Einführung

»Ich bin nicht furchtbar daran interessiert, ob Feminismus in die akademische
Literaturwissenschaft als ehrbarer Teil integriert wird; ich bin sehr darum besorgt,
daß feministische Kritikerinnen zu einem nützlichen Teil der Frauenbewegung werden.«
Lillian S. Robinson

»Was wollen feministische Kritikerinnen? Und wie können literaturwissenschaftliche Seminare es ihnen geben? (...) Was wollen literaturwissenschaftliche Seminare? Und wie können feministische Kritikerinnen ihnen das geben? (...) Was Literaturkritikerinnen sich am meisten von literaturwissenschaftlichen Seminaren wünschen, ist die Chance, die Kategorien zu definieren, zu denen wir gelangen, wenn wir über die umwälzenden Veränderungen, die wir durchgemacht haben, nachdenken. Was literaturwissenschaftliche Seminare von feministischen Kritikerinnen
verlangen sollten, sind exakte, verantwortungsvolle Revisionen von uns, unseren Texten, unseren Traditionen. Diese Revisionen könnten auf zweierlei Weise funktionieren -, als neue Visionen und Verständnis unseres literarischen Lebens und als Umgestaltungen dieses Lebens. Das... deutet eine Möglichkeit an, die seit der Romantik nur wenige Menschen ernst genommen haben: die Möglichkeit, daß wir durch das Studium der Literatur unser Leben erneuern können.«
Sandra M. Gilbert

»Unser Leben in die Theorie Unsere Theorie in die Handlung.«
Merle Woo

Literatur und Leben, feministische Literaturkritik und Veränderung: unumstritten ist nur, daß sie verknüpft sind. Wie die Verbindungen zu beschreiben sind, was zuerst kommt, die zufriedenstellende Theorie oder die Umsetzung in die Tat, auf welcher Ebene die Tat anzusetzen ist, das bleibt in einer zersplitterten Frauenbewegung Gegenstand erbitterter Kämpfe.
Frauenstudien mit einem starken literarischen Schwerpunkt sind in Großbritannien und den USA der achtziger Jahre Teil des akademischen Alltags. Die Lehrenden haben sich nach den langen Kämpfen um die Etablierung der neuen Fächer wissenschaftlichen Detailproblemen zugewandt. Vorbei ist die Phase der Proklamationen und Manifeste, die Einigkeit der ersten Zeit, als es darum ging, überhaupt gehört zu werden. Lautstark melden sich die Frauen zu Wort, die zunächst dachten, sie wären in den Forderungen mitvertreten, und schon bald merkten, daß sie sich selbst aus Sprachlosigkeit und Unsichtbarkeit lösen mußten, weil sich manche Feministin auf dem Lehrstuhl nicht mehr leicht von der Alibi-Frau unterscheiden ließ oder weil Befreiung unter Frauen ein Wort mit ganz verschiedenen Bedeutungen ist.
Das Verhältnis von Literatur zu Erfahrung, zur Formulierung politischer Strategien und wissenschaftlicher Ziele gestaltet sich je nach Standpunkt ganz unterschiedlich. Dabei spielen Abstand zu und Verflechtung mit der dominanten Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Eine heterosexuelle Frau der weißen Mittelklasse hat andere Feind- und Wunschbilder, leidet unter ganz anderen Formen und Graden der Unterdrückung als Frauen der Arbeiterklasse, lesbische Frauen, Frauen anderer Hautfarben und ethnischer Gruppen, Frauen aus den »armen« Ländern. Sie ist mit relativer Macht ausgestattet, gehört in so vieler Hinsicht zur Norm, daß sie leicht dazu neigt, sich zu verallgemeinern, nicht die Kosten zu sehen, die die anderen bei ihrer Befreiung weiter zu tragen haben.
In den siebziger Jahren haben sich die von der weißen Frauenbewegung Ausgelassenen mit ihren Forderungen gemeldet, eigene Gemeinschaften gebildet, dafür gesorgt, daß sie gehört werden und die Sensibilität dafür wächst, daß wir längst noch nicht so weit sind, für alle Frauen sprechen zu können, sondern erst einmal Lebensbedingungen und Äußerungsweisen erforschen müssen. Die Literatur bleibt eine wichtige Quelle-, feministische Verlage sorgen dafür, daß Lesben, schwarze Frauen, mar-ginalisierte Gruppen ein Forum haben.
