Es ist unmöglich, ein Leben ohne den Einfluß kultureller Mythen und idealisierter Images zu führen. Von diesen Bildern sind wir ständig umgeben, und sie sagen uns, was es bedeutet, eine gute und anerkannte Frau zu sein. Sie wurden mit der kontaminierten Luft verglichen, die wir tagtäglich einatmen. [1] Obwohl wir die Vergiftung mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmen können, atmen wir sie ständig ein, und ebenso wie diese kontaminierte Luft wirken die allgegenwärtigen kulturellen Images auf jede Frau unterschiedlich. Einige Frauen verspüren ein vorübergehendes Würgen, speien jedoch das Ideal wieder aus und bleiben von diesem mächtigen Reizmittel relativ unberührt. Andere ziehen sich eine Vergiftung zu, und es ist ihnen nicht möglich, frei durchzuatmen und klar zu denken. Wiederum andere erstarren in einer Paralyse und fühlen sich wie lebende Tote, da ihre Handlungen nicht mehr von persönlichen Wünschen und individuellen Ambitionen begleitet werden. Sie haben den Eindruck, wie ein Roboter einem kulturellen Drehbuch zu folgen. Eine Frau, die eine Zeitlang als Prostituierte arbeitete, sagte mir: »Ich wurde eine Hure, weil andere das so wollten. Damals war mir klar, es würde sich bezahlt machen, nun bin ich das, was ich geworden bin. Ich kann mir nichts anderes mehr vorstellen. Ich habe das Gefühl, in einer Falle zu sitzen.» Für sie war das Image von der gestrauchelten Frau zum Erklärungsmodell ihrer Erfahrung geworden. Obwohl sie sich nun wünscht, ihr Verhalten zu ändern und anders über sich selbst zu denken, will es ihr einfach nicht gelingen; es war, als ob sich das Bild von der Hure verselbständigt hätte, indem es ihre Erfahrung reglementierte und nicht nur darüber bestimmte, wie sie sich nach außen gab, sondern auch, wie sie über sich selbst dachte.
Was es heißt, von einem Image gefangen zu sein
Wenn eine Frau in die Falle eines kulturellen Images geraten ist, hat sie das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Sclencefiction-Horror-Geschichten stellen oft das Trauma einer Person dar, die von außerirdischen Mächten heimgesucht wurde, die eine lückenlose, totale Kontrolle über sie ausüben. In den Geschichten dieses Genres kann die gesamte Existenz dieser Person von äußeren Mächten beherrscht werden, so daß ihr jede selbständige Handlung unmöglich wird. Ein besitzergreifendes Image mag für manche Frauen die gleichen Auswirkungen haben wie eine solche Kontrollinstanz. Die Beziehung einer Person zu einem Image kann der makabren Beziehung eines Bauchredners zu seiner Holzpuppe ähneln. Bei derartigen Psychothrillern beginnt die Geschichte mit dem Bauchredner, der die Situation im Griff hat; die Puppe ist nur eine Figur seiner Vorstellungskraft, vielleicht nur ein Bild seines anderen Selbst, das er sicher unter Kontrolle hat. Der Schrecken der Geschichte steigert sich, und die Puppe, das Image, gewinnt zusehends an Macht und Selbständigkeit. Die Initiative ist von der lebenden Person, dem Bauchredner, auf die Puppe übergegangen, bei der es sich ursprünglich nur um ein Produkt der Vorstellungswelt handelte. Am Ende der Geschichte hat die Puppe die Fäden in der Hand. Der Bauchredner ist nicht mehr selbständig, er hat die Kontrolle verloren; statt dessen beherrschen ihn nun die Bilder seiner Vorstellungskraft. Genau dies entspricht der psychischen Erfahrung der Frauen, die das Gefühl haben, in der Falle eines Images festzusitzen. Anstatt sich eines weiblichen Vorbilds zu bedienen, an dem sie ihr Leben orientieren könnten, fühlen sie sich gerade von diesem Bild kontrolliert, als ob sie nicht länger die Möglichkeit besäßen, über ihr eigenes Leben zu entscheiden.
Eine Frau kann von besonderen Geschichten so gefesselt sein, daß sie ihre gesamte Lebenserfahrung um diese Geschichten strukturiert. Wenn z. B. die Vorstellung von einer auf ihre Befreiung wartenden, passiven Jungfrau zum gestaltenden Prinzip eines Frauenlebens wird, könnte sie dieses Selbstbild durch die verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung beibehalten; die Umstände mögen sich ändern, aber das Selbstbild als eine besondere Verkörperung weiblicher Möglichkeiten bleibt sich gleich. Als junge Frau erwartet sie, von ihren Eltern gesagt zu bekommen, wie sie zu leben habe; als Ehefrau erwartet sie von ihrem Mann, von Entscheidungen entbunden zu sein; und als Witwe wird sie wiederum warten, und zwar darauf, daß die Kinder sie von ihrer Einsamkeit befreien. Die Identifizierung einer Frau mit dem Image vom passiven Opfer ist stärker als jede Erfahrung im wirklichen Leben. Das Bild wird zur Kontrollinstanz darüber, wie sie die Ereignisse ihres Lebens versteht und interpretiert, und sie mag sehr wohl den Eindruck haben, daß sie keine andere Wahl hat, als sich den Diktaten dieses besonderen Modells, dieser Geschichte weiblicher Möglichkeiten zu fügen. In manchen Fällen sind die Images einer Geschichte so stark, daß sich eine Person tatsächlich zu Lebenserfahrungen hingezogen fühlt, die von den Bildern dieser Geschichte bestätigt werden. Man könnte meinen, daß sich die Wahl der Lebensmöglichkeiten und Erfahrungen an den Vorgaben des Bildes orientiert. Unnachgiebig und sehr direkt weist das Image der Erfahrung die Richtung; das Leben wird von der Geschichte gelenkt, die darüber bestimmt, wie eine zulässige Erfahrung auszusehen habe. So kann z. B. die Wahl einer Frau, die stark an den Mythos der Guten und Treuen Ehefrau glaubt, auf einen Mann fallen, der dem gleichen Mythos verhaftet ist. Gemeinsam mögen sie die Geschichte von der Ehefrau als Lebensgefährtin und Gattin ausleben. Die Geschichte beeinflußt die besonders romantischen Erfahrungen der Frau. Wenn die Geschichte und die Macht des Images von der Guten Ehefrau stark genug sind, dann erscheinen nur ganz bestimmte Männer begehrenswert, andere hingegen als völlig inakzeptabel. Man könnte meinen, die Frau trage Scheuklappen, sie nehme nur die Männer wahr, die dem Image eines starken Ehemannes entsprechen, eines Mannes, bei dem sie die Gute Ehefrau sein kann. ist eine Frau in die Falle eines Ideals geraten, dann wird dieses, trotz gegensätzlicher Lebenserfahrung, immer unverändert bleiben.
