Indien

Erwiesenermaßen seit vier Jahrtausenden, wahrscheinlich ein Vielfaches dieser Zeit, ergießen sich Verfolger und Verfolgte, Verdränger und Verdrängte in das tropische Becken Indiens. Seinen Pflanzenflaum düngte buntestes Blut, sehr edles oder nur brutales, abenteuerndes jeder Schattierung. Noch fest geschlossene Kulturen drangen aus Nordwesten vor, blühten hier auseinander, welkten ein. Doch während die Mitte vom Geschaukel der Kriegselefanten dröhnte oder im Anbrausen einer halben Million Tatarenpferdchen vibrierte, schließlich glattgewalzt sich breitete unter die stählernen Tiere aus Zweck und Zahl, blieben gewisse Randzonen fast unberührt: ganz oben die äußerste Ostgrenze mit den Hügeln von Assam, ganz unten ein Streif der Malabarküste.
Was sich in Assam als lebendiger Gesellschaftskörper erhalten hat, wirkt so überraschend, wie etwa heute noch einem Diplodocus im Fleisch zu begegnen. Nicht darin nur liegt die Kuriosität, dass in der bedeutendsten Gemeinschaft des Landes eine Frau quasi als Päpstin und Fürstin in ihrer Person geistliche und weltliche Macht vereinigt, dass Priesterinnen bei allen wichtigen Opfern mitwirken, während Männer nur als ihre Beauftragten ministrieren - solches kommt auch wohl in Afrika vor - einzig aber ist die gestockte Zähigkeit, mit der sich hier in jeder einzelnen sozialen Zelle, der Familie, jene Gesetze ganz unverändert halten oder bisher gehalten haben - wie sie sonst nur während einer befristeten Periode des Matriarchats bestehen, als welches es sich dann von innen her lebendig selbst verwandelt. Bei diesen, soweit bekannt, völlig autochthonen Bergstämmen finde, sich heute noch im Zentrum jedes Haushaltes eine Gr0ß oder Urgroßmutter, je älter, desto besser, als »Hauptquelle und Band der Gemeinschaft«. Sie heißt »junge Großmutter« im Gegensatz zur Ahnfrau und Familiengöttin. Um sie gruppieren sich Enkel und Urenkel, doch keine Schwiegersöhne. »Diese werden lediglich benutzt, um die Familie der Frau fortzusetzen, heißen Ushongka = Besamer und haben ihre Gattinnen nur nachts zu besuchen.« Die Bindung ist so lose, dass bisher nicht sicher festzustellen war, ob nur sukzessive oder echte Polyandrie besteht. Darf der Mann, wie bei einigen Stämmen, ins Weiberhaus ziehen - es ist das bereits eine Entartungserscheinung - so gehört, was er nach der Heirat verdient, der Familie seiner Frau, während seine früheren Einnahmen restlos der eigenen Mutter gehörten. Dabei ist Privatbesitz ziemlich hoch entwickelt, der Wohlstand sogar groß, doch geht alles Gut nur von den Müttern auf die Töchter über; Haupterbin ist das jüngste Kind. Bachofen hätte seine Freude an dieser Bevorzugung der Jüngstgeburt gehabt; er selbst fand sie nie am lebenden Objekt, belegt nur in Sage und Tradition, als Merkmal chthonisch-materiellen Dränges, auf jenen Spross alle Hilfe zu häufen, durch den der Tod am längsten hinausgezögert, das Leben einer Generation am weitesten vorgeschoben bleibt. Eine restlos weibliche Welt somit, ohne Spur männlicher Gegenbewegung oder ursprünglicher Kameradschaft in Form von Junggesellenhäusern. Sir Charles Lyall, der beste Kenner dieser Stämme, nennt ihre soziale Organisation »eines der vollkommensten Beispiele erhaltenen Mutterrechts, in logischer und gründlicher Weise durchgeführt, die solche, die gewohnt sind, die Autorität des Vaters als Kern der Familie und GeseIlschaft zu betrachten, nachdenklich stimmen sollte«.
Natürlich gilt in Assam ein Vater nicht als mit seinen Kindern verwandt. Er hat nach keiner Seite irgendwelchen Erbansprüche und was er selbst verdient, fällt nach seinem Tod der Schwester-Seite zu. Riesige flache Gedenksteine für Verstorbene tragen den Namen der Clanmutter, hinter ihnen die aufrechten Steine, gleich den »Menhirs« im alten Britannien, bezeichnen die männliche uterine Verwandtschaft. Die lebenden sozialen Einheiten, »Maharis« = Mutterschaften genannt, weichen bei den verschiedenen Stämmen, Synteg, Khasi, Garos, Lalung, nur graduell in ihren Sitten voneinander ab; am konservativsten sind die Synteg, der Zersetzung am nächsten die Lalung. Von den Koch sagt Dalton: »Stirbt eine Frau, so wird der Familienbesitz unter die Töchter verteilt, und wenn ein Mann heiratet, lebt er bei seiner Schwiegermutter und gehorcht ihren Befehlen sowie denen seiner Frau.