Mittel -und Südamerika

Die Männer sind kühn, grausam
und ihren Frauen untertan.
A. DE HERRERA

Auf dem Hochplateau von Peru, wo juwelene Sonnenuntergänge armdicke Barren aus Licht quer über den Weg werfen, so kompakt anzusehen, daß der Hindurchschreitende ihren Anprall zu spüren glaubt, stand ein Frauenkloster, ganz aus purem Gold, mit goIdnen Möbeln, goldnem Herd, goldnen Töpfen, Pfannen, Krügen, jeder Gegenstand aus Gold. Goldne Türen gingen auf in einen goldnen Garten mit goldnen Wegen und goldnen Bäumen, in denen goldne Vögel golden nisteten. Goldner Mais stand hoch mit goldnen Blättern und Kolben, und goldne Hirten mit goldnen Krummstäben hüteten goldne Herden auf goldner Trift.
Mit dieser Goldwelt hatten gewalttätige Sonnensöhne: die Inkas, ihre vestalischen Feuerbräute umbaut. Dort hüteten diese Tag und Nacht jene Flamme, die einmal jährlich bei der Sommersonnenwende direkt aus dem Gottesstrahl mit dem Brennspiegel neu entzündet wurde, dort woben sie die weißen Wollgewänder der Prinzen und Priester, bereiteten Wein und Brot für die Zempelriten, formten und brannten als allereigenste Geheimkunst die Tempelgefäße für den magischen Dienst. Sie hießen riama-cuna, peruanische »Mütter«, waren aber, trotz Sonnenflamme und Feuerbrautschaft, auch goldumbaut noch Mondfrauen geblieben, wie seit unvordenklichen Zeiten, und einmal im Jahr trugen sie das Bild der eignen Gottheit, der mama-quilla, auf den Schultern in den Sonnentempel, mitten hinein. Das Heiligtum der Göttin in Cuzco, der Hauptstadt, hatten die ersten lnka als zu gefährlich, sofort zerstört. Die übrigen Lokaldienste beließen sie zwar, stifteten aber ihrem Vater, der Sonne, einen neuen Kult mit männlichem Klerus und befahlen ihn fürs ganze Reich. Die ziemlich unabhängigen Stämme kehrten sich gar nicht oder nur pro forma an dieses Dekret, hielten weiter zu ihren Landesgöttern, Mond und »Mutter des Maises« an der Spitze, deren Dienst mit heiligen Tänzen, Riten und Agrikulturmagie die einheimischen Priesterinnen auch weiterhin versahen. Wie? Im Sonnenland Peru, unter dauernder Höhenbestrahlung, im souveränen Licht, wo die Leute sich die Schienbeine an Sonnenuntergängen stoßen, muß erst durch späte Monarchie auf das Tagesgestirn hingewiesen und sein Kult als zwangsweise Neuerung eingeführt werden? Es wäre doch zu vermeinen, hier stünde die Sonne, nichts als die wache Sonne, von jeher obenan. Doch bewahre, Fruchtbarkeit und Leben spendet Peruanern, Chilenen wie Mexikanern ausschließlich der Mond. Der columbische Schöpfungsmythos ist sogar rein parthenogenetisch. Die »große Göttin« Bachue entsteigt den Wassern mit einem männlichen Kind, ihrem Sohn. Nachdem er zu ihrem Geliebten herangewachsen, erzeugen sie beide das Menschengeschlecht, worauf Bachue, jetzt in Gestalt einer Schlange, also selbst zum Mann gehäutet, in das abkunftlose Fruchtwasser des Nicht-mehr-Seins zurückkehrt.
Sonnentempel und Kult von Cuzco blieben eine höfische und dynastische Angelegenheit.Abgeschieden vom Land, haben die Inkas mit Knaben- und Mädchenopfern in unerhörten Stilen ihr starkes und doch unwirkIiches Dasein auf einem Sonderhochplateau sich selber vorzelebriert. Immer erweist sich eben die Gradation der großen Weltkörper als Entsprechung einer Seelenlage. »Sonne« als »Anblick« bleibt ohne Belang, bis sie nicht von anders her noch bestimmend in die Merkwelt fällt. Gewiss spüren die Peruaner, genau wie ihre späten Herren, die Inkas, den Tagesglanz auf ihrer Haut, doch bedeutete er ihnen nichts, dazu schwang der Rhythmus des weiblichen Mondes zu stark durch ihre Vorstellungen hin, das zeigt schon der Topfkult, mit eigenem Topfgott in Mexiko und Peru. Wo Töpferkunst: das Formen der Weiblichkeit, noch einmal und über sich hinaus, dem Zelebrieren eines Geschlechtsmysteriums gleichkommt, verhangen mit Ehrfurcht und Geheimnis, ist die Frau dominant, der Mann dort, wo er sie als profanes Handwerk auf offenem Markte selbst betreibt. Bei den Indianerstämmen, verstreut in den wundervollen Tiefen der tropischen Wälder am Fuß der Bolivischen Anden: den Yurakaren bleibt heute noch jede Frau mit vestalischen Ehren umgeben, während sie Gefäße formt.
»Töpferei« ist keine alltägliche Sache bei diesen abergläubischen Menschen und wird mit seltsamen Vorsichtsmaßregeln umhütet. Den Frauen allein ist sie anvertraut. Feierlich entfernen sie sich, die Tonerde zu suchen, droht Gewitter, ziehen sie sich in die verborgensten Waldtiefen zurück, um niemandem zu begegnen.
