise am Vormittag für die Hausfrauen im Stadtteil und mit Möglichkeiten der Unterbringung kleiner Kinder im Kindergarten), indem sie den gängigen Begriff der »Politik« erweitern (es handelt sich also nicht nur um die »große«
Politik, die in Bonn gemacht wird, sondern um die Einbeziehung der alltäglichen Probleme, mit denen die Frauen konfrontiert werden).
Wie sieht es in der Praxis aus?
Bericht über einen Frauengesprächskreis für Hausfrauen am Vormittag.
Sie sind vierzehn Frauen zwischen dreißig und sechzig Jahre alt. Sie haben ihre Kinder großgezogen bzw. ihre Kinder im Augenblick in Kindergärten oder Schuleinrichtungen untergebracht. Einige möchten gerne wieder arbeiten, aber sie wissen, mit der »Arbeitsmarktlage« sieht es nicht günstig aus, besonders wenn man eine Frau ist. Andere haben den Anschluß ans Berufsleben verpaßt und sehen keine Chance mehr: »Mit vierzig Jahren ist man hier bereits ein altes Eisen«, sagt eine Frau bitter.
Sie sitzen da wie auf der Schulbank. Sie wollen sich weiterbilden, wollen etwas mit ihrer neugewonnenen Zeit anfangen. Einige suchen bessere Argumente für die Diskussion zu Hause, in der Familie: Denn Mann und Kinder beanspruchen einen ganz schön, wenn sie mit ihren Fragen und Problemen kommen, mit ihren Erlebnissen, denen man wenig entgegensetzen kann außer dem tagtäglichen Kram aus den vier eigenen Wänden. Sie suchen Kontakte, wollen die Isolation der Hausarbeit durchbrechen. Die Unterhaltung ist lebhaft. Die Frauen diskutieren ihre Probleme. Eines verbindet sie: eine gewisse Unzufriedenheit mit der eigenen Lage und der Wunsch, daran etwas zu ändern.
Sie erkennen, daß ihre Probleme gar nicht so privat und einzigartig sind, daß diese sogar höchst brisante und politische Fragen enthalten, daß die sogenannte große Politik sie sehr wohl betrifft. Sie hören die Gesichtspunkte der anderen und lernen dabei Toleranz; sie lernen, sich zu artikulieren und ihre Probleme zu formulieren, sie lernen, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und sich eigene Urteile zu bilden. Worüber diskutieren sie?
Es dreht sich meist um brennende Fragen wie Kindererziehung, Schulprobleme, wachsende Arbeitslosigkeit. Mal wird zusammen ein Film gesehen, diskutiert und kommentiert, mal wird eine Ausstellung besichtigt. Die Erörterung persönlicher Probleme im Zusammenhang mit der Diskussion allgemeinerer Fragen trägt dazu bei, das Interesse für allgemeinpolitische Fragen zu fördern und das oft sehr große Bildungsdefizit[3] zu verringern. Frauen werden motiviert, sich mit allgemeinpolitischen bzw. mit lokalpolitischen Ereignissen zu beschäftigen. Dies zeigt sich u.a. darin, daß Frauen von sich aus Zeitungsnotizen bringen, Hinweise auf Veranstaltungen, und daß oft ein regelrechtes »Sich-Gegenseitig-Informieren« entsteht.
Durch die Diskussion über Möglichkeiten des Engagements werden Frauen dazu ermutigt, in Bürgerinitiativen oder in Fraueninitiativen aktiv zu werden, bzw. als »Multiplikationsfaktoren« selber zu wirken, indem sie zu Hause Diskussionsabende organisieren.
Eine Frau berichtet: »Seit ich am Frauengespräch teilnehme, habe ich auch Mut, in die Mieterinitiative einzutreten und der Wohnungsgesellschaft Forderungen zu stellen, an die ich früher im Traum nicht gedacht hätte«.[4] In Gesprächskreisen für berufstätige Frauen am Abend ist die Motivation und der Wunsch, sich mit Problemen der Frauenbewegung, der Frauenerwerbstätigkeit zu beschäftigen, meist viel größer als bei Hausfrauen; dafür tritt die Suche nach Kontakten - bedingt durch die gesellschaftliche Stellung - in den Hintergrund, die bei den Hausfrauen fast immer das Hauptmotiv bildet. Hier wollen sich die Frauen informieren. Sie haben bereits einen ersten, wichtigen Schritt gemacht: abends zu einem Gesprächskreis zu kommen - was meist nicht ohne Auseinandersetzung mit dem Freund, mit der Familie und mit der eigenen Rolle als Frau geht und mit familiären Konflikten verbunden sein kann.
