Über die unbewältigte Vergangenheit

Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!
Entschließt Euch, ehe es zu spät ist!
Aus dem »Aufruf an alle Deutsche"«der Widerstandsbewegung
»Die Weiße Rose«

Wie glaubwürdig sind deutsche Politiker? (1985)

Am 7. Mal 1985 veröffentlichte der Bundesminister der Verteidigung, Manfred Wörner, einen Tagesbefehl zum 8. Mal 1945, in dein unter anderem steht: »Wir gedenken der Toten, der Gefallenen und Vermißten, der Verfolgten und derer, die ihre Heimat verloren haben. Wir beklagen die Opfer der Gewaltherrschaft und des Krieges.»
Am 4. Mai veröffentlichten die Staats- und Regierungschefs in Bonn eine gemeinsame Erklärung zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, in der unter anderem zu lesen ist: »Wir haben aus der Geschichte gelernt. Wir überwanden die Feindseligkeiten, die uns einst getrennt hatten und setzten auf der Grundlage gemeinsamer Werte einen Prozeß der Versöhnung und Zusammenarbeit unter uns in Gang...»
Aber haben wir wirklich aus der Geschichte gelernt? Wie glaubwürdig sind deutsche Politiker, Ministerpräsidenten und ein Bundeskanzler, wie glaubwürdig ist ein amerikanischer Präsident, wenn in Bitburg und in Bergen-Belsen nicht eine Geste in Richtung Sowjetunion oder Polen möglich war?
Der Brief des CDU-Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger an amerikanische Kongreßabgeordnete, die Aussagen von Staatssekretär Alois Mertes über die »Perversion des Denkens» hinsichtlich amerikanischer Kritik am Bitburg-Besuch Ronald Reagans und Helmut Kohls sind deprimierende, beschämende Beispiele, wie mit »Geschichte» umgegangen wird: So wird der Krieg im Osten, besonders ab 1944, zu einem fast gerechten und gerechtfertigten Abwehrkampf gegen den Bolschewismus ...
Und die Leichenberge der russischen Zivilbürger und Sowjetsoldaten werden somit stillschweigend übergangen, nicht mehr erwähnt und vergessen!
Roy Medwedjew, sowjetischer Historiker, fragte in einem Beitrag kürzlich, ob die Deutschen und die Russen zu ewiger Feindseligkeit verurteilt sind und meinte, daß es viele Möglichlikeiten gibt, um jene brennenden Narben zu hellen und jene noch blutenden Wunden, die für unsere Völker als Erbe vergangener Konflikte und Kriege zurückgeblieben sind. Doch gerade während dieser ersten Maitage 1985 wurden diese Möglichkeiten nicht genutzt.
Wann werden die Herren Kohl und Reagan begreifen, daß eine »Moral der Denkmäler und Gedenktage» nicht ausreicht daß »Gedenkmoral» nicht selektiv mit den Opfern des HitlerRegimes (unterstützt von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung) umgehen kann?
Es gilt Kurt Schumachers Wort: »Demokratie ist eine Sache des guten Gedächtnisses.« Es hat bei uns während des Dritten Reiches an so vielen demokratischen Tugenden gefehlt - wie Zivilcourage, Verantwortungsbereitschaft, Solidarität, Fähigkeit zu politischem Handeln, Eigeninitiative. Am Fehlen dieser Tugenden hatten auch die Kirchen nicht geringe Schuld.
Haben wir, unsere Politiker, heute Mut zum aufrechten Gang? Auch heute werden jene Haltungen, an denen es in Deutschland vor und während des Dritten Reiches so gemangelt hat, von nur wenigen gelebt. Es gilt deshalb, wachsam zu sein, zu werden, zu bleiben ... Auch bei Gedenkfeiern in Bergen-Belsen. »Einer Schuld gegenüber, die ihresgleichen nicht hat, ist auch ein radikales Umdenken geboten, das nicht seinesgleichen hat« (Reinhold Schneider).


Vergeßt »Die Weiße Rose« nicht (1985)