Es ist nichts Außergewöhnliches, daß eine Frau an den Mythos von der Passiven Jungfrau, die geduldig auf den Schönen Prinzen wartet, glaubt und das Warten und den Glauben an den Mythos nicht aufgibt, obwohl sie tatsächlich zum wiederholten Male in romantischen Beziehungen mißbraucht oder enttäuscht wurde. In Gesprächen mit einer Anzahl von Frauen, die einmal sexuell mißbraucht wurden und zeitweise als drogenabhängige Prostituierte gearbeitet haben, konnte ich routinemäßig feststellen, daß sie immer noch auf den Schönen Prinzen warteten. In ihrem eigenen Leben hatten sie nie Kontakt mit Männern, die der Kategorie des Prinzen entsprachen, dennoch hat der Mythos sogar die realen Erfahrungen, die diese Frauen mit Männern gemacht hatten, überdeckt. Eine andere Interview-Partnerin, die ebenfalls glaubte, daß ihre Bestimmung darin bestehe, passiv auf Rettung zu warten, blieb ihren Phantasien trotz der Tatsache treu, daß sie mit vierzig Jahren immer noch nicht gerettet war. Als ich sie fragte, ob diese Vorstellung vom passiven Warten nicht völlig unzweckmäßig wäre, widersprach sie sofort mit einer detaillierten Neuauflage der Geschichte von Dornröschen. Sie sagte mir, daß sich der Prinz in der Geschichte durch Dornengestrüpp zu kämpfen hätte, um zur Prinzessin zu gelangen. Demzufolge stellte sie sich darauf ein, bis in alle Ewigkeit zu warten, da ihr bekannt war, daß der Prinz schwere und viele Prüfungen zu bewältigen hatte. Sie aber blieb festen Glaubens, daß ihr Prinz über die neuzeitlichen Dornenbüsche triumphieren würde. Eine weitere Frau war dem Mythos des passiven Wartens derartig verfallen, daß sie nicht einmal wagte, in ihrer Phantasie eine aktive Rolle zu spielen. Sie bildete sich ein, das schlafende Schneewittchen zu sein, die auf ewig im Glassarg ruhen würde. Als ich sie bat, die Augen zu schließen und sich vorzustellen, den Sargdeckel selbst hochzuheben, war sie verwirrt und verängstigt. Selbst in der Phantasie war es ihr nicht möglich, sich eine aktive Rolle vorzustellen. Ihr Bewußtsein war von dem Image der Passiven Jungfrau derartig durchtränkt, daß sie sich nicht einmal vorstellen konnte, etwas zu unternehmen, was mit diesem Bild nicht im Einklang stand.
Gefangene eines kulturellen Images oder eines persönlichen Mythos zu sein bedeutet für die meisten Frauen, sich diesem Bild anzunähern, unabhängig von ihren Erfahrungen, persönlichen Wünschen oder Motivationen. Bei anderen Frauen manifestiert sich diese Gefangenschaft auf eine paradoxere und weniger direkte Art und Weise. Diese Frauen leisten aktiven Widerstand gegen die Anziehungskraft eines besonderen Images. In ihrem ganzen Leben sind sie bemüht, keine Ehefrau, Mutter oder Tochter zu sein, indem sie in einer Gefühlsmischung aus Wut und Panik Images wie einen furchtbaren Fluch betrachten. Sie haben eine persönliche Aversion gegen diese Idealvorstellungen, weil sie Mütter, Schwestern oder Großmütter, die sich in der Falle dieser Ideale befanden, beobachten konnten und somit Zeuginnen der persönlichen Verzweiflung oder des Unglücks dieser Frauen wurden. Aus diesem Grund haben sie sich entschlossen, niemals in eine ähnliche Falle zu geraten. Paradoxerweise übt dieses abgelehnte Image eine mächtige Kontrolle auf ihr Leben aus. Wie eine fanatische Prohibitionistin wird eine Frau, die sich auf Kriegsfuß mit einem Ideal befindet, an allen Ecken und Enden und in jeder zwischenmenschlichen Beziehung dieses anstößige Image entdecken. Sie wird soviel Energie, soviel Konzentration und soviel Zeit wie nur möglich dafür aufwenden, um nicht zu werden wie ihre Mutter oder Schwester. Einer Frau, die eine lange Zeit in ihrem frühen Erwachsenenleben versuchte, die Rolle einer Ehefrau und Mutter zu meiden, weil sich ihre eigene Mutter durch zu starke Identifizierung damit zugrunde gerichtet hatte, wurde bewußt, daß sie sich in ihrem Bemühen um Distanz zu diesen Verkörperungen weiblicher Möglichkeiten jeden Zugang zu Beziehungen und Aktivitäten versperrte, die sie an und für sich schätzte und wünschte. Während sie die stereotype Rolle der Ehefrau ablehnte, dieses starre, leblose Bild, das ihre Mutter unglücklich und hoffnungslos gemacht hatte, wünschte sie trotzdem die Annehmlichkeiten einer intimen Beziehung. Sie wünschte sich, Mutter eines Kindes zu sein, lehnte es jedoch ab, Selbstlose Mutter zu sein. Oft stellte sie fest, daß sie sich gegen bestimmte Aktivitäten der Pflege und Fürsorge sträubte, weil diese an stereotype Verhaltensweisen einer Mutter und Ehefrau erinnerten. Ihr innerer Krieg nahm oft folgende selbstzerstörerische Formen an: Es machte ihr Freude, ein nettes Essen vorzubereiten und sich in Tätigkeiten wie Mixen, Abwiegen und Backen zu verlieren.
Dann wurde ihr bewußt, daß sie sich wie eine Ehefrau benahm. Sie ärgerte sich über sich selbst, und als ihr Mann nach Hause kam, schrie sie ihn an: »Koch dir dein Essen selbst!», während sie schon vorher, allein, bei der Lektüre eines Buches gegessen hatte. Ihre Angst, in die Falle einer Ehefrau zu geraten, war so stark, daß sie sich Tätigkeiten untersagte, die sie eigentlich mochte. Für eine gewisse Zeit in ihrem Leben mag sich eine Frau nicht vollends bewußt sein, in der Falle eines Images zu sitzen. Erkenntnis ist oft mit dem Beginn wichtiger Übergangsstadien verbunden. Im Leben einer Frau können Übergangsstadien durch eine Vielzahl unterschiedlicher Umstände bedingt sein; biologische Prozesse tragen dazu bei, daß sich ein Mädchen zur reifen Frau entwickelt; Rollen- und Statuswechsel wie z. B. Schulabschluß und Heirat implizieren unterschiedliche Erwartungen und neue Erfahrungen, mit denen sich eine Frau auseinandersetzen muß; Verluste, wie der Tod eines Ehegatten, führen zu einer Umorientierung der Beziehungen und fordern eine Neudefinition des gesamten zwischenmenschlichen Bereichs. [2] Es ist ganz natürlich, daß eine Frau in diesen Übergangszeiten aus dem Gleichgewicht geraten kann, daß eine Desorientierung im Hinblick auf adäquate Verhaltensmuster eintritt. Während einige Frauen diese Übergangsstadien als beunruhigend empfinden, fühlen sich andere hingegen aufgestachelt und herausgefordert. Einige Frauen behaupten sogar, erst in Zeiten des Übergangs wahrhaftig aufzuleben, zumal ihnen vornehmlich dann bewußt wird, wer oder was sie sind und wie sie sich mit der Realität auseinandersetzen.
