Und wenn wir gegen den Skandal auf dieser
Erde revoltieren, dann nur aus einem Grund:
Weil das Leben immer noch unverseuchte Au-
genblicke enthält ( ... ). Der verläßlichste Wider
stand stammt aus der Fähigkeit zu leben – un-
versöhnt mit den Zurichtungen an uns und
unversöhnt mit unserer Mittäterschaft.
Christine Thürmer-Rohr
Zärtlichkeit in der Politik (1984)
Zärtlich und zugleich subversiv sein, das bedeutet für mich politisch »grün« wirken und sein. Ich will den Begriff Zärtlichkeit weit fassen. Miteingeschlossen in diesen für mich auch politischen Begriff ist der zärtliche, ökologische Umgang mit Tieren, Pflanzen, mit der Natur, mit Ideen, mit Kunst, mit der Sprache, mit dem Planeten Erde, der keinen Notausgang hat. Und natürlich der Umgang miteinander. Zärtlichkeit zwischen den Menschen, auch innerhalb einer alternativen, gewaltfreien Partei, die sich immer wieder öffentlich zum Sanften, Dezentralen, Gewaltfreien bekennt.
Jane Fonda hat es einmal salopp ausgedrückt: »Wir gehen mit dieser Erde um, als hätten wir noch eine zweite im Kofferraum.« Die Daten und Fakten, die uns dann der Bericht »Global 2000« geliefert hatte, sagen dasselbe: »Wir brauchen eine neue Erde, wenn wir so weitermachen. Die alte haben wir geschafft.« Unsere Gesellschaft sieht aus wie eine maschinelle, künstliche Umwelt: hart, kalt, rational, unmenschlich, Verkabelung, Atomraketen, Sex-Läden, Porno- und Gewaltvideos für die Familie, Computerspiele für den Kleinen, Verkümmerung der Zärtlichkeit und des Eros, verdeckte Verzweiflung, Alkohol- und Drogenkonsum, farblose, lieblose Altersheime, die Selbstmordrate steigt ... Und tagtäglich überall Massenvernichtung auf der Erde, weil Menschen an Hunger, schmutzigem Wasser, wegen des Nestlé-Konzerns oder wegen Union Carbide sterben müssen. In allen Teilen der Welt suchen einige von uns nach Überlebensstationen, nach Rettungsbooten, wollen Sanftes, Gewaltfreies, Zärtliches aus dem Vorhandenen schaffen.
Der Kurs muß kompromißlos in eine andere ökologische Richtung führen. So machen wir uns auch politisch auf den sanften Weg. Dieser sanfte Weg heißt, unsere Erde mitsamt Atmosphäre, Ozeanen und Kontinenten als eine lebendige organische Ganzheit begreifen zu lernen. Das Universum ist unser Ökosystem. Zerteile es nicht in Stücke und verfalle nicht in den Glauben, daß, wenn du einen Teil verstehst, du auch das Ganze begriffen hast. Die von den Grünen angestrebte Politik der ökologischen Ethik versucht die Erde als ganzheitliches Lebenssystem zu begreifen. Achte dich selbst und deine Umwelt. Die Erde und wir haben gemeinsame Wurzeln. Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt! Wenn wir eine Politik der ökologischen Ethik verwirklichen wollen, so müssen wir begreifen, was Marlyn Ferguson über Macht und Liebe gesagt hat: »Macht ohne Liebe reduziert sich schnell auf die Fähigkeit auszubeuten, zu manipulieren.« Mitleiden, Geduld, Kooperation, Zärtlichkeit, Toleranz werden dringend in einer ökologischen politischen Bewegung gebraucht, so daß Mittel und Ziel der Politik übereinstimmen. Wenn wir anderen in den Alt-Parteien vorwerfen, daß sie nicht empfindsam sind, daß sie keinen Umgang mit dem Nichterkennbaren, mit dem Transzendentalen haben, so müssen wir aber den Beweis antreten, daß wir empfindsam sind, daß wir Zärtlichkeit, Liebe, Zuneigung, Toleranz als Mittel und Ziel unserer grünen Politik anstreben.
Je mehr »Macht« die Grünen zur Zeit durch Wählerstimmen erhalten, desto schwieriger wird es, die Zärtlichkeit im Umgang miteinander bei uns zu finden. Dies bedrückt mich sehr. Während wir eine sanfte und gewaltfreie Gesellschaft anstreben, wie das Auflösen der Militärblöcke von unten und die Emanzipation der Frauen und Männer, werden wir selbst oft hart, intolerant, lieblos und das Gegenteil von zärtlich. Ich habe das besonders bei einigen grünen Männern und auch einigen Frauen beobachten können. Auch der Unterschied zwischen »Frauenwelt« und »Männerwelt« in der Politik bleibt deutlich bestehen. Allzu oft ordnen selbst einige der grünen Parteistrategen solche Werte wie Fürsorglichkeit, Zärtlichkeit und Liebe dem privaten Bereich zu - dort, wo sie sowieso liebevoll von ihren Partnerinnen regeneriert werden. Im zweiten Bereich - dem »Nicht-Privaten«, herrschen dann für die grünen Parteistrategen Durchsetzungsvermögen, Erfahrung, Rationalität, Sachwissen (auch wenn es unsere Männer nicht immer haben, aber meinen, es zu haben) und wenig Empfindsamkeit, wenig Zärtlichkeit. So sind auch bei den Grünen, die das Lebensfeindliche bekämpfen wollen, manche Fraktions-, Bundeshauptausschuß- und Delegiertenversammlungen lebens- und frauenfeindlich geworden. Bestimmte Schwächen der anderen werden ausgenutzt. Einige launische Politstrategen »explodieren«, so wie sich das für harte Männer in der Politik gehört. Andere versuchen, die schweigende Mehrheit zu manipulieren, und fällt das Wort »Spiritualität« oder »Ethik« oder »soziale Verteidigung«, dann kann man/frau auch ganz schön viel Häme, Gelächter usw. erleben. Gerade die Verachtung der etablierten Politik den Menschen gegenüber wollen wir abschaffen. Schon schleicht sich eine Portion »Verachtung« dem Schwächeren, dem Leiseren, dem (der) nicht so begabten Redner(in) gegenüber ein. Plötzlich geht es um Macht - um Macht ohne Liebe, ohne Zärtlichkeit. Es muß uns sehr zu denken geben, wenn Grüne untereinander - (grüne Männer) wie jüngst in Frankfurt nach zwei zwölfstündigen Sitzungen, um Kandidaten(Innen) für die Kommunalwahlen aufzustellen, einander »unausstehliches und ekelhaftes Gehabe« an den Kopf werfen und die Wortführer der verschiedenen politischen Strömungen mit »Bolschewisten in den Räteversammlungen« vergleichen.