« Männern ist Werbung nicht gestattet, doch, wie es scheint, entwickeln sie auch als Umworbene kein Liebesspiel, wie das unter andern Völkern mit matrilokaler Ehe Sitte ist, auch solchen primitivster Art. Bei den Papuas auf einigen Inseln der Torres-Straße, um ein beliebiges Beispiel zu geben, spielt sich solch eine Werbung ungefähr folgenderweise ab: »Der junge Mann, oft schon mehrfach verheiratet und doch noch von jungen Mädchen begehrt, ist sehr vorsichtig, verlangt ausführliche und genaue Liebeserklärungen, ehe er sich auf etwas einlässt, Sicherheiten, damit er nicht am Ende im Stich gelassen werde. Die Konversation verläuft dann im allgemeinen etwa so: >Du mich wirklich mögen?< fragt der Jüngling. >ja, ich mag dich mit meinem Herzen innen drin. Aug sieht dich mit dem Herzen. Du mein Mann.< Da er sich aber nicht so rasch ergeben will, wird weiter gefragt: >Wie du mich mögen?< Worauf die junge Dame ins Detail geht: >Ich mag deine schönen Beine, du hast einen herrlichen Körper, deine Haut ist gut, ich mag dich ganz und gar.< Endlich wird sie die Sache zum Klappen bringen, indem sie ihn auffordert, den Hochzeitstag zu bestimmen.« (C. A. C. Haddon)
Welches Geschlecht das andre umwirbt, bleibt schließlich ohne Belang, ist nur durch Stauung der Vorlust in der Phantasie, das Gefälle der Liebe, das köstliche Potential gewahrt. Bei den Mutterschaften Assams jedoch scheint Spannung, Erschütterung, Triumph, jede seelische Auswertung der Sexualität zu fehlen. Weder wird die Frau erobert, noch der Mann, laue Duldung bleibt es, darf er ins Haus, und das nur als Besamer. Auch in Amazonenstaaten, wie sich später zeigen soll, gilt ähnliches, gilt es sogar als ethische Forderung, unter Ausschaltung des Mannes als Persönlichkeit den Geschlechtsakt wahllos mit ihm zu üben - dort aber im Zwang feurigster Askese, als heroisches Mittel, denn es geht um die Schaffung leidenschaftlicher Eigengestalt von völlig neuem Rang: »geprägte Form, die lebend sich entwickelt«. Das Dasein der Maharis dagegen verläuft schicksallos. Sie sind ein flächenhafter Schleimbatzen mit Zellkern geblieben, wo nichts sich stuft, nichts sich nach Höhe oder Tiefe züchtet. Aufgabe und Bedeutung aber strengen Muttersippen lag, wie Briffault sicher richtig gesehen hat, in der Fixierung gewisser altruistischer Gebote für die soziale Gemeinschaft, ohne die sie nicht bestehen kann, geschweige denn hätte entstehen können. Gebote, wie sie aber als Instinkt sich eben nur in Form von Mutterliebe finden, nämlich Junges, Schwaches und Hilfloses zu schützen, während »Vaterliebe« bereits eine Schwächung der männlichen Urinstinkte durch Nachahmung der weiblichen bedeutet, sind nach der Meinung von Jodl, Nemilow und mancher anderen jedenfalls nichts Ursprüngliches. E. Reclus sagt darüber: »Der Frau verdankt die Menschheit alles, was sie menschlich gemacht hat ... Ungeachtet der Lehrmeinungen, die heute gerade in Schwung sind, bleibe ich dabei, dass die Frau Schöpferin der primordialen Elemente aller Zivilisation gewesen ist. Gewiss war auch sie am Anfang nur ein Menschenweibchen, doch dieses Weibchen nährte, beschützte, erzog, was schwächer als sie selbst, während ihr Männchen, ein schrecklicher Wilder, nur zu verfolgen und zu töten verstand. Notwendigkeit zwang ihn zum Mord, und diese Pflicht schien ihm nicht unerfreulich. So war er von Natur aus reißende Bestie, sie ihrer Funktion nach »Mutter.« (Les Primitifs)
In Assam erscheint das Scheema eines urtümlichen Mutterclans petrifiziert durch vorzeitigen Stillstand seiner Entwicklung; offenbar funktionierte der innere Rhythmus nur schlaff, Unmündige wurden zu lange beschützt und fanden ihrer Unmündigkeit kein Ende. So wurde die Schicksalstelle der Ablösung verpasst. Das Leben, insofern es lebendig ist, aber besteht aus unausgesetzten siegreichen Ablösungen gegen die dauernde innere Hemmung widerstrebender Angst und seine letzte, krönende Ablösung belohnt sich als talentierter Tod, dem unerlässlichen Beweis vollendeter Persönlichkeit.
Ungemessene Zeiträume ruhen wohl schon die »Maharis« als stagnierendes Gefüge im Unbewussten. Kein Geschlecht findet die Energie, sich vom vorhergehenden innerlich zu befreien; nicht nur die beherrschten Männer, auch die herrschenden Frauen »unmündigen Geistes im erwachsenen Leib«, erscheinen hierdurch infantilsiert. Jede bleibt der um eine Generation älteren seelisch hörig, was zu ununterbrochener absoluter Greisinnenhegemonie führt, auch bei Vaterrecht findet sich als Gegenstück ja überbetonte Greisenherrschaft.
