Im Januar 1868, als Susan B. Anthony die erste Ausgabe der Revolution herausbrachte, hatten die Arbeiterinnen, deren Anteil an der Arbeiterschaft sich unlängst erhöht hatte, angefangen, ihre Rechte offensiv zu verteidigen. Während des Bürgerkrieges hatten mehr weiße Frauen als je zuvor außerhalb ihres Heims gearbeitet. 1870 arbeiteten 70 Prozent der weiblichen Arbeitskräfte in Haushalten, und ein Viertel aller nicht in der Landwirtschaft Beschäftigten waren Frauen.[1] In der Bekleidungsindustrie hatten sie schon die Mehrheit erreicht. In dieser Zeit war die Arbeiterbewegung eine rapide zunehmende wirtschaftspolitische Kraft, die aus nicht weniger als zweiunddreißig national organisierten Gewerkschaften bestand.[2]
Innerhalb der Arbeiterbewegung war jedoch die männliche Suprematie von so starkem Einfluß, daß nur die Zigarrenarbeiter und die Drucker den Frauen die Türen öffneten. Einige Arbeiterinnen hatten allerdings begonnen, sich selbst zu organisieren. Während des Bürgerkrieges und direkt danach bildeten die Näherinnen die größte Gruppe der außer Haus arbeitenden Frauen. Als sie daran gingen, sich zu organisieren, sprang der Gewerkschaftsgedanke von New York nach Boston und Philadelphia auf alle wichtigen Städte der gedeihenden Bekleidungsindustrie über. Als 1866 der Nationale Gewerkschaftsbund gegründet wurde, waren die Delegierten gezwungen, die Anstrengungen der Näherinnen anzuerkennen. Auf Initiative von William Sylvis beschloß die Versammlung, nicht nur »die Töchter der mühseligen Arbeit im Land«[3] - wie die Näherinnen genannt wurden - sondern die Frauen allgemein gewerkschaftlich zu organisieren und ihre volle Gleichberechtigung hinsichtlich der Löhne zu unterstützen.[4]
Als 1868 der Nationale Gewerkschaftsbund wieder zusammentrat und Sylvis zu seinem Präsidenten wählte, wurde die Versammlung durch die Anwesenheit mehrerer Frauen - unter ihnen Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Antony - veranlaßt, eine noch entschiedenere Resolution zu verabschieden und überhaupt den Rechten der Arbeiterinnen mit größerer Ernsthaftigkeit zu begegnen als zuvor.
Zur Gründungsversammlung des Nationalen Gewerkschaftsbundes der Farbigen von 1869 waren Frauen eingeladen. Wie die schwarzen Arbeiter in einer Resolution erklärten, wollten sie nicht »die Fehler, die zuvor unsere weißen Mitbürger machten, indem sie die Frauen übergingen«,[5] wiederholen. Die schwarze Arbeiterorganisation, die sich wegen der Ausschlußpolitik der weißen Arbeitergruppierungen gebildet hatte, erwies sich in ihrer Praxis als ernsthafter um die Rechte der Arbeiterinnen bemüht als ihre weißen Vergleichspartner und Vorgänger. Während sich die NLU (National Labor Union) mit der Verabschiedung von Resolutionen zur Gleichheit der Frauen begnügt hatte, wählte die NCLU (National Colored Labor Union) eine Frau - Mary S. Carey [6] - in das Exekutivkomitee, das die Politik der Organisation bestimmte. Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton hatten in ihren Erinnerungen kein Wort der Anerkennung für die antisexistischen Verdienste der schwarzen Arbeiterorganisation. Möglicherweise waren sie zu sehr von dem Kampf um das Wahlrecht absorbiert, um von dieser wichtigen Entwicklung Notiz zu nehmen.
In der ersten Ausgabe von Anthonys Revolution, der Zeitung, die von dem rassistischen Demokraten George Francis Train finanziert wurde, war die einzige Botschaft, daß die Frauen das Wahlrecht anstreben sollten. Wäre erst das Frauenstimmrecht Wirklichkeit, so suggerierte die Zeitung, dann wäre für die Frauen das goldene Zeitalter und für die ganze Nation der endgültige Sieg der Sittlichkeit gekommen.
