Aus dem berechtigten Bewusstsein heraus, Träger einer Hochkultur zu sein, schloss der Europäer bis vor kurzem noch, dass die Frau, nicht einmal nach seinen Gesetzen völlig gleichberechtigt, es doch in niederen Gesellschaften oder gar bei »Primitiven« wesentlich schlechter haben müsse.
Nichts konnte irriger sein. Mit zwei einzigen Ausnahmen: in Teilen von Melanesien und bei den australischen Urrassen, wo sie unterdrückt wird, steht die Frau bei den Naturvölkern freier, mächtiger, vor allem ökonomisch weit gesicherter da als in Europa. Sieht man sie schwere Arbeit verrichten, den Mann dagegen oft herumlungern oder Nebensächliches basteln, so geschieht das, weil ihm das Wichtige zu tun und zu entscheiden nicht selten untersagt bleibt, denn es ist meist ihr Besitz, auf dem sie völlig freiwillig die Arbeit tut.
Nach matrilokaler Sitte ist ihr der Mann nachgefolgt in ihr eigenes Heim, wo er bis zu einem gewissen Grade Gast bleibt und der Sippe seiner Frau fremd. Eheliche Bindung aber tritt bei Naturvölkern fast ausnahmslos hinter Sippenbindung zurück.
Wiewohl also durch das Gesetz der Exogamie zur Heirat nach auswärts gezwungen, bleibt der Mann mit allen Instinkten doch seiner eigenen Sippe verhaftet, verkörpert in der Mutter, die ihn meist bis zum vierten Lebensjahr gesäugt hat. Über diese zauberhafte Anhänglichkeit sind die Beobachter des Staunens voll; unfassbar für ausgeflachte Gefühlslagen erscheint solch direkte Kraft.
Mit der Ehepartnerin besteht dagegen wenig Lebensgemeinschaft, sie wird nur besucht, ihr gehören auch die Kinder, denen meist der Vater gering gilt. Dem Primitiven steht darum an erster Stelle die Mutter, an zweiter die uterine Schwester, lebt er auch von ihnen getrennt. »In den allerniedrigsten menschlichen Gesellschaften«, schreibt Schweinfurth, »gibt es ein Band zwischen Mutter und Kind, das ein Leben lang hält, mag auch der Vater ein Fremder bleiben. Die größte Beleidigung für einen Neger ist eine abfällige Bemerkung über seine Mutter, sogar bei den vaterrechtlichen Hereros wird in jeder Gefahr erst die Mutter gerettet.« Die gefürchteten Kopfjäger auf Borneo, die Dayaken, erkennen keinerlei Verpflichtung gegen ihren Vater an, die Mutter aber bleibt etwas Heiliges.
Wer in Melanesien, obzwar die Frau dort unterdrückt wird, eine Schiffsbemannung auch nur für eine Woche mieten will, hört sehr oft von grauhaarigen Männern in den Vierzigern sagen, sie täten gerne mit, müßten aber erst die Mama um Erlaubnis fragen. (J. Chalmers and W. Gill) Als ein paar der geschicktesten Aleuten nach Petersburg eingeladen waren, um sich auf der Newa mit ihren Kanus zu produzieren, verdienten sie sehr viel Geld und wurden maßlos verwöhnt, man drang in sie, zu bleiben, aber nein, sie wollten ihre Mütter um keinen Preis länger allein lassen. (J. Weniaminoff, Charakterzüge der Aleuten von den Fuchsinseln) Camerons Afrika-Expedition wurde vom Führer, weil dieser seine Mutter sehen wollte, hundert Meilen auf Umwegen geführt; ein anderer Eingeborner wieder getraute sich nicht, seiner Mutter einen Abschiedsbesuch vor der Reise zu machen, aus Furcht, dann kontraktbrüchig zu werden. »Häte ich sie wiedergesehen, könnte ich nicht mehr fort«, sagte der Mann mit Tränen in den Augen.
Von den Buschmännern wird ganz Ähnliches berichtet, und die Hottentotten sind ihren Müttern völlig hörig. Der höchste Schwur der Herero lautet: bei den Tränen meiner Mutter.
Den Irokesen gilt es als scheußlichstes Verbrechen und als etwas ohne Beispiel, dass ein Sohn gegen seine Mutter rebelliere. Die gleiche tiefe Bindung besteht zwischen Mutter und Tochter; immer und überall bleiben die Frauen zusammengebündelt, die Gesellschaft des angeheirateten Mannes wird nur zeitweilig gesucht, seine Einmischung meist verbeten.
