Als 1848 Das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels herauskam, war Europa der Schauplatz unzähliger revolutionärer Erhebungen. Einer der Teilnehmer der Revolution von 1848, der Artillerieoffizier und enge Mitarbeiter von Marx und Engels, Joseph Weydemeyer, wanderte in die Vereinigten Staaten ein und gründete die erste marxistische Organisation in der Geschichte dieses Landes.[1] Als Weydemeyer 1852 die »Proletarische Liga« aufbaute, war unter den Mitgliedern der Gruppe offenbar keine Frau. Wenn überhaupt eine Frau dort tätig war, dann ist sie schon lange der geschichtlichen Anonymität anheimgefallen. Die nächsten paar Jahrzehnte hindurch waren die Frauen in ihren eigenen Arbeiterorganisationen, in der Bewegung gegen die Sklaverei und in der sich entwickelnden Kampagne für ihre eigenen Rechte aktiv. Aber bei allen diesen Zielen und Zwecken scheinen sie abseits von der marxistisch-sozialistischen Bewegung gestanden zu haben. Wie die »Proletarische Liga« waren die »Nationale Vereinigung der Arbeiter« und der »Kommunistische Klub« ausschließlich von Männern beherrscht. Sogar die »Sozialistische Arbeiterpartei« war überwiegend männlich.[2]
Als die Sozialistische Partei 1900 gegründet wurde, hatte die Zusammensetzung der sozialistischen Bewegung angefangen, sich zu verändern. Da die allgemeine Forderung nach der Gleichberechtigung der Frauen stärker geworden war, wurden die Frauen zunehmend vom Kampf für soziale Veränderungen angezogen. Sie begannen auf ihr Recht zu pochen, sich am Kampf gegen die unterdrückerischen Strukturen der Gesellschaft zu beteiligen. Von 1900 an sollte die marxistische Linke den mehr oder weniger großen Einfluß ihrer weiblichen Anhänger zu spüren bekommen.
Die Sozialistische Partei, wichtigste Vertreterin des Marxismus für zwei Jahrzehnte, unterstützte den Kampf für die Gleichheit der Frau. Tatsächlich war sie viele Jahre die einzige Partei, die das Frauenwahlrecht forderte.[3] Dank solcher sozialistischer Frauen wie Pauline Newman und Rose Schneiderman wurde eine Wahlrechtsbewegung aus der Arbeiterklasse geschaffen und das jahrzehntelange Monopol der Mittelstandsfrauen in der Massenbewegung für das Wahlrecht gebrochen.[4] 1908 setzte die Sozialistische Partei eine nationale Frauenkommission ein. Am 8. März desselben Jahres organisierten die Sozialistinnen aus dem Osten New Yorks eine Massendemonstration für gleiches Wahlrecht, deren Jahrestag seitdem als der Internationale Frauentag rund um die Welt gefeiert wird.[5] Als 1919 die Kommunistische Partei gegründet wurde (eigentlich waren zwei Parteien gegründet worden, die sich später vereinigten), waren frühere sozialistische Genossinnen unter ihren ersten Parteiführern und -Aktivisten: »Mutter« Ella Reeve Bloor, Anita Whitney, Margaret Prevey, Kate Sadler Greenhalgh, Rose Pastor Stokes und Jeanette Pearl waren alle Kommunistinnen, die vorher zum linken Flügel der Sozialistischen Partei gehört hatten.[6]
Obwohl die »lndustriearbeiter der Welt« keine politische Partei waren - denn sie bekämpften eigentlich jede Organisation einer politischen Partei - waren sie die zweite wesentliche Kraft bei der Gründung der Kommunistischen Partei: Die IWW (Industrial Workers of the World), allgemein bekannt als die »Wobblies«, wurde im Juni 1905 gegründet. Die IWW bezeichnete sich selbst als Industriearbeitergewerkschaft und erklärte, daß es zwischen Kapitalistenklasse und den Arbeitern, die sie beschäftigte, niemals ein harmonisches Verhältnis geben könne. Das höchste Ziel der Wobblies war der Sozialismus, und ihre Strategie war der unerbittliche Klassenkampf. Als »Big Bill« Haywood jene erste Versammlung einberief, saßen auf dem Podium zwei führende Gewerkschafterinnen: »Mother« Mary Jones und Lucy Parsons.
Während beide, die Sozialistische Partei und die IWW, Frauen in ihre Reihen aufnahmen und sie ermunterten, leitende Funktionen zu übernehmen und Agitatorinnen zu werden, war es nur die IWW, die sich der ergänzenden Politik des offenen Kampfes gegen den Rassismus annahm. Unter der Führung von Daniel DeLeon wurde von der Sozialistischen Partei die Eigenart der Unterdrückung der Schwarzen nicht anerkannt. Obwohl die Mehrheit der Schwarzen in der Landwirtschaft arbeiteten - als Pachtbauern, als Pächter und als Landarbeiter - erklärten die Sozialisten, daß für ihre Bewegung nur die Proletarier relevant seien. Selbst der hervorragende Parteiführer Eugen Debs vertrat die Meinung, daß die Schwarzen als Gruppe keine umfassende Hilfe bei ihrem Kampf um Gleichheit und Freiheit verlangen könnten. Da das vornehmliche Interesse der Sozialisten der Kampf zwischen Kapital und Arbeit war, behauptete Debs, »haben wir dem Neger nichts Spezifisches anzubieten«.[7] Die »lndustriearbeiter der Welt« hatten als Hauptziel, die lohnarbeitende Klasse zu organisieren und revolutionäres, sozialistisches Klassenbewußtsein zu entwickeln. Im Gegensatz zur Sozialistischen Partei richtete jedoch die IWW ihre Aufmerksamkeit deutlich auch auf die spezifischen Probleme der Schwarzen. Nach Mary White Ovington
- gibt es zwei Organisationen irn Land, die gezeigt haben, daß sie sich für die volle Gleichberechtigung der Neger einsetzen. Die erste ist die »Nationale Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen« . . . Die zweite Organisation, die die Rassentrennung bekämpft, sind die »lndustriearbeiter der Welt« Die IWW war immer an der Seite des Negers.[8]
Helen Holman war eine schwarze Sozialistin und die Anführerin der Kampagne für ihre inhaftierte Parteiführerin Kate Richards O'Hare. Als Schwarze jedoch war Helen Holman in den Reihen der Sozialistischen Partei eine Seltenheit. Die Anzahl der in der Industrie arbeitenden schwarzen Frauen vor dem 2. Weltkrieg war unbedeutend. Folglich wurden sie von den Werbern für die Partei beinahe übersehen. Die Vernachlässigung der schwarzen Frauen war eine der mißlichen Erbschaften der Sozialisten, die die Kommunistische Partei überwinden mußte.
