VII.
NOTWENDIGER EXKURS
Die anschließende Notiz, die sich auf ein Urteil der letzten Tage (im Mai 1885) bezieht, zwingt mich dazu, eine kurze Erklärung über die Umstände meiner Zusammenarbeit mit anderen abzugeben und über die Bedingungen, unter denen diese Mitarbeit stattgefunden hat. Bestimmte Dinge können nicht auf später verschoben werden.
Ich lese in einer Zeitung, Nr. 7 vom 7. Mai 1885:
DIE BEIDEN NADINES
- »Vor einigen Jahren hat Monsieur Grippa, genannt de Winter, in Mitarbeit mit Mlle Louise Michel einen Roman mit dem Titel: Der kaiserliche Bastard beim Verleger Denoc veröffentlicht.
Aus dem Buch entstand ein Drama, das nur mit L.-M. unterzeichnet war und unter dem Titel Badine im Theater der Bouffes-du-Nord aufgeführt wurde. Das Stück wurde nur dreimal gespielt, und Nadine wäre zweifellos für immer in Vergessenheit geraten, wenn nicht ein gestern vor der 1. Kammer des Zivilgerichts geführter Prozeß deren Erinnerung wieder hätte aufleben lassen.
Mme Berthe, mit Künstlernamen Marie de Besneray, hat 1884 bei Plon einen Roman mit dem Titel Nadine veröffentlicht; dieses Buch, eine Art russischer Idylle, hatte mit der anderen Nadine, die eine Apologie des Nihilismus und der Kommune war, nur den Titel gemeinsam.
Dennoch hat Monsieur Grippa behauptet, das Buch von Mme Berthe wäre nur eine Nachahmung oder würde zumindest eine unredliche Konkurrenz zu dem Drama von Nile Louise Michel darstellen. Er hat Schadenersatz und noch dazu die Veröffentlichung des Urteils in zwanzig bedeutenden Zeitungen, in fünfzehn Zeitschriften und in fünfzig ausländischen Zeitungen beantragt.«
URTEIL:
- - Rechtsanwalt Lesenne plädierte für Mme Berthe, Rechtsanwalt Caraby für Monsieur Plon.
Staatsanwalt Estibal vertrat Monsieur de Winter.
Grippa verlangt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund der Schädigung, die ihm durch die Veröffentlichung des Romans Nadine erwuchs, dessen Titel dem gleichnamigen Drama mit Autoren Grippa und Louise Michel entliehen wurde.
Das Drama Nadine wurde nur unter dem Namen Louise Michel gespielt und veröffentlicht; außerdem begründete Grippa seine Mitarbeit an dem Werk nicht, woraus sich ergibt, daß er weder Interesse noch Befugnisse in dieser Instanz hat, etc., etc.
Aus diesen Erwägungen heraus erklärt das Gericht Grippas Klage nicht statthaft und auf jeden Fall seinen Antrag für unbegründet, weist seine Klage ab und verurteilt ihn zur Zahlung der Kosten aller vertretenen Parteien.
Nachdem ich, um Monsieur Grippa de Winter gerecht zu werden, erklärt hatte, daß er bei dem kaiserlichen Bastard und Nadine anständig gehandelt hatte, da er seinen Teil des Werkes verfaßte und mir meinen Teil so überließ, wie ich ihn konzipierte, erklärte ich ebenso offen, daß ich meinerseits nie gewillt gewesen bin und auch nie sein werde, Prozesse zu führen, ob es sich nun um Literaturrechte oder sonstwas handelt. Und ich bin dazu noch weniger bereit - wenn ich mich so ausdrücken darf - wenn jemand die Gewohnheit hat, sich bei jeder Kleinigkeit an die Gerichte zu wenden.
Ich muß hinzufügen, daß ich die verschiedenen Vorfälle dieser kleinen Angelegenheit erfahren habe, obwohl Monsieur Grippa ein gut bewahrtes Geheimnis aus seinen Prozessen machte, wobei er wußte, daß ich daran nur teilnahm, um zu erklären, daß ich keinem Menschen je seine Ideen streitig machen würde, so, als wären wir Hunde, die sich um einen Krochen zanken.
Ich bewahre die Unterlagen auf, die meine Mitarbeit an Projekten beweisen, damit ich die Freiheit behalte, mich an den Gewinnen oder Verlusten nicht zu beteiligen, die die Prozesse meiner Mitarbeiter mit sich bringen. Ihrerseits sind sie frei, zu handeln, wie sie wollen.
Ich muß noch hinzufügen, daß diese Einstellung weder die Fähigkeit noch die Ehrbarkeit von Monsieur Grippa in Frage stellt und auch nicht eines etwaigen Mitarbeiters, der so wie er handeln würde; es hängt lediglich davon ab, welche größere oder geringere Wichtigkeit man solchen Angelegenheiten zuschreibt: das ist alles.
Seit meiner Rückkehr aus Kaledonien habe ich noch zwei andere Mitarbeiter gehabt: Mme Tynaire (Jean Guetre), der der erste Teil von Das Elend fast vollständig gehört; der zweite Teil, von dem Kapitel Toulon an, wurde von mir geschrieben. Ich hatte angefangen, diesen zweiten Teil in der Zeitung aus Lille, Le Forgat (Der Zuchthäusler), in Form eines Fortsetzungsromans zu veröffentlichen; mit einigen Seiten Einleitung versehen, sollte er ein vollständiges Werk bilden.
Wenn sie einige Seiten dazu schreiben würde, könnte Mme Tynair« desgleichen mit dem ersten Teil tun.
Aufgrund unserer unterschiedlichen Standpunkte kann mir zwar Mme Tynaire eine Freundin sein, jedoch keine Mitarbeiterin; diese Unterschiede treten in dem Elend deutlicher hervor; dort kann man unsere beiden Teile mit Leichtigkeit erkennen.
Sie erhofft sich den allgemeinen Wohlstand von Mitteln und Wegen, denen ich keine Nützlichkeit zuerkenne, während ich ihn nur für möglich erachte, wenn die Reihenfolge der sozialen Umwandlungen durch aufeinanderfolgende Revolutionen unterbrochen wird.
Damit wir gute Freundinnen bleiben, statt mittels der Feder in Streit zu geraten, habe ich darauf verzichtet, den zweiten Teil der Verachteten zu schreiben, wo ich die restlichen Personen einer Wandlung ihres Charakters und ihrer Abenteuer hätte erdulden lassen müssen, die mit der Art, wie sie dem Leser vorgestellt worden waren, in Widerspruch stand.
In dem Roman »die Verachteten« ist also keine einzige Zeile von mir.
Da ich bei diesem Thema angelangt bin, möchte ich dieses Kapitel mit einer Bilanz meiner Arbeiten beenden.
