Im Gegensatz zu den Weiblichkeitsidealen junger Frauen, deren Ursprung in der Vorstellungswelt der Männer anzusiedeln ist, sind die Bilder von Frauen in der Lebensmitte von Kinderphantasien geprägt. Die Bilder - Selbstlose Mutter, Treue Ehefrau, Glückliche Hausfrau, Super-Mama und Karriere-Frau reflektieren insgesamt die Wünsche, Ängste und Bedürfnisse kleiner Kinder nach Aufmerksamkeit, Unterstützung und Pflege. In den Fällen der Selbstlosen Mutter, der Glücklichen Hausfrau und der Super-Mama dominieren die fürsorglichen Aufgaben einer Frau. Sie definiert sich durch ihre Beziehung zu Kindern und ihrem eindeutigen Engagement in deren Welt und dem Heim, in dem sie aufwachsen. Es sollte nicht verwundern, daß drei der vorherrschenden Bilder der Lebensmitte Frauen mit einem Kind in ihren Armen darstellen. Dieses Bild entspricht nicht nur dem natürlichen Narzißmus der Kinder, die sich als Mittelpunkt des Universums ihrer Mütter begreifen, sondern es widerspiegelt darüber hinaus auch den Vorrang der Kindesfürsorge im Leben der meisten Frauen. Alle Kinder wachsen mit der Vorstellung auf, daß es für eine Frau selbstverständlich und vernünftig sei, sich in Begriffen mütterlicher Fähigkeiten und Lebensweise zu definieren. Diese Erwartung trifft in weitaus stärkerem Maße auf Mädchen zu. Junge Mädchen, die gefragt werden, was sie später werden wollen, sagen: »Ich möchte einmal Mama werden.« [1] »Mama« bedeutet für sie eine Lebensart, ein Beruf, eine Idealvorstellung, für die eine Frau in der Welt prädestiniert ist. Viele unserer religiösen Organisationen und Kirchen unterstützen die Vorstellung, daß die biologische Mutterschaft höchster Ausdruck im Leben einer Frau sei. [2] In unserer Gesellschaft existiert die Erwartung, daß eine Frau ihre Erfüllung nur in der Schwangerschaft und der Geburt haben könne. [3] In den letzten Jahren ist die Tragödie von Frauen, die keine Kinder bekommen können, ein beliebtes Thema in der Boulevardpresse. Diese Artikel berichten gewöhnlicherweise über die persönlichen Qualen einer Frau, die sich damit abfinden muß, kein Kind zu bekommen, und aus diesem Grund keine wahre Frau, keine normale Frau sein kann. Während diese Artikel im allgemeinen mit einer gewissen Hoffnungsfreudigkeit oder einem Lösungsvorschlag schließen, daß es der Frau gelingen sollte, andere fürsorgliche Aktivitäten zu finden, ist die Botschaft eindeutig: Die biologische Mutterschaft ist Kernstück des Images von Frauen in der Lebensmitte. Was die anderen beiden Bilder der Frauen mittleren Alters betrifft - die Treue Ehefrau und die Karriere-Frau - könnte man denken, daß sie nicht der kindlichen Vorstellungswelt entspringen, sondern, im ersten Fall, eher durch die Vorstellungen der Männer geprägt sind und, im zweiten Fall, von den Phantasien der Frauen. Aber derartige Überlegungen sind falsch. Die Treue Ehefrau - standfest, fürsorglich und treu - ist weiter nichts als die Selbstlose Mutter mit nur einem Kind, nämlich dem Ehemann. Sie hat vornehmlich mütterliche Eigenschaften; sie ist im allgemeinen asexuell und bekannt für ihre unerschütterliche Hingabe an ihren Ehemann. Nicht selten hören wir die Beschwerde einer Frau über ihren Ehemann: »Er will keine Ehefrau, er will eine Mutter.« In der Tat, ist eine Ehefrau nur das, was er sich darunter vorstellt, ein ideallsiertes Image von der Treuen Ehefrau, die ihn liebt und umsorgt, wie er es bei seiner Selbstlosen Mutter erfahren hat. Es ist wichtig, daran zu erinnern, daß der Ursprung dieser Bilder nicht bei erwachsenen Männern zu suchen ist, die berechtigterweise leugnen werden, eine fürsorgliche Frau einer Geliebten und einer Partnerin vorzuziehen. Dies sind die Phantasien unserer behüteten Kindheit, in der Fürsorge, Liebe und Sicherheit alles bedeuten. Bei dem Bild, das unsere Kultur von der Karriere-Frau entwirft, handelt es sich nicht um eine unabhängige und erfolgreiche Frau; sie ist vielmehr die herausgeputzte Version einer Diabolischen Mutter, ein zeitloses Bild negativer Bemutterung. Die blutdürstige Hindu Göttin Kali und die monströsen griechischen Gorgonen sind eher Vorahnungen moderner Märchen, in denen böse Stiefmütter die boshafte, dämonische Mutter verkörpern. Sie ist egoistisch, ehrgeizig und verschlagen. Anstatt sich um da,s Wohl der anderen zu kümmern, setzt sie sich in ihrem zielstrebigen Ringen nach Macht über deren Bedürfnisse hinweg. Sie ist beängstigend - der Alptraum jedes Kindes von der Selbstlosen Mutter, die zum Berserker wurde.
Die Selbstlose Mutter
Im Gegensatz zu der berühmten Mutter des Kinderreims, die »so viele Kinder hatte, daß sie nicht wußte, was sie machen sollte«, ist die Selbstlose Mutter all-fürsorglich; niemals hat sie zu viele Kinder. Sie besitzt die Fähigkeit, diejenigen, die sie zur Welt gebracht hat, jederzeit zu pflegen, zu nähren und ihnen hilfreich zur Seite zu stehen. In Mexiko ist die all-gebende Mutter bekannt als »die Frau mit vierhundert Brüsten«. [4] Es gibt genug Brüste für alle möglichen Kinder. Die Vorratsquellen dieser Frauen werden nie erschöpfen; ihr Milchstrom wird nie versiegen. Die Phantasie von nie endenden Vorräten zieht sich durch alle Mythologien und Volksmärchen. Eine magische Nahrungsmittelquelle, die, unabhängig davon, wieviel gegessen wird, nie versiegt. Die Vorstellungen verweisen auf die nährende Qualität der idealisierten Mutter. Es geht nicht nur darum, daß sie nährt und fürsorglich ist, sondern daß sie all nährend ist. Sie ist voller Überfluß und Freigebigkeit, und ihre Ressourcen sind für ihre Kinder unerschöpflich. Die idealisierte Mutter ist bezeichnenderweise eine selbstlose Frau. Sie kümmert sich nicht um sich selbst, sie hat keine eigenen Bedürfnisse; ihre Beziehungen beruhen grundsätzlich nicht auf Gegenseitigkeit, weil das Geben nur in eine Richtung fließt. Sie gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Interessanterweise stellen die frühen Bilder von der all gebenden Gottesmutter eine Frau dar, die keinen Mund hat. [5] Die idealisierte Mutter brauchte keinen Mund, weil sie keine »Nehmerin« war; sie war eine Person, die nicht genährt werden mußte; ihre einzige Aufgabe bestand darin zu geben. Es gibt ein etwas satirisches Gedicht über die ideale mütterliche Liebe, in dem ein junger Sohn seine Mutter tötet und ihr Herz herausschneidet, um die Wünsche einer jungen Frau zu befriedigen, deren Aufmerksamkeit und Liebe er gewinnen möchte. Als der junge Mann das Herz seiner Mutter nimmt, um es dein Mädchen zu geben, stolpert er und fällt zu Boden; das auf den Boden gefallene Herz fragt ihn, ob er sich weh getan habe. Dies ist die ideale Selbstlose Mutter. Ungeachtet des ihr zugefügten Schadens, kreisen ihre Gedanken nur um ihr Kind. Eine Frau, Ruby, war über ihre Selbstlosigkeit so stolz, daß sie voller Ungeduld von einem Ereignis berichtete, das vor vierzig Jahren stattgefunden hatte. Als sie eine junge Mutter war, bekamen ihre beiden Töchter gleichzeitig hohes Fieber und mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Neben der guten medizinischen Behandlung ihrer Kinder, war Ruby besonders darauf bedacht, daß keines der Mädchen von der Krankheit des anderen erfuhr. Sie wollte nicht, daß sich ein Kind fürchtete oder aufregte, indem es von der Krankheit der Schwester erfuhr. Demzufolge achtete sie sorgfältig auf ihre eigenen Reaktionen. Sie vermied zu weinen oder irgend etwas zu sagen, das für das kranke Kind eine zusätzliche Belastung bedeutet hätte. Ruby zügelte ihre eigene Panik und Sorgen und konzentrierte all ihre Energien darauf, ihre Kinder vor zusätzlichen Gefahren zu schützen. Sie erinnerte sich, beinahe vierzehn Stunden vor dem Krankenzimmer gewacht zu haben, in dem eine ihrer Töchter versorgt wurde, um von dem zuständigen Arzt Informationen über deren Befinden einzuholen. Der Arzt kam jedoch nicht, und Ruby setzte ihre Warterei auf dem Parkplatz des Krankenhauses fort, bis der Arzt seine nächtliche Visite beendet hatte. Als sie ihn sah, rannte sie zu ihm, stellte sich vor sein Auto und sagte: »Sie kommen hier nicht vorbei, bis sie mir gesagt haben, wie es meinem Kind geht.« Für Ruby war ihre selbstlose Hingabe im Hinblick auf das Wohlergehen ihrer Kinder ein Zeichen ihres Selbstwertes und ihres Erfolges als Mutter. Bei vielen Frauen wird die Vorstellung darüber, was es bedeutet, eine Mutter zu sein, von dem Image der Selbstlosen Mutter geprägt. Frauen werden häufig sehr stark von dem Glauben beeinflußt und geleitet, daß sie sich selbst verleugnen und opfern müssen, bis ihre Kinder erwachsen sind. [6] Wenn Frauen diese Ansicht einer idealen Mutter als selbstlose Frau verinnerlicht haben, mögen sie sich schuldig fühlen und glauben, ihre mütterlichen Pflichten vernachlässigt zu haben, wenn sie sich entschließen sollten, ihre Kinder wegen einer beruflichen Tätigkeit allein zu lassen oder ihre Energie von den Kindern und der Familie auf die Interessen zu verlagern, die sich stärker auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentrieren und die Familienkontakte vernachlässigen. [7] Eine Frau, die ihre eigene Karriere aufgegeben hatte, um sich um ihre vier Kinder kümmern zu können, sprach von der Zeit, in der ihre Kinder das Alter erreichen würden, daß sie wieder zur Arbeit zurückkehren könne. Sie sprach angeregt von »ihrer Zeit«, in der sie wieder an sich denken darf, anstatt selbstlos den Bedürfnissen ihres Mannes und ihrer Kinder nachzukommen. Auf einmal wurde ihr bewußt, was sie gesagt hat, und brach mitten im Satz ab. »Natürlich werden Bill und die Kinder für mich immer an erster Stelle stehen. Also kein Acht-bis-fünf-Uhr-Job für mich. Ich habe zuviel Energie investiert, um aus meinen Kindern nun Schlüsselkinder werden zu lassen.« Selbst im Gespräch, in dem über ihre Zukunft spekuliert wurde, ließ sie es nicht zu, das Bild von der Selbstlosen Mutter zu trüben. Selbst wenn Frauen es vorziehen, ihre Karriere und sich selbst der Mutterschaft voranzustellen, fühlen sie sich oft schuldig, wenn sie die Rolle der Selbstlosen Mutter nicht erfüllen. Raina vermutet, daß mit ihr irgend etwas nicht stimmen kann, weil sie nicht ihre ganze Zeit in die Erziehung der Kinder investiert. Neben ihrer Berufstätigkeit bereitet es ihr viel Vergnügen, ihren Aktivitäten außerhalb des Hauses nachzugehen. Vor kurzem hatte sie aber deswegen derartige Schuldgefühle, daß sie ihr Familienleben in Frage stellte, um herauszufinden, ob es eine Erklärung dafür gebe, warum sie sich für einen Lebensweg entschieden hat, der sich nicht nur von dem ihrer Mutter und Schwestern, sondern auch von dem der meisten ihr bekannten Frauen unterscheidet. Sie sagt: »Ich habe nicht das Gefühl, daß es mir an Mutterliebe mangelt. Ich glaube nicht, daß es mir überhaupt an irgend etwas mangelt. Ich spüre keine Leere in mir. Und ich glaube, eine gute Mutter zu sein.« Teilweise wird ihr das Gefühl, einen nicht ganz »einwandfreien« Lebensstil zu führen, von ihrem Vater vermittelt. Als konservativer Minister eines Neuenglandstaates vertritt er die Ansicht, daß es Aufgabe des Mannes sei, sich um die Frau zu kümmern, während die Aufgabe der Frau darin bestehe, sich um die Kinder zu sorgen. Er betrachtet Rainas Entscheidung schlechthin als anormal und als einen Verstoß gegen ihre Pflichten als Mutter. Tatsächlich ist er soweit gegangen, Raina zu sagen, daß ihre Weigerung, zu Hause bei den Kindern zu bleiben, ein Affront gegen das von ihrer Mutter geführte Leben darstelle. Obwohl sie theoretisch die Argumente ihres Vaters ablehnt, ist es für sie schmerzhaft, seine Vorwürfe gegen das von ihr geführte Leben zu hören und zuzugeben, daß sie versagt hat, dem Ideal der Selbstlosen Mutter zu entsprechen. In ihrer idealen Verkörperung ist die Selbstlose Mutter all-vergebend. Ob sie ausgenutzt oder geopfert wird, es liegt in ihrer Natur, zu vergeben und das Maß ihrer Liebe nicht zu verringern. [8] Das Bild von der Jungfrau Maria ist eine ideale Verkörperung einer Frau, die in aller Stille leidet. [9] Sie blickt auf ihren gekreuzigten Sohn, wird aber nicht wütend oder rachsüchtig. Stoisch nimmt sie das Unrecht hin und weiß, daß sie ertragen muß, was auch immer kommen mag.
