Für alle meine Schwestern, insbesondere Beverly und Demita.
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Lange bevor ich versuchte, diesen Text zu schreiben, wurde mir klar, daß ich etwas noch nie Dagewesenes, Gefährliches versuchte, indem ich aus feministischer Sicht über schwarze Schriftstellerinnen und über schwarze lesbische Autorinnen überhaupt schrieb. Das ist bisher noch nicht gemacht worden. Nicht von weißen männlichen Kritikern, wie nicht anders zu erwarten. Nicht von schwarzen männlichen Kritikern. Nicht von weißen Kritikerinnen, die sich für Feministinnen halten. Und nicht — dies ist am entscheidendsten — von schwarzen Kritikerinnen, die, obwohl sie schwarzen Autorinnen noch am meisten Aufmerksamkeit widmen, selten eine konsequent feministische Analyse machen oder sich mit schwarzer lesbischer Literatur beschäftigen. Alle Bereiche der literarischen Welt — ob etabliert, progressiv, schwarz, weiblich, lesbisch — wissen nicht, oder tun zumindest so, als ob sie nicht wüßten, daß es schwarze und schwarze lesbische Schriftstellerinnen gibt. Bei Weißen hängt dieses spezielle Nichtwissen damit zusammen, daß ihnen ein konkretes und politisches Wissen um die Existenz schwarzer Frauen in diesem Land überhaupt fehlt. Die Existenz, Kultur und die Erfahrungen schwarzer Frauen sowie die ungeheuer komplexen Systeme der Unterdrückung, die diese prägen, finden in der »wirklichen Welt« weißen und/oder männlichen Bewußtseins keine Beachtung, sind unsichtbar, unbekannt. Diese Unsichtbarkeit, die weit über das hinausgeht, was schwarze Männer oder weiße Frauen erleben und in ihren Romanen beschreiben, ist ein Grund dafür, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Dieses massive Schweigen zu brechen, scheint eine kaum zu bewältigende Aufgabe zu sein. Noch lähmender ist allerdings die Tatsache, daß sehr viele Frauen, die diesen Text lesen werden, noch nicht einmal gemerkt haben, daß wir auf ihrer Leseliste, in ihrem Politikverständnis oder ihrem Leben fehlen. Es ist ärgerlich, daß angebliche Feministinnen und wohlbekannte Lesbierinnen gegenüber jeglicher Weiblichkeit, die nicht weiß ist, so blind sind und daß sie noch immer mit dem eigenen Rassismus zu kämpfen haben, der dieser Blindheit zugrunde liegt.
Ich denke an die Abertausende Bücher, Zeitschriften und Artikel, die bis heute erschienen und dem Schreiben von Frauen gewidmet sind, und es macht mich wütend, wie klein der Bruchteil ist, der schwarze Frauen und Frauen aus der Dritten Welt erwähnt. Schließlich weiß ich nicht, wie ich anfangen soll, weil ich am liebsten für eine schwarze feministische Zeitschrift schreiben würde, für schwarze Frauen, die diese Schriftstellerinnen genauso kennen und lieben wie ich und die, falls sie deren Namen bis jetzt noch nicht kennen sollten, schwarze Autorinnen zumindest schmerzlichst vermißt haben.
Die Bedingungen, die zusammengenommen die Unmöglichkeit dieses Aufsatzes ausmachen, haben ebensoviel mit Politik wie mit der literarischen Praxis zu tun. Jede Diskussion über afro-amerikanische Autor/inn/en kann zu Recht damit beginnen, daß uns die meiste Zeit, die wir in diesem Land waren, nicht nur die Lese- und Schreibfähigkeit kategorisch verweigert wurde, sondern auch die geringste Möglichkeit, einigermaßen anständig zu leben. In ihrem wegweisenden Aufsatz »Auf der Suche nach den Gärten unserer Mütter« deckt Alice Walker auf, wie die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Beschränkungen von Sklaverei und Rassismus, geschichtlich gesehen, die Kreativität schwarzer Frauen verhindert haben.[1]
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht meines Erachtens eine direkte Beziehung zwischen der Ausrichtung des Feminismus und der Situation schwarzer Frauenliteratur. Eine lebensfähige, autonome schwarze feministische Bewegung in diesem Land würde Raum schaffen für die Erforschung des Lebens schwarzer Frauen und das Entstehen von bewußt auf schwarze Frauen ausgerichteter Kunst. Zudem würde eine Redefinition der Ziele und Strategien der weißen feministischen Bewegung zu der seit langem notwendigen Korrektur dessen führen, was jetzt allgemein als Frauenkultur angesehen wird.
In diesem Aufsatz möchte ich einige Querverbindungen aufzeigen, die zwischen den Lebensumständen schwarzer Frauen,
dem, worüber wir schreiben und unserer Situation als Künstlerinnen bestehen. Zu diesem Zweck sehe ich mir an, wie schwarze Frauen von Außenstehenden kritisch betrachtet worden sind, zeige auf, wie notwendig eine schwarze feministische Literaturkritik ist, und versuche zu verstehen, was das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von schwarzer lesbischer Literatur über die Situation von schwarzer Frauenkultur und die Intensität der Unterdrückung aller schwarzen Frauen aussagt.
Die Rolle, die die Literaturkritik dabei spielt, eine bestimmte Art von Literatur wiedererkennbar und wirklich zu machen, braucht an dieser Stelle kaum erklärt zu werden. Die Notwendigkeit einer nicht feindlich gesonnenen, scharfsinnigen Analyse von Werken, die von Personen außerhalb der »etablierten«, weißen/männlichen Kulturherrschaft geschrieben wurden, ist durch das Wiederaufleben von schwarzer Kultur in den sechziger und siebziger Jahren und das noch spätere Erstarken einer feministischen Literaturwissenschaft bewiesen. Damit Bücher wirklich werden und im Gedächtnis bleiben, müssen wir über sie sprechen. Um Bücher zu verstehen, müssen sie so interpretiert werden, daß wir die grundlegendsten Absichten der Autorin zumindest bedenken. Aufgrund des Rassismus wurde schwarze Literatur gewöhnlich als eine getrennte Untergruppe der amerikanischen Literatur betrachtet, und es hat schwarze Kritiker von schwarzer Literatur gegeben, die eine Menge dazu beigetragen haben, diese Einteilung beizubehalten, lange bevor Weiße auf diese Literatur aufmerksam wurden. Vor dem Aufkommen einer spezifisch feministischen Literaturkritik in diesem Jahrzehnt wurden Bücher von weißen Frauen nicht unbedingt als kulturelle Manifestationen eines unterdrückten Bevölkerungsteils wahrgenommen. Erst die zweite Welle der nordamerikanischen feministischen Bewegung deckte auf, daß diese Werke ein verblüffend zutreffendes Zeugnis über den Einfluß patriarchaler Wertvorstellungen auf das Leben von Frauen ablegen und, noch wichtiger, daß Literatur von Frauen grundlegende Einsichten in weibliche Erfahrungen vermittelt.