Wer könnte die im rauhen Wind der Haute-Marne, in meinem Nest von Vroncourt entblätterten Lieder zählen! Die am Hagedorn oder an den Wegen aufgehängten Verse! Die in meinem Klassenpult vergessenen Essays!
Und später, fragt die Winde, die Gefängnisse, das Meer, die Zyklonen. Weiß ich, welchen Weg das alles geht!
Wenn ich jedoch über alles sprechen möchte, was mir im Gedächtnis geblieben ist, wäre da genug, um den Leser zu ermüden.
Von den Gedichten, die ich in meiner Kindheit und meiner Jugend Victor Hugo schickte und von denen ich einige aufs Geratewohl zitiert habe, werden zwei oder drei in meinem Gedichtband abgedruckt werden: nämlich die, die bei den Papieren geblieben sind, die Marie Ferre und meine Mutter während der Deportation ordneten.
Die meisten meiner Arbeiten, die besten wahrscheinlich, denn sie waren schwer von Haß und Empörung, sind vermutlich in dem Abfallkorb des Monsieur Bonaparte versunken.
Wie viele Verwünschungen habe ich ihm geschickt!
Ich habe etliche Gedichte erwähnt, die mehrere Jahre vor den Ereignissen von 1870-71 in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden, in dem Journal de la jeunesse (Zeitung der Jugend), in der Union des poetes (Vereinigung der Dichter), in der Zeitung von Adele Esquiros, in der Raison (Vernunft) von Adele Caldelar und in anderen, etc.
Einen mit Louis Michel unterzeichneten Artikel in dem Progres musical (Musikalischer Fortschritt) über ein Instrument, von dem ich träumte: ein Klavier mit Bügeln statt mit Hämmern.
In Deutschland werden sie nun gebaut.
Eine gewisse Anzahl von Gedichten wurde mit Enjolras unterzeichnet, andere mit Louis Michel, andere mit meinem richtigen Namen. Ich weiß nicht, was aus all dem geworden ist.
Mein Leben lang habe ich an der Legende des Barden gearbeitet, überall liegen davon Bruchstücke herum.
Ich besitze ebenfalls noch einige Bruchstücke von vielen Manuskripten in Prosa, von Hermanns Buch, der Weisheit eines Narren, Literatur am Haken, dem Teufelsspuk von Chaumont etc.; vielleicht werde ich sie eines Tages zusammenlegen, um darin, wie auch in den Gedichten, den Wandlungen nachzuspüren, die der Gedanke durch ein Leben hindurch erfährt.
Bruchstücke von den Ozeanierinnen und den kanakischen Legenden sind in Numea und nach meiner Rückkehr erschienen.
Viele Jahre lang sind Unmengen von Kinderdramen nach jeder Preisverteilung davongeflogen.
Aus der Frau durch die Epochen ist der erste Teil in dem Exkommunizierten von H. Place veröffentlicht worden. In derselben Zeitung wurden die Memoiren von Hanna der Nihilistin gerade angekündigt, als die Zeitung ihr Erscheinen einstellte.
Unter diesem Titel hatte ich eine große Anzahl der Episoden meines Lebens mit russischen Episoden vermengt. Von den in Auberive geschriebenen Arbeiten sind mir einige Seiten aus dem Buch vom Bagno geblieben; das Gewissen und das Buch der Toten sind verloren.
Bei meiner letzten Reise nach Lyon habe ich das Drama des Roten Hahns der Zeitung Nouvelliste (Novellist) überlassen. Ein Roman erscheint ebenfalls in Le Foroat (Der Zuchthäusler) aus Lille.
Alle von mir unterzeichneten Artikel in La Revolution sociale (Die soziale Revolution), in L'Entendard (Das Banner) und anderen Zeitungen.
Der Anfang der Enzyklopädie für Kinder, der in Kaledonien geschrieben wurde, ist in Le Journal d'education (Zeitschrift für Erziehung) von Mlle Cheminat erschienen.
Eine gewisse Anzahl von Artikeln, die alle unterzeichnet waren, ist verstreut.
Was die angefangenen Szenenentwürfe und Romane betrifft, die ich ein wenig überall in Angriff nahm und die ich mangels Zeit wegen der Ereignisse nie zu Ende führte, so zähle ich sie nicht mehr.
Unter anderem gibt es die Plünderer; ich kam auf die Idee, dieses Buch zu schreiben, zur gleichen Zeit wie Digeon.
Der Held ist das rothaarige Kind, dieses arme kleine verlassene Kind, das, struppig wie ein Hund, am 9. Februar des vergangenen Jahres einen Kuchen stahl, und das meine Kameraden - sie waren rechtschaffener als ich - dazu veranlassen wollten, den Kuchen wegzuwerfen; ich gestehe, daß ich das Kind unter meine Obhut nahm, damit es den Kuchen aß; es kannte so etwas wahrscheinlich nicht.
Arme Göre! Wie viele gab es von ihnen bis zur Revolution!
Hätten sie nur das Brot, das den Hunger befriedigen kann, den ihre jungen gierigen Zähne eines kleinen menschlichen Wolfes haben; aber sie finden nichts, selbst wenn sie den Wald verlassen!
Nichts? Das ist ein Irrtum, sie werden die Zwangserziehungsanstalt finden, in der die Härte, mit der sie behandelt werden, die zukünftigen Todeskandidaten oder die zum Bagno Verurteilten präpariert.
Nun! Schon wieder lasse ich mich zu etwas anderem als zu der Nomenklatur meiner Werke hinreißen, und ich dachte sogar kaum noch daran.
Beenden wir dieses Kapitel mit der Benennung der Enzyklopädie für Kinder, die bei Mme Keva bald veröffentlicht wird, und der kanakisehen Legenden, die zur Zeit bei demselben Verleger erscheinen.
Ohnehin sind die kanakischen Legenden, mit meinem Aufenthalt in Kaledonien eng verbunden, auf dessen Bericht ich im nächsten Kapitel zurückkomme.
VIII
Zwischen dem Westwald und dem Meer liegt ein Streifen vulkanischer Felsen; die einen stehen aufrecht wie die Menhire von Carnac,[1] die anderen haben gespenstische Formen angenommen; einer sieht sogar aus, als habe er sich bei den Menhiren zur Ruhe gelegt; andere sind flach und gleichen Gräbern; einer hat die seltsame Gestalt einer riesigen Rose mit zerrupften Blütenblättern.
Wer die Meeresfrische scheut, streift bei Flut nicht gern auf dieser Seite der Bucht umher.
Über den Westwald ragt der Signalmast, er blüht förmlich vor Schwalben, und aus der Ferne könnte man ihn für einen hübschen Baum mit riesigen Zweigen halten.
An dieser Ruhestätte hört man die geschwätzigen Schwalben mit ihren bis zu den Augen aufgesperrten Schnäbeln ohne Unterlaß miteinander plaudern.