Nach Auffassung des kommunistischen Führers und Historikers William Z. Foster »war die Partei in den frühen zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ... gegenüber den spezifischen Forderungen der Negerinnen in der Industrie nachlässig«.[9] Während des nächsten Jahrzehntes jedoch wurde den Kommunisten das Problem des Rassismus in der US-Gesellschaft bewußt. Sie entwickelten eine ernsthafte Theorie des Befreiungskampfes der Schwarzen und bildeten einen stabilen aktiven Kern im allumfassenden Kampf gegen den Rassismus.
Lucy Parsons
Lucy Parsons bleibt eine der wenigen schwarzen Frauen, deren Name in den Chroniken der amerikanischen Arbeiterbewegung auftaucht. Fast überall jedoch wird sie vereinfachend als die »ergebene Ehefrau« des Haymarketmärtyrers Albert Parsons bezeichnet. Sicherlich war Lucy Parsons eine der militantesten Verteidigerinnen ihres Mannes, aber sie war gleichzeitig weit mehr als eine treue Ehefrau und zornige Witwe, die ihren Mann verteidigen und rächen wollte. Wie Carolyn Asbaugh in der unlängst erschienenen Biographie über sie bestätigt,[10] umspannte ihr journalistischer und agitatorischer Einsatz für die Arbeiterklasse insgesamt einen Zeitraum von mehr als sechzig Jahren. Lucy Parsons' Engagement in den Arbeitskämpfen begann fast zehn Jahre vor dem Haymarketmassaker und hielt danach noch weitere fünfundfünfzig Jahre an. Ihre politische Entwicklung erstreckt sich von dem jugendlichen Eintreten für den Anarchismus bis zur Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei in reiferen Jahren.
Die 1853 geborene Lucy Parsons wurde schon 1877 in der Sozialistischen Arbeiterpartei aktiv. In den nächsten Jahren veröffentlichte die Zeitung dieser anarchistischen Organisation Socialist ihre Artikel und Gedichte. Auch an der Organisierung der Chicagoer Gewerkschaft der Arbeiterinnen war Parsons aktiv beteiligt.[11] In der Folge der von der Polizei angestifteten Ausschreitungen am 1. Mai 1886 auf dem Chicagoer Haymarket wurde ihr Mann als einer der acht radikalen Arbeiterführer von der Polizei verhaftet. Lucy Parsons initiierte sofort eine militante Kampagne zur Befreiung der Haymarketgefangenen. Durch ihre Reisen im ganzen Land wurde sie als prominente Arbeiterführerin und führende Anarchistin bekannt. Ihr Ruf ließ sie allzuoft zu einer Zielscheibe der Repression werden. In Columbus in Ohio z. B. verbot der Bürgermeister eine Rede, die sie verabredungsgemäß im Monat März dort halten sollte, und ihre Weigerung, das Verbot zu respektieren, führte dazu, daß die Polizei sie ins Gefängnis warf.[12] In einer Stadt nach der anderen
- wurden im letzten Augenblick die Säle für sie geschlossen, standen Detektive in jeder Ecke der Versammlungsräume, hielt sie die Polizei unter ständiger Beobachtung.[13]
Sogar als ihr Mann hingerichtet wurde, verhaftete die Chicagoer Polizei Lucy Parsons mit ihren beiden Kindern, und einer von ihnen machte die Bemerkung: »Diese Frau ist mehr zu fürchten als tausend Meuterer.«[14]
Obwohl sie eine Schwarze war - eine Tatsache, die sie wegen der Rassenmischungsgesetze oft verbergen mußte - und obwohl sie eine Frau war, waren für Lucy Parsons der Rassismus und der Sexismus von der allumfassenden Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Kapitalisten überschattet. Da sie Opfer der kapitalistischen Ausbeutung seien, sollten die Schwarzen und die Frauen nicht weniger als die Weißen und die Männer ihre ganze Energie dem Klassenkampf widmen. In ihren Augen litten die Schwarzen und die Frauen unter keiner besonderen Unterdrückung, und sie sah deshalb keine wirkliche Notwendigkeit für eine ausdrücklich gegen den Rassismus und den Sexismus gerichtete Massenbewegung. Geschlecht und Rasse waren nach Lucy Parsons' Theorie von den Unternehmern manipulierte Existenzbedingungen, die die noch schärfere Ausbeutung von Frauen und Farbigen zu rechtfertigen suchten. Daß die Schwarzen der Brutalität der Lynchjustiz ausgesetzt waren, führte sie auf die Armut zurück, die diese Gruppe von allen Arbeitern am verletzbarsten mache. »Ist wirklich jemand so dumm«, fragte Parsons 1886, »anzunehmen, daß diese Gewalttätigkeiten ... über den Neger gehäuft worden sind, weil er schwarz ist?«[15]
- Nicht im geringsten. Sondern, weil er arm ist. Weil er abhängig ist. Weil er einer ärmeren Klasse angehört als sein weißer lohnarbeitender Bruder im Norden.[16]
Lucy Parsons und »Mother« Mary Jones waren die beiden ersten Frauen, die sich der radikalen Arbeiterorganisation - den »lndustriearbeitern der Welt« - anschlossen. Sie genossen beide in der Arbeiterbewegung große Achtung und wurden eingeladen, mit Eugene Debs und Big Bill Haywood im Präsidium der Gründungsversammlung der IWW 1905 zu sitzen. In der Ansprache, die Lucy Parsons vor den Kongreßteilnehmern hielt, richtete sie ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Unterdrückung der Arbeiterinnen, die nach ihrer Meinung von den Kapitalisten in der Absicht manipuliert wurden, die Löhne der gesamten Arbeiterklasse zu drücken.
