Flammen

Feueresser von der Sonne
belagern werden wir die hohe weiße Kuppel
Schreie mit heiligen Schwingen decken, in jenen Tagen
werden wir furchtbar sein
Henry Dumas

Es war der Sommer 1967. Auf der Heimreise machte ich Station in London, um an einer Konferenz teilzunehmen, zu deren Hauptrednern Herbert Marcuse und Stokeley Carmichael gehörten. Es war eine Freude, mit Herbert und seiner Frau Inge zu sprechen, die ich so lange nicht gesehen hatte, und ich sah Stokeleys Ausführungen mit Spannung entgegen. Die Konferenz mit dem zentralen Thema »Die Dialektik der Befreiung« hatte ihr Hauptquartier in einem riesigen Rangiergebäude der Eisenbahn, das das Rundhaus genannt wurde. Die Versammlung war in phantastischer Weise aus Theoretikern des Marxismus, Philosophen, Soziologen und Psychologen, radikalen politischen Aktivisten, Hippies und Parteigängem der Black Power zusammengewürfelt. In dem riesigen scheunenartigen Gebäude, dessen Fußboden mit Sägespänen bestreut war, war die Luft stark mit Marihuana geschwängert, und ein Gerücht behauptete, daß einer der Redner, ein Psychologe, unter dem Einfluß von LSD stand. Stokeley Carmichael und Michael X, der militante westindische Führer der Gleichheitsbewegung in London, waren die beiden Hauptfiguren der kleinen Schwarzen Teilnehmergruppe. Meine Afro-Frisur, die in jenen Tagen noch eine Seltenheit war, identifizierte mich als Anhänger der Black-Power-Bewegung. Sofort kam die Gruppe um Michael und Stokely auf mich zu. Zwischen den Konferenzsitzungen verbrachte ich meine Zeit mit Michaels und Stokeleys Gruppe, begleitete sie zu Versammlungen in Londons Ghettos und half gelegentlich auch, die Versammlungen zustandezubringen. Ich war verblüfft, in welchem Maße die westindischen Bezirke in London die Schwarzen Bezirke zu Hause widerspiegelten. Diese warmherzigen, aufnahmefreudigen, heißblütigen, begeisterten Leute suchten auch nach einer Möglichkeit, sich zu rächen. Wie in den Vereinigten Staaten bestand natürlich die Tendenz, den Feind mit dem weißen Mann zu identifizieren. Natürlich, weil die große Mehrzahl der Weißen, sowohl in den Vereinigten Staaten wie in England, der Träger des Rassismus gewesen war, der in Wirklichkeit nur einer kleinen Minderheit von ihnen zugutekommt - den Kapitalisten. Weil die Massen der Weißen rassistische Gefühle hegen, glaubten unsere Völker, in ihnen die Bösewichter zu sehen und nicht in den institutionalisierten Formen des Rassismus, die im Grunde genommen nur den Interessen der Herrschenden dienen, obwohl sie unzweifelhaft durch eingefleischte Vor-urteile an Kraft gewinnen. Wenn die Weißen unterschiedslos als der Feind angesehen werden, ist es praktisch unmöglich, eine politische Lösung zu entwickeln. Das waren meine Gedanken, als ich diese Konferenz mitmachte. Ich lernte dort in London mehr über die neue Bewegung als aus all den Büchern, die ich gelesen hatte. Ich lernte, daß wir nichts erreichen werden, wenn die Schwarze Reaktion auf den Rassismus nur vom Gefühl bestimmt bleibt. Wie die Kämpfe auf dem Spielplatz der Parker-Schule, wie der aufflackernde kopflose Zorn derer, die in Alabama von der Polizei niedergeknÜppelt wurden - konnte das auf die Dauer zu keiner Lösung führen. Als ich Stokeleys Worten zuhörte, die schneidend waren wie Messerklingen und den Feind anklagten, wie ich es noch nie gehört hatte, spürte ich offengestanden eine reinigende Kraft in seiner Rede. Aber ich wollte auch wissen, wohin es von hier weiterging. Die Entdeckung, daß manche der Schwarzen Führer dazu neigten, den Marxisrnus als »das Ding des weißen Mannes« völlig abzulehnen, schmerzte mich. Mir war es schon seit langem klar, daß der Schwarze Freiheitskampf, um seine letzten Ziele zu erreichen, zum Teil einer revolutionären Bewegung werden mußte, die alle arbeitenden Menschen umfaßte. Es war mir ebenso klar, daß sich diese Bewegung zum Sozialismus hin entwickeln mußte. Und ich wußte, daß Schwarze Menschen - Schwarze Arbeiter - in dem großen Kampf eine bedeutende Führerrolle zu spielen hatten. Daher fand ich es enttäuschend, daß die nationalistische Haltung der Schwarzen Führer in London mit einem starken Widerstand gegen den Sozialismus verbunden war. Dagegen faßte ich Mut, als ich hörte, daß Stokeley im Begriffstand, nach Kuba zu fahren. Wenn er einmal Schwarze, Braune und weiße Menschen zusammen die sozialistische Gesellschaft aufbauen sah, dann würde er - so schien es mir wenigstens - seine eigene Einstellung überdenken. Als ich Stokeley nach Kontakten der Bewegung im südlichen Kalifornien fragte, erzählte er mir von Tommy J., einem Bezirksleiter in Los Angeles. Die Adresse, die er mir gab, war in Watts. Als ich ein paar Wochen später im südlichen Kalifornien eintraf, versuchte ich so schnell wie möglich die Adresse zu ermitteln, die Stokeley mir gegeben hatte. Die Nummer existierte nicht. Nachdem ich verzweifelt Tür nach Tür abgeklopft hatte, war es klar, daß niemand in dieser Nachbarschaft jemals von Tommy J. gehört hatte. Daß ich diesen Bruder nicht finden konnte, war für mich eine furchtbare Enttäuschung, weil ich mich um eine dauernde Bindung mit der Bewegung bemühte. Widerstrebend begab ich mich nach San Diego, ohne irgendwelche Kontakte in der Bewegung Südkaliforniens noch konkrete Auskünfte über sie erlangt zu haben.

In San Diego waren die einzigen Menschen, die ich kannte, Studenten der philosophischen Fakultät, insbesondere Studenten, die wegen Marcuse dort studierten. Ricky Sherover und Bill Leiss waren in Brandeis gewesen, als ich dort mein letztes Jahr studierte, und waren Marcuse nach UCSD gefolgt. Dennoch gelang es mir, die Telefonnummern zweier Schwarzer Bezirksleiter zu erhalten: die des Direktors einer Jugendorganisation in San Diego, und die eines Mannes, der, wie ich später erfuhr, Mitglied der kommunistischen Partei war.
Ich rief den ersten Bruder an. »Hallo, hier spricht Angela Davis. Ich bin gerade erst in San Diego angekommen, um an der Universität Philosophie zu studieren. In den letzten zwei Jahren war ich außer Landes, und ich will versuchen, alles für die Schwarze Bewegung zu tun, was in meiner Macht steht. Jemand hat mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer gegeben...« Als ich meine kleine Rede beendet hatte, herrschte am anderen Ende nur Schweigen. Ich merkte damals gar nicht, wie ich geklungen haben muß - wie ein schwärmender Backfisch oder wie eine Agentin, die sich in der Bewegung einnisten wollte. Das Schweigen dauerte noch eine Weile an, dann versprach er mir endlich, mich demnächst telefonisch über eine Zusammenkunft unterrichten zu wollen, an der ich teilnehmen könnte. Sehr viel Begeisterung konnte ich in seiner Stimme nicht entdecken, und als ich auflegte, erwartete ich eigentlich nicht, daß ich wieder von ihm hören würde. Damit hatte ich recht. Die Tage holperten vorüber, die Chance, bald in die Gemeinschaft von San Diego aufgenommen zu werden, rückte immer mehr in die Ferne. Manchmal stieg ich in meinen Wagen und fuhr aus reiner Verzweiflung nach San Diego und dem Stadtviertel Logan Heights, in dem die Schwarzen Menschen am dichtesten zusammenwohnten, fuhr ziellos umher, voller Träume und Pläne, um dieser furchtbaren Vereinsarnung zu entkommen. Ich konnte kaum etwas anderes tun, als auf den Semesterbeginn in der Universität zu warten. Also studierte ich, machte mich mit den Philosophiestudenten und Professoren bekannt und wartete, wartete. Schließlich belebten sich die Studentenheime mit den Studenten, die zur Universität zurückkamen. Aber in dem Maße, wie die Studentenbevölkerung zunahm, wuchs auch meine Enttäuschung. Noch waren nicht alle gekommen, aber ich war schon schwer beschäftigt, jeden Winkel und Spalt nach Schwestern und Brüdern zu durchsuchen. Jeder Tag brachte neue, tiefe Niedergeschlagenheit, denn ich fand noch keine Schwarzen Menschen in der Universität. Ich war wie ein Forschungsreisender, der nach vielen Jahren mit kostbarer Beute in sein Heimatland zurückkehrt, aber niemanden findet, dem er sie geben kann. Ich glaubte, daß meine Tatkraft, mein Engagement, meine Überzeugungen der Schatz seien, den ich angesanimelt hatte, und sah mich überall um, wie ich ihn einsetzen könnte. Ich durchmaß das Gelände der Universität, studierte die Anschlagbretter, las die Zeitungen, sprach mit allen, die es wissen konnten: Wo sind meine Leute? Es war, als würde ich aufgewühlt und aufgefressen von dem unabweisbaren Verlangen, an der Freiheitsbewegung teilzunehmen, wenn ich nicht bald ein Ventil dafür fand. Daher meldete ich mich bei der Organisation radikaler Studenten und half bei der Planung einer Aktion gegen den Krieg in Vietnam.
Im Jahr 1967 waren unendlich viele Menschen noch nicht zu dem Schluß gelangt, daß der Krieg sofort eingestellt werden müßte. Daher wurden unsere Versuche, mit den Leuten auf den Straßen von San Diego zu sprechen, oftmals abrupt und barsch zurückgewiesen. Viele weigerten sich sogar, unsere Pamphlete anzunehmen. Da dies jedoch seit mehreren Jahren meine erste Demonstration in den Vereinigten Staaten war, war ich begeistert und erregt. Die Feindseligkeit der Menschen auf der Straße gab mir immer mehr Anlaß, dringender, länger und beschwörender zu sprechen. So sehr mir die Sache am Herzen lag, so klar ich die politische Notwendigkeit dieser Demonstration einsah, fühlte ich mich dennoch als Außenseiter unter diesen Studenten. Ich war eine Fremde in meinen Empfindungen - noch nie hatte ich mich unter Weißen fremd gefühlt. Es war nicht das Gefühl meiner Kindheit im Süden. Es war nicht die Fremdheit, die ich in New York erlebt hatte, als ich merkte, daß viele Weiße in meiner Umgebung sich fast überschlugen, um mir klarzumachen, daß sie keine Rassisten seien. Es war eine neue Fremdheit. Aber eine, die ich erst später erklären will.
Inzwischen wurde das Polizeiaufgebot, das unsere Demonstration beaufsichtigte, größer. Schon war an jeder Ecke ein Polizeiwagen aufgestellt. Uniformierte und Zivilbeamte waren überall verstreut. San Diego war derartige Demonstrationen nicht gewöhnt. Daß es sich heftig zur Wehr setzen würde, war von vornherein klar. Als die Atmosphäre sich dem Siedepunkt näherte, entschlossen wir uns, Verstärkung zu holen. Da mein Buick aus dem Jahr 1958 eins der größten Autos war, die wir hatten, übernahm ich es, die etwa 23 Kilometer nach La Jolla zurückzufahren. Als wir ankamen, war bereits angerufen worden, daß Verhaftungen erfolgt seien. Der nächste Schritt war, die Gefangenen zu befreien. Wir kratzten genügend Geld für die Kaution zusammen. Drei von uns, ein Mann, noch eine Frau und ich fuhren zum Gefängnis, hinterlegten die Kaution und erwarteten die Freilassung unserer Gefährten. Was ihnen zum Vorwurf gemacht wurde, war uns noch rätselhaft. Wir erkundigten uns genau nach den Umständen, unter denen die Verhaftung erfolgt war. Vorher hatte man uns gesagt, die Bezichtigung laute auf »Behinderung des Fußgängerverkehrs«. Da uns niemand im Polizeibüro Bescheid sagen konnte, verwies man uns zum Captain der Polizeiwagenkolonne. Wir betraten ein dunkles Zimmer, in dem es recht muffig nach der Justiz von San Diego roch. Wieder stellten wir die Frage. Warum die Verhaftungen? Wieder wurde uns die Antwort mechanisch ausgespuckt »Behinderung des Fußgängerverkehrs auf dem Bürgersteig«. Wir blieben beharrlich. Was sollte das heißen? Wir hätten selbst auch Literatur verteilt; wir wußten, daß wir niemanden gehindert hatten weiterzugehen. »Nun«, sagte der Captain der Streife, »solange Sie auf dem Bürgersteig stehen, ist die Annahme berechtigt, daß Sie den Fußgängerverkehr behindern.« »Wie oft haben Sie dann schon die Ernsten Bibelforscher verhaftet, die ihre religiösen Schriften verteilen?«
Schweigen. »Sir, könnten Sie ein wenig eingehender und deutlicher erklären, warum Sie unsere Freunde verhaftet haben?« Der Captain setzte zum Sprechen an, verhaspelte sich aber so, daß er die Wörter nicht herausbringen konnte. Endlich stieß er völlig frustriert und offenbar von unserer Logik gestört, hervor: »Es ist nicht Sache der Polizei, das Gesetz zu verstehen, das ist Sache des Staatsanwalts. Wenn Sie den Sinn dieses Gesetzes verstehen wollen, dann gehen Sie zum Staatsanwalt!« Obwohl wir wußten, daß wir im Zimmer unseres Feindes standen, war dieser Ausspruch so dumm und so komisch, daß wir drei vor Lachen brüllten. »Raus hier! Raus!« schrie der Captain, der jetzt die Beherrschung verlor. Wir versuchten, wieder ernst zu werden, als wir bemerkten, daß er am Telefon eine Nummer wählte. In weniger als einer Minute war das Zimmer voller Polizisten, die nur eine Absicht hatten: uns ins Gefängnis zu werfen.
Unser männlicher Begleiter wurde weggeschleppt; Anna und mir wurden Handschellen angelegt, und wir wurden auf den Rücksitz eines Bereitschaftswagens gestoßen, der auf dem dampfend heißen Hof des Gefängniskomplexes geparkt war. Die Fenster waren geschlossen, und wir sahen, daß Polizeiwagen im Innern keine Türklinken haben. Der Polizeibeamte knallte die Tür zu und ging davon. Fünfzehn Minuten vergingen, dann zwanzig. Die Hitze war absolut unerträglich geworden. Der Schweiß strömte uns übers Gesicht, und unsere Kleider waren durchnäßt. Wir bummerten an die Fenster und schrien. Niemand kam. Als unsere Furcht schon in Panik überging, kam der Beamte zum Wagen, stieg ein und ließ den Motor an. »Womit verdient ihr Mädchen euren Lebensunterhalt?« »Wir haben keine Arbeit«, antworteten wir. »Wenn ihr keine Arbeit habt, dann können wir euch wegen Landstreicherei festnehmen.« »Wir haben Geld bei uns, das beweist, daß wir keine Landstreicher sind.« »Das ist noch besser«, sagte er. »Wenn ihr Geld habt, aber keine Arbeit, können wir euch unter dem Verdacht des Raubes festnehmen oder noch besser, bewaffneten Raubüberfalls.« Auf dem Weg zum Gefängnis sahen wir uns San Diego durch die Scheiben eines Polizeiautos an. Das Heulen der Sirene lenkte in der Innenstadt die starrenden Blicke der Menschenrnengen auf uns. Was dachten sie? Daß wir Nutten, Drogensüchtige oder Trickbetrüger waren? Ich bezweifle, daß jemand auf den Gedanken kam, wir könnten Revolutionäre sein. In der Frauenabteilung des Bezirksgefängnisses wurden wir in ein Zimmer eingewiesen und aufgefordert, vor einer Aufseherin unsere gesamte Kleidung abzulegen. Anna und ich protestierten lange und heftig gegen diese Demütigung, aber wir wurden zum Gehorsam gezwungen. Die nächste Phase war eine heiße Dusche in einem Raum, der hinter uns mit einer schweren Eisentür verschlossen wurde. Nachdem man uns eine Stunde lang im Duschraum gelassen hatte, wurden wir in getrennte, silberfarbene Gummizellen eingeschlossen, wo wir eine weitere Warteperiode durchleiden mußten. Da ich mir dachte, daß ich diese Zeit konstruktiv ausfüllen könnte, kratzte ich mit einem abgebrannten Streichholz politische Schlagwörter an die Wand, damit die Schwestern, die als nächste in dieser Zelle sitzen mußten, auch einen Nutzen davon hätten. Viele Stunden vergingen, bis die Fotoaufnahmen und die Fingerabdrücke endlich angefertigt und wir registriert waren. Wir telefonierten, wie es uns zustand, und wurden in Anstaltskleidung zu den anderen Gefängnisinsassinnen im oberen Stockwerk gebracht. Man steckte uns in einen großen Gemeinschaftskomplex, der gegen die Außenseite durch ein Doppeltor mit elektrisch funktionierenden Gittern gesichert war. Das erste Tor glitt auf. Anna und ich traten zwischen die beiden Tore. Es glitt wieder zu. Erst als es sicher verschlossen war, öffnete sich das zweite Tor, das in das Gemeinschaftsgehäuse führte. Dieses Gehäuse war so öde und steril, wie es sein sollte. Es war in zwei Abteilungen geteilt eine mit den Kojen zum Schlafen und die andere zum Essen und Spielen. Wir erklärten jeder Schwester, die es wissen wollte, was wir getan hatten, um verhaftet zu werden. Im Jahre 1967 hatten wir mit diesen Erklärungen noch Seltenheitswert. Viele der Schwestern, die wegen Prostitution oder Drogenbesitz im Gefängnis waren, versuchten uns zu trösten. Sie hielten die Haftgründe für töricht und meinten, man würde sie fallenlassen. Damit hatten sie recht. Zu guter Letzt wurden wir entlassen.
Unterdessen hatten andere Demonstranten die Nachrichtenmedien informiert, daß drei Leute in San Diego festgenommen worden seien, als sie sich über das Wesen eines Gesetzes Klarheit verschaffen wollten? Eine Radiostation in Los Angeles brachte jede Stunde einen Spot: »Habt ihr schon von den Leuten im Süden gehört, die verhaftet wurden, weil sie sich nach dem Gesetz erkundigten?« Die Universität fand sich bereit, offiziell zu protestieren, und innerhalb von zwei Tagen stellte der Staatsanwalt von San Diego das Verfahren ein und schickte eine formelle Entschuldigung. Als ich einige Tage später an einer Versammlung der Gruppe teilnahm, die die Demonstration organisiert hatte, sah ich freudig erregt ein junges Schwarzes Paar gegenüber auf der anderen Seite des Versammlungsraumes sitzen. Es waren die ersten Schwarzen Studenten, die ich in der Universität gesehen hatte - und daß sie bei der Versammlung dabei waren, bedeutete, daß sie sich für die Bewegung interessierten. Nach der Versammlung lernten wir uns kennen, und kurz darauf faßten wir - Liz, Ed und ich - den Entschluß, eine Schwarze Studentenunion zu gründen. Wir begannen systematisch die Studentenheime nach Schwarzen Studenten zu durchforschen. Nachdem wir die Häuser durchkämmt hatten, nahmen wir die Fakultäten der Fachstudenten in Angriff, gingen in das Hauptbüro mit Federhalter und Papier und baten um die Namen aller Schwarzen Studenten und Angestellten. Schwarze Arbeiter wurden auch erfaßt; hätten wir das nicht getan, dann wären wir zu klein gewesen, um die für eine Wirkung nötige Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Wir nahmen mit etwa fünfzehn bis zwanzig Schwarzen Studenten und Arbeitern Fühlung. Etwa zehn von ihnen erschienen bei unserer Sitzung und machten uns stolz auf den Erfolg unseres ersten Versuches, eine unabhängige politische Organisation zu gründen. Ein Schwarzer Professor nahm an der Sitzung teil und willigte ein, die Schirmherrschaft der Gruppe zu übernehmen. Bald fand sich ein zweiter Professor aus Jamaica zur kräftigen Mitarbeit an der Organisation bereit. Wir sahen ein, daß wir Verbindungen mit ähnlichen Gruppen aufnehmen mußten, um Erfolg zu haben. Sonst würden wir Schwierigkeiten haben, die Universitätsverwaltung von unserer Stärke zu überzeugen, wenn wir Forderungen stellten. Wir beschlossen daher, mit dem Schwarzen Studentenrat der Staatsuniversität in San Diego eine lockere Arbeitsgemeinschaft zu schließen, und auch in der Schwarzen Gemeinde Verbindungen zu suchen. Um diese Zeit fiel es mir auf, daß ich irgendwie als die Führerin der Schwarzen Bewegung innerhalb der Universität angesehen wurde. Ich hatte mich wahrhaftig nicht darum bemüht; es stellte sich einfach heraus, daß ich trotz meiner zweijährigen Abwesenheit zu den erfahrensten Organisatoren der Universität gehörte. Wir entdeckten, daß eine Schwarze Konferenz in San Diego - eine Koalition von Gemeinde-Organisationen, an deren Spitze Ron Karengas US-Organisation stand - eine Unterstützungsaktion für einen Schwarzen Seemann mit Namen Ed Lynn ins Leben rufen wollte, der sich der Rassendiskriminierung in der Marinestation von Balboa widersetzte. Liz, Ed und ich wollten die Tagung dieser Konferenz am Donnerstag abend besuchen. Der Tatbestand von Ed Lynns Fall war klassisch. Es hatte auf der Station einen Riesentumult gegeben, als Ed eine Petition in Umlauf setzte, in der er gegen das Rassenvorurteil protestierte und Schwarze wie weiße Seeleute zur Unterschrift aufrief. Während diese Petition noch lief, hatte Ed behauptet, daß Präsident Johnson im Militärbereich den Rassismus begünstigte. Kurz danach erklärte man ihm, daß er vor ein Kriegsgericht gestellt würde, weil er »beleidigende« Behauptungen über den Präsidenten der Vereinigten Staaten aufgestellt hätte. Die kleine Versammlung fand im Gemeinschaftszentrum von Logan Heights statt. Die Teilnehmer starrten auf die drei Fremden, die sagten, sie verträten die Schwarzen Studenten der Universität von

  • (leider fehlt Seite 151 und 152 in unserer Ausgabe - wir bemühen uns diese schnellstens nachzuliefern)

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bedeutete mehr Profit und, was die weißen Arbeiter betraf, Teilung und Verwirrung. Nachdem die Konferenz sich vertagt hatte, wurde ich rein zufällig eingeladen, einer kleinen Hausveranstaltung beizuwohnen, bei der James Forrnan und Ralph Featherstone über ihre kürzlich unternommene Reise nach Afrika sprachen. Sie gaben eine fesselnde und eingehende Schilderung dessen, was sie in Tansania erlebt hatten, und besprachen den Plan, innerhalb des SNCC eine Art »Reservoir der Fertigkeiten« einzurichten, durch welche Schwarze Menschen aus unserem Land, die über besondere wissenschaftliche oder technische Fertigkeiten verfügten, sich verpflichten konnten, eine gewisse Zeit in Afrika zu verbringen. Neben Franklin und Kendra Alexander waren bei diesem Treffen auch Vertreter einer Organisation, die sich die Schwarze-Panther-Partei nannte. Es war eine kleine Kadergruppe, die es als ihre Aufgabe betrachtete, sowohl theoretische Analysen der Schwarzen Bewegung zu entwickeln, als auch innerhalb der bestehenden Bewegung Strukturen aufzubauen. Sie stand zu Huey Newtons und Bobby Seales Schwarze-Panther-Partei zur Selbstverteidigung in keinerlei Beziehung, außer daß beide ihren Namen von der Schwarze-Panther-Partei im Lowndes Bezirk von Alabama ableiteten. Um sich von Hueys und Bobbys Partei zu unterscheiden, nannten sie sich die SchwarzePaiither-Politische-Partei (Black Panther Political Party). Diese Zusammenkunft war der Beginn meiner langen und tiefen Beziehungen zu den Mitgliedern der BPPP. Ihre Auffassung von der Schwarzen Freiheitsbewegung war viel intellektueller und befriedigender als das, was ich in San Diego vorgefunden hatte. Obwohl ich weiterhin an der Universität und in der Gemeinde von San Diego engagiert blieb, fand ich meine wahre Kraft und Erkenntnis in Los Angeles. Eine der Aufgaben bei diesem Abstecher nach Los Angeles bestand darin, in San Diego Sprecher für eine Versammlung aufzutreiben, die wir zur Unterstützung von Ed Lynn vorbereiteten. Sprecher verschiedener Gruppen sagten zu: John Floyd, der Leiter der Schwarze-Panther-Politischen-Partei, Bruder Crook, ein Führer der Bereitschaftspatrouille der Gemeinde, Ron Karenga, dessen US-Organisation in San Diego sehr bekannt war, und Walter Bremond, der Leiter des Schwarzen Kongresses, einer Arbeitskoalition von Schwarzen Organisationen im Bereich von Los Angeles. Als ich diese Schwarze Versammlung in San Diego organisierte, geriet ich Hals über Kopf in eine Lage, die sich als ständiges Problem in meinem politischen Leben erweisen sollte. Ich wurde sehr heftig kritisiert, und zwar besonders von den männlichen Mitgliedern der Karenga-Organisation, weil ich »Männerarbeit« leistete. Frauen sollten keine führenden Rollen spielen, behaupteten sie. Eine Frau war gehalten, ihren Mann zu »inspirieren« und seine Kinder zu erziehen. Die Ironie in dieser Beschwerde lag darin, daß ein großer Teil dessen, was ich tat, mir zugefallen war, weil es kein anderer tat. Die Öffentlichkeitsarbeit für diese Versammlung hatte zum Beispiel in den Händen eines Mannes gelegen, aber weil seine Arbeit so viel zu wünschen übrig ließ, übernahm ich sie, einfach um sicherzustellen, daß sie getan wurde. Es war ebenfalls Ironie, daß genau die, die mich kritisierten, am wenigsten taten, um den Erfolg der Versammlung zu garantieren.
Ich lernte sehr früh das weit verbreitete und unglückselige Syndrom bei manchen der Schwarzen männlichen Aktivisten kennen - daß sie nämlich ihre politische Tätigkeit mit dem Beweis ihrer Männlichkeit verwechselten. Sie sahen - und das tun manche noch heute - die Schwarze Männlichkeit als etwas, was von der Schwarzen Weiblichkeit getrennt war. Diese Männer sehen ihre Männlichkeit von den Schwarzen Frauen bedroht - und besonders von denjenigen Schwarzen Frauen, die die Initiative ergreifen und arbeiten, um durch eigene Verdienste Führerinnen zu werden. Es war die ständige Tirade amerikanischer Männer, daß ich meine Energien umpolen und dort einsetzen müsse, wo sie meinem Mann Kraft und Inspiration gaben, damit er seine Talente wirksamer für den Schwarzen Freiheitskampf beisteuern könne. Für mich war die Revolution nie etwas, was man mal »tun mußte«, bevor man sich zur Ruhe setzte; sie war kein modischer Klub mit einem neu geprägten Jargon oder eine neue Art des gesellschaftlichen Lebens das durch Risiko und Zusammenstöße an Spannung und durch die Kostümierung an Glanz gewann. Die Revolution ist eine ernsthafte Sache, die ernsthafteste im Leben eines Revolutionärs. Wenn man sich zum Kampf verpflichtet, dann muß es fürs ganze Leben sein. Als 1968 seinen Anfang nahm, merkte ich, wie notwendig ich ein eigenes Kollektiv finden mußte. Daß man von Aktivität zu Aktivität trieb, war ein revolutionäres Nichts. Individuelle Aktivität - sporadisch und unzusammenhängend - ist keine revolutionäre Arbeit. Die ernsthafte revolutionäre Arbeit liegt in dem beharrlichen und methodischen Versuch, durch ein Kollektiv anderer Revolutionäre die Massen zur Aktion zu organisieren. Da ich mich seit langem für eine Marxistin hielt, gab es nur eine sehr beschränkte Zahl möglicher Alternativen. Ich hatte schon erwogen, ob ich der Kommunistischen Partei beitreten sollte, und hatte mit Kendra und Franklin Alexander viele Male darüber diskutiert. Im Januar gehörte ich zu den geladenen Gästen einer offenen Versammlung des Che-Lumumba-Clubs im Haus von Charlene Mitchell; sie war Gründerin und Leiterin dieses Schwarzen Kollektivs der Partei. Charlene verlas eine Arbeit über die Beziehung zwischen Reform und Revolution. Ihr Essay war sehr geistreich. Es war die klügste Analyse der Mittel, mit denen man die Menschen auf ihre täglichen Probleme hin organisieren und sie dadurch dem Ziel des revolutionären Sturzes des kapitalistischen Systems entgegenführen konnte.
Weil jedoch in meinem eigenen Kopf noch so viele Fragen unbeantwortet geblieben waren, bin ich damals der Kommunistischen Partei nicht beigetreten. Seit meinen Schultagen in New York und seit dem Sommer 1962, an dem ich an den 8. Weltjugendfestspielen in Helsinki teilgenommen hatte, hatte ich mehr oder weniger die Fühlung mit den Mitgliedern der Kommunistischen Partei verloren. Statt dessen war ich mit marxistischen Gruppen und Theoretikern und Aktivisten zusammengewesen, die oft an den Mitgliedern der traditionellen kommunistischen Partei heftige Kritik übten. Wenn ich später auf meine Tage in Europa zurückblickte, merkte ich, wie tief ich von dem Anti-Kommunismus beeinflußt gewesen war, der die Bewegung der europäischen Linken durchzog. Mir schienen die kommunistischen Parteien zu konservativ und in ihrer unkritischen Einstellung zu der Arbeiterklasse hinter der Zeit zurückgeblieben. In dieser Hinsicht, meinte ich, sei der Fall der weißen Arbeiter in den Vereinigten Staaten hoffnungslos - sie waren nicht nur vom Rassismus, sondern auch von den Zugeständnissen der herrschenden Klasse unrettbar verseucht. Aber selbst wenn mich diese Probleme nicht angefochten hätten, so war ich für einen Eintritt in die Partei damals noch nicht gut vorbereitet. Denn wenn man einmal Kommunist wird, dann übernimmt man eine Verpflichtung auf Lebenszeit, die viele ernsthafte Überlegungen darüber erfordert, ob man das Wissen, die Kraft, das Beharrungsvermögen und die Disziplin besitzt, die ein Kommunist besitzen muß. In den ersten Monaten des Jahres 1968 ließ ich die Frage, ob ich der Partei beitreten wollte, offen.
Die Schwarze-Panther-Partei erschien jedoch flexibel genug, um marxistische Ideen zu akzeptieren. Es war ein kleines Kollektiv von Schwarzen Menschen, die in der Mehrzahl aus der Schwarzen Intelligentsia stammten - Studenten, Lehrer und ein oder zwei Professoren. Ich hatte nach der Jugendkonferenz im November mehrere Mitglieder der BPPP kennengelernt und mich mit einigen von ihnen angefreundet. Als sie sich Anfang Januar entschlossen, drei neue Mitglieder aufzunehmen, schickten sie eine Einladung an einen Bruder in der Staatsuniversität von Kalifornien, der im Ruf stand, ein sehr guter Schriftsteller zu sein. Die zweite ging an Franklin Alexander, und die dritte an mich. Ich nahm die Einladung an. Daß sie Franklin einluden, war, wie ich glaubte, ein Zeichen, daß sie gewillt waren, sich den marxistischen Ideen zu öffnen. Ich betrachtete sie als eine vorläufige Politische Basis, von der aus ich mir über die endgültige politische Richtung, die ich einschlagen wollte, Gedanken machen und zu einem Entschluß gelangen konnte. Sie sahen in mir ihre Vertreterin im südlichen Teil des Staates - in San Diego. Die BPPP war eine Zweigorganisation VOM Schwarzen Kongreß in Los Angeles - einer breiten Koalition von Gemeinschaftsgruppen jener Region. Um diese Zeit wollte die »Schwarze-Panther-Partei für die Selbstverteidigung«, deren oberster Führer, der Verteidigungsininister Huey Newton, im Gefängnis saß, eine Ortsgruppe in Los Angeles gründen. Leider kamen einige ihrer neuen Rekruten in dieses Gebiet mit dem kriegerischen Anspruch, daß sie allein das Recht hätten, sich »Schwarze-Panther-Partei« zu nennen. Als ich eines Nachmittags im Gebäude des Schwarzen Kongresses saß, erhaschte ich den Blick eines Bruders, der aus einer Weinflasche trank - was in diesem Gebäude, soweit ich mich erinnere, verboten war. Ich wandte mich von ihm ab und machte mich auf den Weg zu einem Bürozimmer, Als ich an ihm vorbeiging, t zog er eine Pistole aus seiner Tasche, packte mich blitzschnell an der Schulter, zielte mit der Waffe auf meine Schläfe und zog mich in das nächste Zimmer. Er wollte reden, sagte er. Seine Worte verhaspelten sich und sein Atem stank nach Wein. Er wollte über die Schwarze-Panther-Partei und seine Schwarze-Panther-Partei für die Selbstverteidigung sprechen. Die Weinflasche, die Iallenden Worte, die Tatsache, daß er eine Pistole in der Hand hatte und ich nichts, rieten mir, möglichst den Mund zu halten. Also hörte ich ihm zu. »Die Schwarze-Panther-Partei für die Selbstverteidigung«, schrie er, »verlangt, daß deine Scheißpartei den Namen Schwarze-Panther-Partei ablegt. Am besten ändert ihr sie in Rosa-Miezen-Partei. Und wenn ihr den Namen nicht bis zum nächsten Freitag geändert habt, werdet ihr alle umgelegt.« Um mir klarzumachen, daß es ihm todernst sei, sagte er mir, er wisse, daß ich in San Diego lebte, er hätte meine Adresse, und ich könne damit rechnen, daß jemand an meine Tür klopft, wenn ich nicht täte, was er sagte. (In Fairneß zu Hucys Schwarze-Panther-Partei muß ich hier hinzufügen, daß dieser brüllende Besoffene mit Pistole später von den Panthern ausgestoßen wurde, weil er ein agent provocateur war.) Eine Krisensituation war ausgebrochen. Andere Mitglieder unserer Gruppe wurden in ähnlicher Weise bedroht. Fast immer wurden Pistolen zur Überredung eingesetzt; Tod war die Folge von Ungehorsam. Ich konnte eins von zwei Dingen tun - ihm gehorchen, oder für meinen Schutz sorgen. Ich wählte das zweite und war eine Zeitlang immer voll bewaffnet. Wenn mich die Polizei anhielt und durchsuchte, dann konnte ich ins Gefängnis wandern, das wußte ich, aber wenn ich dieses Risiko nicht auf mich nahm, konnte es sehr leicht passieren, daß man meine Leiche mit einer Kugel im Kopf in einem verlassenen Winkel wiederfand. Wir veranstalteten eine Notsitzung nach der anderen, waren aber außerstande, die Krise in so kurzer Zeit aus dem Weg zu räumen. Einige Mitglieder wollten den offenen Konflikt mit den Panthern für Selbstverteidigung, selbst wenn es dabei zur Prügelei kam. Andere wollten die Drohung einfach mißachten und behaupteten, die Panther blufften nur. Es gab aber auch den einen oder anderen, der Schluß machen, sich den Drohungen der Panther beugen und die Organisation auflösen wollte. Die endgültige Lösung erfolgte, als James Forman glücklicherweise eine Reise nach Los Angeles unternahm. Er sollte bei einer Kundgebung des Verbandes für Neue Politik sprechen. Wir ergriffen die Gelegenheit, um ihn von dem Streit der beiden Organisationen in Kenntnis zu setzen und von ihm zu hören, wie man verhindern könnte, daß dieser Konflikt in einen offenen Kampf ausartete. Nachdem er sich die Sache überlegt hatte, sagte er, er habe einen Vorschlag. Zur Einführung erzählte er uns, daß man sich seit kurzem bemühe, die Beziehungen zwischen der SNCC und den Panthern für die Selbstverteidigung zu festigen. Sie hatten sich beide geeinigt, den Zusammenschluß dieser beiden Organisationen zu betreiben. Stokeley Carmichael sei bereits Premierminister der Schwarze-Panther-Partei, Rap Brown sei Justizminister geworden und Forman selbst Außenminister. Einer der Hinderungsgründe für den endgültigen Zusammenschluß sei jedoch die geographische Trennung der beiden Hauptquartiere: das der SNCC war in New York, das der BPP war an der Bucht von San Francisco. Forman hielt es für unerläßlich, eine starke Ortsgruppe der SNCC an der Westküste zu errichten. Wenn wir gewillt wären, uns in die SNCC von Los Angeles zu verwandeln, sagte Forman, dann seien vielleicht sowohl unsere Probleme wie auch die der SNCC gelöst. Erstens wäre dann unser Name kein Streitobjekt mehr. Außerdem würden wir für unser Kollektiv neue nationale Dimensionen gewinnen und dadurch ein wenig den Provinzialismus überwinden, der uns anhaftete. Von Formans Standpunkt würden wir der SNCC helfen die viele Menschen damals für die führende Kraft in der Schwarzen Freiheitsbewegung hielten - eine Basis an der Westküste zu gründen. Und schließlich würden wir imstande sein, die Beziehungen zwischen der BPP und der SNCC zu festigen. Wenn sich daraus eine dauernde Koalition entwickeln sollte, dann wäre das ein riesiger Fortschritt. Zuerst wurde noch dagegen opponiert. Manche nannten Formans Empfehlung zu oberflächlich, um unser Problem auf die Dauer zu lösen. Sie sagten, wir würden es mit Brüdern wie dem, der mir die Pistole an den Kopf gesetzt hatte, zu tun haben, ob wir nun unsere alten Kleider anbehielten oder die neuen der SNCC anlegten. Ich war dafür, der SNCC beizutreten - nicht weil ich glaubte, daß die Fusion die Zwietracht zwischen uns und den neuen Panthern von Los Angeles beseitigen würde, sondern vielmehr, weil ich den historischen Beitrag respektierte, den die SNCC für die Bewegung geleistet hatte. Allerdings fühlte ich mich durch den Friedensspruch in keiner Weise ermutigt, in meiner Wachsamkeit nachzulassen. Die treue Waffe blieb jederzeit in Reichweite.
Die meisten Brüder und Schwestern auf unserer Seite waren in gleicher Weise auf ihrer Hut und legten die Waffen nicht gleich ab. Während wir noch wie auf Nadeln saßen, wurde eine Friedenskonferenz einberufen. Es war eine eindrucksvolle Versammlung. Mit Ausnahme von zwei oder drei unserer Mitglieder, die ausgetreten waren, waren wir vollzählig versammelt. Auf der Seite der Panther waren alle größeren Führer anwesend (bis auf Huey natürlich, der im Oktober verhaftet worden war). Eldridge Cleaver war da. Bis zu jenem Treffen wußten die meisten von uns sehr wenig von ihm, außer daß er der »Informationsminister« und »untergetaucht« war, wie jede Woche hinter seinem Titel in ihrem Verbandsblatt vermerkt wurde. Bobby Seale war da, Emory Douglas und Ii'l Bobby Hutton. Darüber hinaus noch sieben oder acht andere. Am meisten war ich von Ii'l Bobby beeindruckt. Er war menschlich, natürlich und kümmerte sich wirklich gar nicht darum, ob er dem Bild eines kalten, berechnenden Revolutionärs entsprach. Li'l Bobby fing ein freundliches Gespräch mit mir an, indem er mir ein paar alltägliche hausbackene Fragen stellte: wo ich her sei, was ich tat. Er verfügte über ein schönes Lächeln und eine unverdorbene, jugendliche Begeisterung. Nachdem ich mich einige Minuten mit ihm unterhalten hatte, wußte ich, daß es ihm mit dem Kampf ernst war, und daß seinen Motiven sehr wenig Egoismus - wenn überhaupt - zugrundelag. Diese zwanglose Unterhaltung mit Ii'l Bobby war bei diesem Treffen, das sonst mit Spannung geladen war, der einzige Lichtblick für mich. Als ich ein paar Monate später hörte, daß Ii'l Bobby erschossen worden war, hatte ich das Empfinden, es sei einer meiner Brüder gewesen, der von der Polizei in Oakland ermordet worden war. Auf alle Fälle kamen unsere beiden Gruppen zu dem Entschluß, gemeinsam die gesamte Schwarze Freiheitsbewegung an der Westküste zu zwei Massenkundgebungen aufzurufen eine in Nordkalifornien und die andere in Südkalifornien - um zur Feier von Huey Newtons Geburtstag dessen Freilassung zu verlangen.