Zielsetzung politischer Bildung für Frauen:
Es kann hier nicht darum gehen, einen Debattierklub zu bilden, der wenig mit der Lebenswirklichkeit der Teilnehmer zu tun hat, noch eine Zufluchtstätte, in der die Frauen zeitweilig ihre Probleme vergessen. Es geht darum, den Frauen zu helfen, die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu erkennen, unter denen ihre Probleme entstehen und ihr Bewußtsein für die Zwiespältigkeit ihrer Situation (als Hausfrau, Mutter und eventuell berufstätige Frau) zu schärfen. In der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen gesellschaftlichen Situation werden Möglichkeiten der Bewältigung sichtbar.[5]
In diesem Erkennen gesellschaftlicher Zusammenhänge gewinnen die Frauen an Selbstvertrauen und bauen Vorurteile ab. Bei den Hausfrauen ist z.B. das Vorurteil gegenüber der Müttererwerbstätigkeit besonders ausgeprägt - gestärkt durch die Kampagnen der Massenmedien im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktsituation. In der Diskussion zeigt sich meist das Nicht-Kennen der Probleme, der Situation der erwerbstätigen Frauen.
Durch die Informationsvermittlung und die Erörterung der Problematik ergibt sich zumindest eine tolerante, verständnisvolle Haltung gegenüber berufstätigen Frauen, wenn nicht die Einsicht in gewisse Vorteile der Berufstätigkeit (soziale Unabhängigkeit vom Mann, größere Selbstsicherheit etc.) und das Erkennen gemeinsamer Interessen.
Politische Bildung für Frauen erschöpft sich nicht in der Vermittlung von Informationen, sondern verbindet diese mit der Erkenntnis von der Notwendigkeit, sich zu engagieren, um die eigene Situation zu ändern, um formal zugestandene Rechte durchzusetzen. Dabei sollte erkannt werden, daß die Durchsetzung eigener Interessen verbunden ist mit den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, und wie wichtig die Fähigkeit zum solidarischen Handeln ist. Politische Bildung bedeutet dann politische Handlungsfähigkeit.
»Lieber ledig als erledigt«
Feministische Mädchenarbeit*
(* Der Artikel erschien unter dem Titel »Was macht Mädchen so stark?« in: Sozialmagazin 9/1978)
Jugendarbeit ist traditioneller Weise Jungenarbeit, da sie sich vornehmlich an den »Aggressiven«, den »Auffälligen« orientiert. Die Tatsache, daß sich engagierte Pädagogen besonders um gesellschaftlich benachteiligte Gruppen bemühen, nutzt den Mädchen nichts. Mädchen »profilieren« sich nur selten in einer Weise als »kaputt« und »deviant«, die den üblichen Rastern entspricht. Ob Sozialisationstheorie oder Praxisberichte - es geht meist nach wie vor geschlechtsspezifisch und undifferenziert um »Arbeiterjugendliche«, »aggressive Jugendliche« oder schlicht »Jugendliche«-gemeint sind in allen Fällen Jungen. Die Mädchen werden nicht beachtet bzw. ihre Probleme werden unter die der Jungen subsumiert. Bestenfalls wird konstatiert, daß den Pädagogen zu den Mädchen wenig einfällt.
Mit Interesse konnten und können die Mädchen immer dann rechnen, wenn es um Sexualität geht.Als z.B. im Zuge antiautoritärer Bemühungen Sexualtabus abgebaut werden sollten, und Verhütung ein zentrales Thema war, gab es auch praktische Versuche (z.B. Verteilen von Pillen in Jugendfreizeitheimen), die den Mädchen nutzen sollten. Der emanzipatorisch gemeinte Versuch, zu einer menschlicheren Sexualität zu kommen, dürfte sich auf die Mädchen allerdings nicht selten als weiterer Druck auswirken, permanent für die Jungen verfügbar zu sein. Gleiches gilt für Abtreibungskampagnen, bei denen es um »praktische Lösungen« geht und die psychischen und physischen Auswirkungen auf die Mädchen als Nebensache betrachtet werden.