Stets gilt die Verehrung der alten Frau, auch wenn sie nicht die Mutter ist. In Afrika werden Greisinnen vielfach von den Männern verwöhnt, jeder strebt, ihnen eine Freude zu bereiten, jeder sorgt für sie.
Geht es im australischen Busch drunter und drüber, dann wählen die Männer eine Greisin zur »Großmutter«, die mächtige Privilegien erhält, unverletzlich ist, Streitigkeiten schlichtet, Krieg und Frieden regelt, den Männern die Speere wegnehmen darf - alles bei den gleichen Australiern, denen die Frau sonst gering gilt.
J. G. Fletcher Moore, auch Spencer und Gillen schließen aus frühen Mythenzügen, aus gewissen religiösen Anzeichen, dass diese »Großmutter« der Rest eines zertrümmerten Frauenreiches sei, dem aus Ressentiment später die strengste Fernhaltung der Frau von wichtigen Zeremonien folgte. Was aber ist ein Frauenreich? Wo gibt oder wo gab es das? Wann und wie steigt die Kurve der Herrschaft so steil an? Welches ist der Stufengang von einfacher Mutterfolge über Mutterrecht zu Matriarchat und extremer Gynaikokratie; oder ist das gar nicht Gradation eines Gleichen? Reißt vielleicht etwas ab, und ein ganz andres befreit sich?
Und unter welchen Formen? Das alles gehört zum wechselnden Gesicht des Mutterrechts. Dr. M. Vaerting und Schulte-Vaerting haben Untersuchungen über »weibliche Eigenart im Männerstaat und männliche Eigenheit im Frauenstaat« angestellt. Sie vergleichen gerechterweise die Geschlechter nur unter gleichen Bedingungen: Männer bei Männervorherrschaft mit Frauen bei Frauenvorherrschaft, beide somit in gleich günstiger Lage, oder Männer bei Frauenherrschaft mit Frauen bei Männerherrschaft, beide somit in gleich ungünstiger Lage. Sie prüfen auch die Situation bei Gleichberechtigung, um zu sehen, was dann schließlich für die durch das herrschende Geschlecht jeweils verkündete gott-und naturgewollte Eigenart des andern Geschlechts übrigbleibt.
Der Befund erscheint auf den ersten Blick verblüffend. Die Normen kehren sich weitgehend um. Vaertings sind der Ansicht, dass viele Züge, die für eingeboren »weiblich« oder »männlich« gelten, lediglich das Produkt eingeschlechtlicher Vorherrschaft sind, bei Herrschaftswechsel sich aber automatisch umkehren bis ins groteske Detail. Zuvörderst setzt stets die umgekehrte Arbeitsteilung ein. Das beherrschte Geschlecht »gehört ins Haus«, hat zu kochen, die Kinder zu hüten, Schamgefühl und Gemüt zu entwickeln, sich zu schmücken, schön und jung zu sein und, als oberste Pflicht, zu gehorchen. Das herrschende Geschlecht reserviert sich die Geschäfte außerhalb des Hauses, gilt bei sich selbst wie dem beherrschten für den geistig überlegenen Teil, fordert dafür von dem geistig weniger Begabten Liebreiz und Jugend: dieser Zustand wird auch vom jeweils Beherrschten als der »natürlich« empfunden. Es zeigte sich somit, dass für den Mann im Frauenstaat genau das gleiche gelte wie für die Frau im Männerstaat und dass weibliche »Schwäche und Schutzbedürftigkeit« nicht Ursache, sondern Folge der Arbeitsteilung im Männerstaat seien.
Diese Untersuchungen der Vaertings haben zu den Bachofenschen Merkmalen des Mutterrechts eine Reihe neue hinzugebracht. Die alten, stets wichtigen sind: Der weibliche Familienname wird erhalten, der männliche geht unter. Kinder einer Adligen bleiben adlig, mag auch der Vater ein Sklave sein, die Kinder eines Adligen mit einer Sklavin bleiben Sklaven.
Die Kinder folgen der Mutterlinie, der Vater ist mit ihnen nicht verwandt, kann ihnen auch nichts vererben; was er erwirbt, fällt seiner uterinen Sippe, also den Schwesterkindern zu. Beweglicher wie unbeweglicher Besitz liegt in den Händen der Frau und wird von ihr in erster Linie auf die Töchter vererbt, die Söhne gehen leer aus oder erhalten eine Mitgift, werden auch zuweilen von Müttern oder Schwestern verheiratet. Wo etwa ein Häuptlingsrang zu vererben ist, geht er nie auf den Sohn, sondern wieder auf die Schwestersöhne über.
