Bei diesen Verzückungen scheint die Seele den Leib nicht mehr zu beleben, und darum ist auch ganz deutlich zu spüren, wie die natürliche' Wärme im Leib abnimmt und er allmählich erkaltet, obgleich dies mit einer außerordentlichen Wonne und Süßigkeit verbunden ist... Meistens sind wir gar keines Widerstands fähig. Da wirst du oftmals, ohne daran gedacht zu haben und ohne in irgendeiner Weise selbst mitzuwirken, von einem so plötzlichen und starken Ungestüm erfaßt, daß du siehst und fühlst, wie jene Wolke sich erhebt oder jener gewaltige Adler sich emporschwingt und dich auf seinen Flügeln dahinträgt. Du merkst und siehst, wie du erhoben wirst, aber du weißt nicht, wohin. Daherkommt es, daß du, wenngleich mit Wonne erfüllt, ob der Schwachheit unserer Natur anfangs von Furcht ergriffen wirst. Die Seele muß daher mutvoll und entschlossen sein... um sich unter Hintansetzung jeglichen Bedenkens, komme, was da wolle, willig den Händen Gottes zu überlassen und dahin zu folgen, wohin wir von ihm geführt werden; denn du magst wollen oder nicht, du wirst doch erhoben /... / Hinterher ist es eine Pein, wieder zum Leben zurückkehren zu müssen. Sieh da, so ist der Gärtner nun auch Befehlshaber geworden. Hier hat die Seele den schwachen Flaum verloren und Flügel zu hohem Flug angelegt. /... / O Gott! Wie klar erscheint hier doch der Sinn jenes Verses, worin der königliche Sänger sich Taubenflügel wünscht. Wie begreiflich ist es da, warum er darum bat und warum wir alle bitten sollten! Man erkennt es klar, daß hier der Geist einen Flug nimmt, sich über alles Erschaffene und vorab über sich selbst zu erheben; aber es ist ein sanfter Flug, ein wonnevoller Flug, ein Flug ohne Geräusch. O Jesus, mein höchstes Gut, ich liebe dich nicht, ich will es nicht einmal, aber o, wie ich lernen will, dich lieben zu wollen.[1]
Frage: Ist das ein erotischer Text?
Antwort: Eine Frau irgendwo meint ja. (P.S. Er stammt von Theresa von Avila, 1515 — 1582, Doktor und Heilige der römisch-katholischen Kirche.)
Eine andere Frau erzählte mir, für sie sei Cathys Ausruf: »Ich bin Heathcliffe!« aus Emily Brontes Sturmhöhe die Krönung erotischen Schreibens.
Im Juni 1986 habe ich auf der zweiten internationalen feministischen Buchmesse in Oslo ein Seminar gehalten mit dem Titel »Erotik und weibliche Literaturtraditionen: vom Problem, in einer pornographischen Kultur Begehren zu benennen«. Während der Vorbereitungen für das Seminar machte ich eine kleine informelle Umfrage. Ich fragte 53 Frauen nach ihrem liebsten erotischen Text (wenn nötig, übersetzte ich »erotisch« einfach als »sexy«). Die älteste der Frauen war 73 und die jüngste 12. Die Umfrage war unzulänglich, weil ich nur Frauen befragte, denen ich im Laufe von zwei Wochen begegnete. Angesichts meiner Lebensumstände waren das vornehmlich Frauen aus der Arbeiterklasse im Londoner East End und intellektuelle Feministinnen. Eine breitere Basis hätte, insbesondere wenn sie mehr heterosexuelle Frauen aus der Mittelschicht und mehr Facharbeiterinnen erfaßt hätte, unter Umständen ein anderes Ergebnis gebracht, deshalb habe ich hier die Zahlen nicht statistisch ausgewertet. Dennoch waren die Ergebnisse bedenkenswert: Nur vier Frauen, darunter eine lesbische, nannten männliche Autoren. Ein paar nannten unveröffentlichte Texte, darunter »das Tagebuch meiner Tochter, die im Teenageralter ist, aber sag' ihr nichts davon«. Aus meiner Sicht am interessantesten war jedoch, daß von den über 50 Befragten keine zwei Frauen dasselbe Buch nannten.