- Wir werden zeigen, daß das Wahlrecht den Frauen in der Arbeitswelt die gleichen Arbeitsplätze und die gleichen Löhne sichert; daß es ihnen die Schulen, die Universitäten, die Berufe und alle Möglichkeiten und Vorteile im Leben öffnen wird; daß es in ihrer Hand die sittliche Kraft sein wird, die Flut der Verbrechen und des Elends jeder Art einzudämmen.[7]
Obwohl ihr Blickfeld oft zu eng auf das Wahlrecht konzentriert war, spielte die Revolution während der zwei Jahre, die sie erschien, in den Kämpfen der arbeitenden Frauen eine wichtige Rolle. Die Forderung nach dem Acht-Stunden-Tag wurde wiederholt in diesem Blatt erhoben, wie auch die antisexistische Losung »gleicher Lohn für gleiche Arbeit.« Von 1868 bis 1870 konnten sich die Arbeiterinnen - besonders in New York - darauf verlassen, daß Revolution über ihre Beschwerden wie auch über ihre Streiks, ihre Strategien und ihre Ziele berichten würde.
Anthonys Engagement für die Arbeitskämpfe der Frauen in der Nachkriegszeit beschränkte sich nicht auf die journalistische Solidarität. Während des ersten Jahres ihrer Zeitung benutzten sie und Stanton die Verlagsräume der Revolution, um von dort die Druckerinnen in der »Vereinigung der Arbeiterinnen« zu organisieren. Kurz danach nahm als zweite Gewerkschaft die Nationale Gewerkschaft der Drucker Frauen auf, und in den Büroräumen der Revolution richtete sich die Ortsgruppe 1 der Druckergewerkschaft für Frauen ein.[8] Auf Initiative von Susan B. Anthony wurde später eine zweite Vereinigung der Arbeiterinnen unter den Näherinnen organisiert.
Obwohl Susan B. Anthony, Elizabeth Cady Stanton und ihre Kolleginnen für die Sache der Arbeiterinnen wichtige theoretische Arbeit leisteten, akzeptierten sie die gewerkschaftlichen Prinzipien nie ganz. Wie sie vorher nicht zugestehen mochten, daß die Befreiung der Schwarzen gegenüber ihren eigenen Interessen als weiße Frauen zeitweise Priorität haben mußte, so konnten sie auch die fundamentalen Prinzipien der Einheit und der Klassensolidarität, ohne die die Arbeiterbewegung machtlos bliebe, nicht ganz begreifen. In den Augen der Suffragetten war »Frau« das entscheidende Kriterium und von solchem Gewicht, daß es, wenn es nur der Sache der Frauen zugutekam, sogar zulässig war, sich als Streikbrecher herzugeben, wenn die Männer eines Berufszweiges im Streik waren. Susan B. Anthony wurde 1869 aus der Versammlung des Nationalen Gewerkschaftsbundes ausgeschlossen, weil sie die Druckerinnen gedrängt hatte, als Streikbrecher zu arbeiten.[9] Zu ihrer Verteidigung erklärte sie gegenüber der Versammlung, daß
- ... in der Welt, die aus Kapital und Arbeit besteht, den Männern viel Unrecht geschieht, aber dieses Unrecht ist im Vergleich zu dem Unrecht an den Frauen, denen die Tür zu den Gewerben und Berufen vor der Nase zugeschlagen wird, nicht einmal so viel wie ein Sandkorn am Meeresstrand.[10]
Anthonys und Stantons Haltung in diesem Fall war der gegen die Schwarzen gerichteten Haltung der Suffragetten innerhalb der Vereinigung für Gleiche Rechte erstaunlich ähnlich. So wie Stanton und Anthony die schwarzen Männer angriffen, als ihnen klar wurde, daß die ehemaligen Sklaven das Wahlrecht vor den weißen Frauen erlangen könnten, so schlugen sie in vergleichbarer Weise gegen die Männer in der Arbeiterklasse los. Stanton versteifte sich darauf, der Ausschluß aus der NLU beweise, ». . . was die Revolution schon immer gesagt hat, nämlich daß die Männer der arbeitenden Klassen immer die schlimmsten Feinde des Frauenwahlrechts sein werden«.[11]