Zweimal im Jahr ist der Wald von Lianen bedeckt, die fast alle weiße oder gelbe Blüten tragen. Die Blätter nehmen jede mögliche Gestalt an, sie haben die Form von Pfeilspitzen, von Speerspitzen, von Weinblättern. Die Liane mit dem Goldapfel blüht wie der Orangenbaum; die Fuchsia-Liane bedeckt die sie umgebenden Bäume mit schneeweißen Sträußen, die wie Fuchsien aussehen, und die so dicht zusammenliegen, daß man die Blätter kaum noch sehen kann.
Eine Liane hat kleeblattförmige, kleine, dicke und durchsichtige Blätter, die wie in Glas gemeißelt aussehen; deren Blüten hängen an einem Faden in Körben und sind der lebendigen Korallenblume ähnlich.
Über dem ganzen Wald schweben in der Luft Lianen, die an Hopfen oder an die Waldreben mit den goldenen Blumen erinnern, und die im Wind geschwungen oder zu übermütigen Arabesken hin und her geworfen werden.
Andere mit Schierlingsblättern haken überall ihre zartgrünen Ranken ein.
Eine Liane mit zerbrechlichen, durchsichtigen Weinblättern, die mit einer Art Flaum - ähnlich der Blume, die wir auf unseren Pflaumenbäumen sehen - bedeckt ist, besitzt ein zusammengewundenes Samenkorn in Früchten, die Wassermelonen ähneln, und die klein, gelb und selbst zusammengewunden aussehen. Das flache Samenkorn ist von einem purpurroten Fleisch umhüllt; letzteres ähnelt dem lebendigen Gelee, das die Zyklonen an den Strand werfen, wenn sie den Meeresgrund schrappen, und das sich ohne andere Substanz als einen Haufen Fleisch, ohne Organe, ohne irgend etwas, verlängert, als würde es sich Knollen zulegen, um in die Fluten zurückzukehren.
Eine andere Liane hat als Beeren Tausende roter Ohrgehänge. Die kleine grünlich-weiße Blüte bildet Sternensträuße.
Es gibt Sträucher, die voll von winzigen weißen Nelken sind; andere haben die Blüte der Kartoffel mit an der Wurzel kleinen Knollen; fast hält man sie für baumartige Euphorbien.
Die baumähnlichen Erbsen mit den haarigen Hülsen sind ganz klebrig und haben eine blaue Blüte mit Schatten vom Rot unserer Levkojen.
Die baumartige Bohne ist klein und bläulich-schwarz und hat, wie seltsam, eine blaue Blüte mit Schatten von schwarzer Farbe; sie ist vielleicht die einzige Blume im Land, die nicht gelb oder rot wäre. Diese letzte Farbe ist selten; abgesehen vom flammenden Rot gibt es wenige Bäume mit purpurnen Blüten.
Die weißen Blumen sind vorherrschend.
Dann kommen die gelben.
An dritter Stelle kommen dann einige rote; ich habe nur die blaue gesehen, von der ich gerade gesprochen habe.
Die Farbe violett wird vertreten durch ganz kleine wilde Stiefmütterchen, die in großer Anzahl mit ebenfalls recht kleinen rosa Feldwinden und mit großen geruchlosen Reseden dort wachsen, wo der Boden sandig und das Gras kurz ist.
Die Wälder sind rot von den hiesigen Tomaten, die, groß wie unsere Kirschen, im Schatten hoch wachsen und wie Erdbeeren an den Orten versteckt sind, wo die Sonne durchsickert.
Die rosafarbenen Lorbeerbäume haben Blütenkugeln, die wie die der Hortensien angeordnet sind, manche sind blaßrosa, die meisten weiß, und sie haben die Frische von Reispapier.
Tausende von Sträuchern mit Heliotropblüten, weißem hohlem Holz und voll von Dornen wachsen überall.
Die Beeren mit der Form und Farbe der schwarzen Johannisbeere haben einen intensiven Geschmack; jede Fruchtrebe gibt kaum einen halben Tropfen des Saftes ab, der nach starkem Madeira schmeckt; ich glaube, man könnte aus diesem gegorenen Saft einen für die Kranken stärkenden Likör ziehen.
Ich habe von dem zusammengewundenen Samenkorn einer Liane mit gelben Blüten gesprochen; es gibt das lebendige Gegenstück zu diesem Samenkorn: das ist ein weißer Schildkrötenpanzer, der mit denselben Windungen geschmückt ist, und der dieselbe vollkommen geschlossene Form hat, bis auf da, wo der Kopf heraustreten sollte und am gegenüberliegenden Teil.
Diese sonderbare Schildkröte hat keine Beine. Die Zyklonen zerren diese Gehäuse aus den Verstecken, in denen sie unter den Wogen liegen, und werfen sie auf den Strand.
Auf einem früher überfluteten Felsen breitet sich eine recht lebendige Alge mit ihren violetten Trauben aus; sie wartet auf die rückkehrende Flut, oder sie wird zu einem irdischen Gewächs und versucht, ihre Wurzeln in den Boden zu schlagen.
Auch auf diese Weise bilden oder entwickeln sich, von der Pflanze bis zum lebendigen Wesen, neue Organe je nach der Umgebung.
Wissen wir besser oder gar so gut wie diese Algen, die das Leben auf der Erde erlernen, wie man mit dem Grundorgan Freiheit, mit den Grundorganen der Künste umgeht? Ich glaube nicht.
Es komme der revolutionäre Zyklon, und auch das Volk wird das neue Leben erlernen.
Einmal, manchmal zweimal im Jahr umhüllt ein grauer Schnee mit wirbelnden Flocken die Halbinsel; er steht einem zuweilen bis über die Knöchel: es sind die Heuschrecken. Wenn sie beginnen, in der Luft zu wirbeln, kann man diese Sandbienen stellenweise durch Geräusch fernhalten; aber sie kommen wieder, und von den Wäldern bis zu den Kulturen, es bleibt nichts verschont, ob Blätter oder Gemüse oder zartes Gras; wenn manche in alten Büschen niederkommen, dann ist alles abgefressen bis auf die Baumstämme.
Vielleicht würde man einen reichen Dünger bekommen, wenn man die Heuschrecken in tiefe Gräben hineinfegen würde, die man mit genügend Erde bedeckte, um den schlechten Geruch zu vermeiden.
Das zweite Erscheinen der Heuschrecken hängt mit den Eiern der ersten zusammen, die im Busch zur Welt kommen, dort lange Zeit ohne Flügel wie die Grillen springen, bevor sie auffliegen, die zweite Ernte auffressen und in eine andere Gegend hineinfliegen, um die Pflanzenwelt zu zerstören, Eier zu legen und zu sterben.
Nichts ist so schön wie der graue und wirbelnde Schnee der Heuschrecken; der ganze Himmel ist in dieser eintönigen Farbe eingefangen; man sieht die durch Insektenflocken gedämpfte Sonne wie durch ein Sieb, und die grauen Flocken fallen, fallen immer weiter in das seltsam verschwommene Helldunkel.