Dort bauen sie eine eigne Hütte. Während der Arbeit üben sie bestimmte Zeremonien und öffnen niemals den Mund, verständigen sich durch Zeichen miteinander, fest überzeugt, dass ein einziges gesprochenes Wort die ganze Keramik im Feuer zersprengen würde; auch kommen sie ihren Männern nicht in die Nähe, sonst müssten alle Kranken sterben.« In jeden Gegenstand, den Frauen herstellen, geht nach Ansicht des Volkes eben noch ihre geheime Naturverbundenheit mit allen Schöpferkräften über. Daher auch die Scheu, etwas von weiblichem Eigentum anzurühren. Heute noch wagt in Neu-Mexiko kein Mann auch nur den Verkauf eines Eies oder eines Huhnes, ohne, in Abwesenheit der Frau, wenigstens seine kleinen, manchmal noch kindlichen Töchter vorher um Erlaubnis gefragt zu haben. (Bandelier)
Von den Eingeborenen Nikaraguas sagt Herrera, dass die Weiber allein allen Handel auf dem Markt treiben, während die Männer nur das Haus fegen dürfen: »Sie sind so unter der Herrschaft der Frauen, dass wenn sie deren Zorn erregen, ihnen einfach die Türe gewiesen wird. Die verprügelten Männer gehen dann zu den Nachbarn und bitten diese, ein gutes Wort für sie einzulegen und ihre Wiederaufnahme zu vermitteln. Die Frauen benützen ihre Männer als Aufwartung und behandeln sie wie Domestiken.« Im westlichen Peru sind die Frauen die einzigen, die ihre wilden, händelsüchtigen Männer bändigen können: »Die Frauen sind überaus mächtig. Sie versöhnen die kämpfenden Parteien und ordnen Frieden an, denn diese höchst barbarischen Menschen gewähren alles denen, die sie gesäugt haben.« (N. del Techo) Unter den Guaranistämmen von Paraguay »ist es den Männern die größte Genugtuung, ihre alten Frauen glückIich zu sehen, sie folgen ihnen auch und tun alles, was sie ihnen sagen«.
Dafür revanchieren sich die herrschenden Damen durch ein »noblesse oblige« in der Erotik. Eine von höchstem Rang soll gesagt haben, dass wohl ordinäre Weiber ohne Erziehung sich unhöflich benehmen könnten, keine wohlgeborene Frau mit natürlichem Feinempfinden aber dürfe so manierlos sein, ihre Gunst einem Bewunderer zu versagen. (Briffault)
Die Belanglosigkeit des Lichts gerade im Lichtland Peru kann nicht als Einwand gelten gegen jene »Erdseele«, das »Paideuma«, die »Landschaft«, oder wie sonst man das geheimnisvolle Beziehungssystem zwischen Umwelt und Innenwelt benennen will, denn dieses formt sich viel feiner umwegig aus, liegt wohl so einfach nicht zu Tag, dass einer bestimmten Zahl Sonnenstunden im Jahr nun allemal ein rational überwaches, genau berechenbares Kulturwesen durch alle Zeit entsprechen müsste. Solch ein primitiver Schluss liegt viel zu nahe, um wahr zu sein. Die Inkas waren heraufgekommene Häuptlinge, und nach der mythischen Tradition hängt die Gründung der Dynastie in ihren vier ersten Vertretern mit vier Frauen des Landes zusammen. Oft und oft in der Geschichte ist es die erste Sorge der Usurpatoren gewesen, Legitimität zu suchen durch Verbindung mit jenem weiblichen Blut des Landes, das die Erbfolge bestimmt.
Nach Briffault wären diese vier Frauen wohl die führenden Priesterinnen gewesen, jedenfalls diente der eingeborene weibliche Klerus als Vorbild für die »heiligen Frauen« der Inkas, nun umgezüchtet auf Sonnenkult. Später traten die Königstöchter und Schwestern, insofern sie nicht zum dynastischen Inzest verwendet wurden, in den vestalischen Dienst. Dass seine Mitglieder zur Herrscherfamilie gehörten, ergibt sich aus ihrer Todesart bei Untreue. Sie wurden lebendig begraben gleich den Vestalinnen Roms, deren königliches Blut auch nicht vergossen werden durfte.
Die mexikanische Dynastie hatte ihrem sehr blutigen Sonnenkult ebenfalls Vestalinnen eingegliedert, doch in weniger strenger Form. Diese konnten Weihen fürs Leben nehmen oder auf Zeit, um dann zu heiraten, wie die übrigen Landespriesterinnen auch. Sie hatten die beiden ewigen Feuer auf der großen Stufenpyramide zu hüten, den Idolen Weihrauch zu entzünden, die Gewänder der Priester zu weben, gingen selbst in weiße Wolle gekleidet, ohne jeden Schmuck.
Lange schon zerfallen die Mayastädte in den Wäldern von Yukatan, und der Sonnenkult der Inkas ist tot wie ihre Mumien in den Gewölben, doch immer noch huschen die peruanischen Männer und Mädchen, frische Kokablätter zwischen den Zähnen, in der »neuen Luft vom jungen Mond« umher und beten: »mama-quilla, stirb nicht«, »wachse, mama-quilla«, denn vom Mond hängt ihr Leben von Monat zu Monat ab.
Südamerika ist das gelobte Land der Medien, kein Kontinent, nicht einmal Afrika ausgenommen, bleibt daher so durchsetzt mit geheimen Gesellschaften, gegründet auf Spiritismus, Telepathie, Weissagung, Trance, deren Träger naturgemäß Priesterinnen sind.
Was da durch ganz Zentralamerika bis tief in den Süden hinunter getrieben wird, ist hauptsächlich »Nugualismus«, von »nugua« die Buschseele, inkarniert in einem Tier. Die Hochgrade des Ordens lehren, die menschliche Seele vom Körper zu lösen, »auszutreten«, um nach Belieben in dem Tier zu wohnen, frei schweifend an zwei Orten zugleich, unverwundbar, hellsichtig, hellhörig, belehnt mit der ganzen Geheimkraft des Dschungels. In diese Kunst der Entkörperung oder Doppelverkörperung soll zuerst eine Frau, eine mächtige Bezauberin, die indianischen Stämme eingeweiht haben, andre ihrer Art gründeten unter den Azteken eigene Städte als Hochburgen der Magie, wie Malinalko, oder herrschten als feenartige Königinnen, gleich jener Coamizagul in Honduras, die »lebend gen Himmel fuhr«, und kaum einen indianischen Nationalhelden gibt es, der sich der Sage nach nicht von Prophetinnen hätte leiten lassen.