Wenn wir über die gegenwärtige Situation schwarzer Schriftstellerinnen reden, ist es wichtig, im Auge zu behalten, daß das Vorhandensein einer feministischen Bewegung eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Erstarken von feministischer Literatur, Literaturkritik und Frauenforschungsprogrammen war, die sich anfänglich fast ausschließlich auf literarische Untersuchungen konzentrierten. Die Tatsache, daß sich eine vergleichbare schwarze feministische Bewegung sehr viel langsamer entwickelt hat, muß notwendigerweise Einfluß auf die Situation schwarzer Autorinnen und Künstlerinnen haben und erklärt zum Teil, warum wir zur gleichen Zeit so wenig zur Kenntnis genommen wurden.
Keine politische Bewegung gibt jenen Kraft und Unterstützung, die die Erfahrungen schwarzer Frauen durch das Studium unserer Geschichte, Literatur und Kultur untersuchen wollen. Keine politische Kraft fordert einen minimalen Grad an Bewußtheit und Respekt von denen, die über unser Leben schreiben oder reden. Und es gibt, schließlich und endlich, keine ausgearbeitete schwarze feministische politische Theorie, deren Annahmen auf die Kunst schwarzer Frauen angewendet werden könnten. Falls die Bücher schwarzer Frauen überhaupt behandelt werden, so geschieht dies gewöhnlich im Kontext schwarzer Literatur, und Fragen von Geschlecht und Herrschaft werden größtenteils ignoriert. Wenn weiße Frauen die Werke schwarzer Autorinnen betrachten, sind sie natürlich schlecht ausgerüstet, mit den Feinheiten des Rassismus umzugehen. Ein schwarzer feministischer literaturkritischer Ansatz, der das Wissen in sich vereinigt, daß die Faktoren Geschlecht, Rasse und Klasse die Werke schwarzer Frauen entscheidend beeinflussen, ist eine absolute Notwendigkeit. Bevor es keine schwarze feministische Literaturkritik gibt, werden wir nicht einmal wissen, was diese Schriftstellerinnen meinen. Die folgenden Zitate verschiedener Kritiker beweisen, daß die Bücher schwarzer Frauen ohne eine schwarze feministische Perspektive nicht nur mißverstanden, sondern regelrecht zerstört werden.
Jerry H. Bryant, weißer männlicher Rezensent der Nation, schrieb 1973 über Alice Walkers »In Love And Trouble: Stories of Black Women«:
- »Der Untertitel der Sammlung ,Geschichten über schwarze Frauen' ist wahrscheinlich ein Versuch des Verlags, nicht nur schwarze, sondern auch weibliche Themen auszuschlachten. Die Geschichten sind jedoch in keiner Weise feministisch.«[2]
Schwarzsein und Feminismus schließen einander seiner Ansicht nach aus und sind nebensächlich für das Schreiben von Prosa. Bryant kommt natürlich nicht auf den Gedanken, daß Walker selbst der Sammlung ihren Titel gegeben haben könnte, noch hat er — offensichtlich — das Buch, in dem das feministische Bewußtsein der Autorin eindeutig zum Ausdruck kommt, gelesen. In The Negro Novel in America,[3] ein Buch, das schwarze Kritiker für eines der schlimmsten Beispiele weißer rassistischer Pseudowissenschaftlichkeit halten, tut Robert Bone Anne Petrys The Street verächtlich ab. Er empfindet es als »... eine oberflächliche soziale Analyse« der Art und Weise, wie die schwarzen Bewohner der Slums zu Opfern werden. Darüber hinaus gefällt ihm nicht, daß:
- »... es ein Versuch ist, das Leben in den Slums aus der Sicht von Negern zu interpretieren, wo ein größerer Bezugsrahmen angebracht wäre. Wie Alain Locke bemerkt, ist Knock on Any Door The Street überlegen, weil es Klasse und Umwelt statt bloß Rasse und Umwelt als Widersacher benennt.«[4]
Weder Robert Bone noch Alain Locke, der schwarze männliche Kritiker, den er zitiert, können erkennen, daß The Street eine der besten literarischen Darstellungen davon ist, wie Geschlecht, Rasse und Klasse zur Unterdrückung schwarzer Frauen zusammenwirken.
In ihrer Rezension zu Toni Morrisons Sula für die New York Times macht die vermeintliche Feministin Sara Blackburn ähnlich rassistische Bemerkungen. Sie schreibt:
- »... Toni Morrison ist viel zu begabt, um nur eine hervorragende Chronistin der schwarzen Seite des provinziellen amerikanischen Lebens zu bleiben. Wenn sie das große und ernsthafte Publikum, das sie verdient, behalten will, wird sie sich mit einer gefährlicheren gegenwärtigen Wirklichkeit auseinandersetzen müssen, als es in diesem schönen, aber dennoch distanzierten Roman geschieht. Und falls sie dies täte, könnte sie, wie mir scheint, leicht über jene frühe und unabsichtlich einengende Zuordnung ,schwarze Schriftstellerin' hinausgelangen und ihren Platz unter den ernsthaftesten, wichtigsten und talentiertesten amerikanischen Autoren unserer Zeit einnehmen.«[5]
Morrisons vorzügliche Begabung erkennend, erklärt Blackburn ungeniert, daß Morrison »zu begabt« sei, um sich bloß mit Schwarzen zu beschäftigen, vor allem mit jenen ganz und gar bedeutungslosen Wesen, schwarzen Frauen. Um als »ernsthaft«, »wichtig«, »talentiert« und »amerikanisch« akzeptiert zu werden, müßte sie ihre Aufmerksamkeit offensichtlich den Taten weißer Männer zuwenden.
Der Mißhandlung schwarzer Autorinnen durch Weiße entspricht ihre noch häufigere Nichtbehandlung, vor allem in der feministischen Literaturkritik. Obwohl Elaine Showalter in ihrem Überblicksaufsatz über Literaturkritik in Signs feststellt: »Die beste Arbeit, die heute (in der feministischen Literaturkritik) geleistet wird, ist anspruchsvoll und kosmopolitisch«, ist ihr Artikel weder das eine noch das andere.[6] Wenn er das wäre, hätte sie nicht versäumt, zumindest eine schwarze oder Dritte Welt-Autorin zu erwähnen, ob »bedeutend« oder »unbedeutend«, um ihre fragwürdigen Kategorien zu zitieren. Daß sie zudem noch nicht einmal darauf hinweist, daß es lesbische Schriftstellerinnen egal welcher Hautfarbe gibt, macht ihren angeblichen Überblick im wesentlichen bedeutungslos. Wie die folgende Aussage zeigt, denkt Showalter offensichtlich, daß die beiden Identitäten schwarz und weiblich einander ausschließen:
- »Darüber hinaus gibt es andere Subkulturen (schwarz-amerikanische Autoren z. B.), deren Geschichte einen Präzedenzfall darstellt, den die feministische Wissenschaft benutzen kann.«[7]
Die Vorstellung, daß Kritikerinnen wie Showalter schwarze Literatur benutzen, jagt mir kalte Schauer über den Rücken: ein Beispiel für kaum verschleierten Kulturimperialismus. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, verweist sie in der Fußnote zu obigem Zitat auf die Arbeiten zu schwarzer Literatur von den beiden weißen männlichen Kritikern Roger Rosenblatt und Robert Bone.
