»Ich folge keiner Mode, und ich will auch nicht, daß man meiner folgt.«
Natalie Cliffobd Barney
»Natalie Clifford Barney gehört zu den wenigen Personen, die man gesehen haben sollte,
wenn man Zeit hat.«
Andre Gide
Als im Jahre 1928 ein anonymer Privatdruck mit dem Titel > Ladies Almanack - verfaßt und illustriert von einer Lady of Fashion< in den Boheme-Kreisen von Paris Furore machte, sprach sich schnell herum, daß Djuna Barnes die Autorin war und welche Ladies sie in ihrem Almanach persiflierte: den legendären Freitags-Kreis um die Amerikanerin Natalie Clifford Barney. Gedruckt hatte den Almanach Monsieur Darantiere in Dijon, dem Sylvia Beach, die Inhaberin der amerikanischen Buchhandlung in Paris, Shakespeare and Companys einige Jahre zuvor den >Ulysses< von James Joyce anvertraut hatte. Die Auflage des >Ladies Almanack< betrug 1050 Exemplare - was die weit verbreitete Ansicht widerlegt, der Almanach sei als reiner Insider-Spaß gedacht gewesen -, von denen Djuna Barnes eigenhändig fünfzig Exemplare kolorierte und zehn signierte. Verlegt wurde das Buch von Robert McAlmon, der wie viele andere Intellektuelle und Literaten aus dem New Yorker Greenwich Village nach Paris gezogen war und mit seinem Verlag Contact Press ebenso wie die Autorin nicht namentlich in Erscheinung treten wollte. Betreut wurde diese erste Ausgabe des Almanachs von dem Journalisten und Verleger William (»Bill«) Bird, der für den Satz verantwortlich war und auch die Preiskalkulation besorgt hatte. Aus den Briefen von Djuna Barnes geht hervor, daß sie den Druck zum größten Teil selber bezahlte und daß es außerdem Subskribenten gab, bevor das Buch in Druck ging.
In New York verkaufte Djuna Barnes den Almanach persönlich, wenn sie als Journalistin und regelmäßige Kolumnistin großer New Yorker Tageszeitungen dort zu tun hatte. In Paris war der Almanach bei Edward W. Titus in der Rue Delambre zu erwerben, verkauft wurde er außerdem von Hand zu Hand im Cafe Dome und in den Häusern der adeligen Freundinnen Natalie Barneys sowie in deren Salon - im Vorwort von Djuna Barnes aus dem Jahre 1972 als »Faubourg« und »Temple« apostrophiert.
1928 war Natalie Clifford Barney, das Vorbild für die Heldin des Buches, zweiundfünfzig Jahre alt und eine der bekanntesten und einflußreichsten Figuren der Pariser Gesellschaft und literarischen Szene. Natalie Clifford Barney, die sich gleichermaßen als Freundin der Männer und Geliebte der Frauen gefiel, hatte eine europäische Erziehung genossen und war, nachdem sie ein Millionenvermögen geerbt hatte, um die Jahrhundertwende aus den USA nach Paris übergesiedelt. Remy de Gourmont, Begründer des renommierten literarischen Magazins Mercure de France< und einer der angesehensten Literaten im Paris der Vorkriegszeit, wurde durch die Begegnung mit Natalie Barney geradezu beflügelt. Er widmete ihr im >Mercure< vierzehntägig seine >Briefe an eine Amazone<. Natalie Barney, bis circa 1910 in der aristokratischen Pariser Gesellschaft nicht ganz salonfähig, wurde durch diese Ehrung fast über Nacht anerkannt. Seither führte sie in ihrer Villa in der Rue Jacob ein offenes Haus, in dem sich alles traf, was Rang und Namen hatte. Dort fanden jeden Freitagnachmittag jene legendären Treffen statt, bei denen sich französischer Adel, französische Künstler sowie die amerikanische und europäische Avantgarde begegnen konnten, wo Lesungen gehalten wurden, aber gleichzeitig auch homosexuelle Männer und Frauen Gelegenheit hatten, Gleichgesinnte kennenzulernen. Natalie Barney besaß das ungewöhnliche Talent, sich ebenso in der Welt Prousts wie in der der Lost Generation zu bewegen. Ihr Salon war eine Institution, und die Liste ihrer Besucher ist beeindruckend: Andre Gide, Marcel Proust, Anatole France, Guillaume Appollinaire, Paul Valery, Jean Cocteau, Paul Claudel, Auguste Rodin, Henri Barbusse, Ceslaw Milosz, Louis Aragon, Rainer Maria Rilke, Gabriele D'Annunzio, James Joyce, Ezra Pound, T. S. Eliot, Ford Maddox Ford, Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald, Colette, Greta Garbo, Truman Capote und viele andere waren ihre Gäste.
Der amerikanische Verleger Samuel Putnam erinnert sich: »Dort fand ich eine Szenerie vor, die mich unmittelbar an das erinnerte, was ich in meiner Jugend über Madame de Stael und Miss Barneys andere illustre Vorgängerinnen gelesen hatte. Da war die Würde, der Witz, die erhabene Ungezwungenheit - alles, außer den gepuderten Perücken, die, so stellte ich es mir vor, die Salons früherer Zeiten charakterisierten. Frankreichs führende Männer des Wortes, Akademiker, Mitglieder von Instituten, Sorbonne-Professoren, schöne Damen sowie eine oder zwei merkwürdige Gräfinnen waren anwesend, wobei die Gastgeberin für alle Erschienenen eine unaufdringliche Rolle spielte, obgleich es offensichtlich war, daß die >Amazone< das Zentrum war, worum sich alles drehte. Man hatte das Gefühl, daß dies in keinster Weise nur auf ihre lange Verbindung mit de Gourmont zurückzuführen war, sondern eher auf das Konto des Charmes ihrer eigenen Persönlichkeit, ihrer wachen Intelligenz, ihres schlagfertigen und manchmal beißenden Witzes, ihrer Herzlichkeit und Güte.«
Andererseits gab es aber auch erfrischend-respektlose Urteile wie das von Truman Capote, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Salon Natalie Barneys als Kreuzung zwischen Gebetshaus und Puff beschrieb und die Saloninhaberin als Agatha-Christie-Miss-Marple-Verschnitt, der er ihre sagenumwobenen »Tausend Affären« nicht recht glauben konnte. Hier allerdings irrte der Dichter, denn Natalie Barney war zeitlebens eine notorische Schürzenjägerin, die ihre polygamen Bedürfnisse radikal auslebte und ihre letzte große Liebe im Alter von siebenundsiebzig Jahren begann.