Die Rizinusbäume, die überall gut wachsen, greifen die Heuschrecken erst als letzte an, und oft greifen sie sie überhaupt nicht an; man könnte also in Neukaledonien die Seidenraupen des Rizinusbaumes züchten, die man in Indien fast ebenso schätzt wie die des Maulbeerbaumes.
Ich habe zehn Jahre lang nach Eiern dieser Seidenraupen gefragt; aber (und ich bitte die Gelehrten, die sie mir schickten, um Verzeihung, daß ich das folgende erzähle) da die Eier erst nach Paris geschickt wurden und von dort aus noch einmal den Ozean mit der Post überquerten, sind sie immer während dieser Wanderungen ausgeschlüpft.
Indes haben wir viele Schiffe gesehen, die aus einem Zwischenhafen in der Gegend ausgelaufen waren, aus der die Seidenraupen stammten.
Nachdem ich die Gebräuche der Gelehrten gebührend verflucht hatte, die nichts auf einfache Weise verrichten können, habe ich im letzten Jahr meines Aufenthalts in Kaledonien Rizinusbäume entdeckt, die mit nackten, wie Seidenspinner aussehenden Raupen bedeckt waren; habe ich mich geirrt? Gibt es in Kaledonien eine wilde Seidenraupe des Rizinusbaumes? Vielleicht werde ich später dieser Frage nachgehen.
Inmitten des Westwaldes, in einer Schlucht, deren umliegende kleine Hügel noch vom scharfen Geruch der Wogen durchsetzt sind, steht ein riesiger Olivenbaum, dessen Zweige wie die der Lärchen waagerecht wachsen; niemals fliegt ein Insekt auf seine schwärzlichen Blätter mit dem bitteren Geschmack. Zu jeder Stunde und jeder Jahreszeit herrscht in seinem Schatten eine Frische wie in einer Höhle; der Gedanke wie der Körper empfinden dabei eine plötzliche Erquickung.
Die Früchte dieses Baumes sind kleine, blanke, dunkelrote Oliven. Ist es ein Olivenbaum? Ich glaube nicht.
Etwas oberhalb stand ein indischer Feigenbaum, der einen ganzen Felsen mit seiner Laube verbarg und im letzten Jahr unseres Aufenthaltes gefällt wurde.
Nie habe ich so seltsame Insekten gesehen wie die, die im Schatten dieses Feigenbaumes in den stellenweise zerbröckelten Felsspalten wohnten.
In dem weißen Staub sind dicke weiße Würmer mit ähnlichen Hörnern wie die des Rentiers und mit einer Art schwarzer Knospen; ich habe manche gesehen, die wie Särge gänzlich umhüllt waren, manche, die mehr oder weniger bedeckt waren, ich konnte aber den Moment nicht abpassen, zu sehen, ob es sich dabei um die erste Entwicklungsstufe der Blatt-Fliege, der Phyllis der Naturalisten, handelt. Ein einziges Mal habe ich die Blume-Fliege gesehen, ich glaube nicht, daß ihre Existenz schon vermerkt worden ist.
Wenn man uns den Alkohol nicht verboten hätte, hätte ich Insekten aufbewahren können; besonders in den gerade erwähnten Felsspalten und in dem Haufen Staub, der aus dem Zusammensturz der jahrhundertealten Niaoulis ensteht, gibt es merkwürdige Insekten, vielleicht einzigartige. Im Nordwald hat man manchmal das Glück, einen solchen Zusammensturz zu erleben.
Im Westwald gibt es weniger Niaoulis; auf der Halbinsel Ducos findet man die meisten an den Hängen der Hügel, die Numbo krönen. Ihre im hellen Mondschein klagenden Zweige recken sich wie die Arme von Riesen und weinen über die Knechtung der Heimaterde.
In dunklen Nächten strahlen die Niaoulis eine Art Phosphoreszenz aus.
Kaledonien ist das Land der kostbaren Hölzer: Rosenholz, Mahagoni mit gelben oder roten Früchten, Eisenholz, falsches Ebenholz, Drachenbäume mit blutendem Saft und so viele andere.
Durch die Europäer sind manche Bäume am Aussterben, andere finden hier durch sie eine neue Heimat. Wie es auch bei jeder Auswanderung geschieht: entweder passen sich die kleinen Eichen der Umgebung an oder sie gehen ein.
Aber sie verschwinden, denn keine Eiche hat dort Eicheln getragen, die ihre Art erhalten hätten.
Jede Pflanze, jeder Baum dort hat sein Insekt, das als Raupe die Farbe seines Holzes, geflügelt die Farbe seiner Blüten hat.
Die Grasraupe hat zwei grüne Streifen, die des Niaoulis ist ein Wurm, den man mit dem Zweig verwechseln kann, den er benagt, und er verwandelt sich in eine Art Libelle, deren Leib und Flügel dem Holz und den Blättern des Niaoulis angeglichen sind.
Auf jedem Baum lebt eine Wanze, die nur zu diesem Baum gehört. Sie sind alle kostbare Edelsteine, Rubine, Smaragde mit fein gezeichneten Ornamenten; einige sind durchsichtig wie Kristall. Sie verbreiten keinen schlechten Geruch, ein Vorzug, den man den Kanaken nicht nachsagen kann, die sich mit ranzigem Kokosöl einreiben, dessen Gestank die Mücken vertreibt.
Neukaledonien ist das Paradies der Spinnen; sie werden mit Rücksicht behandelt, weil sie angeblich die Schaben vernichten. Die Spinnen, die man deshalb in den Hütten beläßt, gehören zu einer riesigen schwarzen Gattung mit großen behaarten Beinen; man könnte sie für Vogelspinnen halten.
Die Seidenspinne webt ihr Netz in den Wäldern und heftet es an dicke Fäden, die häufig von einem Baum zum anderen gespannt sind, wobei sie dem Wind die Sorge überläßt, die ersten zu befestigen; wenn sie meint, daß sie fest genug verknotet sind, benutzt sie sie als Brückenbogen, um sie millionenmal zu verdoppeln und zu verdreifachen und eine Florstraße aufzuspannen, oder sie verbarrikadiert einen Weg und rechnet in dieser Einsamkeit nicht mit dem Menschen oder dem Tier, die ihre Arbeit zerstören können.
Vielleicht wäre es möglich, die Seidenspinne nutzbar zu machen.
Eine andere, ein regelrechtes Ungeheuer, beutet die Arbeit oder das Leben von armen kleinen Spinnen aus, die in ihrem Netz leben und es ausbessern; frißt sie sie? Wahrscheinlich, es sei denn, ihre Arbeit erscheint ihr einträglicher als ihre Haut. Gesehen haben wir es allerdings nicht.