- Wir, die Frauen dieses Landes, haben kein Wahlrecht, auch wenn wir wünschten, es ausüben zu können ... aber wir haben unsere Arbeit ... Wo immer Löhne gedrückt werden sollen, mißbraucht die kapitalistische Klasse die Frauen dazu.[17]
In dieser Zeit, in der die Notlage der Prostituierten faktisch ignoriert wurde, sprach Parsons auf der IWW-Versammlung ferner auch für »meine Schwestern, die ich nachts sehe, wenn ich in Chicago aus dem Haus gehe.«[18]
In den zwanziger Jahren begann Lucy Parsons an den Kämpfen der jungen Kommunistischen Partei teilzunehmen. Wie viele andere war sie von der proletarischen Revolution in Rußland tief beeindruckt und gewann die Zuversicht, daß auch die Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten von Amerika siegreich sein könnte. Als die Kommunisten und andere fortschrittliche Kräfte 1925 die »Internationale Arbeiterhilfe« gründeten, wurde Parsons eine aktive Mitarbeiterin dieser Gruppe. Sie kämpfte für die Freiheit von Tom Mooney in Kalifornien, für die »Neun von Scottsboro« in Alabama und für den jungen schwarzen Kommunisten Angelo Hemdon, den die Polizei von Georgia eingesperrt hatte.[19] Den Forschungen ihrer Biographin zufolge wurde Lucy Parsons 1939 formelles Mitglied der Kommunistischen Partei.[20] Als sie 1942 starb, wurde im Daily Worker ihrer gedacht als
- . . . einer Verbindung zwischen der gegenwärtigen Arbeiterbewegung und den großen historischen Ereignissen von 1880 ... Sie war eine der wahrhaft großen Frauen Amerikas, furchtlos und der Arbeiterklasse ergeben.[21]
Ella Reeve Bloor
Geboren 1862, war »Mother« Bloor eine außerordentlich geschickte Arbeiterorganisatorin und Agitatorin für die Rechte der Frau, die Gleichheit der Schwarzen, für Frieden und Sozialismus. Bald nach ihrer Gründung trat sie der Sozialistischen Partei bei. In der Folgezeit wurde sie zu einer führenden Sozialistin und zu einer lebenden Legende für die Arbeiterklasse im ganzen Land. Sie fuhr per Anhalter von einem Ende der Vereinigten Staaten bis zum anderen und war Herz und Seele unzähliger Streiks. Die Straßenbahnschaffner von Philadelphia hörten als erste ihre Streikreden. In anderen Teilen des Landes waren es die Bergarbeiter, Textilarbeiter und Pachtbauern, die aus ihrem außergewöhnlichen Rednertalent Nutzen zogen. Noch im Alter von zweiundsechzig Jahren fuhr Mother Bloor per Anhalter von einem Staat zum anderen.[22]
Im Alter von achtundsiebzig Jahren veröffentlichte Mother Bloor die Geschichte ihres Lebens als Organisatorin der Arbeiter von ihren vorsozialistischen Tagen bis zu der Zeit ihrer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei. Als klassenbewußte Sozialistin war sie sich nicht ausdrücklich über die spezifische Unterdrückung der Schwarzen im klaren. Als Kommunistin jedoch focht Mother Bloor manchen Strauß gegen die zahlreichen Äußerungen des Rassismus und nötigte andere, ihrem Beispiel zu folgen. 1929 z.B., als die Internationale Arbeiterhilfe in Pittsburgh in Pennsylvania tagte,
- hatten wir für alle Delegierten im Monogahala-Hotel Zimmer gemietet. Als wir spät nachts mit fünfundzwanzig Negern unter den Delegierten ankamen, sagte uns der Manager des Hotels, daß sie zwar über Nacht bleiben könnten, aber am nächsten Morgen unverzüglich verschwinden müßten. Am nächsten Morgen stimmten wir darüber ab, daß der ganze Kongreß in das Hotel verlegt werden sollte. Wir marschierten mit Transparenten zum Hotel mit der Forderung »keine Diskriminierung«. Wir reihten uns in der Lobby auf, die zu diesem Zeitpunkt mit Zeitungsleuten, Polizisten und Neugierigen gefüllt war ...[23]
In den frühen dreißiger Jahren sprach Mother Bloor auf einer Versammlung in Loup City in Nebraska zur Unterstützung von Frauen, die gegen die Geflügelfarmbesitzer streikten. Die Streikversammlung wurde wegen der anwesenden schwarzen Teilnehmer von einer rassistischen Bande mit schwerer Gewalt angegriffen. Als die Polizei kam, wurde Mother Bloor zusammen mit einer Schwarzen und deren Ehemann verhaftet. Die Schwarze, Frau Floyd Booth, war Vorstandsmitglied des örtlichen Antikriegskomitees, der Ehemann war im »Rat der Arbeitslosen« dieser Stadt aktiv.
Als die ansässigen Bauern genügend Geld für die Kaution gesammelt hatten, um die Freilassung von Mother Bloor zu erlangen, wies sie diese Hilfe zurück und erklärte, sie werde nicht eher gehen, als bis die beiden Booths sie begleiten könnten.[24]
- Ich fühlte, daß ich die Kaution nicht annehmen und die beiden Genossen Neger im Gefängnis lassen konnte, in einer so gefährlichen, von bitterem Haß auf die Neger durchsetzten Atmosphäre.[25]
In dieser Zeit organisierte Mother Bloor auch eine US-Delegation für die Internationale Frauenkonferenz in Paris. Vier Frauen in der Delegation waren Schwarze:
- Capitola Tasker, Pächterin in Alabama, hoch gewachsen und graziös, war die Seele der ganzen Delegation; Lulia Jackson, von den Bergleuten in Pennsylvania gewählt; eine Frau, die die Mütter der »Scottsboro Boys« vertrat, und Mabel Byrd, eine glänzende junge Wissenschaftlerin, die die Universität von Washington mit Auszeichnung verlassen hatte und einen Sitz im Internationalen Arbeiterbüro in Genf innehatte.[26]
Auf der Konferenz von 1934 in Paris war Capitola Tasker eine der drei US-Frauen, die in das geschäftsführende Komitee des Kongresses gewählt wurden - zusammen mit Mother Bloor und der Repräsentantin der Sozialistischen Partei. Mabel Byrd, die schwarze Universitätsabsolventin wurde als eine der Konferenzsekretärinnen gewählt.[27]
Lulia Jackson, die schwarze Repräsentantin der pennsylvanischen Bergarbeiter, ging als eine der führenden Persönlichkeiten aus der Pariser Frauenkonferenz hervor. In ihrer überzeugenden Antwort an die pazifistische Fraktion der Versammlung legte sie dar, daß die Unterstützung des Krieges gegen den Faschismus das einzige Mittel sei, einen glaubwürdigen Frieden zu garantieren. In der Diskussion hatte sich eine entschiedene Pazifistin beschwert:
- Ich glaube, daß in diesem (Antikriegs-)Manifest viel zu viel vom Kämpfen die Rede ist. Es heißt, gegen den Krieg kämpfen, für den Frieden kämpfen - kämpfen, kämpfen, kämpfen ... Wir sind Frauen, wir sind Mütter - wir wollen nicht kämpfen. Wir wissen, daß wir zu unseren Kindern lieb sind, auch wenn sie böse sind, und daß wir sie mit Liebe gewinnen, und nicht, indem wir sie bekämpfen.[28]
Lulia Jacksons Gegenargument war konsequent und klar:
- Meine Damen, es wurde gerade gesagt, daß wir nicht kämpfen dürfen, daß wir lieb und nett zu unseren Feinden sein sollen, zu jenen, die den Krieg wollen. Ich kann dem nicht zustimmen. Jede von uns kennt die Ursache des Krieges - es ist der Kapitalismus. Wir können aber nicht diesen bösartigen Kapitalisten das Abendessen geben und sie ins Bett bringen, wie unsere Kinder. Wir müssen sie bekämpfen.[29]
Wie Mother Bloor in ihrer Autobiographie berichtet, »lachten und applaudierten alle, sogar die Pazifistinnen«,[30] und das Antikriegsmanifest wurde von der gesamten Versammlung angenommen.
