Über Frauen und Männer

Wenn die Versklavung der einen Hälfte der
Menschheit und das ganze verlogene System,
das damit zusammenhängt, abgeschafft sind,
dann wird die Unterteilung der Menschheit ih
ren eigentlichen Sinn verdeutlichen, und das
Menschenpaar wird seine wahre Gestalt finden!
Simone de Beauvoir

Isabella und der Bonner Männerstammtisch

Ein Gespräch über politische Moral (1986)

Shakespeares »Maß für Maß« ist eine der wenigen Tragikomödien, die sich mit Fragen der politischen Moral auseinandersetzen. Es ist ein Stück, das sich mit dem Verhältnis von Macht und Moral, mit den Gefährdungen der Macht durch ihren Mißbrauch und mit Fragen nach Taktiken und Strategien der Macht beschäftigt. Mich interessiert, ob nach Ihrer Meinung in dem Stück aktuelle Bezüge zu finden sind.

  • Shakespeares »Maß für Maß« stellt den Mißbrauch von Macht in vielen verschiedenen Variationen dar, in bezug auf das Strafrecht, in bezug auf Moral und Moraltheorie.
    Es zeigt das Verhältnis von Menschen zu der Macht und ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Das für mich entscheidende Problem des Stückes ist die Frage, ob das positive Recht auch tatsächlich Recht ist.
    Ich habe in all den vielen Jahren meines parlamentarischen und außerparlamentarischen Lebens erlebt, daß gerade im Recht häufig viel Unrecht steckt. Das ist ja gerade bei Angelo das Problem, der erklärt, Recht müsse Recht bleiben. Ich finde es sehr empörend, wenn zwei Diebe unter einer Decke stecken und über einen als Geschworene richten, obwohl sie selber viel schlimmer sind als der Angeklagte. Das ist eine Problematik, die ich schon damals, als ich »Maß für Maß« in den USA las, sehr aktuell fand. Ich erinnere mich sehr gut daran. Im politischen Leben wird sehr oft nur danach geurteilt, was im formalen Sinne Recht ist. Das Legitime fällt häufig dem Legalen zum Opfer. Ich möchte hierzu ein ganz einfaches Beispiel anführen: Wenn an einer Straßenecke ein Kind umkommt, weil eine Ampel fehlt, und die Mütter setzen sich illegal auf diese Straße, um eine Ampel zu fordern, so ist dieses Verhalten, obwohl es illegal ist und gegen die Straßenverkehrsordnung verstößt, richtig! Gerichtlich wird ein solches Verhalten jedoch meist als Nötigung betrachtet. Das Recht bleibt also meist auch dann Recht, wenn in diesem Recht das Unrecht drinsteckt. Es ist relativ gefährlich, wenn man auf dieser Ebene bleibt: Recht ist Recht. Man muß gegen den Mißbrauch der Macht Widerstand leisten.

Äußerlich betrachtet scheint »Maß für Maß« sehr unmodern zu sein. Man fragt sich, ob die Verhaltensweisen einer Novizin in einer Renaissancegesellschaft für uns von Interesse sein können. Isabella in »Maß für Maß« erinnert mich ein bißchen an Sie. Finden Sie es unangenehm, daß diese Assoziation von »Nonne« im Zusammenhang mit Ihnen auftaucht? Sie beziehen sich häufig auf sehr radikal christliche Grundsätze. Soweit ich weiß, waren Sie auf einer Klosterschule und wollten ursprünglich einmal Nonne werden...

  • Es hat mich manchmal schon geärgert, als weltliche Nonne bezeichnet zu werden. Man versucht eben immer wieder, aus meiner Biographie ein Klischee abzuleiten. Aber es stimmt natürlich: Ich war in einer Klosterschule und fühlte mich da relativ stark unterdrückt. Dennoch habe ich dort viel gelernt, vor allem diese Disziplin und Härte gegen sich selbst. Ich wollte schon damals eine Nonne werden, die sich sozial engagiert, nicht eine Nonne, die irgendwo im Kloster sitzt und da ihre Gitarre spielt. Sicherlich: Ich habe mir damals in der Schule immer vorgestellt, daß man durch Nächstenliebe viel verändern kann. Wenn ich dann allerdings als Mutter Teresa der »Grünen« bezeichnet werde, finde ich das sehr ärgerlich. Immerhin versuche ich immer wieder, Strukturen anzugreifen, Ursachen aufzudecken. Das tun Nonnen eben meistens nicht. Da wird der Nonnenbegriff für mich schon schwierig. Neulich wurde ich in der Wahlkampfberichterstattung auch wieder als weltliche Nonne bezeichnet. Ich habe damals im Kloster tatsächlich gedacht, daß man eigentlich als Frau keinen anderen Weg hat, als Mutter oder Nonne zu werden. (lacht) Ich habe damals gedacht, es müßte doch möglich sein, politisches und soziales Engagement, das Bemühen um Veränderungen, mit dem Nonnendasein zu verbinden. Das war mein Leitbild, und so wollte ich helfen, zum Beispiel die Situation in der Dritten Welt erträglicher zu machen. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren habe ich dann allerdings mit der Amtskirche von oben gebrochen ...
    Aber gerade in letzter Zeit versuche ich ja wieder den Dialog mit der Amtskirche, weil dieser Männerbund so stark und ungerecht nicht bleiben kann. Als Hans Maier gesagt hatte, daß das Tuch zwischen der Kirche und den »Grünen« zerrissen wäre, da habe ich einen relativ harten Brief an Kardinal Höffner geschrieben. Bisher hatte Höffner auf keinen der vielen Briefe reagiert, die »Grüne« ihm geschrieben hatten. Auf meinen hat er dann doch mit einem sehr lieben Brief reagiert. Er lud zum Gespräch nach der Bundestagswahl ein. Er hat in diesem Brief zum Teil Verständnis für meine Attacken geäußert, hat auch sehr witzig reagiert. Da spricht ein achtzig Jähriger Kardinal nicht von der Kirche, sondern bezieht sich ironisch auf den »von Ihnen so bezeichneten Männerbund«. Ich glaube, es gibt sehr viel Gemeinsames zwischen den »Grünen« und der urchristlichen Kirche der ersten zwei Jahrhunderte. Diese Urkirche hat ja sehr viel Widerstand geleistet, bevor sie zur etablierten Amtskirche wurde, die dann als Großinstitution plötzlich anfing, über Menschen zu herrschen, Kreuzzüge zu veranstalten, im Namen aller möglichen Ideologien und Machtkämpfe zu morden. Es gab aber in der Kirche immer auch Leute, die gegen die Amtskirche und sehr konsequent gewaltfreien Widerstand geleistet haben. Kraft geben uns doch heute nicht die Bischöfe, die zum Teil mit Hitler zusammengearbeitet haben; wirklich bedeutend ist die moralische Kraft zum Beispiel eines Janusz Korczak, der mit den Kindern in den Tod ging. Ich glaube, die Kirche wird wieder lebendig, wenn sie ihre zum Teil sehr dunkle Vergangenheit aufarbeitet. Ich unterstütze daher auch die Kirche von unten, zum Beispiel die alternativen Kirchentage. Das ist ganz lebendige Kirche. Das, was die Kirche von unten fordert, und das, was die »Grünen« fordern, ist in vielen Punkten identisch. Ich versuche, das Prinzip der Nächstenliebe, auch die Bergpredigt, gerade in Bonn, wo solche Leitsätze belächelt werden, sehr ernst zu nehmen. Die Bergpredigt ist für mich ein radikal-politisches Dokument, nicht nur ein spirituelles.

