Söhne made in USA - Feministinnen auf dem Prüfstand

Feministische Mütter: Nun dürfen sie ja endlich beweisen, 
wie Söhne zu aufmerksamen, liebevollen und 
selbstbewußten Männern erzogen werden können. 
Robin, Letty und Susan sind unterschiedliche Wege gegangen, 
und noch können ihre »Produkte« sich sehen lassen.
Feministin - und Mutter eines Sohnes. Nicht unbedingt ein Widerspruch, aber doch ein Anlaß, um innezuhalten. Wenn Feministinnen über die Erziehung des eigenen Sohnes nachdenken, können die Ergebnisse sehr unterschiedlicli sein. Einige markante, mitunter provokante Stellungnahmen werden in diesem Kapitel präsentiert. Die sechziger, die siebziger Jahre. Wie waren »Twenty-Something« und die Welt gefiel uns nicht so, wie sie war. Unsere grundsätzliche Unzufriedenheit führte schließlich dazu, daß wir auch über unser Leben als Frauen nachdachten. Und das machte uns, viele von uns, zu Feministinnen, kämpferisch, resolut, aufsässig, voller Elan und Experimentierfreude. Für die Selbstverständlichkeiten der Vergangenheit hatten wir keine Geduld, dafür üppigen Schwung für eine Zukunft. Frauen! Gemeinsam! Sind stark! Auch Männer und Beziehungskisten konnten den Elan wenig bremsen, waren ganz im Gegenteil oft nur das Exerzierfeld, auf dem das keimende neue Kampf- und Selbstbewußtsein sich trainieren konnte. So mancher Mann fand sich plötzlich in der Position, alle Sünden zu symbolisieren, die Männer jemals an Frauen begangen hatten, sozusagen das fleischgewordene Patriarchat, an dem seine erzürnte Freundin (und deren Freundinnen) sich abreagieren konnten. Mit der Zeit geschah, was politischen Aktivisten aller Ideologien, gleich welchen Geschlechts, immer geschieht. Sturm und Drang verebbten, die Zermürbungen und Verführungen des Alltags schliffen die Aufständischen ab, fingen sie ein. Nicht ganz, aber ein bißchen. Es war Zeit, sich im Leben einzurichten. Das brachte Ruhe, ein bißchen Komfort, aber es brachte auch tausend tägliche Abwägungen. Was akzeptiere ich, wo muß ich weiterkämpfen? Was ist noch gesunde Gelassenheit, was schon Verrat an den eigenen Idealen, was noch ein fairer, was schon ein fauler Kompromiß? Für Frauen, denen ihre Prinzipien nicht bloß in der Jugend, sondern auch im späteren Leben wichtig bleiben, gehören solche Abwägungen zum Alltag. Dabei handelt es sich um unzählige, eher unbedeutende Fragen, aber auch um Entscheidungen, solche, die das Leben grundlegend verändern. Soll ich heiraten, und wenn ja, wie verhalten wir uns, um die befürchteten Nebeneffekte der Institution Ehe zu vermeiden? Will ich Kinder? Diese Etappe konfrontierte viele Feministinnen mit einem Ereignis, das sie erneut auf die Grundsätzlichkeiten ihrer Werte zurückführte: Sie bekamen Kinder. Töchter: alles klar. Die sollten frei, selbstbewußt und liebevoll gefördert aufwachsen.
Und Söhne. Die sollten: Ja, was genau?
Ein kleiner männlicher Mensch. Wie sollte er werden. Konnte das überhaupt beeinflußt werden, oder würde man ihn ganz unweigerlich verlieren an die Übermacht einer immer noch frauenfeindlichen Umwelt? Auf die vielen Fragen haben feministische Mütter unterschiedliche Antworten gefunden. Einige dieser Antworten wollen wir im folgenden vorstellen. Für uns persönlich waren diese Gespräche sehr aufwühlend. Die Frauen vertraten sehr unterschiedliche, gleichzeitig aber sehr reflektierte Standpunkte. Die eine war in ihrer Haltung sehr konsequent, die andere viel gelassener. Was war nun richtig? Robin Morgan gehört zu den tragenden Säulen der zeitgenössischen amerikanischen Frauenbewegung. Mit Gloria Steinem gründete sie die Zeitschrift »Ms.«; ihre Bücher waren für viele Frauen persönlich richtungsgebend.[1] Auch ihre Ehe mit dem Dichter Kenneth Pitchford und das letztendliche Scheitern dieser Beziehung hat sie in ihren Veröffentlichungen aufgearbeitet. Aus dieser Ehe stammt Sohn Blake. Als wir Blake das erste Mal sahen, war er acht Jahre alt. Robin war anläßlich des Internationalen Frauentages von der UNO eingeladen, und Blake war mit seinen Eltern nach Wien gereist. Robin saß auf dem Podium, Blake im Publikum. Nach den Referaten meldete er sich zu Wort und richtete eine Frage an Germaine Greer. Warum, so wollte er wissen, schrieb sie eigentlich für Männermagazine, als Feministin? Das Publikum war entzückt, erfreutes Lachen begleitete seine Wortmeldung. An die Antwort Germaine Greers kann ich mich nicht erinnern, aber ich kann mich noch sehr gut an meine Skepsis erinnern. War das wirklich Blakes ureigene Idee, diese Frage zu stellen, und woher wußte er überhaupt von dem Artikel? Etwas mehr als zehn Jahre später sahen wir ihn wieder. Er ist heute Musiker und