Natalie war bis in ihre Sechziger Jahre ehrgeizig genug, nicht nur Europäerinnen und Amerikanerinnen zu erobern, sondern verfügte auch über reiche Erfahrungen mit fernöstlichen Schönheiten. Mit dieser >Virilität< hatten Salonbesucher beiderlei Geschlechts manchmal Probleme. Die amerikanische Fotografin und Man Ray-Schülerin Bere-nice Abbott, von Natalie Barneys markigen Sprüchen - »Männer gefallen mir vom Hals aufwärts, Frauen dagegen vom Hals abwärts« -redlich abgestoßen, mied den Salon, und Sylvia Beach wußte von einer Dame, die mit einem Schreiben von Natalie Barney zu ihr kam, zu berichten: »Sie sah überanstrengt aus und zischte mir ins Ohr: >Haben Sie sonst noch etwas über diese unglückseligen Geschöpfe?«
Der amerikanische Dichter William Carlos Williams erinnerte sich, »daß Frauen aller Schattierungen«, die man bei Barney antraf, gelegentlich Vertreter des starken Geschlechts zu ungewöhnlichen Gefühlsausbrüchen hinrissen. »Es wird die Geschichte von einem Mitglied der Abgeordnetenkammer erzählt, einem großen, rotgesichtigen Kerl, der dort nach einem offiziellen Gesellschaftsempfang erschien. Zu seinem Ärger sah er sich von Frauen umgeben, die ihn fröhlich umtanzten, während er verlassen in der Mitte des Tanzbodens stand. Daraufhin knöpfte er seine Hose auf, nahm sein Gerät heraus, schwenkte es nach rechts und links und schrie wutentbrannt: >Ihr habt wohl noch nie so einen gesehen?<«
In ihren mittleren Jahren war Natalie Barney keineswegs eine bemerkenswerte Schönheit, wozu ihre Vorliebe für Süßspeisen beigetragen haben mag. Doch blieb sie Ästhetin, wählte nur ausgesprochen wohlgestaltete feminine Freundinnen und fand maskulin auftretende Lesbierin-nen absurd und lächerlich. »Miss Barney war keine kämpferische Amazone, sondern im Gegenteil eine reizende Frau und immer ganz in Weiß«, schrieb Sylvia Beach. Wenn man bei ihr Damen mit hohen Kragen und Monokel antraf, dann nur, wenn diese über das Renommee der Schriftstellerin Radclyffe Hall und ihrer Freundin Lady Una Troubridge verfügten.
Freilich war auch Natalie Barney keineswegs vor geschmacklichen Entgleisungen gefeit. So plante sie zu Zeiten der Liaison mit der englischen Dichterin Renee Vivien, inspiriert durch eine gemeinsame Reise nach Lesbos, dort die alte sapphische Tradition Wiederaufleben zu lassen und eine Schule für junge, entfaltungsbedürftige Talente zu gründen. Die Liebesgedichte aus der Feder Natalie Barneys hielten dem Vergleich mit dem Idol Sappho ohnehin nicht stand; man lese nur das Widmungsgedicht an ihre langjährige Lebensgefährtin, die Malerin Romaine Brooks, das Natalie Barney ihren >Souvenirs indiscrets< voranstellte:
Romaine, Künstlerin von einsam eigener Art
Dank unsrer Freundschaft ist Vergang'nes
Gegenwart.
Flamme, die mich verzehrt und
dann zum Licht mir ward.
Daneben nehmen sich ihre an Oscar Wilde erinnernden Aphorismen wohltuend unromantisch aus: »Es gibt keine reine Liebe. Es gibt nur die reine Eigenliebe. Und rein ist die Liebe auch nicht.«
Natalie Barney inspirierte zwar bemerkenswert viele Schriftsteller ihrer Zeit zu den unterschiedlichsten Portraits, so etwa Colette, Remy de Gourmont, Liane de Pourgy, Lucie Delarue-Mardrus und Margaret Radclyffe Hall -, das brillanteste und ambivalenteste dieser Portraits schrieb jedoch Djuna Barnes, die Natalie Clifford Barney als Dame Evangeline Musset in ihrem >Ladies Almanach< zur Heiligen und Päpstin von Lesbos stilisiert; in deren weiblichen Sektenmitgliedern konnten sich die Besucherinnen des Salons der Zwanziger Jahre - trotz skurrilster fiktiver Namen — unschwer wiedererkennen.
Seit sich Djuna Barnes und Natalie Barney 1924 kennengelernt hatten, war auch Djuna Barnes regelmäßiger Gast im Salon und gehörte zu den meistgeschätzten Proteges Natalie Barneys. Diese übernahm in den Zwanziger Jahren für Djuna Barnes die Rolle der Mäzenin und nutzte ihre einflußreichen Beziehungen und Kontakte, um Kurzgeschichten, Gedichte und Theaterstücke ihrer Freundin in Literaturmagazinen und Verlagen unterzubringen. Außerdem verhalf sie ihr gelegentlich zu interessanten Interviewpartnern. Gleichzeitig hatte Natalie Barney ein offenes Ohr und Verständnis für Djuna Barnes' komplizierte »grande passion« zu der flatterhaften, faszinierenden Bildhauerin Thelma Wood. Für die verschlossene Djuna Barnes, die im November 1924 an Natalie Barney schrieb: »Ich habe ungefähr drei Freunde in den Staaten, niemanden in England und ein paar Bekannte in Paris«, wurde Natalie Barney zu einer großzügigen und zuverlässigen Freundin, und zugleich zu einer wichtigen Vertrauensperson während der Zwanziger Jahre. Vor diesem Hintergrund ist der Almanach nicht nur ein satirisches Portrait, sondern auch eine Danksagung und gleichzeitig ein verspäteter Hieb gegen Marcel Proust, dessen Bemerkungen über »verliebte Ladies« im ersten Band der >Recherche< sie in einem Brief an Natalie Clifford Barney als »die gemeinste und dümmste Szene in der Literatur« bezeichnete.
Obwohl der Lebensstil der beiden Frauen - schon aufgrund ihrer unterschiedlichen finanziellen Hintergründe - wenig Gemeinsamkeit aufwies, fühlte sich Djuna Barnes der sechzehn Jahre älteren Natalie Barney sehr nah. Djuna Barnes, die es literarisch eher zu den »Alten« zog und die gern mit ihrem »viktorianischen Herzen« kokettierte, war von der aristokratischen Mentalität Natalie Barneys angezogen. Natalie Barney besaß die Radikalität und Souveränität einer modeunabhängigen Pionierin, die ihre private Utopie zu verwirklichen suchte, und Djuna Barnes faszinierte die Kombination von Belle-Epoque-Lebensart, Bildung, Reichtum und amerikanischem Pragmatismus, die Natalie Barney vor übertriebenem Missionierungsgehabe bewahrten.
In den Dreißiger Jahren veränderte sich Djuna Barnes zunehmend. Aus der lebenshungrigen, schlagfertigen, brillanten Partygängerin wurde eine mißtrauische Frau, die nur noch für ihre schriftstellerische Arbeit lebte und den wenigsten alten Freunden vertraute. Sie war häufig im Ausland, lebte drei Jahre in Tanger, mehrere Jahre in London und mußte immer wieder nach New York.