Wenn wir in den Begriffen von Mutter Erde als Erzeugerin allen Lebens denken, wird uns bewußt, daß die heutigen Männer und Frauen unsere Mutter Erde wie eine all-vergebende Mutter behandeln. Der größte Teil unserer Umweltpolitik und unseres kollektiven Verhaltens gegenüber der Erde scheint auf dem Gedanken zu basieren, daß wir unsere Mutter ausbeuten, vergewaltigen und opfern können und daß sie sich fortgesetzt restituiert, um uns zu lieben und zu ernähren, wobei sie uns für unser raubgieriges und gewalttätiges Verhalten, das auf ihre Kosten geht, niemals zur Rechenschaft zieht. Eine Frau, deren Sohn stark kokainabhängig war, rühmte sich damit, ihm erlaubt zu haben, wieder zurück nach Hause zu kommen, obwohl er sie bestohlen und ihr zwei Rippen gebrochen hatte. Es war ein Zeichen ihrer hervorragenden Bemutterung, daß sie bereit war, ihrem Sohn trotz seiner Vergehen zu vergeben. In den letzten Jahren haben Suchtspezialisten Mütter und Väter aufgefordert, eine »strenge Liebe« durchzusetzen, die Vorstellung von der Selbstlosen Mutter aufzugeben und ihre Kinder für deren Verhalten verantwortlich zu machen. Obwohl diese Maßnahme in klinischer Hinsicht vernünftig erscheint, fällt es insbesondere denjenigen schwer, die eine gute Bemutterung mit Selbstlosigkeit und der Haltung, alles zu vergeben, gleichsetzen. Weitere Charakteristika der Selbstlosen Mutter sind ihre Beständigkeit und ihre statische Ruhe. Es steht ihr nicht zu zu wachsen, sich zu entwickeln oder zu entfalten; ihre Eigenschaft liegt vielmehr darin, verläßlich und konstant zu bleiben, immer die Mutter zu sein, die sich nach den Wünschen und Bedürfnissen ihres Kindes richtet. Wenn wir nochmals bedenken, daß die Jungfrau Maria eine Verkörperung der idealisierten Mutter darstellt, so besteht eine ihrer herausragenden Eigenschaften darin, nicht zu altern; sie entspricht immer den Bedürfnissen ihres Kindes: eine nährende, energetische und großzügige junge Mutter zu sein. [10] Im alten Ägypten hatte der Königsthron die Form der Göttin Isis. [11] Generationen von Königen regierten vom Schoß der großen Mutter Isis aus. Dort saß sie, ein beständiges, unveränderliches Wesen, das seine symbolischen Söhne behütete und beschützte. Dieses Bild von einer zuverlässigen und beständigen Frau ist eine Idealisierung, die auf die Bedürfnisse der Kinder zurückzuführen ist. Es ist zum Nutzen des Kindes, die Mutter als Verkörperung von Standfestigkeit, Sicherheit und Beständigkeit wahrzunehmen. Eine derartige Vorstellung gesteht jedoch der Frau niemals eine Entwicklung und Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit zu. Indem sie dem Kind das Gefühl von Beständigkeit vermittelt, leugnet sie ihre eigenen Bedürfnisse, sich zu entfalten und zu wachsen. Viele Charakteristika der Selbstlosen Mutter widerspiegeln die Abhängigkeit eines Kindes von einer fürsorglichen Mutter, die geben sollte, unabhängig davon, wieviel das Kind verlangt. Für eine ideale Selbstlose Mutter gibt es kein Kind, das zuviel fordert. Sie sollte jedes Unrecht vergeben und jederzeit zur Verfügung stehen, wie auch immer sie behandelt wird. Sie sollte beharrlich, stets sicher und immer gegenwärtig sein, genauso wie es die Bedürfnisse ihres Kindes erfordern und dessen Erinnerung entspricht. Das Ideal vermittelt uns das Bild von einer Frau, der es nicht möglich ist, irgend etwas für sich selbst zu tun. Ihr wahres Wesen verbaut ihr jeden Zugang zu ihrer persönlichen Entwicklung. In diesem Sinne wird sie von ihrer »gebenden Eigenschaft« kontrolliert und bestimmt, ein Charakterzug, der den Bedürfnissen anderer auf Kosten ihrer eigenen Person nachkommt. [12] Weil es sich bei der Selbstlosen Mutter um ein Ideal handelt, das die eigenen Bedürfnisse einer Frau total negiert, sind Frauen, denen bewußt ist, sich in der Falle dieses Images zu befinden, verärgert und verstimmt. Eine Frau beschrieb sich selbst als einen »ausbrechenden Vulkan«. Einen großen Teil ihres Zorns ließ sie an ihrem Ehemann aus, dem es »an nichts fehlte«. Er konnte seinem Beruf nachgehen und kam aufgrund ihrer Anstrengungen sogar noch in den Genuß eines gemütlichen Heims und einer Familie. Sie dagegen hat sich ausschließlich der Erziehung der Kinder gewidmet. Eine andere Frau, Kitty, wuchs in einer ressentimentbeladenen Atmospäre auf, weil ihre Mutter ihre Rolle als Selbstlose Mutter zutiefst ablehnte. Obwohl sie selber keine Mutter ist, hat Kitty eine derartige Wut auf das Ideal der Mutter, daß sie sich nicht sicher ist, jemals ein Kind haben zu können, auch wenn sie eventuell gern eins hätte. Kittys Mutter wuchs in einer Arbeiterfamilie auf, in der sich Mutter und Vater permanent stritten. Schon als kleines Kind war ihr völlig klar, daß ihre Mutter und ihr Vater nicht zueinander paßten und daß ihre Ehe unglücklich war. Kittys Mutter heiratete mit einundzwanzig, und als sie ihr dreißigstes Lebensjahr erreicht hatte, war sie Mutter von sechs Kindern. Anfangs machte es Kittys Mutter Spaß, die Kinder großzuziehen, aber mit dem Wiederaufleben der Frauenbewegung in den sechziger Jahren, wurde sie über ihre Position als Mutter und Ehefrau wütend und verstimmt. Als Kitty aufwuchs, nahm sie nicht nur die Entwicklung der Lebensgeschichte ihrer Mutter wahr, sondern sie konnte auch das Leben der Frauen in ihrer Gemeinde beobachten. Ihre Familie lebte in einem kleinen Industrieort, in dem vornehmlich Arbeiter wohnten. Die Möglichkeiten, die einer Frau dieser Gesellschaft offen standen, waren in Kittys Worten »furchterregend«. Die Frauen wurden erwachsen, heirateten und bekamen Kinder oder wurden, wie Kitty glaubte, »mit den Kindern abgeschoben«. Sie hatte den Eindruck, daß die Ehemänner ihre Frauen schwängerten, um sie in einer abhängigen Position zu halten. Kitty glaubte, daß die Frauen in ihrer Gemeinde mißbraucht wurden und in einer Sackgasse steckten. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, seßhaft zu werden und ein ähnliches Leben zu führen. Aufgrund des weit verbreiteten Einflusses des Images von der Selbstlosen Mutter sind Frauen, die das Gefühl haben, diesem Ideal gegenüber versagt zu haben, oft der Ansicht, auch als Frau schlechthin versagt zu haben. Für eine Frau, Nettie, war das Gefühl, als Mutter versagt zu haben, darauf zurückzuführen, daß zwei ihrer Kinder ernsthafte Probleme hatten. Eines der Kinder war ein krankhafter Alkoholiker, das andere litt unter starken Depressionen. Beide Kinder waren in ständiger Behandlung und waren den örtlichen Behörden nicht unbekannt, weshalb Nettie und ihr Ehemann schon seit Jahren Beratungsgespräche und Therapien besuchten. Durch den Ärger mit ihren Kindern fühlte sich Nettie in ihrer Nachbarschaft kompromittiert und erniedrigt. Sie erinnert sich, daß die Polizei einige Male die Straße stürmte und Netties Kinder suchte, gerade als die Nachbarn zu einem Picknick oder einem sozialen Ereignis zusammengekommen waren. Jahrelang hatte sich Nettie die größten Vorwürfe gemacht, daß ihre Kinder keine Probleme gehabt hätten, wenn sie nur eine bessere Mutter gewesen wäre. Netties Gefühl, versagt zu haben, wird durch die Tatsache verstärkt, daß ihre beiden gesunden Töchter ein Leben führen, das sich von ihrem stark unterscheidet. Keine hat sich dazu entschlossen, Mutter zu werden. Beide sind verheiratet, haben sich aber in eine Karriere gestürzt. Ganz eindeutig haben sie kein Interesse, ein Leben wie das ihrer Mutter zu führen. Obwohl Nettie mit den Entscheidungen ihrer Töchter einverstanden ist, fühlt sie sich dennoch herabgesetzt, weil sie den Eindruck hat, daß ihr gesamtes Leben abgelehnt wird. Besonders schwer fällt es Nettle, einem Vergleich mit ihrem Ehemann standzuhalten. Sie haben eine relativ traditionelle Ehe geführt. Es war Netties Aufgabe, die Kinder zu erziehen und die Familie zusammenzuhalten; es war die Rolle ihres Ehemanns, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Er ist ein sehr erfolgreicher Unternehmer gewesen. Wenn sie sich mit ihrem Mann vergleicht, fällt ihr Urteil sogar noch schlechter aus. Seinem Teil der Pflichten ist er erfolgreich nachgekommen, finanziell war für die Familie ausgezeichnet gesorgt. Sie dagegen versagte bei der einzigen Aufgabe, die ihr zugefallen war; es war ihr nicht möglich, vier gesunde Kinder großzuziehen.