Der Unterschied zwischen ehelicher und unehelicher Geburt fällt dahin. Die Frau tritt als werbender Teil auf. Die von den Vaertings ergänzten Merkmale betreffen die verschiedensten Gebiete. Vor allem verfügt die Frau frei über ihren Körper, unterbricht also Schwangerschaften, wann sie will, oder verhindert sie. Weibliche Kinder scheinen bevorzugt weil sie das Geschlecht fortpflanzen, Knaben aber nicht; diese werden manchmal getötet, wie im vaterrechtlichen China umgekehrt die Mädchen. Körperlich ist die Frau geschmeidiger und stärker als der Mann durch die freie Betätigung außerhalb des Hauses, der Mann dagegen verfettet, wird zum »Hausmütterchen«, läßt die Kinder nicht einen Augenblick aus den Augen.
Von den Kamtschadalen sagt Meiners, sie seien so häuslich, dass sie nicht einen Tag fort sein mögen. »Werden sie aber dazu gezwungen, so bewegen sie ihre Frauen, mitzureisen, weil sie ohne diese nicht leben können.« Nach Westermarck wird beim Encounter-Bai-Stamm die väterliche Wartung des Neugebornen einfach für unerlässlich gehalten. Deshalb tötet die Mutter ein nach dem Tode des Mannes gebornes Kind lieber gleich. Ähnliches gilt bei den Creeks (Nordamerika). Im Frauenstaat hält die Frau Hausarbeit für unter ihrer Würde, wie im Männerstaat der Mann. Auf sexuellem Gebiet ist sie der werbende Teil in der Liebe, das wusste schon Bachofen; jetzt wird es dahin ergänzt, dass er auch Schamhaftigkeit und Zurückhaltung zu wahren habe; auch Gehorsam in der Ehe wird von ihm - in Ägypten sogar ausdrücklich im Heiratskontrakt verlangt. Treue desgleichen, sie aber bleibt frei. Ihr steht auch das alleinige Recht auf Scheidung und Verstoßung zu. Junggesellen werden im Frauenstaat ebenso verspottet wie im Männerstaat die alten Jungfern. Als der umworbene, passive Teil, der erotisch erregen muss, um gewählt zu werden, auch durch die größere Muße im Haus wird der Mann putzsüchtig, die berufstätige Frau, bei der es mehr auf den Verstand ankommt, bleibt einfach und ungeschmückt.
Von Libyen, einem mächtigen Mutterrechtszentrum, erzählt schon Strabo, dass sich die Männer sorgfältig ondulierten, »viel Goldschmuck trugen, eifrig waren im Abreiben der Zähne und Beschneiden der Nägel. Der Haarputz ist so künstlich, dass man sie selten beim Lustwandeln einander berühren sieht, damit des Haares Zierputz unverletzt bleibe«.
Bei den von Frauen beherrschten Khonds tragen die Männer nach Westermarck sehr langes Haar, das sie eifrig schmücken. Die Männer von Tana (Hebriden) tragen das ihre zwölf bis achtzehn Zoll lang und teilen es in sechs-bis siebenhundert kleine Locken oder Flechten. In Nordamerika reicht es den Männern bis auf die Füße.
Bei den Latuka trägt der Mann eine derartig künstliche Frisur, dass er zehn Jahre zu ihrer Vollendung braucht. Nach Tacitus färbten vornehmlich die germanischen Männer sich das Haar. Bei den Ägyptern hieß die Frau »die ihren Mann kleidet«. Er musste zwei Kleider haben, sie besaß nur eines und trug sich weit einfacher. Im Frauenstaat ist der Jüngling das Schönheitsideal und wird meist von der viel älteren Frau geheiratet, genau wie im Männerstaat das junge Mädchen vom reifen Mann, ohne dass dies anstößig erschiene.
Phalluskult wird im Frauenreich getrieben wie Venuskult im Männerreich. Was die Religion bei eingeschlechtlicher Vorherrschaft betrifft, so sind, der Vormachtsstellung entsprechend, die Hauptgottheiten stets vom eigenen Geschlecht, zu dem auch größeres Vertrauen besteht, nur die Sexualgottheiten vom anderen. Auf sozialem Gebiet ist Kommunismus für den Anfang der mutterrechtlichen Sippe bezeichnend. Nach dem Übergang zum Privateigentum ist die Frau im alleinigen Besitzrecht, wie im Männerstaat der Mann. »Das herrschende Geschlecht sichert sich jeweils die Freiheit und Vormacht, indem es das beherrschte Geschlecht ernährt«, ihm also die passive Rolle im Hause zuteilt, sich selbst aber die wichtigen und entscheidenden Geschäfte außerhalb des Hauses.