Eine Frage zu dem Thema, ob man bei der praktischen Politik eher mit Taktik oder aufrechtem, moralischem Protest erfolgreich ist.

  • Man kann ja auch innerhalb von moralischen Kategorien listig sein. Natürlich ist jeder erst mal so, wie die Welt ist. Trotzdem finde ich es falsch, die angeblichen Sachzwänge als Alibi zu benutzen, hohe moralische Ansprüche über den Haufen zu werfen. Man sollte moralische Grundsätze nie aufgeben, auch dann nicht, wenn niemand darauf zu reagieren scheint. Ich finde Taktik immer schlecht. Denn mit purer Taktik wird man zum Opportunisten. »Grüne« haben mir vorgeworfen, ich wolle die Grünen« zu einer Art Kirche machen, da ich absolut gegen die Teilnahme der »Grünen« an der Macht sei. Ich glaube, daß uns eine derartige Partizipation nur korrumpieren würde. Viele sagen den »Grünen«, sie sollten jetzt aus taktischen Gründen realistische Schritte fordern und die utopischen Forderungen zurückstellen. Meine Frage ist: Wer stellt dann diese Forderungen noch, wenn wir sie nicht stellen? je mehr wir für die Herrschenden unberechenbar bleiben und mit den Menschen an der Basis direkt und konkret zusammenarbeiten, um so deutlicher sind wir auf dem richtigen Weg, der auch ein moralischer Weg sein kann. Wenn wir uns aber den Herrschenden anpassen mit Taktik und Kalkül, uns anbiedern und »Verantwortung« da oben in Regierungsetagen übernehmen, werden wir ganz schnell ein Bestandteil der traditionellen Macht und können sie kaum mehr transformieren.
Glauben Sie, daß der nicht-taktische, moralisch aufrechte, idealistische Protest jemals so wirksam
sein kann
oder könnte wie eine Politik, die sich auf die Macht einläßt, innerhalb der Macht versucht, V
eränderungen zu
bewirken?
 
  • Ja, ich glaube schon. Es gibt genügend Beispiele dafür: Die Bürgerrechtsbewegung in den USA hat noch nicht mal Leute ins Parlament geschickt und hat über Jahre hinweg durch ihren massenhaften und einfallsreichen Protest vieles bewirkt, Gerichtsentscheidungen, auch Parlamentsentscheidungen verändert, ohne daß sie selber kandidiert hat, Und die britische Suffragettenbewegung für das Wahlrecht der Frauen war ja auch eine sehr unetablierte Basisbewegung. Die gewaltfreien Bewegungen können ungeheuer viel ändern, ohne an die alte, oft verbrauchte Macht zu gehen, ohne selber Macht über andere zu ergreifen. Wenn man sich auf die alte Macht einläßt, Ämter übernimmt und sozusagen Juniorpartner spielt, kann man nicht mehr so radikal sein und muß Kompromisse auch bei Lebens- und Überlebensfragen eingehen. Und von dem Punkt, wo die Kompromisse eintreten, bis zu dem Punkt, wo man alle Positionen aufgibt, ist es nicht mehr weit. Dann kommt wieder eine neue Opposition, die wieder von vorn anfängt und radikalere Forderungen stellt. Ich habe grundsätzlich eine große Abneigung davor, mich den sogenannten Sachzwängen zu unterwerfen, wenn ich sie moralisch nicht verantworten kann. Ich bestehe auf meiner individuellen Verantwortung für die Dinge, die ich tue und unterstütze.

Sie wissen zwar, daß Sie nur eine einzelne Person, eine Frau sind, und trotzdem vertrauen Sie darauf, kraft Ihrer Stärke und Überzeugung vieles bewirken zu können. Nicht zuletzt diese Unerschrockenheit führt dazu, daß man Sie mit einer Nonne vergleicht. Auf dem Theater erinnert das an Figuren wie Isabella oder an die »Jungfrau von Orleans«.

  • Ich finde, es ist immer ein bißchen ein Alibi, wenn man meint, man könne alleine nichts bewirken. Es ist doch falsch, immer und ewig auf bessere Umstände zu warten. Wenn ich permanent warte, wird sich nie etwas ändern. Umgekehrt ist man natürlich mit vielen Menschen zusammen wesentlich stärker. Trotz allem: Manchmal fühlt man sich auch in Gruppen sehr isoliert. Letztlich ist für mich viel wichtiger, eine unabhängige Petra Kelly zu bleiben, anstatt immer nur mit der Grünen Partei identifiziert zu werden. Ich glaube, Frauen sind oft viel eher bereit, radikal zu denken. Sie müssen sich ja viel stärker gegen Widerstand und Ellbogen durchsetzen. Wo sich die Männer auf der taktischen Ebene bewegen, beeindrucken sie vielleicht die Presse, aber sie erreichen für die Menschen wenig. Es ist bezeichnend, daß die Realpolitik von Joschka Fischer und Otto Schily am Männerstammtisch in einem Bonner Restaurant begonnen hat. Ich bin nie dorthin gegangen, ich lehne diese Art von Mauschelei ab. Ich kann nicht zu einer Stammtischschwester werden und Politik so oberflächlich gestalten.

Die Aufdeckung des Skandals bei Shakespeare - und oft genug auch heute - ist häufig nichts anderes als ein öffentliches Schauspiel mit betrügerischen Elementen. Die Öffentlichkeit kann sich bei der Aufdeckung des Skandals momentan erregen, kann ihre Emotionen abführen und muß dann doch akzeptieren, daß sich im wesentlichen nichts ändert.

  • Das ist in der Tat eines der schlimmsten Probleme bei politisch-aufklärerischer Arbeit. Die Häufung der Skandale führt sogar dazu, daß die Leute sie mehr und mehr hinnehmen, verdrängen und vergessen. Wer an den Flick-Skandal zurückdenkt, der weiß inzwischen, daß er verdrängt worden ist. Auch der UBoot-Skandal ist jetzt über Weihnachten im Grunde genommen schon wieder vergessen. Das ist ganz tragisch. Ich war sehr entsetzt, daß die Leute nicht mehr auf den U-Boot-Skandal reagiert haben. Wir schlittern von einem Skandal in den nächsten und in die Aufdeckung dieser Skandale. Schließlich werden diese Skandale und die Korruption von der Bevölkerung mit Politik überhaupt identifiziert. Das führt zu einem großen Mißtrauen gegenüber den Wortführern der Politik.
    Die Politik scheint ja nur noch aus Skandalen zu bestehen: der Neue-Heimat-Skandal, die Reaktionen auf den Unfall von Tschernobyl. In Bonn gibt es kaum noch ein Papier, kaum mehr eine Akte, hinter der nicht ein Skandal steckt. Wenn wir anfangen, diese aufzudecken, ist dies wichtiger als die Teilhabe an der Macht. Wir müssen versuchen, unbestechlich zu bleiben. Dann sind alle Veränderungen möglich.