Eine kleine durchsichtige Spinne sieht wie ein roter Tautropfen aus; eine große weiße, einer riesigen Haselnuß ähnlich, wird wegen ihres feinen Geschmacks von den Kanaken genauso geschätzt wie die Heuschrecken, die sie wie Krabben zubereiten.
Die Seide mehrer Insekten ist fest und glatt; selbst die Blätter, von denen einige mit einer Glasur überzogen sind, könnten Seide ergeben, die vielleicht ebenso gut wäre wie die der Raupen; eine Liane erzeugt eine feine und lange haarähnliche Seide. Mehrere Sorten wilder Baumwolle - die einen sind Bäume, die anderen Pflanzen - könnte man nutzbar machen, ebenso eine wilde Mohrenhirse mit riesigen Samenkörnern.
Es gibt nur wenige Stellen jungfräulichen Waldes, wo nicht Bäume geschlagen sind, um mit Rosenholz oder Ebenholz das Zimmerwerk der Häuser von Numbo oder Tendu zu bauen; die letzten sind wie im alten Troja aus ungebrannten Ziegeln gebaut und mit Steppengras bedeckt. Dort aber, wo alles noch unberührt ist, hängen Hunderte von Beuteltieren an den Füßen in den Bäumen wie große Birnen und heben ihren feinen Fuchskopf und blicken neugierig aus ihren kleinen schwarzen Augen.
Seltene Brillenvögel fliegen plötzlich auf und rascheln mit ihren Flügeln in den verschlungenen Zweigen. Liegt es an den Beuteltieren, daß die Vögel überhaupt so selten sind? Man sagt aber im Gegenteil, daß sie sich von wilden Früchten ernähren.
Die kaledonischen Früchte: Feigen mit Aschengeruch, bittere Äpfel des Mahagonibaumes, dicke Maulbeeren, die mit einer zuckerähnlichen, aber geruchlosen weißen Schicht überzogen sind, gelbe Pflaumen mit einem riesigen runden Kern, schmecken angeblich nicht gut; aber ich mag sie so, und eigentlich lieber als die europäischen Früchte.
Ich mochte sie besonders, wenn ich sie in der Tiefe des Waldes zwischen Felsen und Lavawegen von Baum oder Strauch pflückte; wenn der Wind vom Meer toste, und wenn ich bis zum nächsten Posteingang einen lieben Brief von meiner Mutter und von Marie in der Tasche trug.
Die kaledonischen Insekten sind noch nicht giftig, wahrscheinlich kennen sie den Menschen seit zu kurzer Zeit, als daß es für sie notwendig wäre, Gift herzustellen. Die Wasserschlangen haben zu kurze Giftzähne, und ihre Gattung, die überall ausstirbt, wird dort wie andernorts verschwinden, bevor die Giftzähne gewachsen sind.
Diese Schlangen sind lang und sehr schön: die einen haben weiße und schwarze Ringe, die anderen sind einfach schwarz-weiß. Einige von uns hatten welche zahm gemacht. Ich hatte auch lange Zeit eine in einem Wasserloch, das ich deswegen in der Hütte ausgegraben hatte, die ich als Gewächshaus benutzte, aber ich habe sie wegen meiner alten Katze gehen lassen, die sie verabscheute und ihr ins Gesicht spuckte und damit so sehr provozierte, daß die Schlange sie am Ende vielleicht noch erstickt hätte. Ihre Schlangenaugen folgten ihr nämlich mit einem kaum sympathischen Ausdruck.
Unter sich benutzen die kaledonischen Tiere die Gifte, mit denen sie den Menschen nichts anhaben können: die blaue Fliege, in der Größe einer Wespe, die die Schabe in ihren Schlupfwinkel bringt, um sie auszusaugen, sticht sie, bevor sie ihr die Augen aussticht; wahrscheinlich injiziert sie ihr eine Art Kurare.
Eine andere Fliege, in der Größe einer Hornisse, mauert in ihrem Nest - vermutlich als Nahrung für ihre Larven - andere Fliegen ein, die sie wahrscheinlich anästhesiert, wie es die europäischen Fliegen mit den Raupen tun, die sie ebenfalls in den Zellen ihrer Nester einmauern. Ein für den Menschen ungefährlicher Skorpion zieht die Insekten an, die zu seiner Beute werden, indem er sie festbannt.
Am Gipfel der hohen Hügel des Westwaldes zwischen der rosa Heidelandschaft gibt es riesige eingestürzte Felsen, die wie Festungsruinen sind, Lianen mit zerbrechlichen Blättern und duftenden Blumen, die riesige Tausendfüßler verstecken, die sich wie Schlangen um zahllose andere Insekten wickeln; ich habe nicht gesehen, daß sie sie gefressen hätten, aber ich habe manche gesehen, die ihre Opfer erstickten. Ist es aus Hunger? Ist es aus Vergnügen? Ich weiß es nicht.
In denselben Ruinen, die voll von dem hohen rosa Heidekraut sind, versteckt eine braune Spinne, haarig wie ein Bär, ihre Liebe; das Weibchen überrascht das Männchen und frißt es auf, sobald es ihr nicht mehr gefällt, und zwar an genau derselben Stelle, wo sie es in ihrem Netz festgebunden hat.
Ganz im Gegenteil zur menschlichen Gattung.
Erst im dritten Jahr unseres Aufenthaltes auf der Halbinsel Ducos haben wir weiße Schmetterlinge gesehen; haben diese Insekten einen dreijährigen Zyklus, oder sind sie eine neue Gattung, die durch die neue Ernährung der Insekten hervorgebracht wurde, dadurch, daß europäische Pflanzen auf die Halbinsel gebracht wurden? Man wird es überprüfen können.
Oft sehe ich noch diesen stillen Strand vor mir, das Meeresufer, wo plötzlich unter den Wurzelbäumen das Wasser klatscht und plätschert, weil Krebse einen Kampf ausfechten; wo man nichts sieht als die wilde Natur und die öde Weite des Wassers.
Und die Zyklonen? Wenn man sie einmal gesehen hat, kann man nicht mehr über das Toben der Elemente in seiner grausigen Schönheit staunen.
An solchen Tagen sind es der Wind, die Wogen, das Meer, die die Schlachtlieder des Sturms singen! Für Augenblicke scheint es, als falle man dröhnend in ihren gewaltigen Chor ein. Man fühlt sich emporgetragen von den Flügeln, die über der Schwärze der Fluten in die Schwärze des Himmels schlagen.
Manchmal zerreißt ein mächtiger roter Blitz das Dunkel oder leuchtet als ein einziger purpurner Schimmer auf, über dem die Schwärze der Fluten wie ein Trauerflor weht.
Der Donner, das heisere Brüllen der Wellen, die Alarmkanone an dem Ankerplatz, das Rauschen des strömenden Regens, die mächtigen Windböen, all das verschmilzt zu einem einzigen, gewaltigen und herrlichen Geräusch: zu dem Orchester der wilden Natur.