Zwei 1977 erschienene Bücher von weißen Frauen, Ellen Moers' Literary Women: The Great Writers und Patricia Meyer Spacks' The Female Imagination, weisen die gleichen rassistischen Mängel auf.[8] Moers nennt in ihren siebzigseitigen bibliographischen Anmerkungen die Namen von vier schwarzen und einer puertorikanischen Schriftstellerin; Dritte Welt-Autorinnen tauchen in ihrem Buch überhaupt nicht auf. Spacks weist auf einen Vergleich zwischen Negern (sie) und Frauen in Mary Ellmanns Thinking About women unter dem Stichwort »Schwarze, Frauen und« hin. »Black Boy« (Wright) ist der vorhergehende Eintrag. Danach kommt nichts mehr. Auch hier findet sich absolut keine Anerkennung der Tatsache, daß schwarze und weibliche Identität je zusammenfallen könnten, schon gar nicht in einer Gruppe schwarzer Schriftstellerinnen. Vielleicht kann man ihnen zugute halten, daß sie nicht wissen, wer diese schwarzen Autorinnen sind, daß sie, wie die meisten Amerikaner/innen, wenig Gelegenheit haben, etwas über sie zu erfahren. Vielleicht. Ihre Unwissenheit scheint mir jedoch verdächtig selektiv zu sein, besonders in Anbetracht der Tatsache, daß sie Dutzende von wahrlich unbedeutenden weißen Schriftstellerinnen ausgraben. Spacks selbst war zur gleichen Zeit am Wellesley College tätig, als Alice Walker dort die ersten Seminare überhaupt zu schwarzer Frauenliteratur anbot.
Ich versuche keineswegs, eine rassistische Kritik an schwarzen Schriftstellerinnen wie die von Sara Blackburn zu bestärken, sondern begrüße als ersten Schritt, wenn weiße Frauen öffentlich zumindest die Widersprüchlichkeit ihrer Forschung und dessen, was sie aus ihren Arbeiten ausklammern, eingestehen würden.
Schwarze männliche Kritiker können auch so tun, als wüßten sie nicht, daß es schwarze Schriftstellerinnen gibt, und sie sind natürlich durch die Unfähigkeit behindert, die Erfahrungen schwarzer Frauen in sexueller und rassischer Hinsicht zu begreifen. Unglücklicherweise gibt es auch solche, die genauso bösartig sexistisch in ihrer Behandlung schwarzer Autorinnen sind wie ihre weißen männlichen Kollegen. Darwin T. Turners Besprechung von Zora Neale Hurston in seinem Buch In a Minor Chord: Three Afro-American Writers and Their Search for Iden-tity ist ein abschreckendes Beispiel für die Beinahe-Ermordung einer großen schwarzen Schriftstellerin.[10] Seine Darstellung von ihr und ihrem Werk als »aufgesetzt«, »zimperlich«, »irrational«, »oberflächlich« und »seicht« hat keinerlei Beziehung zur tatsächlichen Qualität ihrer Werke. Vollkommen unsensibel steht Turner der sexuellen und politischen Dynamik von Hurstons Leben und Schreiben gegenüber.
In einem Interview kommentiert der notorisch frauenfeindliche Ishmael Reed die niedrigen Verkaufszahlen seines neuesten Romans folgendermaßen:
- »... aber von dem Buch wurden nur 8 000 Exemplare verkauft. Es macht mir nichts aus, die Zahl zu nennen.- 8 000. Vielleicht würde ich, wenn ich eine jener jungen afro-amerikanischen Schriftstellerinnen wäre, die im Moment so brandaktuell sind, mehr verkaufen. Meine Bücher ganz einfach mit Frauen aus dem Ghetto, die nichts Böses im Sinn haben können, vollpcken... Aber lassen wir das, ich denke, 8 000 Exemplare hätte ich auch allein verkaufen können.«[11]
Das Zusammenspiel der Kräfte zur Festschreibung der Situation schwarzer Frauen wird durch diese Äußerung sehr deutlich illustriert. Weder Reed noch sein weißer männlicher Interviewpartner haben die geringsten Gewissensbisse, die Bücher schwarzer Frauen anzugreifen. Sie brauchen keine öffentliche Brandmarkung zu fürchten, da Reeds Bemerkung in völliger Übereinstimmung mit den Werten einer Gesellschaft ist, die Schwarze, Frauen und schwarze Frauen haßt. Letztendlich können die beiden ihre Handlungen auf die Prämisse gründen, daß schwarze Frauen machtlos sind, etwas an ihrer politischen und kulturellen Unterdrückung zu ändern.
In der Einleitung zu ihrem Buch A Bibliography of Works Written by American Black Women zeigt Ora Williams einige Reaktionen ihrer Kollegen auf angesichts ihres Vorhabens, über schwarze Frauen zu forschen:
- »Andere haben negativ reagiert mit Kommentaren wie: ,Ich glaube wirklich nicht, daß Du sehr viel Geschriebenes finden wirst', ,Haben sie irgend etwas geschrieben, das was taugt?' oder: ,Ich würde mich wegen dieser Frauenbefreiungssache nicht gleich überschlagen'. Als im Gespräch die Rede darauf kam, eventuell ein Seminar mit dem Schwerpunktthema schwarze Frauen anzubieten, war eine Reaktion: ,Ha, ha. Das wird sicherlich das nichtssagendste Seminar, das je angeboten wurde!'«[12]
Eine Bemerkung von Alice Walker bringt genau auf den Punkt, was in allen vorhergehenden Beispielen über die Lage der schwarzen Schriftstellerin und die Gründe für die verletzende Kritik, der sie ausgesetzt ist, anklang. Auf die Frage des Interviewers: »Warum, glauben Sie, wurde die schwarze Schriftstellerin in Amerika so ignoriert? Hat sie vielleicht noch größere Schwierigkeiten als der männliche schwarze Autor, der vielleicht gerade Anerkennung zu finden beginnt?« antwortet sie:
- »Es gibt zwei Gründe, warum die schwarze Schriftstellerin nicht so ernstgenommen wird wie der schwarze Schriftsteller. Ein Grund ist, daß sie eine Frau ist. Kritiker scheinen ungewöhnlich schlecht ausgerüstet zu sein, die Werke schwarzer Frauen auf intelligente Weise zu analysieren. Meistens machen sie nicht einmal den Versuch; sie ziehen es statt dessen vor, über das Leben der Autorinnen zu reden, nicht über das, was sie schreiben. Und da schwarze Schriftstellerinnen — anscheinend — nicht besonders liebenswert sind - bis vor kurzem waren sie zumindest noch willfährige Anbeterinnen der männlichen Überlegenheit -, neigen Kommentare über sie dazu, grausam zu sein.«[13]
Es ist offensichtlich möglich, eine überzeugende Argumentation für eine schwarze feministische Literaturkritik allein auf die Ne-gativität des bereits Existierenden zu gründen. Es ist jedoch weitaus befriedigender, die Notwendigkeit einer schwarzen feministischen Kritik daran aufzuzeigen, wie sie helfen kann, zum erstenmal die tieferliegenden Feinheiten gerade dieser Literatur aufzudecken.