Die Situation wird z.B. in Freizeitheimen deutlich: Dort treten Mädchen meist nur als Anhängsel von Jungencliquen auf. Sie können da ihre »Chancen« als z. B. kumpelhafte Freundin oder als rezeptive Geliebte bis hin zur »Bratröhre« oder zum »Flittchen« testen. Trotzdem brachte es früher dem Pädagogen keine Anerkennung bei den Kollegen ein, wenn er/sie sich mit den Mädchen beschäftigte und schon gar nicht, wenn das Augenmerk ausschließlich auf die Mädchen fiel, ohne den angeblich notwendigen Zusammenhang zu den Jungen gleich mit herzustellen. Also über Abtreibung zu reden wurde begrüßt - denn das konnte ja auch mal zum Problem für einen Jungen werden, Gespräche über die eigene Sexualität mußten aber weiterhin »illegal« auf dem Mädchenklo geführt werden.
Alles, was nur die Mädchen betraf, galt als »bürgerlicher Ansatz«, denn »Jungen und Mädchen gehören doch nun mal zusammen und nur gemeinsam werden sie gegen die kapitalistischen Machenschaften, die ihre Lebensrealität einengen, angehen können* ...«. *Der Artikel erschien unter dem Titel »Was macht Mädchen so stark?« in: Sozialmagazin 9/1978.
Doch die vielen (Ver)Gewalt(igungs)formen, die die Mädchen (und auch wir Frauen) auf dem »Weg zur Revolution« über sich ergehen lassen mußten und müssen, die galten als faux pas, als »mensch(männ)liche Schwäche«. Oder »die Mädchen wollen es doch nicht anders, sieh dir die Pfanne doch an...«
Da nickten dann oft auch die Pädagoginnen, denn wer sich so »unemanzipiert aufdonnert«, ist ja fast eine Schande für uns Frauen, und das, obwohl frau »doch bestimmt schon 3mal den Mädchen erklärt hatte, daß sie für die Jungen Sexualobjekt sind. Mädchenarbeit ja, - aber ausgewogen...« für manche Sachen können Männer doch wirklich nichts und sollen die armen Arbeiterjungen jetzt für Emanzipationsversuche herhalten?«
Solche Aussagen sind zwar noch lange nicht antiquiert, doch mit zunehmendem neuen Selbstverständnis, das sich die Frauen erkämpft haben, trat ein Wandel in vielen sozialwissenschaftlichen Bereichen ein. Mittlerweile werden Mädchengruppen in den Jugendheimen toleriert, ja sogar begrüßt. Sie haben jedoch auch heute in vielen Fällen noch Feigenblattfunktion, denn Männer werden so zu »feministischen Gönnern«, zu den hoch im Kurs stehenden »Softies«, die so tun, als hätten sie nichts zu befürchten, und Frauen kommen oftmals bequem an einer Aufarbeitung ihrer eigenen Realität vorbei und ihr Image als »Mädchenarbeiterin« schützt sie oft vor Stellungnahme, denn da »mischt man(n) sich eben erstmal nicht ein«.
Bei dieser Form geschlechtsspezifischer Jugendarbeit fehlt eine grundsätzliche Übereinstimmung der arbeitenden Frauen in bezug auf:
- Lernziele
- Methoden
- Kommunikationsformen
- Reflexion unserer eigenen Person als Frau und Pädagogin etc.
Auf dem Hintergrund unserer praktischen Erfahrungen mit 12- bis 16jährigen Hauptschülerinnen[1] versuchen wir feministische Jugendarbeit in Abgrenzung zur traditionellen Mädchenarbeit zu definieren.[2]
»Schicksal« - und die Alternativen
Aufgrund unserer relativ geringen Interventionsmöglichkeiten bei den Mädchen sind wir gezwungen, auf Depotwissen zu spekulieren, hoffen also, daß sie im entscheidenden Moment in der Lage sind, ihre Stärken zu aktivieren - auch ohne uns. Unsere didaktischen Bemühungen zielen darauf, eine Verbindung herzustellen zwischen einerseits der zukünftigen Lebensrealität der Mädchen, als den objektiven Verhältnissen - und andererseits den vor Schulende aktuell notwendigen Schritten, als Teil der individuellen Realitätstüchtigkeit.