Die Treue Ehefrau
Die Treue Ehefrau ist loyal, unterwürfig und fürsorglich. Sie bezieht ihr Selbstverständnis ausschließlich über ihre Beziehung zu dem mächtigen Mann in ihrem Leben, ihrem Ehemann. Das alte geflügelte Wort »Ehemann und Ehefrau sind eins, und dieses Eine ist der Ehemann«, umschreibt die Rolle einer Ehefrau sehr zutreffend. [13] Die Treue Ehefrau lebt durch ihren Ehemann. Seine Karriere, seine Interessen und seine Angelegenheiten sind wesentlicher Bestandteil ihrer Tagesordnung. Sie muß sich stets ermahnen, nicht ihre eigenen Wünsche durchzusetzen und nicht zu stark mit ihm zu konkurrieren, aus Furcht, ihren Ehemann zu überflügeln. Ihre Rolle besteht vielmehr darin, ihren Ehemann mit einem »ja, mein Liebster« zu unterstützen. Alles, was ihre Energie von ihrem Mann abzieht, erscheint problematisch; sie darf nicht zuviel Energie in ihre eigene Entwicklung oder sogar in die Entwicklung ihrer Kinder investieren. Wie eine Frau treffend sagte: »Ich wollte mit ihm verheiratet sein, demzufolge hatte ich keine Zeit für mich. Alle unsere Entscheidungen wurden zugunsten seiner Karriere gefällt - wo wir leben, wie wir leben, mit wem wir verkehren - ich paßte mich all dem nur an.« In einer guten Mittelschicht-Ehe stellt die Frau den Mann über sich und erhält ihren Status und ihren Lebensunterhalt durch ihn. Dadurch, daß sie eine Ehefrau wird, wird sie eine wichtigere und wertvollere Person. Eine Frau sollte jünger sein als ihr Ehemann, sollte kleiner sein, weniger verdienen, weniger zu sagen und einen niedrigeren Status in der Öffentlichkeit haben. Es wurde darauf hingewiesen, daß »weniger als« ein wichtiges Charakteristikum einer Ehefrau und zwar auf allen Gebieten sei. [14] Eine Frau sagte es folgendermaßen: »Mein Ehemann ist meine bessere Hälfte.« Eine Frau, die sich in der Falle des Images der Frau als Ehefrau befindet, erhält den Status einer vollwertigen Person nur dann, wenn sie die Ehefrau eines Mannes ist; Frauen, die sich diesem idealisierten Bild verpflichtet fühlen, haben den verstärkten Wunsch, verheiratet zu sein. [15] In den Vereinigten Staaten ist die Rolle der First Lady tatsächlich die der Ersten Ehefrau, da ihre Aufgabe eindeutig darin besteht, an der Seite ihres Mannes zu stehen, ihn zu unterstützen und ihn hingebungsvoll anzusehen, während er Entscheidungen fällt. Als Nancy Reagan First Lady war, degradierte sie die Frau zu einer Ehefrau; sie sagte ganz eindeutig, daß eine ihrer wichtigsten Prioritäten darin bestehe, Ronald Reagans Ehefrau zu sein. Sie schrieb ihre gesamte Vitalität dem Umstand zu, diesen wunderbaren Mann kennen gelernt zu haben, und sagte, daß sie ohne ihren Ehemann weder einen Sinn noch ein Ziel in ihrem Leben hätte. [16] Diese totale Selbstverneinung war, ob es den Tatsachen entsprach oder nicht, Nancy Reagans öffentliche Rolle. Gesellschaftlich gesehen sollen sich unsere First Ladys daran erinnern, daß sie an erster Stelle Ehefrauen sind. Ihren Status haben sie nur durch ihre Ehe mit kompetenten und mächtigen Männern erhalten und nicht aufgrund ihrer eigenen Qualitäten. Wenn erfolgreiche Frauen wie Rosalyn Carter oder Hillary Clinton für sich selber sprechen möchten, schallt ihnen ein jäher öffentlicher Aufschrei der Entrüstung entgegen, der sie an ihre eigentliche Rolle als Treue Ehefrauen ermahnt.
Maureens Geschichte
Bei manchen Frauen beginnt die Sozialisierung zur Rolle der Ehefrau und zum Ideal der Treuen Ehefrau schon in den frühen Mädchenjahren. Schon soweit ihre ersten Erinnerungen zurückgehen, wurde Maureen gesagt, daß es für sie wichtig sei, erwachsen zu werden und eine gute Partie zu machen. Als kleines Kind wurde sie von ihren älteren Brüdern gehänselt, indem sie ihr sagten, daß sie eine alte Jungfer würde. Wenn sie nicht schöner würde, würde sie schließlich als verknöcherte Bibliothekarin enden, und sie drohten ihr, sie an den häßlichsten, grauenvollsten Jungen der Stadt zu verkaufen. Wiederholt sagten ihr diese Jungen »im Scherz«: »Du bist zu groß, zu tölpelhaft, zu häßlich. Du bekommst niemals einen Ehemann.« Obwohl ein Teil dieser Neckereien gewiß zwischen Brüdern und Schwestern üblich ist, scheint es doch bezeichnend, daß die schlimmste Drohung, die ihre Brüder machten, darin zu sehen war, daß sie eine alte Jungfer würde. Diese Brüder sind bei einer Mutter aufgewachsen, deren Leben sich um ihren Ehemann zentrierte, und Maureens Mutter glaubte, daß ihr Leben erst seit der Heirat mit ihrem Ehemann begonnen hat. Er war, nach ihrer Ansicht, der Fang des Jahrhunderts und das Beste, was ihr jemals widerfahren sei. Maureen beobachtete ihre Mutter, die ihrem Vater eine große Unterstützung und eine gute Partnerin war. Am Nachmittag um drei Uhr hatte ihre Mutter ihre täglichen Arbeiten im Haus beendet, dann wechselte sie ihre Kleidung, setzte sich in aller Ruhe hin und bereitete sich auf die Ankunft ihres Mannes vor. Sowie ihr Mann in der Tür erschien, war sie ganz »sein«, wie sich Maureen ausdrückte. Sie bereitete einen Imbiß und einen Cocktail und hörte sich aufmerksam den Tagesbericht ihres Mannes an. Es war ihre Aufgabe zuzuhören, mit dem Kopf zu nicken und Hilfsbereitschaft zu signalisieren. Als Jugendliche beobachtete Maureen, wie ihre Mutter diese Rolle mit Begeisterung und Freude ausfüllte. Maureen wollte ihren Eltern gefallen und war bemüht, sich zu einer guten Partie für einen guten Ehemann zu entwickeln. In der Oberschule war sie sehr beliebt, sie war Cheerleader und Klassensprecherin. Die Aktivitäten erhöhten ihren Kurswert als zukünftige Partnerin, und ihre Eltern waren über ihre Leistungen erfreut. Sie glaubte, das College besuchen zu müssen, um einen Ehemann zu finden. Sie sagt: »Ich wäre erfolgreich gewesen, wenn ich einen erfolgreichen Mann geheiratet hätte.« Als sie ihr bei der Wahl des Colleges behilflich waren, waren Maureens Eltern vornehmlich darauf bedacht, eine Universität zu finden, auf der es genug potentielle Heiratskandidaten gab. Maureens akademischer Erfolg, ihre Interessen oder ihre zukünftige Karriere interessierten sie dabei nicht. Wenn sie von einem möglichen Beruf sprachen, so wurde das in der Tat ganz lapidar kommentiert: »Nun, vielleicht könntest du unterrichten oder irgend etwas.« Es war ganz eindeutig, daß Maureens Aufgabe darin bestand, einen Ehemann zu finden. Sie immatrikulierte sich an einer großen Universität, wo sie, nach Ansicht ihrer Eltern, einen geeigneten Mann finden würde. Am Ende des ersten Studienjahres kehrte Maureen völlig niedergeschlagen zurück nach Hause. Sie hatte keinen Freund, keine Verabredung in Aussicht und war enttäuscht. Sie wurde von der Vorstellung der alten Jungfer heimgesucht und geriet beinahe in Panik, als sie zum zweiten Studienjahr an die Universität zurückkehrte. Zu dieser Zeit lernte sie den Mann mit den geeigneten Eigenschaften kennen. Er war klug, sah gut aus, war stattlich und verfolgte, finanziell gesehen, eine Erfolgskarriere. Ihre Eltern waren erfreut und erkundigten sich dauernd nach diesem neuen Freund. Deren Aufmerksamkeit konzentrierte sich mehr auf den jungen Mann als auf Maureen. Sie und dieser junge Mann verlobten sich, und diese märchenhafte Romanze erreichte fast schon ihren Höhepunkt, als Maureen schwanger wurde. Maureen war niedergeschmettert und hatte Angst, ihren Eltern etwas zu sagen, weil sie glaubte, irgendwie versagt zu haben. Ihre Eltern behielten jedoch die Ruhe, und sie erinnert sich an die Worte ihrer Mutter: »Nun, trockne deine Tränen, zieh deine Socken hoch, laß uns die Hochzeit planen.« Ihre Eltern waren tatsächlich darüber erfreut, daß sie den passenden Ehemann gefunden hatte und heiraten würde. Es gab keine Streitigkeiten wegen der Schwangerschaft, zumal ihre Eltern, wie sie später erfuhr, niemals die Erwartung hatten, daß sie als Jungfrau in die Ehe gehen würde. Tatsächlich nahmen sie an, daß sie schon während ihrer Oberschulzeit Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Da Sexualität und Schwangerschaft schon oft von Frauen eingesetzt wurden, um sich einen Ehemann zu angeln, waren Maureens Eltern über die unvorhergesehene Schwangerschaft nicht enttäuscht. Statt dessen betrachteten sie es als eine zusätzliche Garantie, daß Maureen »den Richtigen« heiraten würde. Maureen jedoch schämte sich furchtbar wegen ihrer Schwangerschaft und trug bis zum siebten Monat einen Gürtel, um ihren Bauch zu kaschieren. Sie hatte sich mit dem Image von der Ehefrau noch nicht vertraut gemacht und fühlte sich wie eine gestrauchelte Frau. Auch war ihr klar, daß sich ihr Leben dramatisch geändert hatte, seit sie schwanger war. Sie glaubte, anders als ihre Kommilitoninnen zu sein, und fühlte sich fremd und ausgestoßen. Während ihrer Schwangerschaft betete sie dafür, einen Sohn zu bekommen, weil sie der Ansicht war, dadurch ihr unverantwortliches Verhalten bei ihren Eltern wiedergutmachen zu können. Nachdem das Kind, ein Junge, geboren war, zogen sie und ihr Ehemann in einen anderen Teil des Landes, damit er an einer renommierten Universität promovieren konnte. Es war abgemacht, daß Maureen ihren Mann während seiner Doktoranden-Zeit unterstützen würde, und sie nahm deshalb manchmal sehr schlechte Jobs an. Durch diese Arbeiten war es ihr nicht möglich, ständig ihr Kind zu betreuen. Anfangs dachte sie, daß ihre Familie damit nicht einverstanden wäre, weil sie ihren Sohn in Pflege geben mußte. Nach Ansicht ihrer Mutter und ihres Vaters war es aber wichtiger, daß sie ihren Ehemann während der Ausbildung unterstützte. Für sie war das Bild von der Ehefrau weitaus mächtiger als das der Mutter. Maureen kam ihrer Pflicht nach, eine Gute Ehefrau zu sein: Sie unterstützte ihren Ehemann. In den Jahren, in denen sie gearbeitet hatte, begann Maureen sich als kompetente Frau wahrzunehmen und war stolz darauf, ihre Familie zu unterstützen und sich in der Welt durchsetzen zu können. Durch diese Erfahrung wuchs ihr Selbstvertrauen, ein Leben zu führen, das nichts mit der Rolle einer Ehefrau gemein hatte. Nach der Promotion ihres Ehemannes äußerte Maureen den Wunsch, eine zusätzliche Ausbildung machen zu wollen. Ihr Mann reagierte darauf recht unbekümmert und hatte gegen ihre Fachausbildung nichts einzuwenden, solange sie sich weiterhin um ihr Kind und den Haushalt kümmern würde und sich ihre Pläne mit seiner wichtigeren Karriere vereinbaren ließen. Nach seinem zögerlichen Einverständnis nahm Maureen ihr Fachstudium wieder auf. Ihre akademische Ausbildung und ihre anschließende berufliche Tätigkeit bestärkten Maureen darin, ein anderes Leben als das einer »Ehefrau« führen zu können. Sechs Jahre nach ihrer Hochzeit erfolgte die Scheidung. Obwohl sie die Trennung in die Wege geleitet hatte, war Maureen über das Scheitern ihrer Ehe traurig und erregt. Insbesondere machte sie sich Sorgen über die Reaktion ihrer Eltern. Erstaunlicherweise waren sie zwar etwas bedrückt, äußerten sich aber nicht allzu kritisch über ihre Scheidung von einem Mann, der sich ihnen zusehends entfremdet hatte. Sie machten jedoch kein Hehl aus ihrer Ansicht, als Maureen ihnen sagte, daß sie wieder ihren Mädchennamen annehmen möchte. Sie sollte den Namen ihres ehemaligen Ehemannes beibehalten. Sollte sie einen neuen Ehemann finden, dann könnte sie dessen Namen annehmen. Maureen hatte verstärkt das Gefühl, versagt zu haben. Es war gewiß nicht geplant, sich von ihrem perfekten Ehemann scheiden zu lassen, und es verwirrte sie, sich nicht mehr über die Rolle der Ehefrau definieren zu können. Maureen sagt: »Ich wurde unabhängig, und in dem Augenblick, in dem ich wirklich unabhängig war, bekam ich es mit der Argst zu tun, und ich bemühte mich wieder darum, jemanden zu finden.