Anleitungen zum Sturz des internationalen Patriarchats

Rede auf dem Kongreß »Feminismus und Ökologie« (1986)

Wenn ich heute zu dem Thema »Frauen und gewaltfreier Widerstand« spreche, möchte ich als Ausgangspunkt drei Frauen erwähnen, die mir in diesem Zusammenhang sehr, sehr viel bedeuten. Die erste Frau ist eine Frau aus Alabama, Rosa Parks. Sie war eine Frau mittleren Alters, die von der Arbeit kam. Erschöpft und müde setzte sie sich im Autobus auf einen Platz, der nur für Weiße war. Darauf aufmerksam gemacht, ließ sie sich nicht vertreiben und löste durch ihren Widerstand die amerikanische Bürgerrechtsbewegung eigentlich aus. Sie hat die Welt verändert und ist ohne jede Absicht zu einer Heldin geworden. Und ich erwähne die 41 Jahre alte Helen Dery Woodson, Mutter von elf Kindern, davon sind sieben adoptiert. Helen Woodson ist Mitglied der katholischen »Schwerter zu Pflugscharen«-Bewegung in den Vereinigten Staaten und wurde zu einer sehr hohen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie den Lukendeckel eines Silos für eine Minuteman-Rakete beschädigt hatte. Aus christlichen Motiven heraus leistete sie gewaltfreien Widerstand und beteiligte sich an Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Militarisierung und Nuklearisierung. Sie wurde zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Helen Woodson erklärte, daß sie ihren Kindern, zum Teil schwer behindert, einen »bescheidenen« Beitrag für die Arbeit an Frieden und Gerechtigkeit »schulde«. Helen Woodson hatte Anfang dieses Jahres vor ihrer Verurteilung aus dem Gefängnis einem Hamburger Richter, Ulf Panzer, geschrieben. Ich zitiere einen Teil dieses Briefes: »Ich wünsche mir keinen liberalen Richter. Ich möchte nicht von einem Gericht freigesprochen werden oder milde behandelt werden, das die Möglichkeit hat, Atomwaffen für gesetzeswidrig zu erklären, sich aber weigert, das auch zu tun. Mitleid mag ja einem liberalen Richter gut anstehen, aber es geht hier nicht um solche Gesten. Unsere Welt braucht Gesten, die uns von dem Fluch atomarer Waffen befreien... Wenn die wahren Kriminellen frei herumlaufen, dann ist der einzig ehrenhafte Platz für einen anständigen Menschen das Gefängnis. Ich bin deshalb froh darüber, hier im Gefängnis zu sein...« Ich denke an viele Schwestern und Brüder, die zusammen in der amerikanischen Pflugscharbewegung in die Atomwaffenfabriken gewaltfrei eindringen und sich selbst daranmachen, Sprengköpfe abzurüsten. Und die dritte Frau, die ich heute abend erwähnen möchte ist meine Großmutter, meine Omi, die vor einigen Tagen ihren 81sten Geburtstag feierte und die für mich immer eine Art Leitfigur war und bleibt, weil sie mir schon sehr früh in meinem Leben gezeigt hat, daß es richtig ist, da, wo Ungerechtes passiert, Widerstand zu leisten. Es war meine Omi, die mich in meinem Leben oft so solidarisch begleitet hat, mit mir Freiräume entdeckte und auch den Weg hin zur Ökologie und zum Feminismus mit mir ging. Heute ist meine Omi eine kritische Grüne und ein Grauer Panther, und sie gehört zu denjenigen, die Liebe, Zärtlichkeit und die Lust auf ein Kind verteidigen, ohne ihre spezifische Form des Feminismus ohne ihr »Frau-zu-Stehen« preiszugeben. Meine Omi verweigerte sich, so lange ich sie kenne (das sind nun 38 Jahre), immer den Autoritäten, den patriarchalischen Figuren, dem Männerbund von oben in der Kirche, und sie verweigerte sich auch in der Zeit des deutschen Faschismus. Ohne sie wäre ich vielleicht heute gar nicht hier. Eine Schwester aus Greenham Common sagte in einem Interview einmal: »Man hat mir Grausamkeit und Hartherzigkeit vorgeworfen, weil ich meine Kinder zurückgelassen habe, aber ich tue dies doch für meine Kinder. Früher haben die Männer ihr Zuhause verlassen, um in den Krieg zu ziehen. Heute verlassen die Frauen ihr Zuhause, uni des Friedens willen, um Frieden zu stiften.« Und eine andere Frau aus Greenham Common meinte: »An dem Tag, an dem ich den Stützpunkt Greenham Common blockiert habe, hatte ich zum erstenmal das Gefühl, Kontrolle über mein Leben zu haben.« Ich glaube, als Feministin und Grüne, daß die Welt, wie wir sie kennen, nicht so ist, wie sie sein sollte, und daß dies geändert werden kann. Wenn wir versuchen, die Gesellschaft von so bedrückenden und menschenverachtenden Dingen wie nuklearen, chemischen und konventionellen Waffen, von Armut, Sexismus und Rassismus zu befreien, kann es auch hilfreich sein, wenn wir das strukturelle Fundament all dieser Dinge versuchen zu analysieren - das System des internationalen Patriarchats, das in allen politischen und wirtschaftlichen Systemen zu finden ist, ob kapitalistisch oder sozialistisch. Das Patriarchat ist ein in kapitalistischen wie in sozialistischen Ländern dominierendes System der männlichen Vorherrschaft, das die Frauen weiterhin unterdrückt und auch den Männern den Weg zu ihrer Befreiung versperrt. Es ist und bleibt ein hierarchisches System, in dem die Männer den größeren Wert haben und über weit mehr soziale und wirtschaftliche Macht verfügen und die Frauen sowohl unter den bedrückenden gesellschaftlichen Strukturen als auch unter einzelnen Männern leiden. Das internationale Patriarchat tritt in allen unseren Lebensbereichen deutlich zu Tage und berührt fast alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen. Männer stehen im Mittelpunkt der patriarchalischen Welt, im Osten, im Westen, im Süden und im Norden - ob sie es wahrhaben wollen oder nicht. Es gibt so viele Menschen, die verfolgt und unterdrückt werden aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung. Und es gibt Menschen, die infolge ihrer Hautfarbe mißhandelt werden. Aber eine der brutalsten Unterdrückungen ist diejenige, die des Geschlechts wegen verübt wird. Eigentlich geht es um die elementarsten und die einfachsten Menschenrechte das Recht, Frau zu sein, das Recht, sich frei zu bewegen, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht aufs Überleben, das Recht auf Befreiung. Es existieren so viele andere Herrschaftsstrukturen, wie