Der bekannteste politische Gefangene, Huey Newton, war ein wichtiges Symbol der Schwarzen Kampfbereitschaft. Als es noch absolut legal war, in Kalifornien die Waffen offen zu tragen, hatten er und seine Genossen sich bewaffnet, um die Schwarze Gemeinde in Oakland gegen die willkürliche Brutalität der Polizei zu verteidigen. Weil er eine schwere Bedrohung der Staatsautorität darstellte, hatte man ihn so in die Enge getrieben, daß er am Ende eine Kugel im Leib hatte und ein Polizist tot war. Huey sollte wegen Mord der Prozeß gemacht werden. Wir boten alle unsere Kräfte auf, um diese Massenkundgebung zu organisieren und sie zu einem großen Ereignis werden zu lassen. Wir sicherten uns die Unterstützung des Schwarzen Kongresses, und wir sicherten uns, nach einer Reihe von Auseinandersetzungen, die Sportarena für die Versammlung. Wir druckten Tausende von Flugblättern, kauften Anzeigenraum oder baten die Hörfunk- und Fernsehstationen um noch nicht vergebene Zeit. Es war ein aufregender Abend. Obwohl die Menge nicht so groß war, wie wir erwartet hatten, war praktisch die ganze Hauptfläche der Arena besetzt. Die Liste der Redner war eindrucksvoll: Stokeley Carmichael, Rap Brown, Bobby Seale, James Forman, Reis Tijerna, Ron Karenga. Die Bedeutung dieser Versammlung war offensichtlich. Daher war ich von dem Inhalt mancher Rede äußerst bedrückt. Stokeley sprach zum Beispiel vom Sozialismus als »dem Ding des weißen Mannes«. Marx sei ein weißer Mann und daher für die Schwarze Befreiung unwichtig. »Als Schwarze Menschen«, schrie Stokeley, »müssen wir den Sozialismus außer acht lassen, der eine europäische Schöpfung ist, und anfangen, über den afrikanischen Kommunalismus nachzudenken.«
Seine Rede war um so bedrückender, weil ich wußte, daß er im vorigen Sommer in Kuba gewesen und überall, wo er hinkam, aufs wärmste empfangen worden war. Er hatte das kubanische Volk - Schwarz, Braun und weiß - zu seinem großartigen Erfolg im Aufbau des Sozialismus beglückwünscht. Außerdem war ich genau davon unterrichtet, daß er öffentlich erklärt hatte, seine Reise nach Kuba habe ihm eindeutig gezeigt, daß nur der Sozialismus das Schwarze Volk erretten könne. In einem sozialistischen Land, zu Menschen, deren Schwestern und Brüder, Mütter und Väter ihr Leben für die Verteidigung ihrer sozialistischen Revolution geopfert hatten, hatte Stokeley gesagt, er sei überzeugt, daß der Sozialismus auch für sein Volk die Antwort sei. Jetzt, da er zurück war in den Vereinigten Staaten, wo die offizielle Propaganda den Sozialismus weniger populär erscheinen ließ, nahm er opportunistisch die entgegengesetzte Stellung ein. Weil er wußte, wie man eine Rede formuliert, spendeten ihm die Zuhörer Beifall, nicht so sehr für das, was er sagte, sondern wie er es sagte. ich war froh, daß er nicht mehr der Vorsitzende der SNCC war, weil ich nach dieser Rede die Organisation auf der Stelle verlassen hätte.
Die Rede von Rap Brown, der als Vorsitzender der SNCC den Platz von Stokeley eingenommen hatte, war eine der besten des Abends. Ein ernstes Problem war in der ganzen Veranstaltung spürbar. Wir hätten eigentlich zur massenhaften Unterstützung von Huey Newton aufrufen sollen. Aber keine Strategie verfolgte, betonte oder machte diese Forderung schmackhaft. Es gab keine spezifischen, konkreten Vorschläge, die den Anwesenden vorgelegt wurden. Der Beifall für den Aufruf war groß genug, aber wie sollte es weitergehen? Die einzige Antwort darauf war der Slogan »Nur der Himmel setzt uns Grenzen«. Und das hieß, wenn Huey Newton überführt und zum Tode verurteilt wurde, dann konnte die herrschende Klasse darauf gefaßt sein, daß Hunderte von Polizeistationen überfallen, fünfzig Kraftwerke in die Luft gesprengt würden usw. usw. Es war nicht einmal klar, ob die Redner sich anheischig machten, diese Zerstörungen selbst auszuführen oder ob sie die Besucher beschworen, diese Vergeltung zu üben, wenn Huey verurteilt wurde. Was fehlte, war ein klar gezeichneter Aktionsplan, der zeigte, wie man die Massen zum Kampf organisierte, um Huey Newtons Freilassung zu erreichen.
Um diese Zeit wurden auch gegen Rap Brown schwere Beschuldigungen erhoben - die offensichtlich falsch waren und sich auf seine Reden und politischen Aktivitäten bezogen. Er war mit der Auflage, daß er sich im Bezirk von Manhattan aufzuhalten hätte, gegen Kaution freigelassen worden, abgesehen von Reisen zu seinem Anwalt, um sich mit ihm zu beraten. Auch die jetzige Reise hatte eigentlich den Zweck, mit William Kunstler zusammenzutreffen für uns kam sie sehr gelegen, weil Rap vor der Versammlung sprechen konnte, die Hueys Geburtstag feierte. Wir wußten nicht - Rap wußte nicht - daß er nicht sehr weit kommen würde, wenn er Kalifornien verließ. Er wurde von der FBI festgenommen und wieder ins Gefängnis geworfen, diesmal mit einer Kaution von $ 100 000 und zusätzlichen $ 25 000, weil er angeblich einen Beamten bei der Verhaftung beleidigt hatte. Unsere erste Organisationsarbeit an der Basis war daher eine Kampagne, um die Kaution für den Vorsitzenden unserer Organisation aufzutreiben. Wir beschlossen, Unterschriften für die Forderung zu sammeln, daß diese astronomische Summe herabgesetzt würde. Zur gleichen Zeit veranstalteten wir eine Sammlung von Tür zu Tür, um Raps Kaution bezahlen zu können. Schwestern und Brüder wurden eingespannt, um am Wochenende in die Gemeinden zu gehen in Häusern, Kirchen, Gemeinschaftszentren, Einkaufszentren baten wir Leute, ihre Gaben in unsere Sammelbüchsen zu stecken und die Petition zu unterschreiben. Die Bescheidenheit dieser Aktion wurde nur von ihrem Erfolg übertroffen. Als Ergebnis unserer ganztägigen Expeditionen mit unseren Blechbüchsen lockten wir eine beträchtliche Anzahl Schwestern und Brüder in unsere Organisation. Daß wir auf diese Weise die Mitgliederzahl an der Küste erhöhten - abgesehen vom Geld, das wir sammelten und von der Botschaft, die sehr viele Schwarze Menschen in Los Angeles erreichte - war ein bedeutender Gewinn.
Kurz nachdem unsere Kampagne für Rap angelaufen war, eröffneten wir ein Hauptquartier in der Jefferson Avenue, nahe Arlington. Wenn meine Universitätsarbeit für die Woche geleistet war, sprang ich in meinen verbeulten Buick 1958 und brauste über die Straße von La Jolla nach Los Angeles, begab mich geradewegs zum Hauptquartier der SNCC und gesellte mich zu den anderen, um mich dem dringenden Geschäft des Kampfes zu widmen. Wir glaubten, die Energie von Hengsten und die Zuversicht von Adlern zu haben, wenn wir in die Bezirke von Los Angeles stürmten, auf die Straßen, in die Häuser, die Colleges, die Büros - fahrend, gehend, treffend, grüßend. Wir erlebten Höhepunkte der Bruder- und Schwesterschaft, wenn wir offen, frei und allen sichtbar etwas für unsere Leute taten. Das war keine listige Manipulation des Establishment, die durch Kompromisse und Salamitaktik gekennzeichnet ist. Aber es war auch nicht der individuelle Heroismus einer einzigen Person, deren Empörung alle Bande gesprengt hatte. Unser Anliegen war öffentlich, und unsere Verpflichtung gehörte unserem Volk - und für einige von uns unserer Klasse. Die Zeit war tatsächlich in unsere Hand gegeben. Obwohl wir keine einheitliche Ideologie besaßen, obwohl die Methoden, mit denen wir Probleme anpackten, unterschiedlich waren, wußten wir, daß wir uns nicht zu Überlegungen zurückziehen konnten, bis jede Einzelheit zu aller Zufriedenheit ausgearbeitet war, die Flut war nicht mehr aufzuhalten. Wie neue Alchemisten entzündeten wir das Feuer und vertrauten darauf, daß die Hitze unseren Siegesplan läutern würde. Das waren aufregende Zeiten. Das Potential, das wir hatten, um mit der Schwarzen Bevölkerung von Los Angeles eine Massenbewegung aufzubauen, war riesengroß, und wir gingen ohne Zögern ans Werk, indem wir ein umfassenderes Programm ausarbeiteten, an das sich unsere Organisatoren halten sollten. Wir waren auf uns selbst angewiesen. Wegen der Umstände, durch die unsere Mitgliedschaft zustandegekommen war, unterstanden wir nicht direkt der Autorität des nationalen Verbandes der SNCC. Und die Fusion mit den Panthers war praktisch schon wieder aufgelöst. Nach einer kleineren Auseinandersetzung mit Eldridge und seinen Genossen wegen des Geldes, das wir bei der Kundgebung vom 18. Februar gesammelt hatten, verkümmerte die oberflächliche Übereinkunft, die anfangs noch gegolten haben mochte, weil niemand den Wunsch hatte, sie aufrechtzuerhalten. Glücklicherweise verkümmerten auch die offenen Feindseligkeiten. Obwohl wir aus den Organisationserfahrungen der SNCC - besonders im Jahr, als ihr Einfluß im Süden am größten war - zu lernen suchten, fühlten wir uns nicht verpflichtet, uns starr an die Linie oder das Programm zu halten, die von der SNCC entwickelt worden waren. Wie die Dinge lagen, waren wir eine selbständige Organisation. Mit all dem Ungestüm eines Neulings übernahm ich die Aufgabe, Pläne für eine »Freiheitsschule« zu entwerfen, deren Leitung ich nach der Gründung übernehmen sollte.
Gerade zu dieser Zeit, als wir noch an der Kautionskampagne für Rap arbeiteten, hörten wir von einem brutalen Mord, den die Polizei am 18. Februar, dem Tag der Kundgebung, begangen hatte. Eines Abends, als wir im Büro saßen - wenn ich mich recht erinnere, waren Franklin, Bobby Hodges, John Floyd, ich und andere in eine heftige Diskussion über die Bedeutung des Marxismus für den Schwarzen Freiheitskampf vertieft - traten zwei Brüder ein (einer von ihnen war der Schriftsteller Earl Ofari). Sie erzählten uns mit grausiger Ausführlichkeit, wie die Polizei einen achtzehnjährigen Gregory Clark nicht weit von unserem Büro erschlagen hatte. Die Brüder beschworen uns, sofort eine Protestbewegung ins Leben zu rufen. Am nächsten Tag begannen einige von uns den Tatbestand dieser Tötung zu erkunden, und wie sich die Bevölkerung dazu verhielt. Nach der Aussage von Gregorys Familie, seinen Freunden und Zeugen des Vorfalls war Folgendes geschehen: An einem warmen Nachmittag iin Februar fuhren Gregory Clark und ein Freund in einem neuen Modell eines Ford-Mustang auf dem Washington Boulevard spazieren. Sie tranken Sodagetränke aus Dosen, die mit braunen Papiertüten umwickelt waren. Als sie die Vineyard Street erreichten, wurden sie von einem Polizeibeamten der Stadt Los Angeles zum Halten am Bürgersteig aufgefordert, der ihnen sagte, sie sähen nicht aus, als »paßten« sie in das Auto, das sie fuhren. Als er dann die braunen Tüten sah, beschuldigte er sie ohne die Spur eines Beweises, daß sie beim Fahren Bier getrunken hätten. Die beiden Brüder protestierten, sagten die Zeugen. Sie hatten die Zulassung als Beweis, daß sie den Wagen nicht gestohlen hatten, und die Dosen waren in sich ein Beweis, was sie getrunken hatten. Aber der Polizist, Warren B. Carleson, weigerte sich, die Erklärungen anzuhören. Er hörte nichts anderes, als daß Nigger einem weißen Mann in Uniform widersprachen. Er forderte sie auf, auszusteigen und schickte sich an, ihnen Handschellen anzulegen. Vielleicht erhob Gregory seine Stimme im Protest. Vielleicht riß er die Hand los, um zu verhindern, daß sie gefesselt wurde. Vielleicht tat er auch nichts. Auf alle Fälle gab es ein kurzes Handgemenge, bevor der Polizist die Handschellen um seine Gelenke schloß. Das Opfer war gefangen, aber damit hatte Carleson nicht genug. Nach Aussage derer, die den Zusammenstoß beobachtet hatten, schlug er Gregory Clark auf dem Bürgersteig zu Boden, und als dieser mit dem Gesicht zum Boden und die Hände auf dem Rücken gefesselt dalag, schoß ihn Carleson mit einem .38 Revolver in den Hinterkopf.
Als ich an der Ecke von Washington und Vineyard stand und auf die zwei Wochen alten Blutflecken auf dem Bürgersteig starrte, erlebte ich die Szene in ihrer ursprünglichen Scheußlichkeit. Aber der Schmerz und die Wut als solche bedeuteten nichts. Was not tat, war ein organisierter Kampf. Über hundert Menschen kamen zu der Versammlung der Bürgerschaft, die wir einberiefen. Sie hörten gespannt zu, als die Zeugen des Mordes erzählten, was sie gesehen hatten. Die Bürger stimmten eifrig unserem Vorschlag zu, als wir Abgesandte zur gerichtlichen Leichenschau schicken wollten, die für die amtlichen Stellen entscheiden sollten, ob gegen den Polizisten Anklage erhoben werden sollte, oder ob die Tat der legitime Ausdruck seiner Pflicht als »Friedensbeamter« war. Wir glaubten nicht, daß wir zu dieser Zeit stark genug waren, um das Ergebnis der Leichenschau allein durch unsere Anwesenheit zu beeinflussen. Höchst wahrscheinlich würde der Befund lauten, die Tötung von Gregory Clark sei ein »rechtlich vertretbarer Totschlag« gewesen. Aber das Erscheinen einer großen Anzahl von Menschen würde bestimmt die herrschenden Cliquen erkennen lassen, daß wir uns zur Schlacht rüsteten. Die Szene verlief, wie wir vorausgesehen hatten: die Kommission glaubte Carleson seine Darstellung des Vorfalls: er habe Angst gehabt, und in dem Glauben, daß Gregory Clark bewaffnet sei (liegend mit auf dem Rücken gefesselten Händen?) habe er ihn in Notwehr erschossen. Das Urteil: rechtlich vertretbarer Totschlag. Und doch, es war ein halber Sieg: die Flugblätter, die wir in der Bürgerschaft verteilt hatten, unsere Anwesenheit bei der Leichenschau. Dadurch daß wir versprachen, den Fall von Gregory Clark bloßzustellen, geriet die Polizei von Los Angeles in Bedrängnis. Wir hatten Leute ausgesandt, die Carleson in seinem Revier aufstöbern und für unsere Pamphlete fotografieren sollten, aber man hielt ihn versteckt. Am selben Abend wurde Carleson von einer der größeren Fernsehstationen befragt und gezwungen, vor den Augen Tausender seine Tat zu rechtfertigen, und dabei machte unser Fotograf eine Aufnahme von ihm, die wir benutzten, um zu einem Volkstribunal aufzurufen. Carleson sollte von den Leuten gerichtet werden, gegen die er sich vergangen hatte. Die Schwestern und Brüder, die sich auf Grund der von uns angeführten Proteste der SNCC angeschlossen hatten, konstituierten sich als Volkstribunal. Für den Prozeß, der im South Park stattfinden sollte, wurde ein Datum anberaumt. Während einige von uns die »Anwälte«, »Richter« und sonstigen Persönlichkeiten aussuchten, die wichtige Rollen im Prozeß spielen sollten, verfaßten andere Mitglieder der SNCC und des Tribunals das schriftliche Material und ließ es drucken. Ich war in der Propagandaabteilung. Von all dem Material, das wir anfertigten, galt mein größter Stolz dem Plakat mit Carlesons Bild, das vom Bildschirm aufgenommen war. Hätten wir mit Vorbedacht das Bild eines typischen »rassistischen Schweins« gesucht, so hätten wir's nicht besser treffen können. Carlesons Seele enthüllte sich ganz in seinem Gesicht. In großen breiten Buchstaben stand quer über dem Plakat das Wort »Gesucht«. Unter dem Bild stand die Beschreibung: »Polizist von Los Angeles wegen Mord an Bruder Gregory Clark.« Die Plakate wurden im ganzen Schwarzen Bezirk angeschlagen - die Nachbarschaft, wo der Bruder getötet worden war, war von ihnen überschwemmt. Tatsachenberichte über den Fall und Flugblätter, die den Prozeß bekannt machten, wurden verteilt von Tür zu Tür, nach Arbeitsschluß an den Fabriken, in Kirchen und wo sonst Schwarze Menschen zu finden waren. Als Frucht unserer Arbeit konnten wir verbuchen, daß der Fall von Gregory Clark tief in das Bewußtsein der Bürger gedrungen war und sich beim Volkstribunal eine sehr große Menge einfand. Die Anklage vertrat Ben Wyatt, ein Schwarzer Anwalt und Aktivist in der Schwarzen Gemeinde. Niemand wollte die Rolle des Verteidigers übernehmen, aber schließlich nahm sich Deacon Alexander - Franklins Bruder - dieser wenig beneidenswerten Aufgabe an.
Das Richterkollegium bestand aus einer Anzahl Menschen, die alle in der Schwarzen Gemeinschaft aktiv waren und alle Organisationen vertraten, die zu den Fürsprechern der Schwarzen Befreiung zählten. Wenn uns jemand vorwarf, daß wir einseitig eingestellt waren, so erhoben wir keinen Anspruch auf Unparteilichkeit. Wir machten nicht den Versuch, nach dem Rechtssystem der Bourgeois zu verfahren, das seine Klassen- und Rassenvorurteile hinter sinnlosen Formalitäten und leeren Phrasen über die Demokratie verbirgt. Wir verlangten Gerechtigkeit - und dafür mußten die Schwarzen Menschen herausfordernd und leidenschaftlich sein. Wie konnten wir ernsthaft die Rolle des unparteiischen Beobachters spielen, nachdem wir Hunderte von Jahren unablässig eine einseitig orientierte Bestialität und Gewalt erduldet hatten?
Die Zeugen wurden aufgerufen; sie machten ihre Aussage über die Ereignisse, die zu Gregorys Tod geführt und sich danach begeben hatten. Andere Zeugen wurden aufgerufen, um ein »Sachverständigengutachten« über den unbändigen Rassismus der Polizei von Los Angeles abzugeben. Frühere Morde der Polizei in der Schwarzen Gemeinde wurden Punkt für Punkt dokumentiert und daraus ein Teppich rassistischer Greueltaten gewoben. Im Mittelpunkt dieses Teppichs stand Gregory Clark, dessen Mörder hochmütig schrie »Notwehr«. Wir machten Carlesoti den Prozeß und überführten ihn - nicht als Urheber und einzigen Täter dieses Verbrechens, sondern weil er ein allzu bereitwilliger Komplize in dem Routinegeschäft eines rassistischen Systems gewesen war. Warren B. Carleson hatte nicht allein gehandelt; er hatte dem System geholfen, auf seiner Liste ein weiteres Opfer einzutragen. Und dafür verdiente er die Höchststrafe.
»Ihr habt die Beweiserhebung gegen den Angeklagten gehört und habt auch seine Verteidigung gehört. Ist das Volk bereit, das Urteil zu sprechen?«
»Schuldig, schuldig, schuldig!« dröhnten die Zuhörer, und ihr einstimmiger donnernder Schuldspruch durchfuhr den Park wie ein Geschoß. Es hätte dem Prozeß die Spitze abgebrochen, wenn man ihn mit der bloßen Verkündung des Strafmaßes beendet hätte, aber wir konnten die Strafe nicht vollziehen, ohne dadurch unseren kollektiven Kampf fortzusetzen. Wir richteten daher an das Tribunal den Vorschlag, den Magistrat, und vor allem dessen Schwarze Mitglieder, unter Druck zu setzen, daß Carleson wegen Mordes vor Gericht gestellt würde. Um den Ernst unserer Forderung zu unterstreichen, wollten wir Hunderte, wenn möglich Tausende von Menschen zum Rathaus bringen; Menschen, die fordern sollten, daß das auf »schuldig« lautende Volksurteil gebührend berücksichtigt würde. Es war zu wenig. Nach all der Erregung, dem Hochgefühl der Kraft, dem Widerstandswillen, der durch den Prozeß entflammt war, schien der Vorschlag zu konservativ. »Tod! Tod!« schrie eine Gruppe von Leuten. Andere stimmten zu. »Tod dem Schwein«, fuhren manche Brüder fort zu schreien. Laßt uns einen Ausschuß einsetzen, der das Urteil vollzieht, sagten sie. Sie meldeten sich freiwillig. Die Wut hatte diese Brüder in eine verzweifelte Phantasiewelt entrückt. Ich verstand ihre Gefühle. Als ich Gregory Clarks Blut auf dem Bürgersteig sah, hatte die Wut meine Instinkte in genau dieselbe Richtung gezogen. Da ich aber den wahren Wert einer Massenaktion verstand, hatte ich etwas anderes, worauf ich mich stützen konnte, etwas was meinen Zorn aufnahm und auf die richtige Bahn lenkte. In der Masse herrschte Chaos. Die Reaktionen waren teilweise das Produkt aufgestauter Frustrationen, die sich auf die schnellste Art entladen wollten. Sie waren teilweise das Ergebnis einer bewußten Aufstachelung durch die Bewegung »Nimm dir ein Gewehr«, vielleicht auch unterstützt von agents provocateurs, die unter uns geschickt worden waren, um die Veranstaltung zu sprengen. Es war Franklin, der alles wieder zusammenholte. Er hatte in tadelloser Weise den Vorsitz über das Tribunal geführt, und dieser Tumult war die schwerste Feuerprobe für seine Fähigkeit, Menschenmassen zu führen. Es war staunenswert, wie er alle Stücke dieser Versammlung auflas und sie zu einem Ganzen zusammenschweißte.
Er ging mit dem Volke mit, identifizierte sich mit seinem Verlangen, die Gerechtigkeit, die es verlangte, schnell zu schaffen. Er erklärte die Tatsache, daß wir zwar an Stärke zunahmen, aber das Gleichgewicht der Kräfte noch immer überwältigend die Seite des Feindes begünstigte. Sie würde sich nicht ändern, bis wir immer größere Massen von Menschen in unsere Bewegung einbeziehen könnten. Das würde denen am meisten Eindruck machen, die behaupteten, unsere Herrscher zu sein. Daher müsse es unsere Strategie sein, immer größere Mengen unserer Leute zu erreichen und auf unsere Seite zu ziehen. Als schließlich Franklin so weit war, das Tribunal zu schließen, waren die Menschen voller Einverständnis und Beifall für den Plan, daß wir uns zum Rathaus begeben sollten, um unsere Forderungen dort niederzulegen. Seine bewundernswerte Gabe, die Menschen anzusprechen, machte mir einen tiefen Eindruck, nicht nur mir als Individuum, sondern auch - und mehr noch - als Kommunistin. Die Achtung, die er sich errungen hatte, die Klarheit seiner Erklärung und die kraftvolle Art, wie er sie vorbrachte, wurzelten in jahrelanger Erfahrung, die er als Mitglied der kommunistischen Partei angesammelt hatte.

4. April 1968

Ich verbrachte den Morgen im Büro der SNCC. Am Nachmittag begab ich mich nach Los Angeles zum Verein für die Verteidigung der Menschenrechte, um mir einiges Material anzusehen, das ich drucken lassen wollte. Der normale Verlauf dieses Donnerstags wurde von einem Schrei zerrissen: »Man hat auf Martin Luther King geschossen!« Steinerner Unglaube ließ mein Gesicht erstarren. Er war am Kopf verwundet, die Wunde stammte von einem weißen Attentäter, und die Hoffnung, daß er am Leben bleiben würde, war gering. Mein Unglaube wich der Trauer, so daß ich mich im Augenblick sehr hilflos fühlte, als müsse ich versinken. Ein vages Schuldgefühl befiel mich. Wir hatten Martin Luther King scharf kritisiert, weil er so starr für die Gewaltlosigkeit eintrat. Manche von uns hatten unseligerweise angenommen, daß seine Religion, seine philosophische Gewaltlosigkeit und seine Konzentration auf die »Bürgerrechte« - die im Gegensatz zum größeren Freiheitskampf standen - seine Führung zur Harmlosigkeit verdammt hätten.
Niemals hätte einer von uns vorausgeahnt, daß er von der Kugel eines Attentäters niedergestreckt werden wurde. Niemals hätte einer von uns vorausgeahnt, daß er unseren Schutz gebraucht hätte. Wir hatten sicher nicht eingesehen, daß seine neue Auffassung vom Kampf - der arme Leute aller Hautfarben, der die Unterdrückten der ganzen Welt einbezog - in irgendeiner Weise dem Feind bedrohlich erscheinen könnte. Es war kein Zufall, dachte ich, daß er gerade an jenem Tage mit streikenden Müllkutschern auf der Straße marschiert war. Als ich wieder im Büro der SNCC war, konnte mein Zorn und meine Trauer über den Tod von Dr. King den angemessenen Ausdruck finden - den kollektiven Ausdruck. Mit den Genossen der SNCC besprach ich, wie wir zurückschlagen sollten. Viele Menschen in der Gemeinde würden von uns, der SNCC von Los Angeles, Führung erwarten. Wir würden alle geistigen und körperlichen Kräfte brauchen, die wir finden konnten. Die Krise um Kings Ermordung war genau in dem Moment ausgebrochen, als wir ernste Probleme in unserem eigenen Kader hatten, in dem einige Fernsehrevolutionäre sein und die Massen mit militanter Rhetorik aufpeitschen wollten - aber die unromantische tagtägliche Arbeit, um eine dauerhafte Organisation aufzubauen, sagte ihnen nicht zu. Seit dem Volkstribunal hatte sich Franklin als fähigster Führer aller unserer Kader erwiesen. Seine Durchschlagskraft und sein Magnetismus erregten den Neid der Hollywood Revolutionäre und gaben den Anstoß zu anti-kommunistischen Unterströmungen, die unsere interne Lage zusätzlich kompliziert hatten.
Aber wenn wir nicht sofort handelten, würden wir in unseren Pflichten gegenüber der Schwarzen Gemeinschaft versagen. Franklin war verreist. Er hatte sich die verhältnismäßige Ruhe um Los Angeles zunutze gemacht, um Kendra aufzusuchen, die eine Ideologische Schule für den Kader der Kommunistischen Partei in New York besuchte. Als der Mord stattfand, war er quer über den Kontinent unterwegs er rief uns von Chicago an und fragte, was er tun solle. Wir baten ihn, umzudrehen und nach Los Angeles zurückzukehren. In dieser Nacht wimmelte es in New York in den Stadtteilen Harlem und Bedford-Stuyvesant von zornigen jungen Schwarzen, die weiße Geschäfte mit Steinen und Flaschen angriffen - und von Polizei, die ausgesandt war, um sie zu bändigen. Raleigh in North Carolina befand sich im Aufruhr, und Jackson, Mississippi, und Nashville, Tennessee, standen dicht vor der Explosion. Ghettos in allen Teilen von Los Angeles konnten leicht auf den Siedepunkt gebracht werden und den August 1965 von neuem aufleben lassen. Wir wußten, daß gewisse Elemente die spontane Entladung der kollektiven Frustration und Verzweiflung befürworteten und dadurch direkt in die Hände der Polizei spielten, denn wir waren sicher, daß die Polizei von Los Angeles nur zu gern die Gelegenheit wahrnehmen würde, ihre neue »Aufruhr-Ausrüstung« auszuprobieren. Jeder Schwarze Mensch, der über den Mord an Martin Luther King verstört zu sein schien, könnte als mögliches Ziel eines Angriffs dienen. Da viele Beamte der Polizei von Los Angeles aus dem tiefen Süden stammten, galt sie als die gehässigste im ganzen Land - und, was wichtiger war, die am besten ausgerüstete.
Ein physischer Zusammenstoß mußte vermieden werden, denn das hätte den Untergang der Schwarzen Gemeinschaft bedeutet. Dennoch durfte man den brennenden Wunsch, sich zur Wehr zu setzen, nicht ungenutzt lassen - man mußte ihn in politische Kanäle leiten. Wir brauchten eine politische Massenkundgebung, um den Ruf nach einem erneuten, intensiven Kampf gegen den Rassismus zu erheben: Rassismus war der Mörder an Martin Luther King, und es war der Rassismus, dem man zu Leibe mußte. Der Schwarze Kongreß gab seine Zustimmung zu dieser Auffassung. Alle Mitgliederorganisationen kamen überein, auf einer Massenkundgebung zu einem verstärkten Kampf gegen den Rassismus aufzurufen. Inzwischen mußten wir in steigendem Maße Massenaktivitäten entwickeln, die in der großen Kundgebung gipfeln sollten. Die Gemeinschaft mußte in Bewegung gehalten werden, ohne so weit getrieben zu werden, daß sie explodierte. Am Tag nach dem Attentat rekrutierten wir Schüler der höheren Schulen zur Mitarbeit an unserem Feldzug. Sie sollten unserem Volk die Gründe für den Mord erklären und Flugblätter verteilen, in denen wir zu einer Versammlung in der 2. Baptistenkirche aufriefen.
Unsere Vervielfältigungsmaschinen rollten vierundzwanzig Stunden am Tag und druckten die Flugblätter, die von Hunderten von Schülern verteilt werden sollten. Die Schüler warteten zu jeder Zeit des Tages vor unserem Büro. Einige Leute warfen uns vor, daß wir die Gemeinschaft »beruhigen« wollten und angesichts der Tatsache der Ermordung eine konservative Haltung einnahmen. Diese Vorwürfe stammten von denen, die eine sofortige Rebellion wünschten. Unsere Strategie erwies sich jedoch als richtig, denn am Tag nach dem Mord war die Polizei ihrerseits bereit, eine Rebellion zu provozieren. Die Späher, die wir ausschickten, um die Stimmung der Gemeinschaft zu erkunden, kehrten mit Berichten zurück, daß die Polizei in der ganzen Stadt provozierte. Maschinengewehre waren auf den größeren Polizeistationen der Ghettos in Stellung gebracht; die Schützen waren dauernd auf dem Posten. Am Abend kam ein jüngerer Bruder mit blutüberströrntem Gesicht in unser Büro und erzählte uns, er sei auf der anderen Seite der Stadt von der Polizei verprügelt und dann vor unserem Büro abgesetzt worden. Wir kümmerten uns um seine Wunden und sahen zu, daß er nach Hause kam.
Die Spannung wuchs; uns war, als stünden wir auf einem brodelnden Vulkan, der jederzeit ausbrechen könnte. Am 5. April, dem Tag nach dem Mord, hatte Lyndon B. Johnson dem Verteidigungsminister die Anweisung gegeben, alle Kräfte aufzubieten, die notwendig waren, um »Recht und Ordnung« zu sichern. Am 6. April waren im ganzen Lande 20 Menschen tot: neun in Chicago, fünf in Washington, zwei in Detroit und je einer in New York, Tallahassee, Minneapolis und Memphis - wo der Mord stattgefunden hatte. Tausende waren verwundet, und zweitausend festgenommen. Dreiundzwanzig Städte waren in Aufruhr. An dem Abend, an dem unsere Versammlung in der 2. Baptistenkirche stattfand, ließen wir drei Brüder von unserer Sicherheitstruppe zur Wache in unserem Büro. Die Lage war sehr gespannt; alles war mÖglich. Die Brüder sollten uns gegen die blinde Wut der Polizei schützen. Es war ein erstes Alarmzeichen, daß sich niemand meldete, als wir bei unserer Rückkehr von der Versammlung klopften. Bobby und ich wollten schon auf die Brüder zornig werden, weil sie in einem so kritischen Augenblick ihren Posten verlassen hatten. Aber wir wußten, daß sie absolut zuverlässig waren - es war nicht wahrscheinlich, daß sie das Büro unbewacht gelassen hätten. Die Vordertür war unverschlossen - etwas stimmte nicht. Drinnen waren Stühle umgeworfen, das Propagandamaterial war aus den Regalen gerissen und über den ganzen Boden verstreut, und unser Plakat für Rap Brown war in Fetzen gerissen. Im Vervielfältigungsraum waren die Trommeln unserer Maschinen mit Glasscherben zerschnitten. Tinte war wahllos über den Boden und die Wände verspritzt. Innerhalb von wenigen Minuten kamen die beiden Frauen, die das Restaurant nebenan betrieben, in das Büro gestürzt. Sie erzählten uns, daß etwa fünfzehn schwarz-weiße Polizeiautos vor dem Büro vorgefahren wären. Einige Polizisten wären zum Hintereingang gegangen. Wir sahen, daß man die Tür mit einer Axt eingeschlagen hatte. Nach der Darstellung der beiden Schwestern hatte die Polizei etwa zehn Minuten später unsere drei Brüder aus der Vordertür abgeführt. Man hatte sie in ein Polizeiauto gestoßen und sei davongebraust.
Es war kein Zufall, daß sie unsere Vervielfältigungsmaschinen demoliert hatten. Die Arbeit unserer Organisation war in erster Linie Erziehungsarbeit. Wir hatten gerade Hunderttausende von Flugblättern gedruckt, in denen wir gegen den Mord an Dr. King protestierten, die rassistischen Kräfte, die hinter dem Mord standen, bloßstellten und Vorschläge machten, wie wir unseren Widerstand bekunden sollten. Obwohl die herrschenden Kreise das nicht oft zugaben, fürchteten sie diese erzieherische Methode weit mehr als die rhetorischen Drohungen wie »Weg mit den Schweinen«. Sie wußten, daß es unsere Strategie war, die Massen zu organisieren, und daß eine immer größere Zahl von Menschen auf unser Wissen und unsere Führung vertraute. Wir erholten uns vom ersten Schock und unterdrückten unsere Wut lange genug, um den Schaden genauer zu besichtigen und die Räder in Bewegung zu setzen, um die Kaution für unsere Brüder aufzubringen. Einer schlug vor, daß wir essen sollten und machte unter dem großen Topf mit Spaghetti, die wir früher am Tag gekocht hatten, das Feuer an. Wir verteilten Eßnäpfe und fingen an zu essen, als einer ausrief: »He, da ist ein Nagel in den Spaghetti!« Das stimmte. Reißnägel waren in seinem Essen ebenso wie in den anderen Eßnäpfen - die Polizei hatte sie in den Topf eingerührt, als sie in unser Büro einbrach. Wir beschlossen, das Büro so zu lassen, wie es war, mitsamt dem Topf Spaghetti auf dem Herd, und für den nächsten Morgen eine Pressekonferenz einzuberufen. Damit die Presse mit eigenen Augen sehen konnte, wie widerlich die »tapfere« Polizei arbeitete.
Ende April 1968 war die SNCC von Los Angeles knapp zwei Monate alt. Aber sie hatte sich zu einer der wichtigsten Organisationen in der Schwarzen Gemeinschaft von Los Angeles gemausert. Der Tribunalausschuß unserer Leute, der immer noch im Fall von Gregory Clark tätig war, befaßte sich mit polizeilicher Brutalität und Unterdrückung. Wir hatten eine Jugendorganisation aufgebaut - das SNCC Jugendkorps - die mehr als fünfzig aktive Mitglieder angeworben hatte, und die Schule der Freiheit, die unter meiner Leitung stand, brachte, jedesmal, wenn sie ein Treffen veranstaltete, Dutzende von Leuten auf die Beine. Unser Telefon war dauernd am Läuten; es waren immer Menschen, die von Akten der Diskriminierung und der Unterdrückung berichteten und um unsere Anleitung baten, wie man ihnen begegnen könne. Das Büro war fast nie leer: es war ein Ort, wo die Leute hören wollten, wie es um den Kampf stand und wie sie daran teilnehmen konnten. Als die Organisation stärker wurde, wurden die wahrhaft engagierten Kader von jenen Mitgliedern des Stabes getrennt, die zwar Anerkennung für den Aufbau der SNCC haben wollten, aber nicht die Verantwortung. Ursprünglich waren im zentralen Stab sechs Männer und drei Frauen gewesen. Die drei Frauen - Bobbie, Rene und ich - hatten immer unverhältnismäßig viel dazu beigetragen, das Büro und die Organisation in Schuß zu halten. Jetzt leisteten nur noch zwei Männer wichtige Arbeit in der Organisation - Franklin natürlich und ein Bruder namens Frank, der die Sicherheit und das Jugendkorps betreute. Bobby, Rene und ich arbeiteten ganzzeitlich.
Manche der Brüder kamen nur (manchmal) für Stabsbesprechungen, und immer wenn wir Frauen mit etwas Wichtigem beschäftigt waren, begannen sie davon zu reden, daß die Frauen »die Organisation an sich rissen« - sie nannten es einen matriarchalischen coup d'état. Alle Mythen über die Schwarzen Frauen wurden hochgespült. Bobbie, Rene und ich seien zu herrschsüchtig; wir versuchten, alles zu kontrollieren, einschließlich der Männer - und das bedeutete, wenn man es weiter faßte, daß wir sie ihrer Mannheit berauben wollten. Dadurch, daß wir eine so führende Rolle in der Organisation spielten, behaupteten einige, halfen wir dem Feind, der die Schwarzen Männer schwach sehen wollte und unfähig sich zu behaupten. Diese Verteufelung war besonders bitter, weil wir eine der wenigen Organisationen in der Schwarzen Freiheitsfront von Los Angeles und wahrscheinlich vom ganzen Lande waren, in der Frauen eine führende Rolle spielten. Es war eine Zeit, in der gewisse nationalistische Gruppen durch den bedauerlichen Entschluß gekennzeichnet waren, die Frauen in den Hintergrund zu schieben. Die Brüder, die gegen uns waren, stützten sich weitgehend auf diese Tendenz der männlichen Überlegenheit, die sich durch die Bewegung hindurchzog, obwohl sicherlich einige von ihnen genügend politische Reife besaßen, um das Reaktionäre in dieser Tendenz zu erkennen. Schließlich war es eine Stimme aus der Regierung Johnsons gewesen, Daniel Moynihan, die 1966 die Theorie des sklavereibedingten Schwarzen Matriarchats wieder aufgebracht hatte, die besagte, daß die beherrschende Stellung der Schwarzen Frau in der Familie und darüber hinaus in der Gemeinde einer der Hauptgründe für den jämmerlichen Zustand der Schwarzen Gemeinschaft sei.
Die Brüder wußten das; sie wußten auch, daß Bobbie, Rene und ich, gemeinsam mit Franklin und Frank, nur deshalb die Führung der SNCC übernommen hatten, weil ihr eigener Einsatz so mangelhaft war. Trotzdem waren sie entschlossen, es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Ich wußte, daß die Dinge schlecht standen, daß wir an der Kippe von etwas Schlimmen, vielleicht sogar Vernichtendem standen. Aber ich wußte nicht, daß sich dieses Geplänkel zu offenen Feindseligkeiten ausweiten würde.
Franklin und Frank kämpften natürlich auf unserer Seite. Als die Arbeit der Organisation erlahmte, weil sie durch diesen inneren Streit ungünstig beeinflußt war, beschlossen wir, das Hauptquartier der SNCC in New York zu Hilfe zu rufen. Forman war außer Landes; ein anderes Mitglied des nationalen Stabes sagte, er wolle zu uns kommen. Aber als er erschien, interessierte er sich nicht so sehr für die besonderen Schwierigkeiten, wegen deren wir ihn gerufen hatten, als im allgemeinen für die Qualität der Arbeit, die wir in Los Angeles leisteten. Er behandelte unser Problem der männlich-weiblichen politischen Beziehungen sehr von oben herab und sagte, es sei nicht wichtig genug, um eine gesonderte Diskussion zu erfordern. Diese Dinge würden sich regeln, sagte er, wenn wir mit anderen Problemen zu tun hätten. Worüber dieser Bruder sprechen wollte, war die große Diskrepanz zwischen unserer Organisation und den anderen Ortsgruppen der SNCC im ganzen Land, und besonders dem riationalen Hauptquartier in New York. Damit hatte er selbstverständlich recht. Wir hatten unsere eigene Strategie und unser Programm ohne Rücksicht auf die Richtlinien der New Yorker SNCC ausgearbeitet. Tatsächlich hatte die nationale SNCC bei uns fast nichts anderes eingebracht als die Genehmigung, den Namen zu benutzen, und den anfänglichen Rat, den wir von Forman erhielten. Der Bruder aus New York beklagte sich, daß das Büro nicht »geschäftsmäßig« geführt würde, zu viele Leute »lungerten rum«, die nicht am Schreibtisch säßen. Wir erfüllten nicht, was eigentlich eine unserer vornehmsten Pflichten sein sollte: für die nationale Organisation Geld zu sammeln. Er tadelte uns, weil wir nicht genug Cocktail-Parties in den Stadtvierteln auf den Hügeln veranstalteten, wo die Wohlhabenderen unserer Bevölkerung überredet werden könnten, ihren Wohlstand mit der SNCC zu teilen. Ich wurde persönlich wegen der Kurse kritisiert, die ich in den Lehrplan der Freiheitsschule aufgenommen hatte. Während ich die Schule als ein Mittel betrachtete, das Bewußtsein zu wecken, als etwas, was der Gemeinschaft politische Erziehung angedeihen ließ, meinte der Bruder von New York, sie solle im wesentlichen darauf ausgerichtet werden, der Gemeinschaft Facharbeit beizubringen - Facharbeit wie die Reparatur von Radio- und Fernsehgeräten und die Programmierung von Komputern.
Die Schule, sagte er, solle als Werkzeug für den Existenzkampf dienen; sie solle den Menschen das Wissen beibringen, das sie brauchten, um Arbeit zu kriegen. Bei dem auf kritische Weise geringen Angebot an Arbeit, und besonders gelernter Arbeit in den Schwarzen Gemeinschaften, war es jedenfalls nicht die Aufgabe der Freiheitsschule der SNCC, Handwerksunterricht zu erteilen. Ich sah die Schule, der ich vorstand, als einen Ort, wo politisches Verständnis geschaffen und geschärft wurde, wo sich das Bewußtsein artikulierte und in eine revolutionäre Richtung gelenkt wurde. Daher lehrte ich, zusammen mit anderen, Kurse über folgende Themen: Aktuelle Entwicklungen in der Schwarzen Bewegung, Freiheitsbewegungen in der dritten Welt und Methoden der Gemeinschaftsorganisation.