Daß jeweils neue Gruppen begonnen haben, sich auf ihre Art mit Literatur auseinanderzusetzen, sorgt für eine Phasenverschiebung bei Beschäftigungsschwerpunkten und Fragestellungen, ohne daß natürlich alle die gleichen Phasen durchlaufen. Denn  gesellschaftspolitische  und  wissenschaftliche Sehweisen bestimmen ebenso, was unter welchen Gesichtspunkten analysiert wird. Das zu Anfang der Frauenbewegung formulierte Ziel der Befreiung der Frau aus der Herrschaft des Patriarchats hat sich jedoch bei aller Zersplitterung und allen Kämpfen um den richtigen Weg als so zugkräftig erwiesen, daß nur wenige feministisch engagierte Kritikerinnen und Schriftstellerinnen inzwischen den Postfeminismus ausgerufen haben. Die Entschlossenheit, mit Hilfe feministischer Erkenntnisse zur Überwindung der derzeitigen Machtverhältnisse beizutragen, und das Bewußtsein der dringenden Notwendigkeit gesellschaftlicher Veränderung bleiben und sorgen für Engagement in Wort und Tat.

Mit einer Ausnahme stammen alle kritischen Beiträge in diesem Band aus den achtziger Jahren. Sie setzen also bestimmte Entwicklungsstufen und Begrifflichkeiten voraus, die hier kurz umrissen werden sollen.[1] Eine der zentralen Einsichten der Frauenbewegung, daß das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, dessen Konstruktion ungleiche Machtverhältnisse durchgesetzt hat, verbindet sich mit der Erkenntnis, daß die Erzeugnisse des Bewußtseins, wie Literatur und Literaturkritik, ebenfalls gesellschaftlich konstruiert und daher politisch sind. Im Erarbeiten und Umarbeiten von Wissen reagieren wir auf die Machtverhältnisse in unserem Leben. Geschichte verstehen wir als eine Geschichte des Kampfes und der Machtverhältnisse. Literatur begreifen wir nicht als auf sich selbst bezogene Meditationen, sondern als politisch wirksame Reaktionen und Eingriffe in die Geschichte. Auch Literaturkritik ist keine angeblich objektive Interpretation eines Textes, sondern ein Akt der politischen Intervention, ein Mittel, mitzubestimmen, wie Geschriebenes in der Kultur benutzt wird.[2] Traditionell literaturwissenschaftlich ausgebildete Kritikerinnen sind in einer Denkweise verwurzelt, die es ihnen nicht leicht macht, geistige Produkte und materielle Lebensbedingungen aufeinander zu beziehen. Bei allem Wissen um die realen Bedingungen der Unterdrückung (oft am eigenen Leib erfahren) legen die zur Verfügung stehenden literarischen Theorien oft eine Weltsicht nahe, die bei allem Bewußtsein dessen, daß es hier um soziale Konstrukte geht, literaturimmanent bleibt und selten das komplexe Netz der gesellschaftlichen, ökonomischen, sprachlichen Beziehungen in Augenschein nimmt.
Der Schritt nach außen, aus der Verwurzelung in disziplinaren und sozialen Traditionen, um es selbst anders zu machen und größere Veränderungen zu ermöglichen, war von Anfang an Teil der Strategie feministischer Literaturkritik: zu formulieren, womit Frauen nichts mehr zu tun haben wollten, zu untersuchen, was die patriarchale Gesellschaft uns Frauen zufügt. Vor fast zwanzig Jahren begannen die Projekte, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ideologische Konzepte von Universalität, Humanismus, von Weiblichkeit und Männlichkeit und von literarischer Bewertung zu durchleuchten, bloßzustellen und andere, historisch verstandene an ihre Stelle zu setzen. In der ersten Phase konzentrierte sich die feministische Kritik darauf, die Frauenfeindlichkeit der literarischen Praxis aufzudecken, die stereotypen Frauenbilder, die Abwertung von Frauen und deren strenge Festlegung auf wenige Rollen, hauptsächlich im häuslichen Bereich. Die männliche Brille als das Maß aller Dinge hatte nicht nur die Inhalte der Literatur geprägt. Dank eines klaren Empfindens, was wichtig — der Stoff von Klassikern — und was weniger bedeutend war, hatte sie auch die Frauen und ihre Werke aus der Literaturgeschichte und damit aus den Lehrplänen in Schulen und Universitäten ausgeschlossen. Die Parallelen zur Behandlung von Frauen in der Gesellschaft waren klar. Damals wurden Projekte initiiert, die zum Teil noch heute die Arbeit der Kritikerinnen in Anspruch nehmen-, die Bewertung männlicher Literatur aufgrund ihrer Einstellung zu Fragen des Geschlechts; die Ausgrabung weiblicher Werke, ihre Wiederveröffentlichung und kritische Bearbeitung, Beschreibung der Mechanismen, die weibliche Werke in Vergessenheit geraten lassen, sie nicht zu einem Teil der zur Verfügung stehenden Traditionen machen. Es entstanden zahlreiche feministische Verlage, die sich zum Ziel setzten, zeitgenössische Literatur von Frauen ebenso zu fördern wie ältere in Urnlauf zu halten. Ansatzweise Beschreibungen der roten Fäden in weiblichem Schreiben (als Beispiel in diesem Band Ch. Ogunyemi) mündeten in Büchern über die Verbindungen zwischen Werken von Frauen, über weibliche Literaturtraditionen, von denen einige, vielleicht dank ihrer Entstehungsorte, so die männlich dominierten Institute an Universitäten, alsbald wieder allgemeine Gültigkeit beanspruchten.