Nation über Nation, Klasse über Klasse, Rasse über Rasse, doch bleibt die Unterdrückung, die Diskriminierung der Frau durch die Männer ein konstantes Merkmal innerhalb jedes anderen Aspekts der Unterdrückung. Die Diskriminierung bildet einen Bestandteil unserer Welt, der in den Augen der meisten Männer und noch vieler Frauen leider Teil der menschlichen Natur ist und somit für viele etwas Unabänderliches symbolisiert. Doch menschliche Verhaltensnormen können sich im Laufe der Jahrhunderte ändern und tun es auch, und deshalb müssen auch diese Aspekte geändert werden. Es gibt für mich keine Form der Herrschaft, die zwangsläufig Teil der menschlichen Natur ist, seien es nun einzelne Akte der Vergewaltigung oder der totale Krieg. Für mich gehören Feminismus, Gewaltfreiheit und Ökologie zusammen; sie sind stark miteinander verknüpft. Und alle drei haben mit einer ganz anderen Form von Macht zu tun. Nicht die »Macht über« oder die »Macht zu beherrschen« oder die »Macht zu terrorisieren« oder »zu unterdrücken«. Wenn wir von einer neuen Art von Macht oder Gegenmacht sprechen, dann sprechen wir eher von der Abschaffung der Macht, so wie wir sie bis jetzt kennen und darunter leiden. Die Gegenmacht der Gewaltfreiheit ist etwas, was uns allen gemeinsam ist, das von allen und für alle einzusetzen ist. An die Stelle von »Macht über« muß die geteilte Gegenmacht treten, die Macht, Dinge zu tun von unten, die Entdeckung unserer eigenen Stärke und Courage im Gegensatz zu einer passiven Hinnahme von Macht, die oft in unserem Namen von anderen ausgeübt wird. Wenn ich diese Macht versuche zu beschreiben, so sagt es eine Aktivistin aus Großbritannien sehr zutreffend: »Ich lasse mich nicht in die Pflicht nehmen, euren Frieden zu halten. Ich halte bereits meinen Frieden. Ich werde keine Strafe hinnehmen und auch nicht widerrufen oder Schuld eingestehen. Ich bin hierfür verantwortlich - zu erleben, wie die Kriegsmaschinerie immer weiterläuft, Atomsilos baut, die Arsenale der Welt mit dem Tod bestückt - und sie mit allen mir zur Verfügung stehenden gewaltfreien Mitteln aufzuhalten. Ich fordere euch auf, Frieden zu halten...« Wenn wir Frauen gemeinsam für Frieden im wahrsten Sinne des Wortes, Frieden mit der Natur und Frieden mit den Menschen, für innere und äußere Befreiung, für die Menschenrechte und für das so wichtige Wort Freiheit arbeiten, so wird dies häufig als Ausdruck unserer sogenannten wahren Natur hingestellt, da die Frauen, wie es immer so scliön heißt, die Wächter des Lebens auf der Erde sind. Ab und zu ist so etwas auch auf ironische Weise in der »Emma« zu lesen. Aber das Gegenteil ist der Fall, und ich glaube für alle hier versammelten Frauen zu sprechen. Wir sind nicht so friedfertig, wie viele meinen! Wir sind friedfertig auf einer ganz anderen Ebene! Wir sind nicht schwach, wir sind nicht so sanftmütig, wie die meisten Männer meinen, und wir sind in der Tat ziemlich zornig, zornig um unserer selbst willen, wegen des tagtäglich gegen uns geführten Großen und Kleinen Krieges und zornig um des ganzen Planeten Erde willen. Wir sind politisch motiviert, haben aber unseren Glauben an das politische Establishment schon lange verloren und lassen uns nicht mehr auf die Ebene der Politik des Privaten abschieben. Wir machen Politik auf unsere Weise! Das heißt auch die Freiheit, über unser eigenes Schicksal zu bestimmen, das heißt, frei zu sein von Ausbeutung und Gewalt und in unseren Gedanken und in unserem Handeln, an unserem Arbeitsplatz, in unserem Verhältnis zur Natur und im Verhältnis zwischen Männern und Frauen, zwischen Generationen und zwischen Staaten frei zu werden von Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Wir müssen den Kreis der Gewalt (den Großen Krieg und den Kleinen Krieg) und unsere eigenen Ängste durchbrechen: Gemeinsam müssen wir uns diesen Ängsten stellen und in der Lage sein, anderen Mut zu machen, Mut zu machen, Widerstand zu leisten. Wir sind nicht bereit, wie die Helden der Geschichte für eine Sache zu sterben. Wir wollen den Mut aufbringen, für eine Sache zu leben. Viele von uns hier sind von einer ganzen Reihe von Menschen inspiriert worden, die für die Gewaltfreiheit eingetreten sind, darunter Männer wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King, Cesar Chavez. Andererseits wissen auch viele von uns hier noch allzu wenig über die vielen mutigen Frauen in der Vergangenheit, die Gewaltfreiheit praktiziert haben, zivilen Ungehorsam geleistet haben, doch damit nicht dieselbe Aufmerksamkeit erregt haben wie die gerade erwähnten Männer. Frauen wie Dorothy Day, Frauen aus Greenham Common, die Frauen der bolivianischen Bergarbeiter, Frauen in unabhängigen Friedens- und Ökologiegruppen in ganz Osteuropa, die sahrauischen Frauen, Frauen überall auf der Welt, die immer wieder an dem Sturz des internationalen Patriarchats beteiligt sind. Mir ist in den vielen Jahren meiner Arbeit innerhalb der internationalen Friedens-, Ökologie- und Frauenbewegung aufgefallen, daß etwas ganz Besonderes passiert bei dem Ausüben des gewaltfreien Widerstandes und des zivilen Ungehorsams. Wir wissen, daß bei der Ausübung des gewaltfreien Widerstands wir auch bereit sein müssen, Leiden auf uns zu nehmen und auch die Strafe dafür in Kauf zu nehmen. Doch eines ist mir dabei ganz klar geworden: Frauen, überall in der Welt, die freiwillig Leid und Bestrafung auf sich nehmen in diversen Befreiungskämpfen oder im Widerstand gegen Machtstrukturen - ihnen wird weniger Beachtung zuteil und weniger moralische Tapferkeit zugestanden, als es bei Männern der Fall ist. Ich denke dabei an das aktuelle Beispiel der Frauen von Greenham Common. Die männlichen Medien haben sich wie so oft auf die Familien dieser Frauen konzentriert - die Männer und Kinder, die allein zurecht kommem müssen - und haben alle Hindernisse, alle Schwierigkeiten der Frauen in einem der kältesten Winter, die England je erlebt hat, völlig heruntergespielt. Viele Männer, die mit und neben uns um die Veränderung der Verhältnisse