Student, sieht seiner Mutter sehr ähnlich und lebt wie sie in New York, im Künstlerviertel Greenwich Village. Weder ist er aus Protest zum ruppigen Frauenfeind geworden, noch - was ein wenig überrascht - zum Vorkämpfer für irgendwelche politischen Ziele. Er ist ganz einfach ein freundlicher, umgänglicher, Junger Mann. »Ich hatte mir eine Tochter gewünscht, doch Ironie des Schicksals, ich bekam einen Sohn. Das ist unter Umständen für eine Feministin schwieriger, als wenn sie eine Tochter bekommt. Eine Tochter kannst du mit sehr direkten Botschaften erziehen: Du sagst ihr, daß sie kämpfen soll, daß sie sich durchsetzen soll, daß sie alles erreichen kann. Bei einem Sohn ist es diffiziler. Natürlich willst du, daß er sich als Mensch rundum verwirklicht. Gleichzeitig aber verfügt er über Privilegien, die ungerecht sind, die ihm nicht wirklich zustehen. Es ist also eine Gratwanderung. Ich muß aber sagen, daß es mit Blake dann gar nicht schwierig war. Mit Kenneth gab es viele Probleme, aber ich muß ihm zugestehen, daß er ein wirklich guter Vater war. Während Blake aufvmchs, konnte er Frauen als stark und Männer als sanft erleben. Und wir lebten unsere Überzeugungen wirklich, wir redeten nicht nur darüber. Ich wurde oft davor gewarnt, wohin das führen würde, daß ich meinen Sohn zum Neurotiker machen würde mit meiner Propaganda-Erziehung. Natürlich ist es mir eine Genugtuung, daß diese Prophezeiungen sich nicht bewahrheiteten. Und das Argument finde ich nach wie vor absurd. Propaganda wird von der Gegenseite betrieben, und zwar massiv. Im Vergleich dazu ist das bißchen Gegensteuerung, das man versucht, nicht einmal ein Tropfen auf heißem Stein.
Wie wir es mit Blake hielten... also, natürlich hatten wir geschlechtsneutrale Spielsachen. Auf dem Spielplatz wurde er einmal dafür verprügelt, daß er eine Puppe mithatte. Aber er war kein Außenseiter. Er sah dieselben Fernsehprogramme, er lag im »mainstream«. Aber er war an unserer politischen Arbeit beteiligt, und daher hatte er schon sehr früh Meinungen, oft konträre Meinungen. Wenn die anderen Jungen »Playboy«-Hefte in die Schule mitbrachten und sich kichernd die nackten Frauen ansahen, dann stellte er sie zur Rede. Er setzte sich ein, und er wußte auch immer, daß wir uns für ihn einsetzten. Er besuchte die Uno-Schule, wo man meinen sollte, daß es aufgeschlossener und fortschrittlicher zuging, und trotzdem wurden wir unzählige Male seinetwegen hinzitiert. Wenn die Lehrer etwas sagten, das er nicht für richtig hielt, hob er schon seine kleine Hand hoch. Zum Beispiel beim Erntedankfest, da sagte er >also ich glaube für die Indianer war das alles nicht so toll<. Oder zu Halloween sagte er >aber das stimmt ja gar nicht, die Hexen waren keine bösen, häßlichen, alten Frauen, das waren ganz normale Frauen, die als Hebammen arbeiteten<. Er widersprach also dem Lehrer, und schon wurden wir hinzitiert. Sie erwarteten wahrscheinlich, daß wir über seine Wortmeldung entsetzt sein und ihn rügen würden, aber wir waren natürlich jedesmal ganz begeistert. Das hat er gesagt? Toll! Gleichaltrigen gegenüber hatte er den großen Vorteil, daß er sehr gut war in Baseball und diesen Sport auch liebte; das verschaffte ihm Anerkennung. Aber er scheute nicht davor zurück, Anliegen aufzugreifen. Zum Beispiel hat er es erreicht, die Geschlechtertrennung im Sport aufzuheben. Er wollte Gymnastik machen, und eine Klassenkameradin wollte Fußball spielen, aber Gymnastik wurde nur für Mädchen und Fußball nur für Jungen angeboten. Das wollte Blake nicht hinnehmen, und gemeinsam mit uns und den EItern des Mädchens konnten wir uns da durchsetzen. Ein anderes Beispiel, er unterstützte den Wahlkampf Bella (Bella Abzug ist gemeint) schon als kleines Kind, schon mit vier. Als sie verlor, sagte er, er würde sich später nicht um die Position des Klassensprechers bewerben. Es sollte lieber ein Mädchen kandidieren. Er meinte, die Leute müßten sich daran gewöhnen, daß Mädchen und Frauen solche Ämter einnehmen, damit Frauen wie Bella später einmal bessere Chancen hätten. Mir war es wichtig, daß er diese Dinge nicht für uns tat, um uns zu gefallen. Erstens wäre das ihm gegenüber unfair gewesen, und zweitens hätte er irgendwann dagegen rebelliert. Prinzipiell waren zwei Sachen, glaube ich, wichtig. Erstens: Wir haben ihn nie belogen. Auch nicht während unserer Trennung, die alles in allem acht Jahre dauerte. Diese Vorstellung, daß man Kinder beschützen und abschirmen muß, die ist einfach grundfalsch. Man erreicht damit nur, daß die Kinder sehr verstört werden, denn sie spüren genau, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist, aber sie wissen nicht, was.