»Frau« war das Kriterium, aber nicht jede Frau schien geeignet zu sein. Die schwarzen Frauen blieben - wie sollte es auch anders sein - in der langwierigen Kampagne für das Frauenwahlrecht im Grunde unberücksichtigt. Was die weißen Arbeiterinnen betrifft, waren die führenden Suffragetten anfangs wahrscheinlich von den Organisationserfolgen und der Militanz ihrer Schwestern aus der Arbeiterklasse beeindruckt. Wie sich jedoch herausstellte, nahmen sich die Arbeiterinnen des Wahlrechts für Frauen keineswegs enthusiastisch an. Auch wenn Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton mehrere führende Gewerkschafterinnen überzeugen konnten, gegen den Wahlrechtsentzug für Frauen zu protestieren, war die Masse der Frauen viel zuviel mit ihren unmittelbaren Problemen beschäftigt - Löhne, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen - um für eine Sache zu kämpfen, die ihnen schrecklich abstrakt vorkommen mußte. Anthony meinte:
- Der besondere Vorteil, den die Arbeiter dieser Republik besitzen, ist, daß der Sohn des niedrigsten Bürgers, ob weiß oder schwarz, die gleichen Chancen wie der Sohn des reichsten im Land hat.[12]
Susan B. Anthony hätte eine solche Behauptung niemals aufstellen können, wenn sie mit der Realität der Arbeiterfamilien vertraut gewesen wäre. Die Arbeiterinnen wußten nur zu gut, daß ihre Väter, Brüder, Ehemänner, die das Wahlrecht ausübten, auch weiterhin von ihren reichen Dienstherren elendig ausgebeutet wurden. Die politische Gleichheit öffnete nicht das Tor zur wirtschaftlichen Gleichheit.
»Die Frauen wollen Brot und nicht das Wahlrecht«[13] war der Titel einer von Susan B. Anthony oft gehaltenen Rede, mit der sie mehr Arbeiterinnen für den Kampf um das Wahlrecht zu gewinnen hoffte. Wie schon der Titel andeutete, hatte sie gegenüber der Tendenz der Arbeiterinnen, sich auf ihre unmittelbaren Nöte zu konzentrieren, eine kritische Haltung. Es war jedoch nur natürlich, daß jene handfeste Lösungen für ihre unmittelbaren wirtschaftlichen Probleme erstrebten. Und sie wurden selten von dem Versprechen der Suffragetten berührt, daß das Wahlrecht sie ihren Männern gleich machen werde - ihren ausgebeuteten, leidenden Männern. Sogar die Mitglieder der »Vereinigung der Arbeiterinnen«, die von Anthony von ihrem Zeitungsbüro aus organisiert worden war, entschieden sich, vom Kampf um das Frauenstimmrecht abzusehen. »Frau Stanton bemüht sich um eine Wahlrechtsvereinigung aus dem Kreis der Arbeiterinnen«, erläuterte die erste Vizepräsidentin der Arbeiterinnenvereinigung.
- Es wurde darüber abgestimmt, doch es fand sich keine Mehrheit. Die Gesellschaft hatte zeitweise aus über hundert Arbeiterinnen bestanden, da aber nichts unternommen wurde, ihre Lebensbedingungen in der Praxis zu verbessern, zogen sie sich nach und nach zurück.[14]
Schon früh in ihrer Laufbahn als Frauenrechtsführerin war Susan B. Anthony zu dem Urteil gekommen, daß das Wahlrecht das wahre Geheimnis der Emanzipation der Frauen enthalte, und daß der Sexismus weit unterdrückerischer sei als die Klassenunterschiede und der Rassismus. In Anthonys Augen war »die hassenswerteste Oligarchie, die je auf dieser Erde errichtet worden ist«,[15] die Herrschaft des Mannes über die Frau.