Die letzte Delegiertenversammlung in Hamburg hatte auch schon Ansätze von Selbstzerfleischung, von einer lieblosen Sprache und von einem unzärtlichen Umgang miteinander. Und es gibt bei uns weit mehr Gerede über »Kontrolle« und wer nun gerade »entmündigt« werden muß (weil er zu prominent wird) als über gegenseitiges Vertrauen und wer mal ein gutes, liebevolles Wort verdient. Das Klima des Mißtrauens hat sich verschärft. Menschen innerhalb der Grünen sind zu »Realos« und »Fundis« geworden, haben sich so einteilen lassen, und wer nicht auf dem neuesten Stand der politischen Richtungskämpfe ist, der zählt eben nichts. Wir müssen diese Phase überwinden, wenn wir es noch ernst meinen mit der sanften, alternativen Kultur, wo das Persönliche politisch ist und das Politische persönlich! Bis jetzt hatten Kinder, alte Menschen und Natur, Pflanzen und Tiere keinen Platz in der rationellen Welt der »Politik-Macher". Die bisherige patriarchalische Welt hat Natur und Mensch ausgebeutet und hat die Menschen nachher zum Auftanken in die »Frauenwelt« zurückgeschickt. Die Natur wurde ausgebeutet liegengelassen. Nun versuchen wir diese Spaltung der »Männer- und Frauenwelt« aufzuheben, wollen Mitmenschlichkeit, Zärtlichkeit, Wärme, Verständnis in unsere Politik miteinbeziehen, aber haben es noch nicht geschafft, Verbalinjurien und das Belächeln des Schwächeren (auch in unseren eigenen politischen Kreisen) auszuschalten. Wenn wir den Zusammenhang zwischen patriarchalischen, kapitalistischen Strukturen und Militarismus analysieren, dann sollten wir auch den Ursachen der Aggressivität bei uns, in uns selbst, nachgehen. Auch innerhalb der grünen Bewegung gilt es »zärtlicher« zu werden, miteinander das Sanfte vorzuleben, auch im politischen Stil. Manchmal möchte ich fast verzweifeln, denn es gibt da einige bei uns, die durch persönliche Militanz und Aggression, durch Wutausbrüche zum »richtigen« Zeitpunkt, durch griffige »Macho"-Parolen sich selber als Projektionsfläche für grandiose Träume anderer Männer anbieten. Dabei werden gerade diese von der männerdominierten Presse und auch von manchen Frauen dafür angehimmelt!
Die Werte der alten Welt und Gesellschaft gelten immer noch! »Zärtlicher« in der Politik zu werden, diesen Wert mit einzubauen, heißt »empfindsamer« werden, heißt auch, daß jeder, jede von uns, seine eigene Machtausübung realistisch und kritisch betrachten muß und jedem Raum und Verständnis für Fehler und Schwächen einräumen muß. Es heißt, nicht ständig andere »entlarven«' zu wollen, ihnen ständig Falsches zu unterstellen oder sie anderen »vorführen« zu wollen etwas, was im politischen Geschäft allzu oft vorkommt. Die überwiegende Mehrheit der Strukturen im Staat, in der Verwaltung, in der Wirtschaft, in den Schulen, in den Kirchen, im Militär sind für und von Männern geschaffen worden, von Männern, die aus ihren erstarrten Formen und aus ihren schematisierten Machtabläufen nicht herauskonnten, weil sie schon längst durch ihre lange Vorherrschaft hinein konditioniert worden waren. Es gilt nun, diese erstarrten Formen auch in der Politik zu verlassen sie zu transformieren. Dafür brauchen wir Zärtlichkeit, Kreativität, sogar etwas Subversivität und Frechheit gegen die »Macher« in der etablierten und auch alternativen Politik, Wagnis und Zivilcourage. Heute sind in dieser nuklearisierten und hochgerüsteten Welt fast alle menschlichen Beziehungen mit Mißtrauen, Angst und Unsicherheit durchsetzt. Wir werden so lange an der Fähigkeit zu lieben scheitern, bis wir uns darauf besinnen, daß es jeweils unsere höchst eigene Verantwortung ist, lieben zu lernen. Den Nächsten lieben ist ein politisches Prinzip, aus dem heraus ein Mahatma Gandhi, ein Martin Luther King oder eine Dorothy Day politisch gehandelt und gewirkt haben. Den Nächsten lieben, empfindsam für ihn und seine Sorgen und Leiden werden, heißt auch die Politik der absurden Abschreckung endlich verlassen, heißt auch, Giftkatastrophen in Bhopal zu verhindern, heißt auch die Armen nicht ärmer machen, heißt auch, endlich »vorbeugende Rücknahmen« (das EG-Wort für Obstvernichtung!) zu beenden und den Menschen auf dieser Erde genügend zum Essen zu geben, anstatt Tomaten und Pfirsiche und Orangen auf Abfallhalden verschwinden zu lassen. Liebe und Zuwendung als integraler politischer Wert - ohne Kalkül!
1985 Dank an Omi
In einigen Tagen wird meine aktive »grüne« Omi achtzig. Omi, eine wichtige Leitfigur für mein Leben, für mein politisches Engagement, hat nie resigniert - hat immer auf ihre klare und weise Art selbstbewußt gekämpft und nie aufgegeben. Omi hat mich zu vielen Taten des Widerstands begleitet - sei es nach Kalkar oder Wyhl, um auf die Gefahren des »Atomstaates« aufmerksam zu machen, oder nach Carnsore in Irland, um an einer internationalen Demonstration gegen Atomenergie teilzunehmen. Sie war auf vielen ermüdenden und zum Teil sehr frustrierenden »grünen« Kreis-, Landes- und Bundesversammlungen, sie begleitete mich seit 1979 auf Wahlkampfreisen. Sie hat mit mir, mit viel Aufopferung und Engagement, auch die Kinderkrebsvereinigung (benannt nach meiner verstorbenen Schwester Grace) mit aufgebaut und betreut heute noch alle finanziellen Angelegenheiten der Vereinigung. Sie ist auch Mitglied bei den »Grauen Panthern« - und war dabei, als in Nürnberg gegen die Massenverhaftungen Jugendlicher demonstriert wurde, oder in München, als es um Druck der Friedensbewegung auf die SPD ging. Omi denkt »grün« - ist dabei ungeduldig, mit Recht sehr zornig auf die Herrschenden und Regierenden und kämpft unermüdlich gegen den großen, aber auch gegen den kleinen Krieg. Sie hat als »Trümmerfrau« und Kriegerwitwe viel Leid und Schmerz kennengelernt und daraus Mut zum Widerstand geschöpft. Sie ist allein geblieben... hat nicht wieder geheiratet und ist feministischer als manche selbsterklärte Feministin. Ich bin stolz auf sie, bewundere, respektiere und liebe sie. Sie beugt sich keiner Obrigkeit oder falschen Autorität. Sie lebt vor, was es heißt, alt zu werden ohne Bruch mit dem »Dasein". Mit ihr bin ich zornig geworden auf die politische, soziale und wirtschaftliche Situation der älteren Frauen in der Bundesrepublik. Mit acht Millionen sind die Frauen über sechzig heute eine der größten Randgruppen der Republik; von der Gesellschaft kaum anerkannt, von der offiziellen christlich-liebenden Politik nahezu ignoriert, leben viele von ihnen in finanziell bedrückenden Verhältnissen, vereinsamt, resigniert. Wann werden Politiker in Bonn endlich verstehen, unter welch unwürdigen Bedingungen viele dieser Frauen leben? Viele von ihnen haben schon zwei Weltkriege erlebt, sind ihr Leben lang diskriminiert worden und hatten nur minimale Bildungs- und Berufschancen. Am Ende - Wiederaufbau dieser Republik gerade durch diese Frauen, schließlich die Doppelbelastung berufstätiger Frauen/Mütter, ohne die es das Wirtschaftswunder nicht gegeben hätte, und eine Politik der Hochrüstung und des sozialen Abbaus! Der Dank - Renten unter dem Sozialhilfeniveau und soziale Aussperrung. Wie kann eigentlich alles das, was Herr Blüm & Co. betreiben, noch »Sozialpolitik« genannt werden? Herr Blüm, Herr Wörner, Herr Kohl, Herr Stoltenberg, setzen Sie sich mit den »Grauen Panthern« an einen Tisch und hören Sie endlich zu!