Gelegentliche Matronenkollegien gehören dagegen, wie der »Gottesfriede von Elis« beweist, zur hohen Zeit der Gynaikokratie; zur Stagnation nur die ausschließliche Überwertigkeit der jeweils aller ältesten Greisin, ohne Ansehung der Person. In dem gewiss konservativen Tibet fand sich von solcher Urweibdominanz auch nicht die Spur; dort steht als Herrin im Mittelpunkt jeder Gemeinschaft ein Mensch in seiner Blutfülle, kameradschaftliche Gattin und Wahlsenwester zugleich. Etwas bäuerisch zwar, weil schwer arbeitend und sesshaft, schlägt in ihr Wesen doch schon die Frische, wenn auch noch nicht die wehende Weite Zentralasiens herein, von dessen Frauen es in reichen Zeiten hohen Lebensstils heißt: »Sie haben mehr an Dienern und Pagen zur Verfügung als die Männer, sie reiten in großem Prunk auf ihren Pferden spazieren und schmücken ihre Häuser mit Gold und Edelsteinen, doch sind sie nicht keusch und verkehren uneingeschränkt auch mit Fremden und werden deshalb von ihren Gatten nicht getadelt, über die sie gewissermaßen herrschen.« Den gleichen Glanz und die Eigenherrlichkeit der Linie hat jede Erobererschar gehabt, die von da nieder schwebte in die tropische Süße. Heute bewohnen türkische Stämme dieses Gebiet, einst aber erfolgten aus ihm die verschiedenen arischen Einbrüche nach Nordindien, wo immer die »Urheimat« ihrer Träger auch gelegen haben mag und immer werden sie, aus getrenntesten Jahrhundertfahrten körperlich wie ihren Bräuchen nach, fast gleich geschildert, ob es sich nun um Indo-Skythen oder »Saka«, die »Get-ti« chinesischer Berichte oder die »jat« im Pandschab handelt, nämlich so, wie sie bereits in vedischer Zeit erscheinen: langschenklig, schlanK, mit sehr dichtem, mäßig blondem Haar, hellen, scharfen, tiefen Augen, aile frei, ohne Sklaven, da sie sich sämtlich für adeliger Abstammung halten, mit dem Rossopfer als höchstem Fest, der außerordentlichen Ehrfurcht vor ihren Frauen, die das Leben der Männer in allem teilen, Polyandrie und Mutterrecht. Schon die »fünf Nationen« der vedischen Arier, die fünf »Jayati-Söhne« leiten sich selbst von einer Stammmulter »Ita«, ihrer Eponyme (Erschafferin und Namengeberin), ab. Aus Jayatis Söhnen gingen dann die ersten indo-arischen Dynastien, die »Mond« oder Parava-Herrscher, hervor.  Auch die Helden der großen Epenzeit, die Pändavas im Mihäbhärata, sind metronym, nach der Stammutter Pandaia genannt. Alle fünf Pändava heirateten die Prinzessin Draupadi. Da die fünf Brüder auch fünf getrennte Paläste mit Gärten besitzen, weilt sie bei jedem abwechselnd zwei Tage lang. Eine spätere Prinzessin aus dem Haus der Pändava unternahm die Expedition nach Lanka (Ceylon) und gründete dort ein Reich; ihre sieben Brüder wurden ihr von der Mutter sukzessive nachgeschickt, und jeder erhielt von der Prinzessin-Schwester dann Teile des Landes als Regent zugewiesen. Die Maura-Dynastie, Gründerin des ersten groß-indischen Reiches, mit den illustren Königen Chandragupta und Asoka, dem Förderer des Buddhismus, leitete sich gleichfalls von einer Frau, Maura, her und erhielt durch sie das Thronrecht von den Nandas. Auch König Gautaz miputra nannte sich ausschließlich nach seiner Mutter Gautami, und dass er eigentlich Satakarni hieß, kümmerte keinen Menschen.
Polyandrie, für sich betrachtet, ist gewiß kein sicheres Merkmal für Mutterrecht, fügt sich aber hier ergänzend zu den übrigen. In den Epen ist sie geradezu die Regel. Außer Draupadi mit fünf, ist eine andre Prinzessin mit sieben, Jatila, nach den Puranas, mit zehn Brüdern verheiratet. In einer vedischen Hymne werden die Aswins, das göttliche Wagenlenker- und indische Dioskurenpaar, nach einem Sieg bei den Wettspielen von einer Frau als ihre gemeinsamen Gatten begrüßt und anerkannt. Und im Rig-Veda heißt ein »In der Ferne die strahlenden Maruts hangen ihrer jungen Frau an, die ihnen allen gemeinsam gehört.« Brüderliche Polyandrie scheint ein allgemeiner Brauch unter Ariern gewesen zu sein und findet sich bei verschiedenster Umwelt; im skandinavischen Mythos ist Frigga gleichfalls die Gattin von Odins Brüdern We und Wili. Betonung dieses Tatbestandes tut not, weil ganze Generationen von Privatdozenten bestrebt waren, ihn wie einen Flecken auf der wohl reichlich abgelegenen Familienehre  zu verwischen. Zum größten und machtvollsten Feind nicht der Frauen, aber ihres freien Weltwesens, wurde das Brahmanentum, als es über die Kschatrijas, die Kriegerkaste der ritterlichen Formträger, nach bitteren Kämpfen die Oberhand gewann. Was Spengler von den beiden Urständen jeder Kultur, Adel und Priestertum, sagt, hat sich nirgends so wie mit Silberstift umrissen rein zu Tag gelebt wie in Arisch-Indien vom Anfang des zweiten bis zur Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. In den frühen Hymnen fluten sie noch beinahe ungetrennt. Auch diese ältesten Teile der Veden gelten jetzt fast allgemein als erst nach dem Einbruch, also bereits in Indien und ziemlich spät, etwa im XII. Jahrhundert v. Chr., entstanden. Kaum ein grellerer Gegensatz ist denkbar als zwischen dem, was in ihnen selbst als Lehre und Leben sich zeigt, und dem, was nachträglich brahmanisches Gesetz bestimmt. Tritt dort »von alters her die edle Frau, von Männern begleitet, als Anordnerin des Opfers« auf, so wird sie hier von jeder religiösen und