Mitte der Dreißiger Jahre war sie gezwungen, ihre Eigentumswohnung in Paris, die sie 1927 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere erworben hatte und die sie sehr liebte, unter Preis zu verkaufen. Gleichzeitig mußte sie sich damit abfinden, daß ihre Beziehung zu Thelma Wood endgültig gescheitert war. Zwei weitere Liebesbeziehungen, u. a. zu dem zwanzig Jahre jüngeren amerikanischen Schriftsteller Charles Henri Ford, erwiesen sich als Illusion (»Ja, ich bin wieder verliebt, diesmal in jemanden, der gut ist! Ich scheine erwachsen zu werden!«) und trugen dazu bei, daß sie ihr Leben als gescheitert betrachtete und empfindlich auf ihre Umwelt reagierte.
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Natalie Barney, an deren Optimismus sich nichts geändert hatte, mag die strahlende Djuna Barnes der Zwanziger Jahre vorgezogen haben und der »Katastrophenverliebtheit« der mutlos gewordenen Freundin reserviert begegnet sein.
Während Natalie Barney die Kriegszeit in ungestörter Idylle mit ihrer Lebensgefährtin Romaine Brooks in einer Villa in den Bergen bei Florenz gut versorgt überleben konnte (und sich offensichtlich als zeitweilige Mussolini-Verehrerin auch ideologisch in Italien aufgehoben fühlte), war Djuna Barnes 1939, nervlich und körperlich am Ende, gezwungen, in das verhaßte New York zurückzukehren. Während Natalie Barney auch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges ihre alten Freundinnen aus den Zwanziger und Dreißiger Jahren mit Briefen, Geschenken und Hilfsdiensten versorgte, brach sie den Kontakt zu Djuna Barnes ab und ließ einen Brief von 1948 unbeantwortet. (Djuna Barnes 1949 an Berthe Cleyrergue, die langjährige Haushälterin Natalie Barneys, die sie ihr im Jahre 1927 empfohlen hatte und mit der Djuna Barnes bis zu ihrem Tod in Briefkontakt stand: »Liebe Berthe, so schön, von Ihnen einen Brief zu bekommen, wenn auch mein Französisch gräßlich ist und ich möglicherweise nur die Hälfte verstanden habe. Ich habe gehofft, diesen Sommer nach Paris zu kommen, aber damit ist's jetzt aus. Ich bewarb mich um ein Stipendium, wurde aber abgelehnt. Es tut mir so leid, zu erfahren, daß es ihrem Mann nicht gut ging, bin aber froh, daß es Ihnen gut geht . . . Miss Barney beantwortet meinen Brief nicht, den ich ihr vor langer Zeit schrieb. Deshalb keine Mitteilung an sie, da sie offensichtlich keinen Wert darauflegt ...«)
Im Zuge des nostalgischen Interesses an der Lost Generation fand auch Natalie Barney in den sechziger Jahren neue Beachtung und Berühmtheit, während Djuna Barnes mehr oder weniger vergessen und verarmt in New York lebte. Zu der Zeit begann auf Initiative Natalie Barneys eine neue Korrespondenz, die anfänglich reserviert war, dann jedoch in fast alter Herzlichkeit geführt wurde. Erst 1969, als Natalie Barney aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr in der Lage war, selber zu schreiben, endete der Briefwechsel.
Obwohl Natalie Barney nie den Ehrgeiz gehabt hatte, literarisch Karriere zu machen, war sie trotzdem nicht abgeneigt gewesen, die Ergebnisse ihrer »Schubladenaufräumungsaktionen« als Gedicht-, Prosa-, und Aphorismenbände veröffentlicht zu sehen. Während sich die junge Djuna Barnes bei ihren englischen und amerikanischen Verlegern für die Veröffentlichung von Barney-Texten stark gemacht hatte, ging im Alter ihre zunehmende Reserviertheit gegenüber der Person Natalie Barneys auch mit einer wachsenden Verachtung für die Produkte der Freizeitdichterin einher. Als ich 1980 anläßlich meines Besuchs bei Djuna Barnes ihr den Katalog des Buchladens von Sylvia Beach zeigte und sie Natalie Clifford Barney neben sich wiederfand, reagierte sie spontan: »What's she doing in here?« Djuna Barnes war nicht zuletzt schockiert, daß ihre alte Freundin, mit der sie in den Zwanziger Jahren eine elitäre Öffentlichkeitsfeindlichkeit verbunden hatte, jetzt so schnell bereit war, sich von mittelmäßigen Magazinen feiern zu lassen. 1963 schrieb sie ihr, nicht ohne moralisierenden Unterton: »Zumindest in England hielten die meisten Schriftsteller, gemäß einer anständigen Konzeption von Person und Öffentlichkeit, die Jagd nach Publicity für einen vulgären Brauch. Und nun? Jeder hat irgendeinen Public-Relation-Agenten, der sein oder ihr Hörn bläst.«
Djuna Barnes, die sich einer solchen inständigen Konzeption verpflichtet fühlte, wartete bis 1972, dem Todesjahr Natalie Clifford Bar-neys, mit einer Veröffentlichung des Almanachs unter ihrem Namen.
Natalie Barney, der es nicht gelungen war, im Alter das Vertrauen wiederzugewinnen, das Djuna Barnes ihr in den Zwanziger Jahren entgegengebracht hatte, besaß sonst die ungewöhnliche Gabe, ihre früheren Liebschaften in herzliche beständige Freundschaften umzuwandeln. So war sie den meisten der Frauen die Djuna Barnes im Almanach im Gefolge >Evangelines< auftauchen läßt, bis ins hohe Alter freundschaftlich verbunden.
Die verschlüsselten Ladies
Lucie Delarue-Mardrus (>Masie Tuck-and-Frill<) war eine der ältesten Freundinnen Natalie Barneys. Ihre Liaison begann 191z, als Lucie noch mit dem Arzt und Übersetzer von >Tausend und eine Nacht<, Dr. Joseph-Charles-Victor Mardrus verheiratet war. Mardrus, der mit der Affäre seiner Frau zunächst keine Probleme hatte, trug zu Beginn Natalie sogar an, ihr ein Kind zu machen, um seine dichtende Frau zu schonen. Natalie, die nie das Bedürfnis hatte, die Vorzüge des anderen Geschlechts kennenzulernen, lehnte dankend ab. Nach der Scheidung des Ehepaares kühlte die Freundschaft mit Mardrus, der seine Toleranz offensichtlich überschätzt hatte, ab.
Natalie verdankte Lucie die Wohnung in der Rue Jacob und die Bekanntschaft mit Paul Valery und Andre Gide.