Persönliche Erklärung in der Bundestagsdebatte 21./22. November 1983
Ich möchte erklären, ganz persönlich, warum für mich ein Nein ohne jedes Wenn und Aber in dieser Frage der Stationierung so sehr auch eine Frage des persönlichen, gewaltfreien Widerstandes geworden ist. jede staatliche Macht ist relativ. Wenn man Gehorsam als ein Stück gelebter Gemeinschaft versteht, dann hat die Loyalität dort ihre Grenzen, wo die Gemeinschaft aufs Spiel gesetzt und gefährdet wird. Das ja zum Staat ist immer nur ein bedingtes Ja. Ein entscheidendes Kriterium für ein Widerstehen gegen bestimmte Anordnungen der Staatsgewalt ist die klare Feststellung eines Unrechtsgebotes. Für diesen Fall zum Beispiel gilt das Wort von Papst Leo XIII.: »Wenn aber die Staatsgesetze sich offen gegen das göttliche Recht auflehnen ... dann ist Widerstand Pflicht, Gehorsam aber Verbrechen.« Viele Menschen haben in der Geschichte schöpferischen und gewaltfreien Widerstand geleistet: die Suffragetten, die Frauenbewegung für das Wahlrecht, die Landarbeiter um Cesar Chavez, die Bürgerrechtsbewegung, angeführt von Martin Luther King, Mahatma Gandhi und viele, viele andere.
Der Erzbischof von Seattle, Raymond G. Hunthausen, der selber an einem Steuerstreik gegen die Rüstung teilnimmt, erklärte: »Christen der ersten drei Jahrhunderte haben den Gesetzen des Römischen Reiches den Gehorsam ver-weigert und gingen wegen ihrer Einstellung oft in den Tod. Sie waren im Recht. Ähnlich engagierten sich Menschen wie Martin Luther King in Demonstrationen, die Staatsgesetze brachen, um auf bestimmte Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Der springende Punkt ist, daß das bürgerliche Recht kein absolutes Recht ist ... In bestimmten Fällen, in denen Angelegenheiten von großer moralischer Bedeutung auf dem Spiel stellen, ist Ungehorsam gegenüber einem Gesetz in einer friedlichen Weise und begleitet von bestimmten Vorsichtsmaßnahmen, die helfen, die Achtung vor der Institution des Rechts zu wahren, nicht nur erlaubt, sondern eine Verpflichtung des Gewissens. Ich glaube, daß die gegenwärtige Situation so ernst ist, wie die Welt noch keiner gegenüberstand. Die bloße Existenz der Menschheit steht auf dem Spiel.« Wir heute Lebenden haben uns zu entscheiden, ob wir die letzte Generation der Menschheit sein wollen oder die erste, die zur Einheit der Menschen führt.
Ich bin 1970 in der Anti-Atom- und Friedens- und Frauenbewegung aktiv geworden. Anlaß war der Tod meiner krebskranken, fast elfjährigen Schwester Grace, die drei Jahre lang unter Bestrahlungsapparaten in verschiedenen Röntgenabteilungen der Krebsspitäler lag. Meine Schwester wurde mit einer hohen Dosis fast tagtäglich bestrahlt und wurde selbst zu einem Opfer dieses Atomzeitalters, denn der Krebs verbreitete sich über das Auge, das Gesicht, das Ohr, und alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Strahlentherapie ihren Zustand noch weiter verschlechterte. 1976 befand ich mich zum ersten Mal in Hiroshima und in Nagasaki auf einer internationalen Friedenskonferenz. Im Atomspital von Hiroshima habe ich gesehen, was Atomkriege anrichten und wie viele Jahre nach dem Abwurf der Atombombe »Little Boy« noch Hunderttausende von Menschen weiterhin leiden. Die Hibakushas, die Atomopfer der japanischen Gesellschaft, werden zum Teil mit deutschen Strahlenapparaten angeblich von ihrer Strahlenkrankheit geheilt. Es ist ein perverser Teufelskreis. An den Betten der Atomkranken hängen Fotografien und Bilder aus ihrem früheren Leben, und manche, die die Kranken besuchen, bringen ihnen Kraniche mit. Aber gibt es überhaupt Atombomben-Überlebende? Jeder, in dessen Nähe eine Atombombe explodiert, wird gezeichnet, und er muß damit rechnen, daß der Atomtod ihn einholen wird. Auch wenn es Monate und dann auch Jahre dauert. Noch jetzt kommen Patienten in das Atomspital in Hiroshima, die bisher nichts von ihren Strahlenschäden wußten. Die Überlebenden sind Tote auf Urlaub. Und die anderen wollen von ihnen nichts wissen. Präsident Kennedy, der vor zwanzig Jahren ermordet wurde, sagte: »Heute muß jeder Bewohner unseres Planeten auf den Tag gefaßt sein, da dieser nicht mehr bewohnbar ist. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind lebt unter einem nuklearen Damoklesschwert, das am dünnsten aller Fäden hängt, der jeden Augenblick durch einen Zufall, eine Fehlkalkulation oder eine Wahnsinnstat abgeschnitten werden kann.« Ich habe durch meine Jahre des Studiums in den Vereinigten Staaten und mit meinen Erfahrungen innerhalb der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King und innerhalb der Anti-Vietnam-Bewegung gelernt, daß Entscheidungen, die in unserem Namen getroffen werden, mit uns höchstpersönlich zu tun haben, und daß wir uns einmischen müssen. Ob du lebst oder nicht, darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, und so ist eine Friedensbewegung, eine weltweite Widerstands- und Entmilitarisierungsbewegung ein sicherer Schutz gegen den Krieg. jeder fünfte heute stirbt an Krebs in diesem Land, und es ist eine Zivilisationsseuche, hervorgebracht durch die chemische Industrie, die vergiftete Nahrung, die vergifteten Wolken und die vergifteten Meere, sei es durch Atomwaffenversuche in beiden Blöcken oder durch zivilen und militärischen Atommüll. Man kümmert sich nicht um die Konsequenzen und um zukünftige Generationen. So ist diese Welt verkrebst, und wir müssen uns immer daran erinnern: was Hiroshima widerfuhr, kann uns allen geschehen. Die ganze Welt ist ein Hiroshima, das die Bombe noch nicht getroffen hat.
Glaubst du an Gott? (1986)
Ja, ich glaube an Gott... aber nicht an einen Gott, von dem meist nur in männlichen Bildern gesprochen wird. Ich glaube, sobald wir von und über Gott zu sprechen versuchen und uns bemühen, Gott zu definieren, lassen wir außer acht, daß Gott/Göttin nicht zu definieren ist, nicht beschrieben werden kann und in einer anderen Dimension liegt - wo es weder Raum noch Zeit, weder »Dinge« noch »Bewegung« gibt. Ja, ich glaube an Gott/Göttin ... denn ich glaube, wir alle sind nicht nur der Körper, der einst vergehen wird, sondern auch lebendige Seele von ewigem Bestand. Ich glaube an unsterbliches Bewußtsein - und daß das Bewußtsein immer dort ist, wo unsere Seele ist, wo unsere Feinstofflichkeit ist, ganz gleich, ob wir uns im physischen Körper bewegen oder diesen abgelegt haben. Gott/Göttin ist für mich All-Einheit, All-Liebe, Licht, Kraft und vieles mehr und das Fundament aller lebendigen Wesen, aller Dinge ... Teil von uns allen, in uns allen vorhanden, in uns lebendig. Hildegard von Bingen schrieb: »Zu keiner Stunde fehlt meiner Seele das Licht, das der Schatten des lebendigen Lichtes heißt...« Albert Einstein meinte: »Das tiefste und erhabenste Gefühl, dessen wir fähig sind, ist das Erlebnis des Mystischen. Aus ihm keimt alle wahre Wissenschaft. Wem dieses Gefühl fremd ist, wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, der ist bereits tot. Das Wissen darum, daß das Unerforschliche wirklich existiert und daß es sich als höchste Wahrheit und strahlendste Schönheit offenbart, wovon wir nur eine dumpfe Ahnung haben können - dieses Wissen und diese Ahnung sind der Kern aller wahren Religiosität.« Ich bin überzeugt, daß alle Menschen eine göttliche Herkunft haben - diese aber verdrängen und vergessen. Kein Wunder, wenn man/frau u. a. an die Institution Kirche denkt. Ich gebe Karlheinz Deschner recht, wenn er schreibt, daß Jesus, als Kämpfer, als Befreier in seiner Zeit, niemals »diese« Kirche hätte wünschen können, eine kultisch und juristisch genau geregelte, hierarchisch-politische Institution, eine Kirche des Rechts und der Gewalt.
