- Eines Morgens hatte (Susan B. Anthony) in der Stadt Verabredungen, die es ihr unmöglich machten, die von ihr eingestellte Stenographin zu beschäftigen. Am Frühstückstisch sagte sie mir, daß ich die Stenographin zur Erledigung meiner Post benutzen dürfe, da sie den ganzen Morgen weg sei, und daß sie sie bitten würde, zu mir hoch zu kommen und sich von mir Briefe diktieren zu lassen.
Ich ging die Treppe hoch zu meinem Zimmer und wartete darauf, daß sie hereinkäme, da sie nicht erschien, schloß ich, daß es ihr wohl nicht gepaßt hätte, und fuhr fort, meine Briefe in Langschrift zu schreiben. Als Fräulein Anthony zurückkehrte und in mein Zimmer trat, fand sie mich sehr beschäftigt. »Sehe ich richtig, daß Sie meine Sekretärin nicht beanspruchen wollten? Ich sagte ihr, als Sie hochgingen, daß sie zu Ihnen aufs Zimmer gehen soll. Ist sie etwa nicht gekommen?« Ich sagte nein. Darauf erwiderte sie nichts, wandte sich um und ging in ihr Büro. Nach kaum zehn Minuten stand sie wieder in meinem Zimmer. Die Tür war offen, sie kam herein und sagte: »So, sie ist gegangen.« Und ich: »Wer?« Sie: »Die Stenographin.« Ich: »Gegangen, wohin?« »Nun«, sagte sie, »ich ging ins Büro und sagte zu ihr, Sie haben Fräulein Wells nicht gesagt, daß ich Sie gebeten hatte, einige Briefe für sie zu schreiben?« Das Mädchen antwortete, Nein, das habe ich nicht.« »Gut, und warum nicht?« Darauf das Mädchen: Sie mögen es richtig finden, Neger als Gleiche zu behandeln, ich aber weigere mich, von einer farbigen Frau ein Diktat aufzunehmen.« »Tatsächlich!« sagte Fräulein Anthony. »Dann brauchen Sie auch von mir kein weiteres Diktat mehr aufzunehmen. Fräulein Wells ist mein Gast, und eine Beleidigung gegen sie ist auch eine Beleidigung gegen mich. Und wenn das Ihre Art ist, so darüber zu denken, brauchen Sie keinen Augenblick länger zu bleiben.«[1]
Dieses Gespräch zwischen Susan B. Anthony und Ida B. Wells, der späteren Gründerin des ersten Klubs Schwarzer Suffragetten, ereignete sich in jenen ». . . köstlichen Tagen, da ich (Wells) noch zu den Füßen dieser Pionierin und Veteranin der Sache des Frauenstimmrechts saß.«[2] Wells' Bewunderung für Anthonys persönliche Haltung gegenüber dem Rassismus ist ebenso offenbar wie der tiefe Respekt vor den Leistungen dieser Suffragette in der Frauenrechtskampagne. Dennoch zögerte sie nicht, ihre weiße Schwester dafür zu kritisieren, daß sie es unterließ, ihren persönlichen Kampf gegen den Rassismus zu einem Gegenstand der öffentlichen Diskussion in der Frauenstimmrechtsbewegung zu machen.
Susan B. Anthony ließ es niemals an Lob für Frederick Douglass mangeln, sie erinnerte unentwegt daran, daß er der erste Mann war, der öffentlich für das Wahlrecht der Frauen eingetreten war. Sie betrachtete ihn als ein Ehrenmitglied auf Lebenszeit in ihrer Stimmrechtsorganisation. Trotzdem ließ sie, wie sie Wells erklärte, Douglass fallen, um die weißen Frauen aus dem Süden für die Stimmrechtsbewegung zu gewinnen.
- Auf unseren Kongressen ... war er ein Ehrengast, der auf unserem Podium saß und zu unserer Versammlung sprach. Als aber ... die Stimmrechtsvereinigung in Atlanta, Georgia, tagte, bat ich Herrn Douglass, nicht zu kommen, da mir die Einstellung im Süden gegenüber der Teilnahme von Schwarzen als Gleiche unter Weißen bekannt war. Ich wollte ihn nicht der Demütigung aussetzen, und ich wollte nicht, daß irgend etwas die weißen Frauen aus dem Süden daran hinderte, in unsere Stimmrechtsvereinigung einzutreten. (Hervorhebungen von mir)[3]
In diesem heiklen Gespräch mit Ida B. Wells fuhr Anthony damit fort, daß sie auch die Bemühungen verschiedener schwarzer Frauen, die eine eigene Abteilung in der Stimmrechtsorganisation bilden wollten, zurückgewiesen habe. Sie habe die Feindseligkeit ihrer weißen Mitglieder im Süden gegen die Schwarzen nicht wecken wollen, die sich vielleicht von der Organisation zurückgezogen hätten, wenn schwarze Frauen zugelassen worden wären.