« Als sie wieder Verabredungen einging, hatte Maureen anfangs die Befürchtung, wegen ihres Kindes keinen passenden Mann finden zu können. Der richtige Mann mag vielleicht keine Frau, die schon mit einem Kind von einem anderen Mann belastet war. Nachdem sie fast zwei Jahre lang Verabredungen traf, lernte Maureen einen Mann kennen, der die gleichen Voraussetzungen mitbrachte wie ihr erster Mann, ein Mann, den auch ihre Eltern akzeptieren würden. Nachdem sie sich einige Monate verabredet hatten, beschlossen sie zu heiraten. Sowie sie wieder verheiratet war und erfolgreich ihre vertraute Rolle annahm, fühlte sich Maureen wieder obenauf und glaubte sich wieder geborgen und sicher. Außer einigen äußeren Ähnlichkeiten zu ihrem ersten Ehemann verhielt sich Maureens zweiter Ehemann ganz anders in seiner Unterstützung ihrer unabhängigen Entwicklung. In ihrer zweiten Ehe hat sich Maureen stärker in ihrer Berufskarriere und im Leben außerhalb des Hauses engagiert. Sie ist sich jedoch im klaren, daß sie sich eine unabhängige Existenz außerhalb der Rollen der Ehefrau und Mutter leisten konnte, weil sie diesen idealisierten Vorstellungen genug Tribut gezollt hatte. In der Vergangenheit und in der Gegenwart hat sie auf den Altären der Ehefrau und der Mutter genug Opfer gebracht, um sich die Freiheit zu gönnen, jenseits der Grenzen dieser Rollen aktiv zu werden. Man kann nicht wissen, ob sich Maureen momentan ebenso selbstsicher und ausgeglichen fühlen würde, wenn sie sich nicht gewiß wäre, ihren Tribut entrichtet zu haben. Obwohl sich ihre Ansichten geändert haben, messen Maureens Eltern die Bedeutung ihres Kindes immer noch über den Mann, den diese geheiratet hat. Wenn überhaupt, so hatten sie nur sehr geringes Interesse an Maureens Berufskarriere, und wenn sie zu Besuch kommen oder anrufen, fragen sie weiterhin nach ihrem Ehemann, dessen Karriere und seinem Erfolg. Die Briefe von ihrer Mutter sind immer noch an Frau John Doe adressiert. Trotz der Tatsache, daß Maureen beinahe fünfzig Jahre alt ist, wird sie von ihrer Mutter nur als die Ehefrau irgendeines Mannes betrachtet. Während sie das Gefühl hat, von dem mächtigen IdeaI der Ehefrau Abstand zu gewinnen, bemüht sich Maureen immer noch herauszufinden, wer sie eigentlich ist. Weil sie sich so viele Jahre von einem fremd bestimmten Frauenbild leiten ließ, fällt es Maureen nun schwer, sich ohne ein gewisses Maß von äußeren Handlungsanweisungen adäquat zu verhalten. Neuerdings sucht sie nach alternativen Lebensmodellen, die mit dem Ideal einer Ehefrau konkurrieren könnten. Ihre Großmutter väterlicherseits, eine robuste und aggressive Frau, die in ihrem Haus den Ton angab, schien ihr in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel einer unabhängigen Frau zu sein, die sich keinem Mann unterordnete. Sie schaute sich auch bei einigen ihrer Freundinnen um, die sich eher über ihre eigenen Interessen und Karrieren definierten als über ihre Beziehungen, und sie versuchte hin und wieder, in die Rollen dieser anderen Frauen zu schlüpfen. Vor nicht allzu langer Zeit war sie über ihre Entdeckung schockiert, daß das Image von der Treuen Ehefrau immer noch in ihrem Bewußtsein umherspukte und darauf wartete, sich zu behaupten. Kurz vor Abschluß des Jurastudiums ihres Sohnes ertappte sich Maureen dabei, für ihren ehemaligen Ehemann einen Flug zu reservieren, ihm behilflich zu sein, ein Abschlussgeschenk zu finden und ihn zu entschuldigen, wenn er eine Einladung zum Abschlussessen vergessen hatte. Maureen spielte immer noch die Rolle der Treuen Ehefrau für einen Mann, von dem sie schon über zwanzig Jahre geschieden war. Eine Kardinaltugend der Treuen Ehefrau ist ihre Loyalität und Standfestigkeit. Sie »steht zu ihrem Mann«, was auch immer er tut. In den letzten Jahren waren wir Zeugen öffentlicher Loyalitätsbekundungen von Ehefrauen mächtiger Männer aus Wirtschaft, Religion und Politik, denen sexuelle Untreue vorgeworfen wurde. Nach Bekanntwerden des Vertrauensbruchs seitens der Ehemänner, arrangierten die Manager der Öffentlichkeitsarbeit ein Medienereignis, auf dem der beschuldigte Politiker seine Unschuld bekundete oder manchmal sogar um Vergebung bat, wobei seine Treue Ehefrau ihm standhaft zur Seite stand. Ihre Anwesenheit ist vieldeutig. Wenn sie ihrem Ehemann vergibt, sollte es dann nicht ebenso gut auch der Öffentlichkeit möglich sein? Darüber hinaus macht sie die moralische Überlegenheit von Frauen im allgemeinen und Ehefrauen insbesondere geltend. Ob durch die »Women's Christian Temperance Union« (Abstinenzbewegung von Frauen), die »Moral Society« (Moralische Gesellschaft) des letzten Jahrhunderts oder durch individuellen Einsatz, Ehefrauen werden traditionsgemäß als moralisches Rückgrat ihrer Familien betrachtet. Schließlich bestärkt das öffentliche Verhalten der Ehefrauen von Politikern das Bild von der Treuen Ehefrau, deren Loyalität ungebrochen und deren Bereitschaft, zu vergeben grenzenlos ist. Wenn der Ehemann seine Frau ganz offensichtlich mißhandelt, indem er sie schlägt und erniedrigt, dann wird aus der Treuen Ehefrau die mißbrauchte Ehefrau. Sie kehrt zum wiederholten Male zu ihrem Ehemann zurück, unabhängig davon, was er ihr oder ihren Kindern antut. Dabei ist sie festen Glaubens, daß ihr Platz an seiner Seite sei, oder sogar, daß sie zu Recht mißhandelt wurde. Wenn sie eine bessere Ehefrau wäre, würde er sie nicht so grausam behandeln. Sollte sich eine Frau in der Falle des Ideals der Treuen Ehefrau befinden, denkt sie nicht im entferntesten an die Möglichkeit, ihren Ehemann, der sie mißbraucht, zu verlassen.
Leslies Geschichte
Leslies Mutter war der Ansicht, es wäre das Los einer Frau durchzuhalten. Sie beurteilte Frauen, die ihre Ansprüche geltend machten oder versuchten, in ihren Familien zu dominieren, als anmaßend und arrogant. Leslies Vater misshandelte seine Ehefrau und seine Kinder sowohl verbal als auch physisch. Leslies Mutter wurde während ihres gesamten Ehelebens unterdrückt und erniedrigt und, in Leslies Worten, »wie ein Fußabtreter behandelt«. Obwohl sie verbal und seelisch misshandelt wurde, verteidigte Leslies Mutter jedoch ununterbrochen ihren Ehemann und verlangte von ihren Kindern, ihn zu respektieren. Leslies Mutter hatte drei Töchter und einen Sohn, und obwohl sie die besondere Aufmerksamkeit, die ihrem Bruder in ihrer Kindheit entgegengebracht wurde, bedauerte, bevorzugte auch sie ihren Sohn, indem sie ihn wie einen kleinen Prinzen behandelte. Ihre Töchter waren unbedeutend. Sie glaubte, daß Mädchen machtlos und unwichtig wären, und vermittelte dieses Gefühl auch ihren Töchtern. Leslies Mutter fühlte sich außerstande, ihre Töchter für das Leben in der Welt vorzubereiten, und gab ihnen zu verstehen, daß ihre einzige Hoffnung darin bestehe, sich einen Mann zu suchen, der sich finanziell und gefühlsmäßig um sie sorgen würde. In dieser Welt könnten sie nur als Treue Ehefrauen überleben. Leslie war ein schüchternes, ruhiges Kind, das niemals glaubte, sehr klug, sehr schön oder sehr kreativ zu sein. Sie war der Ansicht, daß ihre beste Lebensstrategie darin bestehe, ruhig zu sein und so wenig Aufmerksamkeit wie nur möglich auf sich zu lenken. Als Leslie dreizehn Jahre alt war, lernte sie einen Mann kennen, der zehn Jahre älter war als sie und ihr gegenüber sexuelle und gefühlsmäßige Annäherungsversuche machte. Anstatt darüber entsetzt zu sein, daß ein älterer Mann an ihrer Tochter interessiert war, war Leslies Mutter höchst erfreut. Sie betrachtete es als eine Chance, daß Leslie früh heiraten und die Familie verlassen würde, um sich ein vernünftiges Leben zu sichern. Leslie erinnert sich an die Worte ihrer Mutter, die glaubte zu wissen, was für ihre Tochter am besten sei, und folgenden Plan geschmiedet hatte: Leslie sollte sich weiterhin mit diesem Mann verabreden, bis sie alt genug wäre, um ihn zu heiraten. Leslie erinnert sich, ermahnt worden zu sein, ein liebes, kleines Mädchen zu sein und die Wünsche ihres Mannes zu befolgen. Damit wurde ihre Karriere als Ehefrau schon eingeleitet. Es ist schon bemerkenswert, daß eine Mutter ihre Tochter in diesem frühen Alter in eine derartige Beziehung drängt. Obwohl sie letztendlich weder sexuell mißbraucht noch vergewaltigt wurde, erinnert sich Leslie, mit der Sexualität vertraut gemacht worden zu sein, bevor sie alt genug war, um zu wissen, was eigentlich geschah. Sie hatte jedoch den Eindruck, keine andere Möglichkeit zu haben, als den Wünschen dieses Mannes zu entsprechen. Schon sehr früh wurde ihr klar, daß es ihre Bestimmung war, ein ähnliches Leben zu führen wie ihre Mutter; sie würde einen Mann heiraten, den sie nicht liebte; sie würde erniedrigt und mißbraucht werden, und sie würde, wie ihre Mutter, durchhalten. Eine Treue Ehefrau, die in die Fußstapfen der anderen tritt. Trotz der Tatsache, daß ihre Zukunftsaussichten recht düster waren, erinnert sich Leslie, eingewilligt zu haben, weil sie, ihren Worten zufolge, ihre »Mutter bewunderte und alles tat, um sie glücklich zu machen«.