Für Frauen, die von kulturellen Images beherrscht werden, sind Übergangszeiten besonders problematisch. Übergänge erfordern eine Verhaltensänderung, eine Anpassung an Umstände und Zeiten. In der Falle eines Images bleibt man über Raum und Zeit unverändert. Die wahre Gefangenschaft mag einer Frau erst dann bewußt werden, wenn sich all ihre Mitmenschen ändern, während sie sich immer gleich bleibt. Eine Frau, die sich mit dem Bild der Selbstlosen Mutter identifiziert hatte, beharrte auf dieser Identifikation, obwohl ihre Kinder schon erwachsen waren und in anderen, weit entfernten Städten. wohnten. Sie beschäftigte sich damit, Kekse zu backen und ihren Söhnen und Töchtern kleine Geschenke zu schicken. Sie legte die Kekse ins Tiefkühlfach, falls eines ihrer Kinder sie einmal zufällig besuchen sollte. Diese Aktivitäten einer Selbstlosen Mutter waren ein derartig fester Bestandteil ihrer selbst, daß es ihr nicht gelang, sie aufzugeben, obwohl sie keine kleinen Kinder mehr zu bemuttern hatte. Ihre Freundinnen hatten sich schon in den Ruhestand zurückgezogen und die Zeiten der Mutterschaft abgeschlossen; sie gingen ihren Hobbys nach, verreisten und engagierten sich in Selbsterfahrungsgruppen. Sie dagegen blieb mit den Pflichten aktiver Mutterschaft verheiratet. Sie bezeichnete ihre erwachsenen Söhne und Töchter weiterhin eisern als die »Jungen und Mädchen», um ihre imaginäre Beziehung als Mutter aufrechterhalten zu können. Diese Frau war schon während ihre aktiven Mutterschaft vom Image der Mutter beherrscht, was nicht weiter auffiel, da sie sich wie alle anderen Mütter verhielt. Erst in der Übergangszeit, als ihre Kinder ausgezogen waren und ihre Freundinnen anderen Aktivitäten nachgingen, fiel Außenstehenden auf, daß sie sich in der Falle eines Images befand. Eine kontextuelle Veränderung kann einer Frau offenbaren, daß sie von einem besonderen Image beherrscht ist. So mag z. B. ein bestimmtes Verhalten selbstverständlich sein, wenn man bei seinen Eltern lebt. Geht man jedoch zur Arbeit, sind einige dieser Verhaltensweisen nicht mehr angemessen. Eine Frau bezeichnet sich als eine Person, die sich über alle Maßen dem Image der Gehorsamen Tochter verschrieben hatte. Sie hatte gelernt, ein gutes Mädchen zu sein und das zu tun, was ihre Eltern von ihr verlangten, und sie glaubte, für dieses willfährige Verhalten belohnt zu werden.
In der Tat wurde sie im Kontext ihrer Familie dafür belohnt, eine gute Tochter zu sein. Als sie ins Berufsleben trat, behielt sie das Image vom Guten Mädchen bei. Anfangs erwartete sie, von ihren Vorgesetzten gelobt, unterstützt und aufgrund dessen, daß sie ein gutes Mädchen war, befördert zu werden. Als ihre Bemühungen bei der Arbeit zum wiederholten Male erfolglos blieben, wurde ihr bewußt, daß sie sich in der Falle dieses Images befand, es ihr aber unmöglich war, ihr Verhalten zu ändern. Ihre verhältnismäßig starke Bindung an das Selbstbild Gute Tochter war stärker als ihr Wunsch, erfolgreich in ihrer Arbeit zu sein. Verhaltensweisen, die einem bestimmten Kontext durchaus angemessen schienen und im engeren Familienkreis erworben wurden, sind automatisch auf die Arbeitswelt übertragen worden, wo sie nicht nur völlig unangemessen waren, sondern berechtigterweise mißbilligt und verurteilt wurden. Frauen, die von einem idealisierten Image beherrscht werden, ändern sich nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können, obwohl der Wandel der Zeit und der Umstände es erfordert. Ihr emotionales und verhaltensmäßiges Repertoire enthält keine angemessenen Reaktionen, die die neuen Umstände erfordern. Viele Frauen, die sich mit dem Image einer Ehefrau identifiziert haben, finden es unerträglich, verwitwet oder geschieden zu sein. Wenn sie ihre wichtigste Bezugsperson verlieren, verlieren sie nicht nur jemanden, den sie lieben, sondern ihre Identität in der Welt. Für manche Frauen mündet die Unfähigkeit, außerhalb der Rolle als Ehefrau zu existieren, in Hoffnungslosigkeit und sogar Krankheit.
Nach dem Tod ihres Mannes siechte eine Frau dahin und folgte ihm kurz darauf ins Grab; sie konnte sich nicht vorstellen, in einer Welt zu leben, in der sie sich nicht mehr als Ehefrau von irgend jemandem definieren konnte. Die notwendigen Verhaltensweisen, um in einen erfolgreichen Witwenstand überzuwechseln, lagen jenseits ihres Horizonts. Simone de Beauvoir wies darauf hin, daß einige Frauen in einem besonders traumatischen Übergangsstadium sich noch heftiger an ein Image klammern, das in früheren Zeiten seine Funktion erfüllte. [3] Während ein erfolgreiches Übergangsstadium die Preisgabe gewisser Verhaltensweisen und Rollen aus der Vergangenheit erfordert, beharren viele Frauen paradoxerweise um so stärker auf ihren alten Gewohnheiten, anstatt sich der Situation anzupassen. Die Mutter, der keine Alternative zu ihrer Mutterschaft bekannt ist, verdoppelt ihre erzieherischen und fürsorglichen Aktivitäten in der Zeit, in der ihre Kinder ausziehen und das Haus verlassen. Diese Kinder haben oft das Gefühl, von dieser falschen Mutterliebe erstickt zu werden. Tatsächlich erleben sie den verzweifelten Versuch ihrer Mutter, den Idealvorstellungen von Fraulichkeit, die sich in all den Jahren als erfolgreich erwiesen haben, weiterhin zu entsprechen. Eine andere Frau, mit der ich mich unterhielt, klammerte sich an ihr idealisiertes Selbstbild einer lebenssprühenden und aggressiven Karriere-Frau, obwohl ihre produktivsten Jahre schon längst der Vergangenheit angehörten. Sie kam um 22.00 Uhr zu unserem Interview nach einem, ihrer Beschreibung nach, hektischen und arbeitsreichen Tag. Tatsächlich war sie mit nebensächlichen Scheintätigkeiten beschäftigt, aber sie brachte es nicht fertig, die Art und Weise, wie sie sich selbst in dieser Welt ortete, zu ändern: Sie war die dynamische, viel beschäftigte, immer eifrige Karriere-Frau, und sie konnte dieses Selbstbild nicht ändern, obwohl die äußeren Umstände nicht mehr die gleichen waren. Oft sagt man von Frauen, die ihrem Selbstbild als aggressive, berufstätige Frauen verhaftet bleiben, sie würden »in den Sielen sterben». [4] Da sie nicht fähig sind, in die letzte Phase ihres Lebens einzutreten, in der sie sich nachdenklichen und integrativen Aufgaben zuwenden könnten, fahren sie fort, »ihr Leben zu managen», wie sie es bisher taten, selbst bei veränderten Voraussetzungen. Wenn wir vom Altern in Würde und Weisheit sprechen, so impliziert das auch die Fähigkeit, sich in den Übergangsstadien von Images und Idealisierungen zu trennen. Wenn sich Zeiten und Umstände ändern, muß man sich mit neuen Verhaltensweisen und neuen Daseinsformen in dieser Welt vertraut machen.