Die Frage, ob es über nationale und historische Grenzen hinweg eine spezifisch weibliche Ästhetik gibt, ergab sich aus dem Erkennen von Gemeinsamkeiten in der thematischen und bildlichen Gestaltung psychischer und sozialer Erfahrungen von Frauen im Patriarchat. Die Frage ist bis heute kontrovers geblieben, auch hier gibt es seit den frühen siebziger Jahren viele Forschungsarbeiten. Auf einer pragmatischen Ebene einigten sich schwarze Frauen und lesbische Feministinnen jeweils für die Argumentationszusammenhänge ihrer Gemeinschaften nach innen und nach außen auf Konzepte von black consciousness und les-bian consciousness, die sie in ihren literarischen Werken entdeckten und denen sie Ausdruck zu verleihen suchten. Ob und wodurch die Unterschiede zur männlichen Ästhetik konstruiert oder inwieweit sie naturgegeben sind, interessiert weniger als deren Vorhandensein und ihre Artikulation, die darauf abzielt, sich eines Selbstbewußtseins zu bemächtigen, das Ansprüche stellen kann. Identität und Verschiedenheit hinsichtlich Geschlecht, Rasse, Klasse, sexueller Orientierung wurden zu zentralen Begriffen. Insbesondere die Entwicklung eines verfeinerten Instrumentariums zum Wahrnehmen und Achten von Differenz als Andersartigkeit nimmt bis heute einen breiten Raum ein (B. Smith, B. Zimmerman).
Ganze »Schulen« feministischer Kritikerinnen (und hier beginnt die Unterscheidung zur Literaturwissenschaftlerin zu verschwimmen), die eher in wissenschaftlichen Institutionen verankert sind, begannen dem Problem der weiblichen Ästhetik und der Geschlechtsunterschiede wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Dabei bedienten sie sich der Theorien, mit denen sie herangewachsen waren, die ihnen politisch nahestanden und von denen sie sich Denkanstöße zu spezifisch weiblichen Fragen erhofften.   Feministische   Bearbeitungen   ästhetischer  Theorien, psychoanalytischen Denkens und marxistischer Gesellschaftsanalyse kamen zu einer Blüte in den Literatur- und Gesellschaftswissenschaften. Es zeigte sich ein wichtiger Unterschied in den Forschungsschwerpunkten und -richtungen zwischen den USA
und Großbritannien. In den USA wurden die Fragestellungen enger universitär gesehen und sind vornehmlich mit den Auswirkungen feministischer Ideen auf die Lehre, die Lehrpläne und Studieninhalte und den Kanon befaßt [3]  (E. Showalter, S. Gilbert, S. Gubar, N. Miller). In England, wo die feministische Literaturkritik weiterhin enge Verbindung mit radikaler Politik hält, hat sich die Analyse auf die Verbindungen zwischen Geschlecht, Klasse und in zunehmendem Maß ethnischer Zugehörigkeit konzentriert. Forschungen im Bereich populärer Kultur und einer feministischen Kritik der marxistischen Theorien zur Literatur zusammen mit der versuchten Verknüpfung psychoanalytischer Methoden mit neo-marxistischen Erkenntnissen sind typisch (A. Light, C. Kaplan). Wie in der deutschsprachigen feministischen Literaturwissenschaft haben die prominenten Franzosen, der Linguist und Psychoanalytiker Jacques Lacan, der poststrukturalistische Philosoph Jacques Derrida, der Text-und Kulturkritiker Roland Barthes und die Semiotikerin Julia Kristeva auch in England und Amerika lange Schatten geworfen. Da sie hierzulande ohne den Umweg über andere Länder und Sprachen rezipiert werden, sind sie in diesem Band nur Randfiguren, deren Einflüsse sich allerdings in Sprachgebrauch und manchen methodischen Ansätzen niederschlagen, wo es um Texte als Signifikationsprozeß geht, um Dekonstruktion als interpretative Praxis, binäre Oppositionen und deren Auflösung, Differenz nicht als Gegensätzlichkeit, sondern als eine endlose Kette von Verweisen, die Eindeutigkeit unmöglich macht, sowie um die konfliktreichen Beziehungen zwischen Weiblichkeit und Sprache (N. Miller, G. Spivak).