Es ist tiefe Nacht, doch die Blitze zucken fast ununterbrochen; Auge und Ohr sind bezaubert.
Unseren ersten Zyklon erlebten wir nachts; da sind sie am schönsten.
Das war auf der Halbinsel Ducos; das Barometer war auf den niedrigsten Stand gefallen; die Luft, von keinem einzigen Hauch erfrischt, hatte ihn seit dem Morgen angekündigt.
Die Tiere wurden unruhig; jeder nahm seine Tiere in die Hütte mit.
Als ich meine Ziege und meine Katzen in der meinigen eingesperrt hatte, kam mir ein Gedanke, den ich sofort Perusset mitteilen wollte (er war ein alter Hochseekapitän); es war keine Zeit zu verlieren.
Nicht ohne Schwierigkeit, denn es wurde Abend und der Sturm begann, folgte ich dem Weg nach Numbo und gelangte zu seiner Hütte, die als eine der ersten auf unserer Seite des Westwaldes lag.
Ich klopfe an.
- Wer ist da, bei dem Wetter? Zum Henker! Komme schon! Komme schon!
Und immer noch brummend öffnet Perusset die Tür.
Ich komme Sie holen.
Wozu?
Das Schiff, das uns bewahrt, bewahrt nun nichts mehr; es wird diese Nacht nicht am Ankerplatz liegen; wir können uns mit einem Floß dem Zyklon anvertrauen, es wird uns bis zum nächsten Festland bringen, wahrscheinlich nach Sydney, und Ihnen, einem alten Seebär, wird man bestimmt eine Brigg geben, um die anderen zu holen.
Aber ich schmeichele ihm umsonst: ich nenne ihn alter Seebär, alter Pirat, Korsar etc.; mein Wortschatz erschöpft sich, und Perusset schaut mich schweigend an. Er ist ein Gelehrter, und wenn das Wissen einen zum überlegen zwingt, ist man nicht gern bereit, sich dem Unbekannten auszuliefern. Schließlich sagt er mir sehr ernst:
- Zunächst einmal haben wir nichts, woraus wir ein Floß bauen könnten.
- Es gibt alte Fässer; wir binden sie zusammen.
- Wo sollen wir sie hernehmen?
- Überall liegen welche herum, in der Kantine und sonstwo.
- Und wenn, wissen wir denn, wo wir stranden werden?
- Mensch! Das ist eine Glücksfrage; wir müssen es aber versuchen; es steht tausend zu eins, daß wir untergehen.
- Nun, wir werden die Möglichkeit haben, die Sie eins nennen.
Wir streiten, das Gewitter tobt immer mehr, es beginnt zu
regnen.
- Soll ich Sie nach Hause zurückbringen? fragt Perusset, der sich'Sorgen macht um den Weg, der noch vor mir liegt.
- Nein, ich brauche Sie nicht.
Ich knalle ihm die Tür vor der Nase zu; ich höre, wie seine Lampe umfällt; armer Alter! Er macht die Tür wieder auf, aber ich rufe ihm von weitem zu:
- Ich bin in zahlreicher Begleitung. Ich nenne ihm fünf oder sechs Namen!
Gehen Sie rein, wir sind acht Mann hoch.
- Stimmt das auch?
- Aber natürlich, ich werde doch nicht lügen.
Es stimmt nicht, ich bin mutterseelenallein und das ist ohnehin besser, wenn man wütend ist; ich klammere mich an die Felsen und kehre zur Westbucht zurück.
Wie schön es ist! Wie schön es ist! Ich denke nicht mehr an Perusset oder sonst etwas; ich schaue nur, ich schaue mit weit offenen Augen und mit ganzem Herzen.
Das nachtschwarze Meer greift mit riesigen Krallen schneeweißen Gischts nach den Felsen, neben denen ich stehe; aus den Wogen hört man etwas wie ein Röcheln.
Als ich meine Hütte erreiche, ziehe ich mich um, denn meine durchnäßten Kleider sind schwer wie Blei.
Und dann kommen Besucher, es sind all die jungen Leute, meine Schüler; sie haben gebangt, daß uns etwas zustoßen könnte, und da sind sie nun.
Der Wind hat uns fast umgeworfen, sagen sie.
Davon kann ich ein Lied singen.
Ach! Hätte ich doch wegen des Floßes früher an diese jungen Leute gedacht; hätte mich doch der Titel >Hochseekapitän< nicht geblendet! Als ob es bei einem Zyklon etwas zu steuern gäbe! Man braucht sich ihm nur auszuliefern!
Diese hier hätten schon gefunden, was wir brauchten, und wir hätten unser Glück versucht.
Nun ist es zu spät; bah, was macht das schon? Was wir hier erleben hat seine Nützlichkeit und ist schön, und egoistisch, wie ich bin, starre ich, starre, soviel meinen Augen möglich ist, in diese Nacht, in der alles zusammenbricht, stöhnt und heult, und ich starre, solange sich die Blitze durch den strömenden Regen wie durch einen Schleier aus Kristall in ihrer grausigen Schönheit zeigen.
Welch eine Stille am nächsten Tag! An die ausgeschnittene Küste hat das Meer herrenloses Gut geworfen, das es seinem Schoß entriß, und das es von der Halbinsel oder der Insel Nou herbrachte.
Auf einem Ast, den er Wald hergeben mußte, brütet ein Brillen-vogelweibchen auf seinen Jungen, die der Zyklon mit sich gerissen hatte, ohne daß sie zu Schaden gekommen wären.
Ich binde den kleinen Ast, so gut es geht, an einen Gummibaum; dort wird er besser aufgehoben sein als auf dem Boden.
Wie ist das nur möglich, daß die Vögelchen bei ihrer entsetzlichen Reise nicht aus dem Nest gefallen sind? Die Mutter muß sie wohl unter ihrem Leib festgehalten haben.
Das Menschengeschlecht kennt Eltern, die bei einer Feuersbrunst oder bei anderen Unglücksfällen in panischer Angst fliehen und ihre Kinder vergessen.
Den zweiten Zyklon habe ich am hellichten Tage in Numea erlebt; er war schön, dennoch weniger grandios als der nächtliche Zyklon auf der Halbinsel Duclos.
Die Blechdächer, die wie riesige Schmetterlinge davonflogen, boten einen seltsamen Anblick; das Meer bellte wütend, und wir hatten das Gefühl, als fließe aus unseren Kleidern mehr Wasser als vom Himmel, weil es wie ein ganzer Ozean auf uns herabschüttete; dennoch war die dramatische Wirkung weniger gewaltig; sollte ich gegen solche Ereignisse schon ebenso abgestumpft sein wie gegen anderes?
Die Kompaßnadel gerät in Panik und sucht bange den Norden; die großen Flügelschläge des Windes peitschen ab und zu stärker inmitten dieses gewaltigen Lärms.