Heute vor 42 Jahren, am 22. Februar 1943, wurden Sophie und Hans Scholl gemeinsam mit ihrem Freund Christoph Probst in München hingerichtet. Am 18. Februar wurden Sophie und Hans Scholl in der Münchener Universität verhaftet. Die Geschwister hatten das Flugblatt: »Kommilitonen! Kommilitoninnen!» vor den Hörsälen ausgelegt und die letzten Exemplare von der Brüstung des Atriums in den Hof flattern lassen.
Vier Tage später verurteilte sie der Volksgerichtshof unter Vorsitz seines berüchtigten Präsidenten Freisler, zu diesem Zweck eigens aus Berlin angereist, wegen Hochverrats zum Tode. Die Hinrichtung fand noch am selben Tag statt.
Aus der Erkenntnis des Bösen zogen die Mitglieder der »Weißen Rose» die aktive Konsequenz. Sie waren auf der Suche nach der Wahrheit - immer im Zeichen dessen, was das Leitmotiv dieser Menschen und ihre letzte Botschaft war: Freiheit!
Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde von der »Weißen Rose» sind keine entrückten Idole ihr Platz ist unter uns, in unseren Herzen. Die Geschwister Scholl und die »Weiße Rose» gehörten zu den wenigen, die aktiven Widerstand gegen Hitlers faschistische Diktatur leisteten, durch geistige Auseinandersetzung, Aufklärung und Information. Sie entwarfen Flugblätter, die sie heimlich verteilten und in denen sie der Bevölkerung die Augen über den wahren Charakter des Nationalsozialismus und über die tatsächliche Kriegslage zu öffnen suchten. Und sie riefen zu gewaltfreiem Widerstand, zu Solidarisierung und zu Sabotageakten auf. »Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen», heißt es in einem ihrer Flugblätter.
Die kritisch denkenden Jugendlichen im Kreis der »Weißen Rose» folgten ihrem Gewissen inmitten einer Welt voller Angst und Anpassung - und sei es unter Gefährdung des eigenen Lebens. Sophie Scholl sagte vor dem Gericht: »Einer muß ja schließlich damit anfangen.» Für uns bleiben die Geschwister Scholl und die »Weiße Rose» Symbole für das gewaltfreie Aufbegehren für das Leben und gegen das grausame verbrecherische System der Nazi-Diktatur.
Wäre es nicht ein Lichtblick gewesen, wenn unser Bundeskanzler H. Kohl heute, am 22. Februar 1985, den Lichthof der Münchener Universität oder die Friedhofsstätte der Geschwister Scholl besucht hätte? - Theodor Heuss sagte am 22. Februar 1953 über die »Weiße Rose»: »So muß ihre Erscheinung inmitten der deutschen Tragik begriffen werden nicht als ein gegenüber der Gewalt mißglückender Versuch zur Wende, Sündern als das Abschirmen eines Lichtes in der dunkelsten Stunde ... und darum gehören ihrem Gedächtnis Dank und Ehrfurcht.»


Vergangenheitsbewältigung» oder Neofaschismus?
Rede im Goethe-Institut Los Angeles (1987)