Zweitens, und das sehe ich erst rückblickend, war es gut, daß er uns mit unseren Vornamen ansprach. Es hieß nie, komm zu Mammi und Daddy, sondern wir waren immer Robin und Kenneth. Wir waren wir selbst, nicht eine Rolle. Diese Benennungen bedeuten ja auch Macht. Ich will damit nicht leugnen, daß wir Macht über ihn hatten - das hatten wir natürlich, es ist unvermeidbar. Aber diese Macht wollen wir verringern, nicht betonen. Ich glaube, daß man damit das Bedürfnis der Kinder, später gegen einen zu rebellieren, vermeidet. Er mußte nicht beweisen, daß wir menschlich und fehlbar waren. Das wußte er schon von Anfang an. Wenn wir etwas ablehnten, das er machte, dann sprachen wir darüber, sehr ausführlich. Später machte er darüber Witze. Er sagte, andere Kinder haben es gut, wenn sie schlirnm sind, kriegen sie nur paar Klapse, aber ich muß darüber sprechen. Er wurde auch unter Druck gesetzt von den Gleichaltrigen. Ich weiß noch, daß ich ihm aus Südamerika einen Poncho mitbrachte, so einen Umhang aus Wolle. Und er wollte den nicht anziehen, weil die Kinder in der Schule ihn auslachten und sagten, das sei ein Mädchenmantel. Ich sagte ihm, daß ein Poncho ganz im Gegenteil von den Gauchos getragen wird, von den Cowboys, also eigentlich, wenn man so will, ein urmännliches Kleidungsstück ist. Aber seine Klassenkameraden sahen das anders, und nach einiger Zeit legten wir den Poncho weg, und er trug ihn nicht mehr. Aber sonst war unser Leben sehr politisch. Blake hat im Sommer Geburtstag, und dadurch konnte er nie ein Fest mit seinen Freunden feiern, denn die waren im Sommer nicht da. Daher machten wir im Frühjahr eine Party anläßlich des Geburtstages der Frauenrechtlerin Susan B. Anthony. Die anderen Kinder fanden das wahrscheinlich sehr seltsam, aber es war ihnen egal - Hauptsache, es gab e»f-ne Party. Und wir wandelten die Partyspiele ab, um ihnen eine passende Bedeutung zu geben. Das, woran wir glaubten, haben wir auch wirklich umgesetzt. Ich bemerke immer wieder, und es macht mich traurig, daß viele feministische Mütter das versäumen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht schrecken sie davor zurück, einer so kleinen männlichen Person eine dermaßen komplexe Information zuzumuten. Aber das ist ein Fehler, Kinder können auch komplexe Sachen gut verstehen. Du kannst ihnen erklären, daß sie in der Gesellschaft zu Unrecht eine privilegierte Stellung einnehmen. Damit verlangst du ihnen noch lange nicht ab, daß sie sich schuldig fühlen sollen. Du willst nur, daß die Situation ihnen bewußt ist. Du sagst ihnen: Sei dir bewußt, daß deine Vorteile auf Kosten einer anderen Person gehen. Das bezieht sich ja nicht nur auf Frauen, sondern stimmt auch in Hinblick auf Rasse oder Schicht. Manche Feministinnen, aber das waren nur ganz wenige und ganz zu Beginn, haben ihre Söhne tatsächlich mit Propaganda überschüttet. Aber weitaus häufiger ist der umgekehrte Fehler: diese Einstellung bei feministischen Frauen, daß sie bereit sind, mit jedem Mann zu kämpfen, aber nicht mit ihrem Sohn. Oder sie sagen, du solltest kochen, du solltest dies und jenes machen, aber in Wahrheit bedienen sie ihn dann von hinten und vorne. Oder sie sagen, oh ja, er ist sehr emanzipiert, und dann siehst du dir den Burschen an, und er liest sexistische Comics, er läßt seine Wäsche einfach auf den Fußboden fallen... Wir haben mit Blake nicht nur gesprochen, wir haben ihm auch sehr viel gezeigt. Er kannte Mütter, die mit ihren Kindern von der Wohlfahrt lebten, er war mit mir in Frauenhäusern. Beim Zubettgehen lasen wir ihrn Geschichten über Hexen vor, und das alles hat seine Weltansicht sehr geprägt. Zum Beispiel das Wort »faggot« (altmodisches Wort für Fackel, im amerikanischen Slang heute ein Schimpfwort für Schwule): Kennt ihr die Herkunft dieses Ausdruckes? Wenn sie im Mittelalter eine Hexe verbrennen wollten, dann holten sie zuerst ein paar Schwule aus dem Gefängnis und zündeten die an. Nur ein solches Feuer, glaubte man damals, wäre giftig genug, um eine Hexe zu verbrennen. Wenn sie in der Schule den Ausdruck >faggot< als Schimpfwort benützten, war Blake jedesmal erstaunt. Für ihn waren das Märtyrer, Helden. Unsere Trennung war für ihn sehr schlimm. Die eigentliche Scheidung erstreckte sich über zwei Jahre, von seinem 11. bis zu seinem 13. Lebensjahr. Ich weiß noch, daß wir in einem chinesischen Restaurant waren als ich es ihm offenbarte. Und er legte seine Stäbchen nieder und sagte: >Also Robin, weißt du für dich wird es so besser sein. Du hättest das schon früher machen sollen, denn ich kann ja sehen, daß die Situation für dich unerträglich ist. Für mich aber ist das sehr unangenehm, daß ihr euch trennt.< Blake sieht sich als Künstler. Die Frauen, die ihm gefallen, sind immer feministisch. Er ist noch zu jung für eine dauerhafte Beziehung, aber seine bisherigen Liebschaften waren immer ernsthaft, und die Frauen waren immer selbstbemmßt und gescheit. In Amerika hat man enorme Angst davor, daß eine unkonventionelle Erziehung aus einem Sohn einen Homosexuellen machen wird. Das ist lächerlich. In Wahrheit wäre die Welt viel interessanter, wenn Söhne ihren Müttern stärker nachgeraten würden. Statt dessen wachsen viele Kinder heute mit der Heuchelei ihrer sogenannten Väter auf. Die Väter sprechen zwar die richtigen Sätze, aber die Rhetorik entspricht nicht den Fakten. Statt dessen sehen die Kinder sehr genau, daß ihre Mütter zwei Jobs haben: den Beruf und die Familie. Sehr viele Familien legen ihre politischen Überzeugungen allabendlich vor der eigenen Haustür ab. Ausnahme: wenn diese Typen eine Tochter haben. Dann erwachen manche von ihnen zu erneutem politischen Bewußtsein, weil sie nicht wollen, daß ihre Tochter so behandelt wird. Aber ihren Söhnen gegenüber? Da sieht man nur ein ganz massives Weitergeben der alten Vorrrechte.