kämpfen, vergessen auch allzu oft, daß ein alltäglicher Kleinkrieg gegen Frauen stattfindet. Und sie vergessen oder verdrängen die Formen und das Ausmaß der patriarchalischen Gewalt, wenn es um den Alltag geht. Wir sollten eine Kette um die Welt bilden und nur jene Männer lieben, die bereit sind, gegen Gewalt auf allen Ebenen einzutreten. Wir sollten nur mit den Männern zusammenarbeiten, die Gewalt ablehnen, die sich unserem Kampf für unsere Befreiung mit anschließen. Wie oft erleben wir das etwas mitleidige, ironische Lächeln der Männer in den sozialen Bewegungen, wenn wir ganz offen mit unserer Angst um uns, um unsere Kinder, um die Bäume, Tiere, Pflanzen und um die Erde umgehen. Und wenn wir davon sprechen, daß wir die Strategie des zivilen Ungehorsams auf mannigfache Weise von unseren eigenen kleinen Kindern lernen können, die instinktiv wissen, wie sie sich schlaff und widerspenstig geben müssen, wenn sie sich nicht von der Stelle bewegen lassen wollen. Und so üben gerade kleine Kinder, in einer Welt der Erwachsenen, doch eine Art Macht aus, die uns zwingt, entweder ihren Willen zu brechen oder aber ihre Bedürfnisse und Wünsche zu berücksichtigen. Es muß immer schwerer werden, unseren Willen zu brechen. Und deswegen heißt dies für uns weiterhin, auf die Türen der Atombasen, der Waffenfabriken, der Apartheidbanken zuzugehen; das heißt, uns vor den Toren der militärischen Stützpunkte, der chemischen Fabriken, der patriarchalischen Verbände (ob Gewerkschaften oder Unternehmer) niederzulassen, und es heißt, dadurch ein Stück stärker und mutiger zu werden. Dann wird vielleicht die Entfernung zwischen unseren Überzeugungen und den Einschränkungen unseres täglichen Lebens aufhören zu existieren. Wenn wir endlich so weit kommen können, daß niemand unseren Willen bricht und daß wir in die Lage kommen, diejenigen zu blockieren, die unsere Zerstörung planen und mit einbeziehen. »Weder Kochtopf noch Stahlhelm« - so war die Forderung in den 70er Jahren, und sie ist immer noch aktuell. Wir sind nicht so »hold und friedfertig«, wie es die Anhänger einer Ethologie einer um so ausbeutbareren »natürlichen Weiblichkeit« gerne hätten... Gerade wir hier in der Bundesrepublik wollen als die bisher »Ausgeschlossenen« aus dem Militärbereich, als Frauen bei männlicher jahrhundertelanger Vorherrschaft, die noch so günstigen Voraussetzungen unseres Ausgeschlossenseins nutzen und einsetzen, um so die Neigung zum Pazifismus und zum Feminismus zu stärken. Wir dürfen uns jedoch niemals verleiten lassen zu sagen, daß es eine natürliche Identität von weiblichem Wesen und Pazifismus gibt. Es kommt vielmehr auf die Machtverhältnisse und auf die kulturellen Einflüsse an. Und auf der anderen Seite haben wir ebenso genug von solchen Frauen, die sich an die männliche Vorherrschaft und an die Werte und Maßstäbe der Männerwelt angepaßt haben und damit selbst männliche Sachzwänge und deren Logik übernommen haben. Das Beispiel Margaret Thatcher spricht für sich allein. Wenn wir Widerstand gegen die Einbeziehung der Frauen in die Bundeswehr leisten, wenn wir darauf aufmerksam machen, daß wir nichts mit solchen Strukturen zu tun haben wollen, und wenn wir auch ebenso intensiv für das Recht auf Totalverweigerung für Männer kämpfen, für das Recht, daß keiner in irgendeine Armee der Welt gehen muß, haben wir wieder eine Neuauflage der Debatte in den 70er Jahren, als es eine Diskussion darüber gab, ob es eine Gleichberechtigung von Männern und Frauen in bezug auf den Zugang zu den Armeen geben soll. Peggy Parnass schrieb einmal: »Sollen wir, für das bißchen Leben, das wir haben, nicht lieber auf der anderen Seite, an der richtigen Stelle kämpfen - gegen den Rüstungs- und Militärwahnsinn überhaupt?« Es kann, meiner Meinung nach, nicht feministische Logik sein, wie sie trotzdem manchmal durchsickert, sich den freien Zugang zu allen Berufsbereichen zu erstreiten, egal wie unmenschlich sie sind. Eher müssen wir alle unsere Kräfte sammeln, um endlich Armeen abzuschaffen, um Tötungs- und Vernichtungspotential abzuschaffen, welches zur Zeit von Millionen Menschen bedient wird. Wir selber wollen keine Gleichberechtigung innerhalb von Strukturen, die zur Ausbeutung, zu Gewalt und Krieg führen. Gleichberechtigung hat nichts mit der Übernahme von patriarchalischen Werten zu tun. Die Tatsache, daß Frauen selten als Soldatinnen mit der Waffe in der Hand auftreten, hat nichts mit geringerer weiblicher Aggressivität zu tun oder mit einer größeren Friedensliebe von Frauen. Ich bin zum Ergebnis gekommen, daß Frauen nicht weniger aggressiv sind als Männer, sondern daß sie, wie Herrad Schenk beschreibt, ihre Aggressivität in anderer Form äußern. Die Feministin Herrad Schenk beschreibt in zutreffender Weise, daß das, was viele für anerzogene größere Friedfertigkeit halten, in der Regel nichts weiter ist als ein Ergebnis des Abhängigenstatus: größere Kompromißbereitschaft, größere Bereitschaft, sich zufriedenzugeben mit dem, was ist usw. In vielen Teilen der Welt sind Frauen allein wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit spezifischen Gewaltformen und Repressionen ausgesetzt, die nicht eine Ausnahmesituation darstellen, sondern in den kulturellen, gesetzlichen und familiären Strukturen verankert sind. Und ich stimme Cheryl Benard und Edit Schlaffer zu, wenn sie in ihrem Buch »Die Grenzen des Geschlechts« meinen, ob links oder rechts, ob fundamentalistisch, atheistisch, kommunistisch oder Subkultur, der Machismo macht alle Männer zu Brüdern, wenn es darum geht, Frauen dort zu belassen, wo sie hingehören: ganz unten. Doch wenn wir über das Patriarchat sprechen und über die Produkte eines solchen Patriarchats, wie zum Beispiel Kriege, so dürfen wir nicht so tun, als ob Frauen mit den Kriegen der Männer nichts zu tun und nichts zu schaffen hätten, und wir dürfen nicht so tun, als wenn es in einer frauenbestimmten Gesellschaft keine großen Konflikte gäbe. Spontane menschliche Aggressivität und deren Ursachen liegen in wirtschaftlichen und in