Ich möchte mit einem Gedanken von John Dos Passos beginnen. »Unsere einzige Hoffnung wird das zarte Gewebe des Verständnisses eines Menschen für den Schmerz eines anderen Menschen sein.»
Die derzeitige Debatte, die von Historikern wie Ernst Nolte, Michael Stürmer, Christian Meier, Klaus Hildebrand und Jürgen Habermas über die historische Bewertung des deutschen Faschismus geführt wird, kann niemals das erforderliche eigene Nachdenken und die eigenen Erinnerungen aller Deutschen und der Gesellschaft ersetzen.
Dieses erforderliche eigene Nachdenken hätte unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzen sollen, hat aber bedauerlicherweise nie stattgefunden. Es kann auch nicht durch die Rede unseres Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 ersetzt werden, die viele gute Gedanken und Wahrheiten enthielt, jedoch vierzig Jahre zu spät kam eine Rede, die meiner Auffassung nach viele selbstverständliche und offensichtliche Elemente der Wahrheit enthielt.
Dieses erforderliche eigene Nachdenken kann auch nicht durch die elitäre Debatte von Historikern über die Einschätzung des deutschen Faschismus ersetzt werden, weil diese Debatte nur von sehr wenigen Menschen verfolgt wird - sie erreicht die große Mehrheit nicht. Diese große Mehrheit ist meiner Auffassung nach noch immer nicht an einer selbstkritischen Bewertung des deutschen Faschismus interessiert das gilt auch für die deutschen Regierungen seit 1949, mit Ausnahme von Bundeskanzler Willy Brandt.
Elle Wiesel hat recht, wenn er sagt: »wir können nur den Kopf senken und schweigen. Und diesen widerwärtigen, posthumen Prozeß beenden, den intellektuelle Akrobaten überall weiterhin gegen jene führen, deren Tod uns wie betäubt erscheinen läßt. Wollen wir verstehen? Es gibt nichts mehr zu verstehen. Wollen wir wissen? Es gibt nichts mehr zu wissen. Nicht durch das Spiel mit Worten und Toten werden wir verstehen und wissen. Ganz im Gegenteil. Wie die Alten gesagt haben: »Diejenigen, die wissen, sprechen nicht; diejenigen die sprechen, wissen nicht!«
Am 23. September 1987 kritisierte der Zentralrat der Juden den Historikerstreit in einer Presseerklärung: »Es gibt Wissenschaftler, die im Namen der historisch diskreditierten Trennung von politischem und wissenschaftlichem Ethos daran gehen, den dumpfen und falschen Thesen der Verharmlosung akademische Ehrbarkeit zu verschaffen.»
Hannah Arendt schrieb in ihrem Essay, »Nachwirkungen der Nazi-Herrschaft»: »Die einzige echte Alternative zu einem Entnazifizierungsprogramm wäre eine Revolution gewesen - der Ausbruch von Ärger und Wut des deutschen Volkes über all jene, die als prominente Vertreter des Nazi-Regimes bekannt waren ... aber es gab nie eine Revolution - nicht weil es schwierig gewesen wäre, unter den Augen von vier Armeen eine Revolution zu organisieren ... sie war nicht möglich, weil Ärger und Wut, die für eine Revolution erforderlich sind, nicht existent sind und offensichtlich auch niemals existent waren...» Bedauerlicherweise gewinnt man den Eindruck, daß viele Deutsche nur über eine Tatsache Ärger verspüren - darüber, daß Hitler den Krieg verloren hat.
Viele Beispiele und Entwicklungen deuten bedauerlicherweise in diese Richtung: Nach den Worten von Heinz Galinski, dem Leiter des Zentralrats der Juden, sind die Juden in der Bundesrepublik Deutschland vierzig Jahre nach dem Holocaust erneut »Objekt und Ziel von Drohungen». In seiner Neujahrserklärung brachte Galinski seine große Sorge über die einflußreichen Stimmen zum Ausdruck, die die »Unvergleichbarkeit» und Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen in Frage stellen. Er erwähnte in diesem Zusammenhang die Geschichtsfälschung und das Vergessen der Greuel und Schrecken der Nazi-Zeit.
Ich selbst bin in der Nachkriegszeit in einer katholischen Klosterschule in Bayern erzogen worden und habe neun, fast zehn Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und dort die Schule besucht; ich kann also sowohl aus deutscher als auch aus amerikanischer Perspektive sprechen. Ich bin in einer Kleinstadt im Westen Bayerns - Günzburg - geboren und habe die ersten zwölf Jahre meines Lebens dort verbracht; Günzburg ist eine Stadt, die als Geburtsort des Konzentrationslagerarztes Josef Mengele zu tragischem Ruhm gelangt ist.
Es ist natürlich ungerecht, der Stadt vorzuwerfen, daß der »berüchtigte Todesengel» Josef Mengele dort geboren wurde; es ist jedoch nicht ungerecht zu sagen, daß Günzburg symbolisch ist für den »Geisteszustand» vieler Deutscher, die in den Greueltaten der Nazis eine Art »Unfall» sehen und der Meinung sind, daß nicht länger darüber diskutiert werden Sollte, und die diese Verbrechen nicht als selbst herbeigeführten, selbst verschuldeten Teil ihrer Geschichte sehen, dem man mit Scham, tiefer Trauer, Kummer und tiefer Reue begegnen sollte. Der Bürgermeister von Günzburg, R. Kopper, hat erklärt: »Allmählich entsteht in der ganzen Welt die Legende, daß Günzburg die Hochburg unverbesserlicher Nazis sei. Günzburg ist weder besser noch schlechter als andere Städte...» Als ich vor einigen Jahren Günzburg besuchte, berichteten mir die Nonnen, daß Josef Mengele 1959 zur Beerdigung seines Vaters in die Stadt gekommen sei und sich im Kloster versteckt habe - in demselben Kloster, in dem ich zur Schule gegangen war. Simon Wiesenthal hat erklärt: »Die ganze Stadt wußte, daß er da war, nur die Polizei nicht.»
Hunderttausende von Deutschen aller militärischen Ränge, Ärzte und Wissenschaftler, Kleinbürger, Arbeiter und Arbeiterinnen, sie alle haben an der Theorie und Durchführung der »Endlösung» als legaler Maßnahme des Dritten Reiches mitgewirkt. Mengele hat, wie es in »Time» hieß, »die Wissenschaft, Deutschland, diskreditiert . . . Er hat nicht zeitgenössische Wissenschaftler diskreditiert; sie haben die Normen vorgegeben, denen Mengele begeistert gefolgt ist.» Er war nicht der »Anführer oder Lehrer der vielen hunderttausend ganz gewöhnlichen Deutschen, die von der wirtschaftlichen und beruflichen Ausbeutung der Opfer profitiert haben, darunter jene, die die Dokumente ausgefüllt, die Züge bedient, die Lager verwaltet und bewacht und die Verdammten in die Gaskammern getrieben haben, und - vor allem - die, die schweigend zugestimmt haben, wenn ihre Mitmenschen gemäß den Dogmen der damaligen Rassenwirtschaft tätlich angegriffen, zu Krüppeln gemacht und ermordet wurden».
Die beunruhigende Unfähigkeit, zu unterscheiden zwischen dem, was Mengele und seine Leute in den Konzentrationslagern getan haben, und bestimmten Maßnahmen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, ist immer noch weitverbreitet. Ein Günzburger hat erklärt: »Vielleicht hat er einige schlimme Dinge getan, Dinge, die schlecht waren für Deutschland; aber was die Amerikaner und Briten in Dresden gemacht haben, das war auch nicht so gut . . .» Eine weitere Stimme aus Günzburg: »jeder weiß, daß er unmenschlich war, aber warum nach vierzig Jahren noch so ein Drama daraus machen . . .»

Die moralische Abgestumpftheit, die die Taten von Mengele mit brutalen Militäroperationen, die viele Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert haben, auf eine Stufe stellt, spiegelt das wider, was von einigen Deutschen - zu Recht - als das wesentliche Versäumnis der Deutschen gesehen wird: ihre »moralische Gleichgültigkeit». Sie wollten - oder konnten nicht einsehen, daß das, was in ihrem Namen geschah, ein verbrecherischer Verstoß gegen ein moralisches Verhalten war. Mengele war, wie extrem er charakterlich auch veranlagt gewesen sein mag, Teil seiner Nation und ihrer maßgebenden Diskussionen, Haltungen und wissenschaftlichen Philosophien.
Elie Wiesel hat uns mltzutellen versucht, daß das, was einmal geschehen ist, wieder geschehen kann, aus denselben Gründen und aller Wahrscheinlichkeit nach mit denselben Opfern. Aus diesem Grund darf der Holocaust niemals vergessen oder vergeben werden.