Bevor ich nun einige Beispiele gebe, wie ein schwarzer feministischer Ansatz zur Analyse eines bestimmten Werkes angewandt werden kann, möchte ich kurz einige Grundsätze skizzieren, die eine schwarze feministische Literaturkritikerin meines Erachtens berücksichtigen sollte. Angefangen mit dem grundsätzlichen Engagement, herauszufinden, inwieweit sowohl Sexismus und Rassismus als auch schwarze und weibliche Identität unverbrüchliche Bestandteile im Schreiben schwarzer Frauen sind, würde sie von der Voraussetzung ausgehen, daß schwarze Autorinnen eine identifizierbare literarische Tradition verkörpern. Ihre Vertrautheit mit diesen Schriftstellerinnen würde ihr nicht nur zeigen, daß diese eine nachweisbare historische Tradition bilden, die zeitlich parallel zur Tradition schwarzer Männer und weißer Frauen verläuft, sondern auch, daß schwarze Schriftstellerinnen sich thematisch, stilistisch, ästhetisch und konzeptionell in ihrer Herangehensweise an das Schaffen von Literatur ähneln; das leitet sich aus den besonderen politischen, sozialen und ökonomischen Erfahrungen ab, die ihnen gezwungenermaßen gemein sind. Die Art und Weise, wie z. B. Zora Neale Hurston, Margaret Walker, Toni Morrison und Alice Walker die traditionellen Tätigkeiten schwarzer Frauen wie Wurzelzauber, die Kräuterheilkunde, das Beschwören und die Geburtshilfe in das Gewebe ihrer Geschichten einflechten, ist kein bloßer Zufall, und die besondere Sprache schwarzer Frauen, die sie benutzen, um ihre Gedanken und die ihrer Charaktere auszudrücken, ist ebenfalls nicht zufällig. Der Gebrauch der Sprache schwarzer Frauen und ihre kulturelle Erfahrung in Büchern von schwarzen Frauen über schwarze Frauen ergibt ein wunderbares Zusammenschmelzen von Form und Inhalt und trägt ihre Literatur zudem weit über die Grenzen weißer/männlicher Literatur hinaus. Die schwarze feministische Kritikerin würde unzählige Gemeinsamkeiten in den Werken schwarzer Frauen finden.
Ein anderes Prinzip, das aus dem Konzept einer Tradition erwüchse und dieses gleichzeitig stärkt, wäre, für die Interpretation zunächst die Werke anderer schwarzer Frauen nach Präzedenzfällen und Einsichten anzusehen. Mit anderen Worten: die Kritikerin würde aus der eigenen Identität heraus denken und schreiben und nicht versuchen, die Ideen oder die Ideologie weißer/männlicher Literatur(kritik) der kostbaren Kunst schwarzer Frauen aufzupfropfen. Eine schwarze, feministische Literaturkritik wäre per definitionem sehr innovativ, den wagemutigen Charakter ihres Gegenstandes verkörpernd. Die schwarze feministische Kritikerin wäre sich der politischen Implikationen ihrer Arbeit ständig bewußt und würde die Verbindung zwischen ihrer Arbeit und der politischen Situation aller schwarzen Frauen bekräftigen. Logisch weitergedacht würde die schwarze feministische Literaturkritik ihr Entstehen einer schwarzen feministischen Bewegung verdanken, während sie wiederum Ideen entwickelte, die für Frauen in der Bewegung von Nutzen sein könnten.
Eine schwarze feministische Literaturkritik, angewandt auf ein spezielles Werk, kann vorherige Interpretationen umstoßen und zum erstenmal seine tatsächlichen Dimensionen aufzeigen. Bei der »Lesben und Literatur«-Diskussion auf der Modern Language Association-Tagung von 1976 hat Bertha Harris vorgeschlagen, daß, wenn in einem von einer Frau geschriebenen Roman ein Satz sich weigert, das zu tun, was er tun soll, wenn er starke Frauenbilder enthält und sich insgesamt weigert, linear zu sein, das Ergebnis im Grunde genommen lesbische Literatur ist. Wie gewöhnlich habe ich versucht herauszufinden, ob diese Ideen auf die schwarzen Autorinnen, die ich kenne, angewandt werden können. Mir wurde schnell klar, daß viele ihrer Werke im Sinne von Harris' Definition lesbisch sind. Nicht weil Frauen Liebespaare sind, sondern weil sie die Hauptpersonen sind, positiv dargestellt werden und ihre Beziehungen zentral für ihr Leben sind. Die Form und die Sprache dieser Werke entspricht ebenfalls nicht den Anforderungen und Erwartungen der weißen patriarchalen Kultur.
Besonders überraschte mich, wie Toni Morrisons Romane Sehr blaue Augen und Sula aus dieser neuen Perspektive untersucht werden können.[14] In beiden Romanen sind die Beziehungen zwischen Mädchen und Frauen ausschlaggebend, aber körperliche Sexualität wird offen nur zwischen Männern und Frauen ausgedrückt. Trotz der augenscheinlichen Heterosexualität der weiblichen Charaktere habe ich beim nochmaligen Lesen von Sula entdeckt, daß es ein lesbischer Roman ist; nicht nur wegen der intensiven Freundschaft zwischen Sula und Nel, sondern wegen Morrisons durchgängig kritischer Haltung den heterosexuellen Institutionen gegenüber, wie Ehe und Familie. Bewußt oder unbewußt stellt Morrisons Roman lesbische und feministische Fragen zur Autonomie schwarzer Frauen und zum Einfluß, den sie gegenseitig auf ihr Leben ausüben.