Die Analyse der Konstruktion von Geschlecht und Sexualität in literarischen Diskursen ist über die Methodengrenzen hinweg zu einem wichtigen Beschäftigungsschwerpunkt der feministischen Literaturkritik geworden. Je nach »Couleur« der Forscherinnen sind nicht nur die analysierten Gegenstände unterschiedlich, sondern auch die Einschätzung und Berücksichtigung solcher Faktoren wie Klasse und ethnische Zugehörigkeit. Das kommt in der hier vorliegenden Auswahl deutlich zum Ausdruck. Begriffe wie difference — zu deutsch in diesem Band je nach Kontext Differenz, Unterschied, Verschiedenheit, Andersartigkeit, Anderssein —, Ideologie, Identität, Subjekt, Subjektivität und Weiblichkeit finden sich zur Zeit bei fast allen, ob mit spezieller Bedeutung in theoretische Konzepte eingepaßt oder nicht. Auch hier sprechen die Aufsätze für sich.
In dem Kapitel »Eine Welt der Differenz« in ihrem Buch über Geschlecht und Wissenschaft [4] zitiert Evelyn Fox Keller die Genetikerin Barbara McClintock mit dem Satz über wissenschaftliche Wahrnehmungsfähigkeit und Erkenntnisvermögen: »Alles, was du dir ausdenken kannst, wirst du auch vorfinden.« Sie meint damit, daß die Komplexität der Natur unser Vorstellungsvermögen überschreitet, daß Wissenschaftler/innen lernen sollten, die Dinge nicht von ihrem eingeschränkten Horizont aus in Regelfälle und Abweichungen zu unterteilen, sondern Respekt für individuelle Unterschiede entwickeln sollten. Dieses Verständnis von Differenz — Unterschiedlichkeit anstatt Abweichung und damit eine nicht-hierarchische »Ordnung« — zieht sich durch den ganzen Band: als ausgesprochenes Ziel, in Gestalt von Betroffenheit, in die Analysen integriert.
Barbara Smiths »Forderungen an eine schwarze feministische Literaturkritik« eröffnen den Band. Sie erhebt hier ihre Stimme nicht nur für schwarze Frauen, sondern auch stellvertretend für andere Gruppen, die sich von der weißen Frauenbewegung der Mittelklasse aktiv ausgeschlossen und als minderwertig behandelt sehen. Der inzwischen zu einem »Klassiker« gewordene Aufsatz steht hier an erster Stelle, weil er den ursprünglichen Aufschrei zu Beginn der Neuen Frauenbewegung in Erinnerung ruft und durch seinen Ansatz Ausgrenzungen auch von anderen unterdrückten Frauen in Zukunft zu verhindern sucht. In ihrer Analyse von Toni Morrisons Roman Sula entdeckt sie eine lesbische Tradition in den Werken schwarzer Frauen und formuliert damit zusammenhängend Forderungen für Forschungsfragen über schwarze literarische Traditionen. Sie fordert unmißverständlich weiße Frauen auf, endlich »zu einer vernünftigen Verantwortlichkeit gegenüber allen Frauen, die auf unserem Planeten leben« zu kommen.
Aufmerksamen Leserinnen des Inhaltsverzeichnisses werden die ganz kurzen Beiträge an vielen Stellen als Verbindungsstücke zwischen den Aufsätzen aufgefallen sein. Sie heben wichtige Argumentationen in anderen Worten hervor, deuten an, wo mehr gefunden werden kann.