Während meiner Schulzeit in Bayern (1953 bis 1960) habe ich absolut nichts über den Holocaust, über die Verbrechen des deutschen Volkes erfahren. Erst in den Vereinigten Staaten wurde ich im Schulunterricht und durch meine Lehrer, insbesondere auf der Universität, mit Anne Frank, mit Auschwitz, mit Bergen-Belsen, mit Treblinka, mit Buchenwald, mit Ravensbrück, mit faschistischen Verbrechen, mit Dachau und der »schweigenden Zustimmung» des deutschen Volkes konfrontiert. Es war in den Vereinigten Staaten, wo man sich fragte, was aus den führenden Vertretern des Nazi-Establishments geworden sei; es war sehr deprimierend für mich, antworten zu müssen, daß die meisten nicht bestraft oder früher als erwartet auf freien Fuß gesetzt worden waren. In der Tat wurden die Schlüsselpersönlichkeiten der Nazi-Industrie, der Nazi-Justiz und der Nazi-Polizei sehr großzügig behandelt. Dr. Franz Alt nannte in »Report» am 7. Mai 1985 hierzu folgende Fakten:

  • -Die Waffenproduzenten Krupp und Flick, die wegen fortgesetzter Ausbeutung von Zwangsarbeitern verurteilt worden waren, wurden bereits nach kurzer Zeit wieder freigelassen.
  • Alfred Krupp war neben Flick schon bald wieder einer der mächtigsten Industriemanager und Bosse; nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gab er eine Pressekonferenz mit Sektfrühstück.
  • Ebenfalls sehr viel früher entlassen wurde Fritz Ter Mer, der wichtigste Wissenschaftler der berüchtigten IG Farben. Er wurde Vorstandsvorsitzender der IG-Farben-Nachfolgerin Bayer AG. IG Farben hatte in Auschwitz ein eigenes Konzentrationslager errichtet, in dem 25 000 Gefangene ums Leben gekommen waren.
  • Noch früher auf freien Fuß gesetzt wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Leiter der Firma Melitta, Horst Bentz; er wurde einer der erfolgreichsten Unternehmer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Unter seiner Leitung hatte die Hauszeitschrift 1938 gedroht: »Wer in einem jüdischen Geschäft gesehen wird, ob er dort einkauft oder nicht, gehört nicht zu uns und wird fristlos entlassen.»Ebenfalls sehr früh aus der Haft entlassen wurde Dr. Franz Six, SS-Obergruppenführer und Leiter einer Sondereinheit mit der Aufgabe, Sowjetbürger zu töten. Dr. Six wurde Lehrer an der Akademie für Unternehmensmanager in Bad Harzburg. Direktor dieser Akademie ist auch heute noch der ehemalige SS-Generalleutnant Prof. Reinhard Höhn.

