Tradition und das weibliche Talent

»So vollzog sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Veränderung, die, hätte ich die Geschichte neu zu schreiben,
ich ausführlicher beschreiben und für wichtiger halten würde als die Kreuzzüge oder die Rosenkriege.
Die Frauen der Mittelklasse fingen an zu schreiben.«
Virginia Woolf: »Ein Zimmer für sich allein«

»Im 19. Jahrhundert waren die Männer voller Zuversicht, die Frauen nicht, aber im 20. Jahrhundert sind die Männer ohne Zuversicht.«
Dashiell Hammett zu Gertrude Stein, in: »Everybody's Autobiography«

»Die vorhandenen Literaturdenkmäler stellen untereinander eine ideale Ordnung dar, die dadurch, daß ein neues (ein wirklich neues) Kunstwerk sich zu ihnen gesellt, eine gewisse Veränderung erfährt.«
T. S. Eliot: »Tradition und individuelle Begabung«

Am 30. Dezember 1927 erhielt Virginia Woolf von Max Beerbohm einen seltsam zweideutigen Brief. Während er ihre literaturkritischen Arbeiten für deren Ähnlichkeiten mit den Arbeiten ihres Vaters lobte — »wenn er ein ,Georgianer' gewesen wäre, hätte er genauso geschrieben« — griff er ihre Romane ganz unvermittelt an: »Ihre Romane machen mich fertig — fix und fertig. Ich höre heulend, schmerzend und angeschlagen auf zu lesen; außerdem fühle ich mich kompromittiert. Später lese ich den Roman weiter, unterwerfe mich wieder der Disziplin. Es hat keinen Sinn: ich werde halbtot hinausgetragen.«[1] Was hat dem unvergleichlichen Max so zu schaffen gemacht? Im Kontext seiner Bewunderung für Woolfs The Common Reader wirkt seine beinahe paranoide Assoziation von Woolfs Romanen mit Sklaverei und Disziplin unerklärlich, fast bizarr.
Und siehe da, Beerbohm gibt im selben Brief eine Erklärung für seine schmerzvollen Erfahrungen, die nahelegt, daß seine Schwierigkeiten mit Leslie Stephens Tochter Teil eines umfassenderen Generationskonflikts im Bereich der Literatur sind. »Obwohl Sie heimtückisch sind, glaube ich nicht wirklich, daß Sie mit Ihrer Argumentation recht haben, daß ein neuer Geist eine neue Erzähltechnik hervorbringe«, erklärt er und identifiziert sich mit der »Erzähltechnik Homers und Thackerays, Tolstois und Toms, Dicks und Chaucers, Maupassants und Harrys«, angeblich alles Erzähltechniken, die in Form und Stilistik im traditionellen Realismus wurzeln. Damit stellt er sich als Spätviktorianer gegen Woolf als Repräsentantin des von Cambridge/ Bloomsbury ausgehenden Modernismus. Trotz dieser Erklärung kann man aus Beerbohms Beschreibung der Wirkung von Woolfs Romanen auf ihn sowie aus seiner literarischen Ahnenreihe der Toms, Dicks und Harrys herauslesen, daß hier mehr als nur ein Streit unter Kampfgefährten geführt wird. Darüber hinaus spiegelt das rhetorische Repertoire seines Briefes seltsamerweise eine Geschichte, die er sieben Jahre früher veröffentlicht hatte, eine Geschichte über einen literarischen Kampf nicht etwa zwischen den Generationen, sondern zwischen den Geschlechtern. Tatsächlich verbirgt sich hinter Beerbohms Bild eines Generationskonfliktes der viel tiefergehende literarische Kampf zwischen den Geschlechtern, der nicht nur in seinen eigenen Romanen dramatisiert wird, sondern auch in vielen Werken seiner Zeitgenossen.
»The Crime«, eine Geschichte in Beerbohms And Even Now, beschreibt das starke »Gefühl des Kompromittiertseins«, das ein namenloser Erzähler erlebt, der einen von einer Frau geschriebenen Roman mit ungestümer Geste in den Kamin wirft, dem es aber offensichtlich nicht gelingt, das Buch zu verbrennen. Dieser einsame Schriftsteller, der seine Ferien in einem gemieteten Landhaus in einer entlegenen Gegend Englands verbringt, vergleicht sich selbst zu Beginn der Geschichte mit »Lear in der Hütte auf der Heide«. (246) Als er nach einem geeigneten Lesestoff sucht, fällt ihm der neueste Roman einer bekannten Schriftstellerin in die Hände, der er persönlich bereits mehrmals begegnet ist und von der er sich immer eingeschüchtert gefühlt hat: »Sie hatte... eine schwesterliche, brüderliche Art. (...) Aber ich war mir bewußt, daß das Beste, was ich zu bieten hatte, in ihren Augen nichts wert war. (...) Sie sagte an meiner Statt, was ich zu sagen versucht hatte, nur um mir zu zeigen, warum es falsch war.« (247) Er erinnert sich, daß seine wenigen Gespräche mit ihr tatsächlich dazu geführt hatten, daß er über den »Krieg der Geschlechter« nachzudenken begann, der, »wie uns oft erzählt wird, eines der bestimmenden Merkmale der Zukunft sein wird — Frauen, die das Recht fordern, die gleiche Arbeit wie Männer zu leisten, und Männer, die das ablehnen, verweigern, zum Gegenangriff übergehen.« (248) Während er zwar behauptet, durch die meisten feministischen Forderungen weder »in seinem Selbstverständnis erschüttert worden zu sein« noch »einen Funken Feindseligkeit gespürt zu haben«, bekennt er, daß ihn der Gedanke an schreibende Frauen doch beunruhigt. Genauer gesagt, gibt er zu, daß es ihn ärgert, wenn eine Frau »eine gewohnheitsmäßige, professionelle Autorin ist, mit einer Leidenschaft für ihre Kunst, einem Füllfederhalter und einem Agenten, und im voraus die Tantiemen aus dem Verkauf ihrer Bücher in Kanada und Australien in ihre Kalkulationen einbezieht«. (248-49) Aber die Schriftstellerin, deren Roman Beerbohms Schriftsteller in seinem Landhaus zur Hand nimmt, verkörpert genau diese Dinge, und, schlimmer noch, ihre Werke zeichnen sich durch eine »ungeheure und intensive Vitalität« aus, wie der Text auf dem Einband verspricht; ihr neuester Roman, sagen die Kritiker, ist »ein Buch, das lebendig bleiben wird«. (247) Zudem entdeckt er, als er zu lesen beginnt, daß der Roman selbst ein »Künstlerroman« über eine erfolgreiche Schriftstellerin ist, eine Mutter, die »schreibend in einem Sommerhaus am Ende eines kleinen Gartens sitzt«, während ihr Stift »behende über das leere Blatt Papier« fährt. (249) Es ist daher nicht verwunderlich, daß er eine »köstliche Befriedigung« verspürt, als er gewahr wird, daß er — einem »Impuls folgend... beinahe, ohne sich dessen bewußt zu sein« (250) — das fürchterliche Verbrechen begangen hat, das Exemplar seines Vermieters ins Feuer zu werfen, wo es für einen Moment prächtig glühend zu sehen ist. Aber obwohl ihn zuerst »kleine sehr helle Zungen« (251), die vom Einband herrühren, frohlocken lassen, daß »ich nach Punkten... gewonnen habe« gegen diese »Arme Frau!«, entdeckt er zu seinem Leidwesen bald darauf, daß sich der Text selbst nicht verbrennen läßt. Indem dieser zunehmend besessene Erzähler das Buch mit dem Feuerhaken »hin und her harkt«, es in Abschnitte »zerlegt«, es »unterteilt, ausbreitet und neu verteilt« (251-52), inszeniert er eine Mischung aus ritueller Vergewaltigung und weihevoller Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Aber trotz allem kündet die ungeheure und intensive Vitalität des Romans davon, daß es sich um »ein Buch handelt, das weiterleben wird — was immer man damit auch anstellen mag«. (252) Am Ende muß Beerbohms blamierter Schriftsteller deshalb zugestehen, daß seine Gegenspielerin »nochmals aufgetrumpft« hat. Es war ihm nicht nur unmöglich, ihr Buch im »feuerroten, gähnenden Schlund« seines Herdes zu zerstören, sondern ihr Buch hat seinerseits seine Flammen erstickt. Als sein Feuer endgültig erlischt, bleibt er in einem kleinen kalten Raum allein zurück, genauso mittellos wie eine Lear-Parodie, beschränkt auf das Gefängnis seines Bewußtseins.
Natürlich ist Beerbohms Erzählung eine meisterhaft komische Satire auf den fruchtlosen Zorn, mit dem Schriftsteller den literarischen Errungenschaften von Frauen begegneten. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Inszenierung dieses fruchtlosen Zornes, wie der Brief Beerbohms an Virginia Woolf andeutet. Was die Gegenüberstellung von Brief und Geschichte deshalb aufzeigt, ist, daß das Vorhandensein einer Tradition von »gewohnheitsmäßigen, professionellen« Schriftstellerinnen zu einem Kampf der Geschlechter um den Bereich der Literatur führte, einem Kampf, den die Männer zu Zeiten Beerbohms — ob zu Recht oder Unrecht — zu verlieren glaubten.