Es ist, wie der Theologe Carl Schneider beschreibt:
»Aus der Gemeinschaft der Liebe wurde die Kirchenzucht, aus dem allgemeinen Priestertum eine ... Amtshierarchie... An die Stelle der Ekstatiker traten die Advokaten, und schließlich wurde das Verhältnis Gottes zum Menschen durch einen Rechtskodex geregelt...« An Gott/Göttin glauben und »dieser« Amtskirche treu zu bleiben, ist für mich unvereinbar geworden... Ich bin aus der Kirche ausgetreten vor vielen Jahren wegen der verlogenen Moral der katholischen Amtskirche von oben. Ich denke dabei an Papst Plus XII., der den Faschismus vergaß, aber zu den Übeln der Zeit die Scheidung zählte. Ich denke an die Gebete der Geistlichen vor dem Start des US-Flugzeuges, das Hiroshima bombardierte. Und ich denke an den Vatikan, der damals den Atombombenangriff auf Japan nicht verurteilte! Und unter Hitler verkündete das im Jahre 1940 vom katholischen Feldbischof herausgegebene katholische Militär-Gebet- und Gesangbuch: »Halte Dich an die Parole: mit Gott der Führer, Volk und Vaterland...«
Ich bin auf der Suche nach einer ganzheitlichen, integrierten und humanen Kirchengemeinschaft von unten... wo wir alle Partner/innen Gottes/Göttin bewußter werden können - wir brauchen viele Möglichkeiten zur Menschwerdung, zur Ganzwerdung und zur Erfahrung der Dynamik Gottes/Göttin.
Ich glaube an Gott/Göttin und stimme Dorothee Sölle zu, wenn sie sagt: »Wozu brauchen wir einen Gott, dessen wichtigste Qualität nichts als das männliche Ideal repräsentiert, nämlich Macht zu haben. Wir können Mutter oder Schwester zu Gott sagen, wir können auch naturhafte Symbole benutzen...« Gott, die Göttin ist in uns selbst. Ist Teil von uns allen. Gott/Göttin-Gegenwart in uns allen - daran glaube ich. Ich glaube, wir müssen weit mehr Schritte auf dem Wege nach innen wagen!
Global denken - lokal handeln!
Wir brauchen Bündnisse an der Basis!
1988 Rede vor der Australischen Conservation Foundation
Liebe Freundinnen!
Einige Sätze von Häuptling Seattle aus dem Jahr 1885 mögen als eine Art Leitmotiv für meinen Vortrag dienen:
Die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde. Die Erde ist unsere Mutter. Alles ist miteinander verbunden, wie das Blut, das eine Familie miteinander verbindet. Was die Erde befällt, befällt auch die Söhne und Töchter der Erde.
Ich bin gebeten worden, über die Erfahrungen der Grünen in den letzten Jahren zu berichten. Vor allem aber bin ich gekommen, um Euch zuzuhören und zu erfahren, welche Lösungen Ihr vorschlagt und was Ihr vorhabt, um den Planeten Erde zu retten. Abgesehen von einigen Erfolgen kann ich Euch hoffentlich auch von den Fehlern berichten, die wir gemacht haben. Gert Bastian und ich waren schon zweimal in Australien, zuletzt 1984 auf Einladung des australischen Außenministeriums. Bei dieser letzten Reise nach Australien haben wir viele gute Freunde gewonnen, vor allem in der Anti-Uran-Bewegung, der Friedensbewegung, der Landrechtebewegung, der Frauenbewegung und der Umweltschutzbewegung. Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang Bob Brown aus Tasmanien, Jack Mundey und viele andere wie Helen Caldicott und Gary Foley - australische Umweltschützer, Menschenrechtler und Pazifisten, die uns bei unserem politischen Kampf inspirieren und motivieren. Ich habe nicht vor, auf dieser Konferenz eine lange Rede zu halten, sondern möchte einfach berichten, welchen Problemen wir uns in Europa gegenübersehen, was wir möglicherweise richtig gemacht haben und was wir immer noch falsch machen. Außerdem möchte ich auf einige Fragen eingehen, die uns beunruhigen, wenn wir an Australien und den südpazifischen Raum denken. Wir Menschen haben unsere Erde oft als selbstverständlich hingenommen. Wir haben nie gezögert, sie auszubeuten, um unsere unmittelbaren Bedürfnisse zu befriedigen. Wir hatten keine Hemmungen, unsere Mitmenschen ebenso wie die Erde, ihre Bewohner und ihre Lebewesen zu mißbrauchen. Wir müssen lernen, daß wir, wie es das Motto der Grünen besagt, die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben. Es geht nicht darum, einen Sündenbock für unsere Probleme zu finden. Die Probleme, die wir geschaffen haben, können wir am besten selber lösen. Wir müssen deshalb in diesen Fragen zu Experten in eigener Sache werden und allmählich verstehen lernen, wie wir leben, wie wir arbeiten, auf welche Weise wir produzieren und konsumieren und wie wir uns selbst definieren. Das Thema dieser Konferenz - »Die nächsten 200 Jahre« - ist gut gewählt, denn in den mindestens 40 000 Jahren, bevor die Europäer hier eindrangen, befand sich dieser ferne, weite und schöne Kontinent in der Obhut der Aborigines, die nun wirklich Freunde der Erde sind. Die sogenannte »Besiedlung« durch die Europäer hat sich verheerend auf die australische Umwelt ausgewirkt, wie die »Conservation Foundation« in ihrem Jahresbericht für 1988 darlegt.
Das Ergebnis einer Bestandsaufnahme der Kosten, die durch die sogenannte Entwicklung und den sogenannten Fortschritt verursacht wurden, ist wahrlich erschütternd:
- Mehr als die Hälfte Eurer Wälder, einschließlich drei Viertel Eurer Regenwälder, sind abgeholzt;
- ein Drittel Eures Kontinents ist durch Erosion geschädigt; - die Umweltverschmutzung hat zugenommen;
- die Wüstengebiete haben sich von 20 auf 40 Prozent der Gesamtfläche ausgedehnt;
- in Australien sind mehr als 100 Pflanzenarten ausgestorben, weitere 2000 sind gefährdet;
- 18 wilde Tierarten sind ausgerottet, 68 weitere Arten sind gefährdet;
- ein Drittel der Flüsse ist verschmutzt bzw. verseucht.
Ohne gezielte, wirksame Naturschutzprogramme werden in den nächsten zehn Jahren 270 australische Pflanzen und Tiere aussterben. Massive Abholzung, Rodung für den Feldbau, Bergbauaktivitäten usw. haben katastrophale Folgen für Eure einheimischen Vögel und Tiere. Holzfirmen eröffnen in jeder größeren australischen Stadt Zweigstellen - die Bergbaulobby wird jeden Tag mächtiger. Die »Australian Conservation Foundation« versucht, einen Aktionsplan für die Zukunft, das heißt für die nächsten 200 Jahre zu entwerfen, und hat, soweit ich weiß, durchaus Erfolg mit ihren Bemühungen, einen breiten Querschnitt der betroffenen Australier über diese Entwicklungen zu informieren. Wir brauchen aber noch mehr wirkungsvolle Strategien und noch mehr Phantasie, wenn wir unsere Regierungen erreichen wollen! Der 200. Jahrestag der europäischen Invasion ist ein wichtiges Datum und stellt, wie ich hoffe, einen Wendepunkt bei der Planung für eine ökologische, gerechte und gewaltfreie australische Gesellschaft dar. Der amerikanische Dichter Gary Snyder hat einmal gesagt, Bäume und Berge müßten im Parlament vertreten sein, und die Wale müßten das Wahlrecht besitzen - das verstehe er unter Demokratie. Ich stimme mit dieser Aussage und dem Geist, in dem sie gemacht wurde, voll überein. Damit stellt sich uns die Frage, welche Strategien wir gemeinsam nicht nur draußen, auf den Straßen und in den Wäldern, sondern auch bei den Entscheidungsprozessen und in den Parlamenten verfolgen sollten.