- Eine Oligarchie des Besitzes, wo die Reichen die Armen regieren, eine Oligarchie des Wissens, wo die Gebildeten die Dummen regieren, sogar eine Oligarchie der Rasse, wo die Sachsen die Afrikaner beherrschen, kann noch ertragen werden; aber eine Oligarchie des Geschlechts, die Väter, Brüder, Ehemänner und Söhne zu Oligarchen über die Mutter und die Schwestern, über die Ehefrau und die Töchter jedes Haushaltes macht, welche alle Männer zu Herrschern und alle Frauen als Untertanen bestimmt, trägt Zwietracht und Rebellion in jedes Haus der Nation.[16]
Stantons unerschütterlich feministische Haltung war gleichzeitig eine getreue Widerspiegelung bürgerlicher Ideologie. Und es lag vielleicht auch an den blind machenden Wirkungen dieser Ideologie, daß sie nicht begreifen konnte, daß die Frauen der Arbeiterklasse und die schwarzen Frauen gleichermaßen durch die Ausbeutung der Klasse und durch die Unterdrückung der Rasse, die nicht nach dem Geschlecht fragten, mit ihren Männern aufs tiefste verbunden waren. Natürlich mußte das sexistische Verhalten ihrer Männer entschieden bekämpft werden, aber der wirkliche Feind - ihr gemeinsamer Feind war der Boß, der Kapitalist oder wer auch immer für die elenden Löhne und die untragbaren Arbeitsbedingungen oder für die rassistische und sexistische Diskriminierung in der Arbeit verantwortlich war.
Die Arbeiterinnen schrieben die Forderung nach dem Wahlrecht erst dann massenhaft auf ihre Fahnen, als im frühen zwanzigsten Jahrhundert ihr eigener Kampf spezifische Gründe für die Forderung nach dem Wahlrecht hervorgebracht hatte. Als die Frauen der Bekleidungsindustrie in New York während des Winters 1909/1910 in den Streik traten, der als die »Erhebung der 20 000« bekannt wurde, gewann das Wahlrecht eine spezifische Relevanz für die Kämpfe der Arbeiterinnen. Nun begannen die Gewerkschaftsführerinnen damit zu argumentieren, daß die Arbeiterinnen mit dem Wahlrecht bessere Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen fordern könnten und daß das Frauenwahlrecht so eine wirksame Waffe im Klassenkampf sein könnte. Nachdem ein Brand in der New Yorker Triangle Shirtwaist Company das Leben von 146 Frauen gefordert hatte, wurde auf dramatische Weise die Notwendigkeit von Gesetzen zum Verbot der lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen der Frauen deutlich. Mit anderen Worten, die Frauen brauchten das Wahlrecht, um ganz einfach ihr nacktes Leben zu sichern.
Der Gewerkschaftsbund der Frauen - Women's Trade Union League trieb die Bildung von Wahlrechtsvereinigungen der Lohnarbeiterinnen voran. Ein leitendes Mitglied der New Yorker Stimmrechtsliga, Leonora O'Reilly, entwickelte aus dem Standpunkt der Arbeiterklasse eine machtvolle Argumentationskette für das Wahlrecht der Frauen. Sie zielte in ihren Schlußfolgerungen nicht nur gegen die Politiker, die dem Frauenwahlrecht feindlich gegenüberstanden, sondern sie stellte auch die Rechtmäßigkeit des herrschenden Mutterkultes in Frage.
- Sie mögen uns erzählen, daß unser Platz zu Hause sei. In diesen Vereinigten Staaten gibt es aber 8 000 000 von uns, und wir müssen hinausgehen, um unser tägliches Brot zu verdienen, und wir sind hier, um Ihnen zu sagen, daß wir in den Hütten, in den Bergwerken, in den Fabriken und in den Kaufhäusern, in denen wir arbeiten, nicht den Schutz haben, den wir benötigten. Sie haben für uns Gesetze gemacht, und die Gesetze, die sie gemacht haben, sind für uns nicht gut gewesen. Jahr um Jahr haben sich in jedem Staat die Arbeiterinnen an die Legislative gewandt und versucht, ihre Notlage zu beschreiben ...[17]
Nun aber, erklärten Leonora O'Reilly und ihre Schwestern aus der Arbeiterklasse, wollten sie um das Wahlrecht kämpfen - und sie wollten es in der Tat als eine Waffe benutzen, um jene Gesetzgeber ihrer Ämter zu entheben, deren Loyalität dem großen Geschäft galt. Die Arbeiterinnen forderten das Wahlrecht als Hilfe in weiteren Klassenkämpfen. Diese neue Perspektive innerhalb der Kampagne um das Frauenwahlrecht belegt den zunehmenden Einfluß der sozialistischen Bewegung. Und es waren tatsächlich die Sozialistinnen, die der Frauenstimmrechtsbewegung neue Energie gaben und die die Vision des Kampfes hochhielten, die aus den Erfahrungen ihrer Schwestern aus der Arbeiterklasse geboren war.