Es überrascht daher nicht, daß der Autor von Zuleika Dobson (1906), dieser endgültigen Komödie über eine »femme fatale«, im Kampf der Geschlechter, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit zunehmender Schärfe ausgetragen wurde, keinesfalls auf der Zuschauerbank saß. Obwohl er seine maskulinen Ängste stets hinter eleganter Ironie zu verbergen suchte, verstand Beerbohm die zutiefst dialektische Beziehung, in der sich Männer und Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts befanden, sehr wohl; eine Beziehung, die in der Geschichte ohne Beispiel war, wie Virginia Woolf selbst hervorhob.
Acht Jahre nachdem Beerbohm »The Crime« schrieb, bemerkt Virginia Woolf in einem Absatz von Ein Zimmer für sich allein, den wir diesem Aufsatz vorangestellt haben, daß »... sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Veränderung (vollzog), die, hätte ich die Geschichte neu zu schreiben, ich ausführlicher beschreiben und für wichtiger halten würde als die Kreuzzüge oder die Rosenkriege. Die Frauen der Mittelklasse fingen an zu schreiben«. (74) Zudem hatte Woolf im gleichen Jahr, als Beerbohm »The Crime« veröffentlichte, die Bedeutung des Eintritts von Frauen in die Literaturgeschichte untersucht. In einem Brief an die Zeitung The New Statesman schrieb sie, daß »das 17. Jahrhundert mehr bemerkenswerte Frauen hervorbrachte als das sechzehnte. Das achtzehnte mehr als das siebzehnte und das neunzehnte mehr als alle drei vorangegangenen (Jahrhunderte) zusammengenommen. (...) Wenn ich die Herzogin von Newcastle mit Jane Austen vergleiche, die unübertreffliche Orinda mit Emily Bronte, dann kommt mir der Fortschritt an intellektueller Kraft nicht nur fühlbar, sondern überwältigend vor.« (»Response to ,Affable Hawk'«) Indem sie die Entwicklung einer Tradition von ungeheurer und intensiver Vitalität schildert, erscheinen Woolfs Ausführungen fast als Erläuterung des Dilemmas, das Beerbohm in »The Crime« dargestellt hat. Darüber hinaus scheint der implizite Dialog zwischen Beerbohm und Woolf, den wir hier zurückverfolgt haben, die ungleiche Reaktion von männlichen und weiblichen Autoren auf die zunehmende Präsenz interessanter Frauen auf dem literarischen Markt zu illustrieren. Denn wie wir im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes zeigen werden, reagierten beide Geschlechter mit starken, vor allem aber sehr unterschiedlichen Veränderungen ihres Welt- und Selbstbildes auf den Eintritt von Mittelklassefrauen in die Berufswelt, besonders natürlich, wenn es sich um den Beruf des Schreibens handelte. Am Anfang stand — höchst dramatisch — die Tatsache, daß Schriftsteller wie Henry James in den USA oder Oscar Wilde in England nicht umhin konnten, festzustellen, daß ihre Generation eine der ersten war, die weibliche Vorläufer hatte. Aber was bedeutete es für diese Männer, sich nicht nur dem kommerziellen Erfolg von z. B. Harriet Beecher Stowe in den USA und Mary Elizabeth Braddon in England gegenüberzusehen, sondern auch den kulturellen Leistungen von z. B. George Eliot, Elizabeth Barrett Browning und Charlotte Bronte in England?
Wie wir zeigen werden, war der historische Wandel für sie äußerst beunruhigend, da er mehrere Ebenen betraf: erstens bedeutete der Wandel, wie Ann Douglas gezeigt hat, eine erschreckende Feminisierung der Kultur, ein entmännlichendes Umschlungensein durch die Mutter, da die neue Autonomie der Frauen das ödipale Paradigma zerschlug, demzufolge die Mutter eine Person war, über die verfügt wurde, statt daß sie selbstbestimmt lebte; zweitens, und vielleicht noch wichtiger, verstärkte diese historische Veränderung das Gefühl des Zuspätgekommenseins, da für die literarischen Söhne des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts der ödipale Kampf um die Stellung und den Besitz des Vaters jetzt von vornherein unter einem schlechten Vorzeichen stand — die Sorge um den originären Machtanspruch des Vaters — ein Problem, über das sich fast alle Schriftsteller bereits seit Jahrhunderten den Kopf zerbrachen, wie Harold Bloom gezeigt hat. Was Matthew Arnold als »diese seltsame Krankheit des modernen Lebens« bezeichnete, wurde zu einer Verdrossenheit über das »feminine, schwatzende, singende Zeitalter«, wie es Henry James in Die Damen aus Boston (The Bostonians) einmal nannte. Gleichzeitig war jedoch genau diese Verdrossenheit für viele männliche Autoren durchaus von Vorteil. Denn wie der Reichtum der (männlichen) modernistischen Tradition bezeugt und wie wir im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes zeigen werden, wurde Beerbohms fruchtloser Zorn zu einem fruchtbaren, indem er die Innovationen der modernistischen Avantgarde nährte, die den Angriff der Frauen abwehren sollten.
Vor nicht allzu langer Zeit hat Harold Bloom eher beiläufig und fast schon komisch erklärt, daß »der erste wahre Bruch mit der literarischen Kontinuität in zukünftigen Generationen stattfinden wird, wenn die sprießende Religion der Befreiten Frau sich aus ihrem Kern von Enthusiasten lösen und ausweiten wird, um den Westen zu dominieren. Homer wird nicht länger der unausweichliche Vorläufer sein, und die Stile und Formen unserer Literatur könnten dann letztlich doch mit der Tradition brechen.« (33) Bloom scheint sich vorsorglich über eine mögliche zukünftige Katastrophe Gedanken zu machen, aber man könnte auch argumentieren, daß das Ereignis, das er in derart ironischer, apokalyptischer Weise an die Wand malt, bereits stattgefunden hat. Mit Sicherheit könnten seine Bemerkungen als Erläuterung zu einer Novelle von Aldous Huxley aufgefaßt werden, die dieser im gleichen Jahr veröffentlichte, in dem Max Beerbohms »The Crime« erschien. »The Farcical History of Richard Greenow« war die zentrale Geschichte in einem Band mit dem volltönenden und entschieden nihilistischen Titel Limbo, und ganz im Sinne eben dieses Nihilismus verfolgte Huxleys Geschichte die Mißgeschicke und die wachsende Frauenfeindlichkeit eines Schriftstellers, der am eigenen Leib jenes Ende einer männlichen Geschichte erlebt, das Bloom voraussagt.
Dick Greenow, der Antiheld in Aldous Huxleys absurdem »Künstlerroman«, beginnt sein Leben als sensibler Junge mit einer dominierenden Schwester namens Millicent, deren Puppenhaus ihn fasziniert, während es sie — als hätte sie Ibsen bereits gelesen — »... nicht im geringsten interessierte«. (Limbo, 2) Nachdem er die normale spätviktorianische männliche Erziehung über sich ergehen lassen hat, zunächst auf einer Schule namens Aesop, später dann am Cantaloup College, Oxford, verliebt er sich im zarten Alter von sechzehn Jahren hoffnungslos in eine gewisse Francis Quarles, eine hübsche Inkarnation der klassischen Literaturgeschichte, die ihn zu wahren Ergüssen sentimentaler Dichtkunst treibt, von denen er jedoch zum Glück durch das plötzliche Gefühl, »an einer Anämie des Gehirns gelitten« zu haben, abläßt. (23) Später, auf dem College, widmet er sich »allem, was intellektuell das höchste Ansehen genoß« (29), nur um bald darauf entnervt zu entdecken, daß er von dem Geist einer Schriftstellerin namens »Pearl Bellairs« besessen war, die sich im Schlaf seines Körpers bemächtigt, um lange, zuckersüße Liebesgeschichten zu schreiben. »Ihr« erstes Werk trägt den Titel Heartsease Fitzroy: The Story of a Young Girl, und ironischerweise dient der sofortige Erfolg dieses Werkes dazu, seine »unproduktiven männlichen Anstrengungen« (labour: im Engl, auch Wehen) zu finanzieren. Nachdem er das College »auf einer Woge des Ruhms« verlassen hat, führt Dick deshalb ganz pragmatisch seine Doppelkarriere fort. Während er an seiner New Synthetic Philosophy arbeitet, vollendet Pearl unermüdlich La Belle Dame Sans Morality und Daisy's Voyage to Cytherea, außerdem eine Reihe von Artikeln »für die Mädchen von Großbritannien«. (49) Doch während Dick mit der Zeit seine intellektuelle Potenz verliert und zum kleinen Dick wird, entpuppt sich Pearl (mit ihren phantastischen belles airs) zunehmend als schöne Erbin, die im 20. Jahrhundert eine von Frauen geprägte Tradition beerbt, begründet von Vorläuferinnen wie Jane Eyre. Es kommt noch schlimmer: Während sein eigenes Schreiben zunehmend elitär und okkult wird, gewinnen ihre Bücher an Ausdruckskraft und Popularität, inspiriert durch die Lektüre von George Sand, Elizabeth Barrett Browning und Mrs. Humphrey Ward.