Was eine Frau für ihre Söhne tun soll, wenn sie in einer solchen Beziehung lebt? Nichts. Sie kann nichts für ihre Söhne tun, wenn sie nicht vorher auf sich selber schaut. Sie muß sich fragen, warum sie in einer so ungleichen Beziehung lebt. Und dieses Hinterfragen wird ihren Kindern nicht schaden, sondern wird ihnen im Gegenteil sehr guttun. Es wird ihnen guttun mitzuerleben, wie aus ihrer Mutter ein selbstbewußter Mensch wird. Den Kindern irgendwelche Vorträge zu halten, ist sinnlos. Sie müssen sehen, wie du lebst, daß du dich wirklich einsetzt. Was ich getan hätte, wenn Blake sich in eine meiner Meinung nach absolut bedenkliche Pichtung entwickelt hätte? Also nach meiner Erfahrung ist es wichtig, dem Gesprächspartner die Konsequenzen seines Handelns klar zu machen. Er muß wissen, daß er dich mit seinem Verhalten verletzt. Keiner verletzt gerne einen anderen Menschen, es sei denn, er ist abnorm. Sagen wir also, daß Blake plötzlich gerne Musik mit sexistischem Text gehört hätte. Dann hätte ich gesagt: >Das tut mir weh.< Diese Musik verletzt andere Menschen. Kinder haben einen stark ausgeprägten Sinn für Moral. Sie neigen auch dazu, Dinge schwarzweiß zu sehen. Das war oft sehr lustig. Beim Fernsehen gab es vielleicht irgendeine Meldung über Roosevelt. Dann fragte mich Blake, >dieser Roosevelt, war der gut oder schlecht?< Und ich: >Naja, das ist eine komplizierte Frage. Dies und jenes hat er gut gemacht, aber das und das war schlecht an ihm.< Mit der Zeit stöhnte Blake dann immer schon. >Oh nein, lieber Gott, bitte! Ich weiß schon, es ist kompliziert!< Es wurde schon zu einem Spiel zwischen uns. Er: >War das ein guter Mann oder ein schlechter Mann?< Und aus den Augenwinkeln betrachtete er mich schon voller Vorfreude, um sofort loszustöhnen, wenn ich zur Antwort ansetzte: >Naja das kann man so nicht sagen...<« Robins Standpunkt ist ein sehr konsequenter. Die Frauenfrage ist für sie Teil ihres umfassenden politischen Einsatzes; ihren Sohn nicht miteinzubeziehen, kommt für sie gar nicht in Frage. Genausowenig könnte man von einem überzeugten Katholiken erwarten, daß er seine Kinder nicht taufen läßt. So betrachtet, ergeben auch diejenigen Aspekte ihrer Frziehung einen Sinn, die zunächst vielleicht befremdlich wirken. Kann ein 4jähriges Kind sich authentisch in einem Wahlkampf engagieren, oder wird es mißbraucht? Ist ein Kindergeburtstag der geeignete Ort für politische Statements? In anderen Zusammenhängen stellt man solche Fragen auch nicht. Bei der Firmung sind Kinder zwölf Jahre alt und keinesfalls in der Lage, eine wirklich mündige religiöse Entscheidung zu treffen. Welches Kind in diesem Alter könnte die Firmung, wenn sie von den Eltern gewünscht wird, verweigern? Religiöse Ausbildung beginnt in der ersten Schulklasse, mit sechs Jahren; eigentlich ein enormer Eingriff in das Denken eines anderen Menschen, den wir damit rechtfertigen, daß wir dem Kind mit dem Christentum etwas beibringen, an das wir glauben, das wir für wahr und gut und richtig halten. In der Schule schreiben Kinder alles mögliche ab, was nicht Faktenwissen, sondern Ideologie ist. Sie malen Fahnen und singen Bundeshymnen und lernen auswendig, was die Verwaltung gerade für gut und richtig hält. Warum soll Maria Himmelfahrt gefeiert werden und Susan B. Anthonys Geburtstag nicht? Robins Sichtweise stimmt uns in manchem unbehaglich. Aus ihren Gedanken spricht eine große Anspannung, die einen schon beim Zuhören müde macht: Robin gönnt sich keine Atempausen, keine kleinen Inseln, keine österreichischen »Schlampereien«, sondern ist immer wachsam, immer im Einsatz. Doch auch philosophisch gesehen haben wir Probleme mit ihrer Sichtweise. In ihren Augen erfordert es einen dezidierten und konstanten Einsatz, um aus einem Sohn einen nicht-sexistischen Menschen zu machen. Er muß politisiert, bearbeitet, in alles einbezogen werden. Er muß Stellung beziehen, öffentlich, und das schon in jüngsten Jahren. Ihre Grundprämisse - und das, was uns daran stört - wird deutlicher in zwei Briefen, die Robin während seiner Kindheit an ihren Sohn geschrieben hat und die in ihrem Buch »Going Too Far« abgedruckt sind. In späteren, kommentierten Neuauflagen merkt sie selber dazu an, daß diese Briefe sehr geprägt sind durch die Stimmung während der 60er Jahre. Heute denkt man nicht mehr in diesen Kategorien, redet nnan nicht mehr so. Sie beschreibt ihre Briefe rückblickend als naiw uns stört daran eher, daß sie sentimental und ansatzweise auch manipulativ sind. Den ersten Brief schrieb Robin, als die Geburt des Kindes sich ankündigte. Für das Kind, dessen Geschlecht sie noch nicht kannten, hatten sie einen der androgynen Vornamen gewählt, die es in der englischen Sprache mehrfach gibt - ebenso viele Mädchen wie Jungen heißen Blake. In diesem ersten Brief geht es um Politik im allgemeinen: Robin entschuldigt sich bei dem kommenden Kind für den erbärmlichen Zustand der Welt und der Umwelt und versichert dem Kind, daß seine Selbständigkeit von den Eltern respektiert werden wird. Nur in einem Nebensatz geht es ums Geschlecht. »Wenn du ein Mädchen bist«, überlegt Robin, »wird dein Leben besser sein als meines, mit geringerer Unterdrückung und mehr Menschlichkeit. Wenn du ein Junge bist, wirst du ebenfalls freier sein als die Menschen unserer Generation. Du wirst keine stereotype Männlichkeit leben müssen, die von der Unterdrückung des anderen Geschlechts abhängt.« Der zweite Brief wurde geschrieben, als Blake vier Jahre alt war. Robin war auf einer Vortragsreise und schrieb dem Sohn folgendes:


»Lieber Blake, 

ich bin gerade in einem großen Flugzeug ... Du fehlst mir! Du fehlst mir so sehr, daß es sich wie Zahnweh anfühlt.
Heute früh, vor dem Abflug, besuchte ich mit einigen anderen Frauen das Haus von Susan B. Anthony - einer wunderbaren Frau, die vor vielen Jahren sehr mutig gegen einige böse Männer kämpfte. Das war vor langer Zeit, und die ist jetzt schon tot, also besuchten wir auch ihr Grab. Wir standen ganz still an ihrem Grab und dachten an sie, und wir weinten, weil sie so mutig war und weil wir uns wünschten, wir hätten sie gekannt. Es war ein denkwürdiges Erlebnis. Nun muß ich weiterreisen (genau wie sie - sie reiste auch sehr viel), um andere Frauen zu treffen und mit ihnen zu besprechen, wie wir gegen die Pläne einiger böser Männer kämpfen können. Wenn ich nächste Woche heimkomme, werde ich dir viel darüber erzählen. Ich werde dir auch von Susan B. Anthonys Haus erzählen, von ihrer komischen alten Schreibmaschine und den Fotos von Frauen aus aller Welt, die an den Wänden hängen. Es freut mich so sehr, daß diese Geschichten über tapfere Frauen dich interessieren, denn das zeigt mir, daß du dich schon jetzt sehr bemühst, erwachsen zu werden und nicht so zu werden wie diese bösen Männer, die schlecht sind zu Frauen. Ich bin stolz auf dich, weil du interessiert und hilfreich und mutig bist. Ich schicke dir die Zeichnung, die du dir gewünscht hast... (Absatz über Belangloses) Kenneth, der dir beim Lesen dieses Briefes helfen wird, soll dir erklären, was ich meine, wenn ich sage, daß du der Honig in meinem Leben bist und er das Salz. Ich liebe euch beide, R.«


Der Brief - und er ist zwar persönlich, aber doch fairerweise auch öffentlich diskutierbar, da die Verfasserin ihn zur Veröffentlichung ausgewählt hat - bringt alles zum Ausdruck, was uns an Robins Zugang nervös macht. Es sind nicht einmal in erster Linie die »bösen Männer«, die zwar immer mit dem Beiwort »einige« versehen sind, aber trotzdem pädagogisch fragwürdig erscheinen. Zwei andere Dinge stechen ins Auge. Da ist erstens die sehr deutliche Botschaft an den Sohn, daß er sich aller Wahrscheinlichkeit nach in einen »bösen Mann, der schlecht ist zu Frauen« entwickeln muß, wenn er nicht bewußt dagegen ankämpft, wenn er sich nicht redlich anstrengt, nicht so zu werden. Das entspricht nicht unserer Meinung und widerstrebt uns außerdem zutiefst. Und dann störte uns zweitens die deutliche Mitteilung zwischen den Zeilen, daß ihre Liebe im Zusammenhang steht mit seiner Anpassung an ihre Erwartungen. Nicht ihretwegen, nicht um den Eltern zu gefallen und von ihnen geliebt zu werden, sollte er ihre politische Linie teilen, betonte Robin im Interview. Doch der Brief läßt erkennen, daß es nicht so war. Dem 4jährigen wird klar gemacht, daß sein Interesse an der Frauenfrage die Mutter freut und stolz macht. Das wirkt manipulativ - doch andererseits, welche Erziehung ist nicht manipulativ? Die Motivation, den Eltern Freude zu machen und von geliebten Personen Anerkennung zu erhalten, ist ein wichtiger Antrieb für das Lernen und die Charakterbildung. Letztendlich störend am Brief ist vielleicht die Suggestion von Niederlage: Wenn man sich nicht sehr bemüht, wird aus dem lieben kleinen 4jährigen ein böser Mann. Wenn man nicht jede Chance nützt, auf ihn einzuwirken, auch noch den kleinsten Brief während einer Reise in ein Traktat verwandelt, wird er sein Herz dem Feind schenken. Und vielleicht hat auch hier noch Robin recht. Schließlich nützt auch die Gegenseite jede noch so kleine, scheinbar triviale Chance, um ihre bestehende Geschlechterordnung zu zementieren und in den Köpfen zu verankern. Jedes Werbeplakat, jede Fernsehminute transportiert neben ihrer Hauptbotschaft auch noch das Bild einer Normalität, die auf stereotypen männlichen und weiblichen Eigenschaften aufgebaut ist. Beunruhigend, weil vermutlich sehr wahr, werden Robins Beobachtungen, wenn es um das Gros der feministischen Mütter geht. Das eine sagen, das andere tun - das ist bei jeder Art von Erziehung fatal und bei diesem Thema vielleicht ganz besonders. So denken und ganz anders leben - Kinder erkennen genau, wie die Dinge wirklich liegen. Die Art von Zusammenleben, die wir verändern wollen, ist allgegenwärtig und massiv. Wie impft man seine Kinder am besten dagegen? Mit ständigen Infusionen von gegenteiliger Beeinflussung, glaubt Robin.