Der Abgesandte des Hauptquartiers kritisierte auch, daß ich Kurse aufgenommen hatte, die marxistisches Gedankengut betrafen. Schließlich hätten die Schwarzen Menschen Angst vor dem Kommunismus, sagte er; sie schreckten von der Organisation zurück, wenn sie glaubten, daß da Kommunisten am Werk seien. Das war das erste Signal, daß ein entscheidendes Kesseltreiben gegen Franklin geplant war. Nach einer Veranstaltung zur Beschaffung von Geldmitteln, die noch in Anwesenheit des Bruders in Los Angeles stattfand (wir arrangierten solche Veranstaltungen, um unsere eigenen Ausgaben zu decken), lud Franklin einige Brüder von der Sicherungstruppe in seine Wohnung ein. Sie hatten sowohl das eingenommene Geld als auch die Waffen, um es zu schützen. Unter dem Vorwand, daß in der Wohnung gelärmt wurde, brach die Polizei ein, verhaftete alle Brüder, konfiszierte das Geld und die Waffen (die alle durch einen Waffenschein gedeckt waren) und beschuldigte sie des bewaffneten Raubüberfalls. Es war nicht schwer, das Motiv dieses scheinbar willkürlichen überfalls zu erkennen. Für den nächsten Morgen war nämlich eine Kundgebung vor dem Rathaus angesetzt, um eine Reihe von Zusammenstößen mit dem Magistrat wegen des Falles von Gregory Clark zum Austrag zu bringen. Franklin sollte die Seele dieser Kundgebung sein. Man erwartete einen großen Menschenauflauf, und die Polizei hoffte, der Kundgebung den Stachel zu nehmen, wenn sie Franklin ins Gefängnis warf. Die Vorführung vor den Ermittlungsrichter sollte zur selben Zeit stattfinden wie die Kundgebung, und es bestand keine Aussicht, ihn an jenem Montag morgen vor dieser Vorführung gegen Kaution freizukriegen.
Zweifellos erwartete die Polizei, daß wir die Kundgebung absagen würden - und dachte wahrscheinlich, daß sich, wenn wir's nicht taten, der Ausschuß des Volkstribunals mit dem Versuch, diese Kundgebung in Abwesenheit seines Führers durchzuziehen, eine Niederlage einhandeln würde. An jenem Morgen beschlossen die Menschen, die sich zur Kundgebung zusammengefunden hatten, fast spontan, die Demonstration vor das Gerichtsgebäude auf der anderen Straßenseite zu verlegen und die sofortige Freilassung Franklins zu verlangen. Die hitzige Menge strömte in die Hallen des Gerichtsgebäudes und füllte den Saal, in dem die Vorführung stattfinden sollte, bis auf den letzten Platz. Ohne ein Wort der Erklärung verkündete der Richter plötzlich, daß er alte Anklagepunkte gegen Franklin und die anderen Brüder fallenließe. Franklin war ungewaschen und unrasiert, und es war leicht zu erkennen, daß er während der Nacht im Gefängnis nicht geschlafen hatte. Trotzdem leitete er die Kundgebung mit gewohntem Elan, und es schien, daß die Menschen sich noch kriegerischer verhielten, als wenn die Polizei nicht versucht hätte einzugreifen. Nachdem sie die Wirkung ihrer kollektiven Macht erlebt hatte - daß nämlich Franklin auf ihre Forderung hin freigelassen worden war - lüstete sie nach Kampf für andere derartige Siege.
Am nächsten Tag veröffentlichte die Los Angeles Times einen ausführlichen Artikel über die Kundgebung und die Mittel, mit denen Franklins Freilassung erreicht worden war. In dem Artikel wurde Franklin als maoistischer Kommunist bezeichnet. Als Mitglied der Kommunistischen Partei der USA war Franklin selbstverständlich kein Maoist. Aber der Bruder aus New York war von dieser Bezeichnung wie hypnotisiert, obwohl er wußte, daß sie nicht zutraf. Ich vermute, daß es ihm gleich war, welche Art Kommunist Franklin war. Es war die Tatsache, daß er überhaupt ein Kommunist war und daß die Nachrichtenmedien das herausgestellt hatten, die ihn so sehr störte.
Der Artikel in der Times veranlaßte ihn, eine Sitzung des Stabes und anderer Angestellter der SNCC einzuberufen. Wie ich später erfuhr, waren gewisse Mitglieder des Stabes schon informiert, daß man bei der Sitzung darüber diskutieren wollte, ob es ratsam sei, einen Kommunisten eine führende Rolle in der Organisation spielen zu lassen. Mich hatte man nicht informiert, denn man wußte, wo meine Politik und meine Loyalität angesiedelt waren.
Die Darstellung des Vertreters der SNCC vor den Anwesenden war ebenso einfach wie opportunistisch. Die SNCC konnte es sich schlechthin nicht leisten, mit Kommunisten verbunden zu sein. Wenn man Franklin erlaubt hatte, eine so »sichtbare« Rolle in der Organisation zu spielen, so sei das ein Fehler gewesen, vor allem da man New York nicht erst um Rat gefragt hätte. Er verhänge den Ausschluß über Franklin, so sagte er mit Nachdruck, in übereinstimmung mit den Richtlinien der nationalen Organisation, und ordne außerdem an, daß das Büro und das Programm von allen Spuren des Kommunismus oder Marxismus gesäubert werden sollten. Schweigen. Sollte das ein Wiederaufleben der Säuberungen McCarthys sein? Franklins Bruder Deacon und ich waren die einzigen, die sich diesem Schachzug widersetzten. Und wir waren nur ein kleiner Bruchteil derer, die anwesend waren. Offenbar steckte ein schlimmer Defekt in der Organisation, die wir aufgebaut hatten, wenn ein Mann aus dem New Yorker Büro hereinschneien und die führende Figur aus unserer Mitte ausstoßen konnte, ohne daß sich auch nur ein schwacher Widerstand regte. Oder war die Furcht vor dem Kommunismus so mächtig, daß sie zur Kompromittierung unserer Grundsätze und zu Zugeständnissen in allen Dingen führen konnte, die wir uns so mühsam erkämpft hatten.
Es war eine traurige Zeit. Ich fühlte mich von Schwestern und Brüdern entfremdet, die ich nicht nur als meine Waffengenossen, sondern auch als gute Freunde betrachtet hatte. Franklin war einseitig aus der Organisation ausgestoßen, ohne daß man ihm die Gelegenheit gab, sich vor den Menschen zu rechtfertigen, die zu ihm als Genossen und Führer aufgeblickt hatten. Franklin, Deacon und ich berieten über unsere nächsten Schritte. Mein erster Impuls war auszutreten. Aber nachdem wir uns besprochen hatten, beschlossen wir, daß Deacon und ich noch eine Zeitlang bleiben sollten; vielleicht konnten wir die anderen wieder zur politischen Vernunft bekehren. Aber es war zu spät. Das erste Zugeständnis, die erste Zustimmung zu einer irrationalen, anti-kommunistischen Politik, der erste Beweis der Toleranz gegenüber einem autokratischen, apolitischen Geschäftstyp, der sich Revolutionär nannte, war der Anfang vom Ende unserer Organisation. Der nationale Vertreter ernannte einen Vorsitzenden, der den gleichen diktatorischen Standpunkt einnahm - und der Vorsitzende isolierte, einen nach dem anderen, alle guten Leute der SNCC sehr wirkungsvoll. Ich wurde meines Amtes als Leiterin der Freiheitsschule enthoben, bei welcher Gelegenheit ich meinen Austritt erklärte, und sah nun von außen zu, wie die übrigen erst rumgeschubst und dann aus der Organisation ausgestoßen wurden. Innerhalb von Wochen war nur noch die Hülle von dem da, was wir geschaffen hatten. Während wir zweihundert Leute hatten, auf deren Mitarbeit wir rechnen konnten, und Hunderte mehr, die wir mobilisieren konnten, waren zu Anfang des Sommers nicht mehr als zehn Leute übrig. Die SNCC von Los Angeles war tot. Das Büro wurde geschlossen, und die Leute fragten sich, was aus uns allen geworden war. Dies war ein Sieg für die reaktionären Kräfte. Der Sturz der SNCC hätte nicht i besser geplant werden können, wenn er das Werk eines Agenten der Regierung gewesen wäre. Stunden, Tage wurden mit erschöpfenden Diskussionen über die Vernichtung der SNCC von Los Angeles verplempert. Hätte sich das Ende vermeiden lassen? Was hatten wir falsch gemacht? Hätten wir die Mehrheit des Stabes auf unsere Seite bringen können? Hätten wir sie überreden können, sich von der nationalen Organisation zu trennen? Schließlich hatten wir doch alles ohne Hilfe von New York aufgebaut. Kendra, die während der kritischen Zeit eine Parteischule besucht hatte, kritisierte Franklin, Deacon und mich, weil wir uns nicht von Anfang an gegen die kleinen Zeichen des Antikommunismus zur Wehr gesetzt hatten.
Es hatte Zeichen gegeben - passive Zustimmung sowie aktive Ermunterung zum Anti-Kommunismus - aber diese Zeichen waren entweder versteckt oder sporadisch oder ohne Zusammenhang gewesen. Ich hatte nicht gemerkt, daß sie der Bazillus einer kollektiven Haltung sein könnten, die sich so jäh zur Hexenjagd auswuchs. P Ich fühlte, daß ich nicht ganz ohne Schuld war, weil ich gelegentlich gewissen anti-kommunistischen Gedanken zugestimmt hatte, die in der Linken vorherrschten. Ich hatte das nicht in irgendeiner offiziellen Eigenschaft getan, oder anläßlich formeller Sitzungen. Aber bei unverbindlichen Gesprächen im Büro hatte ich zuweilen zusammen mit den anderen Franklin in Verlegenheit gebracht. Wir hatten der kommunistischen Partei vorgeworfen, daß sie den nationalen und rassischen Aspekten bei der Unterdrückung der Schwarzen Menschen nicht genügend Beachtung schenke und daher die besonderen Kennzeichen unserer Unterdrückung in der allgemeinen Ausbeutung der Arbeiterklasse untergehen lasse. Und ich hatte mit anderen zusammen von einem ultralinken Standpunkt aus den allgemeinen »Konservatismus« der Partei kritisiert. Es war nicht so, daß ich die kommunistische Partei überhaupt nicht hätte kritisieren sollen. Aber ich hatte diese Vorwürfe erhoben, ohne die Stellung der Partei sorgfältig geprüft zu haben. Unter den Urnständen konnten meine Behauptungen - besonders da sie von jemand kamen, der sich eine Marxistin nannte - in gewisser Weise der weitverbreiteten unkämpferischen Einstellung zum Anti-Kommunismus Auftrieb geben.
Von diesem Zeitpunkt an versuchte ich mir die nötigen Informationen zu verschaffen, um entscheiden zu können, ob ich Mitglied der kommunistischen Partei werden wollte. In dieser Phase meines Lebens und meiner politischen Entwicklung - mehr noch als in den Tagen von San Diego - hatte ich das Bedürfnis, Teil einer ernsthaften revolutionären Partei zu werden. Ich wollte einen Anker, eine Basis, eine Vertäuung. Ich brauchte Genossen, mit denen mich eine gemeinsame Ideologie verband. Ich hatte die kurzlebigen Ad-hoc-Gruppen satt, die auseinanderfielen, wenn die geringste Schwierigkeit auftrat; die Männer satt, die ihre sexuelle Höhe danach bemaßen, wie die Frauen vor ihnen geistig in die Knie gingen. Nicht daß ich furchtlos gewesen wäre, aber ich wußte, daß wir kämpfen mußten, um zu siegen, und daß der siegreiche Kampf von den Massen unseres Volkes und von der arbeitenden Bevölkerung insgesamt kollektiv geführt werden mußte. Ich wußte, daß dieser Kampf von einer Gruppe geleitet werden mußte, einer Partei mit einer dauerhafteren Mitgliedschaft und Struktur und einer substantielleren Ideologie. Konfrontationen waren Gelegenheiten, die man ausnutzen mußte, Probleme waren Verwicklungen, die man mit der richtigen Taktik, den richtigen Ideen auflösen mußte. Und ich hatte das Bedürfnis zu wissen und zu respektieren, was ich tat. Bisher schienen alle unsere Aktionen letzten Endes in eine Ellipse zu münden - drei Punkte von Entschlußlosigkeit, Folgewidrigkeit und Wirkungslosigkeit.
Während dieser traurigen Zeit las ich wieder Lenins Was ist zu tun? und das half mir, mein eigenes Dilemma zu klären. Ich las wieder Du Bois, besonders seine Erkärungen aus der Zeit, als er sich entschloß, in die kommunistische Partei einzutreten. Seit Frankfurt, seit London, seit San Diego war es mein Wunsch gewesen, einer revolutionären Partei beizutreten. Von allen Parteien, die sich revolutionär oder marxistisch-leninistisch nannten, nahm meiner Ansicht nach allein die kommunistische Partei den Mund nicht zu voll. Obwohl ich einigen Aspekten der Parteipolitik kritisch gegenüberstand, war ich bereits zu dem Schluß gelangt, daß es entweder die kommunistische Partei sein würde oder, wenigstens vorläufig, gar nichts. Aber bevor ich die Entscheidung treffen konnte, mußte ich sie prüfen, studieren. Der Che-Lumumba-Club, die Schwarze Zelle der Partei in Los Angeles, war der Parteisektor, der mich interessierte. Ich wollte seine Rolle und seine Verantwortung innerhalb der Partei kennenlernen und wissen, wie er sich seine Identität und Konsequenz bewahrte, wenn sich seine Kader in der Schwarzen Freiheitsbewegung engagierten. Wie bei allen anderen kommunistischen Parteien ist auch in den Vereinigten Staaten die Grundeinheit der »Club« (oder die Zelle, wie es in anderen Ländern heißt). Im allgemeinen setzt sich der Club aus fünf bis zwanzig Mitgliedern zusammen. Dann gibt es Sektionen, Bezirke, Staaten, Regionen und schließlich die nationale Führung, die die von regelmäßig stattfindenden nationalen Konventionen festgelegte Politik ausführt. Im Rahmen der demokratisch-zentralistischen Struktur der Partei war der Che-Lumumba-Club ein Club wie jeder andere. Er spielte aber doch eine besondere Rolle, weil sich die Schwarzen Kommunisten in Los Angeles für einen Club eingesetzt hatten, dem nur Schwarze angehörten, und dessen wichtigste Aufgabe es sein sollte, marxistisch-leninistische Ideen in den Freiheitskampf der Schwarzen in Los Angeles hineinzutragen und für die Schwarze Bewegung im Namen der größeren Partei die Führung zu übernehmen.
Der Club war 1967 gegründet worden - zu einer Zeit, als die Schwarze Bewegung ihren Höhepunkt erreichte. Die kommunistische Partei war unweigerlich von den Aufständen in den Ghettos von Harlem und Watts mitbetroffen. Weil Los Angeles die Szene des ersten großangelegten Schwarzen Aufstandes der jüngeren Zeit war, schien es logisch, daß der Che-Lumumba-Club in dieser Stadt gegründet wurde.
Die Kenntnis, die ich über den Che-Lumumba-Club gewann, befriedigte mich nicht vollkommen, weil ich wenig Kenntnis aus erster Hand über die größere Partei besaß. Daher machten mich Kendra und Franklin mit einigen der weißen Genossen bekannt. Ich begann Dorothy Healey zu besuchen, die damals der Bezirksorganisation von Südkalifornien vorstand. Wir hatten lange, komplizierte Diskussionen manchmal auch Streitgespräche - über die Partei, ihre Rolle innerhalb der Bewegung, ihre Möglichkeiten als Führerpartei der Arbeiterklasse, ihre Möglichkeiten als die Partei, die die Vereinigten Staaten von ihrer gegenwärtigen, rückständigen, historisch ausbeuterischen Phase zu einer neuen Epoche des Sozialismus führen könnte. Ich genoß diese Diskussionen mit Dorothy ganz ungeheuer und merkte, daß ich eine Menge daraus lernte - ohne Rücksicht darauf, ob ich mich schließlich entschloß, selbst Kommunistin zu werden.
Im Juli 1968 übergab ich meine fünfzig Cents - den anfänglichen Mitgliedsbeitrag - dem Vorsitzenden des Che-Lurnumba-Clubs und wurde dadurch ein volles Mitglied der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten. Kurz danach mußte ich mich nach La Jolla zurückziehen, um die letzten intensiven Vorbereitungen für die Qualifikationsexamen zu treffen, die meinem Doktorexarnen vorausgingen. Wochenlang tat ich nichts als studieren. Tagsüber studierte ich in meinem Büro in der Universität. Abends arbeitete ich - oft bis spät in die Nacht - in dem alleinstehenden Haus in Del Mar, das mir Freunde für den letzten Teil des Sommers überließen. Meine Gedanken waren so innig mit Dingen der Philosophie vermählt, daß ich mich manchmal dabei ertappte, wie ich von Spinoza, Kant und Hegel und ihren Ideen träumte. Ich hatte den Wunsch gehabt, die Examen zu dieser Zeit zu machen und nicht bis zu meinem zweiten Jahr in der Universität zu warten, was der normale Verlauf gewesen wäre. Das bedeutete, daß ich selbständig Werke lesen mußte, die ich sonst in Verbindung mit Universitätskursen gelesen hätte. Ich mußte arbeiten, arbeiten, arbeiten bis zum Punkt absoluter Sättigung. Als die Examenswoche nahte, entlud sich die siedende Verzweiflung der Studenten, die sich auf diese Prüfung vorbereiteten, zur offenen Panik. Inmitten einer Diskussion brach zum Beispiel jemand ohne sichtbaren Grund in Tränen aus. Die Furcht durchzufallen war allgegenwärtig. Und dann gab es etwas, was noch mehr gefürchtet wurde als der Durchfall: daß man mit einem abschließenden Magistertitel bestand und dadurch endgültig von der Doktoratsliste gestrichen wurde. Wenn man die Examen nur schlicht nicht bestand, konnte man es immer noch einmal im Frühling versuchen. Aber der abschließende Magister war das Ende. Es war eine große Erleichterung, als ich erfuhr, daß ich bei den Examen recht gut abgeschnitten hatte.
Nachdem ich sie bestanden hatte, begann ich an einem Vorbericht zu meiner Doktorthese zu arbeiten und wurde zur Lehrassistentin in der philosophischen Fakultät ernannt, was auch eine Vorbedingung fürs Doktorexamen war. Etwa die Hälfte der Woche forschte und lehrte ich in La Jolla und widmete die andere Hälfte meiner Politischen Arbeit in Los Angeles. Ich war froh, daß es mir möglich war, wieder an den wöchentlichen Zusammenkünften des Che-Lumumba-Clubs teilzunehmen. Es war für uns eine außerordentlich wichtige Periode. Im Juni war Charlene Mitchell, unsere Gründerin und Vorsitzende, von der nationalen Konvention zur Kandidatin der Partei für die Wahl zum Präsidenten der USA ernannt worden und wurde damit zur ersten Schwarzen Frau, die sich um dieses Amt bewarb. Wir waren ungeheuer stolz, daß die erste Schwarze Präsidentschaftskandidatin auch Kommunistin war.
Da sich die kommunistische Partei vor achtundzwanzig Jahren zum letztenmal an den Präsidentschaftswahlen beteiligt hatte, bezeichnete ihre Kandidatur einen neuen Abschnitt für die Partei. Man erklärte den letzten Spuren der McCarthy-Zeit den Krieg, und die Einsicht wuchs, daß sie ein für allemal ausgemerzt werden mußten.
Im September und Oktober war Charlene dauernd unterwegs, sprach in einundzwanzig Staaten und in Puerto Rico. (Kein anderer Kandidat machte sich die Mühe, nach Puerto Rico zu reisen.) In Südkalifornien machten wir Wahlpropaganda für Charlene vor Fabriktoren, in Gewerkschaftsversammlungen, in Kirchen, in Universitäten, auf den Straßen und überall sonst, wo unsere Worte ein geneigtes Ohr finden konnten. Natürlich hatten wir keine Illusionen über das Ergebnis der Wahlen. Daher kümmerten wir uns nicht so sehr um die Zahl der Stimmen, die sie erhalten würde, sondern mehr um ihre Fähigkeit, Menschen anzusprechen, die sonst niemals politische Alternativen zu den Republikanern und Demokraten und wirtschaftliche Alternativen zum Monopolkapitalismus in Betracht gezogen hätten. Charlenes Kandidatur gab uns die Chance, vom Sozialismus als einer realen Lösung der Probleme zu sprechen, denen sich die Arbeiterklasse, und besonders Schwarze und Braune Menschen gegenübersahen. Um diese Zeit nahmen Charlenes Bruder Deacon und ich Gespräche mit Führern der Schwarze-Panther-Partei von Los Angeles auf, die uns vorgeschlagen hatten, mit ihrer Partei zusammenzuarbeiten. Sie hatten vor, ein Büro auf der Westseite der Stadt zu eröffnen und wollten, daß Deacon diese Sektion leitete. Mir machte man den Antrag, mich am politischen Bildungsprogramm zu beteiligen. Angesichts der Tatsache, daß alle anderen Mitglieder des Clubs bereits intensiv mit irgendwelchen Massenbewegungen beschäftigt waren, haben wir uns beide diesen Vorschlag gründlich überlegt. Einige unserer Genossen waren aktiv in der Anti-Kriegs-Bewegung und versuchten den Kriegsgegnern ein Denkmodell zu vermitteln, das die Verbindung zwischen der Aggression in Vietnam und dem Rassismus und der Unterdrückung in der Heimat herstellte. Andere, darunter auch Kendra und Franklin, arbeiteten mit Studenten, vornehmlich im Southwest Junior College. Ich hielt es für wichtig, daß einige von uns die Arbeit der Schwarze-Panther-Partei unterstützten, die zu jener Zeit wie ein Magnet junge Schwarze Menschen in großer Zahl in ihre Reihen zog.
Nach einer Reihe von Gesprächen mit den Panthern, in denen wir Probleme erörterten und alte Feindschaften klärten und ausräumten, und nachdem wir den Vorschlag im Che-Lumumba-Club diskutiert hatten, waren Deacon und ich bereit, in die Panther-Partei einzutreten. Als Büro für die Westseite wählten wir ein Gebäude an der Ecke Seventh Avenue und Venice Boulevard, und schon wenige Tage darauf begannen junge Schwestern und Brüder aus dem umliegenden Bezirk bei uns hereinzuströmen. Kaum waren Programme organisiert, als sie auch schon schier aus den Nähten platzten, so viele eifrige junge Leute hatten sich gemeldet. Von halb vier Uhr nachmittags, wenn die Schüler der Oberschule kamen, bis zehn Uhr abends war das Gebäude der Schauplatz von Versammlungen, Klassen und Diskussionen über Themen wie der Schwarze Freiheitskampf in den Vereinigten Staaten, die Bewegung im Bereich von Los Angeles, Strategie und Taktik bei der Organisation von Gemeinschaften und die marxistisch-leninistische Theorie der Revolution.
Wenn ich noch Reste von der elitären Haltung in mir hatte, die sich fast unvermeidlich im Hirn von Universitätsstudenten einnistet, dann bin ich sie jetzt bei den politischen Bildungskursen der Panther losgeworden. Als wir Lenins Staat und Revolution lasen, hatten wir Schwestern und Brüder in der Klasse, die in der Schule noch nicht einmal das Lesen gelernt hatten. Manche erzählten mir, daß sie viele schmerzliche Stunden vor dem Buch gesessen und oft das Wörterbuch benutzt hätten, um die Bedeutung von Dutzenden von Wörtern auf einer einzigen Seite nachzuschlagen, bis sie schließlich den Sinn von Lenins Gedankengang verstanden. Wenn sie vor den anderen Teilnehmern der Klasse erklärten, was sie beim Lesen gelernt hatten, dann offenbarte sich, daß sie wirklich Bescheid wußten - sie hatten Lenin viel grundlegender verstanden als alle Professoren der Sozialwissenschaften. Kurz nach der Eröffnung des Büros hörten wir von einem brutalen Mord, der sich in der Nachbarschaft ereignet hatte. Der Bericht lautete folgendermaßen: Eines Abends, als ein junger Bruder versuchte, in einem nahegelegenen Schnapsladen Bier zu kaufen, weigerte sich der Eigentümer, sein Geld anzunehmen, da er nicht nachweisen könne, daß er das vorgeschriebene Alter habe. Wütend, weil er sein Bier nicht kriegen konnte, warf er dem Eigentürner ein paar kräftige Worte an den Kopf und stürmte aus dem Laden. Offenbar nur um seinem Ärger Luft zu machen, warf der Bruder mit einem Tritt die Mülltonne um, die an der Ecke stand. Der Eigentümer nahm seine Waffe, die unter dem Ladentisch verborgen war, und feuerte durch die Glastür; er tötete damit auf der Stelle diesen Bruder, der nichts getan hatte, als seinen Ärger an einer draußen stehenden Mülltonne auszulassen. Als er später über den Vorfall befragt wurde, behauptete der Eigentümer, er habe das Recht, sein Eigentum zu schützen. Die Ironie in dieser Tragödie lag darin, daß er gerade gelesen hatte, es sei die Aufgabe des Staates, den besitzenden Klassen Schutz zu gewähren. Es war klar, daß das Gericht diese fadenscheinige Entschuldigung gelten lassen würde, wenn die Menschen ihre Proteste nicht laut werden ließen. Das heißt, es würde die Behauptungen des Besitzers gelten lassen, daß das Leben dieses jungen Schwarzen Mannes weniger wert war als eine Mülltonne für fünf Dollar. Wir hielten es für unsere Pflicht, die Gemeinschaft zu organisieren, damit dieser Mann seine Strafe erhielt. Das bedeutete Märsche durch die Straßen der Umgebung, Flugblätter von Haus zu Haus, Kundgebungen auf den Straßen und besonders auf dem Parkplatz des Ladens und ein ständiges Aufgebot von Menschen vor dem Laden, die die Leute aufforderten, bei diesem Mann nicht zu kaufen, da wir ihn für einen Mörder hielten. Die Folge war, daß der Umsatz dieses Mannes auf einen Bruchteil seiner früheren Einnahmen sank, und er wegen Totschlags unter Anklage gestellt wurde. Wie gewöhnlich verbrachte er jedoch nicht eine einzige Nacht im Gefängnis, weil seine Kaution so niedrig war, daß sie praktisch nicht existierte. Dennoch waren wir entschlossen, ihm wegen Mordes den Prozeß machen - und ihn auch überführen - zu lassen. Die Bewegung geriet ins Rollen. Die Klassen und Versammlungen im Bürogebäude hatten eine Teilnehmerschaft von über zweihundert Personen.
Wir mußten uns mit viel gezielteren Störungsmanövern der Polizei auseinandersetzen. Plötzlich geriet, inmitten all dieser Geschehnisse, die Schwarze-Panther-Partei in die Krise. Man hatte entdeckt, daß im ganzen Land eine große Anzahl Polizeiagenten in die Partei infiltriert war. Eine Säuberung setzte ein. Und nachdem sie einmal begonnen war, erfaßte sie auch Schwestern und Brüder, die so unschuldig waren wie die, die die Säuberung verlangten. Meiner Meinung nach waren einige feindliche Sympathisanten, die selbst hätten gesäubert werden müsssen, in den Entscheidungsprozeß vorgedrungen, wo bestimmt wurde, wer auszustoßen sei und wer in der Partei bleiben dürfe. Das Büro der Westseite war praktisch dezimiert. Deacon wurde wegen seiner Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei befragt - hätte man ihn vor die Kontrollkommission gegen subversive Aktivitäten vorgeladen, es wäre nicht viel anders gewesen. Offenbar steckte etwas anderes dahinter als nur die Tatsache, daß er Kommunist war - das war ja immerhin schon bekannt gewesen, als man ihn aufforderte, an der örtlichen Führung der Schwarze-Panther-Partei mitzuarbeiten. Außerdem stellte man mir nicht das gleiche Ultimatum wie Deacon, nämlich zwischen einer der beiden Parteien zu wählen, Schwarze Panther oder Kommunist. (Dies Problem war besprochen worden, bevor wir der Schwarze-Panther-Partei beitraten, und man hatte sich beiderseits geeinigt, daß die zwei Parteien nicht miteinander konkurrierten, und daher kein Loyalitätskonflikt bestünde.)
Es bedarf keiner Erwähnung, daß das die beste Gelegenheit für den Feind war, anzugreifen und das Durcheinander und die Verwirrung zu nutzen. Und so wurde denn auch um diese Zeit ein führendes Mitglied der SPP - eins das beim Aufbau der Sektion Westseite viel geholfen hatte - eines Morgens an abgelegener Stelle mit einer Kugel im Kopf gefunden. Kurz danach, etwa Mitte Januar, bevor wir uns noch von dem Schock hatten erholen können, den Francos Tod verursacht hatte, hörten Deacon und ich die Nachricht im Radio: zwei Führer der SPP, Bunchy Carter und Jon Huggins, waren während eines Treffens der Schwarzen StudentenUnion auf dem Gelände der UCLA (Universität von Kalifornien in Los Angeles) erschossen worden. An eben jenem Tag hatte ich vorgehabt, Jon und seine Frau Ericka zu besuchen, un, einige interne Parteiprobleme zu besprechen. Mit ein paar Schwestern und Brüdern vom Büro der Westseite eilte ich zu ihrer Wohnung, um mich zu versichern, daß Ericka und ihrem neugeborenen Kind nichts passiert war. Als wir dort ankamen, beendete die Polizei gerade ihre Razzia. Sie verhafteten die Brüder und Schwestern in der Wohnung, einschließlich Ericka und das Baby, und rechtfertigten sich damit, daß sie Nachricht hätten, die Panther könnten für die Tötung ihrer Leute vielleicht Vergeltung üben. Das war absurd, weil um diese Zeit die näheren Umstände der Morde nicht bekannt waren. Erst später erfuhren wir, daß zwei Mitglieder von Ron Karengus US-Organisation tatsächlich den Finger am Abzug gehabt hatten. Schon viele Male waren Führer und Aktivisten von den Kugeln der Polizei, von bewußten Agenten oder von irren, verwirrten Brüdern, die sich mißbrauchen ließen, gefällt worden. Wir hatten schon öfter geweint, wir hatten schon öfter Begräbnissen beigewohnt, und wir hatten Wut gefühlt und geäußert, wenn einem Bruder, einem Genossen so grausam das Leben geraubt wurde. Wir wußten, daß wir im Augenblick durch unser Engagement an einen Teufelskreis der Gewalt gekettet waren - auf diese Weise wollten unsere Feinde uns zwingen, voller Angst zurückzuweichen. In gewisser Weise erwarteten wir daher immer die Gewalt, wir wußten, daß sie kam, obwohl wir nie ihr nächstes Opfer vorausbestimmen konnten. Und doch war sie jedesmal, wenn sie zuschlug, für uns in gleicher Weise vernichtend. So oft sie sich auch wiederholte, man konnte sich nicht daran gewöhnen.
Für mich persönlich war der Tod von Jon Huggins besonders schmerzlich - von allen Panther-Führern war ich mit ihm und Ericka am engsten befreundet. Trotz aller Probleme, die sich vor kurzem erhoben hatten, war meine Achtung und Bewunderung für ihn riesengroß, und ich war sicher, daß er mit seinem Entschluß, die Krise in der Partei einer Lösung zuzuführen, in gutem Glauben gehandelt hatte. Ich war damals wie auch heute davon überzeugt, daß die Polizei in irgendeiner Weise mit seiner Ermordung zu tun hatte, weil sie seine Kraft und seinen Willen fürchteten, immer das zu tun, was für sein Volk das Beste war. Ericka und die anderen Schwestern und Brüder wurden noch in der selben Nacht freigelassen. Als sie durch die Tore des Sybil-Brand-Instituts für Frauen in den harten Regen schritt, der draußen die Nacht durchschnitt, schien sie so kraftvoll wie eh und je. Als sie unsere Trauer sah, unser Mitgefühl mit dem Schmerz, den sie erleiden mußte, sagte sie: »Was habt ihr nur alle? Wir können jetzt nicht aufhören. Wir müssen weiterkämpfen.« Das war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde. Die Schwestern, die mit ihr im Gefängnis gewesen waren, sagten, sie sei es gewesen, die allen den Mut gestärkt habe. Sie war es, die entschlossen das Banner des Kampfes weitergetragen hatte. Während wir noch über die Motive rätselten, die zum Mord geführt hatten, und unserer Wut gegen die US-Organisation Luft machten, gingen wir zu Bunchys Beerdigung, und Ericka fuhr nach Connecticut, um ihren Mann zu begraben und für ihre kleine Tochter Maya einen sicheren Platz zu finden. Wir hörten, daß sie sofort begonnen hatte, eine Ortsgruppe der Schwarze-Panther-Partei in New Haven zu organisieren, wo die Polizei sie ein paar Monate später unter dem Verdacht der Verschwörung zur Begehung eines Mordes verhaftete. Inzwischen war bei der SPP in Los Angeles wieder Ruhe eingekehrt, und weil die Fragen, die mit Deacons Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei zusammenhingen, nie geklärt wurden, hätte ich es für charakterlos gehalten, weiter bei den Panthern zu arbeiten. Ich entschloß mich, den Rest des Semesters in La Jolla zu verbringen, wo ich wieder tageweise mit dem Schwarzen Studentenrat arbeitete. Zu Anfang des zweiten Quartals fanden alle Schwestern und Brüder, die die Organisation leiteten, daß wir unsere Mitgliedschaft weiter ausbauen sollten. Wir brauchten einen Anlaß, um den wir kämpfen konnten. Aber worum sollte es gehen? Was hatte die höchste magnetische und dramatische Wirkung? Wir dachten alle ernsthaft und angestrengt nach; unsere persönlichen Vorschläge wurden in schier endlosen Versammlungen ausdiskutiert. Schließlich gelangten wir zu einem einmütigen Beschluß. Da die Universität von San Diego eines Tages aus einer Anzahl einzelner Colleges bestehen sollte, hielten wir es für eine gerechte und angemessene Forderung, das nächste College - das dritte - ausdrücklich für die Bedürfnisse der Studenten aus unterdrückten Gesellschaftsschichten einzurichten. Insbesondere sollte es den Bedürfnissen Schwarzer Studenten, Mexikanischer Studenten und weißer Studenten aus Arbeiterkreisen dienen. Während wir unsere Beziehungen zu den »Chicano«Studenten vom mexikanisch-amerikanischen Jugendverband enger knüpften, entwarfen wir Pläne für unser College.
Um den radikalen Charakter unserer Forderungen zu verdeutlichen, beschlossen wir, es Lumumba-Zapata-College zu nennen - nach dem ermordeten kongolesischen Revolutionsführer Patrice Lumumba und dem mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata. Wir wollten unsere Ziele transparent machen: das Lumumba-Zapata-College sollte, in unserer theoretischen Formulierung, ein Ort sein, an dem unsere Leute sich Wissen und KÖnnen aneignen konnten, um unsere Freiheitskämpfe mit größerer Wirksamkeit zu führen. Nachdem wir in mehreren Sitzungen unsere Strategie festgelegt hatten, fanden wir es an der Zeit, die Universitätsverwaltung mit unserem Plan zu konfrontieren. Eines Nachmittags zogen die Mitglieder unserer zwei Organisationen in das Büro des Kanzlers und verlangten, daß er sich unsere Forderungen anhörte. Ich war von den Schwestern und Brüdern ausersehen, die Erklärung zu verlesen, die von den Schwarzen und mexikanischamerikanischen Studenten kollektiv ausgearbeitet worden war. Mit unserer Forderung für ein Lurnumba-Zapata-College ließen wir eine sehr ernste Warnung einfließen: falls der Kanzler sich weigern sollte zu verhandeln, könnten wir nicht garantieren, daß die Universität fürderhin ungestört funktionieren würde. Wie sich voraussehen ließ, weigerte sich der Kanzler in der Tat. Seine Weigerung war für uns das Signal für eine großangelegte Offensive: mehr Kundgebungen, Demonstrationen und Konfrontationen. Wir wußten, daß wir die Unterstützung einer bedeutenden Zahl von Studenten und Lehrkräften brauchten, um wirken zu können. Daher waren unsere Aktionen so angelegt, daß sie möglichst viele weiße Studenten und Professoren anzogen. Einige weiße Studenten waren von vornherein einbezogen, weil ein sehr wichtiger Aspekt unserer Forderungen die Integration weißer Studenten aus Arbeiterkreisen in das College betraf. Aber wir brauchten noch viele mehr; wir beabsichtigten, Hunderte in die Bewegung für Lumumba-Zapata einzubeziehen, und hofften, schließlich sogar die Mehrheit der Studenten auf unsere Seite zu bringen. Nur auf diese Weise konnten wir die Verwaltung isolieren und dadurch zwingen, unsere Forderungen anzunehmen. Unsere Aktionen erreichten ihren ersten Höhepunkt, als unsere Organisation bei einer Sitzung des akademischen Senats auftrat. Mit Hilfe sympathisierender Professoren einschließlich Herbert Marcuse und anderer Mitglieder der philosophischen Fakultät begannen wir, eine beträchtliche Anzahl des Lehrkörpers für unser Projekt zu gewinnen. Die nächste dramatische Demonstration unserer Forderungen war die Übernahme der Registratur. Dadurch daß wir eine zentrale Verwaltungsstelle der Universität besetzten, gaben wir der Verwaltung und den Professoren, die nicht schon überzeugt waren, zu verstehen, daß es uns mit unserer Sache ernst war. Wir mußten heftig kämpfen. Viele Studenten der UCSD hatten die Radikalisierung miterlebt, die sich im ganzen Land an den Universitäten vollzog. Daher hat sich die Hierarchie der Universität anscheinend entschlossen, lieber die von uns verlangten Zugeständnisse zu machen, als eine längere Störung der akademischen Aktivitäten zu riskieren. Ehrlich gesagt hatten wir eigentlich nicht erwartet, daß man unserer Vorstellung vom dritten College so bereitwillig zustimmen würde. Als man es doch tat, wußten die von uns, die die Bewegung führten, daß trotz unseres Sieges - auf den wir alle stolz waren - das Lumumba-Zapata-College niemals die revolutionäre Institution werden würde, als die wir es ursprünglich geplant hatten.
Es war unvermeidlich, daß auch wir Zugeständnisse machen mußten; aber trotzdem würde die Einrichtung des College viele Schwarze, Braune und weiße Studenten der Arbeiterklasse unserer Universität zuführen. Und es wäre ein echter Durchbruch, wenn wir ein College hatten, in dem die Studenten über den eigenen Bildungsweg selbst bestimmen konnten. Am Ende des Schuljahres, als ich mich anschickte, zu einer Konferenz in Oakland und von dort nach Kuba zu fahren, bereiteten sich einige von unserer Organisation ausgewählte Studenten auf einen Sommer vor, in dem sie einen konkreten Studienplan sowie Vorschläge für die Besetzung des Lehrkörpers und der Verwaltung ausarbeiten sollten.
Der Kampf war noch nicht ausgestanden. Im Gegenteil, er hatte gerade erst begonnen. Denn jetzt mußten wir vor allem sicherstellen, daß alle, die in das College einbezogen wurden Studenten und Fakultäten - das Vermächtnis des Kampfes weitertrugen, aus dem die Idee des Lumumba-Zapata-College geboren war. Die Ära großangelegter nationaler Konferenzen war noch in vollem Gange. Im Juli 1969 versammelten sich die Aktivisten der Bewegung, Schwarze, Braune und weiße aus dem ganzen Lande in Oakland, Kalifornien, um an einer Konferenz teilzunehmen, die von der Schwarzen-Panther-Partei einberufen war, um eine Vereinte Front gegen den Faschismus zu gründen.
