Schlußbemerkung

Gedanken zur Erziehung der zukünftigen Männergeneration

Als wir diese Studie begannen, erwarteten wir zwar, daß junge Männer in ihrer Eigenschaft als Kinder unsere Parteilichkeit gewinnen würden. Doch wir hätten nicht damit gerechnet, daß gerade auch ihre Junge Männlichkeit uns so viel Anlaß zu Empathie bieten würde. Männlich, das gilt als Privileg, das sich als sehr teuer erkauft und sehr fragwürdig erwies.
»Aber die Mütter erziehen doch die Söhne« - in den vorangegangenen Kapiteln konnten wir diesen Satz ergänzen. Wir konnten einige der vielen anderen Persönlichkeiten kennenlernen, die hier in weiteren Hauptrollen auftreten. Wir trafen die Väter, die insbesondere ihren Söhnen oft mit einer rätselhaften Härte begegnen; einer Härte, die vermuten läßt, daß schwerwiegende seelische Verletzungen und eine ausgeprägte Ambivalenz gegenüber der eigenen geschlechtlichen und gesellschaftlichen Rolle dahinterstehen. Wir beobachteten die weitgehend unbewußten kleinen, oft nur winzig kleinen Eingriffe, Steuerungen und Anmerkungen von Kindergärtnerinnen und sonstigen Erziehungsbeauftragten, die zwar selber daran glauben mögen, daß sie modern und stereotypenfrei erziehen, die unsere Kinder in Wirklichkeit aber in die alten Bahnen lenken. Wir erkannten im Verhalten und in den Kommentaren von Verwandten, Lehrpersonen, Nachbarn und auch in uns selber den steten Tropfen der Konvention, der jeden vermeintlichen Fortschritt unseres Denkens iminer wieder aushöhlt. Die Konvention ist mächtig, aber die größte Barriere gegen soziale Veränderung liegt in diesem Fall in der Angst der Frauen. Angst lähmt das Denken und schränkt das Handeln ein.
Wer Angst hat, kann keine gute Arbeit leisten. Müttern wird vieles, wird alles vorgeworfen. Uns erscheint ein einziger Vorwurf berechtigt: daß sie sich aus Angst in der Ausübung ihrer wichtigsten elterlichen Aufgabe beeinträchtigen lassen. Sie verteidigen ungenügend das Recht ihrer Kinder, besonders ihrer Söhne, auf eine freie und individuelle Entfaltung. Sie haben Angst vor den verzogenen Mundwinkeln ihrer Schwiegermütter und den möglichen abschätzigen Gedanken anderer Mütter. Sie haben Angst davor, den Partner zu verlieren oder zu verdrießen, wenn sie Partei ergreifen für das Kind. Sie haben Angst davor, die Beziehung zwischen ihrem Sohn und dessen Vater zu beeinträchtigen, selbst wenn dieser Vater dem Kind manifest schadet durch Gewalt oder ständige Beleidigung. Sie haben Angst vor Konfrontationen im Kindergarten. Sie haben Angst davor, daß ihr Sohn im Leben keinen Erfolg haben wird, wenn er vom Schema abweicht. Vor lauter Angst sehen Mütter ihr eigenes Kind oft gar nicht mehr, sondern werden zu Vollstreckerinnen eines fremden Plansolls. In ihrem Wunsch, das Kind zu schützen, wählen sie die altbewährte Methode der Anpassung. Der evolutionär sicher nützliche, wenn auch mittlerweile etwas primitive Grundgedanke: durch Tarnfarbe vermeiden, daß das Junge irgendwie auffällt und größere Beutetiere auf sich aufmerksam macht.
Doch wir leben nur metaphorisch, nicht mehr buchstäblich im Dschungel, und mit dieser Art von panikgeleiteter, primitiver Beschützung ist nur ein Teil der elterlichen Aufgabe erfüllt. Die Aufgabe der Erziehung besteht außerdem noch darin, die persönliche Entfaltung des Kindes zu ermöglichen und ihm einen nicht nur physisch, sondern nach Möglichkeit auch sozial sicheren Fntwicklungsraum zu bieten. Männer haben ein menschheitsgeschichtlich bisher noch unergründetes Potential; niemand kann sagen, was aus ihnen werden könnte, welches neue Gleichgewicht zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit entstehen könnte, würden ihre Qualitäten nicht so rigoros beschnitten, würden sie nicht so gnadenlos in das Schema gepreßt. Bei den jungen Männern ist das noch nicht passiert oder erst in Ansätzen. Sie zeigen noch die vielfältigen Dimensionen, die in ihnen stecken. Sie haben noch Kontur, Herz und Individualität.
Junge Männer sind ein kleines Fenster in eine mögliche andere Welt - und wir, ihre Mütter, müssen dafür sorgen, daß das Fenster nicht wieder geschlossen wird.

Texttyp

Epilog