Dabei gehen wir von der Selbsteinschätzung der Mädchen und ihren subjektiven Interpretationen der Verhältnisse aus. Wir versuchen, den Zusammenhang zwischen individuellem »Schicksal« und gesellschaftlichen Gegebenheiten klar zu machen, dabei unterschiedliche Reaktionen zu erfassen und vom feministischen Standpunkt her Alternativen zu entwickeln.
Die Einstellung zum späteren Leben ist bei Jugendlichen mit 13-16 Jahren weitgehend festgelegt durch die berühmt berüchtigte Kernfamilie, Schul(miß)erfolg und die gesamte Berieselung von Meinungsmache und Normen.
Mit den Verarbeitungsformen werden wir ständig in der Praxis konfrontiert:
- Bei den Jungen mit der ängstlichen Zurückgenommenheit der »Schlaffies«, dem motzigen Imponiergehabe der »Kings« und der kindlichen Nicht-zur-Kenntnisnahme derjenigen, die nicht recht erwachsen werden (wollen).
- Bei den Mädchen durch trotziges »ihr könnt mir alle mal«, braves »der Herr wird's schon fügen« und demonstrative Unzugänglichkeit nach der Melodie von »es geht ein Schiff nach irgendwo«.
Als grundlegende Tendenz weiblicher Verarbeitung der düsteren Realität gilt bei den meisten Mädchen die Projektion eigener Wünsche und Ansprüche auf den Mann, so daß Fantasie, Kreativität und Energien nicht auf ein selbstbestimmtes Leben, sondern auf die Wahl des »richtigen« Partners gerichtet sind (möglichst auf jemanden irgendwo zwischen Bruce Lee und Winnetou).
Auch vor sich selbst versuchen sie ihre Identitätslosigkeit zu verbergen, indem sie sich über die Identität durch den Freund eine »leihen«. Dafür akzeptieren sie alle möglichen Gewaltformen in der Beziehung. Sie entwickeln einen stillen Fatalismus, der sich in vielfältig autoaggressiven Verhaltensweisen äußert.
Doch so unbewußt wie oft vermutet ist den Mädchen ihre desolate Situation nicht. Viele haben sich bereits genau Gedanken über mögliche Ausbruchsformen aus ihrer Situation gemacht. Auf die Frage hin, mit welchen Mitteln sie sich vorstellen könnten, sich zu wehren, kamen folgende Aussagen:
- Nie heiraten,
- keine Kinder von ihm kriegen,
- Verweigerung von Hausarbeit und Bett,
- wenn der Mann nichts macht, muß ich mich eben trennen und sehen, wie ich es alleine schaffe,
- mit den Männern kann man Pech oder Glück haben, wenn es schief geht, bleibt immer noch das Sozialamt,
- abhauen, wenn der Freund brutal wird, laß ich mir das nicht gefallen...
Doch die Mädchen haben im seltensten Fall die Sicherheit, Gewaltformen als gegen sich gerichtet begreifen zu dürfen. Sogar Prügelszenen werden oft als »Beachtung« oder »Anerkennung« interpretiert.
Bei soviel »weiblicher« Frustrationstoleranz fragen wir uns, wie die Vorstellungen der Mädchen über den »Zukünftigen« geprägt werden durch
- ihre Erfahrungen in der Familie und
- ihre Erfahrungen mit Freunden.
Brüder und Väter
Familie: Ihre Einschätzung des Vaters in der eigenen Familie schwankt zwischen völliger Ablehnung (»wenn's nach mir ginge, könnte der tot sein...« oder »für mich ist der längst gestorben, der ist nur zu faul umzufallen...«) und sanfter Toleranz (»er ist ganz in Ordnung«). Von der nachpubertären Schwärmerei für den Vater, die von der Psychoanalyse für Mädchen in dem Alter als klassisches Reaktionsmuster angegeben wird, ist bei unseren Hauptschülerinnen jedenfalls nichts zu verspüren. Insgesamt spielt der Vater für die Mädchen keine eindrucksvolle Rolle. Sie fürchten ihn, wenn er blau ist, haben aber längst genügend Tricks entwickelt, um ihm in solchen Situationen zu entkommen.