Von den acht Millionen arbeitenden Frauen im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts waren mehr als zwei Millionen schwarz. Als Frauen, die unter den kombinierten Nachteilen ihres Geschlechts, ihrer Klasse und ihrer Rasse litten, hatten sie besonders starke Gründe für die Forderung nach dem Wahlrecht. In die Frauenwahlrechtsbewegung war jedoch der Rassismus so tief eingedrungen, daß die Türen für die schwarzen Frauen niemals wirklich geöffnet wurden. Die Ausschlußmethoden der NAWSA konnten die schwarzen Frauen allerdings nicht gänzlich abhalten, ihre Forderungen nach dem Wahlrecht zu erheben. Ida B. Wells, Mary Church Terrell und Mary McCleod Bethune gehörten zu den bekanntesten schwarzen Suffragetten.
Margaret Murray Washington, eine führende Persönlichkeit in der »Nationalen Vereinigung farbiger Frauen«, bekannte, »...mich persönlich hat das Frauenwahlrecht nachts nie wachgehalten...«[18]
Diese zeitweilige Indifferenz kann sehr wohl eine Reaktion auf den rassistischen Standpunkt der »Nationalen Wahlrechtsvereinigung amerikanischer Frauen« gewesen sein, denn Washington behauptete auch, daß die farbigen Frauen genauso wie die farbigen Männer erkennen:
- Wenn es je gleiches Recht und faires Spiel geben soll, was den Schutz der Gerichte überall und für jede Rasse betrifft, dann müssen Frauen wie Männer auch dieselben Möglichkeiten haben, ihre Wahl durch ihre Stimme auszudrücken.[19]
Washington weist darauf hin, daß die »Nationale Vereinigung farbiger Frauen« eine Stimmrechtsabteilung eingerichtet habe, die die Mitglieder mit Wissen über die Regierungsgeschäfte versehen sollte, ». . . damit die Frauen darauf vorbereitet sind, mit ihrer Stimme intelligent und weise umzugehen . . .«.[20] Die gesamte Klubbewegung der schwarzen Frauen war von dem Geist des Frauenwahlrechts erfüllt. Trotz der Ablehnung, die ihnen von der NAWSA entgegengebracht wurde, setzten sie sich weiterhin für das Frauenwahlrecht ein. Als der »Klubverband des Nordostens« 1919 die Aufnahme in die NAWSA beantragte - also nur ein Jahr vor dem Sieg - war die Antwort des Vorstands eine Wiederholung der Ablehnung, wie sie ein Vierteljahrhundert zuvor die schwarzen Suffragetten von Susan B. Anthony erhalten hatten. In der Mitteilung an den Verband, daß seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne, erklärte die Vorsitzende der NAWSA:
- ... Wenn die Nachricht, die Nationale Amerikanische Vereinigung habe gerade eine Organisation von 6000 farbigen Frauen aufgenommen, in diesem höchst kritischen Augenblick wie ein Lauffeuer durch die gesamten Südstaaten geht, sind die Feinde mit ihren Bemühungen am Ziel - die Niederlage des Zusatzartikels wäre sicher.[21]
Dennoch unterstützten die schwarzen Frauen den Kampf um das Wahlrecht bis zuletzt.