Als Natalie während des Ersten Weltkrieges einen Frauenkongress für den Frieden einberief, war Lucie eines der engagiertesten Mitglieder. Sie betätigte sieh außerdem als Sanitätshelferin, sehr zu Belustigung Natalie Barneys, die von militärischen Heldentaten, auch karitativer Art, nicht das mindeste hielt. Die »Marinehelferinnen«, von denen im »Ladies Almanach< mit leicht spöttelndem Ton die Rede ist, dürften sich auf diese Episode in Lucies Leben beziehen. Sie war auch Mitglied der >Academie des Femmes«, die ihre Freundin als eine Art Gegenpol zur ausschließlich mit Männern besetzten >Academie Francaise< in den Zwanziger Jahren ins Leben rief. Als Lucie 1945 starb, veröffentlichte Natalie Barney posthum einen Band mit Gedichten ihrer alten Freundin, die diese ihr 1914 geschenkt hatte. Wie schon erwähnt, gehörte Lucie auch zu den Autoren, die Natalie literarisch verewigten. Ihr Roman, dessen Hauptfigur Natalie Barney ist, erschien 1930 unter dem Titel: >L'Ange et les Perverses< (Der Engel und die Perversen). Djuna Barnes hat Lucie alias >Masie< eine der schönsten philosophischen Passagen des Almanachs in den Mund gelegt.
Ein weiteres Mitglied der Frauenakademie war die Herzogin Elisabeth (>Lily<) de Gramont, Gräfin Clermont-Tonnerre (>Duchess Clito-ressa of Natescourt<), die Natalie Barney durch das Ehepaar Mardrus kennengelernt hatte und die mehrere Jahre lang ihre Geliebte war.
1875 als Tochter des Herzogs von Gramont und der Prinzessin von Beauvon-Craon geboren, zählte sie eine Mätresse Heinrichs IV, die schöne Corisande, und den berühmten Dandy Graf D'Orsay zu ihren Ahnen. Ihre Großmutter war eine Freundin der Kaiserin Sissy von Österreich. Als Einundzwanzigjährige heiratete Lily den Grafen Philibert von Clermont-Tonnerre, mit dem sie zwei Töchter hatte. Nach seehsundzwanzigjähriger Ehe, offensichtlich >angeregt< durch Natalie Rarney, ließ sie sich von ihm scheiden. Sie hinterließ vier Bände Memoiren, in denen sie sich kritisch mit der französischen Aristokratie auseinandersetzte.
Lily de Clermont-Tonnerre hatte einen rosigen Teint und blaugrüne Augen und bediente sich wegen ihrer Kurzsichtigkeit eines Monokels. Wie Natalie Barney liebte sie weiße Kleider und war neugierig auf Menschen unterschiedlichster Couleur. Der Kreis um die Herzogin galt als Gipfel der Elite. Sie schätzte große Feste, mit nicht selten über zweihundert Gästen, darunter Marcel Proust und seine Romanfigur Charlus (i. e. Graf Robert d'Montesquiou), Anatole France und Arthur Honegger.
Natalie Barney war von der adligen Faubourg-Tradition und Lilys sozialer Courage fasziniert. Sie sah in ihr »das Beste Frankreichs« verkörpert und liebte Frankreich in ihr - so der Barney-Biograph Georges Wickes. Als Elisabeth de Clermont-Tonnerre zeitweise mit dem Marxismus kokettierte, war die konservative Natalie souverän genug, ihrer geliebten »roten Herzogin« solche Entgleisungen nicht anzulasten und konterte: »Die Liebe ist der einzige Kommunismus, an den ich glaube.« Als Lily 1954 starb, war Natalie Barney 78 Jahre alt und weinte zum ersten Mal in ihrem Leben in aller Öffentlichkeit.
Elisabeth de Clermont-Tonnerre und die amerikanische Malerin und Millionärin Romaine Brooks (>Cynic Sal<) waren Natalies größte Lieben. Im Gegensatz zu Lily war Romaine unversöhnlich und schwierig im Umgang. Sie war ungesellig, lehnte die meisten Freunde Natalies rigoros ab und legte Wert darauf, räumlich von Natalie getrennt zu leben und vom Barney-Kreis unabhängig zu sein.
Romaine fiel es schwer, die Affären, auf die Natalie nicht verzichten konnte und wollte, zu tolerieren, so daß Natalie oft ihren ganzen Charme einsetzen mußte, um die bedrohte Beziehung zu retten. Obwohl sich die beiden Freundinnen in einem Grab beerdigen lassen wollten, brach Romaine, nachdem sie sich in ihren letzten Jahren mehr und mehr in exzentrische Isolation zurückgezogen hatte, zwei Jahre vor ihrem Tod nach dreiundfünfzig Jahren der Freundschaft 1967 jeden Kontakt zu Natalie ab, weil sie deren letzte große Affäre mit einer fast dreißig Jahren jüngeren Frau nicht akzeptieren konnte.
Natalie und Romaine lernten sich um 1915 in Paris kennen, als beide vierzig Jahre alt waren und Romaine bereits einen Namen als Malerin hatte. Sie portraitierte D'Annunzio (mit dem sie eine Liaison verbunden hatte), die Pianistin fda Rubinstein und Jean Cocteau und malte in den Zwanziger Jahren einige Frauen aus dem Barney-Kreis, u. a. ihre Rivalin Lily de Clermont-Tonnerre, - die konnte die kritische und oft zynische Romaine am ehesten respektieren, da die Herzogin ihrer Leidenschaft zu Natalie mit aristokratischer Diskretion nachging.
Romaine Brooks ist eine bis heute unterschätzte Künstlerin. Laut ihrer Biographin Meryl Secrest hielt man ihre anachronistische Malweise, die sich von allen Modeströmungen der Zeit fernhielt, ungerechtfertigterweise für ein Relikt des fin de siecle. Da Romaine Brooks es sich aber im Gegensatz zu Djuna Barnes leisten konnte, nur zum Spaß zu malen und häufig sogar einen Konflikt mit ihren Auftraggebern in Kauf nahm, um deren Portraits nicht aus der Hand geben zu müssen, konnte zu ihren Lebzeiten nicht einmal so etwas wie ein > Marktwert< ihrer Bilder entstehen, geschweige denn eine angemessene Beurteilung.