Die organisatorische Theorie der Konferenz war ausgezeichnet: Menschen mit verschiedenartigen Ideologien - die breiteste Repräsentation von Menschen, die möglich war - fanden sich zusammen, um eine Vereinte Front gegen die zunehmend grausame Unterdrückung zu schmieden. Aber die Konferenz bot auch Probleme, für die ich vielleicht besonders empfindlich war, weil man mich erst vor kurzem gezwungen hatte, meine ziemlich engen Bindungen mit den Schwarzen Panthern zu lösen. Ich hielt es grundsätzlich für problematisch, daß man uns einreden wollte, das Ungetüm des Faschismus sei bereits losgelassen und wir lebten in einem Land, das sich vom Deutschland der Nazis nicht wesentlich unterschied. Gewiß mußten wir uns gegen die wachsende Bedrohung des Faschismus zur Wehr setzen, aber es war unrichtig und irreführend, den Menschen zu verkünden, daß wir bereits unter dem Faschismus lebten. Außerdem würde der Widerstand, der durch eine solche Analyse geboten war, uns sicher in die falsche Richtung führen. Erstens konnten wir den Liberalen in die Arme getrieben werden, wenn wir absolut jeden einzubeziehen suchten, dem der Sturz des Faschismus am Herzen lag. Das würde unsere revolutionäre Stoßkraft lähmen. Und wenn wir diese Richtung vermieden, wÜrden wir zwangsweise zum anderen Ende des politischen Spektrums gelangen. Denn wenn wir glaubten, daß wir unter dem echten Faschismus lebten, dann hieß das, daß praktisch alle demokratischen Kanäle des Kampfes verschlossen waren und wir uns sofort und verzweifelt in den bewaffneten Kampf stürzen mußten. In vielen Reden wurde das Wort »Faschismus« so gebraucht, daß es mit dem Wort »Rassismus« austauschbar war. Gewiß gab es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Faschismus und Rassismus. Wenn jemals der volle Faschismus in den Vereinigten Staaten ausbrach, würde er auf dem Rücken des Rassismus reiten, in sehr ähnlicher Weise wie der Anti-Sernitismus für den deutschen Faschismus der dreißiger Jahre als Hebel gedient hatte. Aber zu glauben, daß Rassismus Faschismus und Faschismus Rassismus sei, vernebelte nur die Sicht derer, die zum Kampf bereit waren. Das konnte nur ihre eigene politische Entwicklung hemmen und dem organisierten Massenkampf gegen Rassismus und gegen politische Unterdrückung im Wege stehen - der vornehmlich den bedrängten Panthern zugutekommen sollte. In all dieser Verwirrung hielt Herbert Aptheker, der kommunistische Historiker, eine ausgezeichnete Rede, in der er die Beziehung zwischen dem Rassismus heute und dem möglichen Faschismus morgen darlegte. Für mich bestätigte sie die Richtigkeit meines Entschlusses, den ich vor fast genau einem Jahr gefaßt hatte, in die Kommunistische Partei einzutreten. Bei allen offenbaren Mängeln war diese Konferenz trotzdem eins der wichtigsten Ereignisse der Saison. Sie war grundlegend dafür, daß man aus dem engen Nationalismus, der in der Schwarzen Freiheitsbewegung vorherrschte, ausbrach, und wies den Weg zu Bündnissen zwischen Farbigen und Weißen in Fragen, die uns alle angingen. Sobald die Konferenz beendet war, bestiegen Kendra und ich ein Flugzeug nach Mexiko City und trafen dort mit anderen Mitgliedern einer kommunistischen Delegation zusammen, die von den Kubanern eingeladen worden war, einen Monat im »ersten freien Territorium Amerikas« zu verbringen. Während des Fluges nach Mexiko war ich nervös und niedergeschlagen. während ich im Haight-Ashbury-Park schlief, hatte man mir mein Portemonnaie gestohlen, und ich hatte weder Geld noch Paß. Kendra hatte mir genügend Geld für das Flugticket nach Mexiko City geliehen, aber ich war keineswegs sicher, daß ich mir einen Reisepaß besorgen konnte, bevor die anderen nach Kuba weiterflogen. Meine einzige Hoffnung war, daß mich die Kubaner ohne Reisedokumente ins Land hereinlassen würden. Nicht nur der Paß warf Probleme für die Reise auf, sondern uns quälte auch die Sorge, wie wir unsere Absichten vor den Mexikanern verheimlichen könnten, weil diese in mehreren Fällen Aktivisten aus den Vereinigten Staaten, die nach Kuba wollten, ausgewiesen hatten. Als die Polizei bei den Studentendemonstrationen des Jahres 1968 ein Blutbad veranstaltete, befand sich eine Gruppe von Aktivisten, darunter auch Bobby Hodges und Babu (mit dem ich bei der SNCC zusammengearbeitet hatte) in Mexiko City, um von dort nach Kuba zu fliegen. Sie wurden alle von der Polizei festgehalten und über den Zweck der Reise verhört (wollten sie sich als Guerillas ausbilden lassen?) und gefragt, ob sie an der Studentenrebellion in Mexiko City teilgenommen hätten. Das Ergebnis der ganzen Geschichte war, daß sie alle ausgewiesen wurden. Sie wurden wahllos und getrennt in Flugzeuge gesetzt, die aus Mexiko ausflogen - Bobby zum Beispiel war schließlich in Paris gelandet. Wir heckten einen Plan aus, um der mexikanischen Polizei zu entgehen. Sobald wir landeten, wollten wir die Adresse der kubanischen Botschaft ausfindig machen, wo angeblich unsere Visa auf uns warteten, und dann in ein nahegelegenes Hotel ziehen. Nachdem wir dort unser Gepäck abgestellt hatten, konnten wir zu Fuß die Botschaft suchen. Am nächsten Morgen wollten wir dann eiligst dort vorsprechen.
Wenn uns die Polizei entdeckte, bevor wir in die Botschaft gelangten, dann konnte man uns festhalten, ehe wir noch unsere Visa bekommen hatten. Wenn wir aber unsere Visa erhalten hatten, wollten wir in der Botschaft bleiben und erst im letzten Augenblick unser Gepäck abholen und zum Flughafen eilen. Wir sind an diesem Abend stundenlang herumgelaufen, aber vergeblich, denn wir konnten die kubanische Botschaft nirgends in der Umgegend entdecken. Erst nach langer Wanderung fanden wir am nächsten Tag auf der anderen Seite der Stadt eine Straße, die denselben Namen hatte. Dort war die kubanische Botschaft. Als wir sie schließlich ohne Zwischenfall erreichten (obwohl wir vor dem Eingang Männer sahen, die Agenten der Vereinigten Staaten sein konnten), sagte man uns, daß unsere Visa noch nicht eingetroffen seien und wir leider an diesem Abend nicht nach Havanna abreisen könnten. Es war Montag, und wenn alles pünktlich vonstatten ging, dann konnten wir am Freitag das Flugzeug nach Kuba nehmen. Und dann kam der Gnadenstoß. Ich erklärte, daß mein Reisepaß vor zwei Tagen gestohlen worden sei, und fragte, ob ich ohne Paß das Flugzeug besteigen dürfe. Der Genosse aus Kuba versuchte mich zu trösten, indem er mir erklärte, nicht die Kubaner verlangten den Paß, sondern die mexikanische Einwanderungsbehörde. Niemand könne Mexiko verlassen, ohne den mexikanischen Autoritäten die Papiere vorgelegt zu haben. Der Genosse riet mir, zur Botschaft der Vereinigten Staaten hier in Mexiko zu gehen und mir schleunigst einen neuen Paß zu besorgen. Ich hatte wenig Hoffnung, daß mir mein Paß ersetzt würde. Das amerikanische Außenministerium hatte immer noch Listen von Kommunisten und weigerte sich oft, unseren Genossen Pässe auszustellen, wenn es nicht von Anwälten gerichtlich dazu gezwungen wurde. Kendra glaubte zum Beispiel, daß sie ihren Paß verloren hätte und beantragte sechs Wochen vor der Reise einen neuen. Normalerweise ist ein Paß eine Woche nach dem Antrag fertig, aber jedesmal, wenn sich Kendra erkundigte, sagte man ihr, man könne ihr nicht sagen, an welchem Tag ihr Paß fertig sein würde. Glücklicherweise fand sie ihren verschlampten Paß wieder, bevor wir abfuhren, denn der neue war immer noch nicht da.
Ein anderes Mitglied unserer Delegation hatte ebenfalls wochenlang auf seinen Paß gewartet, und erwartete in diesem Augenblick in Mexiko City Nachricht von seinem Anwalt, der mit dem Außenministerium verhandelte. Trotzdem war ich gewillt, jede erdenkliche List zu versuchen, um bis Freitag einen Paß zu bekommen. Ich kehrte ins Hotel zurück, zog mir meine hübschesten Kleider an - solche, die mich als harmlosen Touristen kennzeichneten, dem der Paß und das Geld gestohlen worden waren. In der Botschaft der Vereinigten Staaten erklärte ich unter Tränen, daß ich eine Reise durch Mexiko, Mittelamerika und Südamerika geplant hätte, die über ein Jahr dauern sollte, und daß meine Ferienpläne von einem Dieb über den Haufen geworfen worden seien. Eine Freundin wartete auf mich in Nicaragua, und ich hatte keine Möglichkeit, sie zu erreichen. War es nicht möglich, auf Grund dieser Notlage einen Paß zu bekommen? Der Beamte der Botschaft erbarmte sich meiner, und am nächsten Nachmittag wartete ein neuer Paß auf mich. Die List war gelungen; ich hatte anscheinend keinen Argwohn erweckt, und man hatte mir den Paß ausgestellt, ohne erst beim Außenministerium in Washington nachzufragen. Wir hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, als endlich die Visa durchkamen. Mit Ausnahme von Jim - dessen Paßport sich noch in den Händen eines Bürokraten des Außenministeriums befand - waren wir nun alle darauf vorbereitet, am Freitag den Flug nach Havanna anzutreten. Alle, die das kubanische Flugzeug bestiegen, mußten damit einverstanden sein, von den mexikanischen Einwanderungsbeamten fotografiert zu werden. Niemand, nicht einmal die Nonne, die auf dem Weg nach Kuba war, bezweifelte, daß diese Fotos in den Akten der CIA landen würden. Wir waren von unserem Verfolgungswahn erst richtig geheilt, als wir uns endlich in die Luft erhoben. Als wir über den üppigen Grüngürtel von Havanna flogen, der mit hohen eleganten Palmen bestanden war, verkündete der Pilot über den Lautsprecher: »Sie sind im Begriff, auf dem ersten freien Territorium Amerikas zu landen.« Als einige Minuten später das Flugzeug auf der Landebahn aufsetzte, fingen alle im Flugzeug spontan an zu klatschen. Es war der Tag vor Kubas höchstem nationalen Feiertag - der 26. Juli. An diesem Tag führte Fidel im Jahre 1953 einen Angriff auf die Garnison von Moncada, den zentralen Stützpunkt der Armee des Diktators Batista und ein bekanntes Symbol seiner Macht. Obwohl Fidel und seine Kameraden alle entweder getötet oder verhaftet wurden, betrachtete das Volk ihre mutige Tat als die erste große Herausforderting Batistas und seiner Diktatur.
Nachdem dann die Revolution endgültig triumphiert hatte, wurde der 26. Juli, der Tag der nationalen Rebellion, immer noch als der Jahrestag des ersten bewaffneten Angriffs der Revolution gefeiert. Normalerweise hätte eine Massenkundgebung auf der Plaza de la Revoluciön stattgefunden, bei der Fidel und andere Redner zu den versammelten Hunderttausenden gesprochen hätten. Dieser 26. Juli sollte aber den Beginn einer landwirtschaftlichen Kampagne markieren, um mehr Zuckerrohr zu verarbeiten als je zuvor in der Geschichte der kubanischen Wirtschaft. Genau gesagt, wollten sie zehn Millionen Tonnen Zucker produzieren. Statt am 26. Juli auf die Plaza zu gehen, ging jedermann auf die Felder, um zu arbeiten. Obwohl es eine Ehre sein würde, an der Kampagne der zehn Millionen teilzunehmen, muß ich gestehen, daß ich enttäuscht war, weil keine Kundgebung auf der Plaza stattfand. Es war das erstemal seit dem Triumph der Revolution, daß die traditionelle Feier nicht stattfand. Bunte Riesenplakate säumten die Straße vom Flughafen zum Hotel; Plakate über die Campaiia de los Diez Milliones, Plakate von EI Che, Plakate, die das Volk von Vietnam pri~sen. Viele dieser Plakatständer waren früher benutzt worden, um für Erzeugnisse der Vereinigten Staaten zu werben und trugen Aufschriften wie »Trinkt Coca-Cola« oder »Die Pause, die erfrischt«. Als ich erkannte, daß die Kubaner diese Markenzeichen globaler Ausbeutung abgerissen und, sie durch warmherzige und zündende Symbole ersetzt hatten, die dem Volk wirklich etwas bedeuteten, fühlte ich große Befriedigung. Der Eindruck menschlicher Würde war greifbar. Unser Bus fuhr durch das Gelände der Universität von Havanna, die zweihundert Jahre lang den Söhnen und Töchtern der Reichen vorbehalten gewesen war. Jetzt waren die Studenten die Kinder der Arbeiter und Bauern - sowohl Schwarz und Braun wie auch weiß. Der Bus hielt vor dem Havanna Libre, früher Havanna Hilton, jetzt befreit von den geäderten Fingern dekadenter alter Kapitalisten. Es war das erste Mal, daß ich in einem so vornehmen Hotel untergebracht war. Aber seine Eleganz wurde von den Gästen herabgestimmt: Arbeitern im Urlaub, jungen Paaren auf der Hochzeitsreise und von den compafieros, die im Hotel angestellt waren - Männer und Frauen, die nicht die Dienstfertigkeit zur Schau trugen, die man meistens mit Pagen, Dienstmädchen und Kellnern verbindet, Menschen, die nie das Trinkgeld annehmen würden, das Menschen aus kapitalistischen Ländern zu geben pflegen.
In den frühen Morgenstunden des 26. Juli fuhren wir zu den Feldern. Busse, Lastwagen, Kleinlaster und Autos waren mit jung und alt vollgestopft, die stolz ihre Arbeitskleidung angezogen hatten und sangen, als sie aufs Land fuhren. Es schien, als eilte jeder körperlich taugliche Bewohner von Havanna zu den Feldern wie zu einem fröhlichen Karneval.
Auf diesen Gesichtern lag die Heiterkeit sinnvoller Arbeit die Leidenschaft des Einsatzes. Sie hatten Schluß gemacht mit der Politik von Klasse und Rasse, hatten Schluß gemacht mit dem galligen Versuch, den Nachbarn zu übertrumpfen, um sich materiell über ihn zu erheben. Die Zuckerkampagne war eng verknüpft mit der Arbeit auf anderen (jebieten der Landwirtschaft. Je höher die Produktivität in der Tabak-, Zitrusfrucht- und Kaffee-Ernte stieg, desto mehr konnten die Arbeiter ihre Kräfte für die Zuckerernte einsetzen. Unser erster Ausflug aufs Land brachte uns zu den Kaffeefeldern im Grüngürtel von Havanna. Wir verbrachten den Tag des 26. Juli, indem wir das Unkraut jäteten und den Boden um die Kaffeepflanzen lockerten, damit sie ungehindert wachsen konnten. Es war ein harter Tag. In der weißglühenden Sonne waren meine Kleider durchgeschwitzt, bevor ich noch richtig angefangen hatte. Ich war in ziemlich guter Form, aber das Jäten war für mich eine schwierige Arbeit. Die Kubaner dagegen bewältigten sie mit Leichtigkeit. Ich war entschlossen, der Sonne nicht zu achten und dasselbe Tempo einzuhalten wie die Hunderte von compaheros um mich herum. Selbst wenn mich ein Schwindelanfall zu überwältigen drohte, sagte ich nichts und weigerte mich aufzuhören. Da wir Nordamerikaner waren, fühlten wir uns alle verpflichtet, dauernd unseren Wert zu beweisen.
Genau in dem Augenblick, als ich sicher war, ohnmächtig zu werden, verletzte Kendra ihren Fuß mit der Hacke, und ich mußte sie zur Unfallstation begleiten. Dieses »Aus« kam gelegen, aber ich kehrte aufs Feld zurück, entschlossen, den Tag zu überstehen. Zudem mußte ich meine Ausdauer stählen, da wir in der nächsten Woche in der Provinz Oriente am östlichen Ende der Insel Zuckerrohr schneiden sollten. Nachdem ich mich geduscht, mich umgezogen und ein paar Augenblicke in der klimatisierten Behaglichkeit des Havanna Libre ausgeruht hatte, verließ ich das Hotel mit einem Genossen unserer Delegation, um mir die Straßen von Havanna anzusehen. Die alte spanische Architektur in einigen Teilen des Stadtzentrums ließ mich an den Unabhängigkeitskrieg zurückdenken, den Schwarzen General Antonio Macco, der etwa achtzigmal verwundet wurde, bis er endlich fiel. Am Ende der Malecon sahen wir das von den Vereinigten Staaten errichtete Denkmal. Der Adler an der Spitze war weg. Die Revolutionäre hatten ihn nach dem Marsch auf Havanna heruntergerissen. Wir sahen eine junge Frau der Miliz, die auf Wache vor ihrem Arbeitsamt ein Maschinengewehr handhabte. Angetan mit einem hellblauen Hemd mit Schulterstücken, einer olivgrünen Hose und Militärstiefeln verteidigte sie das ihr anvertraute Stück Erde. Da der Erzfeind so nahe war - Florida lag nur 160 km entfernt - spielte die Verteidigung im täglichen Leben Kubas notwendigerweise eine hervorragende Rolle. Die Leute sprachen noch von dem Landungsversuch in der Schweinebucht, als sei es erst gestern geschehen. Acht Jahre waren seit den Bestattungsfeierlichkeiten der Sieben vergangen, die getötet worden waren, als Flugzeuge aus den Vereinigten Staaten und ihren Basen in Guatemala und Nicaragua die Flughäfen dreier kubanischer Städte bombardiert hatten. Am 16. April 1961 hatte Fidel den sozialistischen Charakter der kubanischen Revolution proklamiert und sein Volk aufgerufen, sich zu mobilisieren, auf daß die »Marionetten des Imperialismus ihre Aggressionshandlungen nicht ausdehnen« könnten. Und tatsächlich landeten schon am nächsten Tag verbannte Kubaner, die von der CIA mit Hilfe der Kennedy-Regierung ausgebildet worden waren mit Schiffen und Flugzeugen der Vereinigten Staaten an der Playa Giron.
Acht Jahre waren in der Tat eine kurze Zeitspanne, wenn man bedachte, daß die Kubaner versuchten, eine neue Welt aufzubauen und ihr Recht dazu mit dem Tode besiegeln wollten. Die Aggression der Vereinigten Staaten hatte sich auch auf andere Weise zu erkennen gegeben. Die Kennedy-Regierung hatte die Lagerung sowjetischer Raketen auf kubanischem Boden als Vorwand benutzt und offen ihre Absicht erklärt, die kubanische Revolution auszurotten, selbst wenn das eine thermonukleare Katastrophe bedeuten sollte. Und während der Tage der Oktoberkrise taumelte die Welt an einem Abgrund. Außerdem gab es die von den Vereinigten Staaten verhängte wirtschaftliche Blockade; amerikanische Truppen lagen in der Guantanamo Basis in Oriente, und die Nachricht war durchgesickert, daß Kennedy tatsächlich davon gesprochen hätte, den Premierminister Fidel Castro ermorden zu lassen. Eine der Massenorganisationen, die von einem Ende der Insel bis zum anderen dauernd in Erscheinung trat, war das Komitee zur Verteidigung der Revolution. Als wir zum erstenmal durch die Straßen von Havanna gingen, merkten wir, daß an mindestens einer Tür in jedem Block ein rot-weiß-blaues Plakat mit den Worten hing »Comite de Defensa de la Revolución«. Diese Organisation war spontan entstanden. Als am 28. September 1960 Fidel auf einer Kundgebung von seiner Reise zu den Vereinigten Nationen berichtete, wurden von jemand in der Menge zwei Bomben losgelassen. Fidel reagierte schnell:
»Wir wollen ein System der kollektiven Wachsamkeit einrichten, und dann wollen wir sehen, ob die Lakaien des Imperialismus noch weiter tätig sein können, denn wir leben in der ganzen Stadt; es gibt kein Wohngebäude in dieser Stadt; es gibt keinen Block, keinen Straßenblock, die hier nicht vielfach vertreten wären... Wir werden ein Komitee der Revolutionären Wachsanikeit in jedem Straßenblock einrichten, so daß das Volk Wache steht, so daß das Volk alles sieht, so daß der Feind versteht: wenn die Massen des Volkes organisiert sind, dann gibt es keinen Imperialisten oder Lakaien der Imperialisten, keinen Ausverkauf an die Imperialisten und keine Werkzeuge der Imperialisten, die wieder eingesetzt werden können.«
Bis 1969 gab es das CDR in buchstäblich jedem Häuserblock der Insel. Es war komisch, sich etwas von der Propaganda, die in den Vereinigten Staaten über die kubanische Revolution im Schwange war, ins Gedächtnis zu rufen - besonders die Lügen über das Komitee für die Verteidigung der Revolution. In der Regierungspropaganda wurde dieses als SpionageOrganisation dargestellt, etwa wie die FBI, die herumschnüffelte und Informationen über das Volk sammelte, um sie der Regierung mitzuteilen. Das war selbstverständlich absurd, da die Mehrheit des kubanischen Volkes zum CDR gehörte; sie war ihm beigetreten, weil sie mithelfen wollte, die Saboteure und feindlichen Agenten auszumerzen, die die kubanische Revolution zu untergraben suchten.
Eine andere allgemein geglaubte Fälschung über Kuba hatte mit der Rolle Fidel Castros zu tun. Nach der Propaganda war er nicht nur ein »tyrannischer Diktator«, der dem Volk seinen eisernen Willen aufzwang; man schilderte ihn als eine unfehlbare, charismatische Figur, die vom Volk Anbetung erwartete. Nachdem ich alle die großartigen Plakate von Che Guevara und anderen Führern der Revolution gesehen hatte, suchte ich angestrengt nach Bildern und Plakaten von Fidel. Diejenigen, die ich finden konnte, waren historisch - er war darauf in einer typischen Kampfszene mit seinen Guerillas abgebildet. Aber sonst waren nirgends Porträts des Premierministers zu entdecken. Als ich einige der compaiieros fragte, warum so viele Porträts von Che vorhanden wären, aber keins von Fidel, erklärten sie mir, daß er dem Volk selbst untersagt hätte, Bilder von ihm in den Büros oder Arbeitsstätten aufzustellen. Das machte, wie ich hörte, die Leute manchmal ärgerlich, weil sie glaubten, daß er sich mehr zurückhielt als nötig war. Fast jeder Kubaner, mit dem man über Fidel sprach, machte es klar, daß er in ihm nicht mehr als einen außergewöhnlich intelligenten, außerordentlich engagierten und äußerst warmherzigen Menschen sah, der große Führereigenschaften besaß. Er beging Fehler, menschliche Irrtümer, und das Volk liebte ihn großenteils gerade darum, weil er ihm gegenüber ehrlich war. Fidel war ihr Führer, aber was am wichtigsten war, er war auch ihr Bruder im weitesten Sinne des Wortes.
Wir verbrachten eine Woche in dem kleinen Dorf Santa Maria das mitten im Zuckerzentrum Antonio Guiterras liegt, lebten in Blockhütten mit zementierten Fußböden innerhalb eines Lagers, das gewöhnlich der Partei als Ausbildungslager für politische Erziehung diente. Wir aßen an einem offenen Platz, der überdacht war, um ihn vor der manchmal unerträglich heißen Sonne Orientes zu schützen. Die Toilette war ein regelrechtes Plumpsklo, bis am Ende unseres Aufenthalts Wasserspülung installiert wurde. Die Dusche war eine Zementkabine, in die wir große Eimer kaltes Wasser aus dem einzigen Hahn dieser Anlage schleppten. Wir führten ein rauhes Leben, selbst nach kubanischen Maßstäben. Wir befolgten die vorgeschriebene Routine: Aufstehen um fünf, Frühstück und raus aufs Feld mit der Machete. Zurück ins Lager um elf, Lunch und Ruhe während der Mittagsstunden, wenn die drückende Tropenhitze selbst für die gefährlich war, die daran gewöhnt waren. Zurück auf die Felder um drei, und um sechs war es Zeit, die Machete für diesen Tag beiseite zu legen. Zuckerrohr schneiden war viel schwerer und ermüdender als die Arbeit auf den Kaffeefeldern. Aber ich war wiederum entschlossen, mindestens meinen Beitrag zu leisten, und ich befolgte sorgsam das System: ein kräftiger Hieb an die Wurzel der Pflanze; vorsichtige Schläge an den Seiten des Stengels, um die Blätter zu entfernen, dann als letztes den Stengel längsweise in Stücke schneiden, damit er für die Verarbeitung die richtige Größe hatte.
Es war schwer, und die Hitze wurde dadurch noch unerträglicher, daß unsere Kleidung aus Blue Jeans, schweren Arbeitshemden mit langen Ärmeln, hohen Stiefeln und Handschuhen bestand. Das alles diente dem Schutz gegen den Saft, der aus den Zuckerrohrblättern quoll und einen schlimmen Hautausschlag verursachen konnte. Ich hatte mich bald damit abgefunden, daß ich während der Arbeitsstunden eines jeden Tages von Schweiß nur so troff. Nach zwei Tagen hatte ich die Sache spitz; meine Energie war wieder hergestellt, wie es schien, und ich konnte mit einem kubanischen compahero mithalten - obwohl ich argwöhnte, daß er sein Tempo verlangsamte, um bei mir zu bleiben. Eines Tages sagte ich dem Kubaner gesprächsweise, wie sehr ich seine Geschicklichkeit bewunderte, mit der er Zuckerrohr schnitt - es war fast wie eine Kunst, wie er es tat. Er dankte mir für das Kompliment, fügte aber schnell hinzu, daß seine Geschicklichkeit eine Geschicklichkeit sei, die überflüssig werden müsse. Zuckerrohr schneiden sei eine unmenschliche Strapaze, sagte er. Vor der Revolution wären Tausende um ihrer Existenz willen darauf angewiesen gewesen, während der Zuckerrohrernte wie die Tiere zu arbeiten. Viele von ihnen mußten sich dann schließlich mit der Machete einen Finger abschneiden, um mit dem Versicherungsgeld ein bißchen länger auskommen zu können.
Die Arbeit des Zuckerrohrschneidens hatte sich seit der Revolution qualitativ verändert. Niemand war mehr Zuckerrohrschneider von Beruf; während der Erntezeit machte jeder mit. Auch wurde aus ihrem Arbeitsschweiß kein Profit herausgeschunden. Sie wußten, daß die Einkünfte aus dem Zuckerverkauf im Ausland dazu benutzt würden, den Lebensstandard des kubanischen Volkes insgesamt anzuheben - man würde neue Schulen bauen, neue Krankenhäuser errichten; Plätze für die Kinderversorgung würden sich vermehren, bessere Unterkünfte würden für die Bedürftigsten vorhanden sein. Trotzdem, sagte dieser Kubaner, sei die Arbeit des Zuckerrohrschneidens nicht menschenwürdig; sie mache einen vorzeitig alt. Er tat sie weiter, weil er wußte, daß er für den Tag arbeitete, da seine Söhne und deren Kinder nicht mehr unter der drückenden Sonne schuften mußten. Die Mechanisierung der gesamten Industrie stand auf dem Plan, aber die Schnelligkeit, mit der sie ins Werk gesetzt werden konnte, hing von den Opfern ab, die alle bereit waren, auf sich zu nehmen. Auf diese Weise kritisierte er mich, weil ich etwas romantisiert hatte, was eigentlich nichts anderes war als fürchterlich schwere Arbeit. Damals begann ich wahrhaft zu begreifen, was Unterentwicklung bedeutet: es ist nichts, was man utopisieren darf. Das Schicksal unterdrückter Menschen zu romantisieren ist gefährlich und irreführend.
Im Verlauf der Zeit begannen Kendra und ich das Gefühl zu haben, als hätten wir in diesem kleinen Dorf in Oriente Wurzeln geschlagen.
 Wir hatten fast jeden Bewohner kennengelernt; wir kannten das kommunistische Hauptquartier gut und wir kannten alle Kinder des Ortes. Trotz der Sprachschwierigkeiten akzeptierten uns die Kinder als Familienmitglieder. Sie halfen mir täglich bei meinen spanischen Lektionen. Ich war äußerst beschämt, daß ich vor der Reise nicht ein wenig Spanisch gelernt hatte, denn es ist beleidigend, wenn man ein Volk besucht, ohne vorher seine Sprache gelernt zu haben. Weil ich so schlecht Spanisch sprach, das ich nie studiert hatte, fühlte ich mich den Kindern gegenüber unbefangener. Sie waren geduldig, verbesserten mich und halfen mir, Wörter zu finden, wenn kein Wörterbuch vorhanden war. Es war in der Tat ein trauriger Tag, als wir unsere Sachen zusammenpacken und den Bus besteigen mußten, um zur nächsten Station unserer Reise weiterzuziehen. Wir weinten alle - Männer und Frauen, sowohl in unserer Delegation wie auf der kubanischen Seite. Das Schwierigste für mich war, von den Kindern Abschied zu nehmen. Ein Junge von etwa neun oder zehn Jahren, der in seiner Gruppe immer der härteste gewesen war, schien nur sehr widerwillig näherzukommen, um auf Wiedersehen zu sagen. Ich hielt das für seine natürliche Schüchternheit. Kurz bevor ich den Bus bestieg, ging ich hin zu ihm und gab ihm einen Kuß auf die Wange. Er riß sich von mir los und rannte davon, so schnell er konnte. Ich sah ihn hinter einem Baum stehen, wo er sich zu verstecken suchte, während sein Körper vom Schluchzen bebte. Die Tränen, mit denen meine Augen gefüllt waren, liefen mir übers Gesicht.
In den nächsten Wochen absolvierten wir ein ungewöhnlich anstrengendes Programm: Schulen, Krankenhäuser, Anstalten für Kinderfürsorge, historische Stätten, ein Erholungszentrum für Arbeiter, die Universität von Santiago, einen Staudamm, ein Zentrum für die Reisanpflanzung. Überall, wo wir hingingen, waren wir von dem Ergebnis des harten Kampfes, der nach dem Triumph der Revolution gegen den Rassismus geführt worden war, unendlich beeindruckt. Die ersten Erlässe der neuen Regierung betrafen die Abschaffung der Rassentrennung in den Städten, die von den korrupten Kapitalisten der Vereinigten Staaten nach Kuba gebracht worden war. Jetzt galt es einfach als Verbrechen, in irgendeiner Weise, und sei es auch nur durch den Gebrauch rassistischer Sprache, die Schwarzen Menschen zu diskriminieren. Aber wichtiger war natürlich die Vernichtung der materiellen Basis für den Rassismus - ihre Ausmerzung aus der Wirtschaft. Während unserer Reise sahen wir Schwarze Menschen, die Fabriken, Schulen, Krankenhäuser und andere Unternehmen leiteten. Es war uns klar - und Kendra, Carlos und ich, die drei Schwarzen Mitglieder der Gruppe, sprachen unablässig darüber - daß dieser Kampf gegen den Rassismus nur unter dem Sozialismus so erfolgreich geführt werden konnte.
Gegen Ende August ging unsere Delegation zusammen mit einer puertorikanischen Delegation an Bord eines kubanischen Frachtdampfers, der uns die erste Strecke auf dem Weg nach Hause mitnahm, da er Zement zu den Antillen transportierte. Der Frachter lief noch am selben Abend aus der Bucht von Santiago aus. Als wir die Insel hinter uns ließen, war es in der mondlosen Nacht unmöglich, Land oder See auszumachen. Wir machten es uns bequem, suchten uns auf dem Schiff zurechtzufinden und versuchten zusammen mit der großen puertorikanischen Delegation, die Mannschaft kennenzulernen. Der Kapitän war ein sechsundzwanzig Jahre alter Ex-Philosophiestudent, und ich brannte darauf, mich mit ihm über Philosophie zu unterhalten. Dies war seine erste Reise auf diesem Schiff, und wie wir mußte er sich erst mit dem Schiff und seiner Mannschaft vertraut machen. Als wir weiter ins Dunkel fuhren, flog plötzlich mit Blitzesschnelle ein Flugzeug über das Schiff. Bevor ich meine Gedanken sammeln konnte, kreuzte es ein zweitesmal über uns hinweg. Als Kendra und ich zur Kapitänsbrücke rannten, um zu erfahren, was los war, erzählte uns ein Mitglied der Mannschaft ruhig, daß das ein Aggressionsmanöver eines Flugzeugträgers der Vereinigten Staaten sei, der die wirtschaftliche Blockade durchführte. Mit Hilfe von Lichtern signalisierte der Flugzeugträger unserem Schiff, es solle sich und seine Bestimmung zu erkennen geben. Man konnte natürlich seine kubanische Flagge sehen; die ganze Episode war eine routinemäßige Belästigung, der sich kubanische Schiffe ausgesetzt sahen, wenn sie außerhalb ihrer Gewässer fuhren. Wir signalisierten zurück, bevor wir uns identifizierten, wünschten wir den Namen und den Auftrag derjenigen, die diese Auskunft verlangten.
Die erste Begegnung mit einem Flugzeugträger der Vereinigten Staaten brachte eine Mischung aus Heiterkeit und Spannung, Plötzlich erhellte in der Nähe ein bizarres, lautloses, explosionsartiges Etwas die Finsternis. Zuerst sah es aus wie eine winzige pilzartige Wolke. Eine Sekunde später schien es auf uns zuzufliegen. Ich war zu verängstigt, um zu fragen, was vor sich ging; wenn das ein tödliches Gas war, dann war kein Entkommen rnöglich. Schließlich umgab es das Schiff mit seinem hellen Licht und erleuchtete die ganze Umgebung, als sei es mitten am Tage. Darauf bemerkte ein Mitglied der Schiffsrnannschaft, dies müsse eine neue Leuchtrakete sein, und daß die USA die Blockade dazu benutze, um sie auszuprobieren. Wir wurden endlich die nordamerikanische Militärmacht los und genossen ein paar Tage die Schönheit der Karibischen See. Wir fuhren an den politisch nicht so schönen Ländern Haiti und Santo Domingo vorbei und erhielten endlich die Anweisung, in Guadeloupe zu docken. Ich war nicht besonders erbaut davon, daß ich für die Verständigung mit den Guadeloupanern verantwortlich sein sollte, aber da ich als einzige an Bord Französisch konnte, blieb mir keine andere Wahl. Unsere Delegation hatte sehr wenig Gepäck. Aber die puertorikanische Delegation hatte Bücherkisten, die ihnen die Kubaner für ihre Buchhandlung in San Juan mitgegeben hatten. Ich fragte die Zollbearnten ausdrücklich, ob sie alle Pakete zu prüfen wünschten. Wir wollten auf der Insel jeden Zwischenfall vermeiden, und die Puertorikaner wollten sicher sein, daß sie ihre Pakete von Basse-Terre, wo wir angelegt hatten, nach San Juan verschicken konnten. Der Franzose antwortete, ich solle mir keine Sorgen machen; sie wollten nur unsere Pässe sehen. Wenn die gestempelt seien, wäre für uns alles geklärt. Der kubanische Kapitän hatte uns den Namen einer Frau gegeben, in deren Hotel-Restaurant wir essen könnten; auch würde sie uns erlauben, bei ihr unsere Sachen abzustellen, während wir einen Flug nach Puerto Rico buchten. Nachdem wir unser Gepäck dort abgestellt hatten, ging ich in ein Reisebüro, um für alle fünfundzwanzig von uns Flugtickets zu besorgen. Einige der puertorikanischen Brüder begannen derweil, ihre Pakete zum Postamt zu karren. Ich verhandelte noch mit dem Reisebüro, als einer der puertorikanischen Genossen hereingestürzt kam und verzweifelt erklärte, daß alle Pakete beschlagnahmt worden seien. Die Polizei hatte auch die Pässe von einigen Mitgliedern ihrer Delegation beschlagnahmt, und es schien, als habe man sie eines Verbrechens bezichtigt. Wegen der Sprachschwierigkeiten könnten sie nicht ganz verstehen, was vorging. Sie brauchten mich als Dolmetscher. Als ich durch die Straßen von Basse-Terre ging, war ich sicher, daß es sich um ein geringfügiges Mißverständnis handelte, das sogleich aufgeklärt werden könnte. Die Pässe würden zurückgegeben und wir könnten am Abend auf unserem Weg nach Puerto Rico sein. Die Genossen führten mich eine Straße mit baufälligen Häusern entlang, durch eine dunkle Einfahrt und in eine schmuddelige Garage, die anscheinend der französischen Zollbehörde als Speicherraum diente. In dem trüben Licht dieses Kellers standen etwa zehn Mitglieder der puertorikanischen Delegation im Kreis um einen alten französischen Kolonialisten, der ihre Pässe in der Luft schwenkte, während er über den Kommunismus fluchte, der sich in die »freie französische Welt« von Guadeloupe einschleichen wollte. Die Gesichter der puertorikanischen Brüder waren vom Unverständnis verzerrt. Ruhig, aber entschlossen fragte ich ihn, was ihn denn so erregte. Mein besonnenes Verhalten ernüchterte ihn nicht, wie ich gehofft hatte, sondern ließ ihn in eine Tirade ausbrechen, die noch giftiger war als die erste. Er beschuldigte uns alle, Agenten des kubanischen Kommunismus zu sein und kommunistische Propaganda zu bringen, um eine Revolution auf dieser stillen Insel anzuzetteln, wo die »Eingeborenen« ihre französischen Herrscher liebten und so viele Jahrzehnte lang friedlich mit ihnen zusammengelebt hätten. Ich dachte bei mir, daß es tatsächlich sein Gutes haben würde, wenn wir in so kurzer Zeit dort einen Aufstand hätten anzetteln können.
Leider aber hatte unsere Anwesenheit auf der Insel nichts mit revolutionärer Tätigkeit zu schaffen. Als er sich beruhigte, begann ich ihm die einfache Wahrheit zu sagen: Einige von uns seien Kommunisten - ich zum Beispiel - und andere nicht. Wir seien auf der Rückreise von einem Besuch in Kuba und hofften, Guadaloupe im nächsten Flugzeug nach Puerto Rico zu verlassen. Was die Bücher und die Literatur anbelangte, so hätten wir nicht die Absicht, ein einziges in Guadeloupe zurückzulassen. Sie seien für einen Buchladen in Puerto Rico bestimmt. Außerdem seien sie in spanischer Sprache geschrieben, und soweit ich wüßte, sei Französisch, nicht Spanisch die Sprache von Guadeloupe. Zudem sei die Mehrzahl der Bücher ihrem Inhalt nach nicht politisch, sondern klassische und zeitgenössische Literatur in spanischer Sprache. Als ich Atem schöpfen wollte, um zum nächsten Teil meiner französischen Rede zu kommen, machte der Mann eine wilde, ausgreifende Bewegung mit dem Arm, begab sich von einer Seite des Raumes zur anderen, und deutete mit einem anklagenden Finger auf mich. »Mademoiselle, vous êtes communiste!« schrie er und ein entsetzter Ausdruck verzerrte sein Gesicht. Meine beiläufige Erwähnung des Kommunismus hatte offenbar Seinen schlimmsten Argwohn bestätigt. Ich wußte, daß ich ein Gespräch mit einem tobsüchtigen Irren führte. Aber trotz der bizarren Umstände in diesem schäbigen Keller auf dem Territorium des französischen Imperialismus, fühlte ich mich aufgerufen, meine Partei, Kuba, die sozialistischen Länder, die weltweite kommunistische Bewegung und die Sache der unterdrückten Völker der ganzen Welt zu verteidigen.
»Oui, Monsieur, je suis communiste et je le considére un des plus grands honneurs humains, parce que nous luttons pour la libération totale de la race humaine.«
In der Hitze des Streites hatte ich noch nicht einmal die herumstehenden Genossen gefragt, wie sie sich mit dieser Lage auseinandersetzen wollten. Mit meiner Rede hatte ich ihre Situation noch verschlimmert. Das Gesicht des Franzosen war tiefrot angelaufen, und er drohte uns wütend, er wolle uns fünf Jahre lang einsperren und unsere Bücher ins Meer werfen. Jetzt wurde es langsam Zeit, diesen Dialog auf eine andere Ebene zu bringen. Schließlich hatten sie auf der Insel die Macht, und wenn wir uns nicht vorsahen, konnten wir uns wirklich in einem Verlies wiederfinden, ohne daß jemand von unserem Verbleib etwas wußte. Ich wiederholte meine ursprüngliche Behauptung, wir seien nicht in einer politischen Mission nach Guadeloupe gekommen. Wir hätten dies nur für den bequemsten Weg gehalten, in unsere Länder zurückzukehren. Aber der Mann ließ sich nicht beschwichtigen. Er begann einige der Pakete aufzureißen, die auf dem Fußboden gestapelt waren. Als er in einem von ihnen Exemplare von Tri-Continentals entdeckte, einer revolutionären Zeitschrift, die in Kuba veröffentlicht wurde, fragte er mich, wo sich denn die ganze klassische Literatur befände. Er riß ein zweites Paket auf und fand diesmal etwas, das ihn von neuem in höchste Wut versetzte: Plakate, die Christus mit dem Heiligenschein auf dem Kopf und einen Karabiner auf der Schulter darstellten. Für ihn war das der Tropfen, der das Faß zum überlaufen brachte. Er verlor alle Beherrschung und fiel buchstäblich auf den Boden, wo er mit Armen und Beinen strampelte und unartikulierte Töne brüllte. Ich starrte ungläubig auf diese verzweifelte Kreatur und entschloß mich, ruhig zu warten, bis dieser Anfall vorüber war. Uniformierte Männer traten in den Raum, als wollten sie uns verhaften.
Es stellte sich aber heraus, daß sie alle Pässe haben wollten, die sie noch nicht beschlagnahmt hatten. Ich sagte ihnen, daß sie kein Recht hätten, unsere Pässe wegzunehmen - man hätte uns noch nicht einmal formell eines Verbrechens beschuldigt. Einer der Kolonialisten verkündete, daß wir am nächsten Morgen vor einem Richter zu erscheinen hätten, der uns die Beschuldigung vorlesen und den Prozeß machen werde. Wenn wir unsere Pässe nicht ausliefern wollten, dann sei die Alternative der Aufenthalt im Gefängnis. Da ich mir ausmalte, wie die Verliese beschaffen sein mußten, und da ich einsah, daß uns keinerlei Bewegung den Rücken stärkte, wenn wir auf einer Insel im Karibischen Meer versteckt waren, entschlossen wir uns alle, die Pässe auszuhändigen und unsere Freiheit auszunutzen, um unser Entkommen zu planen. Wir machten von einigen Verbindungen des Kapitäns Gebrauch, die er mit sympathisierenden Kubanern auf der Insel unterhielt, und nahmen mit einer Schwarzen Frau Kontakt auf, die eine geachtete Rechtsanwältin und ein führendes Mitglied der kommunistischen Partei von Gouadeloupe war. Maitre Archiméde war eine große Frau mit sehr dunkler Haut, durchdringenden Augen und unverwüstlichem Vertrauen. Ich werde unsere erste Begegnung nie vergessen. Ich hatte das Gefühl, daß wir vor einer sehr bedeutenden Frau stünden. Und was unser Schlamassel betraf, so hatte ich nicht den geringsten Zweifel, daß sie uns daraus befreien würde.