öffentlichen Handlung ausgeschlossen. Einst Mitschöpferin der Hymnen - mindestens eine im Rig-Veda stammt erwiesenermaßen von einer Frau - darf sie jetzt nicht einmal lesen, was sie selber dichtete, weil heilige Schriften nur geeignet seien, den weiblichen Geist zu verwirren. Noch in den Sutras aber stehen die Disputationen der Prinzessin Gargi mit dem Weisen Yainavalkya Satz um Satz als klassisch verzeichnet, »weil sie Brahmas Wissen besaß«. Die großen National-Epen, eine bereits brahmanisch redigierte Sammlung von Helden- und Ritterballaden, deren Beliebtheit an sich nicht zu zerstören war, zeigen noch beide Tendenzen nebeneinander, doch auch, wie rasch und gründlich in vielem der Umschwung gekommen sein muss. Im Mahäbhärata sagt Pandy zu Kunty, seiner jungen Frau: »Nun will ich dir von den alten Bräuchen erzählen, wie die erleuchteten Rishis, wohlvertraut mit jeder Regel der Moral, sie vorgezeichnet hatten. So höre denn, o Schöngesichtige mit dem süßen Lächeln, früher waren die Frauen nicht in Häusern eingeschlossen, abhängig von Gatten und Verwandten. Sie pflegten frei hinzugehen, wohin sie wollten, sich vergnügend nach bestem Vermögen. Und keineswegs, o du mit den herrlichen Eigenschaften, hingen sie ihren Männern in Treue an, ohne deshalb, o Liebreizende, schuldig befunden zu werden, denn dies war der gutgeheißene Brauch der Zeit . Wahrlich, dieser Brauen, so nachsichtig den Frauen, hat die Sanktion der Ehrwürdigkeit. Die gegenwärtige Sitte hingegen, dass sie einem Mann fürs Leben verbunden sind, ist erst kürzlich aufgerichtet worden.« Beim Einbruch nach Indien, vielleicht um 2000 v. Chr., waren die mutterrechtlichen Arier wahrscheinlich auch noch kastenlos gewesen, höchstens dass Kriegeradel bestand. Nachdem sich ein Priesterstand abgesondert hatte, der das spekulative Denken später zu einer vielleicht nie wieder erreichten Höhe führen sollte, ging es ihm zuvörderst um die religiöse Ausschaltung der Frau. Ihr fiel ja von jeher der Hauptanteil am Asvamedha dem heiligen Roßopfer, zu; sein Ritual des Befruchtungszaubers spielte sich in einer Art hieros gamos ausschließlich zwischen Königin und geschlachtetem Pferd, ursprünglich vielleicht dem noch lebenden Pferd, ab, während die Männer nur assistierten. Das musste von Grund auf geändert werden, deshalb findet sich bereits im Mahäbhärata die sehr bezeichnende Stelle: »Das Gesetz ist aufgerichtet worden, dass die Frau mit heiligen Zeremonien nichts zu schaffen hat, denn es gibt eine Offenbarung darüber« ... »Die Gattin erringt den Himmel nur durch Gehorsam gegen den Gemahl.« Im Buch Manu endlich - ausschließliches Werk der Brahmanen, nicht der Kriegerprinzen erreicht das indische Vaterrecht einen Gipfel, der Rom bei weitem übertrifft. Nach ihm darf die Frau nie eigenen Willen genießen, bleibt vielmehr als Mädchen dem Vater, als Gattin dem Gatten, als Witwe dem Sohn unterstellt. »Mag ein Mann auch lasterhaft, verworfen, bar jeder guten Eigenschaft sein, die gute Frau muss ihn doch immerdar wie einen Gott verehren.« »Möge sie absolute Herrin sein über ihre Schwiegerväter«, verkündet dagegen eine vedische Hymne, »absolute Herrin über ihre Schwiegermutter, lasst sie herrschen über ihres Gatten Schwestern, herrschen über ihres Gatten Brüder.« Selbst unter Brahmanen sind mitunter noch Mutterrechtsreste zu finden, so erkennen jene von Bengalen nur einen Schwestersohn als Familienpriester an. Unabhängig von den Ariern, die das Matriarchat hatten, aber wieder aufgaben, bestand es bei den eingebornen Dravida-Rassen von je, erhielt sich auch unter unabhängigen Herrschern, oder im Süden, wo der brahmanische Einfluß nicht durchdrang. Im Gebiet von Malabar und Trav-ancor fanden ältere Reisende verschiedene Frauenstaaten, wo nur »Königinnen alem Ansehen nach unumschränkt regieren«. Schaudernd ob solcher »Entartung«, schreibt noch der alte Meiners Ende des XVIII. Jahrhunderts über ein Königreich Attinga, dessen AIleinherrscherinnen, zur Ehelosigkeit verpflichtet, sich dafür Geliebte hielten nach Laune, »gemeiniglich machen daher die schönsten Jünlinge des Hofes ihr Serail aus«. Genau der gleiche Brauch sowie die Thronfolge in ausschließlich weiblicher Linie sind heute durch mindestens ein Dutzend afrikanischer Beispiele zu typisch belegt, als dass Zweifel an den völlig unabhängig und dabei innerlich höchst widerstrebend gemachten Angaben der alten Weltreisenden über Analoges in Indien berechtigt wären. Sie bestätigten nur eine vorübergehend in Vergessenheit geratene Tradition. Auch Strabo erzählt bereits von den Damen indischer Höfe, wie sie als geborene Herrinnen Waffen zu führen verstehen und amazonenhaft die Krieger in die Schlacht begleiten. Nur aus solch ganz altem Instinkt heraus werden jene Phänomene verständlich, dass ganze Armeen sich begeistert und unbeirrt durch den Islam immer wieder von Frauen, als ihren angestammten Führerinnen, leiten lassen, wie während des indischen Aufstandes durch die berühmte Rani von Ghansi.

NAIR
Wer heute als Fremder in Portugal bei Patrizierfamilien von kauffahrender Tradition zu Gast ist, dem kann es widerfahren, daß er die Tochter oder sonst eine Dame des Hauses mit einem alt ererbten Vornamen gerufen hört, der sein Ohr zwischen all den romanischen Wellenlängen in nicht näher zu fassender Weise entzückt.