Appollinaire schrieb nach der erfolgreichen ersten Ausstellung von Romaine Brooks 1910 in Paris: »Diese Malerin malt mit Entschlossenheit und Trauer, ja mit wirklich allzuviel Traurigkeit.«
In vielen ihrer Bilder findet sich aber auch eine feine Ironie und Distanz dem Sujet gegenüber. Das beste Beispiel hierfür ist ihr Portrait von Lady Una Troubridge (von der noch die Rede sein wird), das die anfängliche Freundschaft zwischen den beiden Paaren Radclyffe Hall-Troubridge und Barney-Brooks merklich abkühlen ließ, da die Engländerinnen mit der Darstellung der Lady nicht einverstanden waren. In einem Brief an Natalie sagte Romaine über diese Arbeit: »Una ist lustig zu malen. Ihr Aufzug ist bemerkenswert. Sie wird vielleicht (über)leben und zukünftige Generationen zum Lachen bringen.«
Romaine war eine in jeder Beziehung mimosenhaft empfindliche Frau. In ihrer Kleidung, ihrer Wohnung und ihren Bildern dominierten Schwarz, Weiß und Grau. Djuna Barnes gehörte zu den Opfern ihres launischen Umgangs mit Menschen. Als sie ihr 1924 einen herzlichen Brief schrieb und ihr das Gedicht >Love and the Beast< mit Widmung übersandte, erhielt sie nicht einmal eine Antwort.
Bei den Frauen der Rue Jacob - vor allem bei denen der jüngeren Generation — war Romaine Brooks nicht besonders populär.
Eine weitere exzentrische Freundin Natalie Barneys aus der älteren Generation war die deutschstämmige Baronin Ilse Deslandes (>Dear Old Countess<), mit der sie 1914 Tangounterricht nahm. Wenn es zu einem Streit zwischen den beiden Frauen kam, - was aufgrund des Jähzorns der Deutschen gelegentlich geschah - pflegte die Baronin die wüstesten Beschimpfungen auf Deutsch auszustoßen - immerhin während des Ersten Weltkrieges. Ilse Baronin Deslandes war zweimal verheiratet und Mutter, behauptete aber gern: »Ein Kind? Ich weiß gar nicht, wie man das macht.«
Die Freundschaft Gertrude Steins (>Low-Heel<) und ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas (>High-Head<) mit Natalie Clifford Barney begann erst 1926, obwohl die drei Amerikanerinnen schon dreiundzwanzig Jahre und länger in Paris ansässig waren. Der Kreis um Gertrude Stein und Alice B. Toklas überschnitt sich zum Teil mit dem um Natalie Barney, aber ihre Welt war die der Bohemiens vom Montparnasse, während die Welt Natalie Barneys die des Faubourg St. Germain und der Subkultur war, von der Gertrude Stein sich aufgrund ihrer extremen Angst vor einer Enttarnung ihrer Leidenschaft zu Alice H. Toklas fernhalten mußte.
Mit der Zeit überzeugten Natalie Barneys tadellose Manieren, ihr Charme sowie die Verlockung, in ihrem Salon Lesungen halten zu können, die skeptische Stein. Schließlich trafen sich die Paare sogar in den Ferien, und Romaine Brooks trug sieh mit dem Gedanken, Gertrude Stein zu malen. Von dieser Absicht nahm sie jedoch schnell Abstand, als Gertrude sie eines Tages mit einer Kurzhaarfrisur überraschte.
Gertrude Stein war von grenzenlosem Selbstbewußtsein und vertrat nicht nur im engeren Kreis die These, neben Spinoza und Christus das dritte Genie zu sein, das die Juden hervorgebracht hätten. Sie war davon überzeugt, daß außer ihr - und »vielleicht ein wenig Henry James« - seit Shakespeare niemand etwas für die englische Sprache getan hätte. Joyce hielt sie für den »Unverständlichen, den jeder versteht«, und die Inhalte des >Ulysses< (vor allem die Bordellszenen) fand sie so widerwärtig, daß sie ihre Mitgliedschaft in Sylvia Beachs Buchclub aufkündigte, weil diese den >Ulysses< verlegt hatte.
Robert McAlmon schrieb in seinen Erinnerungen: »Gertrude in ihrer kindlichen Eitelkeit und Gier nach Lob, glaubte allen >Weichzeichnern< und Schmeichlern und, man ahnt es, glaubt ihnen immer noch . .. Miss Stein ist ein gutes Beispiel für das reiche, verwöhnte und beschützte Kind, das nie in die Verlegenheit kam, wirklich materielle Not zu leiden.«
Die Rollenverteilung im Hause Stein-Toklas, das groteske optische Erscheinungsbild der beiden Damen - Gertrude Stein war klein und dick, trug zu allen Jahreszeiten Sandalen, rauchte gern Zigarren und bevorzugte einen Herrenhaarschnitt, Alice B. Toklas, groß, schlank und dunkelhaarig, trug wegen einer Schwellung auf der Stirn ständig eine Ponyfrisur - und das großspurige Auftreten Steins, das in krassem Gegensatz zu ihrem ängstlich gehüteten >Geheimnis< stand, machten die beiden zum Gespött der Frauen um Natalie Barney.
Im Almanach tauchen Gertrude Stein und Alice B. Toklas als Pat und Patachon-Figuren auf. Stein - die bei Gesprächen mit Künstlerkollegen rigoros deren Ehefrauen als Gesprächspartnerinnen ignorierte - mit chauvinistischen Äußerungen und Alice B. Toklas - der die Aufgabe zukam, die Ehefrauen der Gesprächspartner von Gertrude Stein fernzuhalten - als glühende Feministin.
1927 war Natalie Barney in die attraktive italienische Baronin Maria (>Mimi<) Franchetti (>Senorita Fly-About<) - eine Müßiggängerin, die ihre Langeweile durch immer neue Eroberungen zu bekämpfen versuchte - unglücklich verliebt. Djuna Barnes tröstete Natalie in einem Brief von 1927 zunächst mit der Bemerkung: »Und was Mimi angeht: Sic ist sterblich!«, schrieb aber drei Monate später der immer noch leidenden Natalie, daß Mimi in guter Verfassung zu sein schiene; dies sei ihr von Mina Loy berichtet worden, die Mimi in Begleitung einer Frau, die sänge (Barnes fügte in Klammern hinzu: »Welche Frau tut das nicht?«), in der Parnasse-Bar angetroffen hätte. Sie beschloß ihre nicht sehr einfühlsamen Enthüllungen mit dem Vermerk: »Sie war Deiner nicht würdig.«
Esther Murphy (>Bounding Bess<), war mit John Strachey und in zweiter Ehe mit ehester Arthur verheiratet, was sie aber nicht davon abhielt, ohne Aussicht auf Erfolg, jahrzehntelang für Natalie entflammt zu bleiben. Sie ernährte sich zumindest in den Zwanziger Jahren fast ausschließlich von Champagner und fühlte sich frei genug, es dem renommierten amerikanischen Fotografen Carl van Vechten gleichzutun und ihre Blase auf Natalies Sofa zu erleichtern. Allgemein galt sie als fahrig und unstet, und auch in ihrer näheren Umgebung glaubte niemand so recht an ihr literarisches Talent. Im Dezember 1928 schrieb Djuna Barnes aus New York: »Esther Murphy scheint sich wohl sehr gut zu amüsieren und beabsichtigt, nach Deutschland zu fahren. Nach meinem Dafürhalten fährt Esther aber nirgendwohin, wenn sie weiterhin so nervös ist.« Im Februar 1929 konnte Djuna Barnes dann mitteilen, daß Esther für den März endlich ein Schiff nach Europa gebucht habe.