Dr. Brinton, der größte Kenner des Nugualismus, betont stets von neuem, wie die Frauen in der herrschenden Priesterkaste nicht nur höchste esoterische Grade einnehmen, sondern nicht selten ganz an der Spitze stehen und das mysteriöse Band dieser Organisationen durch alle Fährnisse hindurch unzerreißbar von Generation zu Generation erhalten. Diese weiblichen Adepten wurden die Seele der Revolten gegen die Spanier und von diesen voll Furcht und Wut verfolgt. Fast ein Jahrhundert nach der gewaltsamen Bekehrung des Landes zum Christentum brachte ein zwanzigjähriges Mädchen, Maria Candelaria, die Prophetin und Jeanne d'Arc Zentralamerikas, den allgemeinen Aufruhr zustande für die alten Götter und zur Vertreibung der Fremden.
Gegen diese führte sie ein organisiertes Heer und bedrohte eine Zeit lang ernstlich die spanische Macht, der sie auch nach Unterdrückung der Revolution nie in die Hände fiel. Die Spanier fingen nur ihre zwei jungen Adjutantinnen und lohnten deren leutnanthafte Treue und Verschwiegenheit natürlich mit bestialischer Hinrichtung. Junge Indianermädchen sind aber schon durch die Beschneidung - die kleinen Schamlippen samt Klitoris werden radikal abgetrennt - und sonstige Tapferkeitsproben einiges mit Haltung zu tragen gewöhnt. Die Foltertricks der Inquisition brachten sie nicht aus der Fassung. Das Visionäre, der Triebreichtum im Medialen, gab den Indianerinnen Südamerikas die Übermacht, früher sogar am elendesten Ende des Kontinents, wo man es am wenigsten hätte vermuten sollen: bei den Feuerländern. Der Tradition nach sollen ihre Frauen eine derartige Priestertyrannei ausgeübt haben, dass eine Art männliche Gegenrevolution erfolgte mit Weibermassaker und Einführung einer männlichen Herrschaft. Ob diese tatsächlich besteht, darüber gehen die Meinungen sehr auseinander. Das Volk, von Feinden immer mehr abgetrieben bis »an den Rand der Welt«, lebt jetzt in den elendesten Verhältnissen, polygam wie polyandrisch, doch geht die Werbung von den Frauen aus, die größer, ebenmäßiger und intelligenter als die Männer sind, auch früher die Jagd ausübten, wie jetzt allein den Fischfang als einzige Nahrungsquelle der Rasse. Splitternackt, mit dem Wuchs von Siegerinnen lenken die Weiber in den eiskalten Nächten die Kanus, ihr ausschließliches Eigentum, ins Meer hinaus und fischen auf primitivste Art, aber so erfolgreich, dass die Missionare und fremden Matrosen mit ihren weit besseren Methoden den kürzeren ziehen. Die Leinen sind aus Pflanzenfasern geflochten, die Köder ohne Haken befestigt; während der Fisch anbeißt wird er mit den bloßen Händen gefangen. Ein Überfluss an Beute wird dann im Missionshaus eingetauscht »gegen Theologie und Bisktuits«. Nur die Frauen können, und zwar berühmt gut, schwimen, die Männer nicht. Diese boxen und ringen dafür in öffentlichen Spielen, angefeuert von der Weiblichket, die nichts so sehr bewundert wie Brutalität. Ob die Feuerländer nur äußerst herabgekommene Indianer oder doch Ureinwohner sind, scheint nicht völlig festzustehen. Das Gros der eigentlichen Indianer soll aus Nordamerika über die Landbrücke von Panama eingewandert sein, wiewohl die Sprachen mit denen des andern Kontinents keinerlei Verwandtschaft zeigen. Welche Rassen jedoch Träger jener zehntausendjährigen Kulturen waren, deren Reste in den kykIopischen Ruinen Boliviens erhalten sind, weiß niemand mehr.
Das Riesendreieck tropischen Tieflands zwischen Anden, Orinoko und den Nebenflüssen des Amazonas, reich an Baumwolle, Tabak, Zuckerrohr, wird von lauter mutterrechtlichen Stämmen bewohnt, den Tupi, Karaiben, Aruak. Bei den Tupi ist die Ehe nicht nur matrilokal, sondern zugleich Dienstehe. Mehrere Bewerber müssen im Haus der Frau oder ihrer Eltern zwei bis drei Jahre gratis arbeiten; wer am meisten geleistet hat, wird als Gatte angenommen. Ahne der Tupi ist der Mond. Für ihre alten Wunderärztinnen waren sie von je berühmt. Aruak wie Karaiben haben Mutterfolge, die Karaiben überdies den Schwiegermutter»tabu«, der durch die Heirat mit der Tabuierten umgangen wird. Zu den männlichen Pubertätsriten gehört das Eingenähtwerden in einen Sack voll eigens ausgehungerter Raubameisen. Wer die Probe lautlos übersteht, darf sofort heiraten, falls er noch Lust dazu hat. Auch die weiblichen Tapferkeitsproben sind von raffinierter Härte. Alle diese Stämme gehen jedoch bereits zum Vaterrecht über. Das wird an zwei Erscheinungen klar, die schon Bachofen als typisch entdeckt hat: dem Männerkindbett und der Vormachtstellung des Mutterbruders in der Sippe an Stelle der Mutter selbst.
Nicht so sehr unter bürgerlichem als unter ritterlichem Matriarchat standen noch zur Zeit Pater Dobrizhofers die Abiponen am Gran Chaco, zwischen Anden uncl Paraguay. Ein alter Weiberbund übte großen Einfluß mit einem Urweib als Hüterin der Quellen.