Aber ich war von ihrer Persönlichkeit so beeindruckt, und von dem Respekt, den sie als Kommunistin selbst den Kolonialisten gebot, daß unser Problem einen Augenblick lang davor zurücktrat. Hätte ich meinen Wünschen nachgegeben, ich wäre auf der Insel geblieben, um von dieser Frau zu lernen. In den nächsten Tagen arbeitete sie hartnäckig mit den Zollbeamten, der Polizei, den Richtern. Wir erfuhren, daß es in der Tat ein Gesetz gab, das rechtlich einwandfrei angewendet werden konnte - soweit koloniale Gesetze rechtlich einwandfrei sein konnten - und uns beträchtliche Zeit hinter Gitter bringen konnte. Die einzige Möglichkeit war ein Kompromiß: die Kolonialisten würden uns von der Insel nur unter der Bedingung ausreisen lassen, daß die Puertorikaner ihre Literatur zurückließen. Natürlich lehnten wir uns dagegen auf, aber wir hatten immerhin die erste Phase unseres Kampfes gewonnen. Unsere endgültige Entscheidung lief darauf hinaus, daß wir unsere Pässe entgegennehmen, Guadeloupe verlassen und die Frage der Bücher in den Händen von Madame Archiméde lassen würden, die uns versprach, alles tun zu wollen, was in ihrer Macht stünde, um sie herauszupauken. Mit einer formlosen Feier dankten wir Maitre Archiméde für ihre unschätzbare Hilfe. Liebevoll nahmen wir Abschied von der Frau, die uns die Gastfreundschaft ihres Hotels gewährt hatte, von dem kubanischen Kapitän und seiner Besatzung. Dann begaben wir uns nach der anderen Seite der Insel, Point-à-Pitre, wo wir am nächsten Morgen ein Flugzeug nach Puerto Rico bestiegen. Von dort flogen wir Nordamerikaner weiter nach New York.
Die Reise nach Kuba war ein großer Höhepunkt in meinem Leben gewesen. Ich fühlte mich unendlich gereift, und es schien, daß der grenzenlose revolutionäre Enthusiasmus der Kubaner meiner Existenz einen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt hatte. Ich hatte mir vorgenommen, ein paar Tage in New York zu verbringen, um dann geradewegs zu meinem Haus in Cardiff-by-the-Sea zu fahren, wo ich ruhig über meine Erlebnisse in Kuba nachdenken konnte, bevor ich mein Jahr als Dozentin an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) begann. Erst als ich an die Küste zurückkehrte, erfuhr ich, daß ein FBI-Agent in der Universitätszeitung einen Artikel über eine Kommunistin veröffentlicht hatte, die erst kürzlich von der Philosophischen Fakultät angestellt worden sei. William Divale enthüllte in seinem Artikel, daß er auf Geheiß der FBI in die kommunistische Partei infiltriert sei. Unzweifelhaft hatte man ihn auch geheißen, den Artikel über meine Zugehörigkeit zur Partei zu veröffentlichen. Ein weiterer Artikel war im San Francisco Examiner unter dem Namen von Ed Montgomery erschienen, einem der reaktionärsten Reporter des Staates. Ihm zufolge war ich nicht nur ein Mitglied der kommunistischen Partei der USA, sondern (trotz des offenbaren Widerspruchs) noch dazu Maoistin. Der Artikel behauptete, ich gehörte außerdem zu den Studenten für eine Demokratische Gesellschaft und der Schwarzen-Panther-Partei. Und schließlich, sagte er, hätte er erfahren, daß ich für die Schwarzen Panther Waffen schmuggelte; es sei ihm als Tatsache bekannt, daß ich schon geraume Zeit von der Polizeibehörde von San Diego beobachtet würde. Als ich diesen Unsinn las, mußte ich lachen. Aber zu gleicher Zeit spürte ich, daß ich ernsthaft gefährdet war. Meine Vermutungen bestätigten sich, als ich hörte, daß der Verwaltungsrat der Universität unter der Führung des Gouverneurs Ronald Reagan - den Kanzler der Universität von Los Angeles aufgefordert hatte, mir die forrnelle Frage vorzulegen, ob ich ein Mitglied der kommunistischen Partei sei. Ich muß zugeben, daß ich von diesem Lauf der Ereignisse etwas schockiert war.
Nicht daß ich erwartet hatte, man werde die Frage meiner Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei ganz unter den Tisch fallen lassen. Was mich schockierte, war der zeremonielle Charakter dieses Konflikts und der Beginn wie es schien - einer Inquisition à la McCarthy. Als ich die Stelle an der UCLA annahm, kannte ich nicht die Bestimmung in den Richtlinien die auf das Jahr 1949 zurückging - die die Anstellung von Kommunisten verbot. Dieses offensichtlich verfassungswidrige Statut wurde aus der Schublade geholt und von Ronald Reagan und Konsorten angeführt, um meine Dozentur an der Universität zu unterbinden. Als sich diese ganze Sache zusammenbraute, wurde mir klar, daß die persönlichen Ziele, die ich mir gesetzt hatte, im Begriff standen, frontal mit den politischen Verpflichtungen meines Lebens zusammenzustoßen. Ursprünglich war es nicht meine Absicht gewesen, in diesem Jahr mit der Arbeit zu beginnen. Ich hatte meine Doktorarbeit noch nicht abgeschlossen und wollte das aus dem Weg räumen, bevor ich auf Stellungsuche ging. Später hatte ich beschlossen, die Stellung an der UCLA anzunehmen, weil mein lockerer Stundenplan mir die Zeit und die Beweglichkeit bieten würde, die ich für die Beendigung meiner Dissertation benötigte. Ich wollte mit allen Mitteln diesen Teil meines akademischen Lebens hinter mich bringen. Aber jetzt war ich herausgefordert worden. Wenn ich die Herausforderung annahm, dann hieß das, daß ich den Doktortitel nicht vor Ende dieses Schuljahrs empfangen konnte. Meine Genossen im Che-Lumumba-Club verpflichteten sich sofort, in der Schwarzen Gemeinschaft von Los Angeles eine Kampagne für mein Recht, an der UCLA zu lehren, ins Werk zu setzen.
Auch weiße Genossen wurden aktiv. An der Universität ergriffen die Schwarze Studenten-Union und die Organisation der Schwarzen Professoren das Banner. Studenten und Professoren in großer Zahl begannen die Notwendigkeit einzusehen, den Übergriffen des Verwaltungsrats auf die Autonomie der Universität die Stirn zu bieten. Die Philosophische Fakultät verurteilte einstimmig den Verwaltungsrat, weil er mich wegen meiner politischen Überzeugungen und Verbindungen vernehmen wollte. Von ihnen sei niemand, als Vorbedingung für seine Anstellung, gefragt worden, ob er Mitglied der demokratischen, republikanischen oder sonst einer Partei sei. Der Dekan der Philosophischen Fakultät, Donald Kalish, hatte von Anfang an eine grundsätzliche, unnachgiebige Haltung eingenommen. Es war hauptsächlich ihm und den Bemühungen der wenigen Schwarzen Professoren zu verdanken, daß die Bewegung zur Unterstützung meines Lehrrechts sich durch den gesamten Lehrkörper verbreitete. Alles war zum Kampf gerüstet. Der erste Schritt war eine Antwort auf den Brief des Kanzlers, in dem er mich fragte, ob ich der kommunistischen Partei angehörte. Nur mein Anwalt - John McTernan - und einige gute Freunde wußten, wie ich auf diese Frage antworten wollte. Die meisten glaubten, daß ich das Fünfte Zusatzgesetz zur amerikanischen Verfassung anrufen und eine Antwort ablehnen würde, mit der Begründung, daß ich mich dadurch selbst bezichtigte. Während der McCarthy-Zeit war das die Strategie der meisten Kommunisten gewesen, denn wenn damals festgestellt werden konnte, daß jemand ein Kommunist war, dann konnte er oder sie nach einem Sondergesetz zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt werden. Gus Hall und Henry Winston, der Generalsekretär und der Vorsitzende unserer Partei, hatten fast zehn Jahre ihres Lebens hinter Gefängnismauern verbracht. Da es auf alle Fälle zum Kampf kommen mußte, hielt ich es für besser, das Schlachtfeld zu bestimmen und selbst die Kampfbedingungen festzulegen.
Die Mitglieder des Verwaltungsrates hatten den Angriff auf mich eröffnet. Jetzt wollte ich die Offensive ergreifen und den Angriff gegen sie vortragen. Ich beantwortete den Brief des Kanzlers mit einer eindeutigen Bestätigung, daß ich der kommunistischen Partei angehörte. Ich protestierte scharf dagegen, daß die Frage überhaupt gestellt worden sei, aber machte ihnen klar, daß ich offen, als Kommunistin zu kämpfen gedächte. Meine Antwort traf den Verwaltungsrat unvorbereitet, und einige faßten meine Mitteilung, daß ich Mitglied der kommunistischen Partei sei, als persönliche Beleidigung auf. Bestimmt hatten sie sich fest darauf verlassen, daß ich das Fünfte Zusatzgesetz anrufen würde. Dann hätten sie ihrerseits die Strategie gewählt, meine unmittelbare Vergangenheit zu durchkämmen, um zu beweisen, daß ich tatsächlich Kommunistin war. Sie begegneten meinem Schachzug mit einer hitzigen, zornigen Erwiderung: sie erklärten mir ihre Absicht, mich zu entlassen. Die Rassisten und Anti-Kommunisten im ganzen Land waren außer sich vor Wut. Drohende Anrufe und Briefe häuften sich in der Philosophischen Fakultät und in den Geschäftsstellen der kommunistischen Partei. Ein Mann brach in das Büro der Philosophischen Fakultät ein und attackierte Don Kalish mit körperlicher Gewalt. In meinem Arbeitszimmer mußte eine besondere Telefonleitung eingerichtet werden, damit die Anrufe für mich gesiebt werden konnten, bevor sie zu mir durchgestellt wurden. Die Universitätspolizei war dauernd in Alarmbereitschaft. Mehrere Male mußte sie wegen der Bombendrohungen, die ich erhielt, meinen Wagen durchsuchen. Aus Sicherheitsgründen wurde mir von meinen Genossen in Che-Lumumba ein Bruder zugeteilt, der mir praktisch immer zur Seite stand; ich mußte viele persönliche Gewohnheiten ändern und mich den Anforderungen der Sicherheit anbequemen. Was ich bisher als selbstverständlich angenommen hatte, war völlig unmöglich geworden. Wenn ich zum Beispiel mit meiner Arbeit nicht weiterkam, dann konnte ich nicht mehr um zwei Uhr morgens einen Spaziergang machen oder in mein Auto steigen. Wenn ich zu einer Stunde, in der die meisten Menschen schlafen, eine Zigarette wollte, mußte ich Josef aufwecken und ihn bitten, mit mir zu gehen. Ich konnte mich nur schwer an die Notwendigkeit gewöhnen, ständig jemanden bei mir zu haben, und ich wurde dauernd von den Mitgliedern des Che-Lumumba-Clubs gerügt, daß ich um meine Sicherheit so wenig besorgt sei. Kendra und Franklin Alexander hielten mir immer wieder vor, daß man ihnen die Schuld geben würde, wenn mir etwas passierte.
Wenn ich die Sicherheitsmaßnahmen auf die leichte Schulter nahm, erinnerten sie mich an all die Fälle, die sich schon ereignet hatten. Es war schon vorgekommen, daß ich von der Polizei verfolgt wurde, als ich allein nach Hause fuhr. Sie war mir eine ganze Strecke gefolgt, und als ich die Fahrt verlangsamte, um in meine Einfahrt einzubiegen, richteten die Polizisten ihren Scheinwerfer in den Wagen und hielten ihn auf mich, bis ich die Tür erreicht hatte. Ich hatte geglaubt, das sei nur einer ihrer verschiedenen Versuche, mich zu belästigen, und schenkte der Sache keine weitere Beachtung. Aber hinterher erklärte mir ein Genosse, daß ich die Polizei unterschätzte - vielleicht trafen sie Vorbereitungen für ein Attentat. Es war auch nicht nur die Polizei. Die Genossen hielten mir mehrmals vor, daß unter den tausend Todesdrohungen, die ich erhalten hatte, eine von jemand sein konnte, der so wahnsinnig war, mich tatsächlich umbringen zu wollen. Nur eine Person, eine verrückte Person. Nach unserem ersten Sieg vor Gericht - einer Verfügung, die dem Verwaltungsrat untersagte, mich aus politischen Gründen zu entlassen - nahmen die haßerfüllten Briefe und Drohungen an Zahl und Wut zu. Bombendrohungen waren so häufig, daß nach einiger Zeit die Polizei nicht mehr unter der Haube meines Wagens nachsah. So mußte ich notgedrungen dieses Verfahren selber lernen.
Eines Nachmittags unterbrach ein Schwarzer Zivil-Polizist meinen Unterricht, um mir zu sagen, daß ernstzunehmende Drohungen eingetroffen seien, und daß ihn die Universitätspolizei beauftragt habe, mich zu bewachen, bis ich nach Hause ginge. An jenem Tage waren an verschiedenen Stellen des Universitätsgeländes Anrufe mit der Warnung erfolgt, daß ich die Universität nicht lebend verlassen würde. Anscheinend hatte dieselbe Person in ganz Los Angeles angerufen, bei meinen Freunden und Bekannten und bei Leuten, die mit der Bewegung verbunden waren. Als ich das Klassenzimmer verließ, warteten Franklin, Gregory und mehrere andere Genossen von Che-Lumumba, um mich nach Hause zu bringen. Ihre langen Mäntel verdeckten nicht ganz die Flinten und Gewehre, die sie mitgebracht hatten. Wir alle erinnerten uns, daß vor knapp einem Jahr John Huggins und Bunchy Carter, zwei Mitglieder der Schwarze-Panther-Partei, hier in der Universität erschossen worden waren - nicht weit von der Stelle, wo ich meine Vorlesungen hielt. Wenn die Notwendigkeit, dauernd auf der Hut zu sein, mir das Leben erschwerte, dann war das nur eine Seite eines größeren Problems: Ich mußte mich an die Tatsache gewöhnen, daß ich über Nacht zur öffentlichen Figur geworden war. Mir grauste davor, im Mittelpunkt einer derartigen übermäßigen Beachtung zu stehen. Die schnüffelnden, oft parasitischen Reporter zerrten mir an den Nerven. Und ich haßte es, wie ein Wundertier angestarrt zu werden. Ich hatte nie den Ehrgeiz gehabt, eine »öffentliche Revolutionärin« zu werden; meine Vorstellung von meiner revolutionären Berufung hatte völlig anders ausgesehen. Immerhin hatte ich die Herausforderung angenommen, die der Staat ins Werk gesetzt hatte, und wenn das bedeutete, daß ich eine öffentlich relevante Persönlichkeit werden mußte, dann mußte ich eben eine solche Persönlichkeit sein - trotz des damit verbundenen Unbehagens. Aber es gab auch außerordentlich rührende Augenblicke, die die unerfreulichen Aspekte meines öffentlichen Lebens mehr als aufwogen. Als ich einmal in einem Supermarkt in der Nähe meines Hauses einkaufte, merkte ich, daß eine Schwarze Frau mittleren Alters, die in der Nähe ihren Karren schob, mich zu erkennen glaubte. Als sich unsere Augen trafen, leuchteten die ihren auf. Sie kam zu mir gestürzt und fragte: »Sind Sie Angela Davis?« Als ich lächelte und ja sagte, traten ihr die Tränen in die Augen. Ich wollte sie an mich drücken, aber sie kam mir zuvor. Mit einer festen, warmen Umarmung sagte sie mir mütterlich: »Mach dir keine Sorgen, Kind. Wir stehen hinter dir. Wir lassen nicht zu, daß man dir die Arbeit wegnimmt. Kämpfe weiter.« Wenn dieser eine Moment die einzige Frucht der vielen Zeit gewesen wäre, die ich der Bewegung gewidmet hatte, sie hätte alle Opfer gerechtfertigt.
Ich hatte niemals bezweifelt, daß meine Mutter und mein Vater in ihrer sanften Art mir zur Seite stehen würden. Ich wußte, daß sie sich dem furchtbaren Druck, ihre »kommunistische Tochter« anzuschwärzen, nicht beugen würden. Aber ich sah auch ein, daß ihre eigene Sicherheit um so mehr gefährdet war, je mehr sie mich verteidigten; ich machte mir große Sorgen um sie. Wenn ich daran dachte, daß sie dem krassesten Rassismus und Anti-Kommunismus des Südens ausgesetzt waren, dann mischten sich in meine Besorgnis die Ängste, die ich während meiner Kindheit in Birmingham ausgestanden hatte. Ich erinnerte mich, wie furchtgeschüttelt ich war, wenn ich die Bomben explodieren hörte, die die Häuser auf der anderen Straßenseite in Trümmer legten. Ich erinnerte mich, wie die Waffen meines Vaters immer in Erwartung eines Angriffs griffbereit in der obersten Schublade lagen. Ich dachte an die Zeit, als das kleinste Geräusch genügte, um meinen Vater und meine Brüder vor dem Haus nach Sprengsätzen suchen zu lassen. Eines Abends, nachdem mein Fall an die Öffentlichkeit gelangt war, sprach ich mit meinem jüngsten Bruder Reginald, der in Ohio studierte. Auch er hatte große Angst, daß unsere Eltern in die Schußlinie geraten könnten und wollte nach Birmingham zurückkehren, um sie zu schützen. Immer wenn ich mit meinen Eltern sprach, versicherten sie mir, daß alles gut gehe.
Vielleicht waren sie nicht körperlich angegriffen worden, aber ich entnahm dem Klang ihrer Stimmen, daß man sie auf andere Weise verletzt hatte. Vielleicht hatte sich jemand, den sie für einen Freund hielten, voller Furcht von ihnen abgewandt, weil er nicht mit den Eltern einer Kommunistin in einen Topf geworfen werden wollte. Die psychologische Wirkung des Anti-Kommunismus geht bei den gewöhnlichen Menschen dieses Landes sehr tief. An dem Wort »Kommunismus« ist etwas dran, das für den Uneingeweihten nicht nur den Feind, sondern auch etwas Unmoralisches, Schmutziges heraufbeschwört. Einer der vielen Gründe, die mich veranlaßten, offen über meine Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei zu reden, war mein Glaube, daß ich dadurch einigen Mythen den Garaus machen könnte, von denen sich der AntiKommunismus nährt. Wenn die unterdrückten Menschen nur einsehen würden, daß Kommunisten an ihnen tiefen Anteil nehmen, dann wären sie gezwungen, ihre irrationale Furcht vor der »kommunistischen Verschwörung« neu zu überdenken.
Ich merkte bald, daß im Ghetto, bei den armen und arbeitenden Schwarzen Menschen die antikommunistischen Reaktionen oft nicht tief verwurzelt waren. Dafür nur ein Beispiel: Ein Bruder, der mir gegenüber wohnte, kam eines Tages zu mir und fragte mich, was Kommunismus sei. »Da muß etwas Gutes dran sein«, sagte er, »weil der Mann uns immer einreden will, daß er schlecht ist.« Aber in Birmingham war das Bild, das die meisten von mir hatten, zweifellos abstrakt und irrational. Viele Menschen, die mich als Kind gekannt hatten, die mich immer noch lieben wollten, nahmen wahrscheinlich ganz einfach an, daß mich die Kommunisten eingefangen, verführt und mir eine Gehirnwäsche verabfolgt hätten. Ich konnte mir vorstellen, daß sie jede Beschönigung gebrauchten, die ihnen einfiel, um mich nicht mit dem schmutzigen Namen einer Kommunistin zu belegen. Als ich während der Weihnachtsferien zu Hause war, gab meine Mutter zu, daß Leute, die sich zu ihren Freunden gezählt hatten, unter dem Druck zusammengebrochen seien. Manche, sagte sie, hätten abrupt aufgehört, sie zu besuchen. Einige Kunden in der Tankstelle meines Vaters waren plötzlich verschwunden.
Andererseits, betonte sie, hätten viele ihrer Freunde mich offen verteidigt. Wenn jemand nur anzudeuten wagte, daß ich in meiner Unschuld in die kommunistische Partei gelockt worden sei, dann vertraten sie den festen Standpunkt, daß ich über meine politische Zugehörigkeit meine eigene Entscheidung gefällt hätte. Meine Eltern hatten meine Geschwister und mich stets aufgefordert, unabhängig zu sein. Seit wir ganz klein waren, hatten sie uns immer wieder geraten, nicht auf andere Leute zu hören, sondern zu tun, was wir für richtig hielten. Ich war stolz, daß meine Eltern mein Recht verteidigen wollten, eine unabhängige, revolutionäre Antwort auf die Unterdrückung meines Volkes zu suchen. Ich blieb in enger Verbindung mit meinem Bruder Ben, der Footballspieler bei den Cleveland Browns ist. Wenn sein Job in irgendeiner Weise darunter litt, daß ich Kommunistin war, dann wollte ich sogleich zu seiner Verteidigung bereit sein. Obwohl damals nichts an die Oberfläche drang - die Probleme sollten sich erst noch einstellen - spürte er doch sehr deutlich das auffällige Schweigen, das ihn umgab. Niemand hatte ihn auch nur gefragt, ob er für oder gegen mich sei. Meine Schwester Fania lebte damals nur etwa 160 km entfernt in der Gegend von San Diego. Sie und ihr Mann Sam studierten an der Universität von Kalifornien in San Diego (UCSD). Das Interesse an den Vorkommnissen in der UCLA war dort überdurchschnittlich groß, weil ich zwei Jahre dieser Universität angehört hatte und offiziell dort noch Studentin der Philosophie war, die sich bei Professor Marcuse auf ihr Doktorexamen vorbereitete.
Ich hatte meine kleine Wohnung in Cardiff nahe der Universität beibehalten, weil ich glaubte, dort einen großartigen Zufluchtsort zu haben, wenn ich der Hektik von Los Angeles entfliehen wollte. Da die Miete vierzig Dollar betrug, fand ich, daß ich mir diese beiden Plätze leisten konnte. Fania und Sam hatten dort gewohnt, bevor sie in eine eigene Wohnung zogen. Auch danach benutzten sie sie immer, wenn ihnen der Sinn danach stand. Nachdem mich der Verwaltungsrat entlassen hatte und meine Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei im ganzen Staat von der Presse gründlich veröffentlicht und angegriffen worden war, machte ich mir natürlich auch Sorgen um Fania und Sam. In der Gegend um San Diego waren die Minute Men beheimatet, das südkalifomische Gegenstück zum Ku-Klux-Klan. Die Polizei war nicht viel besser. Da mir noch recht gut in Erinnerung war, wie ich von der Polizei verfolgt wurde, weil ich zu den Führern der Schwarzen Studenten von San Diego gehörte, warnte ich sie, auf der Hut zu sein.
Meine Angst war nicht unbegründet. Eines Morgens im Herbst läutete das Telefon neben meinem Bett so früh, daß ich wußte, es mußte etwas passiert sein. Mein Herz schlug schnell, als ich mich meldete. »Angela«, flüsterte eine Stimme, die ich sogleich als die meiner Schwester erkannte, »man hat auf Sam geschossen«. Es klang, als rede sie im Schlaf. Ihre Worte waren so unwirklich. »Was willst du damit sagen?« fragte ich ungläubig. »Die Schweine haben auf Sam geschossen«, war die ganze Antwort. Sie sagte nicht, ob er noch lebte, und da ich das Schlimmste befürchtete, wollte ich nicht fragen. Statt dessen versuchte ich, mir eine ruhige Stimme zu geben und bat sie, mir genau zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Zwei Vizesheriffs seien in ihr Haus eingedrungen, hätten auf Sam gefeuert und ihn an der Schulter verletzt. Er hätte die Flinte ergriffen, die sie im Haus hatten, auf sie zurückgefeuert und sie aus dem Haus vertrieben. Als sie sagte, daß er im Krankenhaus sei, fühlte ich eine ungeheure Erleichterung; jetzt konnte ich sie fragen, wie es ihm ging. Die Kugel hatte nur einen Zentimeter von der Wirbelsäule gesteckt. Aber man hatte sie bereits entfernt, und sie glaubte, daß er gesund werden würde. Das größte Problem war im Augenblick, daß man ihn verhaftet hatte. Sobald er vom Krankenhaus entlassen wurde, wollte man ihn ins Gefängnis werfen. Sie sagte, sie riefe von Evelyn und Barry aus an - dem Obergeschoß des Hauses in Cardiff, in dem sich meine Wohnung befand. Ich sagte ihr, sie solle sich nicht rühren, ich würde so schnell ich konnte zu ihr fahren. Nachdem ich Josef geweckt und ihm die Sache erzählt hatte, rief ich Kendra und Franklin an, damit sie die anderen Genossen alarmierten. Franklin erbot sich, nach Riverside zu fahren, wo ich am Nachmittag in der Universität sprechen sollte. Nachdem er meine Abwesenheit entschuldigt und selbst eine Ansprache gehalten hätte, sagte er, würde er selbst nach San Diego kommen. Als wir in Cardiff ankamen, fanden wir Evelyn und Barry in heller Panik. Kurz nachdem Fania mich angerufen hatte, waren mehrere Autos mit Sheriffs vor dem Haus vorgefahren. Mit gezogenen Waffen waren sie hineingestürmt und sagten, sie hätten einen Haftbefehl für Fania Davis Jordon. Sie hatten ihr Handschellen angelegt und sie in einem Streifenwagen abgeführt. Polizei hatte sowohl meine Wohnung wie auch die von Evelyn und Barry im oberen Stock durchsucht. Evelyn war außer sich vor Wut, weil einer der Polizisten mit seinem Gewehr auf das Baby gezielt hatte. Als er das Kind in seinem Bett hinter einer geschlossenen Tür strampeln hörte, war der Polizist in das Zimmer eingedrungen und hatte die Waffe auf das Bett gerichtet. Fania und Sam wurden später beide des »Mordversuchs an einem Friedensbeamten« bezichtigt.
Es dauerte zwei Tage, bis wir das Geld für ihre Kaution aufbringen konnten - und es hätte viel länger gedauert, wenn Herbert und Inge Marcuse nicht mit einer ansehnlichen Summe geholfen hätten. Die Nachricht von ihrer Verhaftung wurde im Staat nach allen Him melsrichtungen verbreitet. VERWANDTE VON ANGELA DAVIS WEGEN MORDVERSUCHS VERHAFTET war eine typische Schlagzeile. In allen Zeitungen, die ich sah, mit Ausnahme der People's World und einiger Wochenzeitungen aus dem Untergrund, wurde auf die Tatsache besonderes Gewicht gelegt, daß Fania und Sam Jordon Schwester und Schwager der »Kommunistin nach eigenem Eingeständnis« Angela Davis sei. Später erzählte uns Fania, daß die Polizisten und Gefängnisaufseherinnen sie dauernd Angela genannt und versucht hätten, sie mit ihren anti-kommunistischen Bemerkungen in Wut zu bringen.
Ich erhob öffentlich Anklage gegen das Amt des Sheriffs von San Diego, daß es in verächtlichster Weise mit den reaktionärsten Kräften des Staates zusammenarbeite. Vor allem klagte ich es an, daß es Ronald Reagans anti-rassistische, anti-kommunistische Politik bis zum Mord mit Vorbedacht ausdehne. Bei dem Handgemenge im Haus wäre Sam bestimmt getötet worden, wenn Fania nicht so mutig gewesen wäre. Nachdem der Polizist auf Sam gefeuert und ihn einmal getroffen hatte, packte sie seinen Arm mit der Waffe, so daß die übrigen Kugeln fehlgingen und in die Wand schlugen. Fania und Sam wurden zweimal vor einem Schwurgericht angeklagt. Beide Male erkannte der Richter, der den Fall aburteilen sollte, wie vergeblich ein Prozeß gegen sie sein würde und schlug das Verfahren nieder. Aber der Fall zog sich über ein Jahr hin. Bei Jahresende, nach einem weiteren akademischen Quartal, war meine Stellung vorläufig gesichert. Das Gericht hatte die Regel, nach der die Anstellung von Kommunisten verboten war, für verfassungswidrig erklärt. Obwohl dadurch der Verwaltungsrat fürs erste nichts tun konnte, suchte er nach anderen Möglichkeiten, mich vor Beginn des nächsten Studienjahres loszuwerdeii. Erst hatte er einen Provokations- und Spionageplan entworfen, der von Leuten ausgeführt wurde, die sich als meine Studenten ausgaben; ich mußte mich täglich mit ihnen auseinandersetzen. Im Laufe der Zeit wurde dann klar, daß der Angriff auf meine Stellung nur ein winziger Teil eines systernatischen Planes war, die Kampfverbände der Schwarzen Befreiung und die gesamte radikale Bewegung zu vernichten. Der Kampf um meine Anstellung mußte mit einem größeren Kampf für das Fortbestehen der Bewegung verknüpft werden. Die Unterdrückung nahm im ganzen Lande zu. Die schlimmsten Opfer falscher Anklagen und polizeilicher Gewalt waren die Mitglieder der Schwarze-Panther-Partei.
Bobby Seale und Ericka Huggins waren in New Haven angeklagt worden. Fred Hampton und Mark Clark wurden in Chicago von Polizisten ermordet, als sie im Bett lagen und schliefen. Und in Los Angeles wurde das Hauptquartier der Schwarze-Panther-Partei von der Polizei und ihrem taktischen Sonderkommando überfallen, wofür die Nationalgarde und die Armee in Alarmbereitschaft versetzt worden war. Diesen Überfall habe ich mit eigenen Augen gesehen und mit meinen Genossen zusammen geholfen, den Widerstand innerhalb der Schwarzen Gemeinschaft zu organisieren. Da wir auch die kleinen Leute zum Widerstand gegen diese Unterdrückung mobilisieren konnten, wurden die Regierungen von Stadt und Staat vorübergehend in die Defensive gedrängt. Aber dadurch wuchs unzweifelhaft auch ihr Wunsch, uns allen den Garaus zu machen, Eines frühen Morgens - etwa um fünf Uhr - erhielt ich einen Anruf, daß das Panther Hauptquartier in der Central Avenue in Not sei. Die Polizei hatte versucht, in das Bürogebäude einzubrechen, aber die Schwestern und Brüder im Innern hatten sie daran gehindert und kämpften immer noch mit den Waffen in der Hand. Ich weckte Josef und sagte ihm, er solle sich möglichst schnell anziehen - ich würde ihm das übrige im Auto erklären. Das Gebiet um das Hauptquartier war abgesperrt; jede Station der Blockade war mindestens drei Blocks außer Schußweite. Als wir das Gebiet umkreisten, erblickten wir eine Figur, die mit ausgebreiteten Armen gegen eine Mauer stand und von einem Polizisten gefilzt wurde. Als ich genauer hinsah, erkannte ich Franklin. Kendra und ein paar andere Genossen standen etwa 25 Meter entfernt auf der Straße. Wir sprangen aus dem Wagen und fragten, was vor sich ginge. Sie sagten, sie hätten versucht, so nahe wie möglich an die Kampfstätte heranzukommen, als ein Polizist erschienen wäre, seine Flinte auf Franklin gerichtet und ihm befohlen hätte, sich an die Mauer zu stellen. Kendra, Taboo und den anderen hatte man gesagt, wenn sie sich nicht dünne machten, würde man ihnen den Schädel in Stücke schießen. Es war Franklin, der sie interessierte. Als sie ein Stück Parteiliteratur an ihm entdeckten, sagten sie so etwas wie »du dreckiger Kommunist« und führten ihn ab zu einem Streifenwagen. Indessen hörte man die ganze Zeit Schüsse im Hintergrund.
Als wir die Central Avenue entlang bis zur Polizeiabsperrung gingen, begann es gerade zu dämmern. Im neuen Tageslicht konnte man bewaffnete Typen in schwarzer Fallschirmjägerkluft schlangengleich auf dem Boden kriechen, oder sich hinter Telefonstangen verstecken sehen. Autos waren in der Avenue geparkt. Von Zeit zu Zeit feuerten sie ihre Waffen ab. Andere schwarzgekleidete Figuren standen auf den Dächern des ganzen Blocks, in dem sich das Hauptquartier befand. Ein Hubschrauber schwebte darüber. Eine Bombe war gerade auf das Dach des Panther-Bürohauses gefallen. Stadtpolizisten von Los Angeles schwärmten über das ganze Gebiet. Die Polizisten sprachen nicht miteinander. Ihre Konzentration auf den Angriff hatte etwas Hypnotisches, ja sogar Irres an sich. Sie waren wie die Roboter. Der Angriff war zu sehr ausgearbeitet, um spontan zu sein. Er schien gut im voraus geplant zu sein, vielleicht sogar bis zur Stellung jedes einzelnen Polizisten. Die Stille war fast vollkommen und wurde nur durch das Geräusch von Schüssen unterbrochen. Wenn immer noch Schüsse aus dem Bürohaus ertönten, war das das einzige Zeichen, daß zumindest ein paar Panther noch am Leben waren. Einige Leute standen in der Gegend herum. Eine Frau machte ein schmerzverzerrtes Gesicht, wenn sie eine Schußsalve hörte. Ihre Tochter war, wie ich erfuhr, in dem Gebäude. Von unserem Ausguck - und durch das Fernglas, das wir uns beschafft hatten - sah die Lage übel aus. Durch Kugeln und Dynamit war das Haus praktisch zerstört. Die Frau sagte nichts. Keine Wörter hätten die furchtbare Angst wiedergeben können, die so deutlich in ihren Augen stand. Ich ging zu ihr hinüber und sagte ihr so sanft ich konnte, sie solle sich keine Sorgen machen. Ich erzählte ihr von der Kette von Anrufen, die ins Werk gesetzt worden waren und die die Botschaft, sofort zum Büro der Panther zu kommen, durch die ganze Stadt verbreitete. Bald würden Hunderte von Menschen auf der Straße sein. Ihre Anwesenheit allein würde die Polizei zum Rückzug zwingen. Ihre Tochter Tommie würde alles heil überstehen. Gegen sieben Uhr waren Leute aus der Nachbarschaft und aus der ganzen Stadt zu diesem Bezirk geströmt. Aber die Sperrzone war erweitert worden. Nur diejenigen, die früh genug gekommen waren, befanden sich nahe genug, um die Ereignisse zu verfolgen. Wir waren innerhalb der Sperrzone. Kendra und ich und die anderen Mitglieder unseres Clubs waren wegen Franklin äußerst besorgt. Wir waren zwischen der Notwendigkeit, über dem Kampf Wache zu halten, und dem Wunsch zu erfahren, was die Polizei mit Franklin angefangen hatte, hin und her gerissen.
Ich wollte schließlich freiwillig den Versuch machen, aus der Sperrzone herauszukommen, die Lage draußen zu erkunden, festzustellen, ob Franklin noch in der Nähe war, und wieder zurückzukommen. Josef sollte mich begleiten. Wir entdeckten eine Einfahrt, die uns vielleicht sicher durch die Absperrung bringen konnte, aber als wir schon glaubten, auf der anderen Seite zu sein, sichteten wir einige Polizisten und mußten wieder umkehren. Als wir nach einer anderen Einfahrt suchten, bemerkten wir eine Gruppe von Kindern aus der Umgegend. Da sie wahrscheinlich die Gegend am besten kannten, fragten wir sie, ob sie uns durch die Blockade führen könnten. Sie erklärten sich freudig bereit und begannen uns durch labyrinthische Fußpfade, Hinterhöfe und Gäßchen zu führen, die von der Straße aus nicht zu sehen waren. Wenn jemand die Polizei sichtete, wurde ein Zeichen gegeben, und wir zogen uns schnell zurück, um eine andere Route zu probieren. Schließlich gelangten wir zur anderen Seite. Dort standen Menschen in Massen, denen der Zorn aufs Gesicht geschrieben war. Als wir das Gelände nach Franklin absuchten, trafen wir Dutzende von Schwestern und Brüdern, die wir kannten. Wir gelangten zu dem Straßenblock, an dem die Jefferson-Schule lag. Die Motorrad-Brigade der Polizei paradierte vor der Schule und versuchte, mit ihrer Stärke eine große Schau abzuziehen. Über hundert Polizisten, die alle hart aussehen wollten, aber lediglich rassistisch aussahen, brausten durch die Straßen. Sie brachten die Motoren ihrer Räder auf hohe Touren und glaubten, das Dröhnen sei der Klang ihrer eigenen Kraft. In diesem Augenblick erblickte ich in dieser Szene die historischen Spuren von Hitlers Truppen, die die Juden durch Terror zu Paaren treiben wollten. Eine junge Schwester, die in gerechtem Zorn entflammt war, hob eine Flasche auf und warf sie in die Prozession. Die Motorrad-Parade kam zum Halten. Es war ein außergewöhnlicher Moment der Spannung. Viele von uns waren sicher, daß ein totaler Zusammenstoß unmittelbar bevorstand. Aber diese Pfauen-Parade der Macht war nur Theater. Die Polizisten hatten nicht den Befehl, in den Kampf zu gehen. Die Prozession setzte sich wieder in Bewegung, und die Schweine fuhren fort, ihre Gegenwart im Ghetto herauszustreichen. Gerüchte kamen in der Menge auf und verbreiteten sich mit großer Eile. Peaches sei tot, sagte jemand. Das Baby von Bunchy und Yvonne Carter, sagte ein anderer, sei in dem Bürohaus von den Schweinen getötet worden. Der Zorn der Menge stieg. Sie war zahlenmäßig größer als die sichtbare Polizeitruppe. Die Schüler der Jefferson-Oberschule waren zornig. Die Menschen, die im Bezirk lebten, waren zornig.
Eine Frau, die eben von der Arbeit kam, erzählte einer kleinen Gruppe, daß sie nicht einmal in ihr Haus könnte, weil die Polizei das Gebiet abgesperrt hätte. »Diese Schweine glauben, sie könnten in unseren Bezirk kommen und ihn übernehmen.« Einige wollten kämpfen. Andere rieten für den Augenblick zur Zurückhaltung, weil die im Panthergebäude noch in Gefahr seien. Josef und ich suchten weiter nach Franklin. Schließlich sahen wir ihn auf der anderen Straßenseite auf uns zukommen. Wir wollten zu ihm hinlaufen, als wir bemerkten, daß er uns verstohlen fortwinkte. Bald darauf kam er zurück und sagte, er hätte geglaubt, daß man ihm folge, und hätte uns nicht in Gefahr bringen wollen. Er hatte mit den Schülern der Jefferson-Schule gearbeitet und ihnen geholfen, eine Gemeinschaftskundgebung in der Schule vorzubereiten. Er war von den unmittelbaren Problernen dieser Kundgebung gedanklich so in Anspruch genommen, daß er den Vorfall des frühen Morgens fast vergessen hätte. Die Polizei hatte ihn im Streifenwagen eingeschlossen und diesen nahe am Panther-Hauptquartier geparkt. Er hatte buchstäblich die Kugeln fliegen sehen. Nach etwa einer Stunde hatten sie ihn fortgefahren und etwa zehn Blocks weiter aus dem Auto geschubst; ein typischer Fall polizeilicher Schikane. Man hätte entdeckt, wo die Polizei von Los Angeles ihren Befehlsstand hätte, erzählte uns Franklin. Jemand wurde zur Central Avenue geschickt, um Kendra und die anderen Genossen zu holen, während wir uns zu dem Haus begaben, das der Polizeichef als Hauptquartier »übernommen« hatte. Es war von Polizisten umgeben, und Reporter schwärmten in der ganzen Gegend umher. Einige von ihnen erkannten mich und wollten gleich wissen, ob ich gekommen sei, um als »Vermittler« zwischen der Polizei und den Panthern zu wirken. Ich sagte ihnen unverhohlen, daß ich für die Polizei von Los Angeles nichts als Verachtung empfände. Meine Loyalität gehörte den Schwestern und Brüdern, die angegriffen würden. Die Frau, die dem von der Polizei beschlagnahmten Haus gegenüberwohnte, war über die Invasion des Bezirks empört. Sie bot uns - den Schwestern und Brüdern von den Panthern, der Schwarzen Schülergemeinschaft und Che-Lumumba - ihr Haus als Hauptquartier für den Widerstand an. Ein Anruf kam durch ins Büro der Panther.
Die Schwestern und Brüder waren drinnen noch alle am Leben, obwohl die meisten von ihnen angeschossen und bei der Explosion verletzt worden waren. Sie sagten, sie seien bereit, das Gebäude zu verlassen, aber nur, wenn die Leute der Gemeinschaft und die Presse sie beim Herauskommen beobachten könnten. Sie wußten, daß alle vielleicht kaltblütig erschossen worden wären, wenn sie sich nicht von Anfang an verteidigt hätten. Sie versuchten auszuhalten, bis wir genügend Leute zusammentrommeln konnten, um Zeugen der Aggression zu sein und Wache zu stehen, wenn sie ihre Waffen niederlegten und das Gebäude verließen. Ein Stück weißer Stoff wurde aus dem Fenster geworfen. Alles war still. Als die Schwestern und Brüder, elf an der Zahl, herauskamen, wirkten sie stark. Sie bluteten, ihre Kleidung war zerrissen, und sie waren schmutzig von den Trümmern der Explosion, aber sie wirkten stark. Ich erfuhr erst später, daß Peaches von Schüssen in beide Beine getroffen worden war. Und doch war sie stolz aus dem Gebäude marschiert. Als der letzte der Elf das Haus verlassen hatte, erhob sich ein ungeheures Dröhnen von Beifall und Jubelgeschrei. Triumphierend erhoben sich die Stimmen zu Sprüchen wie: »Die Macht dem Volke.« »Keine Schweine mehr in unserer Gemeinschaft.« Das war in der Tat ein Sieg. Die Polizei war in den frühen Morgenstunden in den Bezirk geschlichen und hatte die mörderische Attacke gegen die Panther begonnen.