anderen Machtinteressen, die sehr oft von patriarchalischen Strukturen begleitet werden, aber nicht immer ist allein das Patriarchat der Auslöser. Frauen werden in Kriegen in erster Linie Opfer, sie werden in Gefangenschaft verschleppt, vergewaltigt und getötet. Es gibt aber auch Frauen, die an den gerechten Krieg glauben und sich dafür in begeisterter Weise einsetzen können. Und es gibt andere, wie zum Beispiel Florence Nightingale, die als Reformerin der militärischen Krankenpflege ihre Aufgabe darin sah, die schlimmsten Auswirkungen eines Krieges zu lindern, ohne auch nur die Frage nach seiner Berechtigung zu stellen. Im Zusammenhang mit den meisten Kriegen haben Frauen durchaus eine aktive Rolle gespielt, leider als Stützen und als Handlangerinnen der Männer, die Krieg führten. Herrad Schenk recherchierte, daß 1913 700 000 Frauen in der Rüstungsindustrie beschäftigt wurden. In Fabriken zur Herstellung von Granaten, Spreng- und Wurfminen war die Belegschaft bis zu vier Fünfteln weiblich. 1943 war jede vierte Beschäftigte in der Rüstungsindustrie eine Frau. Viele Frauen waren in den Kriegen für die materielle und auch die immaterielle Versorgung der kämpfenden Männer zuständig. Und damit muß Schluß gemacht werden: Wir müssen Frauen ermuntern, nicht mehr für diejenigen Männer zu sorgen, die Krieg vorbereiten und daran in irgendeiner Weise beteiligt sind. Wir müssen auch achtgeben, daß mit dem Begriff der »angeborenen Mütterlichkeit« nicht weiterhin manipuliert wird, in dem Sinne, daß Mütterlichkeit als eine Ideologie dargestellt wird, die Mütter dazu bringen soll, für sich und ihre Kinder immer größere Opfer zu bringen. Ich wehre mich dagegen, daß wir uns zu stark auf Begriffe wie Mütterlichkeit und Mutterschaft berufen, weil wir damit wieder die traditionellen Geschlechtsrollen verfestigen und an der starren Aufgabenteilung festhalten. Während und nach dem Tschernobyl-Unglück konnte man diese Fixierung auf »neue Mütterlichkeit« in der kritischen Literatur über den Atomunfall zwischen den Zeilen lesen. Auch der Versuch, das Militär durch die Miteinbeziehung der Frauen in die Bundeswehr zu unterwandern, ist sinnlos. Aber wir müssen uns der Realität stellen, daß, wenn früher oder später Frauen ins Militär miteinbezogen werden können, viele Frauen dies auch wahrscheinlich auf freiwilliger Basis tun werden. Und wir wissen, mit welchem Teufelskreis das zu tun hat: mit unzureichenden Arbeitsplatzangeboten und unzureichenden Ausbildungsangeboten. Eine neue und phantasievollere Kampagne zur Verweigerung aller Dienste von Frauen für den Fall eines Krieges muß eine Priorität für uns werden! Wir müssen zu den Arbeitsämtern und Kreiswehrersatzämtern gehen und erklären, daß wir niemals bereit sein werden, Pflegedienste zu übernehmen, Aushilfsarbeiten zu übernehmen, wenn diese irgend etwas mit Krieg zu tun haben. Erst wenn uns allen bewußt wird, wie stark wir in die Vorbereitungen von Kriegen mit verwickelt sind, können wir mit Christa Wolf fragen: »Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?« Das Thema Widerstand und Frauen bringt mich auch zu dem Punkt: die Gewalt der Sanftmut! So der Titel eines Beitrages in einer einflußreichen philippinischen Tageszeitung über eine Revolution, die ganz anders als sonst stattgefunden hatte. Die Bilder verblassen, doch ich vergesse sie trotzdem nicht. So viele von uns waren auf ein grausames Blutbad gefaßt, doch statt dessen haben wir erlebt, daß sich rebellische Soldaten und Aufständische in den Armen lagen und daß viele Menschen den Soldaten Blumen schenkten. Die Revolution auf den Philippinen wurde in der Überzahl von philippinischen Frauen, jungen und alten, geführt. Und diese Revolution fand tatsächlich statt. Hinter dem Lächeln der Frauen und hinter ihren ausgestreckten Händen verbargen sich Mut, Zivilcourage und eine eiserne Entschlossenheit, die Marcos-Diktatur zu bekämpfen. Corazon Aquino erklärte vor kurzem im amerikanischen Kongreß, es gebe jedoch nur eine wirkliche Befreiung - durch das Volk selbst. »Nur ein Volk, das in seinen Herzen und Taten bereits souverän ist, kann seine Unabhängigkeit und Freiheit gewinnen und erhalten.« Als Marcos die Presse und Funk und Fernsehen noch fest im Griff hatte, waren es philippinische Journalistinnen, die ihn und seine »Big-Brother"-Diktatur in Artikeln angegriffen hatten. Es waren vor allem die Frauen, die für die sofortige Wiederherstellung der Pressefreiheit gekämpft haben und die alle Risiken auf sich nahmen und bereit waren, die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen. Die Frauen auf den Philippinen fanden in den letzten Monaten der Marcos-Diktatur immer neue Wege zu sagen, was sie zu sagen hatten. Verbannt von den Bildschirmen und verboten in den Zeitungen, mischten sich Journalistinnen unter die Bevölkerung, mit eigenen Flugblättern und Forderungen. Nonnen stellten Dokumentationen über Menschenrechtsverletzungen zusammen, andere Frauen organisierten diverse Kurse, in denen sie das politische Bewußtsein der Bevölkerung schärfen wollten. Und in der entscheidenden Phase der Präsidentschaftswahlen im Februar standen die philippinischen Frauen, die Nonnen, die Studentinnen, die Berufstätigen, die Mütter, in vorderster Front. Es waren Corazon Aquino und ihre vielen Schwestern, die die Menschen zum zivilen Ungehorsam gegen Marcos aufgerufen haben. Bis jetzt war es eine Revolution, getragen von Frauen, die Marcos stürzte. Und ich hoffe, daß es weiterhin eine Revolution der Frauen bleibt. Vor Monaten hatte ich die Gelegenheit, mit einer indischen Feministin in Irland zu diskutieren. In Indien gibt es eine aktive Frauenbewegung, die zu ihren Mitgliedern einige der radikalsten Frauen unserer Gegenwart zählt. Gleichzeitig ist Indien das Land, in dem eines der dramatischsten Gewaltverbrechen gegen Frauen zum Alltag gehört: die Verbrennung von jungen Ehefrauen. Mitgiftmorde sind ein weiteres makabres Beispiel für die Geringschätzung indischer Frauen. In der südostindischen Hafenstadt Madras haben Frauen