Es überrascht nicht, daß nach dem von der Industrie gegebenen Beispiel ehemalige Nazis auch wieder in der Regierung zu finden waren. Gemäß »Report» saßen 1952 im Auswärtigen Amt in Bonn mehr ehemalige Mitglieder der Nazi-Partei als während des Dritten Reiches im Reichsaußenministerium!
Auch in der Justiz waren nach dem Krieg viele ehemalige Nazis und »Blutrichter» anzutreffen. Im Gericht von Essen beispielsweise machte Richter Kowalski Karriere als Direktor. Er hatte einmal einen Angeklagten zum Tode verurteilt, weil dieser sich gegen einen Polizeihund verteidigt hatte.
An einem Gericht in Hamm war nach 1945 ein Richter tätig, der einen Bürger zum Tod durch den Strang verurteilt hatte, weil dieser zwei jüdische Mädchen versteckt hatte, um sie vor der Gaskammer zu retten. Der Moderator des Fernsehmagazins »Report», Dr. Franz Alt, nannte eine Vielzahl weiterer derartiger Beispiele und stellte die Frage, ob es reiner Zufall sei, daß ein derart inkriminiertes und vorbelastetes Justizsystem nach dem Zweiten Weltkrieg so großzügig gegenüber Nazi-Verbrechern war. Dr. Alt führte ferner viele Fälle an, in denen Nazi-Verbrecher nach einem Gerichtsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland freigesprochen worden waren. Auch Polizei und Kriminalpolizei waren nach 1945 beliebte »Sammelplätze» für ehemalige Nazis.
Nazis gibt es immer noch sehr viele. Mitglieder einiger deutscher Gemeinden in Südamerika, Südafrika und Namibia bleiben den Dogmen der Hitler-Zeit verbunden, auch wenn sie vielleicht keine organisierten Gruppen sind. Bei einer Reise von Abgeordneten der Grünen nach Pretoria, Südafrika, im Herbst 1985 machten wir indirekt mit einigen dieser Leute Bekanntschaft; sie schickten uns Todesdrohungen, als wir in der deutschen Botschaft in Südafrika in einer gewaltlosen Aktion gegen die Politik der derzeitigen Bundesregierung protestierten, die indirekt oder direkt das brutale Apartheidregime fördert.
Nach dem Tode von Rudolf Heß in Spandau ließen deutsche Auswanderer in Südafrika und Namibia den Hitlerismus wiederaufleben. Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Nachrufe von in »Südwestafrika» lebenden Deutschen zum Tode von Rudolf Heß anführen: »Der letzte Repräsentant eines besseren Deutschlands, Rudolf Heß, Stellvertreter des Führers des Großdeutschen Reiches, verschied unter ungeklärten Umständen nach einer qualvollen 46 Jahre dauernden Isolationsfolter durch die Befreier' Deutschlands in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin.» - »Er und seine Mitangeklagten bereuten nichts, denn es gab nichts zu bereuen, und seine letzten Worte sind ein wahrhaftes Symbol für Standhaftigkeit und unerschütterliche Treue zu seinem Führer und damit zum deutschen Volk: Stünde ich wieder am Anfang, so würde ich gleichermaßen handeln, auch wenn ich wüßte, daß am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod brennt.» - »War es ein Jesus von Nazareth, der für das Christentum sterben mußte, so ist es Rudolf Heß, der für uns, für Deutschland, starb.» Die Neigung, die Vergangenheit zu verdrängen, war in den vergangenen vierzig Jahren nicht nur stets existent, sondern hat sogar zugenommen. Dies zeigt schon die Erklärung von Franz Josef Strauß am 1. Februar 1987, wonach die Bundesrepublik Deutschland aus dem Schatten der Nazi-Vergangenheit heraustreten und ein neues Kapitel im Buch der Geschichte aufschlagen sollte. Strauß machte diese Bemerkungen im Zusammenhang mit seiner Forderung nach einer Steigerung des deutschen Waffenexports. Strauß lehnte es ab, zur Kenntnis zu nehmen, daß »ein Stück von Klaus Barbie, ein Stück von Kurt Waldheim in allen von uns steckt. In den Kindern der Mörder und in den Kindern der Opfer...» (Michael Jürgs, »Der Stern»). In der »Los Angeles Times» hieß es, es gäbe Millionen von kleinen Barbies, die auf Befehl zu jeder Gewalttat und zu jedem Verbrechen bereit seien!
Seit unser Bundeskanzler Kohl den Satz von der »Gnade der späten Geburt» verwendet hat, fühlen sich viele andere, Gleichaltrige oder Jüngere, rehabilitiert und von der Last der kollektiven Scham befreit.
Es überrascht also nicht mehr, wenn der Rat der Stadt Bergen, die sich in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen befindet, den Vorschlag ablehnt, eine Straße nach Anne Frank zu benennen!
Es überrascht auch nicht mehr, wenn ein junger CSU-Parlamentarier, nämlich Herr Fellner, öfentlich eine antisemitische Äußerung von sich gibt oder wenn ein CDU-Bürgermeister einer Kleinstadt Juden in einer Stadtratssitzung öffentlich beleidigt.
Es überrascht auch nicht, daß die gegenwärtige Regierung unter Bundeskanzler Kohl bis zum heutigen Tag eine parlamentarische Anfrage nicht beantwortet hat, in der Gert Bastian und ich nach der Bereitschaft der deutschen Regierung gefragt haben, zu akzeptieren und zu erklären, daß die Bombardierung (der baskischen Stadt) Gernika durch die Nazi-Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg ein Verbrechen des deutschen Reiches gegen die Menschlichkeit war.
In einem Schreiben der Deutschen Botschaft in Madrid an den Bürgermeister von Gernika vom 22. Oktober 1981 erklärt der Deutsche Geschäftsträger, das Thema »Vergangenheitsbewältigung» solle als abgeschlossen betrachtet werden und die Mehrheit der jetzt lebenden Deutschen sei 1937 noch gar nicht geboren gewesen. Daher wäre es schwierig, die Deutschen als Bürger und Steuerzahler aufzufordern, für etwas einzustehen, für das sie nicht verantwortlich seien.