Letty Cottin Pogrebin ist eine in den USA sehr angesehene Kommentatorin. Ihre Glossen zu politischen und kulturellen Ereignissen werden diskutiert. Sie hat drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn.
»In der Erziehung von Söhnen hat sich sehr wenig geändert, und das liegt weitgehend an den Müttern. Frauen sind viel eher bereit, sich gegen die orthodoxen Meinungen in Erziehungsfragen aufzulehnen, wenn es um eine Tochter geht. Bei einem Sohn wagen sie keine Experimente. Offensichtlich sind sie sich nicht ganz sicher, daß Neuerungen auch für ihre Söhne wirklich besser wären. Das Männliche gilt immer noch als das Bessere, daran wollen Frauen offenbar nicht rütteln, wenn es um ihre Söhne geht. Männlichkeit ist ein Vorrecht, ein Vorteil, und deinem Sohn willst du das nicht wegnehmen, weil du ihn liebst. Ihn weiblicher machen, unausgesprochen würde das in unserer Kultur heute immer noch bedeuten, daß man ihn abwertet. Das Weibliche ist das Schlechtere. Die meisten Frauen entscheiden sich für einen Kompromiß. Sie sind zufrieden, wenn der Sohn seine Mutter also sie selbst - respektiert. Und dann soll er noch darauf vorbereitet werden, daß seine Frau eines Tages einen ebensoguten Job haben wird wie er. Doch den Kern seiner Emotionen, seine innere Substanz, rühren sie nicht an. Sie haben Angst, daß er sonst zum Außenseiter wird, daß er den Zugang zur männlichen Welt verliert.
Es ist kaum zu glauben, was manche Frauen in Kauf nehmen, nur um ihren Sohn das Männliche nicht vorzuenthalten. Alleinerzieherinnen biedern sich oft bei irgendeinem besoffenen, unmanierlichen Nachbarn an, bloß damit der ihren Sohn auf den Fußballplatz mitnimmt. Ich werde nie vergessen, wie mein Sohn - er war damals sieben - weinend aus der Schule heimkam, weil er verspottet worden war. Seine Schulklasse hatte einen Ausflug gemacht, und danach sollten sie einen Aufsatz schreiben über den Park, den sie besucht hatten. In seinem Aufsatz verwendete er das Wort >lovely< (>wunderschön<). Daraufhin wurde er von den anderen Jungen ausgelacht und gehänselt, weil die meinten, >lovely< sei ein >Mädchenwort<. Ich habe versucht, ihn mit Humor gegen solche Erlebnisse zu stärken. Mein Mann und ich haben mit ihm über diesen Zwischenfall gesprochen. Wir haben ihm gesagt, daß die ganze Sprache ihm gehört. Wir sagten, >alle Worte gehören dir. Du kannst jedes Wort haben, es gibt kein Wort, auf das du keinen Anspruch hast<. Aber dieses kleine Beispiel zeigt schon, wie wachsam die bestehende Ordnung ist. Sie überwacht die Jungen in ihren formativen Jahren ganz genau. Ich möchte den Eltern gern sagen, daß man nicht unbedingt schon von Geburt an alles richtig machen muß. Wenn man erst später erkennt, daß man zu stereotyp erzieht, kann man immer noch den Kurs wechseln. Mein Mann und ich zum Beispiel heirateten in den 60er Jahren, meine Töchter sind Zwillinge und wurden 1965 geboren, mein Sohn kam 1968. Den Feminismus entdeckten wir, mein Mann und ich, erst Ende 1969. Und auch dann dauerte es noch eine ganze Weile, bis wir ihm im Leben unserer Kinder einen Platz gaben. Man tut so vieles, ohne darüber nachzudenken. Ich erinnere mich, daß ich eines Tages auf dem Heimweg einen kleinen Basketballkorb entdeckte, so einen ganz kleinen, den man über die Tür hängt. Ich kaufte ihn und befestigte ihn im Zimmer unseres Sohnes. Als mein Mann heimkam, sagte er zu mir, >ja bist du noch zu retten? Der ist doch erst zwei Jahre alt. Warum hast du den Korb nicht ins Zimmer der Mädchen gehängt, die sind sehr sportlich und schon fünf, die können damit wenigstend etwas anfangen!< Was ich damit sagen will: Wir haben improvisiert. Wir haben uns vorangetastet und selbst einen Weg gefunden, der uns und unserer Familie behagte. Man muß nicht schon von der Stunde Null an ein perfektes Konzept haben, und man kann auch später noch die Richtung wechseln.