Ihre ganze Kindheit hindurch hat Leslies Mutter für ihre Tochter die Wirklichkeit interpretiert. Unglücklicherweise entsprach die Geschichte, die ihr ihre Mutter erzählte, nicht den Tatsachen. In ihrem Buch Mütterliches Denken hat Sara Ruddick darauf hingewiesen, daß diese standardisiert formulierten, trügerisch heiteren Geschichten über die Bedeutung des Lebens zu einem falschen Selbstbewußtsein führen können, wenn sie von einem Kind für bare Münze genommen werden. [17] Wenn ein Kind seine Mutter innig liebt, wird es wahrscheinlich nicht die Glaubwürdigkeit ihrer Geschichten in Frage stellen. Obwohl sie mit ihren eigenen Augen sehen kann, wie schwer das Leben und wie unbefriedigend die Ehe ihrer Mutter ist, wird die Tochter die Erzählung der Mutter und deren verzerrte Einstellung zur Realität eher akzeptieren, als deren Ansichten in Frage zu stellen. Diese Ansichten werden insbesondere dann bestärkt, wenn die Mutter sich auf ein kulturell idealisiertes Bild von der Frau stützt. All dies traf gewiß auf Leslie zu. Trotz ihrer Intuition, daß das Verhältnis mit diesem Mann ein Fehler war, folgte sie eher den Anordnungen ihrer Mutter, als deren Autorität in Frage zu stellen. Weil Leslie niemals ermutigt wurde, etwas erfolgreich zum Abschluß zu bringen, glaubte sie, nicht unbedingt sehr intelligent zu sein oder die Fähigkeit zu besitzen, irgend etwas selbständig machen zu können. Deshalb meinte sie, keine andere Alternative zu haben, als ihr Schicksal als Kind-Braut auf sich zu nehmen und dem Plan zuzustimmen, der ihr unterbreitet wurde. Leslie versuchte zweimal die Beziehung zu diesem Mann zu beenden, und einmal dauerte die Trennung tatsächlich beinahe ein Jahr. Aber ihre Mutter ermutigte sie, zurückzukehren und sagte: »Was sollte mit diesem Mann nicht stimmen? Er scheint dich zu mögen, und letztendlich schlägt er dich nicht.« Zu dieser Zeit hatte Leslie den Eindruck, daß es ihr Schicksal war, diese lieblose Ehe fortzusetzen. Als sie diesen Mann schließlich heiratete, kapselte sich Leslie gefühlsmäßig ein und konnte einige Monate weder essen noch schlafen. Heute glaubt sie, während ihrer hoffnungslosen und verzweifelten Ehe an einer klinischen Depression gelitten zu haben. Leslie fühlte sich wie ein verurteilter Sträfling, als sie in die Falle ging, in die sie vom Ideal der Treuen Ehefrau gelockt wurde. Leslies Ehemann war ziemlich verunsichert und fühlte sich von jeder unabhängigen Beziehung, um die sich seine Frau bemühte, bedroht. Deshalb war Leslie während ihrer ersten Ehejahre von anderen Leuten isoliert. Ihr Ehemann erlaubte ihr aber, Kurse an der Volkshochschule zu besuchen. Aus irgendeinem Grunde hatte er das Gefühl, daß Wissen und Lernen für ihn keine Bedrohung waren, und Leslie erschloß sich eine literarische Welt, die ihr eine Fluchtmöglichkeit und Trost boten. Leslie erinnert sich, daß sie schon immer in ihrem Leben ein Kind haben wollte. Mit diesem Wunsch wurde sie jedesmal von ihrem Ehemann gehalten, sowie sie ihm sagte, daß sie sich von ihm trennen wolle. Wenn sie ihre Absicht äußerte, ihn zu verlassen, sagte er ihr, daß sie ein Kind haben könne. Da sie sich nicht vorstellen konnte, allein erziehende Mutter zu sein, glaubte sie, daß sie diesen Traum nur dann verwirklichen könnte, wenn sie bei ihrem Mann blieb. Ihr schien, daß sie sich ihren Herzenswunsch nur erfüllen könne, wenn sie sich selbst aufopfern würde. In einem Zeitraum von zehn Jahren hatte Leslie mit ihrem Ehemann drei Kinder. Sie erinnert sich, daß es ihr Freude bereitete, ihre Söhne großzuziehen, und daß es für sie wichtig war, drei Jungen zu haben. Sie glaubte, die Kette der misshandelten Frauen innerhalb der Familie zu durchbrechen, indem sie Söhne zur Welt brachte. Jungen wurden geschätzt und waren nützlich, und ein Sohn würde sich niemals erniedrigt oder verloren fühlen, wie es bei ihr und ihrer Mutter der Fall war. Obwohl ihr die Erziehung ihrer Söhne Freude bereitete und Trost gab, war für Leslie das Leben mit ihrem Ehemann so, als ob sie lebendig begraben wäre. Einmal dachte sie an Selbstmord, weil sie es nicht mehr ertragen konnte. Sie wußte nicht, wie sie in dieser Welt ohne einen Mann zurechtkommen sollte. Sie war von den Ansichten ihrer Mutter derartig überzeugt, daß Frauen, die nicht an der Seite eines Mannes lebten, nutzlos und wertlos wären, daß sie sich ein eigenständiges Leben nicht vorstellen konnte. Als Leslie einmal unter besonders starken Depressionen zu leiden hatte, schlug ihr eine Freundin vor, einen Therapeuten aufzusuchen. Leslie befolgte diesen Rat und begann ihre Therapie, indem sie der Therapeutin eröffnete: »Ich möchte als erstes klarstellen, daß ich meinen Ehemann nicht verlassen werde.« Das Ideal der Treuen Ehefrau war tabu. Die Therapeutin, die sehr einfühlsam war und einen feministischen Standpunkt vertrat, arbeitete mit Leslie innerhalb der Grenzen, die auf deren Wunsch von der Therapie nicht überschritten werden sollten. Gleichzeitig war die Therapeutin auch draufgängerisch und setzte sich über alle Kriterien hin-weg, nach denen sich, Leslie zufolge, eine Frau zu richten habe. Wenn Leslie die Ereignisse innerhalb ihrer Familie beschrieb, sagte sie z. B. ganz ungezwungen: »Ich würde diesen Trottel rauswerfen.« Leslie erinnert sich, anfangs von dieser unverfrorenen Einstellung ziemlich schockiert, insgeheim aber über ihre unterschiedlichen Anschauungen erfreut gewesen zu sein. Ganz offensichtlich war die Therapeutin keine Treue Ehefrau. Sie versuchte, Leslie verständlich zu machen, daß es für eine Frau völlig in Ordnung sei, sich zu amüsieren, das Leben zu genießen, Ansprüche zu stellen und vor allem, auf sich selbst zu achten. Nach zwei Jahren Therapie fühlte sich Leslie schließlich stark genug, ihre unglückliche Ehe zu beenden. Als sie ihrem Ehemann das erste Mal sagte, daß sie ausziehe, lachte er sie aus. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es ihr ernst war. Er war zutiefst davon überzeugt, daß sie wirklich das passive Opfer war, das er aus ihrer zwanzigjährigen Ehe kannte, so daß er sie sich gar nicht mehr anders vorstellen konnte. In ihren ersten zwei Trennungsjahren war Leslie bemüht, mit der neuen Situation fertig zu werden: Sie kümmerte sich um den Haushalt, zog ihre Kinder groß, tat Sachen, die sie sich vorher nicht zugetraut hätte. Anfangs war Leslies Mutter von ihrem Entschluß, unter ihr Leben als Ehefrau einen Schlußstrich zu ziehen, beunruhigt. Immerhin hatte sie es mit ihrem eigenen grausamen Ehemann fast fünfzig Jahre ausgehalten. Kurz nach Leslies Trennung wurde ihre Mutter ernsthaft krank, und nachdem sie während ihres Krankenhausaufenthaltes von den Ärzten hörte, daß ihr Leben auf dem Spiel stehe, stand für sie fest, daß sie ihre Ehe nicht länger ertragen könne. Sowie sie den Entschluß gefaßt hatte, ihren Ehemann zu verlassen, weigerte sie sich, ihn jemals wiederzusehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, auch nur noch eine Minute mit ihm zu kommunizieren oder überhaupt etwas zu tun zu haben. Die Vorstellung von der Treuen Ehefrau war zerbrochen, und sie hatte kein Interesse, die Scherben wieder zusammen zu kitten. Im Alter von fünfundsiebzig Jahren begann sie mit sehr wenig Geld ein selbständiges Leben zu führen, und in den sieben Jahren, die ihr verblieben, verbrachte sie, ihren Worten zufolge, »die einzig glückliche Zeit, die ich jemals gehabt habe«. Sie übernahm ehrenamtliche Tätigkeiten, wurde gesellig und begann ihre Kontaktängste gegenüber anderen Menschen zu überwinden. Sie bemühte sich, ihren Töchtern näher zu sein, umarmte sie, liebte sie und sagte ihnen, daß sie ihr viel bedeuten. Es ist nicht unerheblich, daß Leslies Trennung von ihrem Ehemann der Entscheidung ihrer Mutter, ihre eigene unglückliche Ehe zu beenden, vorausging. Leslie glaubte, und ihre Schwestern bestätigen sie darin, daß ihre Mutter durch ihr Beispiel ermutigt wurde, sich schließlich von einer fünfzigjährigen Mißhandlung zu befreien. Es schien, als ob ihre Mutter erst mit dem zerbrochenen Image von der Treuen Ehefrau konfrontiert werden mußte, bevor sie es wagte, ihr eigenes Verhalten zu ändern. In einem Dialog mit ihrer Mutter schrieb die Dichterin Chung Mi Kim 1980: »Spiegel an Spiegel, durch mich sehe ich dich, wie du mich siehst.« [18] In diesem Gedicht sind Mutter und Tochter gegenseitige Spiegelbilder. Auf ähnliche Weise spiegelt sich für Leslie und ihre Mutter die Realität jeweils im anderen wider. Anfangs konnte Leslie in sich selbst das Leben ihrer Mutter wiedererkennen. Als sie sich selbst betrachtete, sah sie ihre Mutter und fühlte sich außerstande, den Teufelskreis der Mißhandlungen, der ihre Mutter gefangen hielt, zu durchbrechen. Leslie erinnert sich, daß die Annahme des Namens ihres Ehemanns ein traumatisches Erlebnis war; sie wollte keinesfalls ihre Identität ändern; dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, welchen anderen Namen sie annehmen sollte. Der Name ihres Vaters war der Name eines Peinigers; der Name ihres Großvaters war der Name eines Peinigers; in der Rückverfolgung ihrer Familiengeschichte konnte sie nicht eine einzige Frau ausfindig machen, die einen Namen hatte, den sie gern gewollt hätte. Umgekehrt sah Leslies Mutter im Gesicht ihrer Tochter das Spiegelbild ihres eigenen Lebens. Als sie beobachtete, wie ihre Tochter Stärke und Unabhängigkeit bewies und den Teufelskreis der Mißhandlungen durchbrach, war es ihr möglich, sich diese Eigenschaften einzuverleiben und ihr eigenes Leben zu ändern. Ihre Stärke war zuerst eine Reaktion auf die Stärke ihrer Tochter. Nachdem sie einige Jahre allein gelebt hat, trägt sich Leslie nun wieder mit dem Gedanken, eine Beziehung einzugehen. Dies geschieht aber auf der Basis eines völlig neuen Selbstverständnisses, indem sie den Glauben an die Schicksalhaftigkeit ihrer Mißhandlungen abgestreift hat. Heute ist sie darüber hinaus Mitglied einer aktiven feministischen Gemeinschaft, in der die Regeln, an denen sich das Leben einer Frau orientiert, anders bestimmt sind. Ein nettes Mädchen zu sein, sich selbst zu verleugnen und den Bedürfnissen eines anderen gerecht zu werden sind in ihrer feministischen Familie nicht gerade hoch geschätzte Eigenschaften. Die Treue Ehefrau ist eine Persona non grata. Um Mitglied dieser neuen Gemeinschaft zu bleiben, muß Leslie ihren eigenen Maximen treu bleiben.
Die Glückliche Hausfrau
Das Bild einer Frau, die sich dem Haus und der Familie verschrieben hat, ist in den mannigfaltigsten Formen in verschiedenen Kulturen zu verschiedenen Zeiten dargestellt worden. Virginia Woolf nannte sie »den Engel des Hauses«. [19] Die Aufgabe des Engels bestand darin, dafür zu sorgen, daß alles im Hause reibungslos verlief, selbst wenn dabei seine eigenen Bedürfnisse geopfert werden mußten. Er kümmerte sich um die anderen, wie eine perfekte Portiersfrau, indem er sie zurückhaltend aber wirkungsvoll mit den Notwendigkeiten des täglichen Lebens versorgte und mit emotioneller Anteilnahme zur Seite stand. In der viktorianischen Epoche repräsentierte das Wort »Mutterschaft« die Vorstellung von einer Frau, die sich über die Hingabe an Heim und Familie definierte. Die Familie gedieh in »der warmen Sonne der Mutterschaft«. [20] Später, zur Zeit des Nationalsozialismus im Deutschland der dreißiger Jahre, umschrieben die Schlagworte Kinder, Küche, Kirche (i. 0. D.) die Aufgaben dieses idealisierten Bildes einer Hausfrau. [21] Die Aufgabe einer Frau bestand in der Aufrechterhaltung traditioneller Werte und in der Unterstützung und der Pflege ihrer Familie. In den letzten Jahren hat uns das Fernsehen mit einigen Images von dieser idealisierten Version des Familienlebens vertraut gemacht, in der die Mutter als stabilisierende Bezugsperson fungiert und dafür einsteht, daß die Funktionen der Familie auf liebevolle und rücksichtsvolle Art und Weise erfüllt werden. In den fünfziger Jahren tanzte in den Werbekampagnen die Glückliche Hausfrau durch ihre total elektrifizierte Küche und war ausschließlich von dem Wunsch beseelt, die verschiedenen Apparate in den Dienst der Familie zu stellen. Diese Porträts lassen sich auf die Anschauungen des letzten Jahrhunderts über die »Domäne der Frau« zurückführen. [22] Das eigentliche Reich einer Frau war im allgemeinen ihr Heim, in dem sie mit einer festen, aber liebevollen Hand das Zepter führte. Das Heim, dem eine Frau vorstand, schuf einen warmen und erholsamen Ausgleich zu den Härten und dem Wettbewerb der Arbeitswelt. Indem sie das häusliche Leben als ihren Auftrag schlechthin betrachtete, konnte die Glückliche Hausfrau zum reibungslosen Funktionieren ihrer Gemeinde und ihres Landes beitragen.