Wie man sich fühlt, in der Falle
eines Images zu sitzen
Wenn Frauen bewußt wird, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes stecken geblieben sind in der Falle eines speziellen Selbstbildes, durchleben sie das Gefühl psychischen Unwohlseins. Sie sind sich selbst nicht gut, fühlen sich nicht wohl, als ob sie wüßten, daß sie nur eine Rolle leben. Einige Frauen haben diese beunruhigende Erfahrung mit derjenigen einer Minderheit verglichen, die sich in einer Massengesellschaft »durchmogeln» muß,
um zu überleben. [5] Diesen Personen ist bewußt, daß sie nach einem Image leben, das nicht ihrem authentischen und persönlichen Wesen entspricht, das aber befolgt werden muß, um zu überleben. Einige Frauen sind äußerst verärgert, wenn ihnen bewußt wird, daß sie nicht ihr eigenes Leben leben, daß sie Gefangene eines Images sind, das ihnen von außen auferlegt wurde. In ihrem Klassiker Der Weiblichkeitswahn hat Betty Friedan von Hausfrauen mittleren Alters berichtet, denen bewußt wurde, daß sie sich in der Falle idealisierter Images von Ehefrau und Mutter befanden. Sie wurden wütend und waren voller Ressentiments, als sie herausfanden, wie ihr Leben von diesen von außen auferlegten, aber persönlich vereinnahmten Idealen kontrolliert wurde. [6]
Eine junge Frau beschrieb ziemlich verbittert ihren Zorn und ihre Hoffnungslosigkeit, als ihr bewußt wurde, daß sie die Gehorsame Tochter war. Während ihrer Jugend hat sie ihre Interessen und ihre eigenen Wünsche geopfert, um sich um ihre kranken Eltern zu kümmern. Als Kind übernahm sie die Funktion der Eltern, kümmerte sich um den Haushalt, sorgte für ihre jüngeren Geschwister und bemühte sich, daß es ihren Eltern einigermaßen gut ging. Als sie Anfang Zwanzig war, lief sie von zu Hause fort und begann, ihr eigenes Leben zu führen, in dem Glauben, das verdummende Ideal von der Gehorsamen und Guten Tochter hinter sich gelassen zu haben. Als sie in der Mitte ihrer zwanziger Jahre selbst verheiratet war und ihre eigene Familie hatte, erhielt sie einen Telefonanruf von ihrer Mutter und ihrem Vater, die sie baten, nochmals in die Rolle der Guten Tochter zu schlüpfen. Ihre Eltern befanden sich am Rande einer Scheidung, standen kurz vor dem Bankrott und waren unfähig, die jüngeren Kinder zu erziehen. Sie baten ihre älteste Tochter, vorübergehend ihren Ehemann zu verlassen und nach Hause zurückzukehren, um den Haushalt zu führen. Die Bitte ihrer Eltern machte diese junge Frau rasend vor Wut.
Es war ihr vorübergehend nicht möglich, ihren Wutausbruch unter Kontrolle zu halten, was sie jedoch am meisten erregte, war ihre Unfähigkeit, nein zu sagen. Es war ihr scheinbar unmöglich abzulehnen, weiterhin die Gute Tochter zu spielen, und sie begann sich darauf einzustellen, ihr eigenes Erwachsenenleben aufzugeben, um sich nochmals um ihre Eltern zu kümmern. Ein Teil ihres Schmerzes rührte daher, daß ihr bewußt war, in einer Falle zu sitzen. Sie entsprach dem Wunsch ihrer Eltern, aber nicht, weil sie glaubte, richtig oder angemessen zu handeln. Vielmehr willigte sie ein, weil sie meinte, wie eine Gefangene, die zum Schafott geführt wird, keine andere Wahl zu haben. Für sie war die Gehorsame Tochter ein Bild, das sie gefangen hielt und das ihr nur geringen Raum für freie und autonome Handlungen einräumte. Einige Frauen sind tatsächlich überrascht und relativ verwirrt, wenn sie bemerken, daß sie sich in der Falle eines Images befinden. Eine Frau, die ernsthaft bemüht war, sich von den Anforderungen, die an die Existenz einer Ehefrau gestellt werden, zu befreien, war schockiert und verärgert, als sie bemerkte, daß sie viele Jahre nach ihrer Scheidung immer noch die Treue und Biedere Ehefrau war, indem sie sich weiterhin um ihren ehemaligen Ehemann kümmerte, darauf achtete, daß seine Schulden bezahlt wurden, sich bei seinen Kindern für dessen unverantwortliches Verhalten entschuldigte und um seinen guten Ruf in der Gemeinde besorgt war. Da sie geschieden war, setzte sie voraus, daß sie die eingeschränkten Anforderungen an die Rolle einer Ehefrau längst überwunden hatte.