Ungleich ihren weißen Schwestern genossen die schwarzen Suffragetten die Unterstützung vieler Männer aus den eigenen Reihen. Und wie für das neunzehnte Jahrhundert Frederick Douglass der hervorstechendste männliche Fürsprecher der Gleichberechtigung der Frauen war, so ragte im zwanzigsten Jahrhundert W. E. B. DuBois als der führende männliche Verfechter des Frauenwahlrechts hervor. In einem satirischen Artikel anläßlich des Suffragettenmarsches 1913 in Washington beschreibt DuBois die weißen Männer, die gepfiffen, aber auch geprügelt hatten - so daß es über hundert Verletzte gab - als die Erhalter der »glorreichen Tradition der angelsächsischen Männlichkeit ».[22]
- War das nicht glorreich? Willst du nicht vor Scham in die Erde sinken, weil du bloß ein schwarzer Mann bist, wenn derart große Taten von den Führern der Zivilisation vollbracht werden? »Schämst du dich nicht ob deiner Rasse?« Erweckt es nicht den Wunsch in dir, »weiß zu sein«?[23]
DuBois beendet den Artikel mit einer ernsthaften Notiz, indem er eine der weißen Demonstrantinnen zitiert, die gesagt hatte, daß die schwarzen Männer ausnahmslos respektvoll gewesen seien. Von den Tausenden, die Zuschauer der Parade gewesen waren, ». . . war auch nicht einer von ihnen laut oder unflätig ... der Unterschied zwischen ihnen und diesen unverschämten, dreisten weißen Männern war bemerkenswert.«[24]
Diese Parade, die ihre verständnisvollsten männlichen Zuschauer unter den Schwarzen hatte, war von ihren weißen Organisatorinnen streng rassisch getrennt worden. Sie hatten sogar Ida B. Wells angewiesen, ihre Gruppe aus Illinois zu verlassen und mit der separaten schwarzen Gruppe zu marschieren - aus Rücksicht gegenüber den weißen Frauen aus dem Süden.
- Dieses Ansinnen wurde öffentlich bei der Vorbesprechung des Blockes aus Illinois gestellt, und während Frau Barnett (Ida Wells) sich Unterstützung heischend im Raume umsah, diskutierten die Damen über die Frage Prinzip versus Zweckmäßigkeit, wobei die meisten von ihnen offenbar glaubten, daß sie die Südstaatlerinnen nicht ungünstig gegen das Wahlrecht beeinflussen dürften.[25]
Ida B. Wells war jedoch nicht bereit, sich den rassistischen Anweisungen zu beugen, und schlüpfte in ihre Gruppe aus Illinois, als die Parade schon begonnen hatte.
Als männlicher Verfechter des Frauenstimmrechts wurde W. E. B. DuBois weder von weißen noch von schwarzen Männern ausgestochen. Seine Militanz, seine Eloquenz und der grundsätzliche Charakter seiner zahlreichen Appelle veranlaßten viele seiner Zeitgenossen, in ihm den bedeutendsten Verteidiger der politischen Gleichheit der Frauen seiner Zeit zu sehen. DuBois' Appelle waren nicht nur wegen ihrer Klarheit und ihrer Überzeugungskraft beeindruckend, sondern auch wegen ihres relativen Mangels an männlich suprematistischen Untertönen. In seinen Reden und Schriften begrüßte er die zunehmend führende Rolle der schwarzen Frauen, die ». . . sich leise, aber voller Kraft zu einer intellektuellen Führungsschicht ihrer Rasse entwickeln«.[26] Während für andere Männer diese aufstrebende Macht der Frauen ein deutliches Alarmsignal gewesen wäre, zog DuBois den entgegengesetzten Schluß, daß diese Situation die Ausdehnung des Wahlrechtes auf die schwarzen Frauen besonders dringlich mache. »Die Verleihung des Wahlrechts an diese Frauen wird nicht einfach unsere Stimmen in der Nation verdoppeln«, sondern sie wird auch zu »einem stärkeren und gesünderen politischen Leben führen«.[27]
1915 erschien in The Crisis von DuBois der Aufsatz »Das Frauenwahlrecht: Ein Symposium der führenden Intelligenz des farbigen Amerika«.[28] Es war die Mitschrift eines Forums, an dem unter anderen Richter, Minister, Universitätsprofessoren, gewählte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Kirchenführer und Lehrer teilgenommen hatten. Charles W. Chesnutt, Reverend Francis J. Grimke, Benjamin Brawley und Richter Robert H. Terrell waren einige der vielen männlichen Vertreter des Frauenwahlrechts, die auf diesem Symposium sprachen. Zu den Frauen gehörten Mary Church Terrell, Anna Jones und Josephine St. Pierre Ruffin.