Für Gespräche aller Art ist meist die Mutter da. Häufig bestimmt sie auch über das Taschengeld der Töchter. Dazu kommt, daß ein hoher Anteil der großstädtischen Hauptschülerinnen mit einer »alleinstehenden Mutter« oder mit häufig wechselnden Vätern zu tun haben. Wenn anstelle des Vaters z.B. ein Freund der Mutter in der Familie mitversorgt wird, wird er besonders schonungslos kritisiert, vermutlich weil dann die Schranken »töchterlichen Respekts« ganz wegfallen.
Die Rolle der Brüder ist schwer einzuschätzen, sie spielen in den Erzählungen und Darstellungen der Mädchen seltener eine Rolle. Sie können als kleine Tyrannen der Geschwister auftreten, aber auch bei gewalttätigen Vätern als Hilfe der Mutter und Beschützer der Schwester. Daß Brüder in der Regel kaum Haushaltspflichten, aber viele Rechte haben, ärgert die Mädchen zwar, wird aber letztlich hingenommen. (Oft versuchen sie diesen Frust zu kanalisieren, indem sie in Rollenspielen einen besonders »tollen großen Bruder« darstellen wollen.)
Nach den Darstellungen der Hauptschülerinnen sind die Männer in der Familie in keiner Weise das Vorbild für ihre Träume vom künftigen Glück. Ausnahmen sind die »stark angepaßten« familienorientierten Mädchen aus nach formalen Kriterien intakten Familien. Sie sagen zumindest nicht, daß sie nicht so leben wollen wir ihre Eltern. Die Wirkung der Männer in den Familien liegt eher darin, daß die Mädchen Ansprüche und Verhalten, die sie einschränken, akzeptieren oder zumindest tolerieren lernen und dadurch Wünsche gar nicht erst aufkommen lassen. Welche Möglichkeiten sie sehen, eigene Wünsche durchzusetzen und welche Ansprüche sie überhaupt für legitim halten, dürfte stark vom Vorbild der Mutter oder anderer Frauen in der Familie abhängen.
Mütter und Töchter
Leider existiert zwischen Müttern und Töchtern häufig ein »kaputtes« Verhältnis. Das ist eine aufgrund der recht- und machtlosen Situation der Mutter, - schlimmer noch der Tochter - in der Familienhierarchie leicht erklärbare Tatsache. Für die Mädchen aber wird es gerade unverständlich, wenn wir versuchen, in den »weiblichen Schwächen« die Stärken der Mütter zu entdecken. Ihr »Mutterhaß«, der oft anstelle von Solidarität zwischen Frauen in der Familie herrscht, verstärkt bei den Mädchen ihre Meinung, nur »Ausnahmefrauen« (also Frauen in Positionen relativer Stärke) zu akzeptieren. Ein Satz wie »Frauen gemeinsam sind stark« würde bei ihnen sicher Verständnislosigkeit auslösen, denn sie sind Betroffene in einer frauenfeindlichen Umwelt und ihre in vielen Punkten frauenverachtenden Einstellungen setzen diese Tradition fort und verhindern erst einmal, daß sie ein weniger verächtliches Verhältnis zu sich selbst und damit auch zu anderen Frauen
bekommen.
Diskrepanz zwischen Freund und »Mann«
Freunde: Der größte Teil der Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren hat noch keinen festen Freund und oft erst wenige sexuelle Erfahrungen (wenn man »rumknutschen« abrechnet). Am häufigsten in diesem Alter sind die Mädchen mit den Jungen aus der eigenen Schulklasse zusammen - da herrschen meist sehr aggressive Verkehrsformen. Ein Teil der Mädchen leidet auch offensichtlich unter der Ruppigkeit der Jungen, die viel sexuelle »Anmacherei« enthält, und reagieren ängstlich oder »zickig«. Ein anderer Teil der Mädchen wirkt in solchen Situationen selbstbewußter, verbal schlagfertiger und manche kontern bestimmten Jungen sogar mit Ohrfeigen und Tritten. Grundsätzlich könnte man sagen, daß sie sich gegen die Jungen, die sie selbst nicht so ernst nehmen, ganz gut wehren können, und diese oft sogar als Testperson für ihre sexuellen Reize benutzen.