- "Und Sie glauben, daß es falsch von mir war, so zu handeln?« fragte sie. Ich antwortete ihr kompromißlos mit ja, denn auch wenn sie für das Stimmrecht einen Vorteil erzielt haben mochte, hatte sie doch gleichzeitig die weißen Frauen in ihrer Haltung gegenüber der Rassentrennung bestärkt .[4]
Dieses Gespräch zwischen Ida B. Wells und Susan B. Anthony fand 1894 statt. Anthonys selbsteingestandene Kapitulation vor dem Rassismus »aus Gründen der Zweckmäßigkeit«[5] charakterisiert ihre öffentliche Haltung, die sie bis 1900 einnahm, als sie als Präsidentin der Nationalen Amerikanischen Frauenstimmrechtsvereinigung zurücktrat. Als Wells Anthony ermahnte, die Neigung der weißen Südstaatenfrauen zur Rassentrennung nicht auch noch zu legitimieren, ging es um weit mehr, als nur um Anthonys persönliche Haltung. In dieser Periode nahm der Rassisrnus objektiv zu, und Rechte und Leben der Schwarzen standen auf dem Spiel. Bis 1894 waren der Wahlrechtsentzug für die Schwarzen im Süden, die durch Gesetz geregelte Rassentrennung und die Herrschaft der Lynchjustiz wieder fest etabliert. Mehr als irgendeine andere Zeit nach dem Bürgerkrieg verlangte diese Zeit nach einem konsequenten und grundsätzlichen Protest gegen den Rassismus. Das an Einfluß gewinnende »Zweckmäßigkeits«-Argument, das Anthony und ihre Kolleginnen benutzten, war im Verhältnis zu den dringenden Forderungen der Zeit eine schwache Rechtfertigung für die Indifferenz der Suffragetten.
1888 wurden in Mississippi eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die Rassentrennung legalisierten, und bis 1890 hatte dieser Staat eine neue Verfassung ratifiziert, die die Schwarzen ihres Stimmrechts beraubte.[6] Dem Beispiel von Mississippi folgend entwarfen auch andere Südstaaten neue Verfassungen, die den Verlust des Wahlrechts für die Schwarzen zum Inhalt hatten. Die Verfassung von Süd-Carolina wurde 1898 angenommen, 1901 von Nord-Carolina und Alabama gefolgt sowie von Virginia, Georgia und Oklahoma in den Jahren 1902, 1908 und 1918.[7]
Ida B. Wells' kompromißlose Kritik an Susan B. Anthonys öffentlicher Indifferenz gegenüber dem Rassismus war gewiß auch durch die herrschenden sozialen Verhältnisse gerechtfertigt, aber sie lag noch etwas tiefer, als die historische Beweisführung für gewöhnlich dringt. Keine zwei Jahre, bevor die beiden über Stimmrecht und Rassismus debattierten, hatte Wells einen ersten traumatischen Zusammenstoß mit der Gewalt des rassistischen Mobs erlitten. Die ersten drei Opfer der Lynchjustiz seit den Ausschreitungen von 1866 waren ihre persönlichen Freunde gewesen. Dieses schreckliche Ereignis spornte Wells dazu an, das beschleunigte Auftreten von Lynchmorden in den Südstaaten zu untersuchen und zu enthüllen. Als sie 1893 durch England reiste, um Unterstützung für ihren Kreuzzug gegen die Lynchjustiz zu finden, prangerte sie unerbittlich das Schweigen an, mit dem Hunderte und Tausende von Lynchmorden durch den Mob aufgenommen worden waren.
- In den letzten zehn Jahren sind über tausend schwarze Männer, Frauen und Kinder auf derart grausame Art durch die Hände des weißen Mobs umgekommen. Und der Rest von Amerika hat geschwiegen . . . Die Kanzel und die Presse unseres Landes schweigen weiterhin über diese fortgesetzten Gewalttätigkeiten, und die Stimme meiner derart gequälten und mißhandelten Rasse wird erstickt oder ignoriert, wo immer sie in Amerika für die Forderung nach Gerechtigkeit erhoben wird.[8]
Wie konnten die weißen Suffragetten angesichts der offenen Gewalttätigkeit, mit der die Schwarzen während der 90er des neunzehnten Jahrhunderts heimgesucht wurden, guten Glaubens argumentieren, daß sie »um der Zweckmäßigkeit halber« danach »trachten« sollten, »ihr Ziel durch Zugeständnisse in der Frage der Farbigen zu erreichen«?[9] Die angeblich »neutrale« Haltung, die der Vorstand der NAWSA (National American Women Suffrage Association) einnahm, hat in Wirklichkeit das Anwachsen unverhohlen rassistischer Vorstellungen in den Reihen der Stimmrechtskampagne nur gefördert. Auf dem Kongreß der Vereinigung, der 1895 sinnigerweise in Atlanta in Georgia abgehalten wurde, drängte eine der prominentesten Persönlichkeiten der Kampagne für das Stimmrecht « . . . den Süden, sich das Frauenstimmrecht als eine Lösung des Negerproblems zu eigen zu machen«[10]. Dieses »Negerproblem« war, wie Henry Blackwell erklärte, einfach zu lösen, indem man das Wahlrecht an eine Prüfung der Schreib- und Lesefähigkeit band.