Romaine Brooks berichtete 1934 ihrer Freundin Natalie aus New York von einer Party bei Cliester und Esther Murphy: »Alle waren ziemlich betrunken und Esther redete ununterbrochen von Jefferson und der Verfassung und über Dich. Aber ich schließe daraus, daß sie immer noch wahnsinnig in Dich verliebt ist.«
Die Amerikanerin Elisabeth Eyre de Lanux (>Daisy Downpour<) war achtzehn Jahre alt, als sie mit ihrem französischen Ehemann Pierre de Lanux ein Appartement im dritten Stock des Vorhauses von Natalie Barneys Villa in der Bue Jacob Nr. 20 bezog. Fasziniert beobachtete sie von ihrem Fenster monatelang das Kommen und Gehen des Salons. 1922, anläßlich einer Lesung von James Joyce in Adrienne Monniers Buchladen, wurde sie von Natalie Barney angesprochen und zu den »riskanten Freitagen« (so Paul Valery) eingeladen. Daraus entstand eine siebenjährige Freundschaft. Die Jungschriftstellerin wurde von Natalie Barney protegiert und von Romaine Brooks als barbusige Alpenjägerin allegorisch verewigt.
Ihre Erinnerungen an Natalie Barney und deren Salon sind eher betrüblich. Sie beschreibt die Salonatmosphäre als »ziemlich bösartig und nicht wirklich herzlich«. Als Nachwuchsschriftstellerin litt sie darunter, daß sie neben den Größen Djuna Barnes, T. S. Eliot, Hemingway, Janet Flanner, Raymond Duncan und Lady Rothermere nicht als Gleiche unter Gleichen angesehen wurde. Sie erinnerte sich 1973, in den Zwanziger Jahren fünfmal Gertrude Stein vorgestellt worden zu sein, ohne daß diese sich einmal genötigt gesehen hätte, sich an sie zu erinnern. Für sie blieb die Erinnerung an den Salon bedrückend: »Warum erinnere ich die Freitage immer als graugrün und düster, als ob es immer einen leichten Schauer gegeben hätte? ... Ich erinnere mich an keine Sorge oder irgendein helles Licht, noch an irgendwelche lauten oder disharmonischen Klänge. Alles schien gedämpft zu sein.«
In den zwanziger Jahren war die Dichterin und Kunstgewerblerin Mina Loy (»Patience Scalpeb) neben Natalie Barney eine der engsten Vertrauten von Djuna Barnes. Ab 1927 wohnte sie mit ihr im gleichen Haus im 6. Arrondissement in der Nähe der Rue du Cherche-Midi. Robert McAlmon brachte von ihr einen kleinen Band mit Titel >Lunar Baedecker< heraus. Außerdem gestaltete sie abstrakte Kunst und Design. Sie erfand sogenannte >calla-lily Lichters durchforstete Antiquitätenläden nach mittelalterlichen Gemälden und Stichen für ihre Lampen und eröffnete einen Laden, mit dem sie einigen kommerziellen Erfolg hatte. Sie patentierte viele ihrer Designs und beschäftigte zeitweilig ein Dutzend Angestellte. Djuna Barnes schrieb 1927 an Natalie Barney: »Mina hat gerade einen Auftrag erhalten, mehrere tausend Lampenschirme zu liefern. Sie bemüht sich, dem nachzukommen!«
Mina Loy lebte von ihrem Mann getrennt und hatte zwei Tochter, die ihre legendäre Schönheit geerbt hatten. McAlmon machte ihr in seinen Erinnerungen das Kompliment, eine der witzigsten und schönsten Frauen jener Zeit gewesen zu sein und bezeichnete sie als eine »brillante Rednerin, mit ihren zerebralen Hirngespinsten.« Sie war die einzige aus Natalie Barneys Kreis, die nicht davon zu überzeugen war, daß Frauenliebe erstrebenswert sei.
Djuna Barnes bevorzugte Mina Loy als Begleiterin bei den Treffen im Salon, nachdem ihre Freundin Thelma Wood dort Hausverbot bekommen hatte.
Die ehemaligen Suffragetten Janet Flanner und Solita Solano (die Schwestern >Nip< und >Tuck<), kamen 1921 nach Paris, »um alles über Kunst zu lernen und unseren ersten Roman zu schreiben«. Neunzehn Jahre später verließen sie bei Kriegsausbruch Paris und lebten nach L945 in Europa und den USA bis zu ihrem Tod zusammen.
Janet Flanner, die eine auffällige Nase und einen ausgeprägten Mund hatte und für sich in Anspruch nahm, »eines Tages wie Voltaire auszusehen«, arbeitete sechzig Jahre lang als Journalistin und war eine selbstsichere und talentierte Karrierefrau, laut Noel Riley Fitch »vielleicht Amerikas hervorragendste Journalistin in Europa.« Sie begann im September 1925 unter dem Künstlernamen Genet vierzehntägig für das im gleichen Jahr gegründete Magazin >The New Yorker< ihre berühmten >Letters from Paris< zu schreiben, die dort vierzig Jahre lang erschienen, nur unterbrochen durch die Kriegsjahre. Außerdem veröffentlichte sie in >Vanity Fair< und >Harper's Bazaar< Essays. Sie schrieb den (erfolglosen) Roman >The Cubical City<, eine Sammlung New Yorker Profile, >An American in Paris<, ein Portrait über >Petain. The Old Man of France<, sowie Kunstmonographien, >Men And Monuments<. Sie übersetzte auch aus dem Französischen, u. a. zwei Bücher von Colette. Ausgezeichnet mit der >Legion of Honour<, erhielt sie 1958 vom Smith-College einen Ehrendoktortitel und wurde außerdem für ihr >Pariser Journal 1944-1965< mit dem National Book Award ausgezeichnet.
Solita Solano hatte kurzes, dunkles Haar, intensive blaue Augen und arbeitete, nachdem sie Schauspielerin gewesen war, als Theaterkritike-rin und Journalistin. Sie veröffentlichte auch einige Kurzgeschichten.
Noel Riley Fitch beschreibt Flanner und Solano als »unabhängige Frauen, Suffragetten von 1917«, die mit Hemingway - dessen Spanienleidenschaft sie teilten -, aber auch vor allem mit Frauen wie der Ilerausgeberin der >Little Reviews Margret Anderson, Nancy Cunard und Djuna Barnes eng verbunden waren.
Die Schriftstellerin Kathryn Hulme (>The Nun's Story <) beschrieb ihre erste Begegnung mit Flanner, Solano und Barnes, die sie im >Cafe de Flore< in einer Reihe sitzend wie die drei Schicksalsgöttinnen vorfand: »Jede von ihnen in schwarzem, maßgefertigtem Kostüm, weißem Satinhalstuch und weißen Handschuhen, und jede von ihnen mit einem Martini vor sich auf dem Marmortisch«.