Er wird ihn gleich nachsprechen, bis auf den Grund ausschmecken wollen, aber der Klang zerschmilzt nicht, drängt sich auch die Zunge noch so schmeichlerisch zwischen seinen aufreizenden Diphtong. Er bleibt fremdartig und ganz. Nair. Was mag das sein? Ein ernster Edelstein, ein tropischer Wohlgeruch oder eine neue Art von feinem Eigensinn?
Nair oder Nayar heißt die aristokratische Kaste der Tamilen an der Malabarküste, Indiens südlichem Streif, im toten Winkel des Weltverkehrs gelegen. Die Tamilen, eine der schönsten indischen Rassen, waren bereits vor der arischen Einwanderungswelle hier zu Hause, die Adelstradition ihrer obersten Schicht, der Nair, ist uralt, und so Iange diese Tradition durch die Jahrtausende zurückreicht, sollen unter ihnen nie andere als Liebesehen vorgekommen sein, von nichts getragen als reinem Gefühl, völlig unvermischt mit ökonomischen oder streberhaften Einflüssen. Begreiflicherweise sind sie deshalb seit jeher und von allen Seiten ethisch angepöbelt worden. Es hieß, so etwas sei eben keine richtige Heirat und zähle nicht mit. Erklärlich von den Leuten! Ganz unrecht hatten sie nicht damit, bedenkt man, dass Ehe eine wesentlich juristisch geregelte, soziale und ökonomische Institution ist, die fast nirgends den Menschen aus freier Wahl in den Sinn gekommen war, vielmehr stets zu einem bestimmten, Moment ihrer Tradition oder Geschichte durch einen »Stifter« musste anbefohlen werden. Von Regierungsvertretern und Kommissionen mit Fragen belästigt, erklären die Nair, ihre Eheschließung sei die »talikettu«-Zeremonie: das Binden des Tali im neunten oder elften Lebensjahr. Doch wurde ihnen nachgewiesen, dies sei nur ein Pubertäts-, kein Eheritus, er gebe die Eingeweihte nicht einem bestimmten Partner, sondern dem Sexualleben als solchem frei. Als Zeichen dieser Freiheit wird ihr ein durchbohrtes Goldblättchen an einem Faden um den Hals gehängt, was auch bei andern Dravida-Rassen Brauch ist.
Es zeigt symbolisch an, dass dem Liebesverkehr mit der jungen Tali-Trägerin kein Hindernis mehr im Wege steht. Das Hindernis selbst entfernt ein Fremder, der den »Gott« vertritt, ein Brahmanenpriester oder sonst Geweihter und als solcher gefeit gegen das böse Zauberblut des Hymenrisses; wer immer aber es sein möge, gewinnt dadurch keinerlei weiteres Anrecht, verliert sogar, was er als möglicher Lebenspartner vorher besaß. Sein Dienst ist durchaus einmalig, die Annäherung nicht wiederholbar.
Der Verlobte oder Mann der eigentlichen Wahl wird also kaum jemals ausersehen werden zu dieser übrigens für ganz mechanisch erachteten Operation; unerlässlich zwar, doch nicht im geringsten gefühlsbetont.
Nach dem Binden des Tali ist die kleine Nair-Dame für den Rest ihres Lebens frei, zu wählen, wen sie will, und für so lange, als sie will. Ein Wort, nach Wunsch und Belieben eines der beiden Partner, löst die Verbindung jederzeit. Auch simultane Gatten kann die junge Frau besitzen, steht ihr der Sinn danach, nur ebenbürtig müssen sie sein. Beziehung zu einem Mann niedrigerer Kaste ist das einzige, was als »Ehebruch« und diffamierend gilt, gleich wie es schmachvoll für einen Nayar wäre, mit unadeligen Frauen zu schlafen.
Ökonomische Hindernisse gibt es dagegen nicht. Weder Mann noch Frau können an Geld oder Ansehen durch Liebe das geringste gewinnen oder verlieren. Sie bleibt auf alle Fälle in ihrem Erbheim, in das die Kinder, ohne als mit dem leiblichen Vater verwandt zu gelten, als Eigentum der Mutter hinein geboren werden, erhalten und erzogen von ihren privaten oder der Sippe Mitteln. Er ist im allerstrengsten Sinn Gast in diesem Haus, wohl Gatte, aber nie Familienvater, nimmt keine Mahlzeit dort, wo ihn ja auch die Pflicht des Unterhalts nicht trifft.
Lediglich kleine Aufmerksamkeiten, ein Beitrag zum Nadelgeld, sind für ihn das übliche, doch durchaus nicht Gesetz. Größerer Reichtum. seiner Frau oder Frauen kann somit für einen Nayar weder von parasitischem Vorteil noch demütigend sein. Ist er hingegen der wohlhabendere Teil, so ziehen Frauen und Kinder keinesfalls daraus Nutzen oder Erbe, denn sein Vermögen hört nie auf, der eigenen uterinen Muttersippe zu gehören, also den Schwestern oder Schwesterkindern, an die es nach seinem Tode fällt. K. Kennan Nayar (das Wort bedeutet Lord) sagt über die Sitten seiner Kaste: »Heirat unter den Nair bleibt wahrhaft rein und einfach ...
Sie ist Ehe allein um der Ehe willen, nicht zur Verewigung der Familie gedacht, vielmehr eine soziale Einrichtung zur friedlichen Stillung des blindesten menschlichen Dranges.