- Beim Entwicklungsstand unserer komplexen politischen Gesellschaft haben wir heute zwei große Gruppen von analphabetischen Bürgern: im Norden die im Ausland Geborenen; im Süden die Abkömmlinge der afrikanischen Rasse und einen beachtlichen Teil der weißen Bevölkerung. Die Ausländer und Neger als solche wollen wir nicht benachteiligen. Aber in jedem Staat bis auf einen gibt es mehr gebildete weiße Frauen als analphabetische Wähler, weiße und schwarze, einheimische und fremde zusammen.[11]
Ironischerweise war dieses Argument, das die Südstaatler überzeugen sollte, daß das Frauenstimmrecht von großem Vorteil für die weiße Vorherrschaft sei, von Henry Blackwell das erste Mal eingebracht worden, als er seine Unterstützung für den Vierzehnten und Fünfzehnten Zusatzartikel bekannt gab. Schon 1867 hatte er einen Appell an »die Gesetzgeber der Südstaaten« gerichtet, worin er ihnen dringend riet, von der Tatsache Notiz zu nehmen, daß die Stimmrechtsverleihung an Frauen die bevorstehende politische Machtergreifung der schwarzen Bevölkerung verhindern könnte.
- Man betrachte das Ergebnis vom Standpunkt des Südstaatlers aus. Ihre 4 000 000 weißen Frauen der Südstaaten würden die 4 000 000 Neger und Negerinnen ausgleichen, und die politische Vorherrschaft der weißen Rasse bliebe so unverändert erhalten.[12]
Dieser namhafte Abolitionist versicherte zu diesem Zeitpunkt den Politikern der Südstaaten, daß das Frauenstimmrecht den Norden und den Süden wiedervereinigen könnte. »Das Kapital und die Bevölkerung würden wie der Mississippi zum Golf fließen", und was die Schwarzen angeht, »würden sie durch das Gesetz der Natur zu den Tropen hingezogen werden.«[13]
- Dasselbe Element, das die Sklaverei zerstört hat, stünde auf der Seite des siegreichen Südens und »Sie könnten aus der Mitte der gefährlichen Nesseln die Blume der Sicherheit pflücken.«[14]
Blackwell und seine Frau Lucy Stone unterstützten 1867 die Kampagne von Elizabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony in Kansas. Daß Stanton und Anthony zu diesem Zeitpunkt die Hilfe eines berüchtigten Demokraten begrüßten, dessen Programm »die Frau zuerst und der Neger zuletzt« hieß, war ein Anzeichen dafür, daß sie Blackwells rassistische Denkweise stillschweigend billigten. Darüber hinaus beschrieben sie in ihrer History of Women Suffrage die Furcht der Politiker in Kansas vor dem schwarzen Wahlrecht sehr unkritisch.
- Die Männer von Kansas sprachen in ihren Reden so: wenn das Negerwahlrecht angenommen wird, werden wir von dummen, armseligen Schwarzen aus jedem Staat der Union überflutet werden. Wenn das Frauenstimmrecht durchkommt, werden wir zu uns Leute von Charakter und Position, von Wohlstand und Bildung einladen ... Wer kann da noch in seiner Entscheidung zögern, wenn es zwischen den gebildeten Frauen und den dummen Negern zu wählen gilt?«[15]
Wie rassistisch diese frühen Stellungnahmen der Frauenbewegung auch aussehen mögen, die fatale Unterordnung unter den Herrschaftsanspruch der Weißen vollzog die Frauenstimmrechtskampagne erst im letzten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts. Die zwei Fraktionen Stanton-Anthony und Blackwell-Stone - die sich über den Streit um den Vierzehnten und Fünfzehnten Zusatzartikel voneinander getrennt hatten, wurden 1890 wieder vereint. Nachdem 1892 Elizabeth Cady Stanton ihre Illusionen über die potentielle Macht des Wahlrechts bei der Befreiung der Frau aufgegeben hatte, überließ sie die Präsidentschaft der Nationalen Amerikanischen Frauenstimmrechtsvereinigung ihrer Kollegin Susan B. Anthony. Im Laufe des zweiten Jahres von Anthonys Amtsperiode wurde von der NAWSA eine Resolution angenommen, die eine Variante von Blackwells früherer rassistischer und klassenspezifischer Argumentationsweise war.
- Es wurde beschlossen: Ohne ein Urteil über eine angemessene Qualifikation zum Wählen fällen zu wollen - machen wir auf die bezeichnende Tatsache aufmerksam, daß es in jedem Staat mehr Frauen gibt, die lesen und schreiben können, als die gesamte Zahl der analphabetischen männlichen Wähler; daß es mehr weiße Frauen gibt, die lesen und schreiben können, als alle wahlberechtigten Neger zusammen; daß es mehr amerikanische Frauen gibt, die lesen und schreiben können, als alle ausländischen Wähler, so daß die Wahlrechtsverleihung an jene Frauen das ärgerliche Problem der Herrschaft des Analphabetismus lösen würde, sei er nun hausgemacht oder ausländischer Herkunft.[16]
Diese Resolution schob nach Herrenreiter-Art die Rechte der schwarzen und eingewanderten Frauen gleichzeitig mit den Rechten ihrer männlichen Verwandten beiseite. Ferner zielte sie auf einen fundamentalen Betrug an der Demokratie, der nicht länger mit dem Zweckmäßigkeitsargument gerechtfertigt werden konnte. Teil der Argumentationslinie dieser Resolution war ein Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse und die Bereitschaft bewußt oder unbewußt - gemeinsame Sache mit den neuen Monopolkapitalisten zu machen, deren wahllose Profitgier keine menschlichen Grenzen kannte.