Sula und Nel finden einander 1922 im Alter von 12 Jahren, an der Schwelle zur Pubertät und im Begriff, Jungen zu entdecken. Auch als ihre erwachende Sexualität »Verwirrung in ihre Träume brachte«, sehnen sich beide Mädchen nach »irgend jemandem«, offensichtlich weiblichem, mit dem sie ihre Gefühle teilen können. Morrison schreibt:
- »... denn die beiden Mädchen waren sich zuerst im Traum begegnet. Lange vor der Eröffnung von Edna Finchs Mellow House, sogar bevor sie durch die schokoladenbraunen Gänge der Grundschule von Garfield hindurch auf den Spielplatz marschierten und einander durch die Seile der einzigen leeren Schaukel ansahen (»Fang an.« — »Nein. Du zuerst.«), hatten sie schon Bekanntschaft miteinander gemacht im Delirium ihrer Mittagsträume. Sie waren einsame kleine Mädchen, deren Einsamkeit so tief war, daß sie sie berauschte und sie in Technicolorvisionen stolpern machte, in denen immer jemand dabei war, irgendwer, der das Vergnügen am Traum mit der Träumerin teilte. Wenn Nel, ein Einzelkind, auf den Stufen der hinteren Veranda saß, umgeben von der erhabenen Stille des unglaublich ordentlichen Hauses ihrer Mutter, und fühlte, wie die Sauberkeit mit dem Finger auf ihren Rücken zeigte, musterte sie die Pappeln und konnte sich mühelos in ein Bild von sich selbst hineinversetzen, wie sie auf einem Blütenbeet lag, in ihre eigenen Haare gewickelt, und auf irgendeinen feurigen Prinzen wartete. Er näherte sich, kam aber nie ganz an. Aber immer waren da lächelnde, mitfühlende Augen, die dem Traum mit ihr zusammen folgten. Jemand, der sich genauso wie sie für die Flut ihres eingebildeten Haares interessierte, für die Dicke der Matratze aus Blüten, die Voile-Ärmel, die unter ihren Ellbogen in golddurchwirkten Manschetten endeten.
Auf ähnliche Weise verbrachte Sula, auch ein Einzelkind, aber hineingezwängt in einen Haushalt, der pulste vor Unordnung und in dem Dinge, Menschen, Stimmen und zuschlagende Türen für ein ständiges Durcheinander sorgten, auf dem Dachboden hinter einer Rolle Linoleum Stunden damit, auf einem grauweißen Pferd durch ihre eigenen Gedanken zu galoppieren, Zucker zu schmecken und Rosen zu riechen, direkt vor den Augen von irgend jemandem, der an dem Geschmack und der Geschwindigkeit teilhatte.
Als sie sich daher begegneten, zuerst in jenen schokoladenbraunen Gängen und dann durch die Seile der Schaukel hindurch, empfanden sie das Behagen und die Zwanglosigkeit alter Freunde. Weil beide schon vor Jahren herausgefunden hatten, daß sie weder weiß noch männlich waren und daß sie von jeder Freiheit und jedem Triumph ausgeschlossen waren, hatten sie sich daran gemacht, etwas anderes zu schaffen, was sie sein konnten. Ihre Begegnung war ein Glücksfall, denn sie gestattete es ihnen, aneinander zu wachsen. Töchter von verschlossenen Vätern (Sulas, weil er tot war, Nels, weil er nicht tot war), fand jede in den Augen der anderen die Vertrautheit, die sie gesucht hatte.« (S. 49-51)
Wie diese schöne Passage zeigt, ist ihre Beziehung von Anfang an von einem erotischen Romantizismus durchdrungen. Die Träume, in denen sie anfänglich zueinander hingezogen werden, sind komplementäre Teile desselben sinnlichen Märchens. Nel stellt sich einen »feurigen Prinzen« vor, der niemals ganz ankommt, während Sula wie ein Prinz auf einem »grauweißen Pferd galoppiert«.[15] Die »wirkliche Welt« des Patriarchats verlangt jedoch, daß sie diese Energien voneinander weg auf das andere Geschlecht lenken. Lorraine Bethel erklärt diese Dynamik in ihrem Artikel »Conversations With Ourselves: Black Female Relationships in Toni Cade Bambaras Gorilla, My Love und Toni Morrisons Sula«:
- »Ich meine nicht, daß sich Sula und Nel bewußt sexuell zueinander verhalten oder daß ihre Beziehung einen offen lesbischen Charakter hat. Ich bin jedoch der Ansicht, daß ihre Interaktionen von einer gewissen Sinnlichkeit geprägt sind, die durch den spiegelartigen Charakter ihrer Beziehung verstärkt wird. Sexuelles Forschen und Erwachsenwerden sind ein natürlicher Teil der Adoleszenz. Sula und Nel entdecken die Männer gemeinsam, und obwohl ihre Flirts mit männlichen Wesen einen wichtigen Teil ihrer sexuellen Entwicklung ausmachen, ist die Sinnlichkeit, die sie in der Beziehung zueinander erleben, ebenso wichtig.«[16]
Sula und Nel haben zudem mit den Beschränkungen, die der Rassismus ihrem Leben auferlegt, zu kämpfen. Das Wissen darum, daß »sie weder weiß noch männlich« sind, ist die inhärente Erklärung dafür, daß sie einander brauchen. Morrison beschreibt in ihren Werken das notwendige Sich-Zusammenschließen, das seit jeher um des bloßen Überlebens willen zwischen schwarzen Frauen stattgefunden hat. Gemeinsam können die beiden Mädchen den Mut finden, sich selbst zu erschaffen.
Ihre Beziehung löst sich erst, als Nel Jude heiratet, einen nicht gerade außergewöhnlichen jungen Mann, der sie als »den Kleidersaum — die Biesen und Falten, die seine zerfransten Kanten verbargen« (S. 78) ansieht. Sulas schöpferische Wildheit kann gegen den sozialen Druck oder den Einfluß von Nels Eltern, denen es gelungen war, »alles, was an ihr hätte glänzen und glitzern können, zu einem matten Schimmer zu reduzieren«, nicht ankommen. Nel fällt den Konventionen anheim, während Sula ihnen entkommt. Aber auf der Hochzeit, die die erste Phase ihrer Beziehung beendet, ist Nels letzte Handlung, an ihrem Mann vorbei hinter Sula herzusehen:
- «... eine schlanke Gestalt in Blau, die, mit einer Spur von Affektiertheit, den Weg zur Straße hinunterglitt... Auch von hinten konnte Nel sehen, daß es Sula war und daß sie lächelte, daß irgend etwas tief im Innersten all der Geschmeidigkeit amüsiert war.« (S. 80-81)
Als Sula zehn Jahre später zurückkehrt, ihre Widerspenstigkeit in voller Blüte, ist ein Hauptgrund für das Mißtrauen der Bevölkerung (Medallions) ihr gegenüber die Tatsache, daß sie, obwohl fast dreißig Jahre alt, noch immer nicht verheiratet ist. Eva, Sulas Großmutter, verliert keine Minute, das Thema auf den Tisch zu bringen, sobald sie angekommen ist:
- »Wann heiratest Du endlich? Du brauchst 'ne Schar Kinder. Das wird Dich zur Ruhe bringen... Keine Frau hat das Recht, dauernd ohne 'n Mann rumzuschwirren.« (S. 87-88)
Sula antwortet: »Ich will keine anderen machen. Ich will mich selbst machen.« (S. 87) Selbstbestimmung ist für jede Frau ein gefährliches Unterfangen, besonders für eine Schwarze, und es bringt Sula den Status einer Ausgestoßenen in Medallion ein.