In einem Gespräch mit dem Barney-Biographen George Wickes meinte Janet Flanner später, sie habe das Gefühl, weder Natalie Clifford Barney noch ihre engeren Freunde gut gekannt zu haben - mit Ausnahme von Eyre de Lanux, Dolly Wilde und Djuna Barnes. Sie hielt Natalie Barney weder für eine außerordentliche Literaturkritikerin noch für eine besonders belesene Frau, wenn sie ihr auch zugestand, ein großartiges Französisch zu sprechen. Natalie Barney ihrerseits, die schon in den Zwanziger Jahren zu Djuna Barnes über Janet Flanner geäußert hatte: »Glänzend wie ein Knopf, aber wer will schon einen Knopf«, fragte in den Sechziger Jahren brieflich bei Djuna Barnes an: »Janet kommt sich wichtig vor - ist sie wer?«
Janet Flanner und Solita Solano korrespondierten bis zu ihrem Tod Mitte und Ende der Siebziger Jahre mit Djuna Barnes und unterstützten sie gelegentlich mit kleinen Zuwendungen. Dennoch blieb eine gewisse Fremdheit, da Janet Flanner wenig übrig hatte für die viktoria-nisehe »Schwäche« und die »überlegene Art« von Djuna Barnes. In ihren Erinnerungen sagte Flanner zwar: »Djuna Barnes war die wichtigste Schriftstellerin, die wir in Paris hatten. Sie war groß, sehr attraktiv, hatte eine markante Stimme und war eine bemerkenswerte Erzählerin, voll mit Erinnerungen an ihre New Yorker Washington-Square-Zeiten und ihre exzentrische Kindheit irgendwo am oberen Hudson. (...) Ich verehrte Djuna sehr, und sie war mir, auf ihre überlegene Art, auch sehr zugetan.« Als sie jedoch das Versdrama »Antiphons das bereits T. S. Eliot zu schwierig erschienen war, mit dem gleichen Problem an die Autorin zurückgab, hätte diese ihr das einzige Kompliment gemacht, das sie je von ihr erhalten hätte: »Ich wußte nicht, daß Du so dämlich bist wie Tom Eliot!«
Janet Flanner ist neben Natalie Barney die einzige, die sich öffentlich zu ihrer Rolle im >Ladies Almanach< bekannte.
Dorothy (>Dolly<) Wilde (>Doll< oder »Dolly Furious<), die Nichte von Oscar Wilde deren Vater Willie zu den Besuchern des Londoner Salons von Djuna Barnes' Großmutter Zadel gehörte, kam während des Ersten Weltkrieges als Zwanzigjährige nach Paris und lernte 1924 Natalie Barney kennen. Daß sie neben Romaine Brooks und der Herzogin Lily de Gramont die dritte große Liebe in Natalie Barneys Leben wurde, hängt nicht nur mit ihrer ungewöhnlichen Ausstrahlung zusammen, sondern sicher auch damit, daß Natalie Barney, die sich keinem Schriftsteller so seelenverwandt fühlte wie Oscar Wilde, vom Klang ihres Namens ebenso magnetisch angezogen wurde wie vom alten amerikanischen Geldadel und der feinsten europäischen Aristokratie. In Natalie Barneys Damensammlung kam Dolly Wilde ein bevorzugter Platz zu. Ihr gegenüber war die ansonsten in Liebesdingen eher nüchterne Natalie sogar zu ungewöhnlichem Entgegenkommen bereit. Sie tolerierte Eskapaden, die sie anderen Freundinnen nicht verziehen hätte, bezahlte Dollys zahlreiche Krankenhausaufenthalte und Entziehungskuren und schickte nach den Selbstmordversuchen der Freundin jedesmal die treue Haushälterin Berthe Cleyrergue, die dann Tag und Nacht am Krankenbett wachte.
Natalie Barney, die Wert darauflegte, allein zu schlafen und nie über längere Zeit Gäste in ihrem Haus beherbergte, stellte Dolly trotzdem mehrere Monate ihr Gästezimmer zur Verfügung. Die Liaison nahm sie zeitweilig so in Anspruch, daß Romaine Brooks Dolly in einem Brief als Ratte bezeichnete, die an den Grundfesten ihrer Freundschaft nage, und sie verlangte von Natalie, sich von Dolly zu trennen.
»Natalie Barney bewunderte an Dolly Wilde ihre Art, sich an allem zu vergnügen und ihre Fähigkeit, wie ihr Onkel Oscar Menschen zu unterhalten. Dolly ist Meisterin im Improvisieren von Festen, und sie ist die Spaßmacherin der kleinen Gesellschaft, die sich jeden Sommer in Beauvallon einfindet«, schreibt Jean Chalon, der französische Biograph Natalie Barneys. Dolly nannte sich gern >Oscaria< und pflegte in Anspielung auf ihren berühmten Onkel zu sagen: »Ich bin ein besserer Oscar als er selber«.
Sie war literarisch begabt, in der Konversation brillant, übersetzte aus dem Französischen und war enorm belesen. Sehr zu Djuna Barnes' Freude war Dolly Wilde eine ihrer eifrigsten Leserinnen. Im >Ladies Almanaeh< macht >Dolly Furious< eine Anspielung auf den 1928 erschienenen Roman >Ryder< von Djuna Barnes, indem sie auf die drei großen Augenblicke der Geschichte, die in >Ryder< nachzulesen sind, verweist.
Die unterhaltsame Dolly war hinter ihrer fröhlichen und kosmopolitischen Fassade tief unglücklich und selbstzerstörerisch. Sie sehnte sich danach, selbst zu schreiben, war aber nie imstande, etwas zu Papier zu bringen, das auch nur annähernd dem entsprach, was sie fühlte.
1941 starb sie in London an Krebs, nachdem schon in den Dreißiger Jahren die körperlichen Folgen ihrer Drogensucht offensichtlich geworden waren. Die englische Psychiaterin Charlotte Wolff, bei der Dolly 1930 wegen ihrer Depressionen in Behandlung war, schreibt: »Sie war zu diesem Zeitpunkt sehr krank, aber so schön, daß sie förmlich strahlte. Ich werde nie vergessen, wie sie vor dem Kamin stand. Ich habe in meinem Leben Hunderte von Frauen getroffen, aber diese Frau wird mir unvergeßlich bleiben.«
10/39 beschrieb Djuna Barnes, die sich selber nervlich und körperlich in einer Krise befand, die Kehrseite der »strahlenden« Dolly: »Ich bekam Dolly an den Apparat. Sie war unverschämt wie gewöhnlich, so daß ich davon ausgehe, daß es ihr besser geht.«
Wie im Falle von Lucie Delarue-Mardrus veröffentlichte Natalie Barney 1951 in einem Privatdruck von zwanzig Exemplaren eine >tlom-mage<: >In Memory of Dorothy lerne Wilde, »Oscaria«<, in der Freunde Dollys wie Victor Cunard, Janet Flanner, Elisabeth de Gramont, Bettina Bergery und Natalie Clifford Barney zu Wort kommen und Briefe Dollys an Natalie Barney abgedruckt sind.