Natürlich sind die Einflüsse der Außenwelt sehr stark. In verschiedenen Altersstufen wird die Anpassung mit unterschiedlichen Methoden erzwungen; in der Volksschule mit Spott, später durch Ausschluß aus der Peer-group. Was wir machten, als Gegengewicht, war reden. Wir sind sowieso eine äußerst gesprächige Familie, in der unentwegt geredet wird. Ich finde es auch wichtig, ehrlich zu sein. Wir sagten oft zu den Kindern, >weißt du, das haben wir früher auch geglaubt. So haben wir früher auch gelebt, aber wir waren damit nicht glücklich, jetzt finden wir es besser.< Wir haben die Kinder gemeinsam erzogen, naja, nicht wirklich, aber im wesentlichen doch. Ich war die Flexiblere, wie so oft. Ich war Schriftstellerin und konnte meine Zeit ziemlich frei einteilen, mein Mann aber mußte in die Anwaltskanzlei. Und auch später, als ich Herausgeberin einer Zeitschrift wurde, kam ich früher heim als er. Er hatte zu Hause Frühdienst, zog die Kinder an und machte ihnen das Frühstück und brachte sie in die Schule, während ich noch schlief. Ich war für den Nachmittag zuständig, dafür arbeitete ich dann oft in den Abend hinein. Ich habe die Kinder nicht an irgendwelchen politischen Sachen beteiligt, aber unser Sohn interessierte sich für das Schicksal der Mädchen in seiner Schule und setzte sich oft für sie ein als ihr Advokat. Oder er verbesserte die Lehrer, sprachlich. Wenn sie zum Beispiel >jedermann< sagten, fragte er, ob sie denn wirklich wüßten, daß nicht auch von Frauen die Rede war. Waren sie denn sicher, daß nur Männer gemeint seien? Wir hatten einige Prinzipien in der Erziehung. Wir sahen unsere Funktion als Eltern darin, lenkend zu versorgen und auch unsere Werte darzustellen. Ein solcher Wert: andere Menschen fair zu behandeln. Beim Fernsehen waren wir sehr streng, beim Sex sehr permissiv. Zum Beispiel mußten die Kinder am Wochende nie zu einer bestimmten Zeit nach Hause kommen, aber wir mußten immer wissen, wo sie sind. Das war eine fixe Regel, und die Kinder akzeptierten das. Es ging uns nicht darum, sie zu kontrollieren, es ging auch nicht um Sex, sondern es ging uns um ihre Sicherheit. Für uns eine stressige Zeit. Wir erhielten Anrufe um 2 Uhr früh, wir sind jetzt nicht mehr bei Lisa, wir gehen jetzt zu Bob. Dann um 2.30 Uhr, wir sind noch nicht bei Bob, wir sind bei McDonalds. Manchmal waren wir die halbe Nacht wach, weil die drei ständig anriefen, aber das war es uns wert. Natürlich haben wir, das war bei unserer Generation so, viel über Macht nachgedacht.
Aber Eltern müssen das letzte Wort haben, und Kinder müssen auch die Autorität ihrer Mutter erkennen. Erst jetzt, wo alle drei Kinder über 20 sind, kann ich sagen, daß unsere Beziehung rein auf Freundschaftsbasis besteht. Vorher hatten wir Autorität, aber es ging nie um Macht. Auffallend ist in unserer Kultur die enorme Angst vor Homosexualität. Eines kann ich garantieren: Man wird nicht schwul, weil man als Jugendlicher Geschirr gespült hat. Umgekehrt gibt es genug Homosexuelle, die als Kinder andauernd mit ihrem Vater Fußball spielten. Oder dieser Ausdruck ,kaputte Familie< - eine Familie ist nicht kaputt, weil sie keinen Mann vorzuweisen hat, und die Anwesenheit eines Man nes ist noch lange keine Garantie für psychologisches Wohlbefinden. Ich wuchs in einer intakten Familie auf, und ich kann Ihnen sagen, es war trostlos. Männlichkeit muß man nicht lernen und nicht lehren. Aber es scheint eine verbreitete Meinung zu sein, daß die Männlichkeit sehr prekär ist und bei jeder Veränderung zusammenbrechen kann. Wenn man nicht haarscharf aufpaßt, wird offenbar aus jedem Sohn eine Ballerina. Viele Männer, viele Väter stecken einfach in diesen Ängsten fest. Musik ist für sie zum Beispiel unmännlich. Wenn ihr Sohn Violine spielen will, rasten sie aus. Einen solchen Mann mußt du dann ins Konzert führen, wenn Menuhin spielt. Bitte sehr: ein Mann, ein echter Mann. Dann sagst du ihnen noch, was er verdient, und dann hat er was zum Nachdenken.