Cynthias Geschichte
Cynthia wuchs in einer kleinen Stadt auf und war die jüngste Tochter einer großen Familie. Jedes ihrer Elternteile hatte sechs Geschwister, und die Familien lebten nicht weit voneinander entfernt. Den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte Cynthia mit »Blutsverwandten«, und ihre Familie hatte einen stark ausgeprägten Sinn für Harmonie und Sicherheit. Die Frauen in ihrer Familie waren tüchtige Hausfrauen, die ihren arbeitenden Männern das Leben angenehm und bequem machten. Ihre Eltern hatten recht eindeutige Vorstellungen im Hinblick auf Cynthias und deren Schwestern Zukunft und sagten ihnen: »Heiratet, werdet glücklich, gründet eine Familie bekommt Kinder; Kinder sind so wichtig.« Cynthia stellte diese elterlichen Werte nie in Frage, auch bezweifelte sie nicht, schließlich diese Ziele zu erreichen. Nach ihrem Schulabschluß beschloß Cynthia jedoch, das College zu besuchen. Damit war sie das erste Familienmitglied, das das vierjährige Regelstudium absolvierte, im Unterschied zu ihrer Mutter, die nicht einmal einen Oberschulabschluß hatte. Cynthia entschied sich für ein College, das von ihrer Heimatstadt weit entfernt lag. Als sie ihr Elternhaus im Alter von achtzehn Jahren verließ, trennte sie sich zum ersten Mal von ihrem fest gefügten, Rückhalt bietenden Familienverband. Nach ihrem College-Abschluß kehrte Cynthia anfangs in ihr Elternhaus zurück. Nach einem kurzen Zeitraum zog sie in eine Mietwohnung, blieb aber in derselben Stadt, in der ihre große Familie wohnte. Während sie ein selbständiges Leben führte und arbeitete, entdeckte Cynthia eine Seite an sich selbst, die ihr vorher nicht bekannt war. Es gefiel ihr zu arbeiten, ihr eigenes Geld zu verdienen und anderen Leuten einen wertvollen Dienst zu erweisen. Tatsächlich sagte sie: »Ich identifiziere mich mit meiner Arbeit. Ich liebe es, draußen in der Welt zu Sein.« Im Alter von fünfundzwanzig Jahren hatte Cynthia den Mann kennen gelernt, den sie später heiratete. Jedoch stürzte sie sich nicht übereilt in die Ehe und Mutterschaft, statt dessen zogen sie und ihr Ehemann in einen Nachbarstaat, wo sie ihr Fachstudium fortsetzten. Beide waren aktiv mit dem Ausbau ihrer Karrieren beschäftigt, und Cynthia fühlte sich intellektuell herausgefordert und interessierte sich für die Forschung, Welten, die ihrer Familie nicht bekannt waren. Nach ihrem Fachstudium entschlossen sich Cynthia und ihr Ehemann in einer interessanten, weltoffenen Stadt zu wohnen, weitab von den Provinzstädten, in denen sie aufgewachsen waren. Insbesondere Cynthia hatte das Gefühl, noch zu nahe bei ihrer sie einengenden Familie zu wohnen. Sie befürchtete, daß es ihr nicht möglich wäre, diese neue und aufregende Seite ihrer selbst auszuleben, wenn sie wieder in der Nähe ihrer Schwestern und Cousinen wohnte. Cynthia erinnert sich, diese Zeit in ihrem Leben als überaus anregend empfunden zu haben. Sie hatte das Gefühl, ihr »Leben sei großartig«. Ihr gefiel ihre Ehe, ihr Beruf, und sie wollte noch kein Kind haben. Sie erinnert sich, überlegt zu haben: »Ich werde schließlich ein Kind haben, aber dann werde ich drei Monate zu Hause bleiben und anschließend wieder einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen.« Der Plan war für sie ganz klar. Ein Kind würde sich mit ihrem Leben als Karriere-Frau in Einklang bringen lassen. Sie dachte: » Dies ist ein ganz neues Leben, ich möchte nicht dahin zurück, wo ich hergekommen bin.« Einige ihrer Entscheidungen hatten sich weit vom Image des »Engels im Hause« entfernt, von der guten Frau, die in der Nähe ihrer Eltern und Geschwister lebt und Kinder aufopferungsvoll und geduldig großzieht. Sie hatte sich entschlossen, einen intellektuellen Beruf fortzuführen, und nutzte die Gelegenheit, ihre eigene Weiblichkeit und Sexualität zu erforschen. Sie genoß ihre Freiheit als eine quasi alleinstehende Frau und ihre Ehe mit einem Mann, der sich von ihrem Vater und ihren Onkeln stark unterschied. Cynthia hatte sich jedoch keineswegs der idealisierten Vorstellung von der Frau entledigt, auf deren Altar sie, wie man ihr beigebracht hatte, zu opfern habe. Anfang ihrer dreißiger entschloß sich Cynthia eine eigene Familie zu gründen, und nachdem sie einen Monat versucht hatte schwanger zu werden, erwartete sie schließlich ein Kind. Es gefiel Cynthia, wie leicht es war, schwanger zu werden, und sie freute sich darauf, diese neue Erfahrung ihrem erfüllten und aufregenden Leben hinzufügen zu können. Innerhalb von zehn Wochen brach jedoch die Welt wegen einer Fehlgeburt zusammen. Dieses Trauma leitete eine vierjährige Periode von Selbstzweifeln und qualvollen Spannungen ein, zwischen Cynthias neuem Selbst und ihren alten Familienwerten. Cynthia war über die Fehlgeburt ihres Kindes, mit dem sie sich schon innigst verbunden fühlte, furchtbar unglücklich. Sie hatte diesem ungeborenen Kind in Gedanken schon einen Namen gegeben. Während der Rekonvaleszenz von ihrer Frühgeburt, plante Cynthia einen längeren Besuch bei ihrer Familie. Ihre Rückkehr zur Familie kennzeichnete Cynthias ersten Versuch, der Vorstellung von traditioneller Weiblichkeit, der Glücklichen Hausfrau nachzugeben. Sie hatte das Gefühl, zu weit vom Weg der Traditionen, mit denen sie aufgewachsen war, abgekommen zu sein, und sie hatte das Bedürfnis, im übertragenen und psychologischen Sinne, zum »Weg der Familie« zurückzukehren. Nachdem sie ein Jahr lang versuchte, nochmals schwanger zu werden, begann Cynthia zu überlegen, daß irgend etwas mit ihr nicht in Ordnung sei, und zwar nicht im biologischen, sondern im moralischen Sinne. Sie hatte gesündigt und wurde nun dafür bestraft. Trotz ihrer Ängste wurde Cynthia zum zweiten Mal schwanger, aber wiederum kam es zu einer Fehlgeburt. Ihre zweite Fehlgeburt fiel auf den Heiligen Abend, und für Cynthia war dieser Symbolismus unmißverständlich. Weihnachten war eine Zeit der Geburt, eine Zeit, in der Familienwerte bestätigt werden, und anstatt ein Kind zu gebären, hat sie ein Kind verloren. Nach ihrer zweiten Fehlgeburt, sagte ihr der Arzt in aller Deutlichkeit, daß sie niemals mehr schwanger werden könne. Sie empfand diese Diagnose wie einen Fluch. Cynthia fühlte sich aus der Gemeinschaft der Frauen ausgeschlossen, als ob sie eine furchtbare Sünde begangen hätte. Für einige Monate nach der Diagnose war es Cynthia nicht möglich, Freundinnen zu sehen, die schwanger waren oder kleine Kinder hatten. Sie glaubte, ihr Körper wäre nicht funktionstüchtig, daß irgend etwas mit ihr nicht stimme und daß sie, in einem tieferen Sinne, unvollkommen sei. Für einige Jahre waren Cynthia und ihr Ehemann bemüht, all die neuen Technologien anzuwenden, die eine neue Empfängnis ermöglichen würden. Die Verfahren waren schmerzhaft, teuer und oft erniedrigend. Cynthia erinnert sich, während ihrer Arbeitszeit Tests gemacht zu haben und einige Male am Tag ins Bad geschlichen zu sein. Sie fühlte sich schuldig und schämte sich, als ob sie ein Geheimnis hätte, das sie anderen Leuten nicht mitteilen dürfe. Zu dieser Zeit begann Cynthia die Bedeutung ihrer Unfruchtbarkeit folgendermaßen zu umschreiben: »Ich hätte keinen Geschlechtsverkehr vor meiner Ehe haben dürfen. Ich hätte keine Geburtenkontrolle praktizieren dürfen. Gott bestraft mich. Ich muß eine sehr schlechte Person sein.« Wenn sie vernünftig darüber nachdenkt, weiß Cynthia, daß die Erklärung nicht richtig ist; sie ist aber immer wieder geneigt zu glauben, ihre Unfruchtbarkeit sei ein Resultat, das nur sie zu verantworten habe. Während sie ihre Sexualität als ihre Hauptsünde betrachtet, spricht sie darüber hinaus von einem allgemeinen Verbrechen, das sie begangen habe: die Nichterfüllung des ihr erteilten Auftrags, eine Glückliche Hausfrau zu sein. Manchmal glaubte Cynthia, ihre Unfruchtbarkeit sei eine Vergeltung für ihre Entscheidung, eine freie, moderne Frau zu sein, die sich nicht von traditionellen Vorstellungen einengen läßt. Cynthia war über ihre Unfruchtbarkeit so bestürzt, daß sie ihrem Ehemann anheim stellte, sie zu verlassen, weil sie die Schuld auf sich nahm, keine Kinder haben zu können. Sie bot ihm seine Freiheit an, damit er eine jüngere und vielleicht unverdorbene Frau finden könne, mit der er eine Familie gründen könnte. Schließlich bewältigten Cynthia und ihr Ehemann einen Teil ihres Schmerzes und faßten den Entschluß, ein Kind zu adoptieren, ein Entschluß, über den sie beide immer noch sehr glücklich sind. Eine Adoptivmutter zu werden, war für Cynthia keineswegs unproblematisch. Anfangs fragte sie sich, ob sie ein adoptiertes Kind lieben und umsorgen könnte. Innerhalb Cynthias eigener Familie definiert sich Verbundenheit über Blutsverwandtschaft; es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, Mutter eines Kindes zu sein, mit dem sie biologisch nicht verwandt war. Die Schwierigkeiten, die für Cynthia damit verbunden waren, eine Mutter zu werden, standen in merklichem Kontrast zu der sorglosen und heiteren Stimmung der Glücklichen