Erst als eine Freundin sie darauf hinwies, nicht mehr mit diesem Mann verheiratet zu sein, wurde ihr klar, daß sie dem Image einer Treuen Ehefrau immer noch verpflichtet war. Andere Frauen bekommen es mit der Angst zu tun, wenn ihnen bewußt wird, daß sie von einem Image gefangen gehalten werden. Sie sind mit einer gewissen Lebensweise vertraut und sind mit dem Leben, das sie sich aufgebaut haben, zufrieden, indem sie sich mit einem besonderen Frauenbild identifizieren. Sie reagieren nur verängstigt, wenn sie sich vorstellen, daß sie irgendwann einmal dieses Bild aufgeben müssen. Eine Frau, die z. B. glaubte, eine perfekte Mutter zu sein, gab sich damit zufrieden, ihre sechs Kinder großzuziehen. Mit Grauen sah sie aber den Jahren zwischen fünfundvierzig und sechzig entgegen, wenn ihre Kinder nicht mehr zu Hause wären und sie noch nicht die Freuden einer Großmutter genießen könnte. Die Vorahnung dieser fünfzehnjährigen Latenzzeit zwischen Mutter und Großmutter erfüllte sie mit Angst und Panik. Einige Frauen wissen, daß sie eine besondere Vorschrift, wie eine Frau zu leben habe, befolgen, sind aber mit dem von ihnen gewählten Frauenbild und den damit verbundenen Annehmlichkeiten nicht zufrieden. Sie sagten mir voller Erstaunen: »Alles läuft wie geschmiert; ich kann nicht verstehen, warum ich nicht das habe, was ich will.» Eine Frau insbesondere fühlte sich sehr desorientiert und voller Groll, daß ihr Verhalten als perfekte Ehefrau fehlschlug, für sich selbst und für ihren Mann ein Kind zu bekommen. Ihre Ehe verlief nach Plan, und sie verhielt sich bei jeder Gelegenheit wie eine mitfühlende und liebevolle Partnerin. Zur Vervollständigung des Bildes einer Guten Ehefrau gehörte aber auch, ihrem Ehemann Kinder zu gebären. Es war ihnen aber nicht vergönnt, Kinder zu bekommen. Hinzu kam, daß das Mangelgefühl, kein Baby zu haben, begleitet war von dem Empfinden, von dem Image der Ehefrau, dem sie sich so viele Jahre untergeordnet hatte, betrogen worden zu sein. Ärger, Überraschung, Verwirrung, Angst und Unzufriedenheit sind nur ein Teil dessen, was Frauen empfinden, wenn ihnen bewußt wird, daß sie sich in einem Image verfangen haben, das ihrer Persönlichkeit und ihren Wünschen nicht entsprach. Warum sind so viele Frauen in die Falle der kulturellen Idealvorstellungen von einer guten und geachteten Frau geraten? Dafür gibt es sehr viele und unterschiedliche Gründe, die sich im weitesten Sinne in drei Kategorien einteilen lassen: der Wunsch nach Liebe, Verbundenheit und Anerkennung; die Angst vor der Zukunft und der eigenen Fähigkeit, an schöpferischen Problemlösungen zu arbeiten; und der Wunsch nach Macht und Verantwortung.
Liebe, Anerkennung und Verbundenheit
Obwohl man geneigt ist zu glauben, daß die meisten Frauen in die Sackgasse eines Frauenideals geraten sind, weil sie in diese Rollen gedrängt wurden, ist es in Wirklichkeit so, daß der größte Teil der Frauen sich freiwillig in Käfige sperrt: Wenn man den Wünschen, Erwartungen und Bedürfnissen der Familie, der Bezugsgruppe und der Gesellschaft gerecht wird, erntet man Anerkennung, Liebe und Zuwendung. Die erste Verführung vieler junger Mädchen resultiert aus dem Bedürfnis und der Suche nach Anerkennung durch die Eltern. Diese Frauen sind davon überzeugt, daß ihnen Anerkennung nur zuteil wird, wenn sie mit gewissen, von ihren Eltern verfochtenen Idealen, konform gehen. Eine lesbische Frau wurde von einer Mutter erzogen, die dem Bild der Treuen Ehefrau absolut verpflichtet war. Diese Frau kämpfte viele Jahre um ihre sexuelle Identität und glaubte, die Liebe und Anerkennung ihrer Mutter zu verlieren, wenn sie sich zu ihrer Homosexualität bekennen würde. Obwohl sie eine verbindliche und liebevolle lesbische Beziehung hatte, wurde sie in ihren Träumen immer noch von einer großen kirchlichen Hochzeit heimgesucht. Unter den freudestrahlenden Blicken ihrer Mutter schritt sie zum Altar und wurde schließlich doch noch die von ihrer Mutter erwünschte Ehefrau. Andere Frauen wurden eher von Bezugspersonen aus ihrem Freundeskreis als von ihren Familienmitgliedern gedrängt, sich idealisierten und kulturell sanktionierten Images zu unterwerfen.
Frauen, die z. B. in den sechziger Jahren die Schule besuchten, waren einem starken sozialen Druck ausgesetzt, unabhängig zu sein und eine Karriere anzusteuern, wobei häufig die Annäherung an das Ideal von einer dynamischen Berufstätigen Frau angestrebt wurde. Eine Frau erzählte, daß sie ihr Fachstudium nur deshalb absolvierte, um bei ihren Freunden weiterhin beliebt zu sein. Sie wußte, daß sie kein Interesse an der von ihr gewählten beruflichen Laufbahn hatte, sondern lieber Mutter geworden und eine Familie gegründet hätte; aber ihr Bedürfnis nach der Anerkennung ihrer Freunde war so stark, daß sie vier Jahre ihres Lebens und viele tausend Dollar opferte, um ihre Hochschulausbildung abzuschließen. Viele Frauen spielen dieses Drama von Liebe, Anerkennung und Bindung bis zum Äußersten in ihren Beziehungen zu Männern. Oft glauben Frauen, daß sie sich, um geliebt zu werden, einem Weiblichkeitsideal annähern müßten. Einer Frau wurde dieser Glaube zerstört, als ihr Ehemann sie nach einer siebenjährigen, ihrer Ansicht nach erfolgreichen Ehe verließ.
Er begründete seine Entscheidung damit, daß sie nicht dem Bild einer Guten Ehefrau entsprochen hätte. Er hatte sich eine Partnerin und Geliebte gewünscht, aber keine selbstbewußte und erfolgreiche Frau. Bedauernswerterweise war sie nicht die Ehefrau, die er sich vorgestellt hatte. Neben dem niederschmetternden Verlust ihres primären Beziehungspartners hatte sie darüber hinaus das Gefühl, versagt zu haben. Ihre Unfähigkeit, dem idealisierten Bild einer Ehefrau zu entsprechen, führte dazu, daß sie verlassen wurde. Für einige Frauen bedeutet eine Scheidung nicht nur, allein zu sein, sie bestärkt auch ihre Überzeugung, daß sie sich bestimmten Idealen und Erwartungen unterwerfen müssen, wenn sie bevorzugt behandelt und geliebt werden wollen. Dieser glühende Wunsch einer Frau, anerkannt und von anderen bestätigt zu werden, wurde mit dem Etikett »Liebesabhängigkeit» versehen. [7] Eine Frau, die unbedingt der Bestätigung ihrer Daseinsberechtigung durch andere bedarf, um sich als vollwertige Person zu fühlen, opfert ihre eigenen Wünsche, Interessen und ihre Selbständigkeit. Viele Frauen befürchteten z. B., daß sie ihren Ehemännern einfach »zuviel» sind. ist eine Frau »zuviel», so werden ihre eigenen Ambitionen und Wünsche die Erwartungen beeinträchtigen, die ihr Mann an ihr weibliches Verhalten stellt. Die Angst, ihre Ehe aufs Spiel zu setzen, kann eine Frau dazu veranlassen, ihre eigenen Bedürfnisse zu verleugnen und sich am Bild der Guten Ehefrau festzuklammern in dem Glauben, nur auf diese Art und Weise ihre Ehe erhalten zu können. Wenn Frauen ihre eigene Identität und ihre eigene Autonomie opfern, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten, so begehen sie eine sogenannte »weibliche Sünde». [8] Eine »weibliche Sünde» ist eine Versündigung gegen das Selbst, indem die eigenen Überzeugungen und Werte geleugnet werden, um sich den Vorstellungen eines anderen, wie man sich zu verhalten habe, zu fügen. Obwohl es zutrifft, daß Beziehungen sowohl für Männer als auch für Frauen wichtig sind und daß gute Beziehungen Kompromisse und Opfer erfordern, so sollte keineswegs das eigene Selbst geopfert werden, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten.