Zum Unterschied vom Männerstaat gilt im weiblichen die Todesfurcht für eine schätzenswerte Eigenschaft, weil Leben, von der Frau unter Mühsal geboren, ihr naturgemäß als das wertvollste Gut erscheinen muss. Auch auf sexuellem Gebiet ist die eingeschlechtliche weibliche Herrschaft nicht die völlige Umkehrung der männlichen. Die Tyrannei gegen das andre Geschlecht zeigt nie solche Auswüchse; so bleibt es bei Ansätzen zur Männerprostitution, schon weil ihr der Organismus des Mannes Grenzen setzt. Frauenprostitution fehlt. Polygamie gilt als typisch vaterrechtlich, Polyandrie, Vielmännerei deutet auf Mutterrecht (mit Ausnahmen).
Wiewohl diese Liste eindrucksvoll zusammengestellt ist, ließe sich etliches gegen sie einwenden. Bei einem Teil der Merkmale wirken rassische, zivilisatorische, zeitliche, rein dynastische Ursachen zu sehr mit, andere sind überhaupt nicht aufrecht zu erhalten, wie etwa die »Häuslichkeit«. Bei strengen Mutterreichen der Naturvölker ist sogar das Umgekehrte erstes Gebot. Der Mann darf gar nicht ins Haus, außer zum Sexualverkehr, sogar seine Mahlzeiten muss er vielfach auswärts einnehmen und lebt nur als schweifender Fleischbringer am Rand des wohlorganisierten Frauenclans, jenem Zentrum, von dem er seine Ordres bekommt, ohne es anders denn als Gast zu betreten.
Erinnert man sich an die Symbolbedeutung des Zimmers, »Frauenzimmers«, und wie das Haus überdies als Organprojektion auch von der Frau im Mutterclan ganz allein erbaut wird, so kann es nicht wundernehmen, wenn der Mann dort nur zu einem einzigen Zweck eingelassen wird. »Ehe auf Besuch« ist gerade in den großen Muttergesellschaften Regel, so bei nordamerikanischen und kanadischen Indianern, bei den Siox, Algonkin, also Ojibeways, Delawaren, Mohikanern, bei Irokesen, bei den Bororos in Zentralbrasilien, bei den Karaiben, auf Borneo, doch auch in Afrika bei den Hottentotten. Es ist nicht so, dass hier ein männliches Langhaus den Vorzug hätte; der Mann darf einfach nicht im Mutterclan dauernd sich aufhalten, dabei kann über die Tatsache der Frauenherrschaft kein Zweifel sein. Von den Hottentotten etwa heißt es: »Die Frauen haben von je eine Stellung eingenommen, die an Despotismus grenzt, der Mann hat kein Wort zu sagen, die Frau herrscht unumschränkt.« (F. Hahn, Tsui-Goam, ferner Jakobowsky, M. Poix)
Bei dem am tiefsten stehenden, aber mutterrechtlich extremsten Indianerstamm, den Seri, kann nur der Bruder die Hütte bewohnen, der Ehemann nicht, wiewohl er vor einem Matronenkollegium die strengste Aufnahmeprüfung bestehen muß ehe er sich der Frauensippe anschließen darf. Auch im tibetischen Frauenreich, einer hohen Stadtkultur, blieben Königinnen und weiblicher Ministerrat im Palast der Männer, als »Beauftragte«, mußten kommen, Weisungen entgegennehmen und wieder gehen.
