In diesem Kapitel geht es um die konkreten Lebensverhältnisse von Frauen im Stadtteil - in den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus und in sog. »sozialen Brennpunkten« - und um ihre Möglichkeiten, auf diese Verhältnisse durch (Bürger-)Initiativen, Frauengruppen, Sozialarbeit oder soziale Projekte im Interesse der Frauen Einfluß zu nehmen. Häufig entstehen solche Versuche im Umfeld fortschrittlicher Sozial-, Gemeinwesen- oder Gemeindearbeit und werden fast immer zwangsläufig mit den herrschenden Formen institutionalisierter Sozialarbeit konfrontiert.
Initiativen in diesem »sozialen Bereich« berühren die elementaren Bedingungen und Voraussetzungen der Arbeits- und Lebenssituation eines sehr großen Teils der Frauen in diesem Land: z.B. die Wohnverhältnisse, die Spiel- und Unterbringungsmöglichkeiten für die Kinder, die Schulverhältnisse, die Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche. Wenn in Mieter- und Elterninitiativen insbesondere Frauen aktiv werden und gerade sie sich für die Belange der Bewohner einer Siedlung oder eines Stadtteils einsetzen, so wird darin die besondere Verantwortung sichtbar, die ihnen für die Reproduktion der Familie bis hin zur nackten Existenzsicherung (als alleinstehende Mütter, als Frauen arbeitsloser Männer etc.) zugeschoben wird. Produktions- und Reproduktionsbereich stehen im Leben dieser Frauen in einer besonders eingreifend wirksam werdenden Wechselbeziehung, und die Erfolgschancen von Initiativen dürften um so größer sein, je stärker sie diesen direkten weiblichen Lebenszusammenhang begreifen und in ihren Praxis- und Handlungsansätzen berücksichtigen. Darüber hinaus die Ursachen für die unterprivilegierte sozioökonomische Lage dieser Frauen (insbesondere derjenigen aus der Arbeiterklasse) durch Initiativen- und Frauengruppenarbeit ein Stück sichtbar zu machen, ist offensichtlich weit schwerer.
Alle diese Faktoren finden ihren Niederschlag in den Selbstdarstellungen der Fraueninitiativen im ersten Abschnitt. Am Beispiel des Frauentreffs Wilhelmsburg e.V., der Frauengruppe Presberger Strasse und am krassesten der Müttergruppe Rodgaustrasse wird hier deutlich, wie die Lebensverhältnisse der Frauen zu anderen Aktivitäten und zu einem anderen Selbstverständnis ihrer Arbeit zwingen, als dies z.B. in Frauenzentren der Fall ist. »Noch dazu haben wir ganz andere Probleme«, drückt Brigitte Kappes diese Situation aus.
Mit diesen Not-Hilfs-Gemeinschaften, die für das Leben der Frauen im Stadtteil/in der Siedlung eine wesentliche und oft befreiende Rolle spielen, wird jedoch nirgends jener Anspruch verbunden, »Selbstorganisation und politische Handlungsfähigkeit von Frauen zu erreichen, um zu einer Umgestaltung des Stadtteils und letztendlich der gesamten Gesellschaft zu kommen«, wie von Wolf-Graaf/Jaeckel bezüglich neuer Strategien in der »Mütterarbeit« postuliert.[1]
Um diesen Anspruch geht es auch nicht im zweiten Abschnitt. Rosemarie Blank zeigt den Versuch, mit dem Mittel Video die Lebensverhältnisse unterprivilegierter Frauen abzubilden, und zwar in direkter Zusammenarbeit mit ihnen anstatt über ihre Köpfe hinweg, und wie dieser Versuch zu klassenübergreifender Diskussion zwischen Frauen und zur Weiterarbeit durch Vorführen in Volkshochschulen usf. führt. Florence Herves Bericht repräsentiert die Arbeit zahlloser Frauen in Volkshochschulen, Familienbildungsstätten, Elternschulen, deren mühsame Kleinarbeit viel dazu beiträgt, Bewußtseins- und Einstellungsveränderungen bei Frauen (insbesondere Hausfrauen) in gang zu bringen, an die die Frauenbewegung oft nur schwer herankommt. Naundorf/Savier stehen mit ihrem Versuch feministischer Mädchenarbeit für die vielfältigen Bemühungen von Feministinnen in der Jugend-, Familien- und Sozialarbeit, neue emanzipatorische Praxisansätze zu finden.[2]
Im dritten Abschnitt beschreiben Christiane Flehmig und Cornelia Mansfeld Aktivitäten im Interesse der Benachteiligsten unter den Benachteiligten, der ausländischen Frauen, die nicht am verobjektivierenden Modell karitativer Hilfe orientiert sind. Auf die besondere Situation der mit ausländischen Männern verheirateten deutschen Frauen und ihrer (bereits erfolgreichen) Anstrengungen, Rechtsungleichheit und Diskriminierung abzuschaffen, geht der Beitrag von Irene Hübner ein.
Im letzten Abschnitt schließlich zeichnet Elly Steinmann, Veteranin der Frauenfriedensbewegung, mit großer persönlicher Beteiligung die Geschichte der jahrzehntelangen Kämpfe von Frauen für Frieden und Abrüstung nach - ein Bereich sozialpolitischen Engagements, der hierzulande fast totgeschwiegen wird und daher von besonders gravierenden Wissenslücken gekennzeichnet ist.