Hausfrau. Als ihr adoptiertes Kind aus dem Krankenhaus nach Hause kam, war Cynthia erleichtert, schließlich doch noch der Welt der Mütter anzugehören. Sie hatte jedoch sofort ihre Zweifel, eine gute Mutter zu sein. Sie hatte erwartet, in einer gewissen Euphorie ihr Kind nach Hause zu bringen, und war beunruhigt darüber, sich wegen dieser neuen Person in ihrem Leben verspannt, unbehaglich und ambivalent zu fühlen. Sie sehnte sich nach ihrer Arbeit und den Leuten, die sie als eine kompetente, berufstätige Frau schätzten. Als ihre Tochter erst einige Monate alt war, wurde Cynthia eine Teilzeitarbeit in ihrer alten Firma angeboten. Obwohl sie mit dem Gedanken spielte, das Angebot anzunehmen, lehnte sie schließlich ab, weil sie glaubte, es läge nun in ihrer Verantwortung, die allerbeste Mutter zu werden, zumal sie solange warten mußte, um dieses Kind zu bekommen. Sie war verpflichtet, sich zu bessern, um »Engel des Hauses« zu sein, indem sie das Leben außerhalb ihres Heims aufgab. In ihrem Versuch, zu den Werten, mit denen sie aufgewachsen war, zurückzufinden, schwor sich Cynthia, eine »Super-Mama«, eine »Super-Ehefrau« und eine »Super-Hausfrau« zu werden. Weil sie anfangs unter schärfster Beobachtung der Adoptionsagentur stand, spürte Cynthia einen noch stärkeren Druck, eine ideale, absolut perfekte Mutter zu sein. Sie war sehr ängstlich, sowie ihre Tochter eine der üblichen Kinderkrankheiten bekam. Wenn sie ihr Kind wegen eines Schnupfens oder eines normalen Nässeausschlags zum Arzt brachte, hatte sie Befürchtungen, der Vernachlässigung oder Mißhandlung beschuldigt zu werden. Wiederum wird Cynthia von Ängsten geplagt, obwohl ihr bewußt ist, daß es sich teilweise um völlig irrationale Symptome handelt. Sie ist besessen, den Beweis erbringen zu müssen, eine gute Mutter zu sein, indem sie demonstriert, die Frau sein zu können, zu der sie erzogen wurde. Ihre Wiedergutmachung erschöpft sich nicht in ihren Aktivitaten als Mutter. Cynthia ist ebenfalls bemüht, eine hilfsbereite Ehefrau zu sein. Eine Ehefrau, die, in ihren Worten, »wie in den fünfziger Jahren« ihren Lebensunterhalt verdienen muß und ihrem Ehemann durch Unterstützung und Ermutigung zur Seite steht, während er zur Arbeit geht. Manchmal ist Cynthia verärgert, weil sie allen Bedürfnissen ihres Mannes nachkommt. Wenn sie mit ihm darüber spricht, wird sie daran erinnert, daß er sie niemals darum gebeten hat, eine perfekte Ehefrau zu sein; dieses Programm hat allein sie zu verantworten. Für Cynthia war es auch wichtig, einen perfekten Haushalt zu führen, und sie verbringt einen großen Teil ihres Tages mit Saubermachen, Kochen und der Zubereitung kleiner Annehmlichkeiten, die das Leben im Haus erfreulicher gestalten. Oft kommt es vor, daß Cynthia nach Beendigung einer besonders mühsamen Reinigungstätigkeit ihren Mann bittet, diese Arbeit zu inspizieren, fast als ob sie seines »Gütesiegels für gelungene Hausarbeiten« bedarf, um das Gefühl zu haben, ihre Aufgaben zufriedenstellend bewältigt zu haben. Cynthias Ergebenheit gegenüber dieser traditionellen Vorstellung erfolgt nicht ohne Konflikte. Sie hat viel Wiedergutmachung zu leisten und muß den Schaden beseitigen, den sie durch ihren Wunsch, eine unabhängige und autonome Frau zu sein, angerichtet hat. Gelegentlich fühlt sich Cynthia zu Hause gelangweilt und unruhig und stellt fest, daß sie die Rolle der Hausfrau nicht voll befriedigt. Manchmal macht sie sich Vorwürfe, im Keksebacken, Vorhängeschneidern und Windelwechseln keine Erfüllung zu sehen. Sie hätte gern wieder ein monatliches Gehalt, um über ihr eigenes Geld verfügen zu können. Sie fühlt sich durch die Einschränkungen, die sie sich selbst auferlegt hat, gereizt; dennoch hat Cynthia Angst davor, zu dem Leben zurückzukehren, das sie vor ihrer Schwangerschaft geführt hatte. Cynthia glaubt, von der Welt eingeengt zu werden, als ob sie im wahrsten Sinne des Wortes vom Bild des Engels eingeschnürt wird. Manchmal träumt sie davon, in ihre Heimatstadt zurückzukehren, um in der Nähe ihrer Mutter und Schwestern zu sein. Obwohl sie ganz realistisch einzuschätzen weiß, daß dies kein heilsamer Ausweg wäre, wird sie von der Sicherheit in Versuchung geführt, die sie, ihres Wissens, durch die absolute und totale Rückkehr zum Image der Glücklichen Hausfrau vermittelt bekäme.
Die Super-Mama
Eine Frau, die mit dem Bild der Super-Mama identifiziert wird, »hat alles, worauf es ankommt«, oder, weitaus wichtiger, macht alles, worauf es ankommt. Sie ist eine Ehefrau, eine Mutter, eine Arbeiterin und eine unabhängige Frau. Mehr als alles andere beweist uns dieses Image, daß die häuslichen Verpflichtungen einer Frau durch die Verantwortungen außerhalb des Hauses nicht beeinträchtig werden. Die Geschichten über Super-Mamas sprechen Bände über Tätigkeiten wie Keksebacken um vier Uhr morgens, jede Woche kilometerweit zu fahren, um Kinder zu den verschiedensten Veranstaltungen zu bringen, und gleichzeitig nicht einen Tag auf der Arbeit oder bei Aerobic-Kursen zu fehlen. In den letzten Jahren haben die Diskussionen über das Leben der Super-Mama ein neues Vokabular produziert, um die Erfahrungen von Frauen, die sich in der Falle dieses Images befinden, zu beschreiben. Super-Mamas müssen mit zahlreichen Verantwortungen »jonglieren«, eine Aufgabe, die sie manchmal dadurch bewältigen, daß sie ihre Verpflichtungen gegenüber ihrem Beruf und ihrem Familienleben »zeitlich einteilen«. In der Boulevardpresse wurde von soziologischen Studien über die Auswirkungen des Jonglierens und Zeiteinteilens nur berichtet, um das Bild von der Super-Mama zu verabsolutieren und zu bestätigen. Frauen, die sich in der Falle des Images von der Super-Mama befinden, tragen ihre Geschäftigkeit wie einen Ehrenorden. In der Einleitung zu einem Buch über das Jonglieren (die erste Tugend der Super-Mama) wird gesagt: »Die Jongleurin, (die) am Ende des Tages glücklich und erschöpft - oder nur erschöpft ins Bett fällt und sich wundert, warum ihre >Soll-Liste< nicht kürzer geworden ist, als sie es morgens beim Aufstehen war.« [23] Eine Frau erzählte, wie sie bei ihren Zusammenkünften mit ihren Freundinnen miteinander wetteifern, wer am meisten getan hat und wessen Arbeitsplan am umfangreichsten ist. Mit fünf Kindern und einem privaten Consulting-Büro verkündete diese Frau voller Stolz, meist die Siegerin zu sein. Es wurde darauf hingewiesen, daß Misch-Images wie die Super-Mama nur zu bestimmten Zeiten in einer Kultur auftreten, und zwar dann, wenn sich die Dinge im Fluß befinden, wenn die Vorstellungen einer Generation von denen der nächsten verdrängt werden. Während dieser Zeiten des »Übergangs« gibt es Frauen, die mit den Traditionen ihrer Mütter gebrochen haben, aber noch über keine lebensfähigen Vorbilder oder Rollenmodelle verfügen, wie das Leben einer Frau zu führen sei. [24]
Sobald sich kulturelle Rollen und Erwartungen ändern, gerät eine Übergangsgeneration zwischen die Fronten der Erwartungen der Vergangenheit und den Bestrebungen der Zukunft. Frauen, die diesen Übergangsphänomenen unterworfen sind, sehen sich einer Mischung aus Schuldgefühl und Verwirrung konfrontiert. Sie sind verwirrt, weil es keine Richtlinien für das Leben gibt; darüber hinaus fühlen sie sich schuldig, weil sie mit den Verhaltensmustern ihrer Mütter gebrochen haben. [25] Viele Frauen der Übergangsgeneration machen in ihrem Erwachsenenleben die Erfahrung, mit zwei Lebensweisen zurechtkommen zu müssen: Die Frau engagiert sich praktisch in den Aktivitäten der Generation ihrer Mutter, und gleichzeitig ist sie in neue Handlungsmuster verstrickt, die ihrer eigenen ausbrechenden Generation zugehören. Indem sie die Qualitäten der Ehefrau und der Mutter mit größter Unabhängigkeit und Eigendirektive verbindet, wird die Super-Mama zu einem perfekten Übergangsimage. Soziologen vermuten, daß die Töchter von Frauen einer Übergangsgeneration nicht mit der gleichen Schuld und Verwirrung zu kämpfen haben werden. [26]
Es wird ihnen möglich sein, mühelos den Beispielen ihrer Mütter zu folgen, die in einem gewissen Sinne Neuland betreten haben. Wahrscheinlich wird es sich bei der Super-Mama um ein kurzlebiges Image handeln, die Unbesonnenheit, alles tun zu müssen, wird sich abnutzen. Frauen, die sich mit diesem Bild identifizieren, werden ihren Gesundheitszustand und ihre Begeisterung, angesichts eines Vierundzwanzig-Stunden-Tages nicht lange beibehalten. Allein die Existenz dieses Bildes stellt die Macht der traditionellen Triade von Selbstloser Mutter, Treuer Ehefrau und Glücklicher Hausfrau unter Beweis. Ebenso, wie die ersten Studentinnen ihren Familien versichern mußten, daß sie durch ihren College-Besuch das häusliche Procedere des neunzehnten Jahrhunderts nicht verraten würden, so werden auch die gegenwärtigen Frauen, die von der Säule der Super-Mama herabsteigen, davon überzeugen müssen, daß ihr Leben außerhalb des Hauses ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Ehemännern und Kindern nicht beeinträchtigt.