Anders wird das bei den Mädchen, die einen »festen« Freund haben bzw. verliebt sind. Berichte aus Jugendwohngemeinschaften bestätigen, daß manche Mädchen gegenüber männlichen Mitbewohnern zwar sogar die Teilung der Hausarbeit durchsetzen, aber ihrem Freund die Hose bügeln und die Wäsche waschen.
Es ist wohl weniger die »Liebe, die da dumm macht«, sondern immer wieder setzt sich das tradierte Rollenbild in den Zweierbeziehungen voll durch. Dennoch kritisieren sie bei Gesprächen in der Mädchengruppe ihre Freunde kräftig, sind aber schnell dabei, alles wieder zurückzunehmen und klar zu machen, welch tolle Seiten der Freund »trotz allem« hat, denn sie merken plötzlich, daß sie sich durch die Kritik am Freund den Boden ihrer eigenen Identität weggraben.
Sie zwingen sich selbst zu diesen Anpassungsleistungen, weil sie im Gegensatz zu Jungen darauf ausgerichtet sind, sich als »Hälfte« zu begreifen.
Die Diskrepanz zwischen dem, was als »Prinzip Mann« verkauft wird und dem, was Jungen/Männer tatsächlich zu bieten haben, fällt natürlich auf - wie sie verarbeitet wird, hängt vom Grad der Anpassung der Mädchen ab.
Eine andere Gruppe von Mädchen sind die, die einen festen älteren Freund außerhalb der Schulklasse haben. Es scheint, als seien sie vor allem damit beschäftigt, in dieser Liebe ein paar von ihren Träumen wiederzufinden. Ob sie sich den Freund allerdings erst zurechtträumen müssen oder davon absorbiert werden, mit dem vorhandenen Freund zurechtzukommen, sind nur Varianten der Fixierung auf Jungen.
Ob mit oder ohne konkretem Objekt: Ihre Hoffnungen und Anstrengungen richten sich in erster Linie auf Männer. Das mindert zwangsläufig den Wert von Freundschaften zu Mädchen, denn es ist klar, daß eine Mädchenfreundschaft nie das von einer Hetero-Zweisamkeit zu erwartende Glück und die Sicherheit aufwiegen könnte.
Selbständig durch Berufstätigkeit?
Auf der Suche nach Möglichkeiten, das Selbstbewußtsein der Mädchen zu stärken und Alternativen zur Abhängigkeit vom Mann zu überlegen, bietet sich theoretisch an, daß sie einen Beruf erlernen. Gerade die Frauen, die sich selbst ihre Identität zu einem wesentlichen Teil über Berufstätigkeit haben aufbauen können - was für viele von uns Pädagoginnen gilt —, wollen die Mädchen oft ihre eigene Entwicklung nachvollziehen lassen: eigenes Geld verdienen, sich qualifizieren, zumindest einige Wertschätzung von Kollegen/innen erfahren und damit auch emotional weniger von einem Mann abhängig zu sein.
Wenn dann die Mädchen ihre Interessen nicht voll begreifen, erscheinen sie den Pädagoginnen geradezu als dumm. Unserer Erfahrung nach akzeptiert ein großer Teil der Mädchen die Notwendigkeit einer Berufsausbildung nur oberflächlich und beschäftigt sich viel stärker mit der »privaten« Zukunft.
Hauptschülerinnen erklären zwar auf Befragen durchweg, daß es auch für eine Frau wichtig sei, einen Beruf zu haben und die Ansicht veraltet sei, daß Mädchen sowieso heiraten, aber diese Einsicht scheint nicht auf eine eigene Erkenntnis zurückzugehen, sondern wirkt oft wie antrainiert.
Als konkrete Gründe für einen Beruf nennen sie meistens ein mögliches tragisches Schicksal, z.B. der Mann verunglückt tödlich oder wird Invalide. Außerdem sollte eine Frau gegen eine Scheidung gewappnet sein. Der Gedanke, generell vom Mann unabhängig sein zu wollen, ist ihnen offenbar sehr viel weniger einsichtig als unser einem.