Von anderen Stämmen am Gran Chaco wird jetzt noch Polyandrie gemeldet, auch wählt die Frau den Mann, doch spricht die Sitte des Männerkindbetts für ein Übergangsstadium zwischen den beiden Rechten. Mit Hilfe der verwilderten europäischen Pferde sind die Gran-Chaco-Ieute gegenwärtig reine Reitervölker geworden, haben Ständeordnung und Ansätze von Rittertum und Erbadel. Bei einem ihrer Stämme, den Tschamakoko, müssen die Jünglinge vor der Heirat erst zu erfahrenen Witwen in die Eheschule gehen. Das alles waren bisher Spielarten des alten Matriarchats und seiner Übergänge zum Vaterrecht, es gibt aber noch eine andre Ablösung, einen andern Polwechsel der Macht: den vom Alter zur Jugend, dann kann sich das Doppelsternsystem der Bruder-Schwester-Herrschaft bilden, ohne Matronen- oder Geronten-Bevormundung, mit der Arbeitsteilung in priesterliches und kriegerisches Amt. Im Nachlass eines deutschen Forschers und Ingenieurs fand sich diese Schilderung des rituellen Inzesttanzes zwischen dem Häuptling-Bruder und der Priesterin-Schwester, wie er ihn vor wenigen Jahren bei einem der Indianerstämme an den Grenzen zwischen Brasilien und Venezuela im Quellgebiet des Rio Taquado mitangesehen hat:
»In der sechseckigen Tempelhütte tanzen das geschwisterliche Herrscherpaar: der Häuptling Laluac und seine Schwester, die Priesterin Zaona, den heiligen Inzesttanz vor ihrem Herrn, dem Saugott >Mocki<, dem Blutgötzen, dem Tanz-in-die-Luft-Dämon, zweischädlig, auf jeder Stirn ein Tausendauge, eine Riesenbrombeere. Das göttliche Unterteil besteht aus einem mannshohen dicken Schaft, einem borkenlosen Baumstamm, der wie ein unendlicher Kragen das halslos schwebende Haupt trug. Aus dem Schaft wuchsen sechs Paar klauenartige Knäufe, wie zwei Reihen Ziegeneuter angeordnet.
Mächtige Jäger saßen im Halbkreis, die Tür im Rücken. Des Häuptlings beste Leute. Ihre Muskeln schwollen im Rausch, lebten im Zucken des Feuerscheins, wie ein erstarrtes Getümmel von vielerlei Rund. Das Fleisch nahegerückter Gestalten wölbte und verschlang sich in merkwürdigen Knoten und Schnecken, wie eine seltsam quellende, mystische Masse. In faustgroßen Bildungen und INüchsen saßen erschreckende Kräfte gespeichert. Diese Gliederzucht krampfte die Brüste der wilden Männer zusammen, und sie stießen rhythmisch wehevolle, brennende Schreie aus oder summten aus gepressten Zähnen gleich einem Schwarm toller Mücken, die gestimmten Klöppel der Holzmusik prasselten melodisch gegeneinander. Unentzifferbar, nur in ihren Wirkungen demütig zu fassen, zog des Götzen blutsauoerische Miene die Versammlung empor. Aus seinen grünen Augen zuckte der Blick. Er, das Scheusal, konnte elfisch schwebende Schönheit erwecken.
Und Zaona begann zu tanzen. Der Gott trug sie. Sie balancierte auf einem Bein, ihr Rumpf, nach rückwärts geworfen, bildete einen raff inierten dünnen Bogen, eine kitzelnde Kurve, die verrucht wirkte; ihr achsellanges, straffes Haar fegte den Boden. Dann duckt sie sich, springt wie ein Panther, trägt ein Scheit vom Holzstoß fort und schwingt es rasend mit den Zähnen, einen feurigen Kreis um sich ziehend, wobei ihre ma"ere Figur bis in jedes Schlüpfchen erleuchtet steht. Ihr wildes, kleines Gesicht glüht verkniffen vor Gier und Ekstase, wie durchhitzte Bronze. Der Chor der harten Männer im Schatten, die in den gegrätschten Knien hängen, antwortet ihren dumpfen Gaumenschreien mit einer Art tierischem Wohllaut, einem sehr physischen Sehnsuchtsmotiv von zittern und hoffen machender bestialischer Melancholie. Zaona sieht aus wie ein feuriger Krieger und ist doch ganz Sanftmut, ganz Weib. Die Priesterin, die Tänzerin, die Kurtisane im Urzustand. Da fliegt das schmale, splitternackte Ding, eine Schlinge, aus Nerven, Muskeln, Wirbeln und zahmen Knochen geflochten, gleichsam durch den Raum, sauste wie ein Peitschenhieb von Eck zu Eck, lag wie ein Faden am Boden vor Mocki, dem wulstigen Götzen. Und Gott stand still und war mächtig. Seine Ruhe gebar Rhythmus, sie war der Grundton, von dem sich Bewegung abhob. Sie hatte den Blutdurst ihrer Seele getanzt, den Pumatanz, den Mückentanz, den Grillentanz. Und nun geschah an diesem unvergesslichen Abend etwas Entscheidendes: Zaona tanzte zum viertenmal.
Als sie vom Boden wieder in die Höhe kam, stand Luluac da, ihr prinzlicher Bruder. Sie ging ihm bis zu den Hüften. Er war hoch, und sein Oberkörper war wie ein Keil in Hüften und Gesäß gepflanzt . . . Auf seinem kleinen, buchtigen Schädel saß die Krone aller indianischen Federkronen. Die wildesten und buntesten Flügel des Dschungels hatten zu der wilden Gravidität dieses Häuptlings beigesteuert. Die geringste Neigung erhielt in dieser Weise eine gespenstische Bedeutung an dem Kopf des jungen Häuptlings.