Die große Mehrheit der am Forum für das Frauenstimmrecht teilnehmenden Frauen waren Mitglieder der »Nationalen Vereinigung der farbigen Frauen«. In ihren Verlautbarungen beriefen sie sich überraschend selten auf die »besondere Natur« der Frauen, ihre Häuslichkeit und ihre eingeborene Moral, die - wie es die verbreitete Argumentation der weißen Suffragetten war - ihren besonderen Anspruch auf das Wahlrecht bedingten. Es gab aber eine krasse Ausnahme. Nannie H. Burroughs, Lehrerin und Kirchenführerin, trieb die These von der weiblichen Sittlichkeit so weit, daß sie die absolute Überlegenheit der schwarzen Frau über ihren Mann behauptete. Die Frauen benötigten die Wahl, weil - so erklärte Burroughs - ihre Männer diese wertvolle Waffe »verschachert und verkauft« hätten.
- Die Negerin ... braucht das Wahlrecht, um durch seinen weisen Gebrauch zurückzugewinnen, was der Neger durch seinen Mißbrauch verloren hat. Sie braucht es, um ihre Rasse zu erlösen. . . In moralischer Hinsicht ist ein Vergleich mit den Männern ihrer Rasse abzulehnen. Sie trägt die Last der Kirche und der Schule und noch eine ganze Menge mehr als nur den wirtschaftlichen Anteil zu Hause.[29]
Unter dem ungefähren Dutzend der weiblichen Teilnehmer maßte sich Burroughs allein eine Auffassung an, die auf dem doppelbödigen Argument basierte, daß die Frauen moralisch überlegen seien (was andererseits stillschweigend einbegriff, daß sie ansonsten dem Mann unterlegen waren). Mary Church Terrell sprach über »Das Frauenwahlrecht und der Fünfzehnte Zusatzartikel«, Anna Jones über »Das Frauenwahlrecht und die soziale Reform«, und Josephine St. Pierre Ruffin beschrieb ihre eigenen historischen Erfahrungen in der Frauenrechtskampagne. Andere konzentrierten sich in ihren Beiträgen auf die Arbeiterinnen, auf die Schulbildung der Kinder und auf die Aktivitäten der Klubs. In den abschließenden Bemerkungen ihres Beitrags über »Frauen und farbige Frauen« faßte Mary Talbot die Bewunderung, die den schwarzen Frauen während des Symposiums zuteil wurde, zusammen:
- Durch ihre spezifische Stellung hat die farbige Frau deutliche Fähigkeiten der Beobachtung und des Urteils erreicht - eben jene Art von Fähigkeiten, die heute besonders nötig sind, um ein ideales Land zu errichten.[30]
Die schwarzen Frauen waren mehr als bereitwillig gewesen, jene »klaren Fähigkeiten der Beobachtung und des Urteils« zur Schaffung einer massenübergreifenden Bewegung für die politischen Rechte der Frauen beizusteuern. Aber sie waren bei jeder Gelegenheit von den Führerinnen der lilienweißen Frauenwahlrechtsbewegung betrogen, verächtlich gemacht und ausgeschlossen worden. Für die Suffragetten wie für die Klubfrauen waren die schwarzen Frauen nichts weiter als zu vernachlässigende Größen, wenn es wieder einmal darum ging, um die Unterstützung der Südstaatlerinnen mit weißer Gesichtsfarbe zu werben. Der Frauenstimmrechtsbewegung scheinen jedoch all diese Konzessionen an die Frauen aus den Südstaaten letztendlich wenig gebracht zu haben. Als die Stimmen für den Neunzehnten Zusatzartikel ausgezählt wurden, befanden sich die Südstaaten noch immer in der Opposition, und es wäre ihnen fast gelungen, die Niederlage dieses Artikels herbeizuführen.
Nach dem langersehnten Sieg des Frauenwahlrechts wurden die schwarzen Frauen im Süden mit Gewalt an der Ausübung des ihnen gerade erteilten Rechtes gehindert. Die gewalttätigen Ausbrüche des KuKluxKlan brachten den schwarzen Frauen und ihren Kindern in Orten wie Orange County in Florida üble Mißhandlungen und Tod. In anderen Orten wurden sie etwas friedlicher an der Ausübung ihres Rechtes gehindert. In Americus in Georgia z. B.
- ... gingen mehr als 250 farbige Frauen zu den Wahlurnen, um zu wählen, aber sie wurden entweder dazu gebracht umzukehren, oder aber der Wahlhelfer nahm ihre Stimmzettel nicht an.[31]
Aus den Reihen der Bewegung, die so inbrünstig um das Wahlrecht gekämpft hatte, war kaum eine Stimme des Protestes zu hören.