Als Capitola Tasker - die schwarze Pächterin aus Alabama - vor den Konferenzteilnehmerinnen sprach, verglich sie den europäischen Faschismus mit dem rassistischen Terror, unter dem das schwarze Volk in den USA zu leiden hatte. Nachdem sie lebhaft die Morde beschrieben hatte, die in den Südstaaten von Banden verübt wurden, machte sie die Delegierten in Paris auf die gewalttätige Unterdrückung der Pachtbauern in Alabama aufmerksam, die sich zu organisieren versuchten. Ihre eigene Opposition zum Faschismus war deshalb so tief verankert, erläuterte Capitola Tasker, weil sie selbst schon Opfer seiner verheerenden Übergriffe geworden war. Sie schloß ihre Rede mit dem Lied der Pächter - dem »sharecroppers' song« - das sie der Situation anpaßte:
- Wie der Baum, der am Wasser steht:
Wir werden nicht weichen -
Wir sind gegen Krieg und Faschismus
Wir werden nicht weichen.[31]
Als die US-Delegation per Schiff zurückkehrte, gab Capitola Tasker, wie Mother Bloor berichtet, ein bewegendes Zeugnis ihrer Pariser Erfahrungen:
- "Mutter, wenn ich wieder in Alabama und draußen bei unserer mit Baumwollappen geflickten alten Hütte bin, dann werde ich dastehen und zu mir sagen, Capitola, bist du wirklich drüben in Paris gewesen und hast alle diese wunderbaren Frauen gesehen und diese großartigen Reden gehört, oder war das alles nur ein Traum, daß du drüben gewesen bist? Und wenn es sich herausstellt, daß das wirklich kein Traum gewesen ist, also Mutter, dann werde ich mich sofort aufmachen und über das ganze Land hinausposaunen, alles, was ich drüben gelernt habe und ihnen erzählen, wie die Frauen auf der ganzen Welt gegen diese Art des Terrors, den wir im Süden haben, und gegen den Krieg kämpfen.«[32]
Mother Bloor und ihre Genossinnen in der Kommunistischen Partei kamen zu dem Schluß, daß die Arbeiterklasse ihre historische Rolle als revolutionäre Kraft nicht erfüllen kann, wenn die Arbeiter nicht schonungslos gegen das gesellschaftliche Gift des Rassismus kämpfen. Die lange Liste der erstaunlichen Leistungen, die mit dem Namen Ella Reeve Bloor verbunden sind, zeigt, daß die weiße Kommunistin eine prinzipientreue Bündnispartnerin der Befreiungsbewegung der Schwarzen war.
Anita Whitney
Als Anita Whitney 1867 in einer reichen Familie in San Francisco geboren wurde, hätte niemand vermutet, daß sie eines Tages die Vorsitzende der Kommunistischen Partei Kaliforniens sein würde. Vielleicht war es ihre Bestimmung, eine politische Aktivistin zu werden, denn gleich nach ihrem Abschluß in Wellesley, einem vornehmen Frauencollege in New England, volontierte sie als Sozialarbeiterin in den Wohlfahrtseinrichtungen und wurde bald zu einer der aktivsten Verfechterinnen des Frauenwahlrechts.
Nach Kalifornien zurückgekehrt, schloß sich Whitney der »Liga für gleiches Wahlrecht« an und wurde in dem Moment zur Vorsitzenden gewählt, als ihr Staat als der sechste der Nation das Wahlrecht auf die Frauen ausdehnte.[33]
1914 trat Anita Whitney in die Sozialistische Partei ein, Trotz der verhältnismäßig indifferenten Haltung ihrer Partei gegenüber den Kämpfen der Schwarzen, unterstützte sie die Aktivitäten gegen den Rassismus. Als in der Francisco Bay Area eine Ortsgruppe der »Nationalen Vereinigung für den Fortschritt der Farbigen« gegründet wurde, willigte Whitney enthusiastisch ein, als Mitglied im geschäftsführenden Vorstand zu arbeiten.[34] Da sie die Auffassungen des linken Flügels der Sozialistischen Partei teilte, schloß sie sich jenen an, die 1919 die Kommunistische Arbeiterpartei aufbauten.[35] Kurz darauf verschmolz diese Gruppierung mit der Kommunistischen Partei der USA.
1919 war das Jahr der berüchtigten antikommunistischen Überfälle, die durch den Justizminister A. Mitchell Palmer in Gang gesetzt worden waren. Anita sollte eines der vielen Palmer-Opfer werden. Sie wurde davon in Kenntnis gesetzt, daß eine Rede, die sie vor den Klubfrauen des Oakland-Zentrums der Kalifornischen Bürgerrechtsliga halten wollte, von der Behörde verboten worden war. Trotz offiziellen Verbots sprach sie am 18. November 1919 über »Das Negerproblem in den Vereinigten Staaten«.[36] Ihre Ausführungen waren streng auf die Lynchjustiz konzentriert.
- Seit 1890, dem Beginn der statistischen Erhebungen bei uns, haben sich in den Vereinigten Staaten 3228 Lynchmorde ereignet, darunter an 2500 farbigen Männern und 50 farbigen Frauen. Ich wollte, ich könnte es bei diesem Gegenstand bei der bloßen Benennung der Fakten und Ziffern belassen, aber ich fürchte, daß wir uns die ganze Barbarei dieser Situation vor Augen führen müssen, um unseren Teil dazu beizutragen, daß diese Schande aus der Geschichte unseres Landes getilgt wird.[37]
Sie fuhr fort, indem sie ihr Publikum von weißen Klubfrauen fragte, ob sie wüßten, daß »ein Farbiger einmal gesagt habe, wenn ihm Texas oder die Hölle gehörten, dann zöge er es vor, Texas zu vermieten und in der Hölle zu leben . . .«[38] Seine Überlegung, erklärte sie mit ernster Stimme, sei auf die Tatsache gegründet, daß Texas für sich die drittgrößte Anzahl der Morde verbuchen könne, die durch den rassistischen Mob in den gesamten Südstaaten verübt wurden. (Nur Georgia und Mississippi könnten mit noch mehr prahlen.)