Morrison macht sehr deutlich, daß vor allem die Tatsache, daß Sula nicht durch die Anforderungen eines heterosexuellen Familienlebens gezähmt oder gebrochen wurde, die anderen ärgert. Sie schreibt:
- »Unter dem schwerwiegenden Beweismaterial, das sich ansammelte, war auch die Tatsache, daß Sula jünger aussah, als sie war. Sie war an die Dreißig und hatte, im Gegensatz zu ihnen, noch keine Zähne verloren, keine Verletzungen erlitten, keinen Fettring an der Taille angesetzt und keine Speckfalte im Nacken.« (S. 107)
Mit anderen Worten: sie ist keine häusliche Leibeigene, keine Frau, die vom zwangsläufigen Kinderkriegen ausgelaugt oder ein Opfer von Mißhandlungen ist. Außerdem schläft Sula einmal mit den Ehemännern der Stadt und rangiert sie dann aus, da sie sie noch weniger als ihre Mutter für die sexuelle Befriedigung oder Zuneigung braucht. Die Einwohner der Stadt reagieren auf ihre Mißachtung patriarchaler Werte damit, daß sie selbst ihre Familienpflichten fanatisch ernst nehmen, als ob sie dadurch Sulas radikale Kritik an ihrem Lebensstil konterkarieren könnten.
Sulas Gegenwart in ihrer Gemeinde hat eine ähnliche Funktion wie die Gegenwart von Lesben überall sonst, nämlich die Widersprüche eines sogenannten »normalen« Lebens aufzudecken. Der erste Absatz des Aufsatzes »Woman Identified Woman« gewinnt in diesem Zusammenhang als Erklärung für Sulas Stellung und Charakter im Roman erstaunliche Bedeutung. Dort wird gefragt:
- »Was ist eine Lesbe? Eine Lesbe ist die zu einem Explosionspunkt verdichtete Wut aller Frauen. Sie ist die Frau, die — oft in einem sehr frühen Alter beginnend — entsprechend ihren Bedürfnissen so handelt, daß sie zu einem freieren und vollständigeren Menschen wird, als ihr die Gesellschaft — vielleicht nicht gleich, aber sicherlich später — zu sein erlaubt. Diese Bedürfnisse und Handlungen bringen sie in einen schmerzvollen Gegensatz zu Leuten, Situationen, den gewohnten Denk- und Verhaltensweisen und Gefühlen, so lange, bis sie sich in einem Zustand ständiger Auseinandersetzung mit allem und jedem um sich herum befindet, einschließlich ihrer selbst. Vielleicht ist sie sich der politischen Implikationen dessen, was für sie als persönliche Notwendigkeit begann, nicht voll bewußt, aber auf einer Ebene hat sie die Beschränkungen und die Unterdrückung, die ihr durch die grundlegendste Rollenverteilung der Gesellschaft zugedacht war, nicht akzeptieren können — die weibliche Rolle.«[17]
Die Beschränkungen der schwarzen weiblichen Rolle sind in einer rassistischen und sexistischen Gesellschaft sogar noch größer, ebenso der Mut, der dazugehört, sich dagegen zu wehren. Es ist nicht verwunderlich, daß die Einwohner Medallions Sulas Unabhängigkeit als unmittelbar bedrohlich ansehen.
Morrison legt auch großen Wert darauf, ihrer Leserschaft zu zeigen, daß die Beziehung zueinander für Sula und Nel vorrangig bleibt, trotz der Jahre der Trennung und der verschiedenen Wege, die sie gegangen sind. Nel fühlt sich wie verwandelt, als Sula zurückkommt, und denkt:
- »Es war, wie wenn man nach einer Staroperation wieder auf beiden Augen sehen kann. Ihre alte Freundin war heimgekehrt. Sula. Die sie zum Lachen brachte, die sie alte Dinge mit neuen Augen sehen ließ, in deren Gegenwart sie sich klug, sanft und ein bißchen schlampig vorkam.« (S. 90)
Wenn sie gemeinsam lachen, »daß ihr die Rippen weh taten«, fühlt sich Nel »wie neu, weich und neu«. (S. 93) Morrison benutzt hier visuelle Bilder, die die Nähe der beiden Frauen zueinander das ganze Buch hindurch symbolisieren.
Sula zerstört jedoch diese Nähe, als sie mit Nels Mann schläft, ein ihrem Wertesystem nach relativ unbedeutender Akt. Nel kann dies, natürlich, nicht verstehen. Wehmütig denkt Sula:
- »Nel war der einzige Mensch, der nichts von ihr gewollt hatte, der alle Seiten ihres Wesens akzeptiert hatte. Jetzt wollte sie alles, und alles deswegen. Nel war der erste Mensch, der für sie wirklich gewesen war, dessen Namen sie kannte und der wie sie jenen Aspekt des Lebens gesehen hatte, der es möglich machte, es voll auszukosten. Jetzt war Nel eine von denen.« (S. 111)
Als ihr bewußt wird, daß sie Nel verliert, denkt Sula auch daran, wie unbefriedigend ihre Beziehungen zu Männern waren, und gesteht sich ein:
- »Sie hatte die ganze Zeit nach einem Freund gesucht, und es dauerte eine Weile, bis sie herausfand, daß ein Liebhaber nicht ein Kamerad war und nie einer sein konnte — für eine Frau.« (S. 112)
Das einzige Mal, in einer kurzen Affäre mit Alex, liebt Sula einen Mann beinahe, und was sie am meisten an ihm schätzt, ist seine intellektuelle Akzeptanz, die Tatsache, daß er ihr »erlaubt«, brillant zu sein. Sulas Gefühle, was Sex anbelangt, sind ebenfalls stimmig mit einer lesbischen Interpretation des Romans. Morrison schreibt:
- »Sie ging so oft wie möglich mit Männern ins Bett. Es war der einzige Ort, wo sie finden konnte, was sie suchte: Trübsal und die Fähigkeit, tiefes Leid zu empfinden... Was sie fand, finden mußte während des Liebens, war der scharfe Grat. Wenn sie aufhörte, mit ihrem Körper zusammenzuarbeiten, und begann, sich zu behaupten im Geschlechtsakt, sammelten sich in ihr Teilchen von Kraft wie Stahlspäne, die von einem ausgedehnten magnetischen Zentrum angezogen werden, und bildeten eine dichte Traube, die nichts, so schien es, auseinanderbrechen konnte. Und es wäre äußerste Ironie und Frevel zugleich: unter jemandem zu liegen, in einer Position der Hingabe, und die eigene anhaltende Kraft und grenzenlose Macht zu spüren... Wenn ihr Partner sich von ihr löste, sah sie erstaunt zu ihm auf und versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern... Sie wartete ungeduldig darauf, daß er sich abwendete... und sie der Einsamkeit nach dem Geschlechtsverkehr überließ, in der sie sich selbst begegnete, sich selbst willkommen hieß und sich zu sich selbst gesellte in unvergleichlicher Harmonie.« (S. 114/115)
Sula benutzt Männer für Sex, und das Ergebnis ist nicht etwa ein Gefühl inniger Verbundenheit mit ihnen, sondern ihr um so tieferes Eintauchen ins eigene Selbst.