Die Krise in seinem Leben, die, intensiviert, die historische Krise der Schriftsteller zu parodieren scheint, kommt für Dick mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Als er mit der festen Absicht nach London reist, als entschiedener Kriegsgegner zu wirken, »weigern sich« sogar die Räder des Zuges, »Milton zu rezitieren«, als wollten sie ihn vor dem Hinscheiden der kulturellen Geschichte warnen, die er zu beerben gehofft hatte. Schließlich bestätigen seine Erfahrungen während des Krieges dieses Hinscheiden, denn während seine Schwester Millicent im Munitionsministerium über dreihundert Untergebene mit »unübertroffener Effizienz« wacht, schreibt Pearl chauvinistische Propaganda für die »Frauen von England«. Über das »schreckliche Zimmer Blaubarts im eigenen Gehirn« (67) beunruhigt, sucht Dick einen Psychiater auf, dessen Wortassoziationstest eine Antwort hervorruft, die das Geheimnis seiner schizophrenen Schübe zu lösen scheint: Das Wort »Frau« scheint unausweichlich zum Wort »Romanautor« zu führen. (67) Obwohl Dick als intellektueller Sozialist/Pazifist weiterhin dramatische Antikriegsproteste inszeniert, verfällt er allmählich dem Wahnsinn, wobei Pearl dämonisch sein Gehirn und seinen Stift in Besitz nimmt. Nach Beendigung des Krieges, als Pearl stark genug ist, öffentlich in Erscheinung zu treten und zur Wahl zu gehen, wird Dick als Geisteskranker in Gewahrsam genommen und zwangsweise künstlich ernährt, genauso, wie man es mit den Suffragetten gemacht hatte. Da ihn Pearls überschäumende Vulgarität mit Ekel erfüllt, versucht er verzweifelt, seinen Körper zur Wissenschaftlichkeit zu zwingen, aber selbst hier greift sie ein, indem sie ihm den Stift entreißt und darum bittet, »auf einem kleinen Friedhof auf dem Lande mit kleinen marmornen Engeln« beerdigt zu werden. Am Ende werden seine letzten verzweifelten Kritzeleien, die Fragmente, die er seinem Untergang entgegenzusetzen versuchte, »weggeworfen, da sie nurmehr die geschriebenen Rasereien eines Irren« seien. (115)
Um es nochmals zu betonen: trotz des trostlosen Schicksals, das Dick erleidet, ist Huxleys Geschichte genauso absurd, wie der Titel verspricht; ebenso wie Beerbohms Erzählung scheint sie als sardonischer Zeitvertreib gedacht gewesen zu sein. Darüber hinaus finden sich im Text Hinweise darauf, daß Huxley eine Komödie der Doppelgänger schreibt — wie Jekyll und Hyde in der Literatur oder William Sharp und Fiona McLeod im wirklichen Leben. Es ist dennoch bezeichnend, daß Richard Greenow als prototypischer moderner, entfremdeter Intellektueller dargestellt wird, insbesondere im Kontext einer Erzählung, die schildert, wie eine erniedrigende Weiblichkeit in einem kulturellen Zusammenhang freigesetzt wird, in dem die Apokalypse, die Harold Bloom für die Zukunft prophezeite, bereits stattgefunden hat. Denn der kleine Dick Greenow wirkt tatsächlich wie die Apotheose eines poete maudit, und er scheint dies eben aufgrund der Andersartigkeit seiner Schwester Millicent und der Übergriffe ihrer Doppelgängerin Pearl geworden zu sein. Andererseits könnten ihre Angriffe auf seine Integrität durch die intellektuelle und moralische Verarmung, die Erneuerungsunfähigkeit der großen Bildungsanstalten für das männliche Geschlecht wie Aesop und Cantaloup überhaupt erst ermöglicht worden sein.
Daß Huxley und Beerbohm mit ihrem Gefühl einer literarischen Apokalypse, die durch die sich ändernde Haltung der Geschlechter zu Fragen der literarischen Produktion in Gang gesetzt wurde, nicht allein standen, wird anhand der Werke von Henry James deutlich. Seine berühmte Erzählung »The Death of the Lion« z. B. stellt das schmähliche Ende eines wahrhaft großen Schriftstellers dem mit Schrecken zu verzeichnenden Aufstieg zweier literarischer Transsexueller gegenüber, die auf geradezu vulgäre Weise populär sind. »The Next Time« thematisiert den Niedergang eines anderen männlichen Autors, dem es nicht gelingt, sich im Zeitalter des »triumphierenden Schunds« (245) auf die Ebene des wahrscheinlich kommerziell Erfolgreichen herabzubegeben. Seinem Niedergang wird der Aufstieg einer Schriftstellerin gegenübergestellt, die mit größter Leichtigkeit dickleibige Bestseller produziert. In ähnlicher Weise stellt James' »Greville Fane« den »unermüdlichen Fleiß« einer Romanautorin dar, »die am laufenden Band Geschichten erfinden, aber keine Zeile Englisch schreiben konnte«. (155) Obwohl James' Erzähler dieser »lieben dummen Frau«, die, wie er zeigt, von ihren Kindern gnadenlos ausgebeutet wurde, durchaus Wohlwollen entgegenbringt, erklärt er herablassend, daß er sie möge, weil »sie ihm eine Ruhepause von der Literatur« verschaffe, die für ihn »eine Irritation, eine Qual« sei. (154) Mit anderen Worten: dem Gefühl des eigenen »bewundernswert absoluten« Versagens wird seine Sicht der Ouida-gleichen Greville Fane gegenübergestellt, die er als »eine alte Schrottpresse« betrachtet, aus der »jeglicher Wortmüll, der in sie hineingeworfen wurde, wieder herausgequetscht wird« (156) und die für derart grobe Banalitäten eine ansehnliche Belohnung erhält. In allen drei Erzählungen von James ist also der männliche Schriftsteller ausgehöhlt, an den Rand gedrängt und verarmt, während die weiblichen Autoren eine »ungeheure Vitalität« und »hinterhältige Zentralität« gewinnen, geradeso wie Beerbohms Schriftstellerin und Huxleys Pearl Bellairs.
Betrachtet man die Sache historisch, so stellt sich die Frage, welche Figur zuerst da war, der neurasthenische Schriftsteller oder die ideenreiche Schriftstellerin? Gewinnt Pearl Bellairs ihre Kraft aus Dicks Schwäche, oder wird Dick durch ihre Stärke geschwächt? Die Erzählungen von Huxley und James stützen eher die zweite Alternative, ohne die erste ganz außer acht zu lassen. So ist Dick Greenow nicht gerade ein prachtvoller Erbe seiner männlichen Vorläufer, denn seine körperliche Zerbrechlichkeit und geistige Verweichlichung entsprechen eher der trägen Dummheit der angeblich mächtigen Francis Quarles. Weil keiner dieser Männer Erbe sein kann, fällt die Kultur unausweichlich in die Hände von Pearl und Millicent. Aber diese beiden weiblichen Dämonen, Ausbünde an Effizienz, werden im Verlauf der Geschichte zunehmend zur eigentlichen Ursache von Dicks Regression. Wie Beerbohms Schriftstellerin, die an Stelle des Erzählers das sagt, was er zu sagen versucht hatte, nur um ihm dann zu zeigen, warum es falsch war, bemächtigt sich Pearl sogar seiner Sprache: Sie dringt in die »geheiligten Hallen seines Privatlebens« ein, trampelt auf »seinen innersten Überzeugungen« herum und »leugnet seinen Glauben«. (62) Im weiteren Verlauf der Erzählung benutzt Huxley dann tatsächlich Begriffe aus dem Bereich des Parasitentums und des Vampirismus, um Pearls hartnäckige und unermüdliche Inbesitznahme von Dicks Körper zu beschreiben: Sie »giert nach Leben« (71), »hält beständig nach Beute Ausschau wie eine hungrige Tigerin«, sie »ergreift Besitz von seinem Bewußtsein«, so daß er »verloren« ist, »von der Liste der Lebendigen gestrichen, während sie mit unermüdlichem Fleiß ihr selbstgestecktes Ziel (verfolgt)«. (73-74) Wie Zuleika Dobson ist sie eine »femme fatale«, deren Unersättlichkeit den Selbstmord des Schriftstellers auslöst; ihre Hinterhältigkeit zerstört den Mann und die Kultur, die er repräsentiert, geradeso wie die der Frauenfiguren Beerbohms oder — aus seiner Sicht — die der Frauenfiguren Virginia Woolfs. Wie die von James entworfenen Frauenbilder läßt ihre Phantasie die Vorstellungskraft des Mannes verkümmern, und ihr »unermüdlicher Fleiß« und ihre »ungeheure Vitalität« hinterlassen bei ihm ein eindringliches »Gefühl des Kompromittiertseins«.