Es überrascht ferner kaum, daß am 27. Mai dieses Jahres Veteranen der Legion Condor in Wunstorf, dem ehemaligen Ausgangspunkt der Legion Condor, zum Zwecke der Traditionspflege mit Offizieren der Bundeswehr zusammengetroffen sind.
Das Unterrichtsmaterial der deutschen Bundeswehr enthält immer noch bestimmte Glorifizierungen, zum Beispiel in bezug auf die »Eroberung» Kretas, sowie andere militärische Ratschläge, die direkt der militärischen Ideologie der Nazis entstammen.
Die Affäre Waldheim war ebenfalls peinlich genug, auch ohne die grotesken Worte der Unterstützung von Helmut Kohl. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß in einer Meinungsumfrage des Gallup-Instituts vom 11. September 1987 95 Prozent der jetzt lebenden Österreicher keinen Widerstand gegen die Invasion der Truppen Hitlers im März 1938 geleistet hätten. 31 Prozent der Befragten gaben an, sie würden 1938 mit den Nazis sympathisiert haben!
Es gibt natürlich noch viele weitere Beispiele, so Äußerungen von Heiner Geißler, der Pazifismus und die Beschwichtigungspolltik des Westens seien in gewisser Weise für die Konzentrationslager verantwortlich gewesen. Es gibt eine Welle des Revisionismus und eines neuen Nationalismus, die hier in den Vereinigten Staaten nicht unterschätzt werden sollte.
Die angeführten Beispiele zeigen deutlich, daß die Chance zur Vergangenheitsbewältigung vertan worden ist. Es steht nicht zu erwarten, daß der Historikerstreit über den Faschismus diese schlimme und tragische Situation zu ändern vermag.
Eine kleine Hoffnung bot und bietet das antifaschistische Denken innerhalb der Friedensbewegung, der Menschenrechtsund ökologischen Bewegung, der Sozialdemokratischen Partei und antifaschistischer Persönlichkeiten. Aber auch gemeinsam verfügen sie bisher noch nicht über die Mehrheit. Um so wichtiger sind daher weitere Initiativen wie die meiner eigenen Partei, der Grünen, beispielsweise im Bereich einer angemessenen Entschädigung und Versorgung der vergessenen Nazi-Opfer, wie Sinti und Roma, Zwangssterilisierte, Widerstandskämpfer, Zwangsarbeiter, die bis 1945 für die deutsche Kriegsmaschinerie arbeiten mußten, Homosexuelle und viele andere, wie dlejenigen, die von den Nazis für medizinische Experimente mißbraucht wurden.
Auch die kommunistischen Widerstandskämpfer haben bis heute keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Einem verfolgten KPD-Mitglied wurde eine Entschädigung verweigert, weil es eine rote Fahne geschwenkt hatte. Ein anderer Fall: Einem von den Nazis verfolgten Pastor wurde eine Entschädigung vorenthalten, weil er den Stockholmer Appell gegen die nukleare Bewaffnung der deutschen Streitkräfte unterzeichnet hatte. Von den 350 000 Zwangssterilisierten leben heute noch rund 180 000 - weniger als zehn Prozent von ihnen haben eine Entschädigung beantragt, die ohnehin auf die Höchstsumme von DM 5000 begrenzt ist. Scham und Bitterkeit haben die anderen daran gehindert, einen Antrag zu stellen.
In der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages stand die Partei der Grünen häufig allein mit ihren verschiedenen Initiativen, darunter den Vorschlag, die »Erbgesundheitsgesetze» der Nazis für null und nichtig zu erklären! Die Grünen haben auch den Vorschlag unterbreitet, allen Nazi-Opfern eine Rente auszusetzen (2000 Mark). Für das Haushaltsjahr 1988 haben die Grünen 800 Millionen Mark für Entschädigungszahlungen an die vergessenen Opfer beantragt.
Sie sehen also, daß wir in der Tat eine neue Diskriminierung erleben, die »Zweite Verfolgung» der Nazi-Opfer - das Leiden der Opfer geht weiter! Am 24. Juni 1984 fand im Bundestag (Innenausschuß) eine Anhörung statt. Zu dieser Anhörung waren zum ersten Mal seit vierzig Jahren auch Vertreter der Verfolgten und der Nazi-Opfer eingeladen worden. Aus der Anhörung ging klar hervor, daß in der Tat ganze Gruppen von Nazi-Opfern von den deutschen Entschädigungsgesetzen nicht als Nazi-Opfer anerkannt werden. Das Finanzministerium ist angewiesen worden, bis Oktober 1987 einen Bericht über die finanziellen Folgen dieser Anhörung zu erstellen. Für den Haushalt 1988 mag es wiederum zu spät sein.
Tagtäglich lesen wir neue und beunruhigende Berichte ... So beispielsweise über das ehemalige jüdische Ghetto in Frankfurt (Börneplatz), wo ungeachtet des Protestes der in diesem Gebiet lebenden jüdischen Bevölkerung der Bau eines Einkaufszentrums geplant ist; oder Interviews mit dem Neo-Nazi Michael Kühnen im »Stern» oder über den jüngsten Sieg der äußerst rechten reaktionären Deutschen Volksunion, gegründet von Gerhard Frey, bei den Regionalwahlen in Bremen. Es gibt ferner auch Anzeichen für einen linken Antisemitismus, einen Antisemitismus der totalitären und der nicht-totalitären Linken!
Wir müssen auch vor Formen des »freundlichen Faschismus» auf der Hut sein - die vielleicht nicht mit Diktaturen, offener Brutalität, öffentlichen Auftritten einhergehen. Diese neuen Formen des freundlichen Faschismus laufen jedoch im Endeffekt auf genau dieselbe Verweigerung individueller Freiheiten und demokratischer Rechte hinaus. Wenn wir im Lichte der Entwicklungen der Vergangenheit und der Gegenwart in die Zukunft schauen, so müssen wir vor dem warnen, was passieren könnte!
Günther Anders hat eine Warnung für das nukleare Zeitalter verfaßt, die ich hier abschließend zitieren möchte: »Versetze deinen Nachbarn in Angst wie dich selbst. Aber diese Angst muß eine besondere Art von Angst sein! Eine angstfreie Angst, die die Angst vor denjenigen ausschließt, die uns als Feiglinge verspotten würden. Eine aufrüttelnde Angst, die uns auf die Straße statt in Deckung treibt. Eine lebendige Angst, nicnt vor den vor uns liegenden Gefahren, sondern um die kommende Generation!»
Gernika und die Deutschen