Letztlich besteht die tiefste Gemeinschaft und Verbundenheit im Roman zwischen zwei Frauen, die einander lieben. Nach ihrem letzten, schmerzvollen Treffen, das keine Versöhnung bringt, denkt Sula, als Nel sie verläßt:
- »Nun wird sie also die Straße runtermarschieren, ihr Rücken ganz gerade in dem alten grünen Mantel, der Riemen von ihrer Handtasche bis zum Ellbogen zurückgeschoben, und darüber nachdenken, wieviel ich sie gekostet habe, und sich überhaupt nicht an jene Tage erinnern, wo wir zwei Stimmen und ein Auge waren und niemand uns etwas anhaben konnte.« (... and we had no price.) (S. 135)
Es gibt wohl kaum eine ausdrucksvollere Metapher dafür, wieviel Frauen einander bedeuten können als die »Unbezahlbarkeit«, die sie erreichen, indem sie sich weigern, sich für männliches Wohlwollen zu verkaufen, der Wert, den jede nur in den Augen der anderen finden kann.
Der Roman endet Jahrzehnte später damit, daß Nel die Ursache ihres Leids endlich begreift. Morrison schreibt:
- ...Die ganze Zeit, die ganze Zeit hab ich gedacht, es sei Jude, der mir fehlt.' Und der Verlust preßte ihr die Brust zusammen und stieg ihr in die Kehle. ,Wir waren zusammen Mädchen', sagte sie, als ob sie etwas erklärte. ,O Gott, Sula', schrie sie, .Mädchen, Mädchen, Mädchenmädchenmädchen.'
Es war ein guter Schrei — lang und laut —, aber er hatte kein Unten, und er hatte kein Oben, nur Kreise und Kreise von Kummer.« (S. 159)
Wieder deckt Morrison sehr genau auf, was Frauen, schwarze Frauen, einander bedeuten. Der letzte Absatz bestätigt die Intensität von Sulas und Nels Beziehung und deren zentrale Rolle für eine richtige Interpretation des Romans.
In den Gefühlen, in der Definition von Weiblichkeit und in der Art, wie heterosexuelle Mechanismen dargestellt werden, ist Sula ein äußerst lesbischer Roman. Die Bedeutung von Lesbischsein wird durch die Literatur erweitert, ebenso wie es durch die Politik immer wieder neu definiert wird. Die Verwirrung, die viele Leser in bezug auf Sula empfunden haben, könnte durchaus eine lesbische Erklärung finden. Wenn man Sulas unerklärliche »Sündhaftigkeit« und Nonkonformität als die Sünde betrachtet, nicht männlich orientiert zu sein, werden viele Elemente des Romans klar. Er hätte noch klarer sein können, wenn Morrison ihren Stoff mit dem Bewußtsein angegangen wäre, daß eine lesbische Beziehung zumindest eine Möglichkeit für ihre Charaktere dargestellt hätte. Offensichtlich war es nicht Morrisons Absicht, daß Sulas und Nels Beziehung als inhärent lesbisch gesehen wird. Diese fehlende Absicht zeigt jedoch nur, wie heterosexuelle Voreingenommenheit den Blick für das trüben kann, was logischerweise in einem Roman zu erwarten wäre. Ich habe hier nicht versucht zu beweisen, daß Morrison etwas geschrieben habe, das sie nicht geschrieben hat, sondern ich wollte aufzeigen, wie eine schwarze feministische Perspektive zumindest das Inbetrachtziehen dieser Ebene des Romans ermöglicht.
In einem Interview in Conditions: One spricht Adrienne Rich von nichtvollzogenen Beziehungen zwischen Frauen und der Notwendigkeit, die Bedeutung von intensiven, angeblich nicht erotischen Beziehungen zwischen ihnen zu überdenken. Sie stellt fest:
- »Wir brauchen viel mehr dokumentarisches Material über das, was tatsächlich stattfand: Ich glaube, wir können es uns auch vorstellen, weil wir wissen, daß es geschah — wir wissen es aus unserem eigenen Leben.«[18]
Schwarze Frauen müssen sich schwarze lesbische Literatur immer noch »vorstellen«, sie entdecken und bestätigen, da so wenig aus einer unverhohlen lesbischen Perspektive geschrieben wurde. Das nahezu völlige Fehlen einer schwarzen lesbischen Literatur, das mir und anderen schwarzen Lesben so schmerzlich bewußt ist, hat viel mit unserer Lebensweise zu tun, dem völligen Unterdrücken/Negieren der eigenen Identität, dem sich alle schwarzen Frauen, ob lesbisch oder nicht, gegenüber sehen. Dieses Schweigen auf literarischer Ebene wird durch die Nichtexistenz einer autonomen schwarzen lesbischen Bewegung verstärkt, mit deren Hilfe wir unsere Unterdrückung bekämpfen und einander erkennen könnten.
In ihrer Rede »The Autonomy of Black Lesbian Women« geht Wilmette Brown auf die Beziehungen zwischen unserer politischen Realität und der Literatur, die wir erfinden müssen, ein:
- »... die Isolation schwarzer lesbischer Frauen von schwarzen heterosexuellen Frauen ist dadurch, daß wir Superfreaks sind, dadurch, daß unser Lesbischsein sowohl der sexuellen als auch der rassischen Identität, die das Kapital uns gibt, trotzt, extrem groß. Extrem groß. Ich habe die gesamte Geschichte der Schwarzen, schwarzen Literatur und was immer es sonst noch gibt, nach zumindest einigen Frauen durchforstet, die irgendwie lesbisch sein könnten. Jetzt weiß ich, daß sie in einem gewissen Sinn alle lesbisch waren. Aber es war eine sehr mühsame Suche.«[19]
Heterosexualität ist gewöhnlich das einzige Privileg, das schwarze Frauen genießen. Keine von uns genießt rassische oder sexuelle Privilegien, kaum eine Privilegien aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit; »normal« zu bleiben ist unsere einzige Zuflucht. An die Öffentlichkeit zu treten, besonders in gedruckter Form, bedeutet den endgültigen Verzicht auf die Krumen der »Toleranz«, die für nicht bedrohliche, »damenhafte« schwarze Frauen manchmal abfallen. Ich bin davon überzeugt, daß es unser Mangel an Privilegien und unsere Machtlosigkeit auf jedem anderen Gebiet sind, die es so wenigen schwarzen Frauen erlauben, den Sprung zu machen, den so viele weiße Frauen, vor allem Schriftstellerinnen, in diesem Jahrzehnt gemacht haben. Und dies nicht nur, weil sie weiß sind oder finanziellen Rückhalt haben, sondern weil sie die Stärke und Unterstützung einer Bewegung hinter sich wußten.