der untersten Kasten ihr Schicksal sehr wirkungsvoll in die eigenen Hände genommen. Viele dort lebende Frauen sind Mitglieder des »Working Women's Forum«, einer selbständigen Frauengruppe. Ungewöhnliches findet dort statt: Einzeln stehen die Frauen auf, reden mit klarer, kräftiger Stimme. Frauen, denen Tradition und von Männern geforderte Verhaltensregeln öffentliches Schweigen auferlegen, melden sich zu Wort, äußern ihre Meinungen und Forderungen. Die Forum-Frauen in Madras haben Kindertagesstätten eingerichtet, Abendschulen organisiert, Trainingskurse für Handwerksarbeiten veranstaltet und haben sich gesellschaftspolitische Ziele gesetzt, die überall Aufsehen erregen. Eine Frau der Forum-Zentrale erklärt: »Wir sind nicht angetreten, einen Kampf Frauen gegen Männer« zu schüren. Unser Ziel ist, Frauen und Männer zu ermutigen, ihre Lebensverhältnisse gemeinsam zu ändern. Die vom »Working Women's Forum« in Madras praktizierte Solidarität zeigt einen Weg, aus dem Dilemma herauszukommen.« Allein in Madras gehören 23000 Frauen dieser Bewegung an. In den Dörfern weiterer südindischer Staaten sind es noch einmal 14000. Mit Kleinkrediten fing das Forum an. Doch mit diesen Krediten ist etwas in Gang gekommen, das nicht nur mit Geld zu tun hat. Es hat damit zu tun, daß Frauen den ersten Schritt getan haben, sich auch außerhalb der Familie zu organisieren. Als weiteres Beispiel möchte ich den Kampf des sahrauischen Volkes um Unabhängigkeit und ums Überleben in den Flüchtlingslagern auf dem algerischen Grenzgebiet anführen - ein Kampf, der zum großen Teil von den sahrauischen Frauen getragen wird. Die dortige Verteilung der Hilfsgüter, die erfolgreiche Gesundheitsversorgung, die Alphabetisierungskampagnen, die in den Lagern organisiert werden, und der Bau von Hospitälern und Kliniken in der Wüste wie auch der geplante Bau eines zentralen Gymnasiums - all das steht und fällt mit den sahrauischen Frauen. Das, obwohl zumindest unsere Vorstellung von einer islamischen Gesellschaft genau das entgegengesetzte Frauenbild suggeriert. In den letzten zwei Jahren meiner Arbeit hatte ich Kontakt mit Vertreterinnen der sahrauischen Frauenorganisation. An dieser Stelle möchte ich auch sagen, wie wichtig es ist, daß Frauen aus autonomen Frauenprojekten, Frauen, die grüner Parteipolitik nahe stehen oder Frauen, die sich im Kampf gegen den § 218 eingesetzt haben, sich auch mit ihren Schwestern in der Dritten Weit wirksamer solidarisieren. Diese Solidarität zwischen Frauen aus unterschiedlichen Ländern entsteht aus subjektiver Betroffenheit, aus gemeinsamer Unterdrückung, aus den gemeinsamen Interessen. Wir, westliche Frauen, die unseren Schwestern in der Dritten Welt gerne Solidarität aktiv zeigen möchten, tun uns noch häufig sehr schwer damit. Eine solidarische, internationale Frauenbewegung ist ein noch sehr fernes Ziel. Im Zusammensein mit Frauen aus anderen Ländern wird uns klar, daß wir aus unseren Unterschiedlichkeiten lernen können und gleichzeitig alle unsere unterschiedlichen Wege gehen müssen. Bewußte Solidarität setzt nämlich zunächst Bewußt-Sein über die eigene Situation voraus. So rufe ich eine Demonstration in Paris in Erinnerung, im Oktober 1977, als 350 schwarze Frauen aus Afrika, Amerika und den Antillen über ihre Diskriminierung diskutiert haben und zu dem Schluß kamen: »wir wollen nicht - wie die algerischen Frauen zuerst dem nationalen Befreiungskampf dienen, um dann wieder ins Haus zurückgeschickt zu werden und chauvinistischen Traditionen - wie vorher - unterworfen zu sein.« Die sahrauischen Frauen sind für viele Frauen in der Welt ein wichtiges Beispiel und Ansporn für Widerstand. Nach Ansicht vieler ist die Rolle der Frau im Kampf des sahrauischen Volkes um seine Befreiung so stark, sind die sozialen und politischen Konsequenzen dieser Rolle so weit vorangetrieben, daß diese Entwicklung nicht nach dem Sieg des sahrauischen Volkes gestoppt oder gar zurückgenommen werden kann wie in Algerien. Wir wissen, daß sich in der Dritten Welt die Herrschaftsfrage direkter und offener und für jeden auf den ersten Blick sichtbarer stellt. Das heißt aber weiterhin, daß wir uns selbst hier helfen müssen und daß wir hier zu Hause nicht scheitern dürfen. Nur so können wir unseren Schwestern anderswo wirksam helfen. Wenn wir zum Beispiel wirksame gewaltfreie Methoden der Konfliktaustragung und -lösung hier entwickeln, motivieren wird damit auch unsere Schwestern anderswo, weil wir helfen, Auswege aus der Gewalt zu finden. Ich möchte noch kurz einige andere Beispiele nennen, die Hoffnung machen. Das Frauenzentrum »Flora Tristan« in Lima, das seit 1979 besteht und seit 1983 von Terre des Hommes mit unterstützt wird. Es kämpft gegen die Unterdrückung der Frau und für eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen in den Elendsvierteln Limas. Dabei unterstützt und berät das Zentrum vor allem örtliche Frauengruppen, motiviert die Frauen, sich zusammenzuschließen, und leistet Bewußtseinsbildung. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf einem Frauen-Gesundheitsprogramm, das die Bereiche Sexualität und Familienplanung und Gesundheit umfaßt. Das Frauenzentrum »Flora Tristan« will dazu beitragen, daß sich Frauen und Männer der Rechte der Frauen bewußt werden, und dazu gehört das Recht auf ein selbstbestimmtes Sexualleben ebenso wie die Entscheidungsfreiheit darüber, Kinder zur Welt zu bringen. Die Nationale Vereinigung der Bauersfrauen in Bolivien ist ein weiteres Beispiel. Ziel dieser Vereinigung ist es, stärkere Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben zu erreichen, besonders was die Einbeziehung der Frauen in dörfliche Diskussions- und Entscheidungsprozesse angeht. Eine weitere Bewegung in Kenia, die von vielen Frauen mitgetragen wird, ist die »Grüngürtel Bewegung«. Konzipiert wurde die Bewegung als Kampagne gegen unkontrollierte Abholzung und für die langfristige Wiederaufforstung von der Kenianerin Wangari Matthai. Die »Grüngürtel-Bewegung« ist weit über die Landesgrenzen Kenias bekannt. Die Geschichte des Widerstandes der Frauen in Südafrika gegen die Apartheid-Gesetze ist eine, die wir niemals vergessen dürfen. Ein wichtiger Markstein in der Geschichte der südafrikanischen Widerstandsbewegung war die Kampagne der Übertretung von Apartheidgesetzen (defiance campaign), die von vielen Frauen vom ANC im Juli 1952 gestartet wurde. Ich erinnere dabei an das Beispiel von »Mama« Annie Silinga. 