An Stelle der Verabschiedung dieser Resolution hätten die Suffragetten ebensogut verkünden können, daß sie, wenn man ihnen als weißen Frauen der Mittelschichten und der Bourgeoisie das Wahlrecht gäbe, die drei wesentlichen Elemente der amerikanischen Arbeiterklasse die Schwarzen, die Einwanderer und die ungebildeten weißen Einheimischen - schnell unterwerfen würden. Dies waren die drei Bevölkerungsgruppen, deren Arbeitskraft ausgebeutet und deren Leben von den Morgans, Rockefellers, Mellons und Vanderbilts geopfert wurde - von dieser neuen Klasse von Monopolkapitalisten, die rücksichtslos ihre Industrieimperien aufbauten. Sie hatten die eingewanderten Arbeiter im Norden ebenso unter Kontrolle wie die ehemaligen Sklaven und die armen weißen Arbeiter im Süden, die an den neuen Eisenbahnstrecken, in den Bergwerken und in der Stahlindustrie arbeiteten.
Terror und Gewalt zwangen die schwarzen Arbeiter im Süden, Löhne und Arbeitsbedingungen wie die Sklaven zu akzeptieren, ja häufig sogar noch schlimmere als während der Sklaverei. Auf diesem Hintergrund sind die ansteigenden Lynchmorde und der Plan des gesetzmäßigen Wahlrechtsentzugs im Süden zu sehen. 1893, im Jahr der fatalen NAWSA-Resolution, hob das Oberste Gericht die Verfassung von 1875 auf. Mit diesem Beschluß erfuhr die neue Art der Versklavung, wie sie durch »Jim Crow« und die Lynchjustiz vorangetrieben wurde, ihre juristische Sanktion. Tatsächlich kündigte drei Jahre später das Urteil im Fall Plessy gegen Ferguson die Doktrin des »getrennt aber gleich« an, die im Süden das neue System der Rassentrennung begründen sollte.
Für die Entwicklung des modernen Rassismus war das letzte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts die kritische Phase - sowohl für seine wesentlichen institutionellen Stützen als auch für seine flankierende ideologische Rechtfertigung. Es war gleichzeitig die Periode der imperialistischen Expansion auf den Philippinen, nach Hawaii, Kuba und Puerto Rico. Dieselben Kräfte, die an der Unterdrückung der Völker dieser Länder interessiert waren, waren auch verantwortlich für die sich verschlechternde Lage der Schwarzen und überhaupt der ganzen amerikanischen Arbeiterklasse. Der Rassismus nährte diese imperialistischen Abenteuer und war gleichzeitig selbst durch die imperialistischen Strategien und Apologien bedingt.
Am 12. November 1898 berichtete der New York Herald über die US-Präsenz auf Kuba, über die »Rassenausschreitungen« in Phoenix in Süd-Carolina, und über das Massaker an Schwarzen in Wilmington in Nord-Carolina. Das Massaker von Wilmington war das mörderischste in einer Reihe von Attacken organisierter Banden in dieser Zeit. Nach der Aussage eines schwarzen Geistlichen war Wilmington »Kubas Kindergarten in Fragen der Ethik und einer guten Regierung«[17] ebenso wie es ein Beweis für die abgrundtiefe Heuchelei der US-Außenpolitik auf den Philippinen war.
1899 beeilten sich die Suffragetten, dem habgierigen Monopolkapital den Beweis ihrer ungeteilten Loyalität entgegenzubringen. So wie das Diktat des Rassismus und des Chauvinismus die politische Haltung der NAWSA gegenüber der Klasse der Bediensteten verformt hatte, so akzeptierten sie auch ohne alle Fragen die neuen Machenschaften des US-Imperialismus. Im gleichen Jahr hielt Anna Garlin Spencer auf dem Kongreß einen Vortrag mit dem Titel »Die Pflicht der Frauen gegenüber unseren neuen Besitztümern«[18]. Unsere neuen Besitztümer? Während der Diskussion konnte Susan B. Anthony ihren Ärger nicht verbergen - wie sich aber herausstellte, war sie nicht etwa über die Inbesitznahmen selbst verärgert. Sie war
- außer sich vor Zorn seit dem Moment, als der Vorschlag gemacht worden war, Hawaii und unseren anderen Besitztümern unsere halbbarbarische Regierungsform aufzupfropfen.[19]
Folglich brachte Anthony voller Zorn die Forderung auf den Tisch, ». . . daß in unseren neuen Besitztümern die Frauen das Stimmrecht zu denselben Bedingungen erhalten wie die Männer«[20]. Als ob die Frauen auf Hawaii und Puerto Rico fordern würden, zu denselben Bedingungen wie ihre Männer vom US-Imperialismus geopfert zu werden!