Solch eine Einrichtung ist also erwiesenermaßen möglich ohne die geringste Störung des Zivilrechts, das die erbschaftliche Übertragung von Familienwerten regelt.« Somit durfte hier die Liebe alle Zeit, völlig unbeschwert, wie nirgends sonst, ganz nach eigenen Gesetzen leben, nur in jene steigernden Konflikte verspannt, die aus der Dämonie des Erotischen selber stammen. Das Resultat waren Wesen, grad von der Quelle an, im reinen Rauschen ihres Blutes, ahnungslos, dass es so etwas geben könne, wie das Brot eines Mannes essen, ganz frei von Rattenschmutz irgendwelcher Abhängigkeit, lebenslang geborgen, unvergröbert, unverletzt, in der erdgöttlichen Matrix ihrer unverlierbaren Frauenheimat, die weit mehr als bloßes Heim, Wesen der feingezogenen Unterscheidungen, jede Pore erfüllt mit jener »shakti« genannten, Bezauberungsgabe, der »unbeschreiblichen Emanation der Frau«, wie Tagore es nennt.
Als die Portugiesen zu ihrer großen Zeit als kühne Schweifer am seligen Saum der Malabarküste mit ihren Handelsschiffen landeten, betroqen vom Lebensrang seiner Bewohner und anfangs unsicher, wie hier vorzugehen sei, wurden sie, sollte man seinen Ohren trauen, von diesen exklusiven Herrschaften förmlich angefleht, ihren Bräuten oder jungen Töchtern die Blume abzunehmen, da sie der Heirat im Wege sei. Worauf solch ein Fremder aufs großartigste bewirtet, geehrt und beschenkt wurde. Vielleicht aber gelang ihm beim Tafeln mit seinen exotischen Gastgebern das innere Feixen nicht so breit, wie er zuerst gedacht: als ob sein Selbstgefühl bei diesem Handel doch irgendwie zu kurz gekommen wäre. Überlisten, Sich-Heranpürschen, Verschlagenheit, Überwältigung hatten eben gefehlt. Wo war hier jener Schaden an Leib und Seele geblieben, ohne dessen Zufügung ein Don-Juaneskes Unternehmen den inneren Sinn und Reiz verliert? Statt Tränen, Entsetzen, gestammelten Klagen um Unersetzliches, nur ein flüchtiger, freundlicher Dank. Schien das denn möglich: so einem samtäugigen Mädchenkind alles getan zu haben und ihr nichts zu sein? Denn darüber hatte man den Fremden nicht im Zweifel gelassen: eine zweite Nacht, etwas wie ein Wiederholungsversuch, wäre sein sicherer Tod. Also war man kaum andres gewesen als der Domestiqtie am Wagenschlag oder, freundlicher gesprochen, einer, der gönnend andern die Türe öffnet zu froher Fahrt. Heimgekehrt von gelungenen Reisen voller Abenteuer und Gewinn, wird der portugiesische Handelsmann bei behaglichem Bramarbasieren nicht eben diese Seite des skurrilen Erlebnisses betont haben, das, was Wehmut und Verzicht daran war. Was verschlug denn auch so einem Weltfahrer mit seiner guten Ladung an Elfenbein und Kopra diese oder jene Episode! Doch wenn ihm, es mochte Jahre später sein, ein Kind geboren wurde, ein Mädchen gar, dann wollte sich im ganzen christlichen Kalender mit allen lieben Heiligen schlecht und recht kein Name finden, der den Vater so aus tiefster Seele anzumuten schien. SchliessIich, wohl entgegen dem gekränkten Einspruch einer Gattin, gar entgegen priesterlicher Mahnung, hieß das Mädchenkind: Nair.

DIE MALAIEN

Sie sind die ersten in dem verwirrenden Gewimmel, die der Weltreisende überall leicht erkennen lernt infolge ihrer soliden Fleischigkeit inmitten der schlankgestreckten Tropenrassen. Während diese vor Rikschas gespannt dahertraben, rudern oder Lasten schleppen, was ihnen im senkrechten Licht das letzte Gramm Fett von den glatten Knochen treibt, betätigt sich der Malaie auf bekömmlicherem Posten gerne schattenseits.Er gibt einen brillanten Maitre d'Hotel ab, mit sauberem, straffem Aussehen, klugem, wohlrasiertem Eierkopf und kIeinwinzigen Fingernägeln an überaus tauglichen Händen. Nicht auszudenken, dass es einem Malaien irgendwo einmal schlecht gehen könnte. Von ganz unten sieht man ihn fast nie in die Höhe kommen, gewöhnlich ist er schon halbwegs oben, zum Schluss meist sehr weit oben als Kaufherr, Geldmann oder Besitzer von Reisfeldern. Jovial und höflich erweckt er unbändiges Vertrauen, was ja bei Wuchergeschäften die Hauptsache sein soll.
Wer würde es dieser Menschenart ansehen, daß sie um irgend etwas anderes als dinglichen Besitz kämpfen könne, und doch führte sie noch vor hundert Jahren in Westsumatra den Pandriekrieg um ihr altes Mutterrecht, verteidigt es auch heute, zwar waffenlos, aber zäh und erfolgreich, gegen den stets aggressiven Islam, wenn auch eine gewisse Auflockerung nicht zu verkennen ist. Die Malaien brachten das Matriarchat wohl schon aus Zentralasien mit, von wo sie, ein Zweig der gelben Rasse, über Indien her den nach ihnen benannten Archipel besetzten, dessen indo-australische Urbevölkerung vor der dynamischen Überlegenheit und Tüchtigkeit der Eroberer dahinschwand. Wo Malaien sind, und das ist ein weites Stück der Tropen, gilt Mutterrecht, wenn auch in sehr verschiedener Stufung. Die konservative Form findet sich noch in den großen, reichen Sippen auf Sumatra, deren Mitglieder bald »sabuah parui« -»eines Bauches« oder »Samandai« »eine Mutter habend« heißen. Rücksichtsvolle Zartheit gegen Frauen ist auf Sumatra meist größer als in irgendeinem Teil Europas, was schon die alten Reiseberichte vermerken.