Dieses Prachtstück von einem Federbusch machte den langen Luluac übermenschlich, als er mit seiner Schwester Zaona zum Tanz antrat. Die groteske Überlegenheit des Mannes war ein Genug für alle, die es ansahen. Zaona schien bis in die letzten Fasern berührt. Gefällig bog sie sich unter ihm. Während sie tanzten, traten an ihren Körpern die Merkmale wilder geschlechtlicher Erregung zutage. Sie betrachteten einander aus den Augenschlitzen mit bestialischer Verliebtheit.
Der Instinkt der Inzucht, der bei primitiven oder bei überfeinerten Rassen, die noch gesund sind, auftritt, machte sich in ihren Sympathien geltend. Obwohl Zaona klein war, zeigte ihr Körper doch auffallende Gemeinsamkeiten mit dem ihres Bruders. Sie waren beide lang, ihre Gesichter waren nahezu gleich im Ausdruck. Sie waren in die eigne Art verliebt, und wie sie da tanzten, gaben sie der Wollust über die Absolutheit und Rassigkeit ihres Wesens Ausdruck. War die zweiknospige Narzisslaune, das Prinzip der Eigenvermehrung, nicht eine Verbesserungs- und Erhaltungstendenz der Schönheit? Ähnlichkeit wirkt bei differenzierten Säugetieren abstoßend auf die Phantasie. Aber darüber hinaus wirkt sie bei ausgebauten Rassen mit Gleichgewicht und gereiftem Geschmack anziehend. Innerhalb edler Rassen genügt der verschärfte Geschlechtsunterschied, der in harte und zarte Typen scheidet, der Sehnsucht nach Variation.
Zaona tanzte tief und hingegeben. Es verlangte sie nach dem gefiederten Pfeile Luluac. Luluac bewegte sich in männlichen, kühlen Kurven mit sichtbarer technischer Meisterschaft. Er blieb hart, rhythmisch, formell, nur seine Augen gaben sich feurig. Man verstand, er begehrte Zaona, aber er verhielt sich vor ihren Lockungen reserviert; man konnte nicht wissen, wie gefärlich das kleine Frauenzimmer war, ob es erlaubt war, sie zu berühren: eine Priesterin, eine Prinzessin; dem Sterblichen, der sie nahm, konnte Unheil drohen.
Zaonas Knöchel waren gefesselt, die Bracelets hatten sich ineinander verhakt. Sie sprang in kurzen, federnden Schritten, die wie Bälle waren, sie umkreiste Luluac, sank in die Knie und verschränkte die Arme hinter dem Nacken. Luluac ließ sie nahe herankommen. Schon ergreift er sie in einer Pose, die seine Nacktheit drastisch preisgibt als er sich wieder zurückzieht. Er verwahrt sich gegen die Wirklichkeit eines solchen überirdisch begehrlichen Wesens. Sie ist ein Trug der Sinne, der Untergang bedeutet. Vielleicht ist sie eine Pantherfrau und zerreißt den Geliebten der sich betören läßt. O über ihre Zahmheit! Er schwingt die Arme, zückt den Speer und Schild, denn es gilt, sich einen Puma sich vom Leibe zu halten. Er fällt plötzlich in den bekannten Kriegstanz, hebt die Beine mit waagrehten Schenkeln  und spieIt ein Rennen am Ort.
Zaona umschmeichelt ihn mit vollendeten Linien. Ihre gefesselten Knöchel folgen mit unterwürfigen kleinen Schritten. Traurig ist es, wie die Knorpel der gespannten Kniekehlen sich berühren. Da kann auch Luluac nicht länger widerstehen. Eine suggestiv getanzte Umarmung bedeutet Besitznahme. Er hat sie nicht berührt, die Gebärde bleibt ästhetisch. Alle verstehen die Anspielung, die in den gerungenen Armen liegt. Luluac nimmt das Werben der Pantherin an. Die geschlechtliche Spannung der beiden Körper ist gestiegen, beide sind selig, beide sind nahe daran, sich zu vergehen. Zaona roßt wie eine junge Stute. Eine weiche Musik schwellt die Muskeln und Nerven und weckt die Spitze und Unschuld der männlichen Empfindung. Der kreisrunde Verfolgungswahn dieser Natur erzeugt gelinden Schwindel, die Schläfen hämmern, und die Augen laufen mit dem Gehirn zu einer einzigen sehnsüchtigen Masse zusammen. Luluac schreit rasend auf, und die Männer fallen triumphierend und befriedigt ein. Der wilde, schöne Kriegerprinz hat nun Zaona, die Priesterschwester, in seine Hütte geführt, die zugleich der Tempel ihrer Gottheit ist.«

DIE COUVADE

Von couver = brüten, zu deutsch »Männerkindbett«, ist bei südamerikanischen Indianern als Übergangssymptom zum Vaterrecht mehrfach erwähnt worden. Ganz roh und beiläufig gesprochen, spielt sich dabei ungefähr folgendes ab: Wenn die Frau entbindet, legt sich der Mann schluchzend zu Bett, windet sich in scheinbaren Wehen, stöhnt, erhält warme Wickel um den Leib, wird gepflegt, muss tage-, wochen-, manchmal monatelang aufs strengste fasten, gilt bis nach dem ersten Bad für unrein, ganz als wäre er selbst die Wöchnerin.
Dieser Brauch, der je nach Rasse, Zeit, Zone reich ist an charmanten und erstaunlichen Abarten, war schon den Reiseschriftstellern und Historikern der Antike bekannt.