Auf diesem Kongreß der NAWSA im Jahre 1899 zeigte sich ein aufschlußreicher Widerspruch. Während die Suffragetten ihre »Pflicht gegenüber den Frauen unserer Besitztümer« beschworen, blieb der Appell, eine Resolution gegen »Jim Crow« zu verabschieden, die von einer schwarzen Frau vorgelegt wurde, gänzlich unbeachtet. Die schwarze Suffragette Lottie Wilson Jackson war auf dem Kongreß zugelassen, weil die Ortsgruppe des gastgebenden Staates Michigan eine der wenigen war, die schwarze Frauen in die Stimmrechtsvereinigung aufnahmen. Auf ihrer Reise zum Kongreß hatte Lottie Jackson unter den entwürdigenden Methoden der Rassentrennung in der Eisenbahn gelitten. Ihre Resolution war einfach: »Farbige Frauen dürfen nicht gezwungen werden, in den Raucherabteilen zu reisen; für sie sind geeignete Sitzgelegenheiten bereitzustellen.« [21]
Als Vorsitzende des Kongresses beendete Susan B. Anthony die Diskussion über die Resolution der schwarzen Frau. Ihre Bemerkungen sicherten der Resolution eine überwältigende Niederlage:
- Wir Frauen sind eine hilflose und vom Wahlrecht ausgeschlossene Klasse. Unsere Hände sind gebunden, Solange wir in diesem Zustand sind, ist es nicht unsere Sache, Resolutionen gegen die Eisenbahngesellschaften oder irgend jemand sonst zu verabschieden.[22]
Die Bedeutung dieses Vorfalls liegt etwas tiefer als nur in der Meinungsverschiedenheit darüber, ob ein Protestschreiben gegen die rassistischen Methoden der Eisenbahngesellschaft zu schicken sei oder nicht. Mit der Weigerung, ihre schwarze Schwester zu verteidigen, ließ die NAWSA symbolisch alle Schwarzen zu einem Zeitpunkt im Stich, zu dem sie aufs massivste seit dem Ende der Sklaverei bedroht wurden. Mit dieser Geste entlarvte sich die Stimmrechtsorganisation definitiv als eine potentiell reaktionäre politische Kraft, die sich den Bedürfnissen weißer Vorherrschaft unterordnen würde.
Die Mißachtung des Rassenproblems seitens der NAWSA anläßlich der von Lottie Jackson vorgelegten Resolution sollte in der Tat zu offen ausgesprochenen Vorurteilen gegen Schwarze innerhalb der Organisation anreizen. Objektiv gesehen war eine offene Einladung an die Frauen aus dem Süden ergangen, die nicht bereit waren, ihren Glauben an den Herrschaftsanspruch der Weißen aufzugeben. Im besten Fall kam diese zurückhaltende Stellungnahme zu den Kämpfen der Schwarzen um Gleichheit einer Einwilligung in den Rassismus gleich; im schlimmsten Fall war sie der vorsätzliche Aufruf einer einflußreichen Massenorganisation zu Gewaltanwendung und Verwüstung, wie sie von den damaligen Kräften der weißen Suprematie praktiziert wurden.
Susan B. Anthony kann selbstverständlich nicht für die rassistischen Irrtümer in der Frauenstimmrechtsbewegung persönlich verantwortlich gemacht werden. Sie war allerdings um die Jahrhundertwende die prominenteste Persönlichkeit in der Bewegung; und ihre angeblich »neutrale« öffentliche Stellungnahme zum Kampf der Schwarzen um Gleichheit hat faktisch den Einfluß des Rassismus innerhalb der NAWSA unterstützt. Hätte Anthony ernsthaft über die Erkenntnisse ihrer Freundin Ida B. Wells nachgedacht, hätte sie vielleicht erkannt, daß eine neutrale Haltung gegenüber dem Rassismus auch bedeutete, daß Lynchjustiz und tausendfacher Massenmord ebenfalls als ein neutrales Problem bedacht werden müßten. 1899 hatte Ida Wells ihre immens umfangreichen Untersuchungen über die Lynchmorde abgeschlossen und ihre tragischen und erschreckenden Ergebnisse veröffentlicht. In den vorhergehenden zehn Jahren hatte es jährlich zwischen ein- und zweitausend offiziell registrierte Lynchmorde gegeben.[23]
1898 hatte Wells einiges öffentliche Aufsehen erregt, als sie von Präsident McKinley forderte, eine Intervention des Bundes im Fall des Lynchmordes an einem Postmeister in Süd-Carolina anzuordnen.[24] Im selben Jahr 1899, als Susan B. Anthony die Niederlage der Resolution gegen »Jim Crow"« betrieb, beschuldigte die schwarze Bevölkerung Präsident McKinley schwer, den Herrschaftsanspruch der Weißen zu fördern. In Massachusetts legte der Ortsverband der Nationalen Liga der Farbigen McKinley zur Last, während der Herrschaft des Terrors in Phoenix in Süd-Carolina eine als Einverständnis deutbare Ruhe bewahrt und es unterlassen zu haben einzuschreiten, als in Wilmington in Nord-Carolina die Schwarzen massakriert wurden. Auf seiner Reise nach Süden warfen sie McKinley vor:
- ... Sie predigen Ihren lange leidenden schwarzen Mitbürgern Geduld, Fleiß und Mäßigung und Ihren weißen Patriotismus, Chauvinismus und Imperialismus. [25]
Als sich McKinley in Georgia aufhielt, brach der Mob in ein Gefängnis ein, ergriff fünf schwarze Männer und
- ... fast vor Ihren Ohren und vor Ihren Augen ... wurden sie bestialisch ermordet. Haben Sie sich geäußert? Haben Sie Ihre Lippen geöffnet, um Ihren Schrecken über dieses furchtbare Verbrechen auszudrücken, . . . daß die Barbarei noch einmal tobte und vor der ganzen Welt Recht, Ehre und Menschlichkeit Ihres Landes über und über mit untilgbarer Schande bedeckte?[27]
Und es wurde auch kein präsidiales Wort über einen der berüchtigsten Lynchmorde jener Zeit geäußert - über die Verbrennung von Sam Hose in jenem Jahr in Georgia.