1919 war es immer noch eine Seltenheit, daß eine weiße Person an andere ihrer Rasse appellierte, sich gegen die Geißel der Lynchjustiz zu erheben. Die rassistische Propaganda im allgemeinen und das wiederholte Herbeizitieren des Mythos' vom schwarzen Vergewaltiger im speziellen hatten die gewünschte Spaltung und Entfremdung erreicht. Selbst in fortschrittlichen Kreisen zögerten die Weißen oft, sich gegen die Lynchjustiz auszusprechen, was als eine unglückselige Reaktion auf die sexuellen Anschläge der Schwarzen gegen weiße Frauen im Süden gerechtfertigt wurde. Anita Whitney war eine der Weißen, deren Einsichten trotz der Stärke der vorherrschenden rassistischen Propaganda ungetrübt blieben. Und sie war gewillt, die sich aus ihrem antirassistischen Standpunkt ergebenden Risiken zu tragen. Obwohl es klar war, daß man sie verhaften würde, entschied sie sich, zu den weißen Klubfrauen von Oakland über die Lynchjustiz zu reden. Tatsächlich wurde sie nach Beendigung ihrer Rede in Haft genommen und vor Gericht des kriminellen Syndikalismus beschuldigt. Whitney wurde später schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe in San Quentin verurteilt, wo sie einige Wochen bis zu ihrer Entlassung aufgrund der eingelegten Berufung blieb. Erst 1927 wurde Anita Whitney vom Gouverneur von Kalifornien begnadigt.[39]
Als Weiße war Anita Whitney im zwanzigsten Jahrhundert tatsächlich eine Pionierin im Kampf gegen den Rassismus. Zusammen mit ihren schwarzen Genossen sollten sie und andere, die ihr gleich waren, die Strategie der Kommunistischen Partei zur Emanzipation der Arbeiterklasse entwickeln. Der Kampf um die Befreiung der Schwarzen wurde zu einem zentralen Bestandteil dieser Strategie. 1936 wurde Anita Whitney Vorsitzende der Kommunistischen Partei Kaliforniens und bald darauf auch in das Zentralkomitee der Partei gewählt.
- Einmal wurde sie gefragt: »Anita, was hältst du von der Kommunistischen Partei? Was bedeutet sie dir?« »Nun«, lächelte sie ungläubig, ein bißchen gehemmt durch solch eine merkwürdige Frage. »Ja nun ... sie hat meinem Leben Sinn gegeben. Die Kommunistische Partei ist die Hoffnung der Welt.«[40]
Elizabeth Gurley Flynn
{{178-22}}Als Elizabeth Gurley Flynn 1964 im Alter von vierundsiebzig Jahren starb, war sie als Sozialistin und Kommunistin fast sechzig Jahre aktiv gewesen. Erzogen von Eltern, die Mitglieder der Sozialistischen Partei waren, entdeckte sie schon in jungen Jahren ihre eigene Beziehung zum Kampf der Sozialisten gegen die Bourgeoisie. Die junge Elizabeth war noch nicht sechzehn, als sie ihre erste öffentliche Rede für den Sozialismus hielt. Auf der Grundlage ihrer Lektüre von Mary Wollstonecrafts Verteidigung der Rechte der Frau und August Bebels Die Frau und der Sozialismus hielt sie 1906 im Sozialistischen Klub von Harlem eine Rede zu dem Thema »Was der Sozialismus den Frauen bringt.[41] Obwohl ihr recht »männlich suprematistischer« Vater sich gesträubt hatte, Elizabeth das Reden in der Öffentlichkeit zu erlauben, wurde seine Meinung durch die enthusiastische Aufnahme verändert, die ihr in Harlem zuteil wurde.
Als Begleiterin ihres Vaters wurde sie mit dem freien Reden auf den Straßen - der typischen radikalen Taktik dieser Zeit - vertraut. Bald darauf erlebte Elizabeth Gurley Flynn ihre erste Festnahme - wegen »Redens ohne Erlaubnis« wurde sie mit ihrem Vater ins Gefängnis
gekarrt.[42]
Als Elizabeth Gurley Flynn sechzehn war, hatte ihre Laufbahn als Agitatorin für die Rechte der Arbeiterklasse bereits begonnen. Ihre erste Aufgabe war die Verteidigung von Big Bill Haywood, gegen den der Kupfertrust ein abgekartetes Spiel in Form eines Strafprozesses aufgezogen hatte. Auf ihren Reisen westwärts, die sie für die Verteidigung Haywoods unternahm, beteiligte sie sich an den Kämpfen der IWW in Montana und Washington.[43] Nach zwei Jahren der Mitgliedschaft in der Sozialistischen Partei wurde Elizabeth Gurley Flynn eine führende IWW-Funktionärin.
Sie trat aus der Sozialistischen Partei aus, weil sie davon »überzeugt (war), daß sie im Vergleich zu dieser Basisbewegung, die sich über das ganze Land verbreitete, steril und sektiererisch war«. [44]
Mit einer Fülle von Streikerfahrungen, einschließlich zahlreicher Zusammenstöße mit der Polizei, im Rücken ging Elizabeth Gurley Flynn 1912 nach Lawrence in Massachusetts, als dort die Textilarbeiter in den Streik traten. Die Gründe für die Klagen der Arbeiter von Lawrence waren einfach und zwingend und wurden von Mary Heaton Vorse so beschrieben:
- Die Löhne waren in Lawrence so niedrig, daß fünfunddreißig Prozent der Leute unter sieben Dollar die Woche verdienten. Weniger als ein Fünftel bekam bis zu zwölf Dollar die Woche. Sie waren nach Nationalitäten getrennt. Sie sprachen über vierzig Sprachen und Dialekte, vereint waren sie nur durch ihr dürftiges Leben und die Tatsache, daß ihre Kinder starben. Von jeweils fünf Kindern unter einem Jahr starb eins . . . Nur einige wenige andere Städte in Amerika hatten höhere Sterberaten. Es waren immer die Industriestädte.[45]
Von allen Rednern, die auf der Streikversammlung sprachen, berichtete Vorse über die Ereignisse in Harpers Weekly, machte Elizabeth Gurley Flynn den nachhaltigsten Eindruck auf die Arbeiter. Es waren ihre Worte, die sie zum Durchhalten anspornten.