Ohne Zweifel hatte sie vorgehabt, so viele wie möglich umzubringen und den Rest gefangenzunehmen, um dadurch die Ortsgruppe der Panther in Los Angeles zu zerstören. Aber durch die Unterstützung der Menschen auf der Straße waren die Panther als Sieger hervorgegangen. Als die Schwestern und Brüder das Gebäude verlassen hatten, wurde die Menge kühner. Eine Schwester sprang tatsächlich vorwärts und schlug einen der Polizisten von hinten. Bevor er wußte, wer ihn geschlagen hatte, war sie wieder im Schutz der Menge. Die Schüler, mit denen Franklin vorher gesprochen hatte, hatten alle Vorbereitungen für eine Kundgebung getroffen. Sie hatten ihrer Schulverwaltung mitgeteilt, daß sie die Turnhalle für eine Gemeindeversammlung benutzen wollten, um gegen die rechtswidrige Polizeiaktion auf das Hauptquartier der Panther zu protestieren. Die Aufforderung verbreitete sich in der Menge, man solle zur Kundgebung in die Schule kommen. Die Wogen der Erregung gingen hoch. Die Reden waren voller Leidenschaft. Alle drehten sich um dasselbe Thema, daß es nötig sei, die Panther zu schützen und zu verteidigen, und daß es nötig sei, die Gemeinschaft zu schützen und zu verteidigen. Einige der Schüler hielten Ansprachen, auch ein Bruder von der Schwarzen Schüler-Gemeinschaft, Franklin und ich. Als die Kundgebung vorüber war, riefen die Schüler dazu auf, die Schule zu verlassen, um die Nachricht vom Polizeiüberfall in allen Schwarzen Bezirken von Los Angeles zu verbreiten. Sie verpflichteten sich, die Gemeinschaft für den bevorstehenden Kampf zu mobilisieren, und wir marschierten alle aus dem Saal, singend: »Ich will ein Mau Mau sein, ganz wie Malcolm X. Ich will ein Mau Mau sein wie Martin Luther King.« Um den Widerstand zu organisieren, wurde eine Koalition zwischen der Schwarze-Panther-Partei, dem Schwarzen Schüler-Verband und unserem Che-Lumumba-Club geschlossen. Auf der Basis dieser Koalition der Schwarzen Linken fühlten wir uns imstande, zu einem breit angelegten vereinten Widerstand aufzurufen, der von allen Sektoren der Schwarzen Gemeinschaft ausging. In derselben Nacht beriefen wir eine Sitzung ein, an der Vertreter Schwarzer Organisationen aus der ganzen Stadt teilnahmen. Dabei wurde ein Generalstreik beschlossen, der zwei Tage später in der Schwarzen Gemeinschaft stattfinden sollte.
An dem gleichen Tag wollten wir eine Protestkundgebung der Massen auf den Stufen des Rathauses stattfinden lassen. Wir hatten etwa 36 Stunden, um die Kundgebung zusammenzutrommeln. Das war fast gar nichts, aber je schneller die Gemeinschaft sich zu organisieren verstand, desto wirksamer würde unser Protest ausfallen. Noch in der gleichen Nacht wurden Tausende von Flugblättern gedruckt. Am nächsten Morgen überschwemmten einige Teams die Gemeinschaft mit Literatur über den Angriff und die Notwendigkeit, sich zur Wehr zu setzen. Der örtliche Schwarze Rundfunksender und eine Fernsehstation im Untergrund gaben uns kostenlos Sendezeit, um den Streik auszurufen und die Nachricht von der Kundgebung zu verbreiten. Andere gaben die Kundgebung in ihren Nachrichtensendungen bekannt. Ich persönlich sprach besondere Ankündigungen auf Band und hielt Pressekonferenzen, da mein Name in der Gemeinschaft bekannt war. Dennoch fühlte ich auch das Bedürfnis, mit der Basis der Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Ich wollte die Stimmung in der Gemeinschaft kennenlernen - und das war hinter einem Mikrophon nicht möglich. Ein Team war zur Jordon-Down-Siedlung in Watts unterwegs, um dort Flugblätter zu verteilen. Ich entschloß mich mitzugehen. In meiner ganzen Erfahrung mit der Arbeit von Tür zu Tür hatte ich nie eine so einmütige Zustimmung zu unserem Aufruf erlebt. Buchstäblich nicht ein einziger wurde grob, niemand versuchte, uns die Tür vor der Nase zuzuschlagen, und alle waren der Meinung, daß wir dem Überfall auf die Panther Widerstand bieten sollten. Viele Menschen erkannten mich, und ich war überrascht, daß sie mir auch freiwillig anboten, mich in meinem Kampf um meine Stellung zu unterstützen. Fast alle, mit denen ich sprach, gaben ihr festes Versprechen, den Generalstreik einzuhalten und an der Kundgebung am nächsten Morgen teilzunehmen.
Im Büro der Panther gab es Probleme. Die Frau, die hinter dem Haus wohnte, hatte berichtet, daß die Polizei früh am Morgen zurückgekehrt sei und Tränengaspatronen in das Büro geschossen habe. Die Gasschwaden waren jetzt stärker als kurz nach Ende des Überfalls. Es war unmöglich, sich länger im Innern aufzuhalten, ohne daß einem übel wurde. Daraufhin wurde beschlossen, rund um die Uhr vor dem Bürohaus Wache zu halten. Teilnehmer an dieser Wache sollten sich zu Schichten zusammenschließen, um die Trümmer aufzuräumen. Als die Sonne unterging, waren noch über hundert Leute anwesend, die zur Wache bereit waren. Die Tränengasdämpfe waren noch so stark wie zuvor, und der größte Teil der Gruppe stand am Ende des Blocks zusammengeballt, damit niemand von Gas überwältigt würde. Es war geplant, die Wache die ganze Nacht aufrechtzuerhalten. Franklin ließ die Gruppe Freiheitslieder anstimmen. Während die Sänger ihre Kehlen geschmeidig machten, bemerkte ich ein seltsames Treiben in diesem Bezirk: Polizeiwagen, die langsam vorbeifuhren - ohne Aufschrift, aber unverkennbar Polizeiwagen mit Agenten, die zu uns herausspähten. Ich nahm an, das sei eine normale Überwachung. Es schien nicht wahrscheinlich, daß sie sich mit einer Gruppe anlegen wollten, der nicht nur die üblichen jungen Leute der Bewegung angehörten, sondern auch Pfarrer, Professoren und Politiker. Das Singen wuchs nun zu voller Lautstärke an. Vielleicht fühlte sich die Polizei durch die Worte »Freiheit ist ein ständiger Kampf« oder »Ich erwachte heute morgen, mein Herz wollte Freiheit« herausgefordert, denn sie unterbrach uns jählings mit einer Stimme durch den Lautsprecher: »Die Polizeibehörde von Los Angeles hat dies zur illegalen Versammlung erklärt. Wenn ihr euch nicht entfernt, werdet ihr verhaftet. Ihr habt genau drei Minuten, euch zu zerstreuen.« Auch wenn wir es versucht hätten, hätten wir uns nicht in drei Minuten zerstreuen können. Wir entschlossen uns sofort, nicht auseinanderzugehen, sondern uns zu einer wandernden Streikpostenkette zu formieren. Solange wir in Bewegung blieben, waren wir keine »Versammlung« und hatten theoretisch das Recht zu bleiben. Senator Marvyn Dymally, ein Schwarzer Senator des Staates, wollte mit dem kommandierendeii Polizeioffizier verhandeln, weil er glaubte, ihn beruhigen zu können. Die Linie erstreckte sich von der Ecke, wo die Gruppe gesungen hatte, bis weit Über das Bürogebäude hinaus, das nahe der nächsten Ecke stand. Ich begab mich zu dem Ende, das dem Bürogebäude näher war. Es war dunkel und schwer zu erkennen, was an der anderen Ecke vor sich ging. Plötzlich wandte sich die Menge zur Flucht. Da ich glaubte, sie sei nur dadurch entstanden, daß die Polizei am anderen Ende den starken Mann spielte, wandte ich mich, um die Leute zu beruhigen und ihnen zu sagen, sie sollten nicht rennen.
Aber in demselben Augenblick sah ich einen Schwarm schwarzgekleideter Polizisten, die am Tage zuvor den überfall auf das Bürogebäude veranstaltet hatten. Weiter hinten schlugen sie schon auf Menschen ein, und einige von ihnen kamen konzentrisch auf uns zu. Ich war der Menge zugewandt gewesen. Ich drehte mich schnell um, aber bevor ich wegrennen konnte, wurde ich zu Boden geworfen. Ich schlug mit dem Kopf aufs Pflaster und war einige Sekunden benommen. Während dieser Sekunden des Halbbewußtseins fühlte ich Füße, die mir auf den Kopf und den Körper trampelten, und es fuhr mir durch den Sinn, daß es grauenhaft sei, so zu sterben. Ein Bruder schrie: »He, das ist Angela da unten!« Sofort waren Hände da, die mir aufhalten. Ich konnte die Schlagstöcke sehen, die auf die Köpfe der Brüder einschlugen. Man erzählte mir später, daß die Polizei mit ihren Stöcken sofort hinter mir her war, als sie mich erkannt hatte. Als ich wieder auf den Beinen war, rannte ich so schnell ich konnte.
Das war Wahnsinn. Offenbar hatte die Polizei nicht die Absicht, uns zu verhaften. Sie wollte uns nur prügeln. Selbst Senator Dymally war dagegen nicht gefeit gewesen. Nach einem vergeblichen Gespräch mit dem Polizeichef war er, wie ich später erfuhr, der erste gewesen, auf den man eingeschlagen hatte. Wir rannten durch die Nachbarschaft, über Rasenflächen, durch Seitengassen, wo immer wir zeitweilig eine Zuflucht finden konnten. Als ich mit einigen Schwestern und Brüdern, die ich gar nicht kannte, über einen Vorgarten lief, hörte ich von einer dunklen Porch eine Stimme, die uns aufforderte hereinzukommen. Wir rannten ins Haus, legten uns auf den Boden und versuchten, wieder zu Atem zu kommen. Es war eine Schwarze Frau mittleren Alters, die uns ihre Tür geöffnet hatte. Als ich versuchte, ihr zu danken, sagte sie, nach dem, was am Vortrag passiert sei, sei dies das mindeste, was sie tun könnte. Wir waren in einer Seitenstraße der Central Avenue. Ich blickte durch die Vorhänge des Vorderzimmers und konnte nichts anderes entdecken als Polizeiautos, die vorbeikreuzten. Dann bemerkte ich einige unserer Leute auf einer Porch gegenüber und wollte den Versuch machen, zu diesem Haus zu gelangen. In der ganzen Aufregung hatte ich nicht bemerkt, wie sehr ich mich bei meinem Fall verletzt hatte. Das Blut strömte mir am Bein herunter, und mein Knie zitterte vor Schmerzen. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, daran zu denken. Ich dankte der Frau, verabschiedete mich und rannte zu dem Haus auf der anderen Straßenseite, so schnell ich konnte.
Die Familie, die dort lebte, hatte einem Genossen von unserer Partei gestattet, im Haus eine Unfallstation einzurichten. Menschen mit blutbeschmierten Gesichtern warteten bereits auf Behandlung, und eine Truppe war auf die Suche nach anderen Verwundeten gegangen. Anscheinend hatten in der ganzen Urngegend Leute ihre Türen geöffnet. Dieser spontane Beweis ihrer Solidarität hatte uns vor einem regelrechten Blutbad bewahrt. Ich machte mir Sorgen um Kendra, Franklin, Tamu, Taboo und die übrigen Genossen von CheLumumba, die ich noch nicht gesehen hatte. Die Führer der Panther, die nach dem ersten überfall nicht verhaftet worden waren, fehlten ebenso wie die leitenden Mitglieder des Schwarzen Schülerverbandes. Ein Bruder, der diesem Verband angehörte, sagte, er wolle mich durch den Bezirk begleiten, um festzustellen, was mit unseren Freunden geschehen war. Wir sahen Menschen, die sich in den Läden der Central Avenue dicht gedrängt zusammengefunden hatten. Auf dem Weg dorthin tauchten wir in die Schatten und konnten auf diese Weise einen der Läden ohne Zwischenfall erreichen. Die Menschen, um die wir uns gesorgt hatten, waren in der Menge. Eine Person war verhaftet worden.
In der Central Avenue marschierte eine Abteilung Polizisten in schwarzer Fallschirmjägerkluft. Wenn sie einen von uns auf der Straße sahen, sprangen einige von ihnen aus der Kolonne, schlugen mit ihren Stöcken auf ihn ein und traten dann, als ob nichts geschehen wäre, wieder in die Kolonne zurück. Wie es schien, wollten sie uns auf Ewigkeit in diesen Häusern und Läden gefangen halten. Später hörten wir, daß die Polizisten in den schwarzen Fallschirmjageruniformen zu der taktischen Abteilung gehörten, die mit Spezialwaffen ausgerüstet und vor allem für die Unterdrückung von Aufständen ausgebildet war. Eine daraufhin angestellte Untersuchung ergab, daß diese Abteilung vorwiegend aus Vietnam-Veteranen bestand. Über ein Jahr waren sie ausgebildet worden, lernten, wie man die Stadtdguerillas bekämpft, lernten, wie man Aufstände »niederwirft« und anscheinend auch, wie man sie provoziert. Ihre Premiere in der Öffentlichkeit war der Überfall auf das Büro der Panther. Ihre Offensive gegen unsere Wache war ihr zweiter offizieller Auftritt. Der Angriff auf uns hatte um sechs Uhr abends begonnen. Erst gegen halb elf oder elf Uhr hatte es den Anschein, als könnten wir die Häuser und Läden wieder verlassen. Um diese Zeit war einem der Gehilfen von Senator Dymally mitgeteilt worden, daß die Polizei bereit sei sich zurückzuziehen, wenn wir alle unverzüglich den Bezirk verließen. Ob dieses Versprechen allerdings eingehalten wurde, blieb sehr f raglich. Selbst in diesem Augenblick der Krise war unsere wichtigste Sorge, wie wir die Kundgebung zum Erfolg bringen konnten. Die meisten Organisatoren und Redner dieser Versammlung befanden sich in der Central Avenue. Es gab nur eine logische Erklärung für die skrupellose Belagerung: die Polizei versuchte, unsere Kundgebung zu unterbinden. Wir mußten auf gut Glück versuchen, einige Menschen aus diesem Bezirk herauszuschmuggeln, damit wir unsere Vorbereitungen für die Massenversammlung weiterführen konnten. Wir konnten den Laden ohne Zwischenfall verlassen. Nachdem fast alle gegangen waren, versuchten Kendra und ich, zusammen mit anderen i Genossen zu einem bestimmten Haus zu gelangen, um eine Notsitzung des Che-Lumumba-Clubs abzuhalten. Jedermann wurde ermahnt, Polizisten, die nachspionierten, abzuschütteln. Dort angekommen, besprachen wir einen Vorschlag, den wir am nächsten Morgen den anderen Mitgliedern der Koalition unterbreiten wollten: einen Marsch nach Abschluß der Kundgebung zum Bezirksgefängnis, wo die Panther eingesperrt waren.
Der Marsch sollte in einer Demonstration gipfeln, bei der ihre unverzügliche Freilassung gefordert werden sollte. Als wir noch mitten in der Diskussion waren, kam der Bruder, der die Sicherheitswache übernommen hatte, in unser Zimmer gestürzt und sagte, daß die Polizei in ungewöhnlich starkem Aufgebot um unser Haus herumfahre. Sie hatte unseren Treffpunkt entdeckt, und wir hatten keine Ahnung, was sie mit uns vorhatte. Unsere Unsicherheit, unser fester Glauben, daß die Polizei von Los Angeles nichts unversucht lassen würde, um ihre Gegner zu vernichten, zwangen uns, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Waffen wurden geholt und registriert, geladen und verteilt. In der fürchterlichen Stille, dem spannungsgeladenen Zimmer, warteten wir in Bereitschaft. Glücklicherweise hat kein Überfall stattgefunden. Obwohl wir erregt waren und obwohl ein drohender Angriff über unseren Häuptern schwebte, gelang es uns, die Sitzung so früh zu beenden, daß wir vor der Kundgebung noch ein paar Stunden schlafen konnten. Alle anderen gingen nach Hause. Aber für mich war es zu gefährlich, zu meinem Haus in der Raymund Street zu gehen. Ich mußte mich begnügen, bei Kendra und Alexander auf dem Fußboden zu schlafen. Am nächsten Morgen erwachte ich mit der furchtbaren Angst, daß sich nur ein paar hundert Menschen einfinden würden. Wenn die Kundgebung nicht gut besucht war, dann konnten das die herrschenden Mächte von Los Angeles, und insbesondere die Polizei, zum Zeichen nehmen, daß die Schwarze Gemeinschaft die Unterdrückung hinnahm, ohne sich ihr zu widersetzen. Daraus konnte sich die Polizei ein Recht ableiten, ihre Aggression zu verstärken. Sie würde dann versuchen, die Schwarze-Panther-Partei völlig auszurotten und sich anderen militanten Schwarzen Organisationen zuzuwenden. Die Polizeiwillkür und -brutalität würde sich steigern. Während mir diese Ängste an den Gedärmen zerrten, fuhr ich mit Kendra, Franklin und anderen Mitgliedern des Clubs zum Rathaus. Es war etwa anderthalb Stunden vor dem geplanten Anfang der Kundgebung. Wir kamen nur so früh, weil wir uns versichern wollten, daß die Geräte angeschlossen waren, und weil wir mit den anderen die Frage des Marsches besprechen wollten. Der Anblick, der uns bei unserer Ankunft empfing, machte uns wild vor Freude. Schon waren mindestens tausend Menschen auf den Stufen - und von ihnen waren vier Fünftel Schwarz.
Unablässig strömten noch Menschen auf diesen Platz. Als der erste Redner das Mikrophon ergriff, war die Menge auf acht oder zehntausend Köpfe angeschwollen. Es war eine prachtvolle Menge mit unzähligen Schildern und Transparenten, die ein Ende der Unterdrückung durch die Polizei, Beendigung des Kesseltreibens gegen die Panther und tinverzügliche Freilassung der eingesperrten Panther forderten. Die Reden waren kraftvoll. Wie vorher abgesprochen, war das Thema der Kundgebung - und aller Reden - der Rassenmord. Der überfall auf die Panther verkörperte die rassistische Politik der Regierung der Vereinigten Staaten gegenüber der Schwarzen Bevölkerung. Zum logischen Schluß geführt sei dies eine Politik des Rassenmordes. Gegen die Panther wurde wegen Verschwörung zum Angriff auf Polizeibeamte ermittelt. In meiner Rede drehte ich den Spieß der Verschwörung um und bezichtigte Ed Davis, den Chef der Polizei, und Sam Yorty, den Bürgermeister von Los Angeles, der Verschwörung mit dem Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten, John Mitchell, um die Schwarze-Panther-Partei zu dezimieren und zu vernichten. Monate danach wurde die Öffentlichkeit davon unterrichtet, daß ein solcher Plan tatsächlich bestanden hatte. Die Regierung hatte beschlossen, die Schwarze-Panther-Partei im ganzen Lande auszutilgen.
J. Edgar Hoover hatte die Panther die »größte Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes« genannt, und Polizeitruppen waren in den meisten größeren Städten gegen die örtlichen Gruppen der Panther vorgegangen. Wenn wir die Panther verteidigten, so betonte ich in meiner Rede, dann verteidigten wir damit auch uns selbst. Wenn die Regierung ihren rassistischen Überfall auf sie ausführen konnte, ohne Widerstand zu fürchten, dann würde sie bald auch andere Organisationen überfallen und schließlich die ganze Gemeinschaft überfluten. Wir brauchten mehr als Widerstand für einen Tag. Listen wurden in der Menge herumgereicht, die von denen unterschrieben werden sollten, die eine aktive Rolle in der notwendigen Massenorganisation spielen wollten. Als alle Reden gehalten waren, lechzten die Massen nach einem Kampf. Franklin ergriff das Mikrophon und rief zum Marsch und zur Demonstration auf. Das wurde sofort mit einstimmigem und dröhnendem Beifall angenommen. Wir machten uns auf den Weg zum Gefängnis. Als wir zum Bezirksgericht kamen, wo sich auch das Gefängnis befand, war der Zorn der Massen so groß, daß wir sie nicht im Zaum halten konnten. Trotzig drangen die Mengen durch die Türen des Gebäudes vor. So groß war ihre Wut, daß sie alles zerschlugen, was ihnen vor die Augen kam. Als sie die Münzautomaten in der Halle zertrümmerten, rissen sie wahrscheinlich im Geiste die Eisengitter im oben gelegenen Gefängnis herunter. Es gab nur zwei Ausgänge aus der Halle - einen auf jeder Seite. Sollte die Polizei eingreifen, dann würde es ohne Zweifel ein Blutbad geben. Sie brauchte nur die Ausgänge zu versperren, dann waren wir eingeschlossen und konnten nirgends entkommen, uns nirgends bewegen. Aber die Menge war außer Rand und Band. Ich versuchte, mich zu Gehör züi bringen. Aber ohne Mikrophon drang meine Stimme nicht durch, sie ging im allgemeinen Getöse unter. Es war Franklin, der schließlich die Rolle übernahm, in der er sich immer wieder so glänzend bewährt: er stand auf einem Treppenabsatz und ließ seine Stimme dröhnen wie eine Trompete, so daß unter den rasenden Demonstranten völlige Stille eintrat. Er erklärte den taktischen Nachteil unserer augenblicklichen Lage. Die Polizei hatte schon einen Ausgang abgesperrt. Sie war in der ganzen Umgegend verstreut und konnte innerhalb von Minuten über uns herfallen. Es genügte jedoch nicht, nur die augenblicklich drohenden Gefahren zu erläutern. Viel wichtiger war es, daß die gefangenen Panther durch eine Massenbewegung befreit wurden. Der militante Protest einer Massenbewegung, der entschlossene Vorstoß von Tausenden konnten den Feind zwingen, die Schwestern und Brüder freizulassen. Wir sollten nicht unsere Frustrationen auslassen und damit unsere Kraft verschwenden, sondern versuchen, uns zu einer ständigen Bewegung zusammenzuschließen, die unsere Kämpfer und damit auch uns selbst verteidigte.
Die Menge verließ das Gerichtsgebäude, und die Demonstration nahm draußen mit voller Kraft und unverminderter Begeisterung ihren Fortgang. Tausende marschierten um das Gefängnis und riefen Losungen des Widerstands. Später war die Straße vor dem Bürohaus der Panther zum Bersten mit Leuten gefüllt, die sich der Arbeit dieser Bewegung anschließen wollten. Dies war in jeder Hinsicht ein Tag des Triumphs gewesen. Die Kundgebung hatte ihren Zweck mehr als erfüllt. Um jedoch die Möglichkeiten dessen, was wir gerade miterlebt hatten, auszuschöpfen, mußte noch unendlich viel tägliche Organisationsarbeit geleistet werden. Schwestern und Brüder mußten sich zur Arbeit verpflichten, die sicher nicht glanzvoll und dramatisch war, aber letzten Endes unendlich wirkungsvoller. Die unmittelbare Wirkung der Kundgebung war bald zu erkennen. Eine Zeitlang zumindest ließen die gewaltsamen Übergriffe der Polizei in der Gemeinschaft deutlich nach. Wenn man angehalten wurde, merkte man, daß die Polizei nicht so selbstsicher, und schon gar nicht so anmaßend auftrat wie zuvor. In gleichem Maße war das kollektive Selbstvertrauen, der Stolz und der Mut der Gemeinschaft deutlich im Wachsen. Ich fühlte mich jedesmal tief beglückt, wenn jemand seine Befriedigung äußerte, daß wir endlich gegen die Brutalität und den Irrsinn der Polizei vorgegangen waren.
Etwa um die Zeit, als der Überfall auf das Büro der Panther stattfand, wurde ich durch eine seltsame Folge von Ereignissen aus meiner Wohnung in der Raymond Street vertrieben. An dem Tag, an dem die Polizei die Panther belagerte, waren Genossen des Che-Lumumba-Clubs und Mitglieder des Schwarzen Schülerverbandes in meiner Wohnung versammelt, um über strategische Fragen zu diskutieren. Die Sitzung hatte kaum begonnen, als der Hausverwalter in mein Wohnzimmer stürzte und ein großes Geschrei erhob, daß ich Panther beherbergte. Wenn wir nicht sofort das Haus verließen, würde er die Polizei holen. Er hatte offenbar Angst, daß die Polizei sein Haus ebenso zerstören würde wie das Bürohaus und die Wohnungen der Panther. Zuerst debattierte ich noch mit dem Mann und sagte ihm, er ließe die Polizei genau das tun, was sie der Schwarzen Gemeinschaft antun wolle - nämlich jedermann terrorisieren. Aber er ließ sich nicht beruhigen. Da wir schon genug mit Schwierigkeiten eingedeckt waren und nicht wegen der Dummheit eines Hausverwalters im Gefängnis landen wollten, beschlossen wir schließlich, in das Haus eines anderen Genossen umzuziehen. Das war aber erst der Anfang. Sein Benehmen wurde immer exzentrischer. Oft wenn er mich die Treppe runtergehen hörte (meine Wohnung lag direkt über seiner), kam er auf die Porch und starrte mich stumm und mit ganz unerklärlicher Feindschaft an, während ich unten meine Tür zuschloß. Er stand, und verfolgte mich mit den Blicken, bis ich davongefahren war. (Dies geschah übrigens zu einer Zeit, als niemand zu meiner Sicherheit im Haus wohnte. Josef mußte ausziehen, und wir hatten noch niemand gefunden, der seinen Platz einnehmen konnte. Mir war es allerdings lieb, daß ich dadurch von den strengen Sicherheitsmaßnahmen befreit war.) Ich ließ mich durch das seltsame Betragen des Mannes nicht stören - ich dachte, solange ich die achtzig Dollar Miete im Monat zahlte, könne er mir nichts anhaben. Ich glaubte allerdings, daß vielleicht ein, zwei Dinge bei ihm nicht stimmten: entweder hatte er einen kleinen psychischen Knacks oder er nahm Drogen. Die zweite Möglichkeit hatte viel für sich, weil in meiner Nachbarschaft Drogen massenhaft gebraucht wurden.
Eines Tages wartete der Mann wieder auf mich auf der vorderen Porch. Sowie er mich sah, begann er ein unzusammenhängendes Geplapper, daß ich ihn in seinem eigenen Haus gefangen hielte. Er sagte etwa dem Sinne nach, daß er meine Stimme von oben herunterkommen höre, die ihn hypnotisiere und zwinge, das ganze Wochenende im Haus zu bleiben. Er fragte mich immer wieder, was ich ihm antäte. Und er murmelte etwas vom Kommunismus - daß Kommunisten imstande seien, anderen Leuten das Gehirn zu waschen. Ich war an jenem Tag in Eile und konnte mich mit seinem Quatsch nicht aufhalten; drum sagte ich ihm nur, er sei verrückt oder hätte zuviel getrunken oder zuviel Rauschgift genommen, und ging meinen Geschäften nach. Am nächsten Morgen wurde ich auf dem Weg zur Universität von der Polizei angehalten, die mir sagte, sie hätte von einem Mann aus meiner Wohngegend eine gegen mich gerichtete Anzeige erhalten. Nach ihrer Angabe hatte der Mann ihnen gesagt, daß ich vorhätte, ihn zu töten, und ich hätte ihn schon durch Hypnose gezwungen, sich eine Pistole an den Kopf zu halten. Sehr von oben herab erklärte der Polizist, man könne mich nicht verhaften, weil sich der Mann geweigert hätte, die Anzeige zu unterschreiben. Ich sagte dem Polizisten, er wisse ja so gut wie ich, daß der Mann verrückt sei und daß nicht der geringste Anlaß bestünde, mich zu beschuldigen. Um diese Auseinandersetzung mit einem kleinen Triumph zu beenden, setzte der Polizist hinzu, der Mann hätte die Polizei offiziell angewiesen, sie solle mich sofort abholen, wenn ihm etwas zustoße. Man konnte seiner Stimme entnehmen, daß er fast hoffte, diesem Mann würde etwas passieren, damit man mich wegen dieses Verbrechens festnehmen könne. Ich war inzwischen schon daran gewöhnt, daß mich die Polizei unter den fadenscheinigsten Vorwänden - oder auch ohne jeglichen Grund anhielt, und verbannte daher diesen Zwischenfall aus meinem Bewußtsein. Aber später in dieser Woche erreichte die irre Folge dieser Ereignisse ihren Höhepunkt. Es war an dem Tag, an dem ich endlich Zeit fand, mir einen hübschen Eßtisch aus zweiter Hand zu kaufen. Einer der Genossen von CheLumumba war mir beim Transport vorn Laden zu meinem Haus behilflich. Als wir dort ankamen, trat der Mann auf die Porch; und während wir uns rnühten, den Tisch die Treppe hinaufzutragen, starrte er uns, wie so viele Male zuvor, mit einer Feindschaft an, die ihm übers ganze Gesicht geschrieben war. Als wir fertig waren, gingen wir die Treppe hinunter und bemerkten etwas erstaunt, daß sich der Mann auf dem Rücksitz seines Autos, das vor dem Haus geparkt war, ausgestreckt hatte. Als ich mein Auto bestieg, erhob er sich, um uns beim Wegfahren zu beobachten. Ich sagte Gregory mehr beiläufig, daß sich mein Hausverwalter in der letzten Woche sehr merkwürdig benommen habe. Nachdem ich Gregory abgesetzt und ein paar Besorgungen gemacht hatte, kehrte ich nach Hause zurück, um zu arbeiten. Es wurde schon dunkel. Als ich vor dem Haus vorfuhr, sah ich, daß sich eine Gestalt auf dem Rücksitz des anderen Autos aufrichtete. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß der Mann noch da war. Er muß sich immer tiefer in seine Psychose verstrickt haben, dachte ich. Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, daß mir seine Krankheit sehr gefährlich werden konnte. Ich verbannte ihn aus meinen Gedanken und ging nach oben, um meine Arbeit zu beginnen. Als ich nach einiger Zeit merkte, daß es ganz dunkel geworden war, stand ich von meinem Schreibtisch auf, um die Vorhänge in meinem Vorderzimmer zuzuziehen.
Als ich dabei ohne besonderen Anlaß nach draußen sah, fiel mein Blick auf das Auto des Hausverwalters, das jetzt mitten auf der Straße stand. Er saß am Lenkrad und starrte unverwandt zu meiner Wohnung empor. Als er merkte, daß ich ihn gesehen hatte, fuhr er davon. Ich dachte zum erstenmal, daß der Mann vielleicht verrückt genug war, um irgend etwas anzuzetteln. Das Auto fuhr wieder vor dem Haus vor. Ich schloß den Vorhang, spähte durch eine kleine Öffnung, so daß er mich nicht sehen konnte und blieb etwa eine Viertelstunde so stehen. Dann war mir klar, daß er systematisch um den Block herumfuhr und jedesmal wieder anhielt - offenbar um sich zu vergewissern, daß ich noch oben war. Wäre es die Polizei oder die FBI gewesen, dann hätte mich das nicht gestört - die taten das immerzu. Aber mein Hausverwalter war offenbar wahnsinnig, und es war unmöglich vorauszusagen, was ihm sonst noch einfallen würde. Ich fand es am klügsten, Hilfe zu holen, und verließ das Haus, als der Mann gerade wieder seine Rundfahrt um den Block anfing. Das glaubte ich wenigstens. Ich fuhr den halben Block die Raymond Street entlang bis zum Jefferson Boulevard; aber als ich dort einbog, sah ich, daß er an der Ecke auf mich gewartet hatte. Er ordnete sich unmittelbar hinter mir ein und fuhr so dicht hinter mir her, daß seine Stoßstange nur dreißig Zentimeter von meiner hinteren Stoßstange entfernt war. Ich beschleunigte die Fahrt, um ihn abzuschütteln, und fuhr schließlich mit achtzig Kilometern den Jefferson Boulevard entlang. Aber sein Auto, Jahrgang 69 war in viel besserer Verfassung als mein Rambler 59; es fiel ihm daher nicht schwer, sich an meine Stoßstange zu heften. An der Ecke Jefferson und Western war ein neu eröffneter Supermarkt, in dem ich seit neuestem einkaufte. Der Manager des Ladens, ein Schwarzer Mann etwa Anfang vierzig, war zu mir immer besonders freundlich, wenn ich zu ihm kam sicher würde er mir helfen, diesen Irren loszuwerden. Ich machte eine scharfe rechte Kurve in die Einfahrt zum Parkplatz des Marktes - und der Mann bog direkt hinter mir ein. Ich nahm den ersten Einstellplatz, den ich sah, stürzte aus dem Auto und wollte schon in den Laden rennen, als ich sah, daß der Mann in der Einfahrt auf mich gewartet hatte. Um zum Laden zu gelangen, mußte ich vor seinem Wagen über die Straße. Ich holte tief Atem und rannte los. Aber der Mann war schnell - fast schnell genug, um mich zu überfahren. Glücklicherweise sprang ich schnell genug zurück, um ihm zu entgehen und wurde nur von seiner Stoßstange gestreift. Ich rannte in den Laden. Was ich mir nicht hatte zugeben wollen, als ich mich zuerst von Gefahr bedroht fühlte, mußte ich mir jetzt eingestehen: Er wollte mich tatsächlich umbringen. Obwohl ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was ihn dazu trieb, waren mir seine Absichten nicht zweifelhaft - er hatte versucht, mich zu überfahren. Mein Freund, der Ladenmanager, war gleich zur Hilfe bereit; er schickte sein Sicherheitspersonal nach draußen, um den Mann zu suchen, während ich Franklin und Kendra anrief, um ihnen das Geschehene mitzuteilen.
Als ich am Abend unbehelligt in ihr Haus gelangte, war der erste Punkt auf der Agenda Kritik und Selbstkritik. Es war töricht von mir gewesen, ohne jeglichen Schutz herumzulaufen. Es konnte ja sein, daß dieser Mann es auf mich abgesehen hatte, weil er von der ganzen Propaganda gegen den Kommunismus beinflußt war. Weil er glaubte, daß die Kommunisten den Menschen das Gehirn waschen konnten, und weil er die Gehirnwäsche mit der Hypnose verwechselte, hatte er sich eingeredet, daß ich ihn durch Hypnose zwingen könnte, gegen den eigenen Willen zu handeln. Wir kamen alle zu dem Schluß, daß ich nicht wieder allein in meiner Wohnung in der Raymond Street bleiben dürfe und daß ich so schnell wie möglich ausziehen solle. Nur sehr ungern gab ich meine SechsZimmer-Wohnung für achtzig Dollar im Monat auf. Sie war mir wirklich in den letzten sieben Monaten ans Herz gewachsen, und ich war sicher, daß ich nie wieder eine so günstige Gelegenheit finden würde. Trotzdem mußte ich mich abfinden - der Hausverwalter war ein gefährlicher Mann, und wir wußten sehr wohl, daß er eine Waffe besaß. Die Stücke dieser phantastischen Geschichte fügten sich erst richtig zusammen, als ich im Begriff war auszuziehen. In einem seiner lichten Momente kam der Mann zu mir nach oben und wollte mit mir reden. Ich vergewisserte mich, daß er keine Waffe hatte und daß meine Waffe in Reichweite lag. Darauf ließen meine Schwester und ich ihn ein. Er begann damit, daß er sich wortreich für das Geschehene entschuldigte und erklärte, er habe in der Nacht Stimmen gehört, die ihm auftrugen, mich zu töten, bevor ich ihn tötete. Fania fing an, ihn peinlich zu verhören: Wußte er überhaupt, was er sagte? Warum hatten ihm die Stimmen aufgetragen, mich zu töten? Er wußte nichts anderes, als was an dem bewußten Wochenende passiert war, an dem ich ihn im Haus eingeschlossen und ihm allerhand Sachen befohlen habe, zum Beispiel auch, daß er vor einem Spiegel die Pistole an seinen Kopf setzen sollte. Fania fragte, woher er wisse, daß ich es gewesen sei, die hinter diesen ganzen Sachen steckte. Die Stimme sei aus meiner Wohnung gekommen, erwiderte er und außerdem könne er meine Stimme erkennen. In der Nacht, in der er mich töten wollte, hatten ihn andere Stimmen besessen und ihn davon überzeugt, daß es um mein Leben ginge oder um seins. Als es ihm nicht gelang, mich zu überfahren, sei er zum Haus eines Bekannten gefahren und hätte ihm praktisch die Garage zerstört - er sei einfach übergeschnappt.
Das seltsamste an dieser ganzen Beichte war eine Aufzählung der Dinge, die er an dem Wochenende getan hatte, an dem ich ihn angeblich gefangengesetzt hatte. Er hatte Gedichte über sich und mich geschrieben. Nun war Fania von seiner Geschichte gefesselt, und da sie überzeugt war, daß er wenigstens für den Augenblick harmlos war, bat sie ihn, die Gedichte zu holen. Er kam mit einem riesigen Bündel Papier zurück, das aussah wie das Manuskript eines Buches. Mit großer Neugier blätterten Fania und ich in diesen Papieren, die mit Dialogen bedeckt waren, sorgfältig mit Bleistift in Druckbuchstaben und mit einer kindlichen Handschrift hingemalt. Wir wußten, daß der Mann halbwegs analphabetisch war und konnten uns die unglaubliche Mühe vorstellen, die ihn die Anfertigung dieser Gedichte gekostet haben mußte. Das ständige Thema, das in diesen Gedichten immer wieder durchbrach: der Mann fühlte sich zu mir irgendwie hingezogen. Daraus ergab sich der Zwiespalt, der von seiner gesellschaftlich bedingten Kommunistenangst herrührte. Ich war eine Kommunistin, ein Ungeheuer, aber zu gleicher Zeit gebildet, und, zumindest in seinen Augen, körperlich einigermaßen attraktiv. Die Gedichte brachten einen ständigen Konflikt zwischen diesen beiden Polen ins Spiel. Es war klar, daß diese Schriften von jemand stammten, der dem Wahnsinn nahe war. Ich redete ihm eindringlich zu, er solle einen Arzt aufsuchen und erklärte ihm, daß ich ausziehen wolle, weil man nicht voraussagen könne, wann er wieder in seine Wahnzustände verfallen würde. Er war halbwegs damit einverstanden, aber zugleich auch sichtbar darüber verstört, daß ich nicht mehr über ihm wohnen würde. Ich war wütend, daß ich ausziehen mußte, fühlte aber auch Mitleid mit diesem Mann und fragte mich, inwieweit seine Krankheit daher rührte, daß er als Schwarzer in einer rassistischen, anti-kommunistischen Welt lebte.
Mit diesen Gedanken verließ ich diesen Bezirk, den Mann und seine Krankheit und zog in eine Wohnung in der 45th Street zu Tamu Ushindi und ihrem Baby. Tamu war schon seit Jahren Mitglied des Clubs; ihr Mann, auch ein Genosse, sollte gerade mehrere Monate ins Gefängnis, und zwar wegen einer Schülerdemonstration im Jahr 1968. Wir hatten eine Wohnung gefunden, die für uns drei groß genug war; sie lag günstig - etwa fünf Blocks von Franklin und Kendra entfernt, und wir wußten, daß unsere Nachbarn freundlich gesinnt waren und uns bei einem Polizeiüberfall schützen würden.
Eines Nachmittags saß ich in meinem Universitätsbüro und arbeitete, als es an die Tür klopfte. ohne aufzusehen, sagte ich »Herein«. Gleich darauf stand ein weißer Mann in Uniform, von dessen Hüfte Pistolen baumelten, vor meinem Schreibtisch. In der Hand hatte er einen Stoß Papiere. Der mit meiner Sicherheit beauftragte Bruder stand sofort neben ihm. Verwundert und auf das Schlimmste gefaßt, fragte ich ihn, was er wollte. »Gerichtsvollzug«, sagte er. »Sie sind geladen, vor Gericht zu erscheinen.« Er legte mir die Papiere auf den Tisch. Ich nahm sie auf und fragte, worum es sich handele. Es sei sein Auftrag, sagte er, nur die Ladung zuzustellen; er hätte keine Ahnung, was drin stünde. Darauf machte er kehrt und ging hinaus. Die Papiere offenbarten nichts anderes als den Termin der Gerichtsverhandlung, die Nummer des Gerichtssaales und einen Namen, der mir völlig unbekannt war. Jemand, der sich Hekima nannte, hatte mich laden lassen, um als Zeugin für ihn auszusagen. Verwirrt und Böses ahnend rief ich meinen Anwalt an. John riet mir, bis zum Gerichtstermin zu warten, und dann festzustellen, worum es überhaupt ging. Er sagte, daß ein Anwalt seiner Firma mich begleiten würde. Am Ladungstermin ging Wendell Holmes - ein junger Schwarzer Anwalt der Firma - mit mir zum Bezirksgericht. Im Gerichtssaal wurde ein Prozeß verhandelt. Ein weißer und ein Schwarzer Mann stritten miteinander. Der weiße Mann, war der Staatsanwalt. Der Schwarze Mann, der wortgewandt die Verteidigung führte, schien gleichzeitig auch der Angeklagte zu sein. Das ist also der mysteriöse Hekima, dachte ich. Als er mich sah, nickte er und lächelte freundlich. Sein Gesicht war mir ebenso unbekannt wie sein Name, und ich konnte mir immer noch nicht ausdenken, warum ich in seiner Sache als Zeugin geladen war. Wendell ging zur Anklagebank, erklärte dem Gerichtsdiener, daß ich in diesem Prozeß Zeugin sei und bat ihn, während der nächsten Pause ein Gespräch mit dem Angeklagten zu gestatten. In der Pause ging ich zu Hekima und reichte ihm die Hand. Wir durchliefen die vier Bewegungen des solidarischen Händedrucks.