Zusammenfassend und abschließend sei festgestellt: Bei Frauen-Initiative in diesem doppelt schwerwiegenden »sozialen Bereich«, die im Rahmen dieses Buches notwendigerweise nur auf wenige Schwerpunkte konzentriert vorgestellt werden konnte, tritt uns auf der einen Seite immer wieder deren traditionelle Definition entgegen, geschickt verpackt in modernes Vokabular. Mit Slogans wie »Frauen werden initiativ«, »Mitmachen macht Mut« oder »Wir Frauen können mehr«[3] werden vor allem »nichtausgelastete« Hausfrauen zum (kostenlosen) Einsatz für Aufgaben aufgefordert, die ihnen schon immer zugeschoben wurden. Unter dem Motto »Was muß man tun, um etwas zu tun« schlägt das Handbuch »Frauen«, herausgegeben vom
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, z.B. vor:
- »man kann sich um einsame, alte Menschen kümmern,
- man kann alkoholkranken Menschen helfen,
- man kann ausländischen Kindern bei den Hausaufgaben helfen,
- man kann - mit anderen Müttern zusammen - abwechselnd Kinder betreuen«.[4]
Im folgenden werden dann als Beispiele eine Spielplatzinitiative, »Hilfe für behinderte Kinder«, »Ein Haus für mißhandelte Frauen« und »Ein Tag - weg vom Kochtopf, frei für mich« vorgestellt.
Solche Ratgeber und Handbücher, die durchaus einen aufklärerischen Touch haben (z.B. bieten sie umfassende Information und Rechtsberatung, die aber mit Sicherheit nicht ihre eigentliche Zielgruppe, nämlich Sozialhilfeempfängerinnen und Bewohnerinnen der sozialen Ghettos erreichen, sondern eher jene Hausfrauen der Mittelklasse, die nach einem Betätigungsfeld suchen) und gewiß dazu beitragen, Frauen-Initiative überhaupt zu fördern (die ich in bezug auf die Erweiterung des Erfahrungsspektrums von Frauen, ihrer Persönlichkeitsstruktur, seltener ihrer Politisierung gar nicht gering einschätzen will), orientieren aber auf ein Frauenbild, dessen höchste Erfüllung in der (meist kostenlosen) Vergesellschaftung ihrer herkömmlichen Frauenrolle besteht, nämlich der ehrenamtlichen Professionalisierung ihrer Reproduktionsarbeit.
Gerade gegen diese Tendenz sozialfürsorgerischer Einspannung der Frauen wenden sich auf der anderen Seite und gegenwärtig in zunehmendem Maße feministische Theorie- und Praxisansätze in diesem Bereich, die ihren ersten organisatorischen Ausdruck fanden in der Gründung des Vereins »Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V.«,[5] der vom 24. bis 26. November 1978 in Köln einen Kongreß zum Thema »Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogischen Berufsfeldern« veranstaltete.
Sozialhilfe in Zahlen
Grundlage für die Sozialhilfe ist das Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Die Leistungen daraus bestehen in der »Hilfe zum Lebensunterhalt«, das
sind die laufenden Lebenshaltungskosten, und der »Hilfe in besonderen
Lebenslagen«. Darunter fallen zum Beispiel Gesundheits- und Kranken-
hilfe, Hilfe zur Familienplanung, für werdende Mütter, zur Pflege und
Ausbildung sowie zur Eingliederung für Behinderte. Aber auch Telefon-
kosten gehören dazu sowie die Hilfe zur Überwindung besonderer
sozialer Schwierigkeiten.
Der »Eckregelsatz« in der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt liegt für
Haushaltsvorstände und Alleinstehende bei 287 Mark monatlich, für
Haushaltsangehörige zwischen 129 Mark (bis zur Vollendung des 7.
Lebensjahres) und 230 Mark (ab 22. Lebensjahr).
Diesen Sätzen liegt ein bescheiden ausgestatteter » Warenkorb« mit dem
Wochen- und Monatsbedarf an Lebens-, Genuß- und Körperpflegemitteln sowie
sonstigen haushaltsbedingten Ausgaben zugrunde. Zum Beispiel ein Brot,
ein Kilo Kartoffeln, 200 Gramm Wurst und 300 Gramm Butter oder Margarine
in der Woche; ein Suppenhuhn, einmal Haarpflege, Porto für vier Briefe, drei
Flaschen Bier und ein Vereinsbeitrag monatlich. Für erwerbsunfähige Personen,
ältere Menschen, werdende Mütter und alleinstehende Eltern gibt es
»Mehrbedarfszuschläge« von 30 und mehr Prozent des Regelsatzes.
Rund 9,6 Mrd. Mark wurden 1976 an Sozialhilfeleistungen für mehr als
zwei Millionen Bundesbürger aufgewendet, davon 62 Prozent Frauen. 36
Prozent der Gesamtausgaben werden als Hilfe zum Lebensunterhalt
gezahlt; 35 Prozent (= 3 Mrd. Mark) an Heime. Mit 15,7Prozent (= 1,3
Mrd. Mark) ist die Eingliederungshilfe für Behinderte an den Sozialleistungen
beteiligt, wovon wiederum der größte Teil, nämlich eine
Milliarde Mark, auf die Hilfe in Heimen und Anstalten entfiel. Bei der
Krankenhilfe (7,4 Prozent Anteil) wurden von den 624 Millionen Mark
354 Millionen für stationäre Hilfsmaßnahmen aufgewendet.
(Aus: Frankfurter Rundschau 16. 8. 78)
Die Frankfurter Sozialhilfegruppe c/o Fachhochschule, Fachbereich Sozialarbeit hat innerhalb eines Projektes »Familienfürsorge« einen »Leitfaden der Sozialhilfe« erarbeitet, der dazu beitragen will, »die Bürokratie zu durchschauen«, »seine Rechte gegen sie durchzusetzen«, »Hilflosigkeit zu überwinden und am Amt sicherer und
fordernder aufzutreten«. Mit einem Unkostenbeitrag von DM 2,50 kann der »Leitfaden« über folgende Adresse angefordert werden: Limescorso 5, 6000 Frankfurt/M. 50.