Ich glaube, daß alle Umweltschutzgruppen und -bewegungen in den moralischen wie auch in den ethischen und geistigen Bereich hineinreichen und lernen müssen, sich z. B. mit der Friedensbewegung, den Menschenrechtsbewegungen und anderen Bewegungen zu verbünden. Norman Cousins hatte recht, als er sagte: »Die Tragödie des Lebens ist nicht der Tod, sondern das, was wir während unseres Lebens in uns sterben lassen.« Meines Erachtens stellen das Überleben, die Gesellschaft, die Selbstverwirklichung und auch die Spiritualität die wichtigste Herausforderung für die menschliche Lernfähigkeit dar. Wir müssen lernen, den indigenen Völkern der Welt besser zuzuhören, den Aborigines hier, den Indianern in den Black Hills, den Indianern in Kanada oder den Shoshone-Indianern, auf deren Land sich das Atomtestgelände in Nevada befindet. Wenn der Tag kommt, an dem wir die indigenen Völker der Welt verstehen, so wie sie uns verstehen, werden sie hoffentlich großmütig genug sein, uns das Unrecht, das wir an ihnen begangen haben, zu vergeben! Herbert Marcuse hat einmal zu Recht gesagt, daß man eine Gesellschaft am besten danach beurteilen könne, wie sie ihre indigene Bevölkerung behandle - als Gleichberechtigte oder als Außenseiter und Bürger zweiter oder dritter Klasse. Die Organisation »Cultural Survival« veröffentlichte vor kurzem einen Bericht über die Völker der Erde, der für zartbesaitete Gemüter allerdings wenig geeignet ist, denn darin wird dargelegt, daß alle Kontinente und alle politischen Systeme diesbezüglich mit Blut befleckt sind. Ich will hier nicht mit Fingern auf andere zeigen, denn in meinem Land, der Bundesrepublik, werden Gastarbeiter und Asylbewerber häufig als Bürger zweiter oder dritter Klasse behandelt. Wir Grünen haben auf unterschiedlichste Weise versucht, in Europa über die sozialen, politischen, wirtschaftlichen und medizinischen Bedingungen der Ureinwohner überall auf der Welt zu informieren und das Bewußtsein für diese Lebensbedingungen zu schärfen. Auf dein Boden dieser Völker wird Uran gefördert, auf ihrem Land werden weiterhin, wie einst in Maralinga, Atomversuche durchgeführt. Meistens wurden unsere Appelle ignoriert. Einer unserer Staatssekretäre fragte mich einmal ganz erstaunt, warum ich mir denn Sorgen über Ureinwohner wie die Aborigines mache, wo es in Deutschland so etwas doch gar nicht gäbe! An dieser Bemerkung wird deutlich, wogegen wir alle kämpfen - gegen das mangelnde Wissen über die globalen und lokalen Zusammenhänge von Problemen und Sachfragen in den Entscheidungszentren und an den Orten, an denen Macht über andere ausgeübt wird - häufig, in unserem Namen! So, wie wir Grünen es sehen, ist von den Regierungen in der Regel nicht allzuviel zu erwarten, denn sie sind meistens ausschließlich daran interessiert, ihre Form der etablierten Macht durch eine immer größere Anhäufung von Waffen, die rücksichtslose Ausbeutung von Naturschätzen, die Erzeugung von Angst und das Einpflanzen von Klischees in den Köpfen der Menschen zu vergrößern.
Zur Hoffnung berechtigen in erster Linie die Menschen an der Basis, die mit großem Einsatz und viel Phantasie eine Welt ohne Angst und Krieg schaffen wollen. Vielleicht stellen Gorbatschow und seine durchgreifenden Reformen von oben eine Ausnahme dar, aber auch er könnte ohne die Unterstützung der Menschen nichts erreichen. Bei dem Wandlungsprozeß an der Basis geht es darum, daß wir die Macht dezentralisieren, daß wir uns selbst in die Lage versetzen, etwas zu bewirken, Bedingungen zu verändern und zu verbessern, daß wir Experten in eigener Sache werden, daß wir Verantwortung für unser Leben, unsere Produktion und unseren Konsum übernehmen. Eines der erfolgreichsten Beispiele für die Aufteilung von Macht an der Basis und die Übernahme von Verantwortung für unsere Arbeits- und Produktionsstrukturen war wahrscheinlich die australische »Green Ban"-Bewegung in den späten sechziger und siebziger Jahren. Diese Bewegung muß wiederbelebt und in alle Länder getragen werden, in jede Gewerkschaftsbewegung! Ich möchte dies um so mehr betonen, als unser Freund Jack Mundey, der für den Erfolg der »Green Ban« Bewegung kämpfte, heute abend hier anwesend ist. Umweltschutzgruppen und -bewegungen, die die schrecklichen Schäden auf unserem Planeten Erde reparieren möchten, müssen sich immer mehr nicht nur mit der Umweltkrise und den Problemen in der Biosphäre beschäftigen, sondern auch mit der Krise in der Wirtschaft, der Krise in den Produktions- und Konsumsprozessen! Der durch menschliche Einwirkungen überall auf der Welt verursachte Schaden ist bis heute noch in keiner offiziellen Wirtschaftslehre berücksichtigt worden. Im Gegenteil: Große Teile unserer Lebensgrundlagen sind bereits zerstört, andere Teile sind aufgrund ausschließlich gewinnorientierter unternehmerischer Entscheidungen ernsthaft bedroht. Am Ende wird das Wirtschaftssystem selbst die Grundlagen seiner Existenz zerstören. Unserer Meinung nach ist das ökologisch Notwendige auch das ökonomisch Vernünftige. Die etablierten politischen Parteien haben mit ihren Vorschlägen zur Überwindung der Krise versagt! Wir Grünen glauben, daß ein Lebensstil und Produktionsmethoden, die von einer unbegrenzten Versorgung mit Rohstoffen ausgehen und entsprechend verschwenderisch mit diesen Naturschätzen umgehen, auch die Ursache für die gewaltsame Aneignung von Rohstoffen in anderen Ländern darstellen. Ein verantwortungsbewußter Umgang mit Rohstoffen im Rahmen eines ökologisch sinnvollen Lebensstils und eines umweltbewußten Wirtschaftssystems verringert hingegen die Gefahr, daß in unserem Namen eine Politik der Gewalt betrieben wird. Eine ökologisch verantwortungsvolle Politik bietet die Chance zum Abbau von Spannungen in der Gesellschaft und steigert unsere Fähigkeit, Frieden in der Welt zu erreichen. Der Grundsatz der Achtung vor dem Leben und der Fürsorge für alles Lebendige bildet die Grundlage unseres politischen Handelns. Umwelt und Gesellschaft sind untrennbar miteinander verknüpft- Der Schutz der Natur geht Hand in Hand mit der Erhaltung der Menschheit. Zumindest in den westlichen Wirtschaftssystemen wird eher zuviel als zuwenig produziert. Zu viele Rohstoffe werden in einer energieintensiven Massenproduktion verschwendet, es werden zu viele gesundheitsgefährdende Abfälle, zuviel Plastik und zuviel Beton erzeugt. Andererseits gibt es eine Fülle gesellschaftspolitisch relevanter Bereiche, in denen viel zu wenig getan wird. Dies gilt beispielsweise für die Nutzung weicher, alternativer Energiequellen oder für öffentliche Nahverkehrssysteme, vernünftige Lebensbedingungen, die Aufbereitung und das Recycling von Abfällen sowie für die Bereitstellung gesunder, ungiftiger Nahrungsmittel.