Ich werde nicht alle fünfzig Bücher aufführen, aber sie waren von einer außerordentlichen Vielfalt: von Sappho bis Jilly Cooper, enthielten die mystischen Schriften von Teresa von Avila, Emily Brontes Sturmhöhe, Elizabeth Davids Mediterrane an Cookery (Die Küche des Mittelmeeres), Virginia Woolfs Orlando, Marge Piercys Vida, Patience und Sarah, ein lesbischer historischer Roman von Isabel Miller, Liebesromane von Georgette Heyer, Anais Nins Werke, einen Geburtsbericht, vom National Childbirth Trust herausgegeben, sowie eine große Menge Schundromane für Frauen. Nur eine Frau kam mit einem offen pornographischen Text heraus. (Es sollte jedoch gesagt werden, daß sie eine sehr gute Freundin war — womöglich teilten andere Frauen ihre Meinung und wollten es nur nicht sagen —, was, wie ihr sehen werdet, recht hübsch zu meiner Theorie paßt!)
Es ist bemerkenswert, daß mit der möglichen Ausnahme einiger zeitgenössischer Schundromane — und selbst dort ist die Absicht sorgfältig in Handlung und pseudo-psychologischer Motivation verborgen — wenige dieser Bücher vorsätzlich »erotisch« im Sinne des allgemeinen Wortgebrauchs sind. Es sollte niemanden überraschen, daß Frauen einem solchen Wort eine andere Bedeutung beimessen: Auch wenn es den sprachwissenschaftlichen Studien, beispielsweise von Dale Spender,[2] bisher nicht gelungen ist, zufriedenstellend zu zeigen, daß Frauen tatsächlich klassen-und kulturübergreifend eine andere Sprache haben, so haben sie doch hinlänglich bewiesen, daß ihr Sprachgebrauch, insbesondere die Wortwahl anders ist. Das trifft in verstärktem Maße für den Bereich der sexuellen Erfahrungen zu. Während es ideologisch ergötzlich sein mag, noch ein Beispiel für männliche Kontrolle der herrschenden Sprache in der Kultur zu finden, sollten wir, wie ich meine, nicht zu bereitwillig schlußfolgern, daß dieser weibliche Sprachgebrauch auf simplistische Weise »gut« oder dem männlichen Gebrauch überlegen ist.
So machte mich beispielsweise traurig, zu sehen, wie viele der genannten Texte zutiefst masochistisch waren, meist in dem romantischen Sinne, daß der zwingende Identitätsverlust in den Armen eines/einer anderen der Gipfel weiblicher erotischer Sehnsüchte ist. Einige der Romane von Georgette Heyer mögen als vielleicht bekannteste und krasseste Beispiele dafür dienen.-Dort wird eine unabhängige, aktive Frau »gezähmt« — nicht wie in Der Widerspenstigen Zähmung, sondern durch das eigene tiefgründige Verlangen nach sexueller Liebe —, scharenweise sinken wunderschöne aristokratische, des Reitens mächtige, ihr Leben gestaltende junge Damen bewußtlos in die Arme relativ brutaler (wenn auch nicht weniger aristokratischer) »Helden«. Auf eine weitaus komplexere Weise ist das auch die Tendenz selbst solcher Romane wie Sturmhöhe, wo Cathys »Ich bin Heathcliffe« nicht etwa Cathys Vampirgewalt über Heathcliffe ausdrückte, sondern seine Gewalt über sie und ihren Verlust einer eigenen Identität. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant, daß der Held in Jane Eyre — von Emilys Schwester Charlotte Bronte — im Versuch, diesem Prozeß zu entkommen, erst mal erblinden und zum Krüppel gemacht werden muß, bevor die Heldin ihn lieben kann. Es sind dies nicht die Texte von Gleichberechtigung oder Autonomie des Begehrens. Es besteht die Gefahr, daß »erotisch«, wie es im feministischen Diskurs verwendet wird, oft »Pornographie, die für mich/uns funktioniert« heißt und entsprechend »Pornographie« »das Erotische, das für sie funktioniert«. Ihres ist schlecht, unseres gut, auf irgendwie ontologische Weise. So ist die verbale Beschreibung leidenschaftlicher Sexualität und zarter Sinnlichkeit in unseren liebevollen Frauenarmen sicher aufgehoben, auf die gleiche Weise wie Frieden — während wir die Amazonen und Johanna von Orleans feiern — und wie Kinder — während wir über Medea und die Kindesmörderin Myra Hindley nachsinnen und ihre Bedeutung erforschen. Ich glaube nicht, daß es so einfach ist.