Vaertings Hauptbeispiel Ägypten versagt zum Teil. Kilometer und Kilometer von Reliefs zeigen den Mann »außer Haus« beschäftigt, und die Armee war rein männlich; auch die Ärzteschaft. Was das aber in Ägypten bedeutet, weiß schon Herodot: »Bei ihnen ist alles voll von Ärzten; die einen sind als Ärzte für die Augen bestellt, andre für den Kopf, andre für die Zähne, andre für den Unterleib, andre für die unsichtbaren Krankheiten.« Und Diodor: »Auf Feldzügen sowie auf Reisen innerhalb der Landesgrenzen werden alle gratis ärztlich behandelt, denn die Ärzte beziehen ein Gehalt von Staats wegen.« dass Medizin, sonst eifersüchtig gehütetes weibliches Monopol, von Männern geübt wurde, wirkt übrigens bei sonst so klarer Frauenherrschatt, auffällig. Noch weniger stimmt es dort mit »vorwiegend männlicher Putzsucht«. Von Schmucklosigkeit oder größerer Schlichtheit der herrschenden Frau ist nirgends viel zu sehen. Fast die erste Kunde aus prädynastischer Zeit verknüpft den Namen einer Frau mit ihrer Haarwuchspomade; von der beispielIosen weiblichen Körperpflege melden die Frauengräber. Was sich da an Schminkstiften, Wimpernsalben, Lippenpomaden, Haarfärbemitteln, Manicureinstrumenten findet, übertrifft die Einrichtung jedes New Yorker Beauty parlours weit. Auch Aufschlitzen der Lidspalten zur Verlängerung des Auges war üblich, die Feinheit der Frauensandalen berühmt. Viel an hatte keines der Geschlechter, die Frau aber das ihre aufs feinste plissiert und drapiert.
Um den Schmuck zu beurteilen, genügt ein Rundgang durch das Kairomuseum. Satrapen, orientalische Herrscher, Moguln, Khane, indische Prinzen, der griechische und römische »arbiter elegantiarum« wiederum waren bei extremer Männerherrschaft genauso geschniegelt und überschmückt, stundenlang gesalbt und massiert, wie nur irgendwelche Männer bei Frauenherrschaft. Was Haarfärben betrifft, so ist das »blondine« Rezept Cesare Borgias noch erhalten, der gewiss kein »Männchen« im Frauenstaat war. Zum Haarfärben der Germanen, könnte man dieses Merkmal überhaupt gelten lassen, fehlt wieder die Gynaikokratie, denn Lamprecht hat ausschließlich Mutterrecht bei ihnen nachgewiesen, mehr nicht; jener entgegen stünde auch die starke Homosexualität, von der so viel die Rede ist: »Obgleich ihre Weiber ganz wohlgestaltet sind, so halten sie sich doch sehr wenig zu diesen, sondern werden wie durch unsinnige Raserei zur Umarmung des männlichen Geschlechtes getrieben, und weit davon entfernt, hierin eine Schande zu sehen, halten sie es vielmehr für entehrend, wenn einer die angetragene Gunst eines anderen nicht annimmt.« (Diodor)
Alles, was mit Haar und Haartracht zusammenhängt, hat eine Symbolbreite, die zu ignorieren sich immer rächt. Meist gilt seine Länge als Zeichen der Kraft (Simson Indianer). Bei den Germanen ist es zudem Standeszeichen, besonders im blonden Ton das begehrte Rassenmerkmal. Wenn germanische Männer sich also ihre langwallenden gepflegten Haare nachfärbten, so zum Unterschied von den »Unfreien«, die stets geschoren und meist dunkler waren (daher »G'scheerter« als Schimpfwort).
Hier hat also das »Färben« gerade umgekehrte Bedeutung: die männliche Freiheit. Was die Polygamie betrifft, so ist sie für Männerherrschaft ein mehr fragliches Symptom geworden, weil sie fast überall von den Frauen nicht nur geduldet, sondern begünstigt wird. Seiten ließen sich dafür mit Beispielen füllen. Eine Fulagattin, mächtig und sehr klug, eine von fünfen, wurde gefragt, ob sie nicht lieber die Einzige wäre, sie bekreuzigte sich auf heidnisch vor solcher Zumutung. So sei es doch viel amüsanter, bequemer und besser, sie könne den Mann doch nicht allein unterhalten, die Konversation der vier andern sei eine Erlösung (nach Briffault zitiert). »Je mehr Frauen, desto besser«, ist der Wahlspruch der afrikanischen Dame.
Miß Kingsley berichtet, sie wüßte von einer ganzen Anzahl Männern, die viel lieber nur eine Frau gehabt und ihr Geld in zivilisierter Weise ausgegeben hätten, aber die Weiber erlaubten es nicht, hassten auch die Missionare, weil sie Monogamie verlangten, und würden sich eines erotiscch einfältigen Mannes schämen. Frauen scheinen von Natur für erotische Freiheit begabt. Auch in der Mutterrechtsgesellschaft herrscht daher große sexuelle Toleranz, bei Beschränkungen durch Heiratsklassensysteme aber treffen diese beide Teile gleich. Die männlichen Harems afrikanischer Prinzessinnen hinwiederum mit Todesstrafe für Untreue sind mehr dynastisches Symptom; der Ungehorsam eines Sklaven gegen die Majestät wird bestraft, genau wie der einer Sklavin.