Während Smith zu Aufbruch mahnt, resümiert Elaine Showalter das, was sie als die »Wildnis« der feministischen Literaturwissenschaft empfindet, und sucht Auswege, die der Heimat naheliegen. Ihr Überblick über die Leistungen (und Sackgassen) der vergangenen Jahre mündet in der Bemühung, die verschiedenen methodischen und ideologischen Ansätze mit Hilfe »eines grundlegenden Begriffssystems« in ein Modell zur Erklärung weiblicher Kulturen eingehen zu lassen. Sie ist die »Erfinderin« des gyno-criticism als Ersatz für feministische Kritik; ihre Schriften haben in den USA großen Einfluß, insbesondere unter den Frauen an den Universitäten.
Nancy K. Miller, Herausgeberin der 1986 erschienenen Textsammlung The Poetics of Gender, beschreibt aus ihrer Sicht die äußerlich sichtbaren Leistungen der feministischen Literaturkritik als Disziplin und meldet ihre Zweifel an, ob diese Leistungen bisher merklich etwas an den herrschenden Diskursen und ihrer Manifestation in den Lehrinhalten verändert haben. »Es scheint wenig aus dem Frauenraum in den der Männer zu dringen«, an der Universität bleiben Männer allgemein, Frauen der besondere Fall.
Bonnie Zimmermans Artikel über die Beziehungen von persönlichen Erzählungen lesbischer Frauen zu den Strategien lesbischer Politik greift die Diskussion um den Wert der Erfahrungsebene auf. »Das Persönliche ist das Politische« steht seit langem in Konflikt mit den Theoriebefürworterinnen — Zimmerman gibt ein differenziertes, engagiertes Resümee der Gefahren und des politischen Potentials eines Ansatzes, der stets über das Persönliche hinausweist. Sie beschreibt Literatur als Beitrag zur Definition der Konturen der Gemeinschaft, eine metaphorische und mythische Bewegung, die individuelles und kollektives Wachstum ermöglicht und dazu verhilft, die Macht der Verschiedenheit in aktive Politik umzusetzen.
Die Beiträge von Alison Light und Cora Kaplan sind Produkte der in Großbritannien sehr lebendigen Bemühungen um eine materialistisch-feministische Literaturkritik, die Teil von »cultural studies« ist. Ihnen gemeinsam ist die Prämisse, daß eine historische und materialistische Analyse von Literatur Fragen der Repräsentation des Geschlechtsunterschieds, der Sexualität und der Subjektivität zusammen mit Fragen der Repräsentation sozialer Hierarchien in den Mittelpunkt stellen muß. Charakteristisch die feministische Revision marxistischer Kategorien, die Integration psychoanalytischen Denkens und der durch den Poststrukturalismus eingeführten veränderten Sicht des Subjekts und von Sprache. Bei ihnen ist der Text nicht mehr ein Medium, das eine essentielle, objektive Realität spiegelt, sondern ein Signifikationsprozeß, der Ideologie einschreibt und Realität konstituiert, jedesmal wieder fragmentarisch und widersprüchlich.[5] Gegenstand der hier abgedruckten Aufsätze sind populäre Romane für ein weibliches Publikum: Rebecca und Die Dornenvögel. Sara Maitland, ebenfalls eine sozialistische Feministin aus England, nimmt in gewisser Weise die Herausforderung von Kaplan und Light auf, den Liebesroman in ein feministisches Genre umzumünzen, das der Befreiung der Lust der Frauen dient. Aus der Sicht der Schriftstellerin reflektiert sie die Möglichkeit und Unmöglichkeit erotischer Liebesszenen, die den Feminismus politisch nicht verraten.
Lust schwingt in Gertrude Steins hier auszugsweise abgedruckten Überlegungen zu Poetik und Grammatik mit. Auf prä-poststrukturalistische Weise thematisiert sie die Gefahr von Benennungen und Übernahme altväterlicher Schreibweisen und beschreibt einen — auf ihr Schreiben bezogenen — befreiten Umgang mit den grammatikalischen Einheiten. Die Angst, die solche weibliche Untreue gegenüber den Säulen der Zivilisation bei den männlichen Schriftstellern der Moderne auslöste, wird von Sandra Gilbert und Susan Gubar beschrieben. Ihr Beitrag demonstriert, wie weit sich in den letzten Jahren das Interesse der Literaturwissenschaftlerinnen von der Untersuchung von Frauen als bloßen Opfern verlagert und sich den geschlechtsspezifischen Schaffensbedingungen von Männern und Frauen zugewandt hat.