Die Karriere-Frau
Die Karriere-Frau ist nicht mit der berufstätigen Frau zu verwechseln. In der Vorstellung ist die Karriere-Frau tatsächlich die Personifizierung der diabolischen Mutter im Gewand einer Geschäftsfrau. Sie ist kalt, grausam und lieblos. Sie denkt nur an sich selbst und verschlingt alle, die ihr in den Weg kommen. Ihre Eigenschaften haben kaum etwas mit der Wirklichkeit der Berufe im Leben einer Frau gemeinsam. Um dieses Bild richtig verstehen zu können, müssen wir uns erst mit der Mythologie von der dämonischen Mutter vertraut machen. Eine dämonisierte Frau in der Lebensmitte ist mächtig und fanatisch. Sie kehrt die Verhaltensmuster ihres gesunden Selbst in ihr diabolisches Gegenteil. Anstatt schöpferisch zu sein, zerstört sie; statt zu erhalten, vernichtet sie. Sie nährt und erzieht nicht, sie vernachlässigt. Es liegt nicht in ihrer Natur, die Welt ins Gleichgewicht zu bringen, sondern vielmehr, Chaos zu stiften. Märchen und Romane sind voller Beispiele von der zerstörerischen dämonischen Mutter. In vielen Geschichten zerstört sie ihre eigenen Schöpfungen, indem sie sie kannibalisch verschlingt. Sie ist eine unersättliche, unbefriedigte Frau, die nichts anderes kann, als ihre Kinder zu fressen. Die hinduistische Göttin Kali, die als junge, ihr eigenes Kind verzehrende
Frau dargestellt wird, ist eines der grausamsten Beispiele. [27] In den westlichen Volkserzählungen gibt es zahlreiche Beispiele von der bösen Stiefmutter, deren Wunsch es ist, zarte, kleine Kinder zu verspeisen. Die diabolische Mutter nimmt das Leben wieder in sich zurück. Sie vollzieht keinen Wandel, indem sie anderen Energie oder Leben einhaucht; statt dessen ist sie ein Aasgeier oder Vampir, der der Energie anderer bedarf [28]. Sie saugt anderen das Lebensblut aus den Adern, ob nun im wörtlichen Sinne in ihrer Verkörperung als Vampir oder als scheinbar gütige Mutter, die sich wahrhaftig nichts anderes wünscht, als ihre Kinder in eine Falle zu locken, sie gefühlsmäßig zu verkrüppeln und ihre Abhängigkeit und Kindlichkeit zu verewigen. Diese Mutter saugt das seelische Leben aus ihrem Kind und versagt ihm dessen unabhängige Entwicklung. Unterhält man sich mit den Mitarbeitern einer Frau, die mit dem Bild der Karriere-Frau identifiziert wird, hört man auch Vorwürfe, die Chefin bemächtige sich der kreativen Ideen ihrer Angestellten, um sie für sich zu beanspruchen, und gebe ihren Untergebenen niemals eine Chance, dem Würgegriff ihrer Kontrolle zu entkommen. Es ist bezeichnend für die diabolische Mutter, ihren Kindern eher Gift zu verabreichen, schlechtes, übles Essen zu geben oder sie zu vernachlässigen, als sie zu pflegen und zu nähren. Wie gesagt, es gibt in Märchen und Volkserzählungen zahllose Beispiele von Müttern, die mit üblem Gebräu herum hantieren und gute Nahrung vergiften. Man denke nur an Schneewittchens böse Stiefmutter, die dem jungen Mädchen den vergifteten Apfel gibt. Hunderte von Biographien wurden von den unglücklichen und wütenden Kindern berühmter Frauen geschrieben, die ihre Mütter als Vampire darstellen, die in ihrer Unfähigkeit zu geben, begierig nach den erwünschten Energien der anderen greifen. Aller Voraussicht nach zerstören diabolische Mütter ihre eigenen Schöpfungen und Geschöpfe. Es scheint, als ob sie ihren wirklichen oder symbolischen Kindern sagen möchten: »Ich bin es, die euch geschaffen hat. Dein Leben gehört mir, und ich kann damit machen, was ich will.«
Es ist nicht untypisch, daß die negative oder dämonische Mutter als eine Stiefmutter dargestellt wird. Sie steht eine Stufe unter der natürlichen Mutter, weil es uns schwer fällt, diese dämonischen Eigenschaften mit einer biologischen Mutter in Einklang zu bringen. Wir lassen diese dämonischen Aspekte einer Frau mittleren Alters nur zu, wenn es sich um eine falsche Mutter handelt. Die dämonische Mutter vernachlässigt ihre Geschöpfe. In dem russischen Volksmärchen von der Baba Yaga wird ein junges Mädchen von ihrer Stiefmutter zur bösen Baba Yaga geschickt, die die Absicht hat, das junge Mädchen zu fressen. [29] Um sich zu retten, befolgt das Mädchen die Anweisungen einer gütigen Mutterfigur, die sie darüber unterrichtet, wie sie die Tiere, die Dienerschaft und die Pflanzen des Anwesens der Baba zu nähren und zu pflegen habe. Weil sie ihre fürsorglichen und nährenden Eigenschaften beibehält, wird das Mädchen letztendlich gerettet, und das Ungeheuer kann besiegt werden. Als die Baba Yaga sich an die verschiedenen Geschöpfe in ihrem Anwesen wendet und fragt, warum diese sie verraten haben, wird sie beschuldigt, eine nachlässige Mutter zu sein. Ein Geschöpf nach dem anderen macht ihr den Vorwurf: »Ich habe dir jahrelang gedient, aber du hast mir nicht einmal einen Knochen gegeben. Sie dagegen gab mir Schinken.« Die Hunde antworteten ihr: »Wir haben dir jahrelang gedient, du hast uns nicht einmal eine Brotrinde zugeworfen. Sie dagegen gab uns frische Brötchen. « Selbst der Baum sagt: »Ich habe dir jahrelang gedient, du aber hast mich nicht einmal mit einem Seil festgebunden. Sie dagegen band mich mit einer Schleife fest.« [30] Alle Geschöpfe auf ihrem Anwesen straften sie für ihre jahrelange Nachlässigkeit. Die Baba Yaga ist das Gegenstück zur nährenden Mutter; alle Wesen ihres Herrschaftsbereichs verbünden sich mit dem jungen Mädchen, weil sie ihnen Aufmerksamkeit und Interesse entgegenbringt. Die Beschwerden der verärgerten Dienerschaft von Baba Yaga hören sich fast so an wie die Vorwürfe der Mitarbeiter einer Karriere-Frau. In ihrer dämonischen Erscheinungsform stiftet die Mutter Chaos in der Welt. Sie hat kein Interesse an Ausgleich und Harmonie. Weil sie das Gefühl hat, ungerecht behandelt worden zu sein, überschüttet sie die Welt mit Wut, Raserei und Gehässigkeiten. Sie ist rachsüchtig und boshaft und verursacht Hungersnöte, Dürren, Unfruchtbarkeit und vernichtet Leben. [31] Im griechischen Mythos von Demeter und Persephone ist Demeter über die Entführung ihrer Tochter erbost und bestraft in ihrer rachsüchtigen Raserei wegen ihres Verlustes die ganze Erde mit Verwüstung und Hungersnot. Wenn Menschen durch natürliche Katastrophen wie Orkane, Tornados und Stürme umgebracht werden, denken wir oft in Begriffen einer rasenden Mutter Natur, die durch Verwüstungen Vergeltung an der Erde übt. In Grimms Märchen von Hänsel und Gretel gibt es einige Beispiele von dieser dämonischen, selbstsüchtigen Mutter. [32] Die Geschichte beginnt mit der natürlichen Mutter von Hänsel und Gretel, die sich entschließt, ihre Kinder wegzuschicken. Für die Familie gibt es nicht genug zu essen, und die Mutter stellt ihre eigenen Bedürfnisse vor die der Kinder. Lieber würde sie die Kinder im Wald verhungern lassen, als die ganze Familie in Armut versinken zu sehen. Dieses Bild von einer egoistischen, abweisenden Mutter ist ein Musterbeispiel für eine dämonische, schlechte Mutter. Sowie sie im Wald sind, lernen die Kinder die zweite Verkörperung der diabolischen Mutter kennen, die böse Frau, die sie mit dem Pfefferkuchenhaus in ihren Machtbereich lockt. Sie weiß, daß die Kinder hungrig sind, und weiß deren Not und Abhängigkeit für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Sowie sie diese ins Haus gelockt hat, sperrt sie sie ein, um sie später aufzufressen. Erst am Ende der Geschichte wird sie überlistet, als sie die Geschwister im Topf gar kochen will. Sowohl die Frau in den Wäldern als auch die natürliche Mutter von Hänsel und Gretel sind Beispiele egoistischer und diabolischer Mütter. Diese Mütter sind mächtige Frauen; sie kontrollieren Leben und Tod und tun dies aus egoistischen, zerstörerischen und selbstherrlichen Zwecken. Es ist leicht festzustellen, wie die Vorstellungskraft des zwanzigsten Jahrhunderts die dämonische Mutter in die Karriere-Frau verwandelt hat. In Filmen und Medien wird die Karriere-Frau als ein verschlingendes Ungeheuer, das seinen Erfolg über alles andere stellt, dargestellt. Ist sie verheiratet, vernachlässigt sie ihren Ehemann und hat eventuell Affairen, die ihrer Karriere dienlich sind oder ihr unersättliches sexuelles Begehren befriedigen. Falls sie Kinder haben sollte, so benutzt sie diese als ihre Diener, die an ihrem Arbeitsplatz wohnen, oder sie übergibt sie einer mütterlichen Person, die sich um sie kümmert. In den meisten Fällen ist sie jedoch alleinstehend, weil sie nur an sich denkt. Ihre Karriere und ihr Fortkommen sind das einzige, worum sie sich kümmert. Dieses Bild von der eindimensional manischen Karriere-Frau hat sich teilweise deswegen durchgesetzt, weil es die einzige Charakterisierung ist, die uns von arbeitenden Frauen, insbesondere berufstätigen Frauen, zur Verfügung steht. Für Frauen, die Rechtsanwältin, Geschäftsfrau oder »Karrieristin« werden wollen, existieren keine »sanfteren, milderen« Images. Deshalb glauben berufstätige Frauen manchmal, sich als Karriere-Frau darstellen zu müssen, selbst, wenn sie sich anders verhalten. Eine Frau, die sagte, sie »trage Scheuklappen« im Hinblick auf alles, was nicht mit ihrer Karriere zusammenhängt, hat tatsächlich mehrere Male im Jahr Urlaub gemacht, hatte eine längere, verbindliche Beziehung und nahm am Wochenende Klavierunterricht. Ihr Leben schien viel ausgeglichener zu sein, als sie es in ihrer eigenen Karikatur als Karriere-Frau darstellte. Als Vorgesetzte ist die Karriere-Frau als die »Chefin der Hölle« tituliert worden. [33] Sie hat für ihre Mitarbeiter weder Interesse noch Mitleid übrig. Sie benutzt jeden, um voranzukommen, und wird jeden zerstören, der sich ihr in den Weg stellt. Eine Frau, die eine kleine Consulting-Firma besaß, beschrieb sich selbst als das »Arschloch des Büros«. Tatsächlich fanden ihre Angestellten sie großzügig und hilfsbereit. Dennoch glaubte sie von sich selbst, daß sie als erfolgreiche Frau notwendigerweise intrigant und halsabschneiderisch sein müsse. Die Karriere-Frau unterscheidet sich von anderen Frauen. Man behauptet, daß sie insgeheim gern ein Mann wäre [34] oder daß ihr Selbstvertrauen und ihr Erfolg nur ihr grundlegendes Gefühl, als Frau versagt zu haben, verdecken sollen. [35] Manchmal hat sie nicht einmal menschliche Züge und wird als eiserne Lady, Eis-Königin oder stählerne Magnolie bezeichnet. Sie ist »hart wie Eisen« oder »kalt wie Eis«. Diese Bezeichnungen sind nicht nur unweiblich, sie sind nicht einmal menschlich und erinnern an die Images von der diabolischen Mutter. Letztendlich handelt es sich bei dem Bild von der Karriere-Frau um das Image einer Frau, die derartig aus dem Gleichgewicht geraten ist, daß man sie durchaus als wahnsinnig und destruktiv bezeichnen kann. In neueren Filmen wird die Karriere-Frau als mordlüsterne Verrückte dargestellt, die zum Berserker wird, wenn ihr lang unterdrücktes Bedürfnis nach Liebe auf Ablehnung stößt. [36] Obwohl dieses Porträt eine eindeutige Übertreibung ist, befürchten manche Frauen, sich selbst zu schaden, wenn sie sich zu stark auf ihre Karriere konzentrieren. Die Forscher Dana und Rand Jack [37] berichten von einer Frau namens Jane, die schließlich ihre Karriere als erfolgreiche Anwältin aufgibt, weil ihre Bedürfnisse nach menschlichen Verbindungen und Beziehungen zu kurz kommen. Der Druck des Mythos ist so stark, daß sich berufstätige Frauen entweder für die Karriere oder für die Familie zu entscheiden haben und zugrunde gehen, falls sie sich nicht für das Richtige entschieden haben sollten. Ich habe einige Frauen kennengelernt, die eine Therapie als Schutzmaßnahme besuchten, um sich zu versichern, daß das Image der Karriere-Frau nicht »von ihnen Besitz ergreift«. So wie die Selbstlose Mutter nicht darüber nachdenkt, worum es bei einer Mutter-Kind-Beziehung in Wirklichkeit geht, und die Treue Ehefrau eheliche Beziehungen unzureichend beschreibt, mißlingt es der Karriere-Frau, ihre Erfahrungen als arbeitende Frau adäquat zu reflektieren. Diese Ideale, wie z. B. die Super-Mama und die Glückliche Hausfrau spiegeln wider, was wir als Kinder von unserer eigenen Mutter wollten und welche Ängste wir hatten. Teilweise erklärt sich die Macht der Bilder aus der Tatsache, daß wir deren Schöpfer sind. Jeder von uns, ob Mann oder Frau, wünschte sich eine all-gebende, liebevolle Person, die nur für sie allein existieren sollte; jeder von uns haßte alles und jeden, der diese Phantasie bedrohte. Da diese Bilder von den Sehnsüchten unserer kindlichen Vorstellungswelt geprägt wurden, üben sie kontinuierlich nicht nur eine starke Macht auf unser Gefühlsleben aus, sondern vermitteln darüber hinaus das Gefühl des richtigen Bewußtseins. Aus diesem Grund sind sie für Frauen in der Lebensmitte die verführerischsten Fallen.