 Als ich mich mit ihm auf die Anklagebank setzte, sagte er mir, er sei sehr froh, daß ich gekommen sei. »Du willst, daß ich als Zeugin für dich aussage?« fragte ich ihn. Er nickte und erklärte mir dann, warum er mich geladen hatte. Vor einigen Jahren war Hekima wegen Mordes verurteilt worden. Die Anklage ergab sich aus einem Vorfall, bei dem ein weißer Mann von mehreren Schwarzen Männern beraubt worden war. Im Handgemenge fiel der weiße Mann zu Boden, schlug mit dem Kopf auf das Straßenpflaster und starb kurz darauf. Obwohl die Frage offen blieb, ob Hekima persönlich den Mann geschlagen hatte, war es erwiesen, daß er der Gruppe angehört hatte. Das Urteil, das auf Mord lautete, war kürzlich vom Berufungsgericht aufgehoben worden. Diesmal, sagte er, habe er seine eigene Verteidigung übernommen. Diesmal wolle er eine »politische Verteidigung« führen. Er wollte den Geschworenen klarzumachen suchen, wie Rassismus und Armut Schwarze Männer und Frauen zu verzweifelten Maßnahmen treiben konnten. Er wollte die Tötung eines weißen Mannes nicht rechtfertigen, auch wenn sie offensichtlich nicht beabsichtigt gewesen war. Auch wollte er nicht behaupten, daß es richtig sei, Menschen zu berauben. Aber er wollte mit dem Finger auf den wahren Verbrecher weisen: eine Gesellschaft, die die Schwarzen Menschen in so grauenhaften Zuständen der Unterdrückung gefangen hält, daß die Frage nur allzu oft lautet: zu stehlen oder unterzugehen. Nachdem er gelesen hatte, wie ich in der UCLA um meine Stellung gekämpft habe, meinte er, ich könne ihm beim Aufbau seiner Verteidigung behilflich sein. Er wollte mich als Kennerin der sozio-ökonomischen Funktion des Rassismus aussagen lassen. Ich könnte über Dinge wie die Höhe der Arbeitslosigkeit in unseren Wohnbezirken aussagen, daß fast immer 30% der jungen Leute in den Schwarzen Ghettos der gesamten Nation keine Arbeit finden könnten. Ich sollte über Themen reden, die die Weißen sich lieber nicht eingestehen wollen - über den Hunger und die bedrohliche Unterernährung, an denen die Schwarzen Menschen immer noch leiden. »Was soll ein Schwarzer Mann tun«, fragte er, »wenn er sich Tag für Tag um Arbeit bemüht hat, wenn seine Arbeitslosenversicherung zuende geht, wenn er die wucherische Miete für seine verkommene Wohnung nicht bezahlen kann, wenn seine Frau verzweifelt und seine Kinder hungrig sind?«
Je mehr Hekima sprach, desto mehr fühlte ich mich gezwungen, ihm jede mögliche Hilfe zu gewähren. Ich würde am heutigen Tag nicht als Zeugin aufgerufen werden, sagte er. Der Staatsanwalt hatte die Anklageerhebung noch nicht beendet. Außerdem würde er den Richter nicht ohne Kampf überreden können, ihn eine solche Verteidigung führen zu lassen. Als sich der Prozeß in den folgenden Tagen entwickelte, zeigte der Richter offen seine Vorliebe für den Staatsanwalt und seine Verachtung für den Angeklagten. Er hatte nicht die Absicht, mich als Zeugen zuzulassen. Man versagte Hekima das Recht, seine Verteidigung, die er so sorgfältig ausgearbeitet hatte, vor Gericht vorzubringen. Der Richter wollte nicht, daß die Schwarze Freiheitsbewegung in den Gerichtssaal getragen würde. Da ich auf Hekimas Zeugenliste stand, konnte ich im Gefängnis mit ihm im Besuchszimmer für Anwälte sprechen. Da waren wir nicht durch Glaswände getrennt und konnten persönlich miteinander reden; nicht telefonisch, wie in den normalen Besuchszimmern. Wenn ich ihn besuchte, sprach Hekima sehr leise - vielleicht ein Ergebnis seiner langjährigen Haft - aber da er wußte, daß er viel mehr zu sagen hatte, als in der kurzen Besuchszeit gesagt werden konnte, sprach er auch sehr schnell. Was er sagte, war scharf gedacht und tief gefühlt. Er senkte nie die Augen, wenn er sprach. Seine Blicke waren stets auf meine Augen gerichtet. Ich war von den Stunden, die ich mit ihm verbrachte, fasziniert Und lernte dabei zum erstenmal die Wandlung kennen, die Häftlinge durchmachten. Da war ein neues Bewußtsein entstanden. Es war nicht bloß das Bewußtsein solcher Menschen, die aus politischen Gründen im Gefängnis saßen. Es war eine Massenerscheinung. Gefangene - besonders Schwarze Gefangene - begannen sich zu überlegen, wie sie dorthin gelangt waren - was sie ins Gefängnis gezwungen hatte. Sie fingen an, das Wesen der Rassen- und Klassenvorurteile zu begreifen. Sie fingen an einzusehen, daß sie - ohne Ansehen der Besonderheit ihrer Fälle zumeist im Gefängnis saßen, weil sie Schwarz, Braun und arm waren. Meine Besuchszeit wurde von den Gefängniswärtern beschränkt: nach zwei dreistündigen Sitzungen im Anwaltsraum mußte ich Hekirna während der amtlichen Besuchsstunden im Besuchszimmer sprechen. Als er zum zweitenmal verurteilt wurde, leistete er sich nicht den Luxus einer Depression. Er begann sofort fieberhaft an seiner Berufung zu arbeiten. Ich willigte ein, für ihn den Rechtsboten zu mimen, das heißt, ich vermittelte den juristischen Schriftverkehr zwischen dem Gefängnis und der Außenwelt und leitete verschiedenes ein, was mit seinem Fall zusammenhing. Auf Grund dieser Beziehungen konnten wir unsere Sitzungen im Anwaltsraum wieder aufnehmen, die noch monatelang dauerten - die ganze Zeit, die ich im Verteidigungsausschuß für die Soledad-Brüder beschäftigt war. Dort - unter den feindlichen Blicken der Gefängniswärter - wuchs meine überzeugung, daß sich hinter den Mauern Explosionsstoff anhäufte, und daß wir keine Revolutionäre wären, wenn wir nicht sofort Hilfsorganisationen für unsere Schwestern und Brüder im Gefängnis aufbauten. Gegen Mitte Februar nahm ich die Los Angeles Times zur Hand und bemerkte auf der ersten Seite das Bild von drei sehr eindrucksvollen Schwarzen Männern. Ihre Züge waren ernst und stark, aber sie trugen Ketten um den Leib. Ketten banden ihnen die Arme zur Seite und Ketten umschlossen ihre Beine. »Sie wollen uns immer noch einhämmern, daß wir aus unseren Fesseln nicht entkommen sind«, dachte ich. In ohnmächtiger Wut begann ich die Geschichte zu lesen. Sie handelte von dem Soledad Gefängnis.
Das Soledad-Gefängnis war ein Begriff in der Schwarzen Gemeinschaft. Während der letzten zwei Jahre muß ich in Los Angeles das Wort millionenfach gehört haben. Es gab San Quentin, es gab Folsom und es gab Soledad. Soledad ist das spanische Wort für Einsamkeit. Gefängnis der Einsamkeit - der Name schien zu verraten, was das Gefängnis zu verheimlichen suchte. Als Josef in meiner Wohnung lebte, erzählte er mir, wie man ihn fast während der ganzen Haftzeit in Einzelhaft gehalten hätte. Er trug immer noch den Stempel von Soledad. Er zog immer noch die Einsamkeit vor. Stundenund oft tagelang blieb er im Wintergarten, der sein Schlafzimmer war, lesend und denkend allein. Und wenn er sprach, geschah es immer im Flüsterton - als wolle er nicht das massive Schweigen stören, das ihn so lange umfangen hatte. Die Los Angeles Times berichtete, daß George Jackson, John Cluchette und Fleeta Drumgo angeklagt seien, weil sie einen Wärter im Soledad-Gefängnis ermordet hätten. Seit dieser Tat war ein ganzer Monat vergangen. Warum hatte es so lange gedauert, bis Anklage erhoben wurde? Ich fragte mich, warum der Verfasser des Artikels nichts über diese Zeitlücke gesagt hatte. Der Artikel stank nach Täuschung und Ausflüchten. Es schien, als ob die Times die öffentliche Meinung gegen die Angeklagten aufputschen wollte, ehe noch der Prozeß begonnen hatte. Wenn man den Artikel so hinnahm, wie er geschrieben war, dann mußte man glauben, daß die drei Männer schuldig waren. In den nächsten Tagen sah ich immer wieder die Gesichter dieser Brüder. Drei schöne niännliche Gesichter, die aus der schauderhaften Anonymität des Gefängnislebens heraustraten. Ein paar Wochen darauf kam eine Anfrage beim Che-Lumumba-Club, ob wir wegen dieses Soledad-Falles nicht eine Versammlung einberufen wollten. Veranstalter war der »Ausschuß zur Verteidigung der MenschenreChte« von Los Angeles, der eine Massenkanipagne für die Freilassung der drei Männer in Soledad ins Leben rufen wollte. Ich erstickte in meiner Arbeit, aber ich konnte die drei mahnenden Gesichter in der Zeitung nicht vergessen. Ich mußte mit zur Versammlung; und wenn ich auch nur eine winzige Rolle spielte, dann tat ich doch wenigstens etwas. Am Abend der Versammlung gingen Tamu, Patrice Neal - auch Mitglied des Clubs - und ich zum schäbigen Victoria-Saal. (Er war früher berühmt gewesen wegen seiner rauschenden Tanzfeste am Samstagabend.
Jetzt hatte in diesem Saal der Spaß aufgehört. Die Menschen sprachen über etwas sehr Ernstes: Freiheit.) Etwa hundert Leute waren dem Aufruf gefolgt. Obwohl sie vorwiegend Schwarz waren, hatte sich auch eine beträchtliche Anzahl von Weißen eingefunden. Darunter waren junge oder ältere Leute und solche, die sichtlich die erste politische Veranstaltung ihres Lebens besuchten. Sie waren gekommen, weil ihre Söhne, Männer und Brüder in Soledad saßen.
An der Stirnseite des Saales saßen an langen Tischen Fay Stender, die Verteidigerin George Jacksons, Georges Mutter und Schwestern Georgia, Penny und Frances Jackson - Inez Williams, Fleetas Mutter, und Doris Maxwell, die Mutter von John Cluchette. In ihrer Beschreibung von Soledad erklärte Fay Stender, vom Direktor bis zum Wärter sei die Hierarchie des Gefängnisses seit langem dafür bekannt, daß sie die Rassenfeindschaft unter den Gefängnisinsassen förderte. Solange die Schwarzen, Chicano und weißen Gefangenen sich gegenseitig bekriegten, konnte die Gefängnisverwaltung beruhigt sein, daß niemand ihre Autorität ernsthaft bedrohen würde. Wie in einer alten Stadt des Südens war die Rassentrennung in Soledad fast total. Alle Tätigkeiten wurden so angeordnet, daß sich die Rassen nicht vermischten - oder wenn das doch der Fall war, daß sich die Gefangenen in Schlachtordnung gegenüberstanden. Unter Mithilfe einiger weißer Gefangener hat Soledad sein eigenes Gegenstück zum Ku-Klux-Klan entwickelt - eine Gruppe, die sich »Arische Bruderschaft« nannte. Die Spannung im Gefängnis war so fühlbar, daß selbst die harmloseste Begegnung der Rassen eine Explosion auslösen müßte. Vor dem 13. Januar 1970 waren auch die Sportstunden, wie alles andere, getrennt durchgeführt worden. An jenem Tag aber schickten die Wärter ohne Erklärung die Schwarzen, Chicano und weißen Gefangenen zusammen zum Sport in einem neu gebauten Hof. Keine einzige Wache war zu ihrer Begleitung abkommandiert. Die Explosion war unvermeidlich. Ein Kampf brach aus zwischen einem Schwarzen und einem weißen Gefangenen, und innerhalb von wenigen Minuten herrschte das Chaos. O. G. Miller stand im Ruf, ein eingefleischter Rassist zu sein, er war auch als glänzender Schütze bekannt. Er hatte an jenem Tag Dienst auf dem Wachtturm. Er zielte sorgfältig mit seinem Karabiner und feuerte mehrere Male. Drei Mann fielen: W. L. Nolen, Cleveland Edwards, Alvin Miller. Sie waren alle drei Schwarz. Ein paar Tage später trat das Schwurgericht von Monterey zusammen, um den Fall gegen O. G. Miller zu verhandeln. Wie sich voraussagen ließ, wurde er von aller Schuld an dem Tod der drei Brüder freigesprochen. Der Befund des Schwurgerichts lautete, daß ihm nicht mehr vorzuwerfen sei als »rechtlich vertretbarer Totschlag«.
Diese Geschichte klang in ihrer Brutalität recht vertraut. Als ich Fay Stenders Erzählung hörte, tauchte das Bild von Leonard Deadwilder in meinen Gedanken auf. Als er mit seiner Frau, die kurz vor der Entbindung stand, zum Krankenhaus raste, ein weißes Taschentuch an die Antenne gebunden, um den Notfall zu signalisieren, hielt die Polizei ihn an, weil er zu schnell gefahren war, und erschoß ihn, ohne auf eine Erklärung zu warten. Das Gericht erkannte auf rechtlich vertretbaren Totschlag. Und ich dachte an Gregory Clark, den achtzehnjährigen Schwarzen Jungen, der von der Polizei angehalten wurde, weil »er nicht aussah, als paßte er zu dem neuen Ford Mustang, den er fuhr«. Obwohl Gregory Clark unbewaffnet war, sagte der Polizist, er hätte in Notwehr gehandelt. Als der Bruder wehrlos, das Gesicht nach unten auf dem heißen Ghetto-Asphalt lag, mit auf dem Rücken gefesselten Händen, wurde er in den Hinterkopf geschossen. Später entschied das Gericht, daß der Polizist »rechtlich vertretbaren Totschlag« verübt hätte. »Rechtlich vertretbarer Totschlag« - diese so harmlos klingenden Wörter der Amtssprache beschworen unzählige unvergoltene Morde an meinem Volk herauf.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Fay Stenders Erzählung zu. Sie sprach davon, wie die Gefangenen in Soledad voller Stolz versucht hätten, sich gegen die richterliche Billigung eines unverkennbar rassistischen Mordes aufzulehnen. Spontan und mit der geballten Verzweiflung von Männern in Ketten hatten die Schwarzen Gefangenen unvollziehbare Drohungen gegen den Mörder O. G. Miller ausgestoßen und wütend an die Gitter ihrer Zellen gehämmert. In Soledad pulste der Widerstand. Ein Wärter stolperte unversehens in die wilde, aber chaotische Rebellion hinein und geriet in den Strudel ihrer kollektiven Rachegelüste. Niemand wußte, wer den Wärter über das Geländer gestoßen hat. So begann die Geschichte George Jacksons, John Cluchettes und Fleeta Drumgos. Es gab keinen Beweis, daß sie den Wärter getötet hatten. Dafür gab es aber Beweise, daß George, John und Fleeta »rnilitant« waren; sie hatten mit ihren Mitgefangenen über die Theorie und Praxis der Befreiung gesprochen. Die Gefängnisbürokratie wollte ihnen die symbolische Verantwortung für die spontane Rebellion der Gefangenen auferlegen. Sie wurden angeklagt, den Wärter ermordet zu haben. Die Gefängnishierarchie wollte sie in die Todeskammer von San Quentin werfen und triumphierend ihre vergasten Leichen vor Tausenden von kalifornischen Gefangenen paradieren lassen, um zu zeigen, was Gefängnis und Staat denen antaten, die sich gegen das Schweigen der Ergebenheit auflehnten. Fay Stenders juristische Analyse überließ jeden einzelnen seinem persönlichen Schmerz. Als jedoch Georgia Jackson zu reden begann, hob sie durch den Klang ihrer Stimme die Versammlung auf eine andere Ebene, denn ihre Worte sprachen von unverhohlenem mütterlichen Leid. Georgia Jackson, Schwarz, Frau, Mutter; ihre unendliche Kraft trug die klagenden Worte über ihren Sohn. Als sie von George sprach, verbreitete sich eine bebende Stille über den Saal. »Man hat uns George genommen, als er erst achtzehn war. Das war vor zehn Jahren.« In einer vor Leidenschaft zitternden Stimme beschrieb sie dann den Vorfall, der ihm die kleine Freiheit eines Jungen nahm, der ein Mann werden wollte. Er saß in einem Auto, als dessen Besitzer - ein flüchtiger Bekannter von ihm - in einer Tankstelle siebzig Dollar stahl. Mrs. Jackson versicherte, daß er von dem Plan seines Bekannten überhaupt nichts gewußt hatte. Trotzdem wurde er, dank eines unfähigen und stumpfsinnigen Pflichtverteidigers und dank eines Systems, das gegen junge Schwarze Angeklagte wie George seit langem mit gezinkten Karten spielte, wegen Raubes verurteilt. Das Strafmaß wurde, wie üblich, dem Jugendamt überlassen. Mit zornigem Erstaunen hörte ich die Strafe, die ihr Sohn erhielt: ein Jahr bis lebenslänglich. Eins bis lebenslang. Und George hatte schon zehnmal die Mindeststrafe abgesessen.
Wenn ich an die völlige Unwiederbringlichkeit seiner letzten zehn Jahre dachte, fühlte ich mich gelähmt. Und angstvoll verbot ich meiner Phantasie, sich die fürchterliche Wirklichkeit dieser zehn Jahre auszumalen. In mir wuchs die Entschlossenheit, alles nur Menschenmögliche zu tun, um George vor der Gaskammer zu retten. Fleeta Drumgo war der einzige Sohn seiner Mutter. Sie sprach ruhig, aber eindringlich von ihrem Schmerz und flehte uns an, ihren Sohn von seinen Feinden zu erretten. Die Mutter von John Cluchette erzählte uns, daß sie von ihm eine Nachricht erhalten hätte, auf der nur das eine Wort »Hilfe« stand. Das war das erste Zeichen, daß die Gefängnisbürokratie an den drei Brüdern ein Exempel statuieren wollte. Allein konnte sie nichts tun, um George, John und Fleeta zu helfen. Nur wir, das Volk, konnten vielleicht die legale Lynchjustiz aufhalten, die für sie geplant war. Als die Frauen geendet hatten, merkte ich, daß die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft die Logik und die Stimmigkeit einer Verschwörung gegen die Brüder zu besitzen schienen - gegen sie, ihre Politik, ihre Grundsätze, ihr Engagement. Dazu gab es nur eine Frage: Was waren i wir zu tun bereit, um die Ausführung dieser Verschwörung zu verhindern? Wir besprachen im einzelnen, wie wir eine Massenbewegung schaffen konnten, um für die Freiheit der Brüder zu kämpfen. Der Vorsitzende bat um Freiwillige, die in den verschiedenen Unterausschüssen mithelfen wollten - Beschaffung von Geldmitteln, Öffentlichkeitsarbeit, Nachforschungen usw. Obwohl ich mich George, John und Fleeta mit ganzem Herzen verbunden fühlte, hatte ich bereits zu viele Pflichten, um in dem Verteidigungsausschuß eine größere Rolle zu übernehmen. Der Kampf um meine Universitätsstellung tobte weiter, und ich mußte an der kalifornischen Küste hin und her jagen, um Ronald Reagan bloßzustellen und um die Schranken zu fordern und für unsere Seite Unterstützung zu suchen. Im Che-Lumumba-Club arbeitete ich auf dem Gebiet der politischen Erziehung. Und natürlich mußte ich mich auch für die beiden Vorlesungskurse vorbereiten, die ich an der Universität hielt. Ich brachte mich schon beinahe um, wenn ich allen meinen Pflichten genügen wollte. Wie hätte ich die Zeit finden sollen, jeden Tag im Verteidigungsausschuß für die Soledad Brüder tätig zu sein?
Das waren zwar meine Gedanken, als die Unterausschüsse gebildet wurden, aber mein Arm schoß trotzdem hoch, als man nach Freiwilligen für einen Unterausschuß zur Arbeit in den Universitäten verlangte. Etwas Elementareres als Stundenpläne und frühere Verpflichtungen hatte mich gepackt; ich wollte versuchen, die Arbeit des Ausschusses in den örtlichen Colleges und Universitäten zu koordinieren. Die Entscheidung war gefallen. Woher ich die Zeit dazu nahm, war eine zweitrangige Frage. Ich dachte über mein anfängliches Bedenken nach, eine größere Rolle zu übernehmen. Wie anmaßend von mir, das Resultat des Kampfes um meine Stellung gegen das Resultat des Kampfes um das Leben dieser Männer abzuwägen. In der Universität kämpfte ich um mein Recht, als Schwarze Frau, als Komtnunistin, als Revolutionärin meine Stellung zu behalten. In Soledad kämpften George Jackson, John Cluchette, Fleeta Drumgo als Schwarze Männer und als Revolutionäre darum, ihr Leben zu retten. Derselbe Kampf. Dieselben Feinde. Die Mehrzahl der Studenten und Professoren - außer in den sehr reaktionären Hochschulen gestanden mir wenigstens im Prinzip die akademische Lehrfreiheit zu, trotz der Tatsache, daß ich Kommunistin war. Ich konnte das verbreitete Interesse ausnützen, den mein Kampf um die Anstellung gefunden hatte, und dazu noch die natürliche Neugier von Menschen, die eine »echte, lebendige, eingestandene Kommunistin« sehen wollten, wenn sie in den Universitäten zur Unterstützung der Soledad-Brüder aufrief. Am Ende der Versammlung im Victoria-Saal trat der Unterausschuß für die Universitätsarbeit zusammen und legte die erste Sitzung für die folgende Woche fest. Ich bot dafür die Wohnung Kendras und Frankh lins in der 50th Street an. Unterdessen wollten wir versuchen, sympathisierende Studenten und Professoren der örtlichen Hochschulen für diese Sitzung zu rekrutieren. Wir wollten Vorschläge für die Organisation ausarbeiten, die wir für die akademische Gemeinschaft von Los Angeles aufbauen mußten. Ich verließ die Versammlung mit einem neuen Leitgedanken. Ich dachte an George und John und Fleeta. Wir mußten sie irgendwie wissen lassen, daß sie nicht mehr allein waren. Daß bald Tausende von kampfbereiten Stimmen rufen würden »Freiheit für die Soledad-Brüder«, und Tausende auch fÜr sie kämpfen wollten. Ich war noch dabei, eine Tagesordnung für die bevorstehende Sitzung auszuarbeiten, als Kendra ins Schlafzimmer gestürzt kam und begeistert schilderte, was im Wohnzimmer passierte. »Du kannst dir kaum vorstellen, wie viele Leute da draußen sind. Es ist noch nicht mal acht Uhr, und das Zimmer ist schon so voll, daß die Leute auf dem Boden sitzen.«
Kendras und Franklins Zweifamilienhaus für achtzig Dollar im Monat befand sich auf der Ostseite der Stadt, wo es während der Rebellion in Watts, im Jahre 1965, heiß hergegangen war. Ihre Wohnung in i der 50th Street war nicht sehr weit von der Wohnung in der 45th Street entfernt, in die Tamu und ich vor kurzem gezogen waren. Von ihrer vorderen Porch konnte man den South-Park sehen, in dem im Laufe der Zeit viele militante Massenversammlungen stattgefunden hatten. Da der Che-Lumumba-Club bisher noch kein Hauptquartier gefunden hatte, war die Wohnung von Kendra und Franklin so etwas wie ein Sammelplatz geworden. Wir hielten unsere Sitzungen in ihrem Wohnzimmer ab, und wenn ein Clubmitglied, das sich die Miete für eine Wohnung nicht leisten konnte, irgendwo unterschlüpfen mußte, dann stand ihm jederzeit der Fußboden im Wohnzimmer zur Verfügung. Wenn wir eine Massenversammlung gewollt hätten, dann wären wir einfach mit Flugblättern in der Umgegend von Haus zu Haus gezogen. Aber wir hatten für diese Sitzung kein Werbematerial verteilt, weil es sich eigentlich nur um den Unterausschuß für die Universitäten handelte. Daher war ich äußerst erstaunt, etwa fünfzig Schwestern und Brüder begrüßen zu können, die sich im Wohnzimmer versammelt hatten. Es hatte sich herumgesprochen, daß eine Versammlung zum Thema George, John und Fleeta stattfinden sollte.
Also kamen sie - ohne zu wissen, daß ursprünglich nur eine Sondersitzung für eine Unterstützungskampagne an den Universitäten stattfinden sollte. Tatsächlich bestand die Mehrheit der Anwesenden auch nicht aus Studenten oder Professoren, sondern eher aus Arbeitern oder Ex-Gefangenen, oder Menschen, die persönlich mit dem kalifornischen Haftsystem in Konflikt geraten waren. Einige der Brüder waren sogar mit George, John und Fleeta eingesperrt gewesen, andere hatten sie gekannt, als sie noch in den Straßen von Los Angeles herumliefen. Mrs. Jackson war da mit ihrer Tochter Frances. Inez Williams und Doris Maxwell waren ebenfalls anwesend. Wir, die wir das Treffen veranstaltet hatten, sahen mit tiefer Rührung, wie tief diese Schwestern und Brüder die Nachricht von der Verschwörung getroffen hatte. Wir konnten die Begeisterung spüren, die die Sitzung belebte. Alle diese Menschen - Schwarz, manche jung, manche alt, Arbeiter, Studenten, frühere Strafgefangene - alle waren sie bereit, die drei Brüder in Soledad zu verteidigen und zu befreien. Da so viele Leute zur Versammlung gekommen waren, konnten wir unsere Diskussion nicht auf die Kampagne an den Hochschulen beschränken. Wir konnten einfach den Leuten nicht sagen, daß sie zur falschen Sitzung gekommen waren; die ungeheure Erregung mußte gleich genutzt und in einen aktiven Protest verwandelt werden. Die Anwesenden drängten sich, freiwillig Pamphlete über den Fall zu schreiben und zu vervielfältigen, und andere wollten freiwillig Tearns zur Verteilung von Flugblättern organisieren. Wir sprachen über eine Massenkundgebung, die in wenigen Wochen stattfinden sollte. Das Picknick, das wir im Victoria-Saal besprochen hatten, wurde wieder vorgebracht, und auch dafür wollten sich Freiwillige sofort an die Arbeit machen.
Die Dinge gerieten in Bewegung. Die Menschen wurden von dem mächtigen und leidenschaftlichen Verlangen gepackt, etwas zwischen die Zähne zu kriegen - etwas, was die Richter auf ihren Stühlen aufrüttelte, das die Gleichgültigkeit von geldgierigen Pflichtverteidigern erschütterte und die Grausamkeit von den Augen der Gefängniswärter abzog wie eine Pelle. Sie wollten endlich einmal gegen die Maschine kämpfen, die sie - ihre Väter, ihre Brüder, ihre Söhne - in den Dreck gewalzt hatte. Viele von ihnen kannten George, John oder Fleeta aber ihr Zorn, wie der meine, brannte für den Sohn jeder Schwarzen Mutter, dessen Leben in den Soledads dieses Landes erstarrte oder zerstört worden war. Sie brauchten weder Bildung noch Aufklärung - sie wußten. Die grauen Mauern, der Klang der Ketten hatte nicht nur ihr Leben berührt, sondern das Leben aller Schwarzen Menschen im Lande. Irgendwo, irgendwann kannten sie jemand, oder wußten von jemand, der diese Ketten trug. Aus ihrer alten und ganz persönlichen Verzweiflung, Ohnmacht und wilden Wut waren sie zu einer hydraköpfigen Einheit geworden, die mit einer Stimme sprach »bis hierher und nicht weiter«. Es war nur natürlich und richtig, daß diese Gruppe zum Kern wurde, um den sich der permanente Soledad-Ausschuß gruppierte. Und die Aufgabe, die ich anfänglich angenommen hatte Koordinator der Hochschulaktivitäten - verwandelte sich bald in die Führung des gesamten Ausschusses von Los Angeles. Obwohl ich wußte, daß ich mich bis an den Raiid meiner Kräfte zur Arbeit treiben mußte, ist es mir nicht einmal eingefallen, meine Last zu verringern. Der Auftrieb, den ich im Gefühl meiner Energie und Begeisterung erlebte, hätte mir eher nahegelegt, alles andere aufzugeben.
Innerhalb weniger Wochen war unser Feldzug für die Befreiung der Soledad-Brüder der Gesprächsstoff in der ganzen Schwarzen Gemeinschaft, an den Hochschulen und in den linksgerichteten Kreisen der ganzen Stadt. Unsere Plaketten mit der Aufschrift »Freiheit für die Soledad-Brüder« wurden von vielen Leuten getragen. Ein Bruder von der Schwarzen Studenten-Union an der UCLA hatte uns einige Siebdruckplakate der Brüder geschenkt, und eine Druckerei hatte Massen davon hergestellt, ohne daß es den Ausschuß etwas kostete. Wo immer die Bewegung tätig war - bei Versammlungen, Kundgebungen, Sitzungen und bei Konzerten und anderen Veranstaltungen der Schwarzen Gemeinschaft, sah man stets Aktivisten des Ausschusses mit Literatur, Plakaten und Plaketten, die die Leute zu unseren wöchentlichen Versammlungen ins Haus in der 50th Street einluden. Bei der Kundgebung in der Innenstadt sprachen Penny Jackson und ich für die Brüder und wurden dabei von anderen Führern der Schwarzen Gemeinschaft unterstützt: Masai, der Erziehungsminister der Schwarzen-Panther-Partei sprach über die Verschwörung gegen die Soledad-Brüder, der derselbe Geist der Unterdrückung zugrundeliege, wie bei den Polizeiüberfällen auf seine Partei. In der UCLA bildeten wir einen Verteidigungsausschuß für die Soledad-Brüder, sowie Bobby Seale und Ericka Huggins und veranstalteten eine Kundgebung, zu der Tausende von Studenten erschienen. Die Ausschußmitglieder, die im Bezirkskrankenhaus von Los Angeles arbeiteten, luden mich ein, bei einer Versammlung der Krankenhausarbeiter zu sprechen. Frances Jackson und ich nahmen eine Einladung an, im Staats-College von San Diego zu reden. Es war eine gute Kundgebung, aber wir mußten schnell von dort verschwinden, damit die sichtbar und zahlreich postierten Kämpfer der Reaktion nicht die Gewaltdrohungen wahrmachen konnten, die sie gegen uns ausgestoßen hatten. Nach dieser Kundgebung ging ich hinüber zur Universität La Jolla, um noch einmal über die Brüder zu reden, worauf ich half, auch dort einen Ausschuß aus der Taufe zu heben. Obwohl Fania und Sam noch vollauf mit ihrem eigenen Fall beschäftigt waren, halfen sie doch eifrig beim Aufbau des Verteidigungsausschusses für die Soledad-Brüder in La Jolla mit. Unsere Arbeit kam wirklich ins Rollen, und ihre Wirkung auf die Gemeinschaft verstärkte sich. Die Mitgliederzahl in den einzelnen Ausschüssen nahm wöchentlich zu und spiegelte damit die wachsende Kraft der größeren Verteidigungskampagne wider. Ich steigerte meinen persönlichen Einsatz. Wenn ich als Rednerin gebeten wurde, lehnte ich niemals ab - aber ich machte klar, daß ich über den Fall der SoledadBrüder reden und das gezahlte Honorar dem Verteidigungsfonds für die Soledad-Brüder zukommen lassen würde. Loyola College in Los Angeles. City College in Pasadena. Universität von San Francisco. Universität des Pazifik. Junior College von Monterey. Universität von Kalifomien in Santa Cruz. Schule der Palisaden. Daneben gab es noch die Kirchen und die gesellschaftlichen Gruppen, einschließlich der studentischen Bruder- und Schwesterschaften, die von dem wachsenden politischen Engagement der anderen Schwestern und Brüder aufgerüttelt wurden.
Ich hatte mich so tief in meine Reise- und Redeverpflichtungen verstrickt, daß ich die Delegation unseres Ausschusses nicht nach Monterey begleiten konnte, wo eine öffentliche Verhandlung zur Vorbereitung des Prozesses stattfand. Ich hatte die Soledad-Brüder nie gesehen und hatte mich auf die Verhandlung gefreut, wenn auch nur, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Einige Tage zuvor hatte ich eine Botschaft von George erhalten, worin er sagte, sie alle wollten uns brennend gern sehen. Kendra, Tamu und ein paar Ausschußmitglieder unternahmen zusammen mit den Familien der Brüder die siebenstündige Fahrt nach Salinas. Nachdem Kendra festgestellt hatte, daß John Cluchette derselbe John war, den sie in der Schule gekannt hatte, fand sie es besonders aufregend, ihn nach so vielen Jahren wiederzusehen. Ungern blieb ich zu Hause, um meine Vorlesungen auszuarbeiten. Alle, die das Verhör miterlebt hatten, waren durch den Kontakt mit den Brüdern mit neuer Kraft geladen, aber voller Wut über das, was sie im Gerichtssaal gesehen und gehört hatten. Nach Abschluß der Verhöre durften Frances, Penny und Mrs. Jackson George besuchen. Er ließ mir ausrichten, sagten sie, wie dankbar er und die anderen BrÜder waren - aber sie seien alle enttäuscht gewesen , weil ich nicht gekommen war. Bis zum nächsten Verhör war es noch eine Woche. Ich richtete mir meinen Zeitplan so ein, daß ich einen Tag für die Reise nach Salinas freimachen konnte. Cheryl Dearmon von der UCLA und Carl X vom Che-Lumumba-Club sollten mich begleiten. Dearmon, wie ihre Freunde sie nannten, war aktiv in der Schwarzen Studenten-Union der Universität und war unter den ersten gewesen, die sich der Kampagne um meine Anstellung angeschlossen hatten. Weil sie groß war, eine helle Hautfarbe hatte und eine volle Afro-Frisur trug, wurde sie dauernd mit mir verwechselt - manchmal sogar auch von der Polizei, die zu meiner Beobachtung abkommandiert war. Ich hatte vorgehabt, meinen bewährten alten Rambler 1959 zu nehmen, aber niemand teilte meine Zuversicht, daß der Wagen die steile kurvenreiche Straße nach Salinas bewältigen könne. Ich wurde überstimmt und nahm statt dessen Kendras und Franklins Kombiwagen. Als wir auf der Ausfahrt nach Salinas von der Straße abbogen, hatten wir noch einige Minuten Zeit. Auf der Fahrt durch die Straßen dieser Stadt suchten meine Blicke instinktiv nach Schwarzen Gesichtern in Autos und unter den Fußgängern auf dem Bürgersteig. Kein Schwarzer Mensch war in Sicht. In Salinas herrschte eine Muße und eine Kleinstadtatmosphäre, die mich an den Süden erinnerten. Die weißen Leute hatten etwas Südliches.
In ihren Gesichtern fand ich die altbekannte Kombination von Leere und der verzweifelten Anstrengung, sich irgendeiner Sache überlegen zu fühlen. Ich fragte mich, ob die vielen Chicanos, die ich auf den Straßen sah, von dem Fall der SoledadBrüder gehört hatten. Hier hatten Cesar Chavez und die Gewerkschaft der Landarbeiter ihre Organisationskarupagne geführt. Vielleicht, dachte ich, konnten wir uns ihre Unterstützung sichern, falls der Prozeß im Bezirk von Monterey stattfinden sollte. Ohne Schwierigkeit fanden wir das Gerichtsgebäude. Wie in den meisten Kleinstädten des Südens beherrschte es die Innenstadt. Weiß und massiv, im neoklassizistischen Stil erbaut, war das Gerichtsgebäude von kleinen Parkplätzen umgeben, die mit Streifenwagen der Sheriffs und einem ganzen Schwarm von amtlichen Fahrzeugen gefüllt waren, an deren Seiten Bezirk von Monterey geschrieben stand. Das war also der berühmte Bezirk von Monterey - landschaftlich schön und luxuriös - wo jedes Jahr Tausende von Menschen zusammenkamen, um sich beim Klang der beliebtesten Jazz-Musiker zu entspannen. Das JazzFestival von Monterey, Big Sur, das Tal von Carmel - das klang alles beruhigend und idyllisch. Es war ein so unübertrefflicher Deckmantel für die Verfolgung der Gefangenen in Soledad, die Unterdrückung der Chicano-Landarbeiter, die Arische Bruderschaft und den Richter Campbell, der aus seiner Absicht, George, John und Fleeta dem Henker auszuliefern, keinen Hehl gemacht hatte. In Salinas waren wir wie in Feindesland. Als wir möglichst unauffällig nach einem Parkplatz suchten, begegneten wir der Familie Jackson, die gerade ankam. Wir folgten ihr zu einem Platz hinter dem Gericht und gingen dann zusammen ins Gebäude. Wie die meisten Gerichtsgebäude, die ich gesehen hatte, war auch dieses äußerlich gepflegt und glänzend. Seine schimmernden Marmorwände, der antiseptisch saubere Fußboden schienen fast dafür geschaffen, das schmutzige rassistische Geschäft zu verstecken, das hier abgewickelt wurde. Es war, als ob allein schon das Gewicht des Marmors, die unmenschliche Ordnung der Hallen die Gerechtigkeit syrnbolisierten. Konnte hinter dem rosageäderten Wiener Marmor die Bestechung hausen? Konnten die Schritte auf diesen schimmernden Fußböden von anderen stammen als den Rechtschaffensten? Wie konnten sich die massiven Türen zu etwas anderem öffnen als der fairsten, menschlichsten Rechtsprechung?
Hier wie sonstwo war die Gerechtigkeit ein Bild - schwer, glatt und voller Täuschung.
Der Soledad-Ausschuß dieses Bezirks hatte eine Masse von Menschen auf die Beine gebracht, die der Verhandlung beiwohnen wollten. Die Schlange vor dem Gerichtssaal von Richter Campbell reichte bis zum Ende des Ganges. Zwar tat es wohl, so viele Leute zu sehen, die bereits an der Kampagne teilnahmen, aber es schmerzte mich, daß nur so wenige Schwarze Menschen darunter waren. (Später merkte ich, daß die Zusammensetzung des Ausschusses daran die Schuld trug - er war aktiv und hatte eine große Zahl begeisterter Mitglieder angeworben, aber die Schwarzen Mitglieder des Ausschusses ließen sich an den Fingern einer Hand abzählen.) Als Georgia alle diese Leute sah, fand sie es sinnlos, daß wir uns in diese lange Schlange einreihten; der Saal konnte nicht einmal die bereits Wartenden fassen. Ich fand das niederschmetternd. Nachdem ich mir extra Zeit fÜr diese Verhandlung geschaffen hatte, nach der fieberhaften Hetzjagd, um ja rechtzeitig zu kommen, nach all dem sollte ich nicht in den Saal gelassen werden? Voller Wut sah ich mich schon vor der Tür, während die Verhandlung stattfand, atemlos auf den Bericht wartend, was sich drinnen abgespielt hatte. Georgia versuchte mich aufzuheitern; sie sagte, es wäre immer noch möglich, daß sich etwas deichseln ließe. Dearmon und ich folgten ihrem Tip, und als die Gerichtsdiener die Tür für die Familien öffneten, schlüpften wir beide unauffällig mit in den Saal.
In dem voll besetzten Gerichtssaal empfand man in der Stille die Ohnmacht von Menschen, die durch die spürbare Gegenwart des Feindes mächtig erregt sind. Mit roten Köpfen starrten die Gerichtsdiener, die an den Wänden aufgestellt waren, uns mit der Feindseligkeit an, die sie für ihre Rolle einstudiert hatten. Wir warteten. Ich hoffte, daß bald etwas geschehen würde, um diese unglaubliche Spannung zu brechen, bevor sie sich von selbst entlud. Trotz, oder vielleicht wegen dieses gespannten Wartens wurden wir durch das plötzliche Erscheinen eines fetten uniformierten weißen Mannes mit hartem Blick aufgeschreckt. Als er durch die Tür hinter der Richterbank hereinwatschelte, war er der Inbegriff der faschistischen Atmosphäre dieser Verhandlung. Wir wußten ja schon, daß der Richter Campbell den Versuch machen würde, die Knoten der Verschwörung fester zu ziehen. Daß er versuchen würde, die Brüder noch tiefer in ein Schicksal zu verstricken, das unbeirrbar zur Todeskammer führte. Die Anwesenheit dieser Wache aus Soledad sollte in uns Scheu und Furcht wecken. Wir sollten uns vor dem Apparat, den erverkörperte, machtlos fühlen. Wir sollten bereits das tödliche Gas riechen. Aber wir fühlten keine Furcht, wir fühlten uns nicht machtlos. Und wir spendeten den Helden unseres Kampfes kräftigen Beifall, als sie stolz, mutig und kraftvoll den Gerichtssaal betraten. Die Ketten um ihre Leiber bedrohten uns nicht, sie waren da, um zerbrochen, zerstört, zerschmettert zu werden. Der Anblick jener Fesseln, die uns zur Hut mahnen, die Gefangenen als »gefährlich« oder »toll« stempeln sollten, weckten in uns nur den Drang, das Eisen von ihren Handgelenken, ihren Knöcheln zu reißen. Ich wußte, daß meine Wut von allen geteilt wuide. Mir stieg die Galle in die Kehle. Aber mächtiger als der Geschmack meiner Wut war die beherrschende Gegenwart der Brüder, denn die Brüder waren schön. Gekettet und gefesselt standen sie groß da und waren schön.