- Wenn Elizabeth Gurley Flynn sprach, nahm die Erregung der Menge sichtbare Gestalt an. Wie sie dastand, jung, mit ihren irisch blauen Augen, das magnolienweiße Gesicht in einer Wolke von schwarzem Haar, war sie das Bild der jugendlichen Revolutionärin. Sie störte sie auf, wirbelte sie hoch mit ihrem Appell zur Solidarität. (... ) Es war, als sei ein Feuer in die Zuhörer gefahren, etwas Bewegendes und Machtvolles, das Gefühl, daß die Befreiung der Menschen möglich war.[46]
Als reisende Streikagitatorin für die IWW arbeitete Elizabeth Gurley Flynn manchmal mit dem bekannten amerikanischen Indianerführer Frank Little zusammen. 1916 z.B. vertraten beide während der Streiks im Mesabi-Eisengebiet in Minnesota die Wobblies.
Kaum ein Jahr später erfuhr Elizabeth, daß Frank Little in Butte in Montana gelyncht worden war. Der Angriff des Mobs war erfolgt, nachdem er vor den streikenden Arbeitern in dieser Gegend eine agitatorische Rede gehalten hatte.
- . . . Sechs maskierte Männer kamen nachts in das Hotel, brachen die Tür auf, rissen Frank aus dem Bett, schleppten ihn zu einem Eisenbahnviadukt am Rande der Stadt und hängten ihn dort.[47]
Einen Monat nach Frank Littles Tod wurde eine Massenanklage gegen 168 Personen erhoben, weil sie sich verschworen hätten, »die Ausführung bestimmter Gesetze der Vereinigten Staaten zu behindern...[48] Elizabeth Gurley Flynn war die einzige Frau unter den Angeklagten und Ben Fletcher, ein Hafenarbeiter aus Philadelphia und ein Führer der IWW, der einzige Schwarze, der in der Anklage genannt wurde.[49]
Beurteilt man Elizabeth Gurley Flynn nach ihren autobiographischen Reflektionen, so war ihr von Beginn ihrer politischen Laufbahn an die besondere Unterdrückung, unter der das schwarze Volk litt, gegenwärtig. Ihr Bewußtsein von der Bedeutung des antirassistischen Kampfes wurde zweifellos durch ihre Einbindung in die IWW gestärkt. Die Wobblies erklärten öffentlich, daß
- es in den Vereinigten Staaten nur eine Arbeiterorganisation gibt, die die farbigen Arbeiter zu absolut den gleichen Bedingungen wie die weißen aufnimmt - die »lndustriearbeiter der Welt« (...) In der IWW haben farbige Arbeiter, Männer wie Frauen, den gleichen Stand wie jeder andere Arbeiter.[50]
Die IWW war allerdings eine syndikalistische Organisation, die sich auf die Industriearbeiter konzentrierte, die - aufgrund der rassistischen Diskriminierung - immer noch überwiegend weiß waren. Die winzige Minderheit der schwarzen Industriearbeiter umfaßte praktisch keine Frauen, da diese von den industriellen Berufen absolut ausgeschlossen blieben. Tatsächlich arbeiteten die meisten schwarzen Arbeiter, Männer wie Frauen, immer noch in der Landwirtschaft oder als Hausbedienstete. So konnte folglich auch nur ein Teil der schwarzen Bevölkerung durch eine Industriearbeitergewerkschaft erreicht werden - es sei denn, die Gewerkschaft hätte sich nachhaltig für die Eingliederung der Schwarzen in die Industrie eingesetzt.
Elizabeth Gurley Flynn wurde 1938 aktives Mitglied der Kommunistischen Partei [51] und zeigte sich bald als eine der führenden Persönlichkeiten dieser Organisation. Sie arbeitete sehr eng mit schwarzen Kommunisten wie Benjamin Davis und Claudia Jones zusammen und entwickelte so ein neues Bewußtsein von der zentralen Rolle der Befreiung der Schwarzen innerhalb des allumfassenden Kampfes für die Emanzipation der Arbeiterklasse. 1948 veröffentlichte Elizabeth Gurley Flynn in Political Affairs, dem theoretischen Organ der Partei, einen Artikel zur Bedeutung des Internationalen Frauentages. Sie führte dort aus:
- Recht auf Arbeit, auf Ausbildung, Aufstieg und gleiches Rentenalter, auf den Schutz von Gesundheit und auf Sicherheit, auf angemessene Einrichtungen der Kinderpflege - dies bleiben die dringendsten Forderungen der organisierten Arbeiterinnen und aller, die gezwungen sind, sich zu plagen, besonders die Negerinnen . . .[52]
Bei ihrer Kritik an der Ungleichheit zwischen den weiblichen und den männlichen Kriegsveteranen erinnerte sie ihre Leser daran, daß die schwarzen Kriegsveteraninnen noch viel schlimmer zu leiden hatten als ihre weißen Schwestern. Tatsächlich seien die schwarzen Frauen mit einer dreifachen Kette der Unterdrückung gefesselt.
- Jede Ungleichheit und jede Behinderung, die die weißen Amerikanerinnen zu spüren bekommen, ist für die Negerinnen tausendmal schlimmer, da sie dreifach ausgebeutet werden - als Neger, als Arbeiter und als Frauen.[53]
Die gleiche Analyse der »dreifachen Gefahr« wurde später auch von den schwarzen Frauen vorgebracht, die in der frühen Phase der gegenwärtigen Frauenbewegung Fuß zu fassen suchten.
Während Elizabeth Gurley Flynn in ihrer ersten Autobiographie I Speak My Own Piece (oder The Rebel Girl) faszinierende Einblicke in ihre eigenen Erfahrungen als Agitatorin des IWW gibt, beweist sie in ihrem zweiten Buch The Alderson Story (oder My Life as a Political Prisoner) eine neue politische Reife und ein tiefer begründetes Wissen über den Rassismus.
Als die Kommunistische Partei in der McCarthy-Zeit ständigen Angriffen ausgesetzt war, wurde Elizabeth Gurley Flynn zusammen mit drei anderen Frauen in New York verhaftet und angeklagt, »den gewaltsamen Sturz der Regierung zu lehren und zu verteidigen«[54]
Die anderen Frauen waren Marian Bachrach, Betty Gannet und Claudia Jones, eine Schwarze aus Trinidad, die als junges Mädchen in die Vereinigten Staaten eingewandert war. Im Juni 1951 wurden die vier Kommunistinnen von der Polizei in die New Yorker Frauenhaftanstalt gebracht. Das »einzige angenehme Ereignis«, das »unseren Aufenthalt hier erhellte«, war die Geburtstagsfeier, die Elizabeth, Betty und Claudia für eine Inhaftierte veranstalteten. Ein neunzehnjähriges schwarzes Mädchen, »entmutigt und einsam«, hatte zufällig erwähnt, daß der nächste Tag ihr Geburtstag sein würde.[55] Es gelang den drei Frauen, über den Kommissar einen Kuchen zu besorgen.