- An einem stillen Sonntagmorgen wurde er von seinen Verfolgern ergriffen und mit einer unbeschreiblichen, höllischen Grausamkeit zu Tode verbrannt in Gegenwart von jubelnden Tausenden der sogenannten besten Leute von Georgia - Männern, Frauen und Kindern, die nach ihrem christlichen Sabbath zu der Verbrennung eines Menschen spazierten wie zu einem Jahrmarktsfest oder dem unschuldigen Genuß und Zeitvertreib eines Feiertages. [27]
Unzählige historische Dokumente belegen nicht nur die Atmosphäre rassistischer Aggression, sondern auch die machtvollen Kämpfe der schwarzen Bevölkerung während des ganzen Jahres 1899. Ein besonders ergreifendes Dokument ist der vom »Nationalen Afro-amerikanischen Rat« herausgegebene Aufruf an die Schwarzen, den 2. Juni mit Fasten und Beten zu begehen. Diese Erklärung wurde in der New York Tribune veröffentlicht und prangerte die ungerechtfertigten wahllosen Verhaftungen an, die Männer und Frauen zu einer leichten Beute des Mobs aus »dummen, boshaften und vorn Whisky betrunkenen Männern« machen, die »foltern, hängen, erschießen, schlachten, zerstückeln und verbrennen.«[28]
Es ging nicht mehr darum, das Menetekel zu erkennen. Die Herrschaft des Terrors war längst über die Schwarzen gekommen. Wie konnte Susan B. Anthony behaupten, an die Menschenrechte und an politische Gleichheit zu glauben, und gleichzeitig den Mitgliedern ihrer Organisation raten, sich dem Rassismus gegenüber ruhig zu verhalten? Die bürgerliche Ideologie - besonders mit ihren rassistischen Bestandteilen - hat offenbar die Macht, die realen Bilder des Terrors zu verdunkeln und bis zur Unkenntlichkeit aufzulösen und die furchtbaren Schreie leidender Menschen in einem kaum noch hörbaren Murmeln und letztendlichem Schweigen vergehen zu lassen.
Als das neue Jahrhundert anbrach, hatten sich Rassismus und Sexismus in einer besorgniserregenden ideologischen Ehe auf eine neue Art verbunden. Die Weißen und die Männer, die sich in ihrem Herrschaftsanspruch schon immer sehr nahe gestanden hatten, umarmten sich nun offen und konsolidierten ihr Verhältnis. In den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war der Einfluß rassistischer Ideen stärker als je zuvor. Das intellektuelle Klima - auch in progressiven Kreisen schien auf fatale Weise von den irrationalen Vorstellungen einer Überlegenheit der angelsächsischen Rasse infiziert. Die Eskalation der rassistischen Propaganda wurde von einer ähnlich beschleunigten Entwicklung der Ideologie über die Minderwertigkeit der Frauen begleitet. Die Farbigen, ob zu Hause oder in Übersee, wurden als unfähige Barbaren dargestellt - die Frauen - und zwar die weißen Frauen - wurden noch stärker auf das Bild der Mutter fixiert, deren tiefster Daseinssinn es war, den männlichen Teil der Spezies zu nähren. Die weißen Frauen lernten, daß sie als Mütter im Kampf um die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft der Weißen eine ganz besondere Verantwortung trugen. Schließlich waren sie die »Mütter der Rasse«. Obwohl mit dem Begriff Rasse angeblich »menschliche Rasse« gemeint war, wurde in der Praxis besonders als die rassenhygienische Bewegung an Popularität zunahm - kaum zwischen »Rasse« und der »angelsächsischen Rasse« unterschieden.