1970 verweigerte ihr die Regierung eine Sozialrente, weil sie sich weigerte, einen Paß zu tragen. Sie behielt diese Haltung bis zu ihrem Tode bei und erhielt infolgedessen keine Rente. Ungeachtet einer Operation, bei der ihr beide Beine amputiert wurden, setzte »Mama« Silinga ihren Kampf für ein nichtrassistisches, demokratisches Südafrika fort. »Mama« Annie Silinga starb im Juni 1984. Und laßt uns nicht die »Mütter der Plaza del Mayo« vergessen. Es waren die Mütter der Verschwundenen, deren zu Beginn belächelte Protestformen das Bewußtsein fast der gesamten argentinischen Bevölkerung für die Bedeutung von Menschenrechten weckten. Eine dieser Mütter antwortete in einem Interview: »Die Geschehnisse haben uns für immer verändert. Wir werden nie wieder diejenigen sein, die wir vorher waren.« Die argentinischen Mütter der Verschwundenen begannen mit ihrem öffentlichen Protest 1977, zu einer Zeit, in der das Militärregime unangefochten im Sattel saß. Die lange Erfahrung, ausgelacht und angespuckt und tätlich angegriffen zu werden, hat die Mütter persönlich und politisch verändert. Am Anfang waren es 30 - einige Jahre später waren es schon 400 Mütter! Und Frauen sind auch die treibende Kraft der Opposition gegen die chilenische Militärdiktatur. Mit erhobenen Händen, friedlich und ruhig, ziehen die Frauen in einem Sternmarsch mit einem weißen, einem blauen und einem roten Band durch die Straßen. »Alle Macht den Frauen?« - »Bloß nicht, weder alle, noch gar die übliche!«, sagte Lorena aus Chile in einem Interview. Die übliche Macht tritt sehr oft bei großen Frauendemonstrationen in Gestalt von Wasserwerfern, Tränengas, Kampfmaschinen mit Helm und Schlagstock entgegen. Die Frauen, die das »Überlebenskommando« ergriffen haben und sich in »Frauenkommandos« organisieren, geben nicht auf - sie suchen und entdecken die andere »Macht von unten«. Und ich möchte die Frauen nicht vergessen, die schon seit sehr langem die Bewegung für einen atomwaffenfreien Pazifik unterstützen und dort eine entscheidende Führungsrolle beim Aufbau der pazifischen Bewegungen gegen Militarismus und Atomkraft spielen. Darlene Keju-Johnson von den Marshall-Inseln erklärte: »Du kannst niemals das Geräusch vom Zünden dieser Bomben vergessen. Und jetzt haben unsere Menschen große Wucherungen, Quallenbabys, Schilddrüsenprobleme. Unsere Gattung ist in Gefahr. Ich muß meinem Volk helfen zu verstehen, was geschehen ist und wie wir damit umzugehen haben.« Eine ganze Reihe von Frauengruppen, über den ganzen Pazifik verbreitet, spielen eine politische Schlüsselrolle im Kampf um einen atomfreien Pazifik. Und Janet McCloud, eine Großmutter des indianischen Widerstands, darf ich an dieser Stelle nicht vergessen. Janet McCloud gehört zu denjenigen, die sich zu Beginn der 60er Jahre mit Protestaktionen gegen die ihre Fischereirechte einschränkenden Gesetze der US-Regierung zur Wehr setzten. Janet McCloud ist seitdem auf vielen Ebenen aktiv, für politische Gefangene, für indianische Frauen, stark verbunden mit der Alternativ- und Ökologiebewegung und darüber hinaus eine Frau des Widerstands. Janet McCloud initiierte diverse Selbsthilfe- und Selbstversorgungsprojekte für Frauen, plante Gesundheitszentren und versucht, das Prinzip der Selbstversorgung bei den indianischen Frauen voranzubringen. Janet McCloud ist eine der ersten Frauen, die uns indianische Weltsicht mit ihrem politischen Wirken näherbrachte. Und ich denke an die Frauen in Island, die zum zweiten Mal innerhalb von zehn Jahren eine landesweite Arbeitsniederlegung der Frauen in Island organisiert hatten. Arbeiterinnen, Angestellte, Hausfrauen, Rentnerinnen, Bäuerinnen und Frauen aus vielen Bereichen verweigerten die Arbeit am 24. Oktober 1984. Damals sagte ein städtischer Abgeordneter: »Einen Tag lang können wir ohne Frauen auskommen, aber keinesfalls länger.« Die Antwort ist ganz einfach: Wie wär's mal mit einer Woche Frauen-Streik und Arbeitsniederlegung bei uns? Und zuallerletzt möchte ich die irischen Frauen einer Supermarktkette in Irland erwähnen, die es geschafft haben, Verweigerung am Arbeitsplatz durchzuführen. Es begann mit einer jungen irischen Kassiererin in einem Supermarkt, die sich strikt weigerte, südafrikanische Produkte in ihre Kasse zu tippen. Und somit war der erste Schritt getan, in einer öffentlichen, wirksamen Kampagne gegen südafrikanische Produkte in irischen Supermärkten. Dies waren nur einige Beispiele, die uns Mut machen sollen, die aber auch andeuten, daß es um weit mehr geht, als nur um die eigene, persönliche Befreiung. Es geht auch um ganzheitliches Denken, um lebende Systeme, in denen es keine Unterdrückung und Herrschaft geben soll. Es ist an der Zeit, feministische Zukunftsforschung zu betreiben, handfeste Zukunftsgestaltung, gepaart mit starker visionärer Kraft und Intuition. Es ist an der Zeit, das zu analysieren, was die Ökonomin Hazel Henderson, die Ärztin Helen Caldicott, die Ärztin Rosalie Bertell, die New-Age-Reporterin Marilyn Ferguson und viele andere Frauen fordern und mitgestalten. Wir lehnen ein Bündnis mit den herrschenden Normen der Männerkultur ab. Es geht uns nicht darum, die Vorzeichen männlich/weiblich umzukehren, und es geht nicht darum, männliche Werte zu übernehmen. Es geht uns aber darum, einen größtmöglichen Freiheitsgrad für alle Individuen zu erkämpfen, und es geht uns darum, das Raumschiff Erde nicht untergehen zu lassen. In dem Theaterstück von Henrik lbsen »Nora oder Ein Puppenheim« packt die Heldin zum Schluß die Koffer und verläßt das Puppenheim. »Wohin gehst du, Nora?«
Wir sind dabei, diese Frage zu beantworten.