Rede im Bundestag (1988)

Seit Gert Bastian und ich vor nunmehr einem Jahr am 50jährigen Gedenken der Bombardierung Gernikas im Baskenland persönlich teilnehmen durften, läßt mich die Frage nicht mehr los, warum bis heute keine Bundesregierung, gleich welcher politischen Couleur, von sich aus bereit gewesen ist, auf die von Deutschen so schmählich mißhandelten Basken zuzugehen und Sühne zu leisten.
Die professionellen Verharmloser wenden gegen diesen notwendigen Schritt zumeist ein, die Bombardierung Gernikas am 26. April 1937 sei ja nur auf ausdrücklichen Wunsch Francos erfolgt. Sie wäre überdies nicht von der deutschen Luftwaffe, sondern von der Legion Condor durchgeführt worden, die nicht der Deutschen Wehrmacht zuzurechnen sei.
Doch was soll dieser Unsinn, mit dem doch lediglich von der unstrittigen deutschen Verantwortung für dieses in Gernika begangene Völkerrechtsverbrechen abgelenkt werden soll. Tatsache ist, daß die Legion Condor, die auf persönlichen Befehl Hitlers aufgestellt worden war, ausschließlich aus Personal der Deutschen Wehrmacht bestand, daß ihre Bombenflugzeuge und Bomben von der Deutschen Luftwaffe stammten und daß deutsche Fliegersoldaten die Bombardierung Gernikas nach dem von einer deutschen Einsatzleitung ausgearbeiteten Plan vollzogen haben. Die Legion Condor unterstand deutschem Befehl, und ihr Stabschef, Freiherr von Richthofen, hat kein Hehl daraus gemacht, daß er die Zerstörung baskischer Städte zur Brechung des Willens der baskischen Bevölkerung billigte. Nicht General Franco, was immer er gewünscht oder gefordert haben mag, sondern allein die damalige deutsche Reichsregierung war dafür verantwortlich, daß am 26. April 1937 die Legion Condor mit drei Geschwadern von jeweils 23 Ju-52-Bombern, jeder mit Splitterbomben und mindestens 110 Brandbomben bestückt, sowie zehn He-51-Jagdfliegern, sechs Me-109 Kampfflugzeugen und vier erstmals eingesetzten neuen He-111-Bombern Gernika dem Erdboden gleichmachte. Drei Stunden lang warf diese fliegende Armada, deren Feuerkraft gewaltiger war als die aller Luftwaffen im Ersten Weltkrieg zusammengenommen, ihre Bombenlast von über fünfzig Tonnen auf diese an einem Markttag von Menschen wimmelnde Stadt ab. Der Auftakt zu einer neuen, noch grausameren Art der Luftkriegsführung! Picassos weltberühmtes Monumentalbild gibt den Schrecken dieser Stunden in erschütternder Weise wieder. Merkwürdig, daß die Bundesregierung dieses Bild für geeignet hält, den Einband einer Broschüre für Menschenrechtsfragen zu schmücken, während sie andererseits noch immer nicht in der Lage ist, ein über Städtepartnerschaft und unverbindliche Kranzniederlegungen hinausgehendes Bekenntnis zum damaligen Geschehen abzulegen.
Dieses Bekenntnis ist in geradezu peinlicher Weise überfällig! Seit einem Jahr versuche ich deshalb, zusammen mit Freimut Duve, Frau Hamm-Brücher und Herrn Pohlmeier, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zustande zu bringen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die großzügige Unterstützung eines Zentrums für Friedensforschung und anderer Projekte dieser Art zu beschließen. Dies dürfte schon deshalb leichtfallen, weil das baskische Parlament mit Unterstützung der baskischen Christdemokraten bereits im letzten Jahr beschlossen hat, ein Zentrum für Friedensforschung zu errichten. Staatsminister Schäfer hat dazu in einem Brief vom 6. Januar 1988 die Meinung vertreten, »alle baskischen Gesprächspartner gäben einer deutschen Beteiligung an diesem Projekt eindeutig den Vorrang». Bei den interfraktionellen Beratungen hierzu gelang den Berichterstattern ein Kompromiß in der Frage des Friedensforschungszentrums, dem dann jedoch die CDU/CSUFraktion überraschend die Zustimmung verweigerte, leider ohne die konkreten Bedenken zu nennen.
Angebliche Einwände der Zentralregierung in Madrid rechtfertigen solche Bedenken nicht. Der spanische Botschafter in Bonn bedankte sich im Gegenteil brieflich für meine Bemühungen um eine parteiübergreifende Einigung. Nur die deutsche Botschaft in Madrid rät seit 1980 von Projekten dieser Art ab.
Die Bundesregierung erklärt in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage, daß eine offizielle deutsche Beteiligung an einem Projekt in Gernika eine spanische Initiative voraussetzen würde. Eine solche Initiative sei bisher aber nicht unternommen worden. Die Tatsachen belegen das Gegenteil: Schon im Dezember 1980 hat sich eine Kommission des Stadtrats von Gernika an Bundeskanzler Schmidt mit der Bitte gewandt, durch eine Geste der Freundschaft neue Wege zur gegenseitigen Achtung, Freundschaft und Zusammenarbeit beider Völker zu erschließen. Gleichzeitig wurden vier konkrete Vorschläge, darunter auch die Schaffung eines baskischen Kultur- und Forschungsinstituts, gemacht.
Erst zehn Monate später antwortete der damalige Botschafter in Madrid, Lothar Lahn, für den Bundeskanzler Schmidt in absolut peinlicher Weise, daß es für solche Projekte aus verschiedenen Gründen keine parlamentarische Mehrheit gebe. Zur Begründung meinte er unter anderem Reparationszahlungen für die Handlungen des Deutschen Reiches seien für alle betroffenen Länder endgültig abgeschlossen, das Thema Vergangenheitsbewältigung sei ebenfalls als abgeschlossen zu betrachten, und die Mehrzahl der jetzt lebenden Deutschen sei 1937 noch nicht geboren gewesen. So einfach kann man es sich natürlich auch machen! Ob man dem Ansehen der Bundesrepublik damit einen Gefallen tut, bezweifle ich allerdings.
Am 14. Mal 1981 wandten sich die baskischen Christdemokraten (EAJ-PNV) an das Präsidium der CDU mit einer ähnlichen Bitte. Mit einem Antwortschreiben vom 5. August behauptete Generalsekretär Heiner Geißler, die CDU hätte der Bundesregierung gegenüber eine entsprechende politische Initiative ergriffen. Auch sie ist allerdings ohne jedes Ergebnis geblieben.
1982 vertritt das Auswärtige Amt in einem Schreiben an die Junge Union die Auffassung, die Bundesregierung könne sich allenfalls an einer symbolischen Geste beteiligen. Doch müßte sie erst von offizieller spanischer Seite benannt werden, was bisher nicht geschehen sei.
Das angeblich so gewünschte Signal aus Madrid kommt in einem Brief von Ministerpräsident Felipe Gonzalez vom 6. September 1984, in dem er ausdrücklich die Zustimmung zu den von der Stadt Gernika angeregten Initiativen erklärt. Doch entgegen allen bisherigen Bekundungen ist auch das nicht genug, denn Bundeskanzler Kohl antwortet am 16. Oktober 1984 ablehnend mit der Feststellung, er sehe keine Möglichkeit, »daß die Bundesregierung selbst zur Verwirklichung der Vorhaben beitragen könne»! Sogar die prinzipielle Zustimmung der spanischen Zentralregierung zu den Vorschlägen aus Guernica, die angeblich die einzig noch offene Vorbedingung war, hat die Bundesregierung nicht zum Handeln bewegen können. Deshalb muß der Bundestag nun endlich Konkretes beschließen!
Schwarzer Tag für Vergangenheitsbewältigung