Die >Sister< im >Ladies Almanach< ist Laura Dreyfus Barney, die drei Jahre jüngere und treu ergebene Schwester der Amazone. Laura Barney hatte - wie ihre Mutter - nichts gegen die >Besonderheiten< ihrer Schwester, deren sapphische Sonette sie bereits in den Washingtoner Jugendjahren auf Galafesten rezitierte. Natalie hingegen scheint ihrer Schwester nicht besonders zugetan gewesen zu sein.
Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß die große Frauenliebhaberin ausgerechnet mit dieser ungeliebten Schwester - von der sie sich nach eigenem Bekenntnis »angeödet« fühlte - und nicht, wie ursprünglich gewünscht, mit Romaine Brooks auf dem Pariser Friedhof Passy ein Grab teilen muß.
Die beiden Engländerinnen Margaret Radclyffe Hall (>plain Tilly Tweed-in-Blood<) und ihre Lebensgefährtin Lady Una Troubridge (>Lady Buck-and-Balk<), waren die einzigen Salonbesucherinnen, die nach heutigen Maßstäben als militant zu bezeichnen wären. Sie wurden von Natalie Barney trotzdem hofiert, weil sie das Prestige des Salons durch ihre Anwesenheit steigerten, obwohl sie wegen ihrer Ansichten und ihrer äußeren Erscheinung auch für den Barney-Kreis eine Provokation waren. »Miss RadclyfFe Hall war eine merkwürdige, wenn auch beeindruckend aussehende Frau, kleinwüchsig, mit einem unverhältnismäßig großen, aber hübsch geschnittenen Kopf. Ihre Hände und Füße, sowie die edlen Saphire, die sie trug, waren ebenso groß .. . Sie trug vorzügliche, maßgeschneiderte englische Anzüge, enganliegend am Busen und an den Schultern. In ihren maßgeschneiderten Sachen war sie in der Tat eine große Dame«, schrieb Janet Flanner. Radclyffe Hall und Una Troubridge waren der Ansicht, daß, könnten invertierte Paare nur vor dem Altar zusammengeführt werden, all deren Probleme ein Ende finden würden. Ihre Vorliebe für männliche Kleidung machte sie zu dankbaren Opfern der öffentlichen Belustigung. Theaterbesuche mußten sie bisweilen schon vor Beginn der Vorstellung abbrechen, weil das Publikum sie für ihren Geschmack zu sehr fixierte.
1928 erschien Radclyffe Halls aufsehenerregender Roman > Quell der Einsamkeit^ in dem sie die Lebens- und Leidensgeschichte der Engländerin Stephen Gordons erzählt, die sich selbst als Gottes größten Irrtum betrachtet und deren Leidenschaft für Frauen infolgedessen böse enden muß. Radclyffe Hall sorgte mit ihrem Bekenntniszwang für den liberalen Applaus, den sie hervorrufen wollte, entfachte aber gleichzeitig den gesellschaftlichen Skandal des Jahres 1928.
Die Autorenschaft des >Quell der Einsamkeit verschaffte Radclyffe Hall außer empörten und denunziatorischen Pressemitteilungen (»perverse Dekadenz«) auch den ambivalenten Genuß, als Sensation mit ihrer Lady in den liberalen Salons von Paris und London Einkehr halten zu dürfen. Es gab wahrscheinlich niemanden in Natalie Barneys Kreis, der Radclyffe Halls tragisches Epos für besonders innovativ hielt. Trotzdem war Natalie Barney, die als Modell für die Pariser Salonbesitzerin > Valerie Seymour< galt, natürlich die erste - so Noel Riley Fitch -, die »eine große Gruppe zum Tee und den obligatorischen Gurkerisand-wiches und zu einer Begegnung mit Miss Hall und Lady Troubridge lud. Vor der Party schickte sie jemanden zum Buchladen von Sylvia Beach, um das Buch von Radclyffe Hall zu holen, aber Sylvia Beach mußte ihr mitteilen, daß alle Exemplare schon kurz nach dem Eintreffen ausverkauft waren.
Zeitweilig wurden für die französische Ausgabe des Romans, der in England und den USA verboten war, 6000 Francs bezahlt. Als Radclyffe Hall 1943 starb, war der Roman in elf Sprachen übersetzt und eine Million mal verkauft worden, während Bill Bird noch in den Sechziger fahren in seiner Mühle in Tanger circa fünfhundert Exemplare des »Ladies Almanack< hütete.
1966 schrieb Djuna Barnes an Natalie Barney: »Es läßt sich nicht leugnen, daß wir alle von der Lost Generation, bei nochmaliger Überlegung, eine höchst ungewöhnliche und außerordentliche Zeit hatten. Ich denke an uns alle mit Erstaunen und antiker Belustigung, unsere Polemiken für und gegen Freiheit und Liebe . . ., wie weit entfernt von unserer Gegenwart diese Welt ist.«
Für Djuna Barnes hatten die karikierenden, persiflierenden Aspekte ihres >Ladies Almanach< vierzig Jahre nach der ersten Veröffentlicliung an Berechtigung nur gewonnen. Angesichts der neueren Gegenwart sah sie die Diskussionen der Zwanziger Jahre eher nostalgisch. Und bis beute ist die »stolze, abweisende und elitäre« Haltung, so Wolfgang llildesheimer in seinem Nachwort zu >Nachtgewächs<, in der Djuna Barnes lebte und schrieb, nicht wirklich anerkannt.
Der >Ladies Almanach< ist das intelligenteste und radikalste sogenannte >Frauenbuch< des zwanzigsten Jahrhunderts, bis heute, das in seiner Boshaftigkeit und Zärtlichkeit, seinem Witz, seiner Melancholie und hintergründigen Blasphemie jener »Sehnsucht auf dem Irrweg« (so Djuna Barnes) ihre schönsten Namen gibt.
Wie T. S. Eliot vor fast fünfzig Jahren in seinem Vorwort zu >Nachtge-\vächs< möchte ich auch hier »den Leser auf große Stilvollendung vorbereitet haben, auf Schönheit des Ausdrucks, Brillanz und Geist in der Charakterisierung«, doch dabei weniger den Akzent gesetzt wissen auf »den Geschmack von Grauen und Untergang, der elisabethanisehen Tragödie sehr nahe verwandt«, als auf herrlich unterhaltsame Dinge, die, wenn man genau hinsieht, neben aller Eleganz, auch wohltuend unanständig sind.
Brigitte Siebrasse