Nur relativ wenig Mädchen zeigen ein Interesse, sich in das Terrain der »Männerberufe« hineinzuwagen. Statt dessen stehen in der Rangfolge Traumberufe wie Tierpflegerin, Kinderkrankenschwester, vielleicht noch Arzthelferin oben an. Können sie diese Berufsvorstellungen nicht durchsetzen, stellen sie sich auf das »Machbare« um - »dann eben Verkäuferin im Zoogeschäft oder Küchenhilfe im Krankenhaus«.
Natürlich sind die Mädchen auch stark an qualifizierten Lehrstellen interessiert, da sie aber nie davon hören, daß im Umkreis der Hauptschülerinnen jemand eine solche Lehrstelle hat ergattern können, kämpfen sie auch nicht darum, denn »da kann ich ja gleich im Lotto spielen...« Was an dieser Haltung subjektiver und was gesellschaftlicher Anteil ist, läßt sich schwer trennen, weil die »individuelle« Überlebensstrategie (Traum-Mann statt Vertrauen in die eigene Person) und die gesellschaftlichen Mißstände einander bedingen.
Auf die generelle Benachteiligung von Frauen im Beruf braucht hier wohl nicht extra eingegangen zu werden. Für die Hauptschülerinnen sieht die berufliche Zukunft jedenfalls so aus:
- Schlechte Chancen bei der Lehrstellensuche, obwohl Mädchen nachweislich bessere Schulabschlüsse als Jungen haben. (Ihre Anpassung an Schulanforderungen bringt ihnen also, wenn es ernst wird, nicht einmal Vorteile.)
- Höhere Arbeitslosenquoten, die durch das fragwürdige Ausweichen auf »weiterführende« Schulen (wie das Berufsgrundbildungsjahr für Büroberufe) und »freiwilligen Verzicht« auf bezahlte Arbeit (statt dessen Mitarbeit im elterlichen Haushalt) noch verschleiert werden.
- Eingeengte Berufswahl, denn tatsächlich sind viele Berufe für sie nicht zugänglich. Viele Lehrbetriebe erklären zwar auf Befragen, daß sie »grundsätzlich nichts gegen Mädchen haben...«, aber Jungen werden eben vorgezogen.
Entscheiden sich dagegen Jungen verstärkt für einen »Frauenberuf«, so wird dieser gesellschaftlich aufgewertet, aus der Friseuse wurde so der Coiffeur oder gar Haar-Stylist.
Angesichts dieser Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt fällt es schwer, den Mädchen die Vorteile von Berufstätigkeit gegenüber dem Hausfrauendasein mit voller Überzeugung darzustellen. Berufstätigkeit kann der erste mögliche Schritt der Mädchen auf dem Wege zu einer autonomeren Lebensweise sein, in den meisten Fällen wird er aber erstmal die Doppelbelastung bringen, denn eine erkämpfte Lehrstelle bedeutet noch lange keine Arbeitsteilung im Haushalt.
Dazu kommt, daß die relative Unabhängigkeit von Mann/Freund bei Berufstätigkeit durch eine neue Abhängigkeit vom Chef eingetauscht wird, allerdings mit dem kleinen, aber wichtigen Unterschied, daß z.B. eine Sekretärin Anspruch auf Lohn hat, wenn sie ihrem Chef Kaffee kocht.
Was feministische Mädchenarbeit heißen soll
»Eine feministische Arbeit mit Mädchen ist in jedem Fall parteilich und an ihren Interessen und dem Wunsch nach einer eigenen Identität orientiert. Feministisch steht hier also erst einmal nur für parteilich, denn es gibt nicht die feministische Theorie, die uns sagt, wie Mädchenarbeit auszusehen hat«.[3] Anstatt auf eine Theorie als Legitimation, beziehen wir uns auf unsere eigenen Erfahrungen als Frauen, die bewußt zu einer kämpferischen Parteilichkeit führen müßte. Denn wir sind genau wie die Mädchen betroffene Subjekte in einem Lernprozeß, der auf alternativem Handeln aufbaut.