Geht man von den vampirhaften und parasitären Eigenschaften dieser paradigmatischen Frauengestalten aus, erkennt man in ihnen unweigerlich einen weiblichen Prototyp, den Thomas Hardy 1898 entworfen hat: seine »Efeunerne Ehefrau« (Ivy Wife). Auf der Suche nach einem Wirt, der sie ernähren könnte, versucht es Hardys pflanzliche »femme fatale« zunächst damit, »eine mächtige Buche zu lieben und so groß wie dieser Baum zu werden«, dann damit, »den Ring der Partnerschaft« um eine Platane zu legen, um schließlich in ihrer »Zuneigung« danach zu streben, »mit einer Esche zusammenzuarbeiten«, die »in vollem Vertrauen« ihre Liebe entgegennimmt. Aber daß die Esche ihre Umarmung akzeptiert, impliziert im Zusammenhang mit unserer Fragestellung, daß irgendein geheimer Todeswunsch, eine äscherne Nervenschwäche Vorbedingung für den weiblichen Triumph ist. Und tatsächlich ist der Sieg der Efeunernen Ehefrau in gewisser Hinsicht analog zu den Triumphen von Pearl Bellairs und ihren literarischen Schwestern zu sehen: »... mit meinen weichen grünen Klauen/habe ich ihn (den Baum) umklammert und gebunden, als ich (mein Netz) spann.. ./Solcherart war meine Liebe: ha-ha!« Letzten Endes ist sie, wie Pearl und die anderen, ein zäher, erfolgreicher Parasit, stutzt ihrem Gastgeber die Flügel mit ihrer angeblichen Tugend, die in Wirklichkeit ihr »unermüdlicher Fleiß« ist. Und, schlimmer noch, ihr überschwenglicher Ausruf — »Solcherart war meine Liebe: ha-ha!« — drückt die befremdende Dringlichkeit weiblichen Begehrens aus, die eine Bedrohung für die männliche Potenz darstellt.
In größerem Maße als seine modernistischen Nachfolger kann es Hardy sich jedoch leisten, die Geschichte mit einem strafenden Ende zu versehen; seine Efeunerne Ehefrau wird zu guter Letzt durch das eigene Trachten zerstört.

  • »Aber in meinem Triumph habe ich mögliche Folgen aus den Augen verloren. Bald hat er, da er von Rinde umschlossen war, schlappgemacht, ist entzweigebrochen und umgestürzt. Und in seinem Fall hat er mich gefällt!«

Während dies in gewisser Hinsicht die Geschichte von Pearl Bellairs sein könnte, ist es ganz gewiß nicht die Geschichte von Beerbohms oder James' Frauen (und selbst Pearl Bellairs wird letzten Endes durch ihre erfolgreichen Bücher weiterleben). Zweifellos kann Hardy seinen weiblichen Faust deshalb vernichten, weil er sich immer noch stark an die sexuellen Konventionen der viktorianischen Kultur gebunden fühlt. Allerdings muß er den männlichen Gastgeber zusammen mit dem weiblichen Gast töten, und die ängstliche Zweideutigkeit, die sein Gedicht durchzieht, weist auf eine Geschichte hin, die er 1893 veröffentlichte. Es ist dies eine Geschichte über eine Efeunerne Ehefrau, die einen wichtigen Hintergrund zu den Kämpfen um die literarische Vorrangstellung bildet, die wir hier untersuchen.
Hardys Erzählung »An Imaginative Woman«, die in Life's Linie Ironies enthalten ist, schildert die zunehmende Vernarrtheit einer Möchtegerndichterin namens Ella Marchmill, die in ihrer weiblichen Ergebenheit wie eine paradigmatische »elle« wirkt. Vernarrt ist sie in einen wirklichen Dichter, der sich Robert Trewe nennt. Als einzige Tochter eines nur mühsam über die Runden kommenden Schriftstellers und Ehefrau eines »gewöhnlichen« kleinen Waffenfabrikanten veröffentlicht Ella zweitrangige Gedichte unter dem Pseudonym John Ivy (Efeu). Und eine Efeunerne Ehefrau wird sie, metaphorisch betrachtet, in ihren Beziehungen zum Ehemann und zu ihrem eingebildeten Liebhaber/Doppelgänger, zu dem sie Robert Trewe macht. Denn obwohl die größte Ironie der Geschichte darin besteht, daß Ella »ihren« Robert Trewe nie trifft, ist sie vom Gedanken an ihn förmlich besessen, als sie mit ihrer Familie im Sommerurlaub für ein paar Wochen in seinen Räumen wohnt. Ella erinnert sich daran, daß eines seiner Gedichte großgedruckt oben auf der Seite einer Zeitschrift erschienen ist, auf der ihr eigenes Gedicht kleingedruckt unten auf der Seite zu finden war. Dann hatte er seine Gedichte in einem Band zusammengefaßt, der sich gut verkaufte, aber als sie das gleiche versuchte, war ihre Gedichtsammlung »innerhalb von vierzehn Tagen gestorben — falls sie jemals gelebt hatte« (9).[2] Eine Zeitlang hatte Ella tatsächlich »voll Trauer und Neid immer wieder die Werke ihres Rivalen studiert, die soviel ausdrucksvoller waren als die eigenen schwachen Zeilen. Sie hatte ihn kopiert, und ihre Unfähigkeit, seine Qualität zu erreichen, hatte ihrerseits zu Anfällen von Abhängigkeit geführt«. (9)
Von daher ist es nicht verwunderlich, daß sie, als sie sich in seinen Räumen wiederfindet, fieberhaft die Relikte seiner Identität untersucht. Von der Sehnsucht der Efeunernen Ehefrau getrieben, »so groß wie er zu werden«, bekleidet sie sich mit seinem Hut und Mantel und stellt sich vor, dies sei »Elias' Mantel«, der sie dazu inspirieren könnte, es ihm gleichzutun, »glorreiches Genie, das er ist!« (12) Aber obwohl »sein Herz in diesem Mantel geschlagen und sein Verstand unter diesem Hut gearbeitet hat«, läßt »ihre Schwäche im Vergleich zu ihm« sie sich recht krank fühlen. (13) Als sie sein Bild hinter einem Photo der königlichen Familie versteckt findet, studiert sie sein »eindrucksvolles Antlitz« voller Bewunderung (16), gesteht aber bald darauf ein: »Du bist es, der mich grausamerweise so oft in den Schatten gestellt hat!« (17) Schließlich, und höchst dramatisch, studiert sie die halb verwischten Bleistiftkritzeleien auf der Tapete neben seinem Bett und empfindet »die unbedeutendsten von ihnen« als so voller Leben, »daß es scheint, als streiche von jener Wand aus sein Atem über ihre Wangen«. (17) Umgeben von den geisterhaften Spuren seiner Handschrift beschwört sie gierig seine Gegenwart herauf und stellt sich vor, »daß sie auf den Lippen eines Dichters schliefe, in sein innerstes Wesen versenkt, durchdrungen von seinem Geist wie von Äther«. (18) In vielerlei Hinsicht scheint sie also genauso verwundbar, passiv und zweitrangig zu sein wie die Efeunerne Ehefrau. Wie Lehrling im Verhältnis zum Meister, Schüler zum Lehrer, sogar Danae zu Zeus und Maria zum Heiligen Geist — durchdrungen von männlicher Autorität, scheint sie stärker selbst bedroht als eine Bedrohung zu sein.
Aber immerhin antwortet der ferne Trewe mit oberflächlicher Höflichkeit auf die Briefe, die sie ihm als »John Ivy« schreibt, kommt jedoch nicht zu einem Treffen, das sie arrangiert hat. Mit Trewe geht es anscheinend auf bizarre Weise bergab, und dieser Niedergang hat offensichtlich etwas mit seinem neuen Gedichtband Lyrics to a Woman Unknown zu tun. Hinter diesem Buch steht eine geheimnisvolle Leidenschaft für eine Art Ferne Geliebte, »nur eine erfundene Frau«, denn — darauf besteht Trewe — »im Gegensatz zu dem, was in einigen Ecken gemunkelt wird«, gibt es keine »wirkliche Frau hinter dem Titel«. (26) Bald darauf erfahren wir, daß er Selbstmord begangen hat wegen eben jener »erfundenen Frau«. Einerseits scheint es daher so, daß ihm seine Kraft entzogen wurde, weil es weder Mutter, Schwester noch eine Freundin gab, die ihm »zärtlich ergeben« waren. (26) Andererseits, obwohl er behauptet hat, es gäbe keine wirkliche Frau hinter dem Titel seines neuesten Buches, scheint ein auffällig enger Zusammenhang zwischen der »erfundenen Frau«, deren Nichtvorhandensein seinen Tod auslöst, und der »erfindungsreichen Frau« Ella Marchmill zu bestehen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen bringt Ella, obwohl sie von Trewes Tod sichtlich betroffen ist, bald darauf seinen Nachfolger zur Welt, einen Sohn, der aufgrund »einer unerklärlichen Laune der Natur« (32) genauso aussieht wie jener Mann, den sie nie gesehen hat — eine weitere der kleinen Ironien des Lebens, wie Hardy zu verstehen gibt.