Dennoch glauben viele Frauen, daß sie ausschließlich durch die Identifizierung mit einem Idealbild und durch Selbstverleugnung geliebt werden. Wenn Frauen den Eindruck haben, nicht mehr anerkannt und geliebt zu werden, weil sie den Idealbildern nicht entsprechen, mögen sie nochmals ihre Verpflichtung gegenüber diesen Idealen beteuern, indem sie sich selbst und der Welt sagen: »Gebt mir nur noch eine Chance; diesmal werde ich es richtig machen.» Eine Frau, die schon mit siebzehn Jahren ein Kind bekam, hatte das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. Als sie Anfang Vierzig war, entschied sie sich für ein weiteres Kind, um es »diesmal richtig zu machen» und so ihrer Familie und sich selbst zu beweisen, daß sie dem Ideal der Guten Mutter entsprach und die Liebe und die Anerkennung ihrer Familie verdiene. Eine andere Frau, die das Gefühl hatte, in ihrer Jugend ihren Eltern keine gute Tochter gewesen zu sein, beschloß in ihrer letzten Lebensphase, sich schließlich doch noch dem Ideal der Gehorsamen Tochter zu verpflichten. Ihre Eltern waren nun in den neunziger Jahren, und sie war Anfang Sechzig, dennoch übernahm sie die Rolle der Guten Tochter, um deren Anerkennung und Liebe zu gewinnen. Indem sie sich so verhielt, wie es ihr als jüngere Frau nicht möglich war, hoffte sie, wieder eine wahre Beziehung zu ihren Eltern aufzubauen. Der Glaube, Liebe, Anerkennung und Bindung durch das Einlösen von Idealbildern zu gewinnen, besteht nicht allein in der Einbildung der Frauen. Bei den meisten Frauen entspricht dies ihren wirklichen Erfahrungen; Liebe, Fürsorge und Anerkennung sind ihnen gewiß, wenn sie tun, was man ihnen sagt und sie sich innerhalb der Grenzen eines beschränkten Bereichs bewegen. Einer der Gründe, warum es für Frauen schwer ist, sich von einschränkenden Images zu befreien, besteht darin, daß die Einlösung dieser Anforderungen tatsächlich Liebe und Anerkennung garantieren. Wenn man für Selbstverleugnung belohnt oder geliebt wird, weil man nach dem Drehbuch eines anderen lebt, dann mag es für jemanden schwer sein, diese Idealisierungen zu ignorieren. Wir sind keine Närrinnen, wir klammern uns nicht an Ideale, welche Einschränkungen sie auch immer beinhalten mögen, wenn wir dafür nicht belohnt werden. Es geht um nichts anderes als um die Belohnung, die wir uns verdienen, wenn wir bereitwillig den Sockel der idealisierten Images besteigen, dort verweilen und uns versagen, frei zu handeln.
Angst
Während einige Frauen im Austausch für Liebe sich dazu verführen lassen, eine begrenzte Anzahl von Rollen zu akzeptieren, erklimmen andere bereitwillig die Sockel anerkannter Werte, weil sie sich vor einer Alternative fürchten. Ein idealisiertes Image bietet einer Frau ein klar formuliertes Drehbuch über die Rolle in ihrem Leben. Sie ist nicht gezwungen, selbständige und unabhängige Entscheidungen zu treffen; wahrscheinlich muß sie nicht einmal persönliche Verantwortung übernehmen. Sie muß nur ihre Rolle beherrschen, und man wird für sie sorgen. Ein selbständiges und unabhängiges Leben zu führen kann wie ein beängstigendes, abenteuerliches Unternehmen erscheinen. Es ist einfach, in der Sicherheit einer Beziehung begeistert über die Entscheidungsfreiheit zu sprechen., seine eigene Frau zu sein, jedoch beinhalten diese Freiheiten durchaus gewisse Ängste und Sorgen. Wenn wir z. B. an die Geschichten männlicher Helden denken, werden wir uns erinnern, daß der junge Prinz die Sicherheit seines Elternhauses aufgeben muß, um sich auf die Reise zu begeben, wobei der Weg unbekannt ist und er keinen anderen Wegweiser als seine eigenen Fähigkeiten besitzt. Obwohl eine derartige Reise etwas Erfreuliches und Abenteuerliches verspricht, haftet ihr auch etwas Beängstigendes an. Wenn man zurückbleibt und weiterhin das Gute Mädchen, die Gute Ehefrau oder die Gute Mutter spielt, weiß man, was im Leben auf einen zukommt. Man ist zwar kein Abenteuer eingegangen, aber dafür wird man vor Gefahren beschützt. Nur aus Angst klammern sich Frauen an idealisierte Images. Eine Frau berichtete, daß sie von all den Möglichkeiten, die ihr offen standen, als sie das Studium am College aufnahm, verängstigt und eingeschüchtert war.
Sie versuchte, verschiedene Seminare zu belegen und verschiedene soziale Beziehungen zu erproben, und stellte fest, daß ihre Versuche sie in zunehmendem Maße ängstigten und einschüchterten, anstatt ihr neue Möglichkeiten zu eröffnen. Sie glaubte, ihr Problem dadurch zu lösen, daß sie nach Hause zurückkehrte, um ihren Schulfreund zu heiraten. Sicher eingebunden in die Rolle der Ehefrau, mußte sie sich nicht mehr mit diesen vielen ungewissen Entscheidungsfreiheiten auseinandersetzen, mit denen sie während ihres kurzen Aufenthalts auf dem College konfrontiert wurde. Während viele Frauen ganz offensichtlich nicht unbedingt aus Angst heiraten, finden andere in den eindeutigen Verhaltensanweisungen der Treuen Ehefrau eine sichere Alternative zu der Möglichkeit, unabhängige und gefährliche Entscheidungen treffen zu müssen. Eine Frau, die sich z. B. ihrer Ängste, allein und unabhängig zu sein, völlig bewußt war, benutzte die Rolle der Ehefrau als ein vorübergehendes Auffangnetz. Sie wußte, wie sie sich zu verhalten hatte, solange sie diese Rolle spielte. Es machte ihr nichts aus, sich über eine gewisse Dauer über das Image der Ehefrau zu definieren, während sie andere Entscheidungsfreiheiten, wie sie ihr Leben gestalten sollte, überdachte. Man könnte glauben, daß sich diese Frau hinter der Rolle der Ehefrau versteckte, weil sie Angst hatte, sich selbst auf den Prüfstand zu stellen.