So wie der Rassismus dauerhaftere Wurzeln innerhalb der Frauenorganisationen schlug, so kroch auch der sexistische Kult der Mutterschaft in eben die Bewegung, deren erklärtes Ziel es war, die männliche Vorherrschaft zu eliminieren. In dieser Koppelung stärkten sich Sexismus und Rassismus gegenseitig. Indem sie der herrschenden rassistischen Ideologie die Türen weiter als je zuvor öffnete, hatte sich die Frauenstimmrechtsbewegung für ein Hindernisrennen entschieden, das ihr eigenes Ziel - das Frauenwahlrecht - fortwährend aufs Spiel setzte. Der Kongreß der NAWSA von 1901 war der erste nach vielen Jahren, auf dem Susan B. Anthony nicht mehr den Vorsitz innehatte. Auch wenn sie im Jahr davor zurückgetreten war, so war sie doch anwesend und wurde von der neuen Präsidentin Carrie Chapman Catt mit der Bitte vorgestellt, die Begrüßungsansprache zu halten. In Anthonys Äußerungen spiegelte sich der Einfluß der wiederbelebten rassenhygienischen Kampagne wider. Für die Frauen, die in der Vergangenheit durch die »Gelüste und Leidenschaften des Mannes«[29] korrumpiert worden seien, sei es nun an der Zeit, behauptete sie, ihre Bestimmung als Retterinnen ihrer »Rasse« [30] zu erfülIen. Es sei abhängig von der
- ... vernünftigen Emanzipation (der Frauen), ob (die Rasse) gereinigt wird ... Es ist die Frau, durch die sie erlöst werden wird. Deshalb fordere ich ihre unverzügliche und bedingungslose Emanzipation von jedweder politischen, gewerblichen und religiösen Unterwerfung.[31]
Die Hauptrede, gehalten von Carrie Chapman Catt, hob die drei »großen Hindernisse« für das Frauenwahlrecht hervor: Militarismus, Prostitution und
- ... das träge Wachstum der Demokratie als Reaktion auf die aggressiven Bewegungen, die in möglicherweise unkluger Übereilung das Wahlrecht für Ausländer, Neger und Indianer erreicht hatten. Die gefährlichen Verhältnisse, die der Einführung großer Mengen unverantwortlicher Bürger in das politische Gefüge geschuldet zu sein scheinen, haben die Nation eingeschüchtert,[32]
1903 erfuhr die NAWSA solch einen Ausbruch an rassistischer Argumentationsweise, daß es aussah, als ob die Verfechter der weißen Vorherrschaft die Kontrolle über die Organisation errungen hätten. Bezeichnenderweise wurde 1903 der Kongreß in den Südstaaten, in New Orleans abgehalten. Es war kaum ein Zufall, daß die rassistischen Argumente, die die Delegierten vorbrachten, häufig durch die Verteidigung des Mutterschaftskultes ergänzt wurden. Wie Edward Merrick, der Sohn des Richters am Obersten Gerichtshof in Louisiana von dem »Verbrechen, einer Horde von dummen Negermännchen« das Wahlrecht zu verleihen,[33] sprach, so forderte Mary Chase, eine Delegierte aus New Hampshire, das Wahlrecht für die Frauen, die »natürlichen Wächterinnen und Beschützerinnen des Herdes.«[34]
Auf dem Kongreß von 1903 war es Belle Kearney aus Mississippi, die am lautesten die gefährliche Allianz von Rassismus und Sexismus bekräftigte. Ohne Scham nannte sie die schwarze Bevölkerung im Süden »diese 4 500 000 ehemaligen Sklaven, diese Analphabeten und Halbbarbaren«[35] und beschwor die Verleihung des Wahlrechts an sie als eine »Todeslast«, die der Süden »fast über vierzig Jahre tapfer und großmütig getragen«[36] habe. So unangemessen Booker T. Washingtons Theorie zur Berufsausbildung für Schwarze auch gewesen sein mag, für Kearney waren Tuskegee und ähnliche Schulen ». . . nur dazu da, die Macht des Negers zu stärken. Und wenn der schwarze Mann wegen seiner Fähigkeiten und seines erworbenen Wohlstands für das Gemeinwesen notwendig geworden ist«[37], würde das Ergebnis eine Art Rassenkrieg sein.
- Der arme weiße Mann, durch seine Armut verbittert und durch seine Minderwertigkeit gedemütigt, findet für sich und seine Kinder keinen Platz mehr ... so wird es zum Handgemenge zwischen den Rassen kommen.[38]
Natürlich war solch ein Kampf zwischen weißen und schwarzen Arbeitern nicht unvermeidlich. Die Apologeten des Monopolkapitals waren jedoch entschlossen, rassistische Spaltungen hervorzubringen. Um die gleiche Zeit, als Kearney vor dem Kongreß in New Orleans sprach, wurde ein ebensolches Alarmzeichen im US-Senat gegeben. Am 24. Februar 1903 warnte der Senator Ben Tillman aus Süd-Carolina, daß die Seminare und Schulen für Schwarze im Süden zu unerbittlichen Rassenkonflikten führen würden. Dazu bestimmt, »diese Leute«, die in seinen Augen »dem fehlenden Bindeglied zum Affen am nächsten stehen«, auszurüsten, um »mit dem weißen Nachbarn konkurrieren zu können«, würden diese Schulen
- einen Antagonismus zwischen den ärmeren Klassen unter unseren Bürgern und jenen Leuten schaffen, die auf dem Arbeitsmarkt auf derselben Stufe stehen.[39]
Ferner:
- Es ist nichts unternommen worden, die Weißen im Süden zu ermutigen, den angelsächsischen Amerikanern zu helfen und beizustehen, Männern, die die Nachkommen des Volkes sind, das mit Marion und Dumter kämpfte. Sie müssen gegen Armut und Dummheit kämpfen und alles tun, nur um über die Runden zu kommen, und gleichzeitig zusehen, wie die Nordstaatler zu Tausenden und Abertausenden eindringen, um beim Aufbau der afrikanischen Herrschaft zu helfen.[40]
Im Gegensatz zu Kearneys und Tillmans Behauptungen ereigneten sich Rassenkonflikte nicht spontan, sondern waren eher von den Repräsentanten der aufsteigenden ökonomischen Klasse bewußt geplant. Sie mußten die Einheit der Arbeiterklasse im Interesse ihrer ausbeuterischen Absichten verhindern. Die späteren »Rassenkämpfe« - in Atlanta, in Brownsville in Texas, in Springfield in Ohio - waren wie 1898 die Massaker in Wilmington und Phoenix in Süd-Carolina präzise darauf abgestimmt, die Spannungen und Widersprüche innerhalb der vielrassigen Arbeiterschaft anzuheizen.