Herodot bezeugt ihn für afrikanische Stämme, Nymphodor für Skythen am Schwarzen Meer, Diodor für Korsika. Strabo für die Keltiberer Spaniens; ihre direkten Nachkommen, die Basken in den Pyrenäen, üben ihn noch heute, und auf der Insel Zypern gab es sogar eine heilige Couvade, die keiner einzelnen Geburt galt, denn alljährlich beim Aphroditefest musste sich ein schöner Jüngling im offenen Zelt hinlegen und Stimme wie Bewegungen einer kreißenden Frau nachahmen. Aus China berichtet Marco Polo als erster vom »Männerkindbett« unter dem Berg Stamm der Miautse, und moderne englische Forscher bestätigen seine Angaben.
Bei dem freundlichen Eifer, mit dem man jetzt alle exotischen Rassen schnell noch photographisch, phonographisch, photometrisch exploitiert, registriert, studiert, ehe sie - ruiniert durch unbekömmliche Zivilisation - endgültig, verschwinden, hat es sich so nach und nach herausgestellt, daß nicht so sehr viel weniger Männer in Wehen liegen als Frauen; daß die Couvade von Sibirien bis Südamerika, auf dem Malaischen Archipel, in Afrika, China, Brasilien, Indien, bei hohen wie niederen Rassen in unzähligen Varianten wenigstens andeutungsweise besteht oder kürzlich noch bestand.
So scheinbar klar der Sachverhalt, so dunkel sein Sinn. So viele Gelehrte, so viele Meinungen. Weil Bräuche älter als Logik sind, als uraltes Erbgut noch in unsre Schicht hereinragen, hat eine Frage nach »Gründen« bei jenen, die sie üben, wenig Zweck; echte Bräuche leben und verblassen innerhalb der reinen Zone des natürlichen Gefühls, ohne Verstandliches zu streifen. Abgesehen von ihrem Unvermögen, geben Naturvölker ungern Auskunft über ihr Tun, spüren sofort die Suggestion, das, was gehört werden will, und antworten den unbewussten Wünschen des Fragers gemäß. Ist denn etwa auch heute in Deutschland oder der Schweiz vom Volk zu erfahren, warum in Thüringen ein Manneshemd vor das Fenster der Wohnenstube gehängt wird oder warum im Aargau die Frau beim ersten Ausgang nach der Entbindung die Hose des Mannes anzieht, während sie im Lechtal seinen Hut aufsetzt? An Ort und Stelle weiß niemand mehr, was das soll, der Völkerkundige, mit seinem Vergleichsmaterial aus fünf Erdteilen erkennt wenigstens sofort, es handle sich hier um Reste echter Couvade, mit ihrem so charakteristischen Rollenaustausch der Geschlechter, wie immer er ihren Ursprung auch deuten möge, je nachdem er den Akzent auf die eine oder andre der verwickelten Begleitzeremonien legt, denn das Urwunder Leben zieht weite Zauberkreise, Ring um Ring.
So sind eine diätetische und eine pseudomütterliche, eine vorgeburtliche, geburtliche und nachgeburtliche Couvade zu unterscheiden. Der vorgeburtlichen wegen ist bereits »Vater werden«, nicht nur »Vater sein«, für den magischen Menschen schwer.
Fühlt sich die Gattin eines Brahmanen schwanger, so kaut der Gatte keinen Betel, was härter ist als Tabakverzicht für den Raucher, und fastet bis zur Niederkunft. Auf den Philippinen darf der Bräutigam schon eine Woche vor der Hochzeit kein saures Obst mehr essen, sonst bekommt sein künftiges Kind Leibschmerzen, in Borneo wieder nichts verkorken, sonst leidet es an Verstopfung. In China muß sich der Mann vor heftigen Bewegungen ängstlich hüten, sonst ist durch die Erschütterung auch der Fötus im Mutterleib bedroht. Aus gleichem Grund fährt der Jambim-Mann nicht auf den Fischfang: das Meer (großes Fruchtwasser) soll nicht durch Ruderschlag gestört werden. Malaien im Archipel rühren keine scharfen Werkzeuge an, töten kein Tier, meiden jede Handlung, die verletzenden Charakter hat.
Vor der Entbindung sind strenge Diätregeln fast überall für beide Elternteile gleichmäßig Vorschrift. Während die Frau aber nach der Geburt sich meistens bald wieder frei bewegen darf, um, von gewissen Speiseverboten abgesehen, wieder halbwegs normal zu leben beginnt für den Mann die nachgeburtliche Couvade oft in einer die vorgeburtliche an sadistischer Belästigung weit überragenden Form.

Bei den Karaiben von Cayenne muss er sich zu sechsmonatigem Fasten in die Hängematte legen. Wenn er sie dann, nur noch Haut und Knochen, zum erstenmal verläßt, um sich nach Hause zu begeben, bringen ihm die dort versammelten Gäste mit einem Agutizahn blutige Risse bei und reiben Pfeffer in die Wunden. »Er geht dann, wirklich krank, wieder in die Hängematte und isst bis zum Ende des siebenten Monats weder Vögel noch Fische.« La Borde erzählt, wie viele Indianerstämme Südamerikas dem jungen Vater, nachdem er lange gefastet, allerhand Entbehrungen durchgemacht, die Hängematte nur nachts verlassen hat, die Haut am ganzen Körper zerfetzen; während sie ihm dann Pfeffer und Tabakjauche in die Wunden reiben, darf er keinen Schmerzenslaut von sich geben, worauf sein edles Blut dem Kinde ins Gesicht gerieben wird, damit es davon ebenso tapfer werde wie er.