Jedoch bot ihr, ihrer Ansicht nach, der Sockel der Treuen Ehefrau eine sichere Plattform, von der aus sie andere Möglichkeiten auskundschaften konnte. Einige Jahre später war sie immer noch mit demselben Mann verheiratet; nun bezeichnete sie aber ihre Ehe als eine Beziehung; sie war nicht mehr mit dem Image der Ehefrau verheiratet. Eine andere Frau, die den Wunsch hatte, Mutter zu werden, und ihr Leben mit der Pflege und Fürsorge einer großen Familie ausfüllen wollte, sah ihre Pläne durchkreuzt, als sie erfuhr, daß sie keine Kinder bekommen konnte. Obwohl sie eindeutig den Verlust einer potentiellen Familie bedauerte, bestand ihre größte Sorge darin, wie sie sich anders als über das Image der Mutter definieren könnte - »nun muß ich für mein eigenes Leben verantwortlich sein. Als ich davon ausging, Mutter zu sein, wußte ich, wie ich mein Leben gestalten würde; nun bin ich nicht sicher, was ich machen soll; es scheint, als ob es zu viele Möglichkeiten gibt.»
Bei anderen Frauen führt die Angst vor dem Leben außerhalb der Einschränkungen eines Images zu der Einstellung, »alles aufzugeben, solang man gut im Rennen liegt». Wenn z. B. eine Frau ihre Rolle, eine Gute Tochter zu sein, gut beherrscht, mag sie sich dazu entschließen, ihr Leben in der Nestwärme dieses Images einzurichten und niemals über die Grenzen der Guten Tochter hinauszublicken, wobei sie die ihr bekannten Muster routiniert wiederholt. Eine Frau gestand mir ganz offen: »Ich weiß, wie ich mich als Mädchen zu verhalten habe. Ich sehe nicht ein, warum ich etwas anderes lernen sollte.» Andere Frauen klammern sich an ihre Images aus Angst vor dem Altern und dem, was jenseits dieser Vorstellungen liegt, wenn sie in eine spätere Lebensphase eintreten. Viele der Frauen, die ich interviewt habe, hatten mit ihren Müttern und Großmüttern besonders traumatische Erfahrungen gemacht, und sie konnten sich nicht vorstellen, wie sie die letzte Phase ihres Lebens in Harmonie und Frieden verbringen könnten. Eine Frau sagte mir: »Das Alter sitzt am Strand von Miami, einsam und verlassen.» Deshalb wollte sie das Image der Mutter solange wie möglich festhalten. Die Alternativen, die ihr vorschwebten, waren so öde und beängstigend, daß sie meinte, es käme dem Wahnsinn nahe, die Mutterschaft aufzugeben, wenn dazu nicht eine absolute Notwendigkeit bestehe. Eine andere Frau, deren Mutter voller Ressentiments und verbittert in einem Altenheim dahinvegetierte, beschloß, niemals ihre Berufskarriere aufzugeben. Sie hatte darüber hinaus den Eindruck, daß das Alter ein beängstigendes Unterfangen sei, was sie, komme was wolle, unbedingt vermeiden wolle. Gewiß wird die Angst vor der letzten Lebensphase von unserer Kultur gefördert. Ständig werden wir darauf hingewiesen, so alt zu sein, wie wir uns fühlen, und daß uns, wenn wir nur zäh genug am Ball bleiben, das Image von der Lebensmitte vor dem retten wird, was vor uns liegt.
Macht und Verantwortung
Durch Anpassung an idealisierte Images war es Frauen schon immer möglich, Macht und Autorität zu erwerben. Indem sie sich mit Beziehungsimages identifizieren, insbesondere mit dem der Selbstlosen Mutter und der Treuen Ehefrau, gewinnen Frauen das Gefühl von Stärke. Als Mutter kann sich eine Frau aus zweierlei Gründen stark fühlen. Sie könnte stolz darauf sein, durch die Bemutterung ihrer Kinder deren Leben in die richtigen Bahnen gelenkt und bereichert zu haben; sie mag sogar eine gewisse Ehrfurcht haben, weil sie ein anderes Individuum »geschaffen» hat. In dieser Hinsicht ist ihre mit der schöpferischen Energie der Großen Göttinnenmutter verwandte Macht durchaus berechtigt. Eine Mutter hat ebenso Zwangsgewalt, ihre Kinder zu beherrschen und zu dominieren. Für kleine Kinder gibt es keine größere Macht als die der Mutter. Leider haben einige Mütter in der Ausübung ihrer elterlichen Macht und Autorität Mißbrauch getrieben. Einer Frau ist es auch möglich, ein Gefühl von Stärke zu entwickeln, weil sie Partnerin einer mächtigen Person ist. Sie ist von der Macht sozusagen infiziert worden. Hierbei handelt es sich vornehmlich um die Macht einer Frau, die sich mit dem Image der Ehefrau identifiziert hat. Es gibt zahlreiche Beispiele von Ehefrauen einflußreicher Politiker oder von Männern in höheren Positionen, die sich selbst mächtig und wichtig fühlen, solange sie ihre Beziehungen zu den Trägern der Macht aufrechterhalten. Man braucht insbesondere nur einmal die »Frauen hinter dem Thron» - ein weiteres anerkanntes Image - in Betracht zu ziehen. Hierbei handelt es sich um die gute und starke Ehefrau, die irgendwo im Hintergrund agiert. Die Überzeugung, daß hinter jedem erfolgreichen Mann eine hingebungsvolle Frau steht, ist ein Teil unserer kulturellen Überlieferung. Indem sie die Entwicklung und den Erfolg ihres Mannes protegiert und unterstützt, ist es der Ehefrau möglich, selbst Macht und Einfluß auszuüben.
Es mag durchaus zutreffen, daß Frauen durch die Identifizierung mit idealisierten Beziehungsimages an Macht und Autorität gewinnen, weil sie glauben, daß sie allein auf sich selbst gestellt, keine Macht erlangen könnten - oder sollten. [9] Die meisten Frauen haben ein ambivalentes Verhältnis zur Macht. Wenn es um Einsatz und Fürsorge für andere Personen geht, können Frauen stark sein; sie sind jedoch meist der Überzeugung, daß Macht als solche selbstsüchtig, inakzeptabel und unweiblich sei. Trotz Verehrung bestimmter Weiblichkeitsideale handelt es sich nie um autoritäre Frauen. Frauen werden ihre wahre Macht nur in authentischen Handlungen entfalten. Durch die Identifizierung mit idealisierten Images erhalten sie Macht durch eine andere Person. Die Ehefrau muß nicht unbedingt schwach sein, aber ihre Macht ist nur entlehnt und resultiert aus ihrer Verbindung mit ihrem Ehemann.