IX.
EINE WEITERE ZWISCHENBEMERKUNG
In den Maitagen dieses Jahres, den düsteren Jahrestagen des Gemetzels, folgen die Todesfälle schnell aufeinander! Drei Gräber haben sich gerade geöffnet:
VICTOR HUGO!
AMOUROUX!
COURNET!
Alle drei erinnern an 71: Amouroux schleppte die Kugel des Bagno in Neukaledonien; Cournet wurde verbannt, und die Verbannung ist vielleicht das Jämmerlichste, was den Besiegten zuteil wurde; Victor Hugo verschenkte sein Haus in Brüssel an die, die dem Schlachthaus entflohen waren.
Der Gedanke, Monsieur Maxime Du Camp, den Lieferanten für das warme und kalte Gemetzel, an diesem Sarg sprechen zu lassen, ruft bei mir kaltes Grauen hervor.
Als ganz junges Kind habe ich Victor Hugo Gedichte geschickt; ich habe das mein Leben lang getan, bis zu meiner Rückkehr aus Kaledonien. Warum auch? Der Meister wurde von allen gefeiert, sogar von denen, die früher weit davon entfernt waren; ich verspürte kein Bedürfnis, diesen fröhlichen Tagen beizuwohnen. Aber zu dem Grab, an dem Monsieur Du Camp von Satory es wagen wird, zu sprechen, werde ich vom Gefängnis aus gehen und schreien, wie die Toten durch das Nichts, durch die Erde schreien würden:
»Zurück! Banditen! Gegrüßt sei der Barde, der die Henker verdammte!«
VICTOR HUGO ZUM GEDENKEN
Diesen Mann kannst du getrost erschlagen.
VICTOR HUGO.
Den überlebenden vom Mai, von dem großen Blutbad,
Schenkte er sein Haus; heute, an seinem Grab,
Wird Maxime Du Camp,
Du Camp von Satory! Das Wort ergreifen.
Warum eine blutgezeichnete Stirn,
Um den Barden am Capitole zu ehren?
Nicht im Kampf ehren, sondern später, wie einen Verräter.
Mit dem Blut der Besiegten, das der Meister verabscheute;
Wie bei der Jagd ein Hund
Das Wild aus dem Verschlag scheucht, dieser Spitzel aus eigenem Willen
Sechs Jahre haben wir ihn gesehen, für die Kriegsgerichte
Den Bürger jagen.
Der Henker Gallifet zeigt sich in aller Angesicht;
Man kennt die fünfzehn Namen der Gnadenstoß-Männer;
Im blutigen Schlachthaus
Haben sie nur gemordet; er bewarf mit Schlamm,
Wen er denunzierte, damit man auf ihn anlegte,
Er, Maxime Du Camp!
Du Camp von Satory; man kann diesen Mann
Getrost erschlagen, nicht wie jeden anderen.
Ihm muß man ins Gesicht schlagen.
Denn nur eine Herausforderung ist sein schmachvolles Wort,
Wie ein Auswurf, den er in die aufgewühlte Menge schleudert,
Die ihn grollend umgibt.
Unter den blühenden Bäumen, am roten Jahrestag,
Wie eine Beleidigung denen, die unter der Erde ruhen.
Wird er nicht sprechen.
O Meister! Wir wachen an den Gräbern und den Kerkern;
Über dich wird keines seiner Worte fallen
Und nicht der Laut seiner Schritte.
Ach! Für die Toten, für das offene Grab,
Wird das Volk wie einen Halm in den Sturm
Den schaurigen Possenreißer werfen.
Er gehe in dem furchtbaren Wind des Zorns,
In dem Wind, der in der Luft unsere Banner reißen läßt.
Er gehe, dieser Lump!
Vielleicht wird die Beerdigung im Père-Lachaise stattfinden.
Maxime Du Camp von Satory spricht im Père-Lachaise! Vor der weißen Mauer der Erschossenen! Dieses Ungeheuer, das sich mehr als sechs Jahre lang als Lieferant für die Henker verdungen hat, tat es zu seinem Vergnügen und nicht wie diese armen Gewöhnlichen, die es meist tun, um ihre Kleinen zu ernähren. Wie viele Dinge läßt die verhungerte Brut die armen Leute tun! Er, Maxime Du Camp, ließ zu seinem Vergnügen die Besiegten vor den Siegern auffliegen!
Inmitten so vieler Schmerzen hatte ich es ein wenig vergessen. Der entsetzliche Gedanke, ihn in den Maitagen vor uns aufzustellen, hat mich an seine Verbrechen erinnert.
Vielleicht fände er dort die gerechte Strafe, wenn er es wagen sollte, sich zu zeigen.
Dort in Kaledonien gibt es einen riesigen Fels; er öffnet wie eine enorme Rose seine Blütenblätter aus Granit, die mit kleinen schwarzen Lavastreifen wie Rinnsalen von schwarzem Blut befleckt sind; dort habe ich für die Zyklonen eine Strophe von Hugo eingraviert:
.............................................
Paris blutig im Mondschein,
Träumt, gebeugt über das Armengrab.
Ehr.e sei General Trestaillon!
Keine Presse mehr und keine Rednertribüne,
Neunundachtzig stopft ein Knebel;
Die Revolution, schrecklich, wen sie berührt,
Liegt am Boden; ein Cartouche[1] kann,
Was kein Titan konnte.
Escobar zieht ein schiefes Lächeln.
Man sieht, sie schleppen über dich, Riese Republik,
Die ganzen Säbel aus Lilliput;
Der Richter, Geschäftsmann im Schleppgewand,
Verkauft das Gesetz.
Lazarus! Lazarus! Lazarus!
Erhebe dich!
VICTOR HUGO.
Mögen die Blätter dieser Strophe, o Meister, auf dein Grab fallen!
So wie es das Drama in den Theatern nicht mehr gibt, weil es in Wirklichkeit auf der Straße mit den Massen der neuen Legende stattfindet, wird auch die Poesie nunmehr allen gehören.
Das Gefühl dafür entwickelt sich wie das der Freiheit, wie das der Harmonie, mit tausend anderen, die wir noch nicht kennen, in den revolutionären Ausdünstungen, wo alles ausschlägt, wo alles blühen wird, wo alles seine Frucht und seine Garbe haben wird.
Eine recht seltsame Sache ist die Ähnlichkeit, die zwischen den vier Köpfen der Greise existierte, die gerade gefallen sind, niedergemäht mit dem elenden Jahrhundert.
Louis Blanc, Victor Hugo, Blanqui, Pierre Malézieux, der Mann vom Juni und von 71, der von dem Tag an nicht mehr leben wollte, als ihn seine Vorgesetzten bei der Rückkehr für zu alt befanden, um zu arbeiten.