Rede im Bundestag (1988)

Der 10. November 1988 ist ein schwarzer Tag für die Vergangenheitsbewältigung des Deutschen Bundestages. Der beschämenden Rede des Bundestagspräsidenten Jenninger folgte die beschämende, gegen die Stimmen der Grünen und SPD getroffene Ablehnung einer würdigen Geste der Sühne, des Friedens und der Freundschaft seitens der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Gernika und dem baskischen Volk.
Diese Entscheidung macht um so betroffener, als mehrere Abgeordnete der Koalitionsfraktionen im Verlaufe des Beratungsverfahrens bereits einer Geste zugestimmt hatten, die diesem von Deutschen zu verantwortenden Kriegsverbrechen angemessen ist. Folgten sie wirklich ihrem Gewissen oder nicht vielmehr fragwürdiger Koalitionsdisziplin?
Mit keinem Wort erwähnte die gestern verabschiedete Resolution, daß es deutsche Kampfflugzeuge waren, die Guernica in Schutt und Asche legten. Unerwähnt bleibt auch, daß dieser Bombenangriff den ersten Luftangriff auf Zivilisten, auf Kinder, Frauen und Männer markiert, die am Kriegsgeschehen nicht beteiligt waren.
Sie betreibt Vergessen, wo Erinnerung nötig wäre. Sie leugnet Täter und beleidigt damit die Opfer. Mehr noch, wer der Rede des Abgeordneten Pohlmeier sorgfältig zugehört hat, kann sich des Eindruckes nicht erwehren, die Täter seien selbst die Opfer gewesen. Durchgesetzt haben sich damit die »Ewig Gestrigen». Durchgesetzt hat sich auch das Auswärtige Amt, das mit gezielt gestreuten Fehlinformationen in den parlamentarischen Beratungsprozeß eingegriffen hat.

100 000 Mark ist dem Deutschen Bundestag die Finanzierung eines Marine-Ehrenmals in Washington und das Andenken gefallener Seeleute aller Kriege wert. Es bleibt abzuwarten, was dem Deutschen Bundestag das Gedenken an die von Deutschen ermordeten Bürgerinnen und Bürger Gernikas wert sein wird. Die Chance zu einer würdigenden Geste der Versöhnung ist zunächst jedenfalls vertan