Wir haben also eine lange Tradition von Büchern, die von Frauen verfaßt sind und von Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts als erotisch empfunden werden, trotz — oder gerade wegen — der Tatsache, daß sie äußerst wenig explizit sexuellen Stoff und fast gar keine Beschreibungen genitaler Erregung enthalten. Diese Texte stammen aus allen westlichen Literaturtraditionen, von der Klassik bis zur Postmoderne, sie sind in allen literarischen Genres zu finden — das heißt, es sind nicht nur etwa die Romantik (mit ihrer Betonung der Authentizität von Gefühlen) oder die Literatur des Bewußtseinsstroms (mit ihrer Betonung innerer Vorgänge), die diese Schriften hervorgebracht haben, wie vielleicht zu erwarten wäre.
Ich möchte behaupten, daß alle Autorinnen dieser Texte eines gemeinsam hatten: Sie lebten in Gesellschaften, in denen dem autonomen Begehren von Frauen jeder positive Wert verweigert wurde. Der kulturelle Mechanismus dieser Verweigerung ist komplex und vielfältig (Frauen kennen kein Begehren, sie begehren zuviel, ihr Begehren gehört ihnen nicht selbst; sie sind frigide, Huren, Versucherinnen, Göttinnen, usw.). Für uns hier von Bedeutung ist nicht, wie das Begehren unter Kontrolle gehalten wird, sondern daß es kontrolliert wird und daß ihm eine positive Bewertung verweigert wird. Und wie wir aus eigener Erfahrung wissen, ist es außerordentlich schwer, allein sogar unmöglich, diese Art systematischer ideologischer Verweigerung nicht zu verinnerlichen. Was dabei herauskommt, ist Verdrängung. Nun, wenn man mich fragt, ist ein wenig Verdrängung nicht nur nach Freud notwendig, sondern für uns alle durchaus etwas Positives — das Über-Ich ist nicht unbedingt der Feind des Ich. Meine Sorge hier gilt jedoch nicht dem psychoanalytischen Prozeß der Verdrängung, sondern der Frage, was im literarischen Text mit dem Stoff der Verdrängung geschieht. Sublimie-rung ist im Moment meist ein Schimpfwort, doch eigentlich heißt »sublimieren« ursprünglich »veredeln, läutern, mit Ehre, Würde versehen«. Ich übernehme bereitwillig, daß — wie die psychotherapeutischen Disziplinen deutlich gemacht haben — zuviel sexuelle Verdrängung für einzelne gefährlich sein kann, aber ich kann die Überzeugung nicht unterdrücken, daß sie für Literatur eher gut ist und der Stoff, je stärker er sublimiert worden ist, in technisch kompetenten Händen um so interessanter, universeller und, wie ich zu zeigen hoffe, potentiell um so erotischer wird.