Polyandrie wieder kann die verschiedensten Ursachen und Formen haben. In Tibet, wo die Braut alle ihre Schwäger mitheiratet, scheint das ein Rest der alten Gruppenehe und wird allerdings von den Frauen eifrig aufrechterhalten. Aus der gleichen Gruppenehe leitet sich umgekehrt der Brauch bei mutterrechtlichen Indianern ab, dass ein Mann erst die älteste Schwester, dann nacheinander, wie sie mannbar werden, die jüngeren Schwestern aufheiratet. Was endlich die Prostitution betrifft, so gilt sie außerhalb Europas nirgends als Schmach.
Es wäre fast die Antithese zu wagen: »heilige Prostitution - unheilige Ehe«. Also gab es, und gerade in den hochkultivierten Frauenreichen, in Ägypten, Lydien, dem präarischen Indien, und bei Gleichberechtigung, wie in Sumer, heilige Tempelprostitution, der sich keine königliche Prinzessin und keine noch so hochgestellte Dame an bestimmten Festen entziehen durfte. Sie hatte sich jedem Fremden, der sie begehrte, wahllos hinzugeben, denn in dem »Fremden« konnte sich der Gott inkarnieren.
Es geht eben nicht an, Geist, Seelen und Instinktströme so reicher Herkunft als Formträger auszuschalten und die Divergenz ihrer Stilgebilde aus »Herrschen« und »Beherrschtsein« ableiten zu wollen.
So bleibt von den neuen mutterrechtlichen Merkmalen, als sowohl wichtig wie gesichert, die freie Schwangerschaftsunterbrechung: Kultur des Gebärens und Nicht-Gebärens, schließlich die Heirat der älteren Frau mit dem jungen Mann, wie umgekehrt bei Vaterrecht die Verbindung des älteren Mannes mit der jungen Frau. Bei Frauenherrschaft herrschen also die schönen Jünglinge und bei Männerherrschaft die schönen Mädchen, im Frauenstaat die Männer und im Männerstaat die Frauen.
Nur ein Apercu: eine Wahrheit, winzig wie ein Pfefferkörnchen, rächt sich durch Penetranz für ihre Winzigkeit. Sehr richtig haben die Vaertings »Galanterie« als etwas typisch Männerrechtliches gesehen. Das berühmte »dixhuitième«, das französische Frauenjahrhundert, war das Gegenteil von Gynaikokratie, die Frau stieg nur von Mannes Gnaden auf, in dem Maße, wie sie ihm gefiel, und fiel, verlor sie seine Gunst. Eine »galante« Frau wäre danach auch Semiramis gewesen und streng genommen nicht unter die großen Beispiele von Frauenherrschaft zu zählen, wiewohl ihre Größe echt genug war, um sogar »sagenhaft« zu werden. Reichsgründerin, Städtebauerin, Gesetzgeberin, Ingenieurin, Gartenarchitektin allerbesten Stils, wurde sie das alles doch nur vermittels zweier Ehen, der ersten mit einem Offizier, der zweiten mit König Ninus. Den lernte sie in Begleitung ihres Mannes auf einem Feldzug kennen, bei der vergeblichen Belagerung eben jener Stadt, die eine ihrer kriegstechnischen Erfindungen ihm dann gewann. Auf diesem Zug erfand sie auch eine ebenso schöne wie praktische Tracht - die später »persisch« genannte. Als Königswitwe aber hätte sie bei der Großjährigkeit ihres Sohnes alle Unternehmungen im Stich lassen und abdanken müssen, vermied das aber durch eine List. Sie trug von nun an seine Kleider, nur mit eingesetzten Lederärmeln, damit ihre Mädchenarme sie nicht verrieten, ließ sich krönen und regierte als junger König selber weiter (Pompeius Trogus). Dass diese Frau aussehen konnte wie ihr achtzehnjähriger jüngster Sohn, sollte das ungute Gefühl gegen »Heroinen«, stammend aus der Generation älterer Wagnersängerinnen, zu mildern geeignet sein.
Die Vaertingsche »Pendeltheorie« über die Männer- und Frauenherrschaft soll ihre Stelle unter den andern Hypothesen zu diesem Problem noch später finden. Erst zeige das Mutterrecht selbst sein wechselndes Gesicht.