»Die erwachsenen und verheirateten Männer dürfen nicht im Stammhaus der Weiber, sondern nur im Bethaus wohnen. Kinder werden in die Familie der Mutter hinein geboren, dort unterhalten und erzogen. Der Mann, auch wenn er reich und angesehen, zieht nicht ins Haus der Frau, verbringt nur ab und zu eine Nacht bei ihr. Sie erhält im Mutterhaus ihre eigene Wohnung und so viel Hausrat, wie sie braucht. Kinder erben von der Mutter, nicht vom Vater, seine Besitztümer oder Einnahmen gehen an die Kinder der Schwester über, ebenso seine Titel und Würden.« (Nieuwenhuis) Auf Leben und Erziehung seiner Nachkommen, mit denen er als nicht verwandt gilt, hat der Mann nicht den geringsten Einfluss, in der eigenen uterinen Sippe dagegen kann er als ältester Mutterbruder zu Ansehen und Führung gelangen; hier macht sich eben bereits das Avunculat stark bemerkbar, stets ein Zeichen dafür, dass die »Wechseljahre«, das Klimakterium beim Mutterrecht, im Anzug sind. Zwischen den stagnierenden, wenn auch wohlhabenden Maharis von Assam und dem formalen Spitzentypus der târwards von Malabar nehmen die mächtigen malaischen Muttergefüge kulturell eine Mittelstellung ein. Ihre Stärke sind ausgezeichnte Verwaltung, daher Prosperität, wo sie darin versagen, gelingt es dann reich gewordenen Männern die begehrten Frauen aus dem Weiberverband herauszukaufen, sie herauszulösen in jedem Sinn, weil hier in erster Linie nur noch Wirtschaft gegen Wirtschaft steht, leicht Vertauschbares also, nicht zwei geschlossene Gebilde gegensätzlicher seelischer Struktur einander bekriegen. Zwischen den Geschlechtern geht es daher durchaus untragisch zu bei fröhlicher, handfester Verständigung mit Übergewicht der Frau, die hierin offenbar im Sinnlichen führt.
Zur malaiischen Rasse gehören auch die Dayaken auf Borneo, ihrer unentwegten Kopfjägerei wegen bekannt und der unheimlich genialen Art, die erjagten Köpfe zu präparieren. Längst schon wäre dieser Sport bei ihnen eingeschlafen, verlangten ihn die Frauen nicht immer wieder als Beweis von Mut, ehe sie ihre Gunst verschenken. Hier hält sich demnach ein Schädelkult, sonst Symptom der Männerbünde, ohne eine Spur von diesen lediglich auf weiblichen Wunsch. An Größe, Kraft, Ausdauer sind die Dayakinnen dem andern Geschlecht völlig gleich. Amazonisch ausgebildet, ziehen sie mit in den Krieg oder verteidigen in Abwesenheit ihrer Männer ganz allein ihre Siedlungen gegen den Feind. Jede trägt einen Speer und jagt mit den Hunden. Ärztinnen werden auf Borneo weit höher bezahlt als ihre männlichen Kollegen, Priesterinnen üben die wichtigsten religiösen Funktionen aus, wobei sie eine den Männern unbekannte Sprache verwenden; sie leiten die Opferhandlungen und tanzen den Schwerttanz, jene höchste kriegerische Zeremonie zur Beschwörung des Sieges. Natur- und Stammesgeister, die ja als Machtreservoir gelten, aus denen durch besonderes Ritual geschöpft werden kann, heißen unterschiedslos »Großmütter«. Charles Brooke, Nachfolger seines Onkels Sir James Brooke, der in Nordost-Borneo das Sultanat Sarawak gründete, zeigt sich von den Dayakfrauen in jeder Hinsicht entzückt und hält sie in politischen Dingen für weit geschickter als ihre Männer. Nach seiner Angabe wurde die Linggabevölkerung von Nordost-Borneo viele Jahre hindurch von zwei vornehmen alten Frauen regiert. An Eheformen zeigt die große Insel eine ganze Musterkarte; voreheliche Freiheit wird dagegen überall gleich ausgiebig genutzt, dafür dauert das jährliche wahllose Vermischungsfest, ein Befruchtungszauber, um die Natur zu reichem Tier- und Pflanzensegen anzueifern, nur eine Viertelstunde lang, dann tritt wieder völlige Ordnung ein. See- und Bergdayaken weichen in manchen Bräuchen voneinander ab, so sind die männlichen Tapferkeitsproben, wie sie die Frauen im Gebirge verlangen, weit eher den indianischen an Ausgiebigkeit verwandt. Legt ein Mädchen ihrem Verehrer brennendes Zeug auf die Arme, so muss er es dort zu Ende glimmen lassen, ohne einen Muskel zu verziehen, und die tiefen weißen Narben dieser Marter werden dann erotisch hoch geschätzt. Ob die phantastischen Formen der Zirkumzision oder eigentlich Inzision, bei der die seltsamsten Gegenstände in den Wundkanal gesteckt werden, damit er nicht zuwachse, eine Folge der Frauenherrschaft sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Jedenfalls finden sie sich überall, wo mutterrechtliche Malaien leben oder wohin ihr Einfluss reicht, wie in Burma; dort sah J. H. van Linschotten Männer, die vorn am Glied haselnuss- bis walnussgroße Schellen trugen. Manche Ethnologen Kulturkritiker und Ärzte erblicken darin ein Gegenstück jener schmerzhaften Operation, wie das Vernähen der Nubierinnen oder die fetischistische Fussverstümmelung der Chinesinnen unter Vaterrecht, eben Praktiken, ausschließlich bestimmt, das Vergnügen beim herrschenden Geschlecht zu steigern auf Kosten des Beherrschten. Ploß, der ebenfalls dieser Meinung ist, berichtet: »Um dem Weibe den Genuss bei der Begattung zu erhöhen, durchbohren sich viele Dayaks die Eichel des Gliedes mit einer silbernen Nadel von oben nach unten; sie lassen die Nadel solange darin, bis die durchbohrte Stelle als Kanal verheilt ist. Vor dem Beischlaf wird dann hier hinein ein festsitzender Apparat gefügt, welcher eine starke Reibung bewirkt und dadurch den Geschlechtsgenuss der Frau erheblich steigert. Die in diesen Kanal eingebrachten Körper sind verschieden: kleine Stäbchen aus Messing, Elfenbein, Silber, ja auch aus Bambus.