Schriftsteller wie Henry Miller oder Norman Mailer, die mit ihrem Mangel an Verdrängung prahlen und ihre sexuellen Phantasien nackt darlegen, haben keine Bücher von der Bedeutung und der erotischen Kraft wie beispielsweise Sturmhöhe oder Orlando hervorgebracht. In diesem Kontext interessant ist die Kraft von Mary Shelleys sublimierten Phantasien in Frankenstein verglichen mit dem nackten Ich — intellektuell, ethisch, psychosexuell — ihres Mannes in Prometheus. Beide Texte wurden fast gleichzeitig verfaßt und entsprangen einem intensiv geteilten gemeinsamen Interesse an der Natur, den Fähigkeiten und dem Schicksal der Menschheit. Percy Shelley war im Besitz aller Vorteile von Bildung, Autorität, Berühmtheit usw., und doch war es Mary Shelley, eine Heranwachsende, die eine der wenigen modernen personifizierten Ideen mit echtem mythischen Status schuf. Oder platter gesagt: selbst bei Berücksichtigung des Vorteils, den Prosa im heutigen Geschmack gegenüber getragener dichterischer Leistung genießt (was nicht galt, als sie die Werke schufen), weiß ich, welches der beiden Werke ich lieber lesen würde.
Nun, warum sollte das so sein? Ich vermute, es hat etwas mit subjektiven gegen objektive Beziehungen zu tun. Wenn es eine Arbeitsdefinition für Pornographie gibt, die mir brauchbar erscheint, so die, daß es bei Pornographie um die Verdinglichung des Begehrten geht: ein Text wird pornographisch, wenn er das Ziel der Begierde in ein Objekt, in ein Ding verwandelt, indem im begehrenden Subjekt die Subjektivität (persönliche Wahl, individuelle Reaktion, persönliche Identität, individuelle Gleichberechtigung) des Objekts verleugnet wird. Wenn das Objekt, das auf diese Weise zum Ziel der Begierde wird, in ihren Augen nicht ein Objekt, sondern eine subjektive Realität ist, ist sie (oder, um ehrlich zu sein, auch er) von einer solchen Objektifizierung gefährdet, insbesondere wenn diese in der Kultur eine breite Anerkennung hat. Die Objektifizierung der »Frau« in der Kultur des subjektiven Mannes ist genau solch ein Fall. (Daß
dies eine kulturell konstruierte Vorstellung sei, wird von der hoch objektiven Pornographie, die innerhalb bestimmter Teile der männlichen homosexuellen Kultur produziert wird, untermauert.) Hier ergibt sich als logische Folge, daß das Begehren, wenn es verdrängt ist, sich im öffentlichen Text [3] nicht auf ein ausgewähltes Ziel richten kann. Es kann sein Ziel nicht nennen und kann daher das Ziel nicht in ein Objekt verwandeln, es kann nicht objektifizieren. Das Begehren ist gezwungen, subjektiv zu sein; und aus dieser Subjektivität, aus der Erkenntnis heraus, daß der Stoff persönlicher Natur ist (das muß natürlich keine bewußte Erkenntnis sein), entstehen die literarischen Texte. Ich habe behauptet, dies sei eine Folge der sozialen Konstruktion von Frauen. Die Vorstellung gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man die Werke männlicher Mystiker betrachtet, besonders christliche, wo das Ziel des Begehrens wiederum nicht benannt werden darf. Die hoch erotische Dichtung von Johannes vom Kreuze ist zum Beispiel durch seine Verpflichtung gegenüber dem Standpunkt, daß Gott nicht benennbar und nicht faßbar ist, zu strenger und leidenschaftlicher Subjektivität gezwungen.