Belle Kearney informierte auf dem Kongreß von New Orleans ihre Schwestern, daß sie einen sicheren Weg gefunden habe, die rassischen Widersprüche in überschaubaren Grenzen zu halten. Sie behauptete, genau zu wissen, wie der sonst unvermeidliche Rassenkrieg zu verhindern sei.
- Um dieser unaussprechlichen Gefahr zu entgehen, muß das Stimmrecht an die Frauen verliehen werden, und das Recht auf Wahl muß von Bildung und Besitz abhängig gemacht werden ... Das Frauenwahlrecht würde sofort und dauerhaft die weiße Vorherrschaft auf ehrlichem Wege sichern; denn, wie eine unbestreitbare Autorität festgestellt hat, gibt es »in jedem Südstaat, ausgenommen einem, mehr gebildete Frauen als alle die analphabetischen Wähler, weiße und schwarze, einheimische und fremde, zusammen«.[41]
Der außerordentlich erschreckende Ton von Kearneys Rede darf die Tatsache nicht verbergen, daß sie sich auf Theorien stützte, die innerhalb der Frauenstimmrechtsbewegung schon sehr vertraut waren. Das statistische Argument war ebenso wie die Forderung nach der Lese- und Schreibfähigkeit schon oft von Delegierten früherer Kongresse der NAWSA vorgebracht worden. In Kearneys Vorschlag wiederum, die Wahlberechtigung von Besitz abhängig zu machen, spiegelten sich die gegen die Arbeiterklasse gerichteten Einstellungen wider, die unglücklicherweise auch in der Frauenwahlrechtsbewegung Fuß gefaßt hatten.
Die Rede von Belle Kearney, die sie vor den versammelten Mitgliedern der Nationalen Amerikanischen Frauenstimmrechtsvereinigung hielt, hat noch eine ironische Pointe. Jahr für Jahr hatten die führenden Suffragetten die Indifferenz der Vereinigung gegenüber der rassischen Gleichheit mit dem Allzweck-Argument der Zweckmäßigkeit gerechtfertigt. Nun wurde das Frauenwahlrecht als das zweckmäßigste Mittel hingestellt, die rassische Vorherrschaft zu erlangen. Die NAWSA war unwissentlich in ihre eigene Falle getappt - in die Falle der Zweckmäßigkeit, die das Wahlrecht erbringen sollte. Nachdem die Kapitulation vor dem Rassismus denkbar geworden war - ausgerechnet an einem historischen Knotenpunkt, als die neue und rücksichtslose monopolistische Expansion nach härteren Formen des Rassismus verlangte - war es unvermeidbar, daß dies bei den Suffragetten im Laufe der Zeit seine bumerangartige Wirkung nicht verfehlte. Die Delegierte aus Mississippi erklärte zuversichtlich:
- Eines Tages wird der Norden gezwungen sein, im Süden die Erlösung zu suchen ... um der Reinheit des angelsächsischen Blutes, um der Einfachheit seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen willen ... und zur Erhaltung der Heiligkeit seines Glaubens, der unverletzt geblieben ist.[42]
Nicht eine Unze schwesterlicher Solidarität konnte hier noch entdeckt werden, und es war auch kein Wort mehr für den Sieg über die männliche Vorherrschaft zu hören, auch nicht darüber, wie die Frauen gegebenenfalls zu ihrem Recht kämen. Es ging nicht mehr um das Frauenrecht oder die politische Gleichheit der Frauen, sondern vielmehr um die rassische Überlegenheit der Weißen, die um jeden Preis erhalten werden sollte.
- Genauso wie der Norden gezwungen sein wird, um des Heils seiner Nation willen, sich dem Süden zuzuwenden, ebenso wird der Süden seine angelsächsischen Frauen als das Mittel erkennen müssen, durch das die Vorherrschaft der weißen Rasse über die afrikanische wiedererlangt werden wird ...[43]
"Dank sei Gott, daß der schwarze Mann freigelassen wurde!« rief sie im Brustton rassistischer Arroganz.
- Ich wünsche ihm alles erdenkliche Glück und allen erreichbaren Fortschritt, aber nicht bei seinen Übergriffen auf das Allerheiligste der angelsächsischen Rasse . . .[44]