Im Verlauf der gesamten Geschichte wurde den Frauen vorgeschrieben, ihre Energie zur Perfektionierung der Images idealisierter Weiblichkeit einzusetzen. Als die Frauen-Colleges in den Vereinigten Staaten entstanden, wurden sie als Institutionen angepriesen, an denen Frauen zu besseren Ehefrauen und Müttern ausgebildet werden sollten. [10] Durch ihre Ausbildung bestärkten Frauen diese Rollen, die den Männern genehm waren. Die Vorstellung, daß eine Frau zu etwas anderem als zu einer besseren Partnerin ausgebildet werden könnte, war undenkbar. Wir können uns weiterhin mit der weiblichen Macht sehr gut arrangieren, wenn sie sich auf bestimmte idealisierte Rollen beschränkt oder sich von diesen ableitet. In den letzten Jahren ist das Bild von der mächtigen Karriere-Frau in der Öffentlichkeit in verstärktem Maße mit Verachtung, Lächerlichkeit und Angst bedacht worden. Die Karriere-Frau, die ihre Ansprüche sehr gut zu vertreten weiß, erscheint häufig als etwas Dämonisches. In der Gegenwart und in den Mythologien handelt es sich bei den Images von mächtigen und starken Frauen meist um diabolische und böse Personen. Vor beinahe hundert Jahren hat Charlotte Perkins-Gilman darauf hingewiesen, daß die ökonomische Kompensierung, die Frauen für ihr konformes Verhalten gegenüber traditionellen Wertvorstellungen erhalten, eine der schädlichsten Komponenten weiblicher Erfahrung sei. [11] Aufgrund ihrer Konformität mit sozialen Erwartungen erlangen Frauen wirtschaftliche Sicherheit und Macht; der Ehefrau und der Mutter wird Obdach gegeben, sie bekommen zu essen und werden unterstützt. Das Ewige Mädchen und die Gehorsame Tochter mögen sogar Zuwendungen erhalten, wenn sie nur ihre Rollen beibehalten und, ob als Naive oder als Mätresse, wird die Sexuell Kokette Geschenke und allerlei Kinkerlitzchen dafür bekommen, daß sie auf ihrem Sockel verbleibt. Wenn Frauen keine ökonomische Macht durch die Befolgung gewisser Images zuwüchse, würden sie, Gilman zufolge, weitaus weniger dazu neigen, diese Praktiken fortzusetzen. [12]
Die Motivationen, die auf Liebe, Anerkennung und Angst basieren, mögen bei weitem nicht so zwingend sein wie diejenigen, die sich auf Macht und wirtschaftliche Sicherheit zurückführen lassen. Ob Frauen aus einem Wunsch nach Liebe, aus Furcht vor Verantwortung oder aus dem Streben nach Macht die Einschränkungen durch idealisierte Images in Kauf nehmen, immer werden sie Abstriche an ihrer Individualität und Autonomie machen müssen, wenn sie sich auf diese Praktiken einlassen. Wenn man sich phänomenologisch mit dem Problem der Einschränkungen durch idealisierte Images auseinandersetzt, ist es wichtig, zweierlei zu beachten: Erstens müssen wir uns daran erinnern, daß sich Frauen bereitwillig in ihre Gefangenschaft begeben haben. Es wäre für uns weitaus einfacher zu behaupten, daß wir uns durch die Macht des Patriarchats in der Falle befinden, wie es von einigen feministischen Autorinnen in den letzten Jahren vertreten wurde. Obwohl es durchaus zutreffen mag, daß es sich bei vielen Images, in deren Falle wir uns befinden, um Produkte der männlichen Vorstellungswelt handelt, sind wir trotzdem bereitwillige Komplizinnen dieses Prozesses. Man könnte dem entgegensetzen, daß sich Frauen bestimmt nicht so bereitwillig in die Sklaverei begeben würden, wenn sie selbstbewußter wären, kein verstärktes Bedürfnis nach Liebe hätten und sich weniger vor Verantwortungen fürchten würden. Das mag der Wahrheit entsprechen. Wenn wir jedoch die Methoden, wie Images unser Leben kontrollieren, ändern wollen, müssen wir uns unserer eigenen Verantwortung im Hinblick auf die Verinnerlichung dieser Ideale bewußt werden. Zweitens: Nur weil die Verhaltensweisen einer Frau denen einer anderen ähneln, die sich in der Falle idealisierter Images befindet, muß das nicht unbedingt heißen, daß auch jene von den gleichen Problemen betroffen ist. Eine Frau kann verheiratet sein, eine liebevolle und verbindliche Beziehung unterhalten, trotzdem muß sie nicht vom Image der Ehefrau beherrscht sein. Ebenso mag eine Frau ihren Kindern Fürsorge und Pflege entgegenbringen, muß aber wiederum keineswegs vom Image der Mutter dominiert sein. Sie kann ihre Sexualität außerhalb der Grenzen der Sexuell Naiven ausleben, sie kann ebenfalls kreativ und ehrgeizig sein, ohne als Karriere-Frau identifiziert zu werden. Nur weil man an bestimmten Aktivitäten teilnimmt und gewisse Beziehungen eingeht, muß das nicht unbedingt bedeuten, daß man seine Autonomie aufgegeben hat und nicht mehr als freies Individuum agiert. In der Falle zu stecken ist wie das Schlafwandeln, wie das Gefühl, daß die eigenen Handlungen und Verhaltensweisen nicht mehr im Einklang mit den inneren Werten und Überzeugungen stehen. Wenn sich eine Frau in der Falle befindet, mag sie das Gefühl haben, in eine falsche Geschichte eingetreten zu sein und daß das von ihr geführte Leben nicht ihr eigenes ist. [13]
Für jede Lebensphase einer Frau existieren spezifische Images der Fraulichkeit. Diese Mythischen Persönlichkeiten stehen sicher auf den Sockeln herrschender Werte und beeinflussen die Träume, Erwartungen und Ängste sowohl der Männer als auch der Frauen. Als junge Frauen werden wir mit dem Ewigen Mädchen, dem Freigeist, der Charmeurin und der Lolita konfrontiert. All diese Images präsentieren uns Porträts einer kindlichen Frau. In den mittleren Jahren beziehen sich die maßgeblichen Images auf die Bedürfnisse eines Kindes nach einer fürsorglichen Beschützerin und dessen Angst, diese zu verlieren - die Selbstlose Mutter, die Treue Ehefrau, die Glückliche Hausfrau, die Super-Mama und die Karriere-Frau. Im fortgeschrittenen Alter stehen uns weniger robuste Images zur Verfügung, weil es sich um die Lebensphase einer Frau handelt, die nur in geringem Maße anerkannt und honoriert wird. Diese Images sind entweder Fortsetzungen früherer Ideale, oder es sind Images, die den Status älterer Frauen als ein »Exil» innerhalb der Kultur im allgemeinen reflektieren. Nun befinden sich Images wie die Großmutter, die Nette Alte Dame, die Hexe, die Alte Jungfer und die Weise Frau auf dem Sockel. Während spezifische Images in jeder Lebensphase eines Frauenlebens ihren Ursprung haben, beschränkt sich die Wirkung dieser Ideale nicht nur auf die Frauen, die diese Phase durchlaufen. Frauen werden ihr ganzes Leben über von allen Images beeinflußt. Das Ewige Mädchen beeinflußt durchgängig das Selbstverständnis älterer Frauen, ebenso wie die Hexe das Selbstbild jüngerer Frauen beeinflussen kann.