Von Frauen aus der »Dritten« Welt wird der euro-amerikanische Feminismus zusehends lautstärker angeklagt, weil sie nicht mehr zulassen wollen, daß sie von uns vereinnahmt und/oder vertreten werden, ohne in ihren Belangen ernstgenommen zu werden. Der Vorwurf des Eurozentrismus und arrogantes Verhalten von Europäerinnen und Amerikanerinnen hat auf feministischen Buchmessen und den britischen »Women Writing«-Konferenzen zu heftigen Streitigkeiten geführt. Der Feminismus hat aufgezeigt, daß es nie die Gattung »Mann« gegeben hat, sondern nur mit sozialem Geschlecht versehene Männer und Frauen. Mit dem essentiellen und universellen Mann löst sich auch seine verborgene Begleiterin, die Frau, auf. Statt dessen haben wir unzählige Frauen, die in komplizierten historischen Komplexen von Rasse, Klasse und Kultur leben.[6] Dem Rechnung zu tragen, analytische Kategorien für die Abwesenden, die Unsichtbaren, die zum Schweigen Gebrachten zu finden, die nicht in Spiegelbildmanier die Verschleierungen des dominanten Diskurses wiederholen, haben sich die Feministinnen vorgenommen, die die Forderung der Befreiung aller Frauen ernst nehmen. Dem Nachdenken darüber, in welche Richtungen analytische Kategorien weiterentwickelt werden sollten, widmet sich der letzte Teil dieses Bandes.
Bessie Head leitet ihn mit einer Reflexion über das Bedingungsgefüge ein, in dem geschichtliche Vorstellungen entstehen. Chikwenye Ogunyemi formuliert ihre Schwierigkeiten mit dem »weißen« Begriff Feminismus und benutzt wie Alice Walker wo-manism — Frausein —, um die Ziele von afrikanischen Frauen zu beschreiben, denen es um die Befreiung von Frauen im Verein mit der Befreiung der gesamten Gesellschaft geht. Sie durchforstet amerikanische und afrikanische Literatur schwarzer Frauen nach Bildern und Traditionen, die für dieses Ziel nutzbar gemacht werden können.
Die westbengalische Schriftstellerin Mahasveta Devi ist hier mit ihrer Kurzgeschichte »Draupadi« vertreten. Darin kommentiert sie wirkungsvoll die Verquickungen zwischen Wissen und Herrschaft, die Schwierigkeit, Erkenntnisse in Handeln umzusetzen, die Tendenz zu vereinheitlichen und zu vereinnahmen, was nicht verstanden wird, und bietet einen Blick auf die Verwirrungen, die auf jene zukommen, die den Kampf um die Verschiebung der Mitte ernst nehmen. Gayatri Spivak, die als Inderin an einer amerikanischen Hochschule lehrt und Derrida ins Englische übersetzt hat, ist eine interessante Vermittlerin zwischen den Theorien der Industrienationen und den Belangen der Frauen in der »Dritten« Welt. Mit ihrer politisch deutlichen dekonstruktivistischen Interpretation von Mahasveta Devis Kurzgeschichte vermittelt sie einen Zugang zur Geschichte, der die Position der Literaturwissenschaftlerin mit reflektiert.
Es ist eine der wichtigen Aufgaben feministischer Literaturkritik, Frauenkultur und -literatur zur Öffentlichkeit zu verhelfen, denn in den Werken von Schriftstellerinnen selbst finden sich die augen-öffnenden Erkenntnisse, die Kritik und Handeln mobilisieren. »Draupadi« und Cherrie Moragas »Liebe in den Kriegsjahren« stehen in diesem Band stellvertretend für die kreativen Schöpfungen, die vor der Kritik kommen.
Zum Schluß noch ein Hinweis für Leserinnen, die hier Literaturhinweise vermissen. Englischsprachige Werke zum Thema sind in den in Anmerkung 1 aufgeführten Büchern bibliographisch erfaßt. Eine wertvolle Liste befindet sich auch in Toril Moi, Textual/Sexual Politics; besonders wichtig für deutsche Leserinnen ist die Bibliographie in Sigrid Weigel, Die Stimme der Medusa, die die auf deutsch erschienene Literatur zum Thema erfaßt.[7]

Texttyp

Einleitung