- Wir machten aus Seidenpapier Kerzen für den Kuchen, deckten den Tisch so schön wie möglich mit Papierservietten und sangen »Happy Birthday«. Wir hielten ihr Tischreden, und sie weinte vor Überraschung und Glück. Am nächsten Tag erhielten wir von ihr den folgenden Brief: Liebe Claudia, Betty und Elizabeth. Ich habe mich über das, was Sie an meinem Geburtstag für mich getan haben, sehr gefreut. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen danken soll. ( ... ) Der gestrige Tag war einer der besten meines Lebens. Ich glaube, auch wenn Sie Kommunisten sind, daß Sie die besten Menschen sind, denen ich je begegnet bin. Der Grund, warum ich in diesem Brief die Kommunisten erwähne, ist einfach der, daß die Leute die Kommunisten nicht mögen, weil sie meinen, Kommunisten seien gegen die Amerikaner, ich denke aber nicht so. Ich glaube, daß Sie die nettesten Leute sind, die ich in meinem ganzen neunzehn Jahre alten Leben getroffen habe, und ich will Sie nie vergessen, wo immer ich auch sein werde. (. . .) Ich hoffe, daß Sie aus dieser heiklen Lage herauskommen und daß Sie nie mehr an einen Ort wie diesen zurück müssen.[56]
Nachdem die drei Frauen entsprechend dem Smith-Erlaß verhört worden waren (Marian Bachrachs schlechte Gesundheit hatte zu einer Abtrennung ihres Falles geführt), wurden sie für schuldig erklärt und verurteilt, eine Zeitlang in der Bundesbesserungsanstalt für Frauen in Alderson in Virginia zu bleiben. Kurz bevor sie ankamen, wurde das Gefängnis vom Gericht angewiesen, die Rassentrennung in seinen Einrichtungen aufzuheben. Ein anderes Opfer des Smith-Erlasses - Dorothy Rose Blumenberg - hatte schon als eine der ersten weißen Gefängnisinsassinnen einen Teil ihrer dreijährigen Haft mit schwarzen Frauen zusammen abgesessen. »Wir fühlten uns beide amüsiert und geschmeichelt, daß die Kommunisten in dieser Weise bei der Integration in den Gefängnissen halfen.«[57] Elizabeth Gurley Flynn betont jedoch, daß die gesetzliche Aufhebung der Rassentrennung in den Gefängnissen noch nicht zu der Aufhebung der rassischen Diskriminierung führte. Den schwarzen Frauen wurden weiterhin die härtesten Arbeiten zugewiesen - »auf der Farm, in der Konservenfabrik, bei den Instandhaltungsarbeiten und im Schweinestall, bis er abgeschafft wurde«.[58]
Als Funktionärin der Kommunistischen Partei hatte Elizabeth Gurley Flynn ein tiefes Interesse am Befreiungskampf der Schwarzen entwickelt und erkannt, daß der Widerstand der Schwarzen nicht immer politischem Bewußtsein entspringt. Sie beobachtete unter den Gefangenen in Alderson, daß
- es unter den Negerinnen eine größere Solidarität gab, die ohne Zweifel ein Resultat des Lebens draußen, besonders im Süden war. Ich hatte den Eindruck, daß sie von besserem Charakter waren, im großen und ganzen stärker und zuverlässiger, mit weniger Neigung zu Geschwätz oder zum Bespitzeln als die weißen Insassinnen.[59]
Sie schloß mit den schwarzen Frauen im Gefängnis leichter Freundschaft als mit den weißen Insassinnen. "Offen gesagt, ich traute den Negerinnen mehr als den weißen Frauen. Sie waren beherrschter, weniger hysterisch, weniger verdorben, und waren reifer.«[60] Und umgekehrt hatten die schwarzen Frauen vor Elizabeth mehr Achtung. Vielleicht empfanden sie instinktiv für diese weiße Kommunistin ein Gefühl von Verwandtschaft im Kampf.
Claudia Jones
Geboren in Trinidad, als es noch zu Britisch Westindien gehörte, wanderte Claudia Jones schon als junges Mädchen mit ihren Eltern in die Vereinigten Staaten ein. Später gehörte sie zu den zahllosen Schwarzen im ganzen Land, die sich der Bewegung zur Befreiung der »Neun von Scottboro« anschlossen. Durch ihre Mitarbeit im »Scottsboro Verteidigungskomitee« lernte sie Mitglieder der Kommunistischen Partei kennen und trat voller Enthusiasmus dieser Organisation bei.[61]
Als junge Frau Mitte Zwanzig übernahm sie die Verantwortung für die Frauenkommission der Partei und wurde als Funktionärin zum Symbol für den Kampf der kommunistischen Frauen im ganzen Land. Unter den vielen Artikeln, die Claudia Jones in der Zeitschrift Political Affairs veröffentlichte, war einer der hervorragendsten vom Juni 1949 zum Thema »Keine weitere Vernachlässigung der Probleme der Negerin.[62] In diesem Aufsatz wollte sie mit ihrer Darstellung der schwarzen Frau die gewöhnlichen männlich-suprematistischen Vorstellungen von der natürlichen Rolle der Frau widerlegen. Die führende Funktion der schwarzen Frau, hob Jones hervor, sei für den Befreiungskampf ihres Volkes schon immer unentbehrlich gewesen. In der orthodoxen Geschichtsschreibung werde z.B. selten die Tatsache erwähnt, daß »die Streiks der Pachtbauern in den dreißiger Jahren von den Negerinnen ausgelöst wurden.«[63] Ferner:
- In der Zeit vor dem CIO (Congress of Industrial Organisations) spielten die Negerinnen in den Streiks und in anderen Kämpfen eine bedeutende Rolle - sowohl als Arbeiterinnen als auch als Frauen von Arbeitern - um die Anerkennung der Prinzipien der Industriegewerkschaften zu erreichen, und zwar in solchen Industriezweigen wie der Auto-, Konserven-, Stahlindustrie u.a. Noch unlängst zeigte sich die Militanz der gewerkschaftlich organisierten Negerinnen bei den Streiks in den Konservenfabriken und noch mehr im Tabakarbeiterstreik, wo sich Führerinnen wie Moranda Smith und Velma Hopkins als überragende Gewerkschafterinnen erwiesen.[64]
Claudia Jones tadelte die Fortschrittlichen, besonders die Gewerkschafter, weil sie es versäumten, die Bemühungen der schwarzen Hausbediensteten, sich selbst zu organisieren, anzuerkennen. Da die Mehrheit der schwarzen Hausbediensteten immer noch in den Privathaushalten beschäftigt sei, folgert sie, habe das paternalistische Verhalten gegenüber den Dienstmädchen die herrschende gesellschaftliche Bestimmung der schwarzen Frauen als Gruppe beeinflußt.