Als sie, natürlich, während der Geburt stirbt, gesteht sie ihrem Mann, daß sie auf mysteriöse Weise »besessen« gewesen sei (31); statt dessen weist dieses offensichtlich uneheliche Kind darauf hin, daß sie die männliche Linie, die sich weigerte, ihre Dichtkunst als solche anzuerkennen, radikal untergräbt. Dadurch, daß sie der literarischen Tradition einen fremden Erben hinterläßt, triumphiert sie über Trewe und ihren Mann, indem sie den einen ersetzt und den anderen untergräbt. Anders ausgedrückt: wie die Efeunerne Ehefrau »nährt sie eine Liebe«, die ihre männlichen Gastgeber »umklammert, erdrückt und fesselt«, obwohl ihr »Fall sie fällte«. Wie Pearl Bellairs hinterläßt sie ein Chaos, das ihrer Selbsteinschätzung als zweitklassige Dichterin und Person auf dramatische Weise Ausdruck verleiht. Denn zumindest zwischen den Zeilen impliziert Hardys Text, daß Ellas Ehrgeiz irgendwie für die sexuelle Frustration verantwortlich ist, die Trewe in den Selbstmord treibt, denn die Realität einer enorm »erfindungsreichen Frau« macht seinen Traum von einer nährenden »erfundenen Frau« zunichte. Letzten Endes vernichtet Ella Trewe nicht nur, sondern läßt ihn, was noch schlimmer ist, in verkleinerter Form wieder auferstehen als ein weichliches, verletzliches und potentiell rechtloses Kind. Schon 1893 hat Hardy also über die Fragen nachgedacht, die einige Zeit später Beerbohm, Huxley und James noch sehr viel bissiger und komischer in Angriff nehmen sollten.
Die bekannten Schriftsteller der Jahrhundertwende, deren Erzählungen wir hier untersucht haben, waren nicht einfach nur paranoid, denn ihre Literatur dokumentiert geradezu den erstaunlichen Aufstieg kommerziell erfolgreicher Schriftstellerinnen gegen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts in England und den USA. Die Prototypen solcher stereotypen Frauengestalten wie Huxleys Pearl Bellairs oder James' Greville Fane waren letztlich nicht nur vereinzelt auftauchende Frauen wie Harriet Beecher Stowe oder Mary Elizabeth Braddon. Sie waren Teil dessen, was Hawthorne einmal »den verdammten Mob kritzelnder Frauen« nannte (in Ticknor, 142), ein »Mob«, der den literarischen Markt mit alarmierendem Erfolg zu erobern begann. Die Auswirkungen dieser Invasion wurden aus verschiedenen Gründen zuerst in den USA von Männern wie Hawthorne wahrgenommen. Die amerikanischen Künstler waren nicht nur von der langen Geschichte des englischen Vaterlandes abgeschnitten, sondern auch von der männlichen literarischen Linie, die sich auf eine Tradition berufen konnte, die von Chaucer und Shakespeare zu Milton und den Romantikern reichte und den Schriftsteller mit der Macht eines Priesters oder Propheten ausstattete. Die Amerikaner fühlten sich deshalb ihrer Männlichkeit beraubt und reagierten darum schneller und mit größerem Haß auf die kulturellen Leistungen von Frauen als ihre britischen Zeitgenossen. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, daß sie anfingen, den Mythos von den USA als einem Land voller aggressiver Frauen zu kreieren. Das Gefühl, angegriffen und überrannt zu werden, kommt in einem anonymen Kommentar aus dem Jahr 1856 zum Ausdruck, in dem der Autor sich beschwerte, daß »Frankreich, England, Deutschland und Schweden, vor allem aber unser Land (die USA) eine Armee von Frauen ausgerüstet und ins Feld der Literatur geschickt haben... (was) eine große Schande für die Männerwelt (ist)« (in Habegger, 239). Seine Gefühle werden durch die Tatsache bestätigt, daß von insgesamt 558 Gedichten, die um 1870 von der angesehenen Zeitschrift Atlantic Monthly veröffentlicht wurden, 201 von Frauen stammten. 1896 fühlte sich die Dichterin Louise Guiney hinsichtlich der literarischen Errungenschaften ihrer Geschlechtsgenossinnen selbstbewußt genug zu sagen, daß »die Frauen hier drüben wahre Atlantas im dichterischen Wettstreit« seien (in Walker, 201).
Hinsichtlich dessen, was Nina Baym als »Frauenliteratur« definiert und Henry Nash Smith als die »weltumspannende Erfolgsgeschichte« der kritzelnden Frauen bezeichnet hat, könnte man argumentieren, daß solch ein Genre in der Mitte des 19. Jahrhunderts den literarischen Markt in den USA bestimmte. (»The Scribbling Woman«, 47-70) Henry James z. B. war der Ansicht, daß »Frauen aufgrund der freien Zeit, über die sie verfügen konnten, zu Hauptkonsumentinnen von Literatur wurden und deshalb in zunehmendem Maße auch zu Literaturproduzentinnen. Die weibliche Weltsicht, die sich von der der Männer löste, wurde in der Tat zu all dem, was einen Roman ausmachte« (in Ziff, 275). Der Kritiker Thomas Beer stellt zum gleichen Phänomen fest, daß »man als tüchtiger Verleger... nicht mit der Titanin spaßte, und um ihretwillen gab man Bücher über Frauen, von Frauen, für Frauen heraus.« (The Mauve Decade, 31-32) Von daher ist es nicht verwunderlich, daß Edmund Clarence Stedman in seiner Anthologie amerikanischer Literatur von dieser Zeit als dem »Zeitalter der Frau« spricht (in Walker, 117). Ebensowenig erstaunt es, daß Leslie Fiedler erst vor kurzem im New York Times Book Review den »Kampf zwischen hoher und niederer Kunst«, der sich im 19. Jahrhundert in den USA abspielte, als eine »Schlacht der Geschlechter« beschrieben hat, in der ein ernsthafter männlicher Autor »zu Vergessenheit und Armut durch eine Kultur verdammt war, die sich gleichzeitig kommerzialisierte und feminisierte«. Trotz der besonderen historischen und sozialen Probleme, mit denen sich amerikanische Schriftsteller damals konfrontiert sahen, wurde ihre Reaktion auf dieses »Zeitalter der Frau« auch auf der anderen Seite des Atlantiks zu einem ganz entscheidenden Paradigma. Denn obwohl argumentiert werden könnte, daß es zumindest in England eine lange Tradition männlichen Feminismus gegeben habe, die von Godwin und Shelley zu Mill, Meredith, Gissing und Shaw reichte, ist es gerade die Existenz einer solchen Tradition, die die zermürbende Zentralität der »Frauenfrage« im England des 19. Jahrhunderts offenbart. Gegen Ende des Jahrhunderts waren dann auch die scheinbar aufgeschlossensten Engländer angesichts der literarischen Erfolge von Frauen genauso nervös wie ihre amerikanischen Vorläufer.
Oscar Wilde z. B., Sohn einer Dichterin, Herausgeber von Woman's World und Autor eines scheinbar wohlmeinenden Artikels über »Englische Dichterinnen«, verteidigte sich gegen die von weiblicher Autonomie ausgehende Bedrohung dadurch, daß er die begehrenswerte Tochter von Herodes in Salome vernichtete. Außerdem höhlte er sein allgemeines Lob englischer Dichterinnen dadurch aus, daß er sich einzelne Frauen herauspickte, wie »Eliza Haywood, die aufgrund der miserablen Qualität ihrer Werke unsterblich werden wird und einen Platz in The Dunciad erhält« {The Artist as Critic, 107), des weiteren »Mrs Ratcliffe (sie), die den Liebesroman einführte und folglich einiges zu verantworten hat« (108), und die »arme L.E.L., die Disraeli in einem seiner... Briefe... als die ,Personifizierung von Brompton' beschrieb«. (108) Wildes Grundaussage ist, die einzige große englische Dichterin sei Elizabeth Barrett Browning; alle anderen werden von ihm im wesentlichen als Verschnitt von Ella Marchmill charakterisiert.
