aus »Eine von zwölf: Schriftstellerinnen, die in unserem Jahrhundert Frauen sind«

Ich fordere euch, die lehren, auf, Schriftstellerinnen zu lesen. Es gibt eine ganze Literatur, die neu zu bewerten und einzuschätzen ist. Manche Werke werden sich — wie die Leben ihrer menschlichen Autorinnen — als sterblich erweisen und sprechen nur für ihre Zeit. Andere, jetzt vergessene, verborgene, ignorierte, werden für uns wieder lebendig werden.
Lest lebende Schriftstellerinnen und hört ihnen zu; neue wie etablierte, oft vernachlässigte. Kein Publikum zu haben ist eine Art Tod.
Lest die Windrose der Schriftstellerinnen in unserer unendlichen Vielfalt. Nicht nur jene, die von uns als der »anderen Hälfte« erzählen, sondern auch jene, die von den anderen menschlichen Dimensionen und Bereichen schreiben.
Lehrt Frauenleben anhand der Leben der Frauen, die die Bücher verfaßt haben, und anhand der Bücher selbst. Und anhand von Autobiographien, Biographien, Tagebüchern, Briefen. Da die Literatur größtenteils vom Leben der wenigen handelt, kennt und lehrt die Bücher, die dem Leben der vielen näher sind.
(...)
Seid kritisch. Frauen haben das Recht zu sagen: dies ist oberflächlich, das verfälscht die Wirklichkeit, dies erniedrigt.
Helft, neue Schriftstellerinnen zu erschaffen, darunter vielleicht euch selbst. Es ist noch soviel ungeschrieben, das geschrieben gehört. Es gibt andere außer den elf von zwölf, die man zum Schweigen gebracht hat, sie könnten in die Literatur tragen, was ihr heute noch fehlt. (...) Es macht nichts, wenn das, was am Anfang entsteht, nicht gleich große oder »gute« Literatur ist.
Ob das Literatur ist, oder ob das keine Literatur ist, wage ich nicht zu sagen, schrieb Virginia Woolf in ihrem Vorwort zu Life As We Have Known It, Memoirs ofthe Working Women's Guild,
aber es erklärt vieles und erzählt vieles, soviel ist
sicher. Die Größe der Literatur ist nicht nur bei großen Schriftsteller/ inne/n zu finden; sie findet sich auch dort, wo vieles erklärt und erzählt wird (auch ein Nährboden der großen Literatur).
Ob Nährboden oder Blüten, es ist meine Hoffnung und mein Wille, daß wir noch vor dem Ende unserers zweiten schreibenden Jahrhunderts so viele Schriftstellerinnen haben werden, wie das unseren angeborenen Fähigkeiten entspricht — mindestens zwölf für jede einzelne anerkannte Frau und Schriftstellerin von heute. (Und denkt daran, für diese zwölf, die zu Ruhm und Anerkennung gelangen, gäbe es immer noch zahllose andere, die weiterhin zu gering geschätzt oder zum Schweigen gebracht würden — so lange, wie die anderen ur-alten Mundtotmacher der Menschheit, Klasse und/oder Rasse, die Oberhand haben.)

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