- Die fortgesetzte Verbannung der Negerinnen zur Hausarbeit hat dazu beigetragen, den Chauvinismus gegen alle Negerinnen zu perpetuieren und zu intensivieren.[65]
Jones scheute sich nicht, ihre eigenen weißen Freunde und Genossen daran zu erinnern, daß »sich zu viele Fortschrittliche und sogar einige Kommunisten der Ausbeutung der Neger als Bedienstete schuldig machen«.[66] Und manchmal machten sie sich ». . . der Teilnahme an Verunglimpfungen ihrer »Mädchen« schuldig, »wenn sie mit ihren bürgerlichen Nachbarn oder in der eigenen Familie über sie sprechen«.[67] Claudia Jones war durch und durch Kommunistin, eine dezidierte Kommunistin, die glaubte, daß allein der Sozialismus die Befreiung der schwarzen Frauen, der Schwarzen insgesamt und überhaupt der vielrassigen Arbeiterklasse beinhalte. Daher war ihre Kritik von dem konstruktiven Verlangen durchdrungen, ihre weißen Mitarbeiter und Genossen dazu zu bewegen, sich selbst von rassistischern und sexistischem Verhalten zu befreien. Und was die Partei betraf, meinte sie:
- In unseren ... Klubs müssen wir eine intensive Diskussion über die Rolle der Negerinnen führen, um unsere Parteimitglieder mit einem klaren Verständnis von der Notwendigkeit des Kampfes am Arbeitsplatz und in den Wohngebieten auszurüsten.[68]
Wie schon so viele schwarze Frauen vor ihr, machte auch Claudia Jones geltend, daß die weißen Frauen in der fortschrittlichen Bewegung und unter ihnen besonders die weißen Kommunistinnen - gegenüber den schwarzen Frauen eine besondere Verantwortung trügen.
- Die ökonomische Beziehung zwischen der Negerin und der weißen Frau, die das »Herrin-Magd«-Verhältnis verewigt, nährt chauvinistisches Verhalten und macht es deshalb für weiße fortschrittliche Frauen und für Kommunistinnen so notwendig, bewußt alle Äußerungen des weißen Chauvinismus, ob offen oder verdeckt, zu bekämpfen.[69]
Als Claudia Jones aufgrund des Smith-Erlasses zum Gefängnisaufenthalt in der Bundesbesserungsanstalt für Frauen in Alderson verurteilt wurde, eröffnete sich ihr ein wahrer Mikrokosmos der rassistischen Gesellschaft, die sie ohnehin schon gut kannte. Obwohl das Gefängnis gerichtlich angewiesen war, die Rassentrennung in seinen Einrichtungen aufzuheben, wurde sie der »Hütte für Farbige« zugewiesen und dadurch von ihren weißen Genossinnen Elizabeth Gurley Flynn und Betty Gannet getrennt. Elizabeth Gurley Flynn litt unter dieser Trennung besonders stark, da sie und Claudia Jones nicht nur Genossinnen sondern auch enge Freundinnen waren. Als Claudia Jones im Oktober 1955 aus dem Gefängnis entlassen wurde - zehn Monate nach Ankunft der Kommunistinnen in Alderson - freute sich Elizabeth für ihre Freundin und war sich doch der Qual bewußt, die Claudias Abwesenheit für sie bedeuten würde.
- Mein Fenster lag nach der Straße hin, und ich konnte sie weggehen sehen. Sie wandte sich noch einmal um, um mir zuzuwinken - hochgewachsen, schlank, wunderschön, in goldenes Braun gekleidet - dann war sie weg. Das war der schlimmste Tag im Gefängnis. Ich war so einsam.[70]
An dem Tag, als Claudia das Alderson verließ, schrieb Elizabeth Gurley Flynn ein Gedicht mit dem Titel »Abschiedsgruß für Claudia«:
- Näher und näher kam der Tag, liebe Genossin, Wo ich mich trauernd von dir trennen muß, Tag um Tag schlich durch mein banges Herz Dunkel die weissagende Sorge.
Nie wieder dich den Pfad herunterschreiten sehen,
Nie wieder deine lächelnden Augen und dein strahlend Antlitz,
Nie wieder dein fröhliches schallendes Lachen hören,
Nie wieder von deiner Liebe umgeben an diesem schlimmen Ort.
Wie du mir fehlen wirst, das weiß kein Wort zu sagen,
Ich bin allein, meine Gedanken ohne Mitteilung, beschwerlich die Tage,
Fühl ich mich beraubt und leer an diesem grauen, öden Morgen,
meine künftige Einsamkeit ahnend, umgeben von Gefängnispfaden.
Manchmal ist mir, als seist du nie im Alderson gewesen,
So voller Leben, so abgelöst von hier scheinst du zu sein.
So stolz beim Gehen, Sprechen, Arbeiten, im Wesen,
Gleicht deine Gegenwart hier einem schwindenden Fiebertraum.
Doch wie die Sonne durch Nebel und Dunkelheit bricht,
Fühl ich die plötzliche Freude, daß du gegangen bist,
Daß du wieder durch die Straßen von Harlem gehst,
Daß wenigstens für dich heute die Freiheit gekommen ist.
Stark will ich sein in unserem gemeinsamen Bekenntnis, liebe Genossin,
Selbst in mir ruhen will ich, unseren Ideen treu und fest,
Stark will ich sein, damit ich Geist und Seele vor dem Gefängnis bewahre,
Ermuntert und begeistert durch dein allzeit liebend Bild in mir.[71]
Bald nachdem Claudia Jones aus dem Alderson entlassen worden war, mußte sie unter dem Druck des McCarthyismus in die Verbannung nach England gehen. Sie setzte noch für einige Zeit ihre politische Arbeit fort und gab die Zeitschrift West Indian Gazette heraus. Aber ihre angegriffene Gesundheit verschlechterte sich zusehends, so daß sie bald darauf einer Krankheit erlag.