Indem er sich derart über »kritzelnde Frauen« ausließ und sie heruntermachte, schien Wilde genau das zu tun, was Satiriker wie Bret Harte und Mark Twain früher schon in den USA gemacht hatten. Hartes »Miss Mix by Ch-l-tte Br-nte« (1867) ist eine heitere Parodie auf Jane Eyre, das der amerikanische Humorist zu einer melodramatischen Farce umdichtet: Die selbstgefällige tugendhafte Heldin verläßt das Heim ihrer Kindheit namens »Minerva Cottage«, um sich in die Dienste (und die Arme) von »Mr. Rawjester« zu begeben, dem polygamen Herrn von »Blunderbore Hall«, der eine »verblüffende Ähnlichkeit mit einem Gorilla« hat. Was Twain anbelangt, so ist eine der komischsten Figuren in seinem Huckleberry Finn (1855) die traurige Lyrikerin Emmeline Grangerford, deren »Ode an Stephen Dowling Bots, verstorben« nur einer von vielen unbeabsichtigt komischen Begräbnisversen ist, die sie mit fataler Redegewandtheit herunterleiert: »Sie konnte Gedichte herunterrasseln wie nichts«, erklärt Huck, »sie kam niemals ins Stocken.« Wie Wildes Eliza Haywood und Hartes »Ch-l-tte Br-nte« wird Emmeline »aufgrund der miserablen Qualität ihrer Werke unsterblich« und bringt sich, wie wir unschwer entdecken, durch ihre übereifrige Morbidität genauso gewiß ums Leben, wie Twain sie durch seine ergötzliche Darstellung unter die Erde bringt. Denn nach dem traumatischen Erlebnis, daß sie sich nicht für einen Reim auf den Namen eines Verstorbenen entschließen konnte, »verging (sie) vor Gram und lebte nicht mehr lange«.
Was Harte und Twain hier entwerfen, sind offensichtlich leichtbeschwingte Karikaturen, und doch ist die treibende Kraft hinter der Komik — ebenso wie bei Huxley und Beerbohm — genau die sexuelle Verunsicherung, die auch Schriftsteller wie Poe, Hawthorne und Melville empfunden haben. Es könnte auch diese sexuelle Verunsicherung gewesen sein, die den modernistischen englischen Schriftsteller D. H. Lawrence dazu bewog, über ein für ihn ungewohntes Thema zu schreiben — nämlich die Größen der sogenannten Amerikanischen Renaissance. Seine Studies in Classic American Literature waren interessanterweise die erste größere Auseinandersetzung mit diesen Künstlern, und obwohl er diesen Punkt nicht extra betont, kann es gut sein, daß er sich zu ihnen hingezogen fühlte aufgrund eines inneren Gespürs für die Parallelen zwischen seiner und ihrer Situation. Über eine Welt jammernd, die von »gockelhaften Frauen« und »gluckenhaften Männern« bevölkert sei, beklagte Lawrence in »Figs«, daß »das Jahr unserer Frauen überreif vom Baum gefallen ist«, denn »unsere Frauen strotzen«, erschreckenderweise, »vor Selbstbewußtsein«, wenn sie einen ebenbürtigen Platz an der Sonne fordern. (284) Indem er solche Ängste artikulierte, sprach Lawrence nicht nur für sich selbst, sondern für viele Schriftsteller seiner Generation in England und in den USA. Männliche Autoren von James bis Joyce waren entsetzt von der Bereitwilligkeit, mit der die Welt »ungenierten Schund« akzeptierte, wie Robert Adams darlegt, besonders von der Art und Weise, wie »geistig Anspruchslose begierig die billigen Liebesgeschichten von z. B. Elinor Glyn, Marie Corelli, Mrs. Henry Wood, Miss Rhoda Broughton, Mary Elizabeth Braddon, Maria Susanna Cummins und anderen verrückten Schwestern verschlangen«. (After Joyce, 5)
Vielleicht das beste Beispiel für den Abscheu, den modernistische männliche Intellektuelle vor den geistig anspruchslosen weiblichen Schmierfinken empfanden, ist Joyces Parodie auf Maria Cummins' The Lamplighter im Nausikaa-Kapitel von Ulysses. In einem, wie er es nennt, »sentimental süßlichen, klebrigen, schlüpfrigen Stil« schreibt er eine Satire auf Gerty Mac Dowells Mädchenschulsprache, die ihn gleichzeitig abschreckt und reizt. Denn indem er diese affektierte, jungfräuliche Sentimentalität angreift, ist er gezwungen, nicht nur ihre Sprache nachzuahmen, sondern auch andere Untugenden einer Schriftstellerin zu übernehmen, die in Hawthornes »Mob kritzelnder Frauen« in vorderster Reihe steht.[3] Kurze Zeit später verhilft Nathaniel West in Schreiben Sie Miss Lonelyhearts seinen Zeitungsreportern dazu, sich am eigenen Nihilismus zu rächen — als wollte er die Gefühle, die eine derartige Satire tragen, zusammenfassen und klären. Er läßt seine Reporter Geschichten über schreibende Frauen ausschlachten, die immer drei Namen haben: »Mary Roberts Wilcox, Ella Wheeler Catheter, Ford Mary Rinehard« — »... was ihnen not tue, sei, einmal regelrecht vergewaltigt zu werden...« (41) — und schildert das besondere Vergnügen, das die Männer daran finden, als eine »hartgesottene Schriftstellerin« in einer von kleinen Gaunern frequentierten Bar zusammengeschlagen wird: »Da nahmen sie sie in die Hinterstube mit, um ihr ein neues Wort beizubringen und sonst noch allerhand. Drei Tage lang ließen sie sie nicht mehr heraus. Am letzten Tag verkauften sie Eintrittskarten an Neger...« (42) Neben den Angst- und Konkurrenzgefühlen, die zu derart eklatantem Frauenhaß und rassistischen Äußerungen führten, waren einige modernistische Schriftsteller über das Vordringen von Frauen auf dem Markt und ihre ökonomische Abhängigkeit von Frauen wütend. Ein auffälliges Merkmal der Avantgarde des 20. Jahrhunderts war nicht zuletzt ihre entschieden antikommerzielle Ausrichtung. Es gab vielleicht seit dem 16. Jahrhundert keine Künstlergruppe, die abhängiger von privaten Gönnern war -, wie Spenser und Sidney im 16. Jahrhundert wurden Yeats, Lawrence, Joyce und T. S. Eliot, neben anderen, von einer Reihe reicher Frauen unterhalten, bzw. von einflußreichen Frauen verlegt. Yeats war natürlich von Lady Gregory abhängig, Lawrence wurde von Ottoline Morrell und Mabel Dodge Luhan gesponsort; Joyce wurde großzügig von Lady Gregory, Harriet Weaver und Sylvia Beach unterstützt; Eliot wurde von May Sinclair und Virginia Woolf geholfen. Außerdem waren diese Männer in irgendeiner Weise weiblichen Verlegern wie Harriet Monroe, Jane Heap, Margaret Anderson, Dora Marsden und Marianne Moore verpflichtet. Und schließlich wurden ihre Karrieren maßgeblich durch Frauen wie Amy Lowell, Gertrude Stein, Natalie Barney, Peggy Guggenheim und Bryher gefördert.
Aber der vielleicht für Männer erschreckendste Aspekt, der beim Eintritt von Frauen in die Literaturgeschichte deutlich wurde, war, daß einige Frauen weder Dilettantinnen noch Sponsorinnen waren; einige waren tatsächlich große Künstlerinnen. Wie Bret Harte, den wohl Charlotte Brontes Können genauso beunruhigt hat wie ihre Popularität, kamen Männer wie Poe, Hawthorne und Emerson wegen Margaret Füller und ihrer charismatischen Kreativität ins Schwitzen. Andere, wie Henry James und Leslie Stephens, empfanden Ehrfurcht vor der geheimnisvollen Meisterschaft einer George Eliot, die, wie James gestand, »über ein breiteres Spektrum verfügt als irgendeine andere Frau, der ich jemals begegnet bin« (in Haight, 417). Von Romanen wie Ein tragischer Sommer (The Blithedale Romance), in dem Hawthorne Margaret Füllers Potenz in der Figur der Zenobia sowohl zelebriert, als auch geißelt, bis zu Erzählungen wie Kiplings »The Janeites«, in der ein Regiment im Ersten Weltkrieg von einem Code abhängig ist, der aus den Romanfiguren von Jane Austen entwickelt wurde, zeigen diese Schriftsteller ihre Minderwertigkeitsgefühle angesichts einer überraschend starken Frauenliteratur. Diese Literatur nahm in ihren Köpfen derartige Ausmaße an, daß eine Reihe von Schriftstellern und Wissenschaftlern gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Vorstellungen über eine klassische Literaturgeschichtsschreibung — in der vordem Frauen nicht aufgetaucht waren — zu revidieren begann. In The Authoress of the Odyssey wagt Samuel Butler die These, daß Homer zumindest in einem der ihm zugeschriebenen Epen das Pseudonym einer Frau gewesen sein könnte. So unterschiedliche Leute wie T. W. Higginson, Swinburne, Aldington, Robert Graves und William Carlos Williams meditierten über den Werken von Sappho und übersetzten sie; Sappho, über die Robert Graves in Die weiße Göttin — einen anderen Gelehrten zitierend — schreibt, daß sie sehr gut gewesen sei, und genau das sei das Problem.