Als schwarze Lesben müssen wir nicht nur in der weißen Gesellschaft Öffentlichkeit herstellen, sondern auch innerhalb der schwarzen Gemeinschaft, die mindestens ebenso homophobisch ist. Daß die Sanktionen gegenüber schwarzen Lesben extrem hart sind, wird durch die folgende Aussage des schwarzen Schriftstellers Ishmael Reed deutlich. Im Zusammenhang mit den Vorstößen Weißer in den Bereich schwarzer Kultur sagt er:
- »In Manhattan findet man Leute, die versuchen, intellektuelle Auseinandersetzungen unter Schwarzen zu verhindern. Die mächtigen ,liberalen/radikalen/existentialistischen' Einflüsse des Manhattaner Literatur- und Dramaestablishments zeigen sich anhand von Symbolfiguren, wie z. B. die Vorstellung jenes einen schwarzen Ideologen (der gewöhnlich Kommunist ist), jener einen schwarzen Dichterin (die gewöhnlich eine feministische Lesbe ist).«[20]
Für Reed sind »feministisch« und »lesbisch« die herabsetzendsten Bezeichnungen, die er einer schwarzen Frau entgegenschleudern kann und mit denen er alles entwertet, was sie sagen könnte. Solche Anschuldigungen sind äußerst wirkungsvoll, um schwarze Autorinnen, die mit Integrität und Stärke von welcher Perspektive auch immer schreiben, im Zaum zu halten, besonders aber jene, die tatsächlich feministisch und lesbisch sind. Leider ist Reeds reaktionäre Haltung nur zu typisch. Eine Gemeinschaft, die sich nicht mit Sexismus auseinandergesetzt hat, weil keine breite schwarze feministische Bewegung sie dazu zwang, mußte sich ebensowenig mit ihrem Heterosexismus auseinandersetzen. Selbst heute bin ich nicht davon überzeugt, daß es möglich ist, explizit als schwarze Lesbe zu schreiben und weiterhin in Ruhe zu leben.
Aber es gibt ein paar schwarze Frauen, die alles für die Wahrheit riskiert haben. Audre Lorde, Pat Parker und Ann Shockley haben zumindest den ersten Spatenstich in der ungeheuren Wildnis der Werke, die es noch nicht gibt, getan.[21] Eine schwarze feministische Literaturkritik wird eine wichtige Rolle dabei spielen, ein Klima zu schaffen, in dem schwarze lesbische Autorinnen überleben können. Außerdem wird sie eine vollkommene Neueinschätzung von schwarzer Literatur und Literaturgeschichte vornehmen, die notwendig ist, um die schwarzen frauenzentrierten Frauen ans Tageslicht zu bringen, auf die Wilmette Brown und so viele andere so dringend warten.
Obwohl ich mich hier auf das konzentriert habe, was es noch nicht gibt, und darauf, was getan werden muß, haben einige schwarze feministische Kritikerinnen bereits damit angefangen, etwas zu tun. Gloria T. Hüll von der University of Delaware hat bei ihren Forschungen über schwarze Autorinnen der Harlem Renaissance entdeckt, daß viele der Autorinnen, die als »zweitklassige« Schriftstellerinnen der Zeit angesehen werden, ständigen Kontakt zueinander hatten und einander für ihre Arbeit intellektuelle Stimulation und psychologische Unterstützung gaben. Zumindest eine dieser Autorinnen, Angeline Weld Grimke, hat viele unveröffentlichte Liebesgedichte an Frauen geschrieben. Lorraine Bethel, die kürzlich ihr Examen am Yale College machte, hat beträchtliche Arbeit auf dem Gebiet schwarzer Frauenliteratur geleistet, vor allem in ihrer Abschlußarbeit »This Infinity of Conscious Pain: Blues Lyricism and Hurston's Black Female Folk Aesthetic and Cultural Sensibility in Their Eyes Were Watching God«, in der sie die Prinzipien einer schwarzen feministischen Literaturkritik in brillanter Weise anwendet. Elaine Scott von der State University of New York (Old Westbury) ist ebenfalls mit äußerst kreativen und politisch bedeutsamen Forschungsarbeiten über Hurston und andere Schriftstellerinnen beschäftigt.
Die Tatsache, daß diese Kritikerinnen jung sind und — mit Ausnahme von Hüll — noch nichts veröffentlicht haben, veranschaulicht nur die Hindernisse, die wir zu überwinden haben. Es gibt zweifellos noch andere Frauen, deren Arbeiten ich nicht einmal kenne, weil es einfach keinen Raum für sie gibt. Wie Michelle Wallace in ihrem Artikel »A Black Feminist's Search for Sisterhood« feststellt:
- »Wir leben als Frauen, die Schwarze sind, die Feministinnen sind, jede momentan gestrandet, unabhängig voneinander arbeitend, weil es in dieser Gesellschaft noch immer kein Umfeld gibt, das auch nur im entferntesten mit unserem Kampf sympathisiert — (oder mit unseren Gedanken).«[22]
Ich hoffe nur, daß dieser Artikel eine Möglichkeit darstellt, unser Schweigen und unsere Isolation zu durchbrechen und einander kennenzulernen.
Ebenso wie ich nicht wußte, wie ich anfangen sollte, bin ich mir nicht sicher, wie ich aufhören soll. Ich habe das Gefühl, daß ich zu viel zu sagen versuchte und gleichzeitig zu vieles ungesagt ließ. Ich würde mit diesem Artikel gern erreichen, daß alle, die ihn lesen, alles hinterfragen, was sie jemals über feministische Kultur gedacht oder geglaubt haben. Und daß sie sich außerdem fragen, welche Beziehung ihre Gedanken zum Lesen und Schreiben schwarzer Frauen haben. Ich möchte — als ersten Schritt — weiße Frauen auffordern zu einer vernünftigen Verantwortlichkeit gegenüber allen Frauen, die auf diesem Planeten leben und arbeiten. Am meisten wünsche ich mir, daß schwarze Frauen und schwarze Lesben nicht mehr so allein dastehen. Letzteres wird eine sehr umfassende Revolution erfordern sowie viele neue Wörter, um diese Revolution Wirklichkeit werden zu lassen. Abschließend möchte ich daraufhinweisen, wieviel leichter meine Tage und Nächte wären, wenn es nur ein Buch gäbe, das mir speziell etwas über mein Leben erzählen würde. Ein Buch, das auf den Erfahrungen einer schwarzen Feministin und Lesbe beruht, Prosa oder Sachtext. Nur ein Buch, das die Wirklichkeit widerspiegelt, die ich und die schwarzen Frauen, die ich liebe, zu schaffen versuchen. Gäbe es ein solches Buch, so wüßte jede von uns nicht nur besser zu leben, sondern auch besser zu träumen.