In diesem Kontext ist es, wie ich meine, von Bedeutung, daß in allen genannten Texten meiner Umfrage die Stimmen der Autorinnen im Text untergetaucht sind — nie sind sie distanziert oder ironisch. Hier lohnt sich ein Blick in Sturmhöhe, denn Emily Bronte wechselt die autorielle Stimme häufig und mit einem deutlichen Selbstbewußtsein und einer für eine Vorläuferin der Moderne seltenen Kontrolle. Ich meine, sie hat dieses hoch technische erzählerische Mittel entwickelt, um die Stimme der Autorin verschwinden zu lassen, während es gleichzeitig Platz für einen vollkommen subjektiven Text bietet, wenn sie die Auswirkung von Cathys Begehren zu beschreiben sucht. Das Gegenteil wird womöglich im köstlichen, hoch kunstvollen lesbischen Roman Relatively Norma von Anna Livia gut demonstriert. Dort bietet die wunderbar ausgeklügelte Ironie und die Distanz der Autorin zwar vielfältige Genüsse, verweigert der Leserin aber wirkungsvoll jede erotische Befriedigung. Erotik verlangt nach einer subjektiven Autorinnenstimme in der Gegenwart (ich spreche natürlich nicht davon, wo sich eine Autorin ihrer Autobiographie nach befindet, sondern von der Stimme der Autorin im Text). Sowie eine Autorin bereit ist, ihr subjektives Begehren auf den Tisch, das heißt in den Text, zu legen, anstatt nur das objektive Ding, nach dem verlangt wird, kann es eine Bandbreite der Bedeutungen und eine Beziehungsfähigkeit annehmen; es kann auf Resonanz in der Leserin treffen, die ebenfalls eine Subjektivität des Begehrens mit in den Akt des Lesens einbringt. Und das erklärt vielleicht auch ein wenig, warum Frauen so sehr verschiedenartige Texte als erotisch empfinden.
In dem Seminar in Oslo sind wir jedoch in erster Linie als Schriftstellerinnen an die Frage herangetreten. Die Theorie stellt feministische Schriftstellerinnen, die sich für die Macht der Erotik interessieren, vor die Schwierigkeit, daß wir nicht mehr willens und wahrscheinlich auch gar nicht mehr fähig sind, eine ehrliche Verdrängung unseres Begehrens in den Prozeß des Schreibens einzubringen. Das wollen wir auch gar nicht: Es ist in bezug auf unser persönliches Leben und auf unsere politische Einsatzkraft zugleich zu schmerzhaft und zu gefährlich. Aber wenn wir uns frei fühlen, unser Verlangen zu benennen — wie können wir dann jene Objektifizierung und die darauf folgende Schaffung pornographischer Texte vermeiden? Ich gehe hier natürlich von der Annahme aus, daß wir nicht wünschen, pornographische Texte nach Art der Männer zu erschaffen. Das ist potentiell eine tendenziöse Annahme. Für mich gründet sie sich nicht auf eine literarische, sondern auf eine politisch/ethische Prämisse, nämlich-, was ist machbar und sichtbar in einer Gesellschaft, in der das Wohlergehen und die physische Sicherheit so vieler Frauen auf vielerlei Weise wesentlich gefährdet ist. Wie Robin Morgan es in der Anatomie der Freiheit ausdrückt: »Wer will schon sagen, daß die Kaiserin keine Kleider anhat, wenn die Pornographen überall herumlaufen.«
Einige Frauen behaupten, es sei für Frauen aufgrund ihrer Sensibilität und der Natur weiblichen Begehrens unmöglich, Pornographie zu erzeugen, aber ich bin einigermaßen sicher, daß ich mir selbst da nicht so ganz traue; meine sexuellen Phantasien, und ebenso die in den Sammlungen von Nancy Friday,[4] deuten an, daß Frauen genauso fähig zu Objektifizierung und sexuellem Imperialismus sind wie Männer.
In dem Seminar haben sich dennoch eine Reihe von Lösungswegen gezeigt. Der erste Vorschlag war, daß die Schriftstellerin sich selbst zum Objekt ihrer Begierde mache, wie vielleicht Anais Nin es bereits getan hat: In einem solchen Text wird die Autorin sich schwerlich selbst zum Objekt reduzieren und könnte statt dessen recht erfolgreich narzißtische oder genuin sado-masochistische Prosa verfassen und dazu in die Lage versetzt sein, eine interessante Subjektivität hinsichtlich der gesamten Frage sexueller Macht/Gewalt zu entwickeln. Das würde, wie ich bereits andeutete, wahrscheinlich bei vielen anderen Frauen auf eine tiefe Resonanz stoßen. In der Tat befaßt sich ein großer Teil der heutigen feministischen Literatur mit dem Wissen vom Ich, dem Besitz des Ich, als wäre es wirklich ein Ziel des Begehrens. Was für die literarische Form heißt, daß ein großer Teil der britischen feministischen Romane sich ganz und gar innerhalb der romantischen Tradition bewegt, worin die Heldin am Ende in den metaphorischen Sonnenuntergang wandelt, Arm in Arm mit der Unabhängigkeit, so wie der traditionelle Held dereinst mit seinem »Mädchen« oder die traditionelle Heldin mit ihrem Ehemann.[5] Aber das muß letztlich ein begrenztes Unterfangen sein — eins, über das wir hoffentlich hinauswachsen oder es zumindest durch größere Wahlmöglichkeiten ausweiten können.