Aber wenn diese Autoren das Gefühl hatten, daß eine so ferne Vorläuferin wie Sappho so (bedrohlich) gut gewesen sein könnte, um wieviel stärker mußte sie die Konkurrenz zeitgenössischer Schriftstellerinnen, die ebenfalls »zu gut« sein könnten, beunruhigen. Eine Art Geschwisterrivalität entwickelte sich zwischen Paaren wie James und Wharton, Yeats und Lady Gregory, Hemingway und Stein, Lawrence und Mansfield (oder H. D.), Wells und Richardson, (oder West), T. S. Eliot und Woolf, Graves und Riding sowie Miller und Nin, und in fast jedem dieser Paare entwickelte der männliche Teil Strategien, um seine Ängste vor dem weiblichen Gegenüber zu entschärfen. Zu diesen Strategien gehörte die Mythologisierung von Frauen in Gedichten, in denen sie mit Prototypen des Grauens assoziiert wurden, die Fiktionalisierung in Romanen, um ihren destruktiven Einfluß zu dramatisieren, die Verleumdung in Essays und Memoiren, das Diktieren einer anderen Lebensführung für Frauen in unterschiedlichen Genres sowie das Ignorieren bzw. Umgehen ihrer Errungenschaften in kritischen Texten.
James z. B. mythologisiert Wharton als »die Wirbelnde... der Engel der Destruktion« (Wolff, 144-45), während Yeats seine Ängste — obwohl er das Thema Lady Gregory nicht direkt anspricht — hinter mythischen Äußerungen über die Künstlerin im allgemeinen versteckt. Als er die Wiederkunft von Herodes' Tochter vorhersagt, denkt er an den »Luftdrachen« der Tänzerin Loie Fuller, und wir werden daran gemahnt, daß selbst die Schönheit der Schauspielerin Maud Gonnes, die er mit einem gespannten Bogen vergleicht, potentiell verderblich ist, wenn der Dichter fragt: »Wo findet Troia sie zum zweiten Brand?« (Werke I: Ausgewählte Gedichte, 75) Was literarische Portraits angeht, so stellen Lawrences Darstellungen der Künstlerin als junger Frau häufig deren Sterilität in den Vordergrund. In Liebende Frauen (Women in Love) fiktionalisiert Lawrence (zumindest teilweise) Katherine Mansfield in der Person Gudruns, deren »nervtötende« Ironie zusammen mit ihrer Kleinkunst nahelegen, daß ihr tödlich abweisendes Verhalten gegenüber Gerald Ausdruck ihres unversöhnlichen weiblichen Willens ist, der immer dann zutage tritt, wenn Frauen »vor Selbstbewußtsein strotzen«. In Kangaroo macht er H. D. sogar noch offensichtlicher zu einer jener »Dichterinnen«, die sein Held fürchtete und denen er ratlos gegenüberstand.
Andere Autoren, z. B. Williams und Hemingway, bringen ihre Erinnerungen an einige Schriftstellerinnen in eindeutig böswilliger Absicht in Autobiographien und Memoiren zu Papier. So stellt Williams H. D. — eine Frau, für die er einst eingestandenermaßen romantische Gefühle hegte - durchweg als dumm und anmaßend dar. In ähnlicher Weise, aber noch viel heftiger, greift Hemingway seine einstige Mentorin, Gertrude Stein, in Paris, ein Fest fürs Leben (A Moveable Feast) an. In allgemeinerer Form schmäht er die unersättlichen Münder und Schöße literarischer Damen in einem Gedicht mit dem Titel »The Lady Poets With Footnotes« (Die dichtenden Damen mit Fußnoten):

  • »Eine dichtende Dame war eine Nymphomanin und hat für Vanity Fair geschrieben.1
    Der Mann einer dichtenden Dame wurde im Krieg getötet.2
    Eine dichtende Dame wollte ihren Liebhaber, aber hatte Angst vor
    einem Kind. Als sie endlich heiratete, stellte sich heraus, daß sie
    keine Kinder bekommen konnte.3
    Eine dichtende Dame schlief mit Bill Reedy, wurde fetter und fetter
    und machte mit miesen Stücken 'ne halbe Million Dollar.4
    Eine dichtende Dame hatte nie genug zu essen.5
    Eine dichtende Dame war dick und fett und nicht dumm.«6

Hinter der Frauenfeindlichkeit dieser Aufzählung verbergen sich Edna St. Vincent Millay, Alice Kilmer, Sara Teasdale, Zoe Atkins, Lola Ridge und Amy Lowell. (88 Poems, 77)
In Gedichten und Essays machten Yeats, Lawrence und Graves die Forderungen, die hinter einem derartigen Frauenhaß stehen, deutlich. Sie ermahnen ihre weiblichen Zeitgenossen und Sprößlinge, das Streben nach »Selbstbestätigung« aufzugeben und, wie Yeats seiner Tochter empfiehlt, »ein im Verborgenen blühender Baum zu werden«, da besonders für Frauen »ein intellektueller Haß das Schlimmste (ist)«, so daß man sie davon überzeugen sollte, daß eine Meinung zu haben, für Frauen äußerst schädlich ist. (Collected Poems, 187) »Der allgemeine Fluß des weiblichen Bewußtseins ist nach unten«, behauptet Lawrence, so daß es damit »in dem Moment, da eine Frau männliche Ideale und Fähigkeiten eingetrichtert bekommen hat, in dem Moment, da sie in der männlichen Welt bestehen kann — ein Ende hat.« (Psychoanalysis and the Unsconscious, 215-16) In ähnlicher Weise stellt Graves in Die Weiße Göttin die Behauptung auf, daß die Werke von fast allen Dichterinnen falsch klängen, weil sie männliche Dichtung nachahmten, und daß Frauen, die sich mit Poesie beschäftigen, entweder stille Musen oder aber Musen im wahrsten Sinne des Wortes sein, d. h. mit antiker Autorität schreiben sollten — einer Autorität, die aufgrund ihrer Antiquiertheit von vornherein die in der Gegenwart drohende Konkurrenz ausschließen würde.
Eine weitere Möglichkeit, eine derartige Bedrohung zu verhindern, ist die Konstruktion einer Literaturgeschichte, die die Existenz von Schriftstellerinnen ignoriert. Diese Haltung läßt uns zu der Blutsbrüderschaft, die Lawrence in seinen Studies mit seinen amerikanischen Vorläufern schloß, zurückkehren. Aber das erinnert uns auch daran, daß eine sich selbst in ihrem Wert stützende Tradition weiblicher Literatur von männlicher Seite vielleicht durch zeremonielle Selbstbeweihräucherungen beantwortet werden mußte. Das Entstehen des modernen literaturtheoretischen Diskurses kann deshalb als Versuch verstanden werden, »seine« Geschichte einer Literaturgeschichte zu schreiben, in der Frauen keine Rolle spielen. Beispielhaft hierfür sind kanonbildende Werke wie »Tradition und individuelle Begabung« (T. S. Eliot), Das ABC des Lesens (Ezra Pound), Seven Types of Ambiguity (William Empson) und Paradoxie im Gedicht (Cleanth Brooks). Es ist auch durchaus möglich, daß selbst eine so fruchtbare Studie wie F. R. Leavis' The Great Tradition, die die Existenz einer weiblichen Literaturtradition anzuerkennen scheint, die Werke der wichtigeren Autorinnen wie Austen oder George Eliot in einen Zusammenhang stellt, in dem ihre Aussage desexualisiert und damit abgeschwächt wird. Vielleicht wäre den Schriftstellern, die hier genannt wurden, eine von Frauen bevölkerte literarische Landschaft wie ein Nieman(n)dsland vorgekommen, ein verwüstetes und verschwendetes Gebiet, das in ihnen ein Gefühl der Schande hervorgerufen hätte.
Vielleicht rührt das Gefühl der Schande, das wir mit der Entfremdung und Anomie eines solchen wüsten Landes verbinden, auch daher, daß neben der industriellen Revolution und dem Verlust Gottes der Aufstieg der weiblichen Vorstellungskraft ein zentrales Problem war, das die männliche Vorstellungskraft zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigte. Weil Texte wie Liebende Frauen, Das wüste Land, Ulysses und »The Second Coming« universalisiert und als Dokumente einer kulturellen Krise in den Vordergrund gestellt worden sind, wurden die sexuellen Ängste, die in ihnen zum Ausdruck kommen, hauptsächlich als Metaphern einer metaphysischen Angst interpretiert. Aber obwohl sie natürlich auch eine solche Angst ausdrücken — schließlich verschwand Gott im 19. Jahrhundert, und der Rauch aus satanischen Fabrikschloten verdunkelte Europa -, ist es interessant, daß modernistische Darstellungen des gesellschaftlichen Zusammenbruchs sich durchweg sexueller Bilder bedienen, genauer gesagt: Bilder männlicher Impotenz und weiblicher Potenz.