« Manchmal wird eine sich spreizende Krause aus den Wimperhaaren eines Bockes mit samt dem ganzen Augenlidrand, anzusehen wie das Halsband einer Bulldogge, um das Glied gebunden. Ein Apparat, bei dem Borsten in den Stäbchen befestigt werden, heißt Ampallang. Die Frau gibt dem Manne ihren Wunsch, daß er sich einen solchen anschaffe, auf symbolische Weise zu erkennen: er findet in seiner Reisschüssel ein zusammengerolltes Siriblatt mit einer hineingesteckten Zigarette, deren Länge das Maß des gewünschten Ampallang darstellt. Der Varianten sind unzählige. Auf Sumatra werden unter die eingeschnittene Haut dreieckige Gold- und Silberstückchen oder Steine geschoben, die dort einheilen auf Borneo ein Messingdraht, dessen gespaltene Enden als steife Quaste hervorragen. Dass die Malaiinnen Männern mit solchen Akkomodationen den Vorzug geben oder andre, die sie nicht bieten, ganz zurückweisen, ist sicher. Die Fortdauer der schmerzhaften und gefährlichen Operationen geht wohl auf ihren Einfluss zurück, ob der Ursprung ist fraglich. Dagegen spricht die weite Verbreitung ganz ähnlicher Inzisionen zum Einfügen von Gegenständen an andern Körperöffnungen, wie Ohren, Nase und Mund, wo sie ganz ohne direkten oder indirekten Lustgewinn bleiben, aber zum Schutz dienen gegen den bösen Blick; auch die weltweite Sitte, die Hand beim Gähnen vor den Mund zu halten, entspringt abwehrender Angst und fand erst später die ästhetische Motivierung. Körperöffnungen als solche sind eben dem Eindringen schwarzer Magie tiefer ausgesetzt und bedürfen jener Goldplättchen, Borsten, Eberzähne, Steinchen und andern bewährten Amulettmaterials. Besonders die kostbaren, beim Mann so exponierten Geschlechtsorgane müssen durch Gegenzauber umhegt werden, wobei glänzende Dinge, Gold, Silber oder Metallglöckchen wie »Maskotts« am Auto zu wirken haben, nämlich weniger als Glücksbringer, als um Übelwollen auf sich abzulenken, weg von seinem eigentlichen Ziel. Symbol-, Instinkt und Zauberhandlungen sind jedoch benachbart genug, um gelegentlich zu vikariieren, so dass eine auch die Funktion der andern übernehmen kann. Trugen die Römer als Abzeichen der mütterlichen Abstammung silberne Halbmondchen, die lunulae, an den Schuhen, so begaben sie sich damit zugleich ganz bewusst in den Glanzschutz des böse Blicke bannenden Metalls. Geprellt um wichtigere Beute, sank dann das Feindliche rechtzeitig hypnotisiert bis an den Körperrand hinab, um höchstens noch die Zehen zu bedrohen; in ähnlicher Weise kann die »Glocke«, obwohl allgemeines Libidosymbol, dem Glied der Burmesen als »Maskott« dienen.
Bei allem, was mit Pubertätsweihen, also der Beschneidung, zusammenhängt, fällt es besonders hart, zu entscheiden, was primär, was sekundär, wann und inwieweit Motive sich überlappen. So kann eine bestimmte Narbenform manchmal Stammesmerkmal bedeuten, ein Passvisum sein, um nach dem Tod ins richtige Jenseits und nicht etwa in den Feindeshimmel zu gelangen.
Gerade bei den malaiischen Reiferiten aber geht es keinesfalls an, den Einfluss des weiblichen Sexualwillens auf Ausgestaltung von Inzision und Amulettwesen zu leugnen, wie manche englische Kulturkritiker es tun; der gegenteiligen Zeugnisse sind zu viele. So wird auf den Aru-Inseln, zwischen Celebes und Neuguinea, auch auf dem benachbarten Serong, die Knabenbeschneidung nach dem detaillierten Wunsch der Mädchen in ganz bestimmter Weise ausgeführt, »um der Frau das Wollustgefühl bei der Ausübung des Beischlafes zu erhöhen«. (Riedel) Eine ursprünglich unbeabsichtigte, völlig zufällige Nebenwirkung ist hier offenbar allmählich zur Hauptsache geworden - kein seltener Fall. Daß aber andre, und zwar weit mächtiger gefügte Frauenverbände nichts Ähnliches verlangt oder durchgesetzt haben, versagt als Gegenargument - eine Frage der Temperamentsunterschiede eben. Jedes durch Freiheit und Selbstbestimmung gesteigerte Körpergefühl strebt naturgemäß danach, andre Körper seinen eigenen Wunschphantasien anzupassen. dass diese unter Malaien so bestürzend direkt, so penetrant primär zielen, ist gar nicht wegzudenken aus Gesamtform, Bestimmung und Lebensplan dieser heftig eingefleischten, vielleicht nicht eben tiefer, aber solider als andre verkörperten Rasse.