Die feministische Verfasserin prospektiver erotischer Texte könnte auch ihr Begehren auf Dinge richten, die bereits »Objekte« sind und demzufolge durch ihre Objektifizierung nicht geschädigt werden können. In mancher Hinsicht ist auch das schon geschehen — es gibt eine beträchtliche Anzahl feministischer Erzählungen, die Essen, das Wetter oder das Meer benutzen, nicht um Leidenschaft zu symbolisieren, sondern sie selbst dazu zu machen oder als Brennpunkt der Leidenschaft selbst darzustellen. Aber auch das kann jenem Ausdruck sexuell erotischer Freude, die ein Teil des Begehrens fast aller und der Erfahrung vieler Menschen ist, nicht genügend Freiraum bieten.
Ein weiterer Vorschlag — und zwar einer, der mir, wie ich gestehen muß, im Licht eigener Erzählungen subjektiv zusagt — meinte, es sollte möglich sein, den erotischen Text weit außerhalb der Sphäre des sozialistischen Realismus anzusiedeln, wo die politischen Verquickungen des Begehrens möglichst gering wären. Bei den Versuchen, dies im Rahmen mythisch-poetischer Stoffe zu tun, ist es unvermeidlich, zu berücksichtigen, wie diese Stoffe von historisch späteren kulturellen Normen (zu den unterschiedlichsten Zwecken) objektifiziert worden sind, und dieses Ent-objektifizieren der »Geschichten« oder Charaktere schafft zu den Gefahren der Objektifizierung des Begehrens ein Gegengewicht.[6] Die Wahl von Science Fiction oder Utopien entfernt die Erotik ebenfalls aus der politischen Arena, ohne die Subjektivität der Autorinnenstimme zu gefährden. Diese und andere Arten von »Fantasy« oder magischem Realismus werden von feministischen Schriftstellerinnen erprobt — natürlich nicht ausschließlich mit dem Zweck, das erotische Dilemma zu lösen, aber das ist eine wertvolle »Nebenwirkung«.
Eine vierte Richtung gefiel uns im Seminar jedoch besser: Das Bemühen, den erotischen Text immer in den Rahmen einer existierenden Beziehung zu plazieren. Wo zwei Subjekte mit ihrem Bewußtsein an der textlichen Erfahrung teilhaben, ist es schwer möglich, daß eins von ihnen vollkommen zum Objekt gemacht wird — oder wenn es mit einem geschieht, wird das der Leserin schwerlich entgehen. Auf den ersten Blick erscheint dies als Widerspruch zu der früheren Beobachtung, daß der erotische Text am besten funktioniert, wenn es eine scheinbare Identität zwischen der Autorinnenstimme und der Figur gibt, deren erotische Erfahrung dargestellt wird. Also ist dieser Vorschlag für sich betrachtet noch keine sehr weit führende Lösung. Aber er schafft doch eine formale Herausforderung an Schriftstellerinnen, die sich mit Erotik befassen: Wie können wir einen Text erschaffen, der nicht distanziert, nicht ironisch, unmittelbar im Präsens, dennoch antiromantisch ist, und dabei im Text zwei oder mehr Subjektivitäten miteinander in Beziehungen halten?
Und den Text dabei auch noch sexy machen.[7]