Kann es sein, daß die literarische Unfruchtbarkeit, die von Autoren wie Beerbohm, Huxley und Hardy beschrieben wurde, sich paradoxerweise in eine fruchtbare Bilderwelt biologischer Unfruchtbarkeit, Kastration und Impotenz verwandelte, wie wir sie in modernistischen Entwürfen solcher Gestalten wie Eliots Fischer König, Hemingways Jake Barnes, Faulkners Benjy, Joyces Leopold Bloom und Lawrences Clifford Chatterley finden? Kann es sein, daß die Unersättlichkeit von Yeats »Töchtern des Herodes«, die Unberechenbarkeit von Stephen Daedalus' Mutter, die Beharrlichkeit von Faulkners Dilsey oder die nekrophile Veranlagung seiner Emily Grierson, die unheilvolle Weisheit von Eliots »lady of situations« oder seiner Madame Sosostris sowie die Bösartigkeit von Hemingways Lady Brett eine durchaus verständliche Angst vor einer Welt spiegeln, in der Frauen »vor Selbstbewußtsein strotzen«? Wie Theodore Roszak gezeigt hat, war unsere bisherige Einschätzung der intellektuellen Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts verzerrt, weil Kritiker und Wissenschaftler — ob bewußt oder unbewußt, spielt keine Rolle — das Wissen um die damalige Zentralität der »Frauenfrage« mit aller Macht unterdrückt haben (»The Hard and the Soft«, 88). Aber Virginia Woolf hat 1928 selbst gesagt: »Kein Zeitalter kann je so einschneidend geschlechtsbewußt gewesen sein wie das unsere; diese zahllosen Bücher von Männern über Frauen... beweisen es. Der Kampf der Suffragetten war ohne Zweifel schuld daran. Es muß in den Männern ein außerordentliches Bedürfnis nach Selbstbestätigung geweckt haben...« (Ein Zimmer für sich allein, 114) Wenn wir also, wie Roszak und Woolf nahelegen, den zunehmend erfolgreichen Kampf der Frauen um Autonomie in den Jahren von etwa 1880—1920 in den Vordergrund stellen, gewinnen wir ein völlig anderes Bild vom Modernismus. Es ist dies ein Modernismus, der sich nicht nur gegen das Gefüge der männlichen Viktorianer richtete, nicht nur im Schatten eines zerschlagenen Gottes stand, sondern als integraler Bestandteil einer sehr komplexen Reaktion auf weibliche Schriftsteller in der Vergangenheit und Gegenwart verstanden werden muß. Sollten Roszak und Woolf recht haben, so können wir die Hypothese wagen, daß eine frauenfeindliche Reaktionsbildung gegen den Aufstieg von Schriftstellerinnen nicht nur ein Thema unter anderen in modernistischen Texten war, sondern das leitende Motiv für den Modernismus überhaupt.
Sogar das Establishment einer angeblich gegen das Establishment gerichteten Avantgarde war Teil dieser Reaktion, denn sowohl das Ausgraben alter Stil- und Textelemente als auch die Innovationen, die z. B. in Pounds Cantos, Eliots Das wüste Land und Joyces Ulysses zu finden sind, dienten dazu, die patriarchalen Hierarchien wiederherzustellen, die »dem Geist Europas« (Eliot) innewohnten. Genauer gesagt hat die Wiederbelebung von Fragmenten des europäischen Geistes die Funktion, das Bild der edlen Vaterschaft von Homer bis zu Shakespeare zu beschwören und neu einzuprägen, während die linguistischen Innovationen — der Gebrauch von Wortspielen, Anspielungen, Sätzen in fremder Sprache, angedeuteten und gebrochenen Formen — dazu dienen, die Sprache zu verdunkeln und den Zugang zu ihrer Bedeutung einzuschränken, so daß nur eine eingeweihte, quasi priesterhafte Elite zur Gemeinde der hohen Kultur Zutritt hatte. Zwar gesellten sich von Zeit zu Zeit auch einige wenige Frauen dazu, aber im großen und ganzen blieb es ein reiner Männerklub. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß Joyce, als er Das wüste Land zum erstenmal las, sagte, T. S. Eliots Meisterstück setzt »der Vorstellung, daß Poesie etwas für Damen sei, ein Ende« (in Ellman, 510).    )
Wie antworteten die Frauen auf diese Reaktion? Bildeten Woolf und ihre literarischen Schwestern einen Frauenzirkel, vergleichbar dem Männerklub Eliots und seiner Brüder? Noch viel wichtiger aber: was bedeutete es für Schriftstellerinnen der Jahrhundertwende, daß sie nicht mehr länger, um es mit Elizabeth Barrett Brownings Worten zu sagen, »überall nach Großmüttern Ausschau halten« mußten, »ohne eine einzige zu finden«. (The    \
Letters, 1:231-32) Auf all diese Fragen sind wir an anderer Stelle eingegangen.[4] Kurz gesagt, lassen unsere Untersuchungen den Schluß zu, daß Frauen die Dynamik eines mütterlichen literarischen Erbes auf andere Weise erlebten, als anzunehmen wäre, würden wir einzig der männlichen Seite des modernistischen Geschlechter-Dialogs Gehör schenken. Gehen wir beispielsweise von der Angst aus, die aus Männern wie Beerbohm, Huxley und (weniger ausgeprägt) Hardy spricht, so müßten wir annehmen, daß sie sich von grimmig frohlockenden weiblichen Stimmen umgeben glaubten, die vor Vitalität und Siegesgewißheit nur so strotzten. Seltsamerweise drücken aber die Werke von Zeitgenossinnen, Beerbohms zum Beispiel, eher Gefühle der Angst als der Stärke aus; Angst vor dem, was von den Männern als »das Verbrechen« der weiblichen literarischen Ambitionen bezeichnet wurde. Oft erfahren diese Frauen auch ein zumindest ebenso starkes, wenn auch völlig anderes »Gefühl des Kompromittiertseins« wie Beerbohm und bringen das auch zum Ausdruck. Sie empfinden Scham, weil Texte wie der von Beerbohm ihnen dies nahelegen. Denn wie so oft in der Geschichte der Geschlechterbeziehungen nehmen Männer die kleinsten Schritte von Frauen in Richtung Autonomie als bedrohliche Sprünge wahr, die sie jeglicher Autorität berauben werden, während Frauen auf solche überängstlichen Reaktionen mit nervösen Schuldgefühlen und einem paradoxen Gefühl der Marginalisierung reagieren. Gleichzeitig gibt es jedoch auch einige Frauen, die sich durch jeden Fortschritt in Richtung kultureller Zentralität gestärkt fühlen, so daß wir vermutlich — wenn wir unser Augenmerk weiterhin auf den besonderen Aspekt der Mann-Frau-Beziehungen in der literarischen Moderne richten — erkennen werden, daß der weibliche Teil des Dialogs sehr viel komplizierter ist als der männliche.
Es ist interessant, daß ein Gedicht von Emily Dickinson das Dilemma der Modernisten schon einige Jahre, bevor sich Woolf und Eliot mit dem Thema auseinandersetzten, praktisch vorwegnahm. Der Anfang erinnert an die Erfahrungen der Efeunernen Ehefrau, und Dickinson artikuliert genau jenen weiblichen Überschwang, den Männer von Hardy bis zu Huxley fürchteten:

  • »Ich stieg auf — weil Er unterging —
    Ich dachte, es würde umgekehrt sein —
    Aber als seine Kräfte nachließen —
    blühte meine Seele auf.«

Aber während sie den Untergang ihres »ohnmächtig werdenden Prinzen« schildert, klingt Dickinsons Erzählerin seltsam ängstlich, ja schuldbewußt, und in einem verzweifelten Versuch, männliche Stärke wiederherzustellen, bemüht sie sich, die Geschichte ihres Liebhabers zu rekonstruieren, und erzählt ihm von »Welten, die ich gekannt —/ Wo es viele Herrscher gab —«. Am Ende wird der gefallene Mann zu einer Last, die sie nur mit Anstrengung wieder aufrichten kann:

»Und mit der Muskelkraft von Hymnen —
Und innerer Energie —
Und mit Kniffen, die mir bei mir bis dahin unbekannt —
hob ich ihn empor.«

Als Erzählung verstanden, impliziert Dickinsons Gedicht, daß dem Abbau männlicher Vorherrschaft nicht notwendigerweise der Aufbau weiblicher Macht folgt. Männliches Unvermögen wird eher durch weibliches Sich-Unbehaglich-Fühlen ausgeglichen; für beide Geschlechter erforderte der Schock des Neuen — und besonders der neuen Welt der weiblichen Worte — umwälzende Redefinitionen im soziokulturellen Bereich. Es kann sein, daß Eliot selbst sich der radikalen Implikationen der Beziehung zwischen Tradition und individueller Begabung, die er 1919 in einer Ausgabe von The Egoist (eine Zeitschrift übrigens, die als Wahlrechtszeitschrift namens The Freewoman und später The New Freewoman angefangen hatte) beschrieben hatte, gar nicht bewußt war. Aber Eliots Theorie, daß neue Kunstwerke nicht nur unser Verständnis der Vergangenheit ändern, sondern auch unser Verständnis dessen, was Kunst sein könnte, scheint die sexuelle Krise auszudrücken, die hinter dem Modernismus steht. Denn die ideale Ordnung der patriarchalen Literaturgeschichte wurde durch die Einführung wirklich neuer Kunstwerke radikal verändert — und, wie Woolf bemerkte, diese wirklichen neuen Kunstwerke trugen die Handschrift von Frauen.