Habt ihr schon gesehen, wie alte Löwen einen im Liegen anblicken? Diese weichen und starken Raubtiere haben etwas von diesen großartigen Greisen.
Der Fels, von dem ich vorhin sprach und auf dem ich zwischen zwei Lavastreifen, die sie wie auf einer Trauerseite umranden, die Verse von Hugo eingraviert habe, bezeugt, daß der Boden von Neukaledonien die geologischen Umwandlungen erlebt hat, die entweder neue Gipfel emporgehoben oder Gipfel des Festlands zum Teil zu sich gerissen haben: man kann es an der Vielzahl verschiedener Steine feststellen, die im glühenden Zustand zusammengepreßt wurden, und von denen einige, die schneller erkalteten, ihre reine ursprüngliche Struktur bewahrt haben.
Wie Australien und Neuseeland muß Kaledonien einst ein Teil Asiens gewesen sein; vielleicht sind die kleineren Inselgruppen aus dem Wasser emporgestiegen, aber die Erschütterungen des kaledonischen Bodens werden mit Sicherheit durch gewisse Einschnitte in den Buchten und gewisse Risse in den Bergen bezeugt - wobei aus einem Berg zwei geworden sind, dessen Teile man eindeutig zu dem ehemaligen Berg wieder zusammenfügen könnte. Außerdem schien mir die kaledonische Ratte der australischen Ratte ähnlich zu sein; den neuseeländischen Hund hält man für eine Abart des australischen Dingos, und wenn der Neandertalerschädel der Quartärformation sein Gegenstück in den noch lebenden ozeanischen Rassen findet, kann man annehmen, daß ein unendlich grosser Kontinent zu den vorgeschichtlichen Zeiten systematisch.
Ich weiß nicht, ob die Wanderungen der polynesischen Überlieferungen fundiert sind, wonach die Polynesier dort, wo sie sich niederließen, eine andere Rasse vorfanden, aber die sich darauf beziehenden Legenden sind zu zahlreich, als daß sie nicht ein bißchen Wahrheit beinhalten würden.
Ich weiß auch nicht, worauf sich diejenigen stützen, die bestimmte asiatische Völker unter demselben Typ wie manche ozeanischen Stämme einordnen. Aber ich glaube, daß die angeblichen Albinos, die Cook und andere in diesen Gegenden beobachtet haben, keine Albinos sind, sondern die letzten Vertreter einer arischen Abzweigung mit langen Haaren und blauen Augen, was keineswegs ein Merkmal der Albinos ist.
Diese Arier, die sich im Laufe einer Völkerwanderung oder inmitten der geologischen Revolution verirrt haben, haben unter den ozeanischen Stämmen gelebt, wobei sie aber nur untereinander heirateten; das erklärt ihr Auslöschen und die rachitischen Gestalten ihrer letzten Vertreter.
Andia, der weiße Barde mit den langen Haaren, Andia, der Taka-la, der neben Atai sang und im Kampf getötet wurde, war einer der letzten, wenn nicht überhaupt der letzte; sein Leib war gewunden wie die Stämme der Niaoulis, aber er war tapfer.
Sein Name, Andia, war wirklich ein arischer Name, und inmitten der Kanaken, die als Orchester Palmzweige hin- und herbewegen, Bambusstöcke gegeneinander schlagen und eine Muschel als Blas-horn benutzen, fand oder fand er wieder die Laute in den Traditionen seiner Rasse oder dank der besseren Fähigkeit seines Hörsinns; die Saiten fertigte er aus dem Gedärm einer wilden Katze an, eines degenerierten Nachkommen mit sehr hohen Hinterpfoten und sehr niedrigen Vorderpfoten; es waren Katzen, die in den Wäldern von Cook verlassen worden waren und die aus der Notwendigkeit, zu springen, die Kniekehlen eines Känguruhs entwickelt hatten.
Ebenso wurde ein Dudelsack von Naina gebaut (nach der Tradition seiner Ahnen); so wild wie seine Stammesbrüder, machte er ihn aber aus der Haut eines Verräters.
Atai selbst wurde von einem Verräter erschlagen. Mögen die Verräter überall verdammt sein!
Nach dem kanakischen Gesetz kann ein Häuptling nur durch einen anderen Häuptling oder im Auftrag erschlagen werden.
Noudo, ein von den Weißen gekaufter Häuptling, gab Segou seine Vollmacht, indem er ihm die Waffen übergab, die Atai erschlagen sollten.
Mit einigen der Seinen kehrte Atai zu seinem Lager zurück und war zwischen den Hütten der fleger und Amboa angelangt, als Segou aus den Reihen der Weißen hervortrat und auf den mächtigen Häuptling zeigte, der an seinen schneeweißen Haaren erkennbar war.
Er trug seine Schleuder um den Kopf gewickelt, in der rechten Hand einen Gendarmensäbel, in der linken einen Tomahawk, seine drei Söhne und der Barde Andia, der eine Sagaje wie einen Speer benutzte, standen um ihn herum; Atai wandte sich den Reihen der Weißen zu.
Und da sah er Segou.
- Ach! sagte er, da bist du!
Der Verräter schwankte einen Moment unter dem Blick des alten Häuptlings; aber er will zu einem Ende kommen und wirft eine Sagaje, die ihm den rechten Arm durchbohrt. Dann hebt Atai den Tomahawk, den er in der linken Hand hielt; seine Söhne fallen, einer ist tot, die anderen sind verwundet; Andia stürzt hervor und schreit: Tango! Tango! (Verfluchter! Verfluchter!) und fällt, zu Tode getroffen.
So wie man einen Baum fällt, erschlägt Segou Atai mit dem Beil; dieser hebt die Hände zu seinem halb abgeschlagenen Kopf, und erst nach mehrmaligem Zuschlagen ist Atai tot.
Von Berg zu Berg hörte man dann den Todesschrei der Kanaken wie ein Echo.
Die Kanaken ehrten ihren Feind Gally Passeboc bei dessen Tod mit demselben Schrei, weil, wie sie sagen, sie die Tapferen lieben.
Der Kopf Atais wurde nach Paris geschickt; ich weiß nicht, was aus dem Barden geworden ist.
Möge zu ihrem Gedenken dieses Lied Andias ertönen:
»Der Takata, im Wald, hat den Adoueke gepflückt,
das Schild-Gras, im Mondschein, den Adoueke,
das Kriegsgras, die Pflanze der Gespenster.
»Die Krieger teilen unter sich den Adoueke,
der die Gegner erschrecken läßt und der unverwundbar macht.
»Die Geister blasen den Sturm, die Geister der Väter;
sie warten auf die Tapferen; ob Freunde oder Feinde,
sind die Tapferen willkommen jenseits des Lebens.
»Wer leben will, möge fortgehen. Der Krieg kommt,
das Blut wird wie Wasser auf die Erde fließen;
der Adoueke muß auch Blut werden.«