Nicht auszudenken, Was »Vater sein« gar bei Polygamie für so einen armen, rastlos eingepökelten Mann an Martyrium bedeutet. Bis zum Greisenalter kommt er aus den gepfefferten Wunden und allerhand Marter nicht mehr heraus. Viel dieser Art gehört offensichtlich schon dem großen Bereich sympathetischer und imitativer Magie an, nicht mehr dem eigentlichen Männerkindbett. Darum meint Levy-Bruhl, und mit ihm die französische Schule, dieses sei selbst nur Teil einer Gesamtheit von Vorsichtsmaßregeln und »tabus«, die beide Elternteile sich abwechselnd auferlegen. Dem Europäer seien sie nur beim Mann, als besonders ungewohnt, zuerst aufgefallen, daher sei die Couvade als Phänomen für sich betrachtet worden, was unrichtig sei. Die Wesensgemeinschaft, »mystische Partizipation«, das »Blutsband« bei primitiven Rassen wirke derart stark, daß, was der eine tut, der andre zu spüren bekommt. Darum trinkt auch in Brasilien der Bororo ruhig in der Apotheke selbst die Medizin, wenn sein Kind zu Hause krank liegt, und sie wirkt auch so. Thurnwald nimmt sogar an, die eigentliche Couvade, die echte, sei gar kein »als ob«, der Mann empfinde wirklich die Wehen mit, und auch Tylor entscheidet sich dabei wenigstens für »sympathetische Magie«, die ja in Irland je und je als Mittel galt, um Geburtsschmerzen auf den Mann zu übertragen. Es ist dies die viel erörterte »transference of pain«. (Frazer) Sie wird als so strenges Geheimnis bei den Kelten gewahrt, dass es noch keinem Forscher gelang, ihren Ritus selbst zu beobachten, nur so viel ist bekannt, daß der Mann seine Zustimmung zum Gelingen geben muss. Der Engländer Pennant berichtet darüber: »Ich sah den Sprössling aus einem solchen Kindbett, welcher sanft zur Welt kam, ohne seiner Mutter das geringste Unbehagen zu verursachen, während ihr armer Mann vor Schmerzen brüllte in seiner sonderbaren, unnatürlichen Not.«
In Estland gibt die Braut bei der Hochzeit dem jungen Gatten Bier und Rosmarin gemischt zu trinken. Dem Berauschten kriecht sie dann zwischen den Beinen durch, was die Übertragung eines Teiles von den künftigen Geburtsleiden auf ihn bewirken soll, doch nur wenn er während der Zeremonie nicht erwacht; hier fehlt also eine Einwilligung, während sie bei den Kelten Vorbedingung ist. Nach Frazer werden Wehenschmerzen nicht nur auf den Gatten, sondern auch auf andre Männer oder auf eine Holzfigur übertragen. Ploß und anfangs auch Bastian glaubten noch, die Dämonen des Kindbettfiebers sollten durch die Maskerade des Rollentausches irregeführt werden, abgelenkt von der Frau auf den Mann, wo sie dann blamiert dastehen, machtlos und fehl am Ort. Der Meinung Dr. Vaertings, die Couvade sei ein praktischer Überrest von Gynaikokratie, der Mann als Pflegeperson hüte die erste Zeit nach der Geburt das Bett, um das Neugeborene bei sich warm zu halten, steht die Verbreitung dieser Sitte vorwiegend unter dem Äquator entgegen. Die Psychoanalyse wieder legt ihren Vaterkomplex allen Qualen und Speiseverboten zugrunde, also seelische Erschütterungen, gemischt aus Schuldbewusstsein und Vergeltungsangst, Zärtlichkeit und Hass. Ihre ganze Kette von Schlüssen hängt, was die Couvade betrifft, an der bekannten Freudschen Hypothese vom »Vatermord in der Urhorde«, dem gemeinsamen Verzicht der Söhne auf die begehrte Mutter und Einsetzen der Totem-Mahlzeit als Erinnerung an den Vaterfraß, »jenes denkwürdige Ereignis der Menschheitsgeschichte, welches zur Bildung der Religion, der Kunst und der sozialen Organisation führte«.
Das Kind gilt allgemein für den wieder verkörperten Großvater. Der Sohn, jetzt selbst Vater geworden, fühlt also hier die Vergeltung drohen, dass einer kommt, der, herangewachsen, an ihm das gleiche tun wird, was er an seinem Vater getan (auf höherer Stufe mindestens zu tun gewünscht), daher vielfach die Tötung der Erstgeburt. Bei der großen Ambivalenz der Beziehung zum Vater schlagen dann bei späteren Kindern Zärtlichkeit und Reue durch; Haß und frühere Untat werden jetzt wieder überkompensiert durch selbst auferlegte Leiden. Die Speiseverbote sollen sich dann, da das Tier ja als Ersatzopfer gilt, auch auf dieses, den Totem, beziehen. Die eigentliche Couvade, die Geburtsnachahmung, wird von Reik begründet als Annullierung der Geburt des Kindes durch die Mutter, um es aus der inzestuösen Libidofixierung an diese zu lösen. Der Inzestwunsch war ja Grund des Vatermordes gewesen und ist Motiv allen Vaterhasses. Nur die »Rückgängigmachung der inzestuösen Einstellung des Kindes« kann den jungen Vater schützen vor künftiger Gefahr. Diese kann aber nicht radikaler abgewendet werden, als indem die Weibsgeburt annulliert wird. Nicht die Mutter hat das Kind geboren, sondern der Vater, ihm also soll dessen Liebe zufließen, und vor seinen eifersüchtigen Mordgelüsten bleibt er bewahrt. Daß auch Mädchen geboren werden, ist der Psychoanalyse offenbar entgangen. Ihr ganzer Gedankenweg hat nur für Knabengeburten Sinn, die aber als solche erst nach dem Verlassen des Mutterleibes kenntlich werden. Alle Sühnungen, Leiden, Beschränkungen, Martern der vorgeburtlichen, geburtlichen und anstandshalber auch nachgeburtlichen Couvade, denn über ein Sichdrücken von letzterer bei weiblichen Babys ist nichts bekannt, nimmt demnach der junge Vater stets zu fünfzig Prozent à fond perdu auf sich. Schuld, Sühne, die doppelte Vergeltungsangst wirken ja nur in dem Bezugssystem Vater Sohn.