« Letty Cottin Pogrebin hat eine viel gelassenere Haltung, die ihrer gesamten Lebensführung entspricht. Sie hat sich zwar ein Leben lang für progressive Anliegen engagiert, aber sie ist nicht, wie Robin, politische Aktivistin, lebt nicht für die Politik. Der Sohn managt heute übrigens ein Restaurant, die Töchter arbeiten in den Medien. Susan Seliger ist Herausgeberin der Zeitschrift »Working Mother«, einem Magazin für berufstätige Mütter, das in Amerika von zwei Millionen Frauen gelesen wird. Susan hat zwei Söhne. Sie repräsentiert eine Variante des Feminismus, die vor allem in den USA sehr stark vertreten ist, den eher liberalen, »kapitalistischen« Feminismus der Mittelschicht. »Die massenhafte Präsenz von Müttern in der Arbeitswelt ist meiner Meinung nach die dramatischste Entwicklung unseres Jahrhunderts. In den USA sind fast 50% aller Mütter von Kindern unter einem Jahr berufstätig. Für die meisten ist das eine ökonomische Notwendigkeit, weil man mit einem Einkommen einfach nicht leben kann. Ich gehöre zu diesen Frauen. Bei meinem ersten Kind konnte ich immerhin noch von zu Hause aus arbeiten, bei meinem zweiten nicht mehr. Ich habe versucht, irgendwelche Unterschiede zwischen ihnen auszumachen, die vielleicht darauf zurückzuführen sind, aber ich sehe keine. Die größte Gefahr in meinen Augen ist, daß wir unsere Kinder auseinandererziehen. Die Töchter erziehen wir nach feministischen Leitsätzen, aber wir erziehen keine Söhne, die unseren Mädchen später einmal geeignete Partner sein können. Wir haben eine enorme, neurotische Angst davor, unsere Söhne könnten unmännlich, könnten schwul werden. Wenn man sich das überlegt, ist es Wahnsinn: Woher kommt diese Idee, daß ein netter, intelligenter, einfühlsamer Mann schwul sein muß? Wenn diese ungleiche Erziehung sich fortsetzt, werden Frauen und Männer sich auseinanderleben. Irgendwann wird der Abstand unüberbrückbar. In Amerika passiert das schon, bei den Schwarzen. Die Frauen sind weitaus verantwortungsvoller, gebildeter. Die schwarzen Männer verkommen, rutschen ab in Drogensucht und Kriminalität. Es gibt kaum mehr Ehen und Familien in der schwarzen Gemeinschaft. Die Frage der Geschlechtsrollen wird in der Erziehung viel zu wenig aufgegriffen. Dabei ist es nachweislich möglich, das Bewußtsein durch Erziehung sehr stark zu beeinflussen. Die Kinder heutzutage haben zum Beispiel ein sehr ausgeprägtes Bewußtsein für Umweltfragen. Mein 5jähriger hat mir kürzlich sehr ausführlich, und sehr richtig, das Ozonloch erklärt. Er hatte im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen. Was die Geschlechterrollen anbelangt, ist die Beeinflussung der Kinder weitgehend noch ganz traditionell. Es ist besser, ein Junge zu sein; Jungen sind besser. Diese Botschaft kommt ganz deutlich rüber.
Allein die Zeichentrickfilme. Die meisten Zeichentrickfilme sind für Jungen konzipiert, weil die Fernsehanstalten genau wissen, daß sich die Mädchen eventuell auch ein Jungenprogramm ansehen, während die Jungen nie und nimmer eine Mädchensendung ansehen würden. Berufstätige Frauen geben sich sehr große Mühe, gute Mütter zu sein. Die machen sich viele Gedanken darüber, wie sie Beruf und Mutterschaft am besten verbinden können. Erziehungsfragen sind für unsere Leserinnen ein sehr großes Thema. Bei den Vätern hat sich auch einiges geändert, aber nicht genug. Es gibt zwar immer mehr Männer, die zum Beispiel eine berufliche Versetzung ablehnen, weil ihre Familien nicht umziehen wollen. Das gab es früher kaum. Trotzdem, was die Arbeitsteilung anbelangt, ziehen die Männer noch nicht mit. In vielen Familien gibt es deswegen jeden Abend einen Kampf. Irgendwann werden die Frauen dann des Streitens müde und machen lieber alles alleine. Bezüglich der Erziehung von Söhnen herrscht eine große Unsicherheit. Niemand will sein Kind verletzbar machen. Du willst ihnen alle Mittel in die Hand geben, um in der Welt so gut wie nur irgendwie möglich bestehen zu können. Doch so, wie unsere Welt beschaffen ist, ist das eine widersprüchliche Aufgabe.
Und du hast nie die Gewißheit, daß du es richtig machst. Vor ein paar Tagen habe ich ein Telefongespräch mitgehört zwischen meinem größeren Sohn und einem Mädchen aus seiner Klasse. Er hat ihr zugeredet, sich für das Theaterstück zu bewerben. >Du solltest es unbedingt machen<, hat er zu ihr gesagt. >Du bist wirklich gut.< Das habe ich gut gefunden. Gut für die Mädchen, wenn sie kollegiale Ermunterung auch mal von einem Jungen erhalten. Und gut für ihn. Bei den Frauen seiner Generation hat er später dann doch einen enormen Vorsprung, denn die werden Wert legen auf Partner, die sie respektieren und ermutigen.« Susan verkörpert eine Position, die von Letty etwas resignierend beschrieben wurde: Unsicher über die Ziele der männlichen Erziehung, geben sich Mütter letztlich damit zufrieden, daß ihre Söhne zu ihnen eine gute Beziehung haben und der Berufstätigkeit einer zukünftigen Partnerin positiv gegenüberstehen. Sicherlich ist es ein Fortschritt, wenn zwischen Mädchen und Jungen in der Schule eine ungezwungenere, kollegialere Atmosphäre herrscht, wenn Söhne so aufwachsen, daß weibliche Ambition und weibliche Leistung für sie etwas ganz Selbstverständliches sind. Doch ist das schon genug?