George sprühte noch mehr Leben, als ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte gedacht, daß die Narben der letzten zehn Jahre auf den ersten Blick sichtbar sein würden. Aber man sah an ihm keine Spur der Unterwerfung, nicht das leiseste Zeichen der Bande, in denen er alle seine Mannesjahre verbracht hatte. Er ging hochaufgerichtet, mit mehr Selbstvertrauen, als ich je zuvor gesehen hatte. Seine Schultern waren breit und muskulös, seine gewaltigen Arme Skulpturen antiker Kraft, und sein Gesicht verriet ein tiefes Verständnis unseres kollektiven Zustandes und seine Weigerung, sich von dieser Unterdrückung überwältigen zu lassen. Die erfrischende Schönheit seines Lächelns konnte ich kaum glauben. John war der größte der drei. Dunkel, mit stattlichen, gut gemeißelten Zügen zeigte er eine bestechende Erdhaftigkeit in der Art, wie er den Gerichtssaal betrat. Und Fleeta so sichtlich voller Hoffnung. Er begrüßte uns mit seinem schönen, rückhaltlosen Lächeln. Es war so falsch, daß sie es sein mußten, die diese klirrenden Ketten trugen. Wie lange die Zeit, wie groß die Anstrengung, diese Ketten mußten zerbrochen werden. Die Verhandlung bestand aus der formellen Ablehnung jedes Antrags, den die Verteidiger vorbrachten. Wie vorauszusehen, wurde sie von den kleinen rassistischen Witzchen markiert, für die der Richter Campbell bereits berüchtigt war - wenn er zum Beispiel den Zuschauern sagte, sie sollten dran denken, daß sie nicht bei einem BarbequeEssen säßen. Inmitten dem Für- und Wider-Geschrei zwischen Staatsanwalt, Verteidigern und Richter blieben die Brüder ruhig und gefaßt. Während der Debatten las George in einem riesigen Stoß Akten. Mit seiner schwarzgerandeten Brille und seiner gesammelten Konzentration sah er sehr gelehrt aus, wie der Lehrer, der er in all den Gefängnissen des Staates für so viele Brüder geworden war. In der Mittagspause ging ich zur Anklagebank hinüber, weil ich hoffte, ein paar Worte mit ihnen wechseln zu können. Die Wachen sagten nichts, als George zur Schranke kam, um mit mir zu sprechen. Wir hatten keine Zeit für formelle Vorstellungen, und wir fühlten nichts von der Steifheit, die gewöhnlich einer ersten Begegnung anhaftet. George sprach, als blickte unsere Freundschaft schon auf eine lange, ereignisreiche Geschichte zurück. »Angela, hast du meinen Brief bekommen?« fragte er. »Den Zettel, den du mir vergangene Woche ins Haus geschickt hast?«
Ich meinte damit einen kurzen Brief auf einem Gefängnisbriefbogen, der auf anitlichem Wege geschickt worden war. Er bat mlch darin, eine regelmäßige Korrespondenz mit ihm zu beantragen. »Nein, ich spreche von einem langen Brief auf gelbem Aktenpapier. Hast du ihn nicht erhalten?« »Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Verdammt. Du solltest ihn lesen, bevor du heute herkommst.« Offensichtlich war der Brief irgendwie wichtig. Ich überlegte mir, was es sein konnte. »H. hat wahrscheinlich den Brief. Kennst du sie?« Er sprach schnell, weil unsere Sprechzeit bald vorüber war. Ich schüttelte den Kopf. »Sie ist hier irgendwo. Es kann nicht sehr schwer sein, sie zu finden. Aber laß dir auf alle Fälle den Brief geben, ehe du wieder wegfährst.« »Keine Sorge, George«, versicherte ich ihm, »wenn er hier ist, finde ich ihn.« Ich wollte noch soviel mehr sagen. Aber seit Beginn unseres Gesprächs hatten die Gerichtsdiener geschrien, daß der Gerichtssaal geräumt werden müsse. Die Wachen von Soledad wurden nervös und schienen einen Vorgesetzten zu suchen, der ihnen den Befehl gab, auf die kleine Gruppe um die Brüder loszugehen. Widerstrebend verabschiedeten wir uns. An jenem Tag habe ich den Brief nicht gefunden, aber ich habe ausfindig gemacht, wer H. war. Sie hatte den Brief, aber nicht bei sich. Wir vereinbarten, daß ich ihn in den nächsten Tagen erhalten sollte.
Als ich Jonathan Jackson zum erstenmal sah, erinnerte er mich an meinen jüngsten Bruder Reginald. Wie Reginald war er groß, hellhäutig und hatte dichtes rötlichblondes Haar. Ich war als Rednerin zur Jahrestagung des Ausschusses zur Verteidigung der Menschenrechte in Los Angeles eingeladen worden. Die Veranstalter der Tagung hatten als Hauptthema den Kampf um den Strafvollzug gewählt und die Familien der drei Soledad-Brüder zur Teilnahme aufgefordert. Mrs. Jackson, Penny und Jonathan, außerdem auch Inez Williams und einige Verwandte von John Cluchette nahmen an der Arbeitssitzung über Gefängnisse und politische Gefangene teil. Irgendwann nach dem Verhör am 16. Mai hatten Georgia und Penny Jackson mich gebeten, mit ihnen eine Versammlung des Demokratischen Clubs in Pasadena zu besuchen, an dessen Spitze Don Welding stand, ein Schwarzer Mann, der sich schon lange Jahre für progressives Gedankengut eingesetzt hatte. Er wollte das Thema der Soledad-Brüder vor dieser Versammlung aufwerfen, um die Mitglieder um ihre finanzielle und politische Unterstützung zu bitten. Eine Schwester namens Fannie, die Studentin in UCLA und eine der führenden Aktivistinnen im Soledad-Ausschuß war, hatte uns hingefahren. Da wir nach der Sitzung Georgia und Penny vor ihrem Haus absetzen mußten, luden sie uns zu einer Tasse Kaffee zu sich ein. Es war spät, als wir ankamen, und bei den Jacksons lagen schon alle im Bett. Zu viert saßen wir um den Eßtisch, besprachen die Versammlung, die wir gerade erst verlassen hatten, und warteten, bis der Kaffee fertig wurde, als Jonathan im Bademantel in der Tür erschien und sich den Schlaf aus den Augen rieb. Mit flüchtigem Lächeln murmelte er: »Was soll dieser ganze Lärm? Darf man denn hier nicht mal schlafen?« Dann kam er rein, setzte sich an den Tisch und nahm an der Unterhaltung teil. Das war das erstemal, daß ich mit Jonathan mehr als ein paar Grußworte wechselte. George hatte ihn in seinem Brief erwähnt, ihn wegen seiner Intelligenz und besonders wegen seiner unerschütterlichen Anhänglichkeit an ihn gelobt. Er hatte gesagt, daß Jon ein wenig verschlossen sei, und hatte mich gebeten, ihn doch für die Soledad-Konferenzen bei Kendra und Franklin zu interessieren. Ich entschloß mich, gleich jetzt über den Ausschuß mit ihm zu sprechen. Jonathan wollte nur von George sprechen. Alle seine Interessen, alle seine Aktivitäten standen in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit seinem Bruder in Soledad. Mit sechzehn Jahren trug Jonathan eine Bürde, der sich die meisten Erwachsenen verweigern würden. Als er George das letztemal auf der »freien« Seite der Mauern gesehen hatte, war er sieben Jahre alt gewesen. Von damals bis heute waren seine Besuche von Wachen in Chino, Folsom, San Quentin, Soledad beaufsichtigt worden. Und die Briefe. Die Briefe, in denen sie ihr Verhältnis zueinander entwickelten, das sich zu Hause, auf den Straßen, in der Sporthalle, auf dem Baseballfeld hätte entfalten sollen. Aber weil es in die Kabuse des Gefängnisbesuchers gequetscht war, in zwei Seiten lange, zensierte Briefe, drehte sich das ganze Verhältnis um ein einziges Ziel - wie man George dort wieder rausholen konnte, auf diese Seite der Mauern.
Jonathan war äußerst stolz auf das Verhältnis, das er zu seinem Bruder hatte, stolz auf dessen Reife und auf das Vertrauen, das George in ihn setzte. Im Laufe unserer Unterhaltung brachte er einen dicken Stoß von Briefen aus den verschiedenen Gefängnissen, deren Insasse sein Bruder in den letzten zehn Jahren gewesen war. Er wollte, daß wir die Schilderungen der brutalen Behandlung lasen, die George und die anderen Brüder durch die Gefängniswärter erlitten hatten. Er hatte sich zwar noch keinen Massenbewegungen angeschlossen, verstand aber instinktiv, wie nötig es war, daß sich große Mengen von Leuten für die Freiheit seines Bruders einsetzten. Als er von seinen Erfahrungen in der Oberschule von Pasadena sprach, wo sein drittes Jahr zuende ging, beklagte er sich bitter über die Teilnahmslosigkeit der meisten Klassenkameraden. Sie wußten nicht, worum es überhaupt ging, sagte er - vor allem die weißen Schüler, die in der Schule die Mehrheit bildeten.
Er zeigte Fannie und mir einen Artikel, den er in der Schülerzeitung veröffentlicht hatte. Darin untersuchte er den Fall der Soledad-Brüder auf seine Tatsachen hin und kritisierte die Schüler, weil sie sich mit derartigen Themen nicht abgaben. Der Artikel war glänzend geschrieben. Wie George äußerte er sich in einer kraftvollen und packenden Sprache. George hatte in seinem Brief gesagt, wir sollten versuchen, Jonathan in die Arbeit des Verteidigungsausschusses einzubeziehen, und deshalb erklärte ich ihm, wir hätten einen dringenden Bedarf an guten Schriftstellern, um die Literatur des Ausschusses zusammenzustellen. Als Fannie und ich Abschied nahmen, sagte ich, wir erwarteten ihn bei unserer nächsten Sitzung. Bei der nächsten Sitzung in der 50th Street war Jonathan anwesend, und danach hat er selten eine Sitzung versäumt. Er sprach niemals viel während der Zusammenkünfte, aber wenn es darum ging, schriftliches Material herzustellen und zu verteilen, war er unermüdlich in seiner Arbeit. Als der Soledad-Ausschuß an Einfluß gewann und seine Tätigkeit komplizierter und anspruchsvoller wurde, fing ich an, einen großen Teil meiner Zeit bei der Familie Jackson zu verbringen. Frances, Penny oder Georgia und ich traten oft gemeinsam als Redner auf, um die Aktivitäten des Ausschusses der Öffentlichkeit bekanntzugeben. In der Mehrzahl der Fälle war Jonathan dabei. Wir kamen uns nahe, und schließlich betrachtete ich ihn nicht nur als einen Bruder im Kampf, sondern auch als so etwas wie einen Blutsbruder.
Der Gedankenaustausch mit George spielte sich ein. Auch wir kamen uns näher. Während wir über politische Fragen teils gleicher, teils verschiedener Meinung waren, entwickelte sich eine persönliche Vertrautheit zwischen uns. In seinen Briefen, die sich zumeist mit Themen wie der Notwendigkeit, kommunistische Ideen in den Massen der Schwarzen Bevölkerung zu verbreiten, der Notwendigkeit, die Gefängnisbewegung populär zu machen, der Rolle der Frauen in der Bewegung usw. beschäftigten, sprach George auch über sich, über sein früheres Leben, sein persönliches Wollen und seinen Ehrgeiz, seine Phantasien über Frauen und seine Gefühle für mich. »Ich habe in letzter Zeit viel über Frauen nachgedacht«, schrieb er einmal. »Ist daran etwas sentimental oder falsch? Das kann doch nicht sein. Sie hat mich vorher nie besonders gestört, diese Sex-Sache. Ich machte Freiübungen oder die Hunderte von Katas, habe mich mit irgendwas beschäftigt...« Ich lernte George nicht nur durch die Briefe kennen, die wir wechselten, sondern auch durch die Menschen, die ihm nahestanden - durch Jon und die übrigen Mitglieder der JacksonFamilie und durch John Thorne, der ihn als sein Rechtsanwalt regelmäßig sah. Je enger ich mich mit George verbunden fühlte, desto mehr begann ich den Menschen, die George kannten, eine Seite von mir zu offenbaren, die ich gewöhnlich vor allen außer meinen engsten Freunden verborgen hielt. In den Briefen, die ich ihm zukommen lassen konnte, antwortete ich ihm nicht nur auf seine politischen Fragen; ich sagte ihm auch, daß meine Gefühle für ihn über die politische Bindung an den Kampf für seine Freilassung hinausreichten; ich fühlte auch eine persönliche Bindung. George wußte, daß tonnenweise Haßbriefe in meinem Büro an der Universität einliefen, die meine Vertreibung von der Universität forderten. Er wußte von den vielen Morddrohungen, die gegen mich ausgestoßen worden waren, und machte sich Sorgen um meine Sicher heit. George wußte Bescheid, daß Schwestern und Brüder vom Che-Lumumba-Club meinen Schutz übernahmen, wenn ich irgendwie in der Öffentlichkeit auftrat. Aber er hielt das nicht für ausreichend.
Aus eigener Erfahrung hinter Mauern - war er überzeugt, daß man nie zu wachsam sein konnte. Außerdem waren die Schwestern und Brüder von Che-Lumumba für ihn selbstverständlich abstrakt. Er hatte sie nie gesehen und kannte sie nur durch meine Briefe. Er kannte und vertraute Jonathan viel mehr als sonst jemand auf dieser Seite der Mauern. Er wollte, schrieb er, daß Jonathan so viel wie möglich mit mir zusammen sei. Auch Jonathan erhielt ein Schreiben von seinem Bruder, er solle mich vor Rassisten und Reaktionären schützen, die versuchen könnten, mich zum Märtyrer zu machen. Als Georges Buch Soledad-Bruder vor der Veröffentlichung stand, bat er mich, das Manuskript durchzulesen und Verbesserungsvorschläge zu machen. An dem Abend, an dem ich es erhielt, wollte ich nur ein paar Briefe überfliegen und mir den Haupttell für ein andermal aufheben. Aber als ich einmal angefangen hatte, war es unmöglich, das Manuskript aus der Hand zu legen, bevor ich jedes Wort gelesen hatte - vom ersten Brief bis zum letzten. Ich war erstaunt. Der ungeheure Magnetismus dieser Briefe stammte nicht nur aus dem Inhalt, nicht nur aus der Art, wie sie Georges persönliche und politische Entwicklung in den letzten fünf Jahren nachzeichneten, sondern mehr noch aus der Art, wie sie klar und lebendig den Zustand unseres Volkes innerhalb und außerhalb von Gefängnismauern artikulierten. Und an mehreren Stellen formulierte George ganz genau und einleuchtend die Gründe, warum unsere Befreiung nur durch den Sozialismus verwirklicht werden konnte.
Am 15. Juni sollte über einen der wichtigsten Anträge zum bevorstehenden Soledad-Prozeß in Salinas verhandelt werden.
Die Anwälte wollten auf eine Änderung des Gerichtsortes plädieren. Ich fuhr mit Mrs. Jackson, Frances und Jonathan zum Termin. Zwei weitere Autoladungen von Ausschußmitgliedern waren ebenfalls mobilisiert worden, um der Verhandlung beizuwohnen. Fannie Haughton, meine Schwester Fania, Mitsuo Takahashi, Jamala und mehrere andere waren da, um die Bewegung von Los Angeles zu repräsentieren. Wir hatten eine heftige Auseinandersetzung im Gerichtssaal erwartet, aber wir hatten nicht erwartet, daß der Richter die Frechheit besitzen würde, die Brüder selbst von der Verhandlung auszuschließen. Anscheinend hatten die Würdenträger von Salinas beim Anblick so vieler Menschen, die aus allen Teilen des Staates gekommen waren, um die Verhandlung anzuhören, Angst bekommen. Der Richter hatte eine Verfügung erlassen, die den Wachen von Soledad verbot, die Brüder vor Gericht zu bringen. Als die Anwälte und die Zuschauer von diesem Trick erfuhren, erhob sich ein Tumult. Die Anwälte schrien auf den Richter los, und die Zuschauer stimmten ein. In all dem Lärm rief Fay Stender, wir seien alle nur hier, um sicherzustellen, daß der Prozeß an einen Ort verlegt würde, wo die Brüder bessere Aussicht auf einen gerechten Richter hätten. Inzwischen war der Richter schon völlig verdattert. Er wußte einfach nicht, wie er mit den Sympathisanten im Gerichtssaal fertigwerden sollte. Zur Erwiderung schrie er Fay etwas zu wie: »Meinetwegen, ihr könnt eure Verlegung des Gerichtsorts haben. Wo soll der Prozeß denn dann stattfinden?« »San Francisco«, erwiderte sie sofort, ohne allerdings, wie sie uns später sagte, im geringsten damit zu rechnen, daß er ihren Vorschlag annehmen würde. »Nun gut«, sagte jetzt der Richter, der einer Panik nahe war, »beschlossen und verkündet, daß der Prozeß nach San Francisco verlegt wird.« Damit erhob er sich von seinem Stuhl und ging, ohne die Sitzung formell aufzuheben, in sein Richterzimmer. Wir jubelten über unseren Sieg. Wir hatten die Änderung des Gerichtsortes durchgesetzt, auf deren Ablehnung wir gefaßt waren da auch alle anderen Anträge abgelehnt worden waren. Der Sieg war wichtig: ein Prozeß in San Francisco wäre weit öffentlicher, es wäre viel weniger mühsam, den Gerichtssaal zu füllen, und es wäre viel einfacher, Demonstranten zu mobilisieren, die jeden Tag Wache standen.
Für den Verteidigungsausschuß der Soledad-Brüder waren die Monate Juni und Juli voll lebhafter Aktivität. Wir alle arbeiteten emsig, um die Bewegung für die Befreiung von George, John und Fleeta an die Öffentlichkeit zu bringen und sie auszudehnen. Am 19. Juni übernahm unsere Gruppe in Los Angeles die Schirmherrschaft über eine Demonstration und eine Kundgebung vor dem Staatsgebäude, in dem die Strafvollzugsbehörde und der Begnadigungsausschuß ihren Sitz hatten. Rein zufällig war das auch der Tag, an dem der Verwaltungsrat zusammentrat, um über meine Anstellung in der Universität von Kalifornien zu beraten. Das war sowohl ein Vorteil wie auch ein Nachteil. Einerseits bedeutete es, daß wir viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf uns lenkten, als wir gehofft hatten, weil alle Reporter, die meine Reaktion auf die Entscheidung des Verwaltungsrates einholen wollten, sich zu der Demonstration begeben mußten. Andererseits konnte es aber dem Zweck unserer Demonstration schaden, wenn mein Fall die Sache der Soledad-Brüder in den Schatten stellte. Bevor wir an jenem Morgen zum Staatsgebäude zogen, beschloß ich, jeden Kommentar über die Entscheidung des Verwaltungsrats - ganz gleich, wie sie ausfiel oder wieviel Reporter umherschwirrten - solange aufzuschieben, bis wir unsere Aktionen für die Soledad-Brüder abgeschlossen hatten. Bei der Kundgebung sprach Masai Hewitt, der Erziehungsminister der Schwarze-Panther-Partei für seine inhaftierten Kameraden Bobby und Ericka, Huey und die Dutzende von anderen, so daß der Fall der Soledad-Brüder nur als Gipfel einer wachsenden Woge der Unterdrückung erschien. Da Joseph in Soledad eingesessen hatte, baten wir ihn, seine Erfahrungen hinter den Mauern zu schildern, damit die Menschen verstehen lernten, welche Kräfte die Verschwörung gegen die Soledad-Brüder angezettelt hatten.
Jane Fonda, die sich freudig bereit erklärt hatte, an der Kundgebung teilzunehmen, war zur Hand, um für Geldspenden zu werben. Ich sprach von der Organisationsarbeit unseres Ausschusses, die für die Befreiung der Brüder geleistet wurde. Wir seien zu dem Schluß gekommen, daß es nicht genüge, um Einzelfälle zu kämpfen. Wir mußten das tun, und noch viel mehr. Eine Bewegung begann hinter den Mauern zu wachsen, und Brüder und Schwestern brauchten unsere Unterstützung und Solidarität. Die Forderungen, die wir dem Gnadenausschuß präsentieren wollten, spiegelten unseren Entschluß, die Bewegung auszuweiten: es waren Forderungen für alle Strafgefangenen. Meine Rede bildete den Schluß der Kundgebung. Wir schlossen die Reihen und marschierten über die Straße zu dem Gebäude, in dem der Gnadenausschuß für Strafgefangene saß. Hunderte waren in unseren Reihen, als wir in das Gebäude, in die Fahrstühle und über die Treppen strömten, bis wir die Amtszimmer des Ausschusses für bedingte Haftentlassung erreichten. Wir hatten zu diesem Anlaß Plakate gedruckt, auf denen wir die Freilassung der Soledad-Brüder, Bobbys, Erickas und aller Politischen Gefangenen verlangten und unsere Forderungen an die Strafvollzugsbehörde und den Ausschuß für bedingte Haftentlassung aufgezählt hatten. Auf unserem ganzen Marschweg hatten wir diese Plakate an die Mauern geklebt. Die Menge war schön in ihrer bunten Zusammensetzung: Schwarz, Chicano, Asiatisch und weiß. Es gab darunter junge Menschen, viele über dreißig und einige viel älter. Arbeiter, Studenten und Freiberufliche waren in unseren Reihen. Eine ziemlich gute Auswahl der UCLA schloß auch den Dekan der Philosophischen Fakultät, Donald Kalish, ein, auf den man immer bei der Unterstützung von fortschrittlichen Forderungen rechnen durfte. Ich war sehr glücklich, als ich die beiden Schwarzen Frauen sah, die bei der Behörde als Sekretärinnen angestellt waren - Connie und Betty - die herausgekommen waren, um mitzumachen. Einige Passanten hatten sich ebenfalls der Demonstration angeschlossen.
Ein kleiner Konflikt brach zwischen uns und den dortigen Angestellten aus, als wir um ein Gespräch mit den Mitgliedern des Ausschusses baten. Umgeben von Hunderten skandierender Demonstranten suchten sie nach Ausflüchten. Sie behaupteten, daß die Mitglieder des Ausschusses nicht in Los Angeles seien, sondern ihre Sitzung in einem anderen Teil des Staates hielten. Als sie von unserer Absicht erfuhren, diese Demonstration am Tag ihrer monatlichen Zusammenkunft zu veranstalten, hatten sie die Sitzung wahrscheinlich nach außerhalb von Los Angeles verlegt. Wir hatten kein besonderes Interesse, diesen Konffikt zu erweitern. Wir hatten ihnen unsere Absichten angekündigt.
Nicht lange, nachdem die Demonstration sich formiert hatte, erzählten mir mehrere Reporter, daß der Verwaltungsrat seine Konferenz abgeschlossen und auch bereits seine Entscheidung veröffentlicht hätte: Meine Anstellung sollte im nächsten Jahr nicht erneuert werden. Nachdem jetzt unsere Demonstration erfolgreich beendet war, bereiteten wir uns vor, eine Pressekonferenz auf dem Bürgersteig außerhalb des Staatsgebäudes abzuhalten. Es hatte den Anschein, als hätten die Nachrichtenmedien bewußt die Politik verfolgt, der Bewegung für die Soledad-Brüder sehr wenig oder gar keine Berichterstattung einzuräumen. Ich war entschlossen, ihnen das diesmal nicht durchgehen zu lassen. Deshalb formulierte ich mit Bedacht alle meine Antworten so, daß jeder Satz etwas über den Zusammenhang zwischen meiner Entlassung und der Unterdrückung der Soledad-Brüder und anderer politischer Häftlinge aussagte. Der Verwaltungsrat konnte das Statut, das die Anstellung von Kommunisten in der Universität verbot, nicht mehr anrufen; die Gerichtsverfügung gegen den Verwaltungsrat in dieser Frage war noch in Kraft. Außerdem war es ihm nicht gelungen, Beweise vorzubringen, daß ich in der Ausübung meiner akademischen Pflichten versagt hätte. Nicht einmal der geheime Professorenausschuß, den der Verwaltungsrat gebildet hatte, um meine Tätigkeit in den Klassen zu prüfen, hatte etwas vorbringen können, was der Verwaltungsrat für brauchbar hielt. Daher blieb dem Verwaltungsrat nur der allgemeine Eindruck, daß meine politischen Ansprachen außerhalb des Hörsaales »eines Universitätsprofessors unwürdig« waren. Interessanterweise wurde diese Entscheidung genau an dem Tag verkündet, an dem ich in einer meiner Reden »unwürdigerweise« hohen Regierungsvertretern, einschließlich Ronald Reagan selbst, vorgeworfen hatte, daß sie eine Verschwörung zur Unterdrückung aller radikalen politischen Aktivitäten, insbesondere der in Gefängnissen inhaftierten, sowohl unterstützten als auch duldeten. Mitglieder unseres Verteidigungsausschusses waren glücklich darüber, daß das Foto, das mit dem Bericht über meine Entlassung erschien, gemacht worden war, als wir eine Streiklinie bildeten. Es trug die Botschaft unseres Kampfes über die internationalen Nachrichtenagenturen zu den Menschen der ganzen Welt. Ich trug ein Schild mit der Aufschrift: RETTET DIE SOLEDAD-BRÜDER VOR DER LEGALEN LYNCHJUSTIZ, und Jonathan, der dicht hinter mir ging, trug ein Schild mit der Aufschrift: SCHLUSS MIT DER POLITISCHEN UNTERDRÜCKUNG IN GEFÄNGNISSEN.
Ein paar Tage nach unserer Demonstration vom 19. Juni fand in San José bei Joan und Betsy Hammer ein Treffen des Soledad-Verteidigungsausschusses ganz Kaliforniens statt. Auf der Tagesordnung stand die Festlegung der Strategie für den bevorstehenden Prozeß in San Francisco. Der Ausschuß in San Francisco war nicht annähernd so stark, wie er hätte sein sollen, vor allem in den Schwarzen Bezirken. Es war leicht ersichtlich, daß in San Francisco und Oakland mehr Arbeit an der Basis getan werden mußte, um die Grundlage für eine zahlreiche Teilnahme an den Ereignissen, die den Prozeß umrahmten, zu schaffen. Ich wurde gefragt, ob ich im Sommer einige Zeit in San Francisco verbringen könnte, um bei dieser Arbeit zu helfen. Ich sagte, ich müßte mir das sehr sorgfältig überlegen.
In Los Angeles veranstaltete unser Ausschuß Cocktail-Parties, um Geld zu sammeln. Wir übernahmen die Vorführung eines Filmes über Vietnam »Das Jahr des Schweines«; dann fand eine recht gelungene Massenkundgebung in der Unitarier-Kirche in der 8th Street statt. Eine der besten Einnahmequellen des Soledad-Ausschusses war die Kunstversteigerung, die wir zusammenstellten. Eine Reihe von Künstlern, Schwarz und weiß, Berufskünstler und Dilettanten, fanden sich bereit, ihre Werke geschenkweise beizusteuern. Zwei Brüder, die eine Kunstgalerie im Crenshaw-Bezirk von Los Angeles betrieben (und die übrigens in Birmingham mit mir im Kindergarten gewesen waren), fanden sich gern bereit, uns ihre Galerie für die Ausstellung zu überlassen.
Für den Rest des Sommers und den Herbst planten wir noch eine ganze Reihe solcher Veranstaltungen. Während alle diese Aktivitäten anliefen, mußte ich mich auch um die akademische Seite meines Lebens kümmern. Da ich wußte, daß ich unter normalen Verhältnissen - das heißt, wenn mir die Sache mit der Universität nicht in eine alle Kräfte beanspruchende Phase meines Lebens hineingeplatzt wäre - meine Dissertation bereits beendet hätte, wollte ich sie jetzt so schnell wie möglich hinter mich bringen. Sie mußte bis zum Ende des Sommers absolut fertig sein. Das war das Ziel, das ich mir setzte. Meine Arbeit sollte durch die finanzielle Forschungshilfe, die ich für die Monate Juli, August und September von der Universität erhalten hatte, erleichtert werden. Obwohl es außer Frage stand, meine Arbeit für den Soledad-Ausschuß einzustellen, wollte ich doch meine politischen Verpflichtungen auf ein Minimum zurückschrauben. In meiner Wohnung versuchte ich das Arbeitszimmer, das ganz von der Ausschußarbeit mit Beschlag belegt worden war, wieder in ein Studierzimmer zurückzuverwandeln. Ich verbannte den Vervielfältigungsapparat und die anderen Dinge, die vom Ausschuß gebraucht worden waren, aus meinem Studierzimmer in das benachbarte Speisezimmer. Ich hatte gedacht, daß ich dann imstande sein würde, eine Arbeitsroutine zu entwickeln, die mir mindestens ein achtstündiges Studium pro Tag garantierte. Aber bis zum Sommer war unsere Wohnung in der 45th Strect zum regelrechten Zentrum, zum Büro und zur »Bude der offenen Tür« geworden. Dauernd kamen Leute, die sich über die Arbeit des Auschusses informieren wollten - und das war gut, denn es bedeutete, daß wir eine Bewegung geschaffen hatten, die viele Menschen der Gemeinschaft anlockte. Tamus Mann, Malcolm, war inzwischen aus dem Gefängnis entlassen und lebte im Haus, und einer ihrer Freunde aus Kanada schlief auf der Couch.
Baby Kendra hatte ein Alter erreicht, in dem sie sehr viel Aufmerksamkeit beanspruchte. Wenn sie da war, konnte ich einfach der Versuchung nicht widerstehen, mit ihr zu spielen. Das lief alles darauf hinaus, daß ich nur dann ernsthaft an meiner Dissertation arbeiten konnte, wenn im Haus alles schlief. Manchmal arbeitete ich von ein oder zwei Uhr morgens bis sechs oder sieben. Da ich aber am Tage niemals schlief, war es unmöglich, in diesem Tempo weiterzumachen. Da ich mich in meiner Arbeit sehr frustriert fühlte, beschloß ich, mich nach einer kleinen billigen Wohnung umzusehen, wo ich mich in den Stunden, die ich für die Arbeit benötigte, verkriechen konnte. Schließlich fand ich eine Bleibe in der 35th Street, nur zehn Blocks von der anderen Wohnung entfernt. Die Miete betrug bloß 75 Dollar, Was bedeutete, daß ich weiterhin die halbe Miete für die andere Wohnung bezahlen und mich dort aufhalten konnte, wenn es nötig war. Und da ich daran dachte, daß in der 45th Street das Telefon zu allen Stunden der Tages- und Nachtzeit läutete, entschloß ich mich, diese Wohnung von seinem Eindringen freizuhalten und alle Gespräche in der 45th Street entgegenzunehmen. Da ich erst am 1. Juli einziehen konnte, lud mich Georgia Jackson ein, die Zwischenzeit in ihrem Haus in Pasadena zu verbringen, um in Ruhe zu arbeiten. Am ersten zog ich mit meinen Büchern und Papieren, meinem Schreibtisch, einer Schreibmaschine und einem Bett in die neue Wohnung. Im nächsten Monat ließ ich mich in meinen Studien durch nichts unterbrechen. Die einzige Ausnahme bildete der Soledad-Ausschuß.
Etwa Mitte Juli unternahm ich eine kurze Reise zur Bucht von San Francisco, um bei einer Versammlung der Aktivisten verschiedener Organisationen aus San Francisco, Berkeley und Oakland über die Soledad-Brüder zu sprechen. Jonathan und sein Vater fuhren um die gleiche Zeit, um George zu besuchen, so daß wir alle zusammen reisten. Die Versammlung fand in den Räumen der Nationalen Anwaltsgilde statt. Zusammen mit Fay Stender und anderen Mitgliedern des Soledad-Ausschusses von San Francisco und Umgegend sprach ich darüber, wie wichtig es sei, die um die Brüder aufgebaute Bewegung auszuweiten, besonders in den Monaten und Wochen, die dem Prozeß vorausgingen. Die Linke in dem ganzen Bezirk mußte mobilisiert werden, und eine gezielte Organisationsarbeit besonders auf die Schwarze Gemeinschaft gerichtet werden. Ein Bruder von der Schwarze-Panther-Partei versicherte, sie betrachte es weitgehend als ihre Aufgabe, die Massen der Schwarzen Menschen aufzurufen, um die Brüder vor der Hinrichtung zu retten. Bei dieser Versammlung waren auch Vertreter des Verteidigungsausschusses anwesend, der sich damals mit großem Erfolg darum bernühte, Unterstützung für eine Gruppe von Chicano-Aktivisten, denen gerade der Prozeß gemacht wurde, auf die Beine zu bringen - Los Siete de la Raza. Wir einigten uns auf eine lose Arbeitsgemeinschaft zwischen unseren Gruppen, und beschlossen, die neue Phase unseres Kampfes zur Befreiung politischer Gefangener mit einer Massenkundgebung am 12. August in San Francisco einzuleiten. Charles Garry, der Anwalt für Los Siete, erklärte sich gern bereit, bei der Kundgebung zu sprechen, und ich sagte, ich würde auch sprechen.
Georges Anwalt, John Thorne, hatte bei dem Gericht von San Francisco den Antrag gestellt, daß ich als juristische Ermittlungsgehilfin für George amtlich bestätigt würde - das war im wesentlichen das gleiche, was ich schon für Hekima getan hatte. Da wir einmal da waren, gingen wir beide am gleichen Tag zum Gericht, um über den Antrag zu verhandeln. In dem gleichen Stockwerk, in dem John den Antrag begründete, fand der Prozeß gegen Los Siete statt. Ich setzte mich eine Weile dazu, machte den Brüdern das Zeichen der Solidarität und besprach einige Minuten mit Charles Garry, wie wir die Arbeit der beiden Ausschüsse um die beiden politischen Häftlingsgruppen koordinieren könnten.
Während ich mich in der Gegend von San Francisco befand, legten mir die Aktivisten des Soledad-Ausschusses erneut die Frage vor, ob ich nicht eine Weile dort hinziehen könnte, um bei der Organisation des Ausschusses zu helfen.
Da ich gerade die Wohnung gefunden hatte, wo ich den größten Teil meiner Tage der Dissertation widmen konnte, hatte ich eigentlich gar keine Lust, jetzt wieder alles kaputtzumachen. Aber der Ausschuß war in diesem Bezirk nicht in der besten Verfassung und konnte zweifellos von den Erfahrungen profitieren, die wir in Los Angeles gesammelt hatten. Ich sagte ihnen, ich würde es mir überlegen, aber falls ich nicht kommen könnte, würde ich eins der geschulten Schwarzen Mitglieder unserer Gruppe überreden, statt meiner zu kommen. Ich dachte dabei an meine Wohnungsgenossin Tamu. Gegen Anfang August war ich soweit, daß ich vielleicht ein paar Wochen an der Bucht von San Francisco verbringen konnte, vor allem, weil die Werke, die mit meiner Dissertation zu tun hatten, in der Bibliothek der Universität von Berkeley viel vollständiger vertreten waren als in Los Angeles, und ich den letzten Teil meiner Forschungsarbeit sowieso hätte dorthin verlegen rnüssen. Ich hielt es immerhin für möglich, meine Zeit zwischen der Universität und dem Verteidigungsausschusses für die Soledad-Brüder aufzuteilen. Gegen Anfang August fuhr ich dorthin, um mir eine Wohnung zu suchen und die Bibliothek zu durchforschen.

7. August 1970

Im Gerichtssaal Nummer Eins unter dem Vorsitz von Richter Harold Haley fand ein Prozeß statt. Vor Gericht stand James McClain, ein Häftling von San Quentin, wegen tätlicher Bedrohung, die er kürzlich bei einem Zwischenfall im Gefängnis veriibt haben sollte. Er hatte gerade als sein eigener Verteidiger mit seiner Verteidigung begonnen. Als Jonathan den Gerichtssaal betrat und im Zuschauerraum Platz nahm, wurde gerade Ruchell Magee, ein anderer Häftling in San Quentin und Zeuge der Verteidigung, von McClain vernommen. Jonathan blieb eine Weile sitzen. Dann erhob er sich mit einem Karabiner in der Hand und gebot allen im Saal, sich nicht zu rühren. McClain und Rtichell gesellten sich zu Jonathan, dazu noch Williarn Christmas, der in einer nahe gelegenen Aufenthaltszelle darauf wartete, als Zeuge gerufen zu werden.
Einige Gehilfen des Sheriffs haben später zu Protokoll gegeben, daß die Brüder gerufen hätten: »Freiheit für die Soledad-Brüder!« Andere behaupteten »Freiheit für unsere Brüder in Folsom!« gehört zu haben, und noch andere: »Freiheit für alle politischen Gefangenen!« Der Staatsanwalt gab an, der Aufruhr habe den Zweck gehabt, die Soledad-Brüder aus dem Gefängnis zu befreien.
Der Richter, eine Flinte im Genick, der Staatsanwalt, der die Anklage in dem Fall vertrat, und mehrere Geschworene wurden von den Brüdern in einen Lieferwagen gebracht, der draußen auf dem Parkplatz stand. Eine Gefängniswache von San Quentin feuerte auf den Wagen. Dann schlug ein Hagel von Geschossen in den Wagen, und als sich der Rauch verzogen hatte, waren in seinem Innern alle bis auf einen entweder tot oder verwundet. Richter Haley war tot. Staatsanwalt Garry Thomas war verwundet. Eine Geschworene war verwundet. McClain und Christmas waren tot. Ruchell war verwundet. Und Jon ...
Als ich später am Abend von dem Aufstand erfuhr und als ich die Szene von Marin County auf dem Bildschirm sah, sagte ich immer wieder laut vor mich hin: »Das rnuß ein Irrtum sein. Das kann nicht Jonathan sein, nicht unser Jon. Es kann nicht sein. Er war so lebendig, so stark.« Jonathan war gerade erst siebzehn geworden. Einige Monate zuvor hatte George mir geschrieben: »Jon ist ein junger Bruder, und er ist nur ein bißchen verschlossen, aber er ist intelligent und treu ... Er ist in jenem gefährlichen Alter, in dem die Verwirrung einsetzt und die Brüder entweder zum Totengräber oder ins Gefängnis schickt. Er ist ein bißchen besser dran, als ich es war und als die meisten Brüder seines Alters. Er lernt schnell und kann Sein von Schein unterscheiden, wenn sich jemand die Zeit nimmt, es ihm darzustellen. Sage den Brüdern, sie sollen nie auf seine grünen Augen und seine Hauttönung anspielen. Da ist er sehr empfindlich, und dann schlägt er entweder zu oder verkriecht sich in sich selbst. Verstehst du? Du weißt, daß manche von uns sich nicht bemühen, redlich miteinander zu sein. Er hat wegen dieser Frage in den letzten Jahren viel ausgestanden. Das ist nicht recht. Er ist ein treues und schönes Mann-Kind. Ich liebe ihn.« Und Jons Gefühle für George hatten alles andere in seinem Leben überschattet. Jon war noch so jung, aber ich glaube, er ist nie wirklich ein Kind gewesen. Er ist seiner Kindheit von einer Gesellschaft beraubt worden, die seinen Bruder fast so lange, wie er denken konnte, hinter Gitter gesperrt hatte.
Mit sieben Jahren spielen die meisten Jungen mit hellroten Wasserpistolen aus Plastik. Aber mit sieben wußte Jonathan, daß Pistolen groß und grau sind und keinen Wasserstrahl versenden, wenn sie aus dem Holster eines Gefängniswächters gezogen werden. Sie schossen Kugeln, die Ströme von Blut und Tod brachten. Tod. Seit er sieben war, hatte Jonathan George nur bei Gefängnisbesuchen gesehen. Er sah seinen Bruder mit der Tatsache des Todes leben, jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick.
Während der wenigen Monate unserer Freundschaft habe ich wohl nicht gemerkt, wie sehr ihn diese zehn Jahre aufgestauter Frustrationen, dieses furchtbare Gefühl der Ohnmacht vor den Mauern, den Gitterstäben, den Waffen und jenen piksauberen Gerichtssälen, in denen verwöhnte weiße Richter präsidierten, gefoltert haben mußten.
Jetzt hatte der Feind Jon geschafft, der versucht hatte, ein Loch in dieses fürchterliche Gefängnissystem zu schlagen, das seinen Bruder alle seine Brüder und Schwestern - um und um drehte, schneller und schneller in einem Teufelslreis von Elend und Brutalität, Verschwörung und Mord.
In den Tagen, die auf den Aufstand im Gerichtssaal folgten, versuchte ich, meine blinde Wut über Jonathans Tod zu bändigen, damit mein Zorn konstruktiv werden konnte. Ich wußte, daß es nur eine Möglichkeit gab, Jons Tod zu rachen - durch Kampf, politischen Kampf, durch Menschen in Bewegung und einen Kampf für alle, die hinter Mauern saßen.
Wenn ich nicht so kämpfte, dann ließ ich Jonathan auf ewig auf dem Asphalt liegen - in seinem Blut liegen, als gehöre er dorthin. Nicht zu kämpfen würde bedeuten, daß ich ihm - und allen jungen und ungeborenen Jonathans - auf ewig die Schönheit üppiger grüner Berge statt kalter grauer Gitter, die Frische einer Reise ans Meer, statt einer traurigen Reise ins Besuchszimmer des SoledadGefängnisses vorenthalten wollte. Eine Kindheit voller Lächeln und hübschern Spielzeug, und ältere Brüder, die schön, stark und frei sind ...