Was einen großen Teil der Speiseverbote angeht, die sich immer auf beide Elternteile gleichmäßig erstrecken, so spricht viel für Levy-Bruhls Ansicht, es handle sich dabei um imitative Magie; sie betreffen auch gar nicht den Totem im besonderen, dieser darf ja in der Regel außerhalb der Couvade ebensowenig gegessen werden.
Sicher imitativ magisch ist etwa die Scheu, Yamwurzeln zu genießen, damit das Kind nicht lang und dünn werde, oder Taroknollen, damit es nicht kurz und dick bleibe, das Meiden von Schweinefleisch, damit es keine borstigen Haare bekomme; auch Fettes und Schweres wird erst wieder als Nahrung gestattet, wenn das Kind selbst anderes als Milch verträgt, ganz unabhängig davon, welchem Totem der Stamm angehört.
Bachofen, der aus seinem riesigen Wissen zahllose Beispiele zur Couvade zusammengestellt hat, hält mit breitem Griffe an der gebärenden Gebärde des Mannes als ihrem Wesentlichen fest. Auch ihm ist diese ein Versuch des Vaters, Anteil an dem Kinde zu gewinnen, natürlich in anderm Sinne, als sie es der Psychoanalyse ist. Er sieht hier ein typisches Symptom für die Übergangsstufe vom Mutter- zum Vaterrecht, und tatsächlich findet es sich fast nur in dieser und nicht bei Männerherrschaft. »Des Vaters Männlichkeit ordnet sich der weiblichen Potenz unter und offenbart sich in Muttereigenschaft.« Der Geburtsakt hat also noch den Vorrang an Wichtigkeit vor dem Zeugungsakt. Dieser allein genügt nicht, erst wenn der Mann durch die Naturwalirheit des Muttertums hindurchgegangen ist, kann er Vater sein. Niemandem vor Bachofen war es eingefallen, einer Betrachtung der Couvade auch die Formen der Adoption einzufügen, die als Abart der Elternschaft unbedingt hierher gehört. So erzeugt sich der Römer in selbstherrlichem Vaterrecht ganz allein auf rein geistigem Wege ein Kind, sogar durch Willensakt noch nach dem Tode, denn er konnte im Testament zum Sohn bestimmen, wen er wollte, ohne ein Weib zu befragen, während an der Grenzscheide zweier Schichten sogar ein derart aufgeklärter Gott wie Zeus nicht einmal seinen unehelichen Sohn Herakles anerkennen darf, ehe nicht eine Göttin die weibliche Tat des Gebärens an ihm vollzogen hat. »Hera bestieg ihr Lager, nahm den Perakles an ihren Leib und ließ ihn dann an ihren Gewändern zur Erde fallen, womit sie eine wirkliche Geburt nachahmte.« Ganz ähnlich geht die Adoptionszeremonie heute noch auf Borrneo bei den matriarchalen Dayaken vor sich: Die Adoptivmutter thront in Gegenwart vieler Gäste auf einem hohen Sitz und lässt sich den zu Adoptierenden von rückwärts durch die Beine kriechen. Auch im mittelalterlichen Europa, in Arabien und in Byzanz kamen ähnliche Adoptionsgebräuche vor. Abt Guibert vermeldet, wie Balduin von Flandern durch den Fürsten von Edessa »nach den Sitten des Volkes«, also mutterrechtlich, an Kindesstatt angenommen wurde: »Er ließ ihn nackt innerhalb des leinenen Untergewandes treten, welches wir Hemd nennen, drückte ihn an sich und bekräftigte alles mit einem feierlichen Kuß. Dies tat auch sein Weib«.
Eine ergreifend selbstlose Couvade üben Frauen, wenn sie den »Wehen« ihrer Söhne in den Pubertätsriten mit dem eigenen Körper nachhelfen. Die Reifezeremonie kommt ja einer Wiedergeburt gleich. Durch Fasten, Leiden, Bewusstlosigkeit. Durch Fasten, Leiden, Bewusstlosigkeit und  Trance muss sich der Knabe selber neu zum Mann gebären, macht die lebensgefährliche Beschneidung durch und monatelanges Ritual unter Führung alter Männer im Busch. In Australien, wo die Frauen, wahrscheinlich nach Zertrümmerung einer alten Vormachtsstellung, kläglich unterdrückt sind, bedeutet das Eingehen des Sohnes in die Männergemeinschaft so viel wie völlige Ablösung von ihr. »Wie Personen in Trauer und Wöchnerinnen zugleich« werden daher die Mütter der Novizen behandelt. Sie enthalten sich genau der gleichen Speisen wie der Sohn, der fern im Busch die Beschneidung erleidet, sonst käme er in Gefahr, salben sich täglich den Körper mit jenem Öl oder Fett, die als Mittel zu seiner Genesung gilt. Im Haar tragen sie ein Alpita: das Schwanzende eines lebhaften Nachttiers, um ihn im Wachbleiben zu unterstützen, weil Enthaltung vom Schlaf zu den Weiheproben gehört. Abgesondert vom Lager des Stammes leben sie einzeln an einzelnen Feuern; niemand kommt ihnen nahe, niemand spricht sie an. Jeden Morgen vor Tau und Tag singen diese Mütter die vorgeschriebenen Gesänge, »und während sie aufrecht stehend singen, nehmen sie brennende Scheite vom Feuer und schwenken diese in der Richtung, wo sie das Lager der Novizen vermuten. Und wenn ein Novize von einem Tabu, das sich auf die Nahrung bezieht, befreit wird, erscheint gleichzeitig auch seine Mutter davon erlöst«. (Mathews) Nie vorher war die mystische Verbundenheit so stark als eben in der Zeit, da die Mutter sie selber als letztes Mittel der endgültigen Ablösung zum letzten mal benutzt. Die väterliche Couvade will Anteil am Kind gewinnen, die mütterliche Couvade gibt den ihren auf.