Doch bevor wir anfangen zu handeln, müssen wir mit den Mädchen auf Entdeckungsfahrt gehen- besser noch auf Aufdeckungsfahrt. Wir müssen die Dinge, die uns einengen oder fertigmachen, aufdecken und benennen. Damit müßte eine Phase der Sensibilisierung und Selbstbehauptung einhergehen. Wir versuchen in den »Schwächen« der Mädchen die Stärken zu sehen (viele »Schwächen« werden von den Männern schon lange als Stärken erkannt und auch ausgenutzt, wie z.B. die berühmte weibliche Emotionalität, aber dennoch weiter als »Schwäche« definiert, um damit Frauen das Gefühl von Stärke zu verweigern).
Mädchen brauchen Selbstbewußtsein, doch:
»Was macht Mädchen so stark, was gibt ihnen genügend eigenes Selbstwertgefühl, daß sie auf Anpassung an weibliche Rollenanforderungen verzichten können? Und das ist eine Frage nach realen Alternativen im Lebensbereich und nicht nur nach veränderten Bewußtseinsformen«.[4] Viele soziale Verhaltensweisen, die von Mädchen selbstverständlich praktiziert werden, werden ignorant für »dämliches Getue« erklärt.
Zum Beispiel Gruppentanz
Immer wieder erleben wir auf Feten im Jugendfreizeitheim oder in Discotheken, daß die Mädchen brav in Gruppen tanzen; alle machen das Gleiche, das ganze erinnert an's Hamburger Fernsehballett. Auch die Kleidung wird, wenn möglich, aufeinander abgestimmt. Die selbstherrlichen Interpretationen mancher Kollegen/innen sind dann oft: »Sieh dir die Marionetten an« oder »wo bleibt denn da die Kreativität der einzelnen...« bis hin zu »guck mal, Stumpfsinn läßt grüßen...«.
Die Jungen stehen derweil entweder lässig am Rande (»mit den Kumpels saufen ist doch viel schöner«) oder aber, wenn sie tanzen, dann muß es gleich eine akrobatische Solo-Schüttel-Show sein, sozusagen um zu demonstrieren, was sie »drauf haben«. Diese Shows aber sind autistisch und asozial, das ist immer wieder an der Reaktion der übrigen Tänzer/innen zu sehen, die dann meist die Tanzfläche verlassen und sich gehemmt fühlen mit ihren relativ »schwachen« Darbietungen. So wird Tanz von den Jungen als Ware präsentiert, die Konkurrenz schafft und den Zweck hat, Konkurrenten auszustechen. Das Bedürfnis der Mädchen nach Bewegung zur Musik, die auch Spaß macht, wird ins Lächerliche gezogen. Der Gruppentanz wird bedeutungslos zu Gunsten einer Einzeldarbietung, was für die Mädchen besonders hart ist, da sie zu Hause oft stundenlang solche Tänze einüben, bis es alle »kapiert« haben.
Dabei werden auch die integriert, die sonst nicht tanzen können und sich ohne »Fernsehballett« auf keine Tanzfläche wagen würden. Dieses Beispiel soll zeigen, daß das Lernziel »Soziales Verhalten« und »Gruppenfähigkeit« für die Mädchen viel weniger notwendig ist als für die Arbeit mit Jungen.
Wir können viele Stärken bei den Mädchen finden, wenn wir nur den Mut haben, das traditionelle Stärke-/Schwäche-Schema in Frage zu stellen. Das ist nicht einfach, denn wir müssen plötzlich Verhaltensweisen der Mädchen positiv bewerten (Schminken ist auch Arbeit), die wir gerade mühsam versucht haben zu verlernen. (Die Verkaufsstrategien sind vielfältig und was ist schon der qualitative Unterschied zwischen henna-rotgefärbtem Haar und blondgefärbter Teeny-Welle?)
Damit wären wir an dem Punkt der Bewertung (Verurteilung) verschiedener Verhaltensweisen der Mädchen - die wir oft ablehnen, weil sie in unsere Emanzipationsvorstellungen gerade nicht reinpassen. Aus diesem Dilemma kommen wir nur raus, wenn wir uns gegenseitig stärker akzeptieren, gemeinsam lernen, Diskriminierungen nicht persönlich zu nehmen und daraus keine Konkurrenzen oder Haßgefühle abzuleiten, sondern sie in ihrem allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen, einem
Zusammenhang, von dem alle Frauen betroffen sind.