Die Zerstörung der Umwelt und die wirtschaftliche Krise haben unterschiedliche Folgen für die Gesellschaft. Umweltverschmutzung, Lärm und Streß führen zu physischen und psychischen Krankheiten; Depressionen, Krebs, Allergien und Herz-Kreislaufbeschwerden nehmen rasch zu. Wir müssen erkennen, daß die post-ökonomischen Denkschulen - und dies gilt gleichermaßen für den Kapitalismus und den Sozialismus - sich als unfähig erwiesen haben, eine ökologische, sozial gerechte und demokratische Wirtschaftsordnung zu schaffen. Beide Systeme sind Varianten einer Sozialstruktur, die durch entfremdende Fabrik- und Büroarbeit gekennzeichnet ist, beide Systeme beruhen auf destruktivem industriellen Wachstum. Wir müssen gemeinsam auf eine ökologische Wirtschaftsordnung hinarbeiten, der es nicht vorrangig um industrielles Wachstum geht, denn durch seine kontinuierliche Expansion zerstört unser heutiges industrielles System seine eigenen Grundlagen. Die ökologische Produktion versteht die Beziehung zwischen Mensch und Natur nicht mehr als eine rein ausbeuterische Einbahnstraße, sondern als Partnerschaft, in der bestehende Zusammenhänge berücksichtigt werden. Dies setzt die Umstrukturierung unseres industriellen Systems voraus. Wir befürworten einen Abbau der Industriezweige, die eine unmittelbare Gefahr für das Leben darstellen, also vor allein der Nuklear- und der Rüstungsindustrie. Wir fordern die Abschaffung der Nuklear-, Chemie- und Massengüterindustrie, soweit dies möglich und ökologisch sinnvoll ist. Statt dessen befürworten wir die Entwicklung von Produktionstechniken, die der Umwelt besser angepaßt sind. Diese Techniken sollten wenig Rohstoffe und Energie verbrauchen, wenig gesundheitsgefährdende Abfälle produzieren und im Rahmen kleiner, dezentraler Produktionseinheiten eingesetzt werden. Ökologisch produzieren heißt auch, die hoch entwickelte nationale und internationale Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Wirtschaftseinheiten abzulehnen. Diese Arbeitsteilung hat zu erheblichen Ungleichgewichten zwischen einzelnen Regionen, zwischen Städten und Landgebieten und zwischen Industrieländern und den Ländern der Dritten Welt geführt. Die Folge sind hohe Transportkosten, die den Bedarf an Energie und an Grund und Boden wiederum unangemessen steigern. Durch die Ansiedlung von Produktionsstätten in der Nähe der lokalen und regionalen Verbraucher lassen sich die Transportkosten und der Energieverbrauch verringern. Durch den Übergang von unserer heutigen programmierten Wegwerfkultur zu gesellschaftlich nützlicheren und haltbareren Produkten in Verbindung mit der Aufbereitung und dem Recycling verbrauchter Produkte könnten wir den Rohstoff- und Energiebedarf unserer Wirtschaft allmählich senken und dadurch gleichzeitig unsere Abhängigkeit von Einfuhren und Ausfuhren reduzieren. Eine an den Bedürfnissen der Umwelt orientierte Wirtschaft mißt den Wohlstand einer Gesellschaft nicht nach der größtmöglichen Zahl produzierter Güter bzw. nach dem Bruttosozialprodukt, sondern nach den Produktionsmethoden, die die Umwelt erhalten, die menschliche Gesundheit schützen und lange haltbare Verbrauchsgüter liefern.
In einer ökologischen Gesellschaft sind Wirtschaft, Lebensstil und Verbrauchererwartungen durch Rücksichtnahme auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt sowie Achtung vor der Pflanzen- und Tierwelt gekennzeichnet. Der in den heutigen Industriegesellschaften praktizierte Lebensstil gefährdet die natürlichen Grundlagen unserer menschlichen Existenz. Gegenwärtig kann dieser Lebensstil nur durch eine wachsende Ausbeutung der Dritten Welt aufrechterhalten werden und stellt deswegen kein Modell für die Menschen in der Dritten Welt dar. Damit komme ich auf das Problem zurück, Politikern begreiflich zu machen, warum wir Grünen beispielsweise glauben, daß das australische Uran nicht ausgebeutet werden sollte, oder warum wir versuchen, uns im Bundestag für Ureinwohner ein zusetzen, wenn es beispielsweise um Menschenrechte und Landrechte geht. Wir müssen den inneren Zusammenhang deutlich machen, in dem globale Sachfragen und Probleme stehen, und begreifen, daß Umweltzerstörung keine Grenzen kennt.
- Fabrikschornsteine blasen den Schmutz über die Ländergrenzen und in die Erdatmosphäre.
- Flüsse und Meere werden als billige Müllkippen benutzt.
- Auf der Suche nach Rohstoffen, Holz und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen zerstören die multinationalen Unternehmen vorsätzlich die Regenwälder.
Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Herrschenden in den Industrieländern und in den Ländern der Dritten Welt haben nicht nur zu massiver Industrialisierung und in der Folge zur Verarmung der Menschen in diesen Ländern geführt; sie haben außerdem vor dem Hintergrund der anhaltenden weltweiten Krise in Wirtschaft und Umwelt zu einem ungeheueren Anstieg der Schuldenlast der Dritten Welt geführt.
Außerdem dürfen wir unter keinen Umständen zulassen, daß das Argument der sozialen Gerechtigkeit und der Sicherung von Arbeitsplätzen als Waffe gegen die Lösung von Umweltproblemen benutzt wird! Für uns ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gleichzeitig ein Kampf für sinnvolle Arbeit, für ökologisch und gesellschaftlich sinnvolle Investitionen, für alternative Produktions- und Konversionskonzepte. Genau in diesem Bereich müssen sich Umweltschutzgruppen und progressive Arbeiterbewegungen miteinander verbünden!
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich 1984 zusammen mit Bob Brown in Tasmanien den »Franklin River« besuchte, wo die Staudammarbeiten am Fluß durch zivilen Ungehorsam und andere gewaltfreie Aktionen erfolgreich gestoppt worden waren. Viele der dortigen Bauarbeiter konnten und wollten dies nicht verstehen. Sie sahen nur, daß ihr Arbeitsplatz gefährdet war und daß sie keine Aussicht auf andere Arbeit hatten. Sie hatten keine Vorstellung davon, wie wichtig es für die Zukunft unseres Planeten ist, diese Wildnis zu bewahren!
Ich könnte Euch viele solcher Beispiele aus Europa aufzählen und möchte noch einmal unterstreichen, wie wichtig es ist, den inneren Zusammenhang zwischen ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen noch deutlicher zu machen. Auch wir müssen unser Verständnis dieser Gesamtzusammenhänge verbessern, damit wir andere besser überzeugen können. Dies gilt unabhängig davon, daß wir z.B. bei konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien wie auch bei der traditionellen Gewerkschaftsführung in diesen Fragen mit vielen Rückschlägen und Enttäuschungen rechnen müssen.
Die Grünen in der Bundesrepublik haben eine Kampagne gegen die Ausbeutung des Regenwaldes eingeleitet. Die tropischen Regenwälder sind die Lungen unseres Planeten Erde und sein natürlicher Grüngürtel. Als eines der ältesten Ökosysteme der Welt haben sie in Tausenden von Jahren unter sehr stabilen äußeren Bedingungen eine reiche genetische Vielfalt entwickelt. Hier leben bis zu 50 Prozent aller auf der Erde bekannten biologischen Arten. Politiker und Wirtschaftler müssen endlich begreifen, daß dieses außerordentlich vielfältige System trotz alledem ungeheuer störanfällig ist. Die Zerstörung dieser Wälder führt zu Veränderungen bei der Sonneneinstrahlung, der Wolkenbildung und den Niederschlägen. Außerdem besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Vernichtung der Regenwälder und dem drohenden »Treibhauseffekt«, d.h. der Aufheizung der Erdatmosphäre. Besondere Probleme haben wir mit unserer Holzlobby. Hans Peter Stihl, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, ist gleichzeitig mit einem Anteil von 27 Prozent des Weltmarktes weltweit der größte Hersteller von Motorsägen. 10 Prozent des deutschen Holzbedarfs werden mit tropischen Hölzern gedeckt. Im Rahmen der bilateralen Entwicklungshilfe fördert die Bundesregierung vor allem in Afrika die Ausbeutung von Wäldern durch deutsche Sägewerke und Holzfirmen, indem sie den Bau von Straßen und Hafenanlagen finanziert. In zahlreichen afrikanischen Ländern unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mit Bundesmitteln die Ausbildung von Sägewerksarbeitern. Meistens werden im Rahmen der von der Bundesregierung finanzierten Wiederaufforstungsmaßnahmen nicht die Bäume angepflanzt, die ökologisch für die betreffenden Gebiete erforderlich wären. Bevorzugt werden schnellwachsende Bäume, die wie auf einer Plantage in wenigen Jahren geerntet werden können. Die Grünen haben im Bundestag gefordert, daß die fortschreitende Zerstörung der letzten tropischen Regenwälder ein Ende haben muß. Wir verlangen von der Bundesregierung, daß sie die deutschen Holzfirmen dazu verpflichtet, das Holz aus tropischen Wäldern zu kennzeichnen, damit der Verbraucher bewußt eine Wahl treffen kann. Außerdem verlangen wir, daß sich die Bundesregierung finanziell aus den Projekten der Regionalen Entwicklungsbank der Weltbank, die zur Zerstörung der natürlichen Umwelt indigener Völker beitragen, zurückzieht. Die Hauptursache für die Abholzung der tropischen Wälder in Mittelamerika, Südostasien und Teilen des Amazonas-Beckens ist der Aufbau eines für den Export bestimmten Viehbestandes und die Vergrößerung der Getreideanbauflächen. Der zweite wesentliche Grund für die Vernichtung von tropischen Wäldern ist die kommerzielle Holzproduktion, der jährlich fünf Millionen Hektar Regenwald zum Opfer fallen. Für jeden geernteten Kubikmeter Holz bleibt in dem Einschlaggebiet ein Kubikmeter Abfall zurück, weitere 25 Prozent des Holzes gehen während der Verarbeitung verloren. Die Grünen fordern, daß man den Ländern der Dritten Welt in einem internationalen Abkommen ihre Schulden erläßt, wenn sie als Gegenleistung dafür garantieren, die letzten tropischen Wälder zu schützen. Es muß ein umfangreiches Wiederaufforstungsprogramm mit Bäumen durchgeführt werden, die in erster Linie nach ihrem ökologischen und nicht nach ihrem kommerziellen Wert ausgewählt werden. Entwicklungshilfe, die die Umwelt zerstört, wie dies beispielsweise Plantagenprojekte, große Staudämme, Viehzuchtprojekte und Straßenbauprogramme tun, muß gestoppt werden. Jedesmal, wenn ein Japaner ein paar Einmal-Eßstäbchen wegwirft, ein Amerikaner in seinen Lieblings-Hamburger beißt oder ein Deutscher zur Verschönerung des Badezimmers einen Toilettensitz aus Mahagoni einbaut, werden in den letzten Regenwäldern der Welt weitere Bäume abgeschlagen.« Australien hat seit der Besiedlung durch die Europäer bereits zwei Drittel seiner Wälder verloren. Trotzdem fährt die Holzindustrie mit der Zerstörung unersetzlicher Werte fort. Ich war sehr deprimiert, als ich bei meinem jüngsten Besuch im finnischen Lappland die Zerstörung der nordischen Wälder sah, die 300 Meilen über dem Polarkreis liegen.
Es hat mich sehr empört, als ich erfuhr, daß hier in Australien Bäume abgeschlagen werden, damit daraus Holzspäne gemacht werden. 90 Prozent der Bäume, so berichtete man mir, werden für die Holzspanproduktion abgeschlagen und nach Japan exportiert, nur zehn Prozent werden von örtlichen Holzfirmen verwendet. Die nach Japan exportierten Holzspäne werden beispielsweise zu Packpapier und Druckpapier verarbeitet. Die Japaner haben bereits das meiste kommerziell verwertbare, in langen Jahren herangewachsene Holz in Südostasien, Malaysia und Indonesien abgeschlagen. Wenn es in Australien kein Holz mehr gibt, wandert die Industrie weiter, und Australien bleibt mit einer Umweltkatastrophe zurück. Ich hoffe wirklich, daß man sich bald darauf einigt, die Lemonthyme-Wälder, die Wälder in Süd-Tasmanien und die tropischen Regenwälder in Nord-Queensland in die »World Heritage« Liste aufzunehmen. Der letzte Sommer war ein Sommer der ökologischen Katastrophen - vor allem in der Bundesrepublik. Ich möchte Euch ein paar Zahlen zur Nordsee nennen, weil an diesem Beispiel vielleicht am deutlichsten wird, welche Gefahren es mit sich bringt, wenn Küstengewässer für alle Arten Industriemüll mißbraucht werden. Drei Flüsse - der Rhein, die Maas und die Elbe - transportieren jedes Jahr mehr als 38 Millionen Tonnen Zink, fast 13 500 Tonnen Blei, 5600 Tonnen Kupfer und Arsen, Kadmium, Quecksilber und sogar radioaktiven Müll in die Nordsee. Schiffe verklappen jährlich weitere 145 Millionen Tonnen normalen Abfalls. Außerdem gibt es in der Nordsee nicht weniger als 4000 Bohrlöcher und 150 Bohrplattformen, die durch insgesamt 5000 km lange Rohrleitungen mit der Küste verbunden sind. jedes Jahr laufen aus diesen Rohrleitungen etwa 30 000 Tonnen Kohlenwasserstoff in das Meer. Welche Folgen dies hat, ist leicht feststellbar. Lachs, Stöhr, Austern und Schellfisch sind einfach verschwunden. Die Fische, die überleben, leiden häufig an Hautinfektionen, Knochendeformationen und Tumoren. Vor etwas mehr als zwei Monaten begann das Massensterben der Seehunde an den Nordseeküsten. In Schweden sind allein in den vergangenen Monaten von einer Gesamtzahl von 5000 Tieren mindestens 2400 eingegangen. Und täglich werden mehr tote Tiere an den Stränden angeschwemmt. Wissenschaftler in Neumünster haben bei einigen toten Seehunden eine Autopsie vorgenommen und Spuren von insgesamt mehr als 1000 Toxinen in den Gewebsproben gefunden! Eine weitere Tragödie ist der saure Regen über Europa. Der Himmel über Europa ist vergiftet. Der durch den Ausstoß von Schadstoffen aus Kraftwerken, Autos und Fabriken entstehende saure Regen läßt Gebäude verrosten und vergiftet Seen, den Boden und die Wälder. Außerdem tötet er Menschen. Ohne radikale Gegenmaßnahmen kann der chemische Cocktail über unseren Köpfen nur noch gefährlicher werden.
Unsere Wälder und unsere Gewässer mit ihren Fischbeständen, unsere Kirchen und unsere landwirtschaftlichen Anbauflächen, und nicht zuletzt unsere Lungen, werden angegriffen. Das Auto gefährdet die menschliche Gesundheit übrigens nicht nur durch giftige Abgase, sondern auch durch die große Zahl der durch überhöhte Geschwindigkeit verursachten Verkehrsunfälle, bei denen Menschen ums Leben kommen - in der Bundesrepublik haben wir auf den Autobahnen noch immer keine Geschwindigkeitsbegrenzung! Da der Wind die Schadstoffe von den Fabriken im amerikanischen Mittelwesten nach Kanada oder von Westeuropa nach Norwegen und Schweden trägt, ist die Luftverschmutzung inzwischen zu einem weltweiten Problem geworden. 22 Länder in Westeuropa haben sich nach langwierigen Verhandlungen schließlich darauf geeinigt, die Schwefeldioxidemissionen zwischen 1980 und 1993 um 30 Prozent zu senken. In Europa sind bereits 15 Millionen Hektar Wald zerstört. Auch wenn der saure Regen die Bäume nicht immer unmittelbar tötet, schwächt er ihre Widerstandskraft gegen Krankheiten und Schädlingsbefall. Nun zu einem anderen Thema: Australien muß seine Rolle im Pazifik überdenken, denn es hat nicht nur seine jungen Männer als Kanonenfutter, sondern auch sein Territorium für amerikanische Nuklearstützpunkte, seine Häfen für atombetriebene, atomarbewaffnete U-Boote und seine Flugplätze für die B-52-Bomber der Vereinigten Staaten zur Verfügung gestellt. Die Präsenz dieser amerikanischen Stützpunkte stellt wahrscheinlich in weitaus höherem Maße sicher, daß Australien von den Vereinigten Staaten abhängig bleibt, als der ANZUS-Vertrag! Ich habe in diesen Tagen hier die sogenannten »Goodwill"-Besuche von amerikanischen Kriegsschiffen im Hafen von Sydney erlebt, unter denen sich auch nuklearfähige Kriegsschiffe befanden; dabei gibt es nicht einmal angemessene Eventualpläne für einen Nuklearunfall in einem australischen Hafen! Selbst wenn die Vereinigten Staaten entsprechend ihrer Politik das Vorhandensein von Atomwaffen »weder bestätigen noch bestreiten«, wäre es naiv, anzunehmen, daß sich keine Atomwaffen an Bord befinden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, daß die tasmanische Regierung auf eine entsprechende Frage erklärte, sie verfüge über keine besonderen Pläne, wie bei einem Unfall vorzugehen sei. Australien muß aufhören, ein »passendes Stück Land zu sein in dem eine Reihe wesentlicher Elemente der amerikanischen atomaren Kriegsführungsstrategie untergebracht sind. Der ANZUS-Pakt ist ganz offensichtlich ein nuklearer Pakt geworden! Wahrscheinlich sind Stützpunkte wie Nurrungar sogar dazu in der Lage, an der Forschung und Entwicklung des Star-War-Programms mitzuwirken. Wir hoffen, daß Australien dem mutigen Beispiel Neuseelands folgen kann und wird und erklärt, daß seine Häfen und der Luftraum wirklich atomwaffenfreie Zonen sind, in denen nuklearfähige Schiffe und Flugzeuge verboten sind. Ich halte ein unabhängiges und neutrales Australien, ein atomwaffenfreies und blockfreies Australien für möglich und glaube zudem, daß eine solche Politik auch wirtschaftlich und ökologisch notwendig ist! Meines Erachtens müssen die australischen Umweltschutzbewegung und die australische Friedensbewegung gemeinsam auf eine gewaltfreie soziale Verteidigung hinarbeiten, und wir alle müssen die Inseln im Südpazifik, die eine wirkliche Freiheit von Atomwaffen anstreben, wesentlich wirksamer unterstützen! Australien kann seine Eigenständigkeit auch ohne den ANZUS-Pakt bewahren, und der Pazifik kann zu einem Ozean des Friedens werden, wenn unser gemeinsamer Widerstand gegen die französischen Atomversuche und die Einleitung hoch giftlgen und radioaktiven Mülls in den Pazifik Erfolg hat.
Ich möchte hier noch einmal unterstreichen, daß wir den Zusammenhang zwischen all diesen lebenswichtigen Fragen deutlich machen müssen, denn die Themen Ökologie und Frieden sind untrennbar miteinander verbunden! Ich möchte ein weiteres, außerordentlich tragisches Problem erwähnen: das Thema der Menschenrechte und der Landrechte. Was den Aborigines allein in den letzten 100 Jahren angetan wurde, wäre eher ein Anlaß zur Trauer als zur Feier. Zehntausende von Aborigines wurden gejagt, erschossen, gefoltert oder vergiftet. Wir Grünen sind sehr bekümmert darüber, daß die australische Labour-Regierung, die vor den Wahlen versprochen hatte, den Aborigines die Landrechte, Würde und wirtschaftliche Sicherheit zurückzugeben, in der Praxis davon fast nichts verwirklicht hat. Landrechte sind eine Grundsatzfrage und eine Frage der Gerechtigkeit und sind für jedes indigene Volk von lebenswichtiger Bedeutung. Nur so lassen sich grundlegende Rechte gewährleisten: Unseres Erachtens ist die australische Regierung dazu verpflichtet, die Landrechte und andere völkerrechtlich anerkannte Menschenrechte zu garantieren. Ich fordere die australische Regierung auf dieser Konferenz daher auf, Verhandlungen mit den Aborigines angemessen zu finanzieren und zu unterstützen. Der Völkermord der Vergangenheit und Tragödien wie die Atomexplosion in der Maralinga-Wüste in den sechziger Jahren sowie die verzweifelte soziale, kulturelle, rechtliche und wirtschaftliche Lage der Aborigines heute - diese Tragödie muß ein Ende haben und darf nicht durch die 200-Jahr-Feiern einer Invasion überdeckt werden! Wie ich erfahren habe, plant die australische Regierung, einen Vertrag mit den Ureinwohnern Australiens abzuschließen. Außerdem soll eine neue Kommission (ATSIC) eingerichtet worden sein, in der den Aborigines durch die Einrichtung gewählter regionaler Aborigines-Räte die Möglichkeit zur Beteiligung an den wirklichen Entscheidungsprozessen gegeben werden soll. Ich hoffe sehr, daß es sich dabei nicht um Lippenbekenntnisse handelt! Der Tod von Aborigines in der Haft hat uns außerordentlich bestürzt - amnesty international hat für 1987 mindestens 17 Todesfälle von Aborigines dokumentiert, seit 1980 sind meines Wissens 109 Aborigines im Gefängnis gestorben. Wir haben die »Eilaktionen« von amnesty international, beispielsweise im Fall von Eddy Cameron, unterstützt und waren außerordentlich enttäuscht über die Antworten, die ich von der australischen Regierung und ihrer Botschaft in Bonn erhielt. Ich fürchte, in diesen Fällen kamen sogar die Berichte von amnesty international zu spät. Im August 1988 gelangte ein Bericht der Vereinten Nationen zu dein Schluß, daß Australien seine völkerrechtlichen Pflichten im Bereich der Menschenrechte in bezug auf Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung im allgemeinen mißachtet (Sidney Morning Herald vom 6. Oktober 1988).
Die Muirhead Royal Commission«, die zur Untersuchung dieser Todesfälle im Gefängnis eingesetzt wurde, schließt meines Wissens bis heute noch keine Aborigines ein. Außerdem sind allgemeinere soziale Probleme wie die medizinische Versorgung oder die Vollstreckung von Gesetzen, die bei den Todesfällen im Gefängnis eine Rolle spielten, bis heute noch nicht untersucht worden. Die Todesfälle unter den Aborigines im Gefängnis sind ein weiteres Beispiel für die Folgen der Kolonialisierung und das Ausmaß der andauernden Unterdrückung der Aborigines. Auch hier lassen sich diese Probleme nicht einzeln lösen - sie sind eingebunden in den Zusammenhang von Ökologie, Menschenrechten und Landrechten. In diesen Fragen sollte die Umweltschutzbewegung mit der Menschenrechtsbewegung und der Aborigines-Bewegung zusammenarbeiten. Abschließend möchte ich folgendes sagen: Wenn wir lernen wollen, unseren lebenserhaltenden Planeten zu bewahren und nicht zu zerstören, müssen wir den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Umwelt, Wirtschaft, Menschenrechten und Frieden erkennen. Unser ganzheitliches ökologisches Verständnis muß den Anstoß zu radikalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